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gewürcz wol vnd versalcz nicht.

56
gewürcz wol vnd versalcz nicht.
Auf der Suche nach skalaren Erklärungsmodellen zur
Verwendung von Gewürzen in mittelalterlichen
Kochrezepten1
Helmut W. Klug
Swas dû uns gîst, daz wurze uns wol,
baz dànne man ze mâze sol,
daz in uns werde ein hitze,
Daz gegen dem trunke gange ein dunst,
als ein rouch von einer brunst,
und daz der man erswitze,
Daz er wæne, daz er faste leke.
schaffe, daz der mund uns als ein apotêke smeke!2
Dieser Auszug aus dem Herbstlied Steinmars hat in der Neuzeit viele
Interpretationen angeregt, die der mittelalterlichen Speisekultur nur sehr selten
gerecht werden.3 Der/ie Mediävist/in hat bei der Interpretation historischer Texte
nicht nur die Methodik des Faches zu berücksichtigen, sondern auch ständig
einen oft binären Gegensatz der Kulturen zu bedenken, denn das 21. Jahrhundert
ist mehr als einen cultural turn vom Mittelalter entfernt. Seit den ersten
wissenschaftlichen Untersuchungen zu den mittelalterlichen Kochrezepten hat
es fundamentale inhaltliche und strukturelle Veränderungen in der mediävistischen
Forschung gegeben, nichtsdestotrotz prägen antiquierte Lehrmeinungen
heutige Fachtexte, auch wenn sie seit Jahrzehnten überholt sind.4 Dem gegen-
1 Diese Arbeit ist im Rahmen des fächerübergreifenden Forschungsprojektes „Kategorien
und Typologien in den Kulturwissenschaften (Binarität und Skalarität als kulturelle Ordnungsmuster)“
entstanden. Für die individuelle Betreuung sei Ao. Univ. Prof. Dr. Wernfried
Hofmeister, Mag. Dr. Bettina Rabelhofer und Ao. Univ. Prof. Mag. Dr. Klaus Rieser gedankt.
2 Die Schweizer Minnesänger. Nach der Ausgabe von Karl Bartsch neu bearb. u. hg. v. Max
Schiendorfer, Bd. 1: Texte. Tübingen 1990, 281: Steinmar, Lied I, VI, 1-8.
3 Vgl. z. B. den vorurteilsbehafteten Kommentar in Manfred Lemmer (Hg.), ‘So wirt es gut
und wolgeschmack.’ Alte deutsche Kochrezepte. 1350-1600. O. O.1991, 16 f.
4 Vgl. besonders Bruno Laurioux, Spices in the Medieval Diet: A New Approach. In: Food &
Foodways 1 (1985) 43 f.
57
über steht aber die geografische Nähe, in welcher der Untersuchungsgegenstand
angesiedelt ist, sodass darüber leicht der kritische Abstand, die kulturelle Wende,
verloren geht.
Die mittelalterliche Kultur – und damit auch die mittelalterlichen Speisegewohnheiten
– wird maßgeblich von religiösen, ständischen und regionalen
Werten geprägt; die dadurch bedingte ideelle Pluralität muss bei der Arbeit mit
historischen Quellen ständig mitgedacht werden, was – über Oppositionsbildungen
hinaus – nach einem skalaren, d. h. einem diese Werte abstufend reflektierenden
Interpretationsansatz verlangt. Dieser Zugang wird in der vorliegenden
Arbeit in einer einleitenden Grundlagendiskussion auf das Arbeitsthema
übertragen. In der Ausarbeitung wird besonderer Wert darauf gelegt, diesen
Anforderungen auch gerecht zu werden, da sehr viele Werke der Forschungsliteratur
konträre Zugänge bevorzugen. Das führt in Einzelfällen unweigerlich
zu fachwissenschaftlich ‚binären’ Gegensätzen mit den hier präsentierten Forschungsergebnissen.
Ich versuche jene in der vorliegenden Studie mit einem
praxis- und ergebnisorientierten Ansatz zu überprüfen, wobei ich mich auf eine
skalare, auf realen Zahlenwerten basierende Auswertung eines für diese Untersuchung
zusammengestellten Korpus an Kochrezepttexten stütze. An die
Beschreibung des Korpus und dessen Genese schließt eine ausführliche Definition
des Untersuchungsgegenstandes ‚Gewürz’, der hier im Sinne der
mittelalterlichen Küchenpraxis möglichst offen ausgelegt wird; gleichzeitig
muss die Grenzsetzung zur Datenerhebung festgelegt werden. Die folgende
Diskussion stellt die erarbeiteten hard facts den bestehenden Forschungshypothesen
gegenüber. Zusätzlich ist der Arbeit ein Anhang beigefügt, in dem
die erhobenen Daten tabellarisch aufbereitet sind.
Grundlagen
Kennzeichnend für die Kultur des Mittelalters sind die drei korrelierenden, den
Alltag prägenden Lebensbereiche Religion, Standeszugehörigkeit und Regionalität
– Aspekte, die also auch im Rahmen einer Diskussion der Würzgewohnheiten,
wie sie uns in den Kochrezeptsammlungen überliefert sind, berücksichtigt
werden müssen. Als zentraler Angelpunkt gilt hier, dass sich – entgegen
verschiedenen älteren Theorien – die Speisekultur des Mittelalters in einem
kontinuierlichen Prozess aus den römisch-antiken Ernährungsgewohnheiten
entwickelt hat:5 Wegen der fast tausendjährigen Kluft zwischen den jüngsten
römischen und den ältesten mittelalterlichen Überlieferungen können wir die
kulinarischen Entwicklungen aber nur erschließen, da uns, bedingt durch die
Überlieferungslücke, die nötige Evidenz fehlt. Schon in den ältesten erhaltenen
mittelalterlichen Rezepten, die, wie ein Großteil der Überlieferung, den in der
5 Vgl. Laurioux, Spices. 61-66; Helmut Hundsbichler, Nahrung. In: Harry Kühnel (Hg.),
Alltag im Spätmittelalter. Graz-Wien-Köln 1984, 205.
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Standeshierarchie höher eingestuften Schichten zuzuschreiben sind, wird eine
außerordentlich kreative Küche präsentiert, welche bevorzugt Wert auf Geschmacks-,
Farb- und Formveränderungen der Grundzutaten legt und den so bedingten
Überraschungseffekt – was sich besonders in den sogenannten ‚Schaugerichten’
manifestiert – als ein zentrales Merkmal beansprucht. Speisen und die
darin verkochten Gewürze sind somit eine Form der sozialen Standortbestimmung,
ein Repräsentationsmittel, welches nicht nur den Gastgeber gegenüber
seinen Gästen, sondern auch den Koch gegenüber seinem Herrn auszeichnet.
Man kann ohne Zweifel erkennen, dass Essen den Zweck eines rein lebenserhaltenden
Vorganges längst hinter sich gelassen hat und der Unterhaltungswert als
gleichberechtigter, wenn nicht gar wichtigerer Faktor gesehen werden muss. Das
belegen auch kritische christliche Stimmen, die dieser Entwicklung keine positiven
Aspekte abgewinnen können6 und einmal mehr zeigen, wie sehr die
Speisekultur von religiösen Einflüssen geprägt war. Deshalb muss auch eine in
der Forschung lang tradierte These hinterfragt werden: Die optische Veränderung
von Fastenspeisen (in z. B. typische Fleischspeisen) wird als ein Mittel zur
Erleichterung des Fastengebotes interpretiert.7 Bedenkt man die Religiosität des
mittelalterlichen Menschen sowie dass ähnliche Verarbeitungsmethoden für alle
Arten der Lebensmittel belegt sind, scheint diese Annahme keineswegs haltbar,
sondern aus einem neuzeitlich-christlichen Unverständnis entstanden. Omnipräsent,
aber ebensowenig haltbar und mittlerweile auch in der Forschung einhellig
zurückgewiesen ist die Vermutung, dass Gewürze en masse eingesetzt wurden,
um den Geschmack verdorbenen oder aus anderem Grund8 kaum genießbaren
Fleisches zu überdecken: Was demgegenüber realistische Beweggründe für die
bevorzugte Verwendung teurer Würzmittel gewesen sein könnten, wird in den
folgenden Absätzen besprochen.
Ein zentraler Aspekt, der Hand in Hand mit den oben angesprochenen Änderungen
der Grundzutaten in Form, Farbe und Geschmack geht, ist die im
Mittelalter gültige medizinische Lehre, welche in allen Bereichen auf antikem
und im späten Mittelalter traditionsbedingt auch auf arabischem Wissen aufbaut.
6 Siehe einschlägige Stellen bei Bernhard von Clairvaux (vgl. Paul H. Freedman, Out of the
East. Spices and the Medieval Imagination. New Haven 2008, 151.) oder Berthold von
Regensburg [vgl. Christoph Cormeau, Essen und Trinken in den deutschen Predigten
Bertholds von Regensburg. In: Irmgard Bitsch, Trude Ehlert und Xenja von Ertzdorff (Hg.),
Essen und Trinken in Mittelalter und Neuzeit. Sigmaringen 1987, 77-83].
7 Vgl. z. B. Hanna Dose, Die Geschichte des Kochbuchs. Das Kochbuch als geschichtliche
Quelle. In: Gisela Framke (Red.), Beruf der Jungfrau: Henriette Davidis und bürgerliches
Frauenverständnis im 19. Jahrhundert. Oberhausen 1990, 66; Trude Ehlert, Münchner
Kochbuchhandschriften aus dem 15. Jahrhundert. Cgm 349, 384, 467, 725, 811 und Clm
15632. Donauwörth 1999, 183 (in der Folge: Münchner Kochbuchhandschriften); Trude
Ehlert, Das Kochbuch des Mittelalters. Rezepte aus alter Zeit, eingeleitet, erläutert und
ausprobiert. Düsseldorf 2000.
8 Vgl. Ehlert, Kochbuch des Mittelalters 14: Gewürze sollen verwendet worden sein, um den
Salzgeschmack von Gepökeltem oder eingesalzenem Gemüse zu überdecken.
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In deren Zentrum steht die Annahme, dass das menschliche Wohlbefinden über
die Zusammensetzung bzw. die Ausgewogenheit der vier humores bestimmt
wird; gleichzeitig wird auch der Gesundheitsschutz, das heißt ein dieses Gleichgewicht
bewahrendes, vorbeugendes Leben, höher als die Krankenheilung bewertet:
Damit ist die Nahrungsaufnahme ein integraler Bestandteil der medizinischen
Vorsorge, da über dieses Medium die konstituierenden Säfte nachhaltig
und vor allem regelmäßig beeinflusst werden können. Dies wird auch in einem
für das Hoch- und Spätmittelalter bedeutenden Werk, dem Tacuinum sanitatis,
realisiert, in dem die sex res nonnaturales und im Laufe der weiteren Entwicklung
die Nahrungsmitteldiätetik für den laikalen Gebrauch zentrale Themen
sind. Die verschiedenen Textzeugen können zwar inhaltlich divergieren, allen
gemein sind aber die rubrikartigen Faktoren ‚Nutzen’, ‚Schaden’ und die Anweisungen,
wie diesem Schaden, den die einzelnen Stoffe verursachen können,
entgegengewirkt werden kann.9 Dort finden sich neben dem häufig genannten
‚Gegenmittel’ Salz vor allem die importierten Würzmittel Pfeffer, Zucker und
Zimt.
Eine gleichwertige Rolle neben der Nahrungsaufnahme spielt die
olfaktorische Wahrnehmung: Duft wurde im Rahmen medizinischer Heilmethoden
angewandt, was nicht zuletzt den medizinischen Einsatz von Gewürzen in
Riechgefäßen als ein der Pest vorbeugendes Mittel bedingt. Liest man deutsche
religiöse Texte des Hochmittelalters, sind diese voll von geruchsbasierten Assoziationen
und Metaphern,10 die auf den Pflanzen und Gewürzen zugeschriebenen
metaphysischen Eigenschaften beruhten. Da es im Zuge der Religionsausübung
möglich ist, mit der Hostie den ‚Leib Christi’ und damit Christi Tugendhaftigkeit
zu empfangen, ist es auch möglich mit dem Duft von Gewürzen (und anderen
Pflanzen) deren Eigenschaften aufzunehmen. Das Wissen um diese Wirkung war
zentraler Bestandteil der mittelalterlichen Kultur und spiegelt sich durchgehend
in der ersten deutschsprachigen Enzyklopädie, dem sogenannten ‚Buch der
Natur’ des Konrad von Megenberg, als ein unabdingbares Merkmal verschiedenster
Stoffe, Tiere und Pflanzen wider. Konrad ist es auch, der, während er den
Aufbau des Magens erklärt, die spätmittelalterliche Vorstellung des Verdauungsablaufs
gleich einem intrakorporalen Kochvorgang plakativ darstellt:
Der mag ist der êrst haven, dar inn daz ezzen ge\kocht wirt in dem
menschen. der mag nimpt daz rôch ezzen von der sluntroern und kocht ez
in im selber, wie daz sei, daz ez etswie vil geschickt werd in dem mund und
in der sluntroern. der mag hât inwendig vil häutel\vasen reht sam klaineu
plätlein an ainem püechlein, dar umb, daz von der selben häutlein hitz daz
ezzen dester paz gekocht werd, und auch dar umb, daz daz ezzen dester
9 Heinrich Schipperges, Tacuina sanitatis. In: Lexikon des Mittelalters, CD-ROM. Weimar
2000 (in der Folge: LexMA).
10 Vgl. Helmut W. Klug, Kräuter in der deutschsprachigen Dichtung des Hochmittelalters.
Vorkommen, Anwendung und Wirkung in ausgewählten Texten (Schriften zur Mediävistik
5) Hamburg 2005, 51-84; für die epische Dichtung 95-98.
60
lenger in dem magen beleib; wan wær der mag sleht und glat, sô sliff daz
ezzen ê der zeit ze tal und belib ungekocht.11
Diesen Vorgang kann der Koch mit der Zubereitung der Speisen unterstützen, als
er diese in eine möglichst leicht verdauliche, vom Körper weiter ‚verkochbare’
Form überführt, indem sie, wie zum Beispiel Fleisch, zuerst gekocht, dann
gemörsert und schließlich nochmals gebraten und in ihrer Temperierung möglichst
an den Speisenden angepasst werden. Letzteres wird über die entsprechende
Zugabe von Gewürzen bewerkstelligt. Die breiige Zwischenstufe bietet
eine ideale Basis, um die Würzmittel so zuzuführen, dass sie auch die gesamte
Speise durchdringen und damit in jedem Bissen wirksam sind. Entsprechende
diätetische Hinweise in den Kochrezepten belegen überdies, dass den Verfassern
ihre Schlüsselstellung im medizinischen Kreislauf durchaus bewusst war.
Diese Zubereitungsmethoden haben aber noch weitere Vorteile: Durch das
Ab- oder eher Zerkochen des Fleisches wird sichergestellt, dass der mikrobielle
Verderb des Fleisches, der auch heute noch selbst unter optimalen hygienischen
Bedingungen ab dem Zeitpunkt des Schlachtens stattfindet,12 keine Schäden anrichten
kann. Jener Effekt wird durch die Zugabe desinfizierender Würzmittel
(Ingwer, Nelken, Pfeffer, Zimt)13 sowie durch Säure (Wein und Essig) zusätzlich
unterstützt. Denn dass auch in wohlhabenden, mittelalterlichen Haushalten nicht
immer mit schlachtfrischem Fleisch gearbeitet wurde, zeigt zum Beispiel ein
Rezept (Nr. 5.1) der Handschrift A I 1 (Konstanzer Stadtarchiv), in dem die
Verarbeitung von altem (zu trockenem?) und daher schwer zu kochendem
Fleisch beschrieben wird:
wiltu och machen, wie alt daz flaisch jemer ist oder vnsödig ist, daz es mit
dem ersten wal gesotten si, so nim huncztrak, als gros als ain bon sig, vnd
wirf es in den haffen in ainem tüchlin verbunden, so ist es röss gesotten.
vnd schut den die suppen ab, die sol man nit essen, vnd daz flaisch belibt
süss vnd wol geschmak vnd gesotten.14
Dieses Rezept macht auch deutlich, dass sich der Gusto des mittelalterlichen
westeuropäischen Menschen deutlich von dem unseren unterscheidet, was auch
in den bevorzugt verwendeten Gewürzen evident wird. Möchte man den
Geschmack der Speisen der mittelalterlichen Oberschicht beschreiben, böte sich
als Vergleich einzig die moderne Küche des Nahen Ostens an, in der noch heute
11 Konrad von Megenberg, Das Buch der Natur. Die erste Naturgeschichte in deutscher
Sprache, hg. Franz Pfeiffer. Stuttgart 1861, 32.3-13.
12 Vgl. Ausgewählte Fragen und Antworten zu verdorbenem Fleisch, FAQ vom 29. November
2005, hg. Bundesinst. f. Risikobewertung: http://www.bfr.bund.de/cm/276/ ausgewaehlte_
fragen_und_antworten_zu_verdorbenem_fleisch.pdf (letzter Zugriff 28.5.2010).
13 Vgl. die entsprechenden Kapitel in Max Wichtl, Teedrogen und Phytopharmaka. Ein
Handbuch für die Praxis auf wissenschaftlicher Grundlage, 5. Aufl. Stuttgart 2009.
14 Trude Ehlert, Die (Koch-)Rezepte der Konstanzer Handschrift A I 1. Edition und Kommentar.
In: Ingrid Kühn und Gotthard Lerchner (Hg.), ‘Von wyßheit würt der mensch geert.’
Festschrift für Manfred Lemmer zum 65. Geburtstag. Frankfurt am Main 1993, 44 (in der
Folge: AI1).
61
vorzugsweise mit vergleichbaren Gewürzen gearbeitet wird.15 Gleichzeitig muss
aber dem Gerücht widersprochen werden, dass sich der Geschmack der mittelalterlichen
Speisen aus dem Kontakt mit Arabern im Zuge der Kreuzzüge
entwickelt habe:16 Er ist das Produkt einer kontinuierlichen Entwicklung, da die
Gewürze schon seit langem aus medizinischen Rezepten bekannt waren; die
arabischen Kontakte sind nur in Bezug auf den Gewürzhandel relevant. Die aus
dem langen Transportweg und den Aufschlägen der unzähligen Zwischenhändler
resultierenden hohen Preise machen aus den Gewürzen Luxusartikel, die nur
von reichen Haushalten angeschafft werden konnten. Daher kann die Verwendung
von Gewürzen gleichzeitig als Repräsentationsmittel interpretiert werden,
welches sich aber weniger in der mengenmäßigen Verwendung in einzelnen
Speisen als in der Art der verwendeten Produkte abzeichnet. So rangiert Safran,
bedingt durch die aufwändige Produktion, am oberen Ende dieser Skala, Pfeffer
hingegen war – vor allem im Spätmittelalter – ein vergleichsweise billiges und
von allen Schichten verwendetes Gewürz; seine Rolle als Zahlungsmittel hat sicher
dazu beigetragen. Um auf den Genuss eines außerordentlichen, prestigeträchtigen
Gewürzes dennoch nicht verzichten zu müssen, wurden daher mit
dem Langen Pfeffer (Piper longum L.), dem Malaguettapfeffer (Aframomum
melegueta K. Schum.) oder dem Kubebenpfeffer (Piper cubeba L.) neue Sorten
importiert und den Reichsten als entsprechend luxuriöse Produkte angeboten.
Ähnliches kann für diverse andere Importgewürze ausgemacht werden. Dazu
kommt, dass für reiche Haushalte generell eine größere Auswahl an Gewürzen
angenommen werden kann als für weniger begüterte.17
Eine Behauptung, die sich im Zusammenhang mit der Verwendung von
Gewürzen im Mittelalter bis heute hartnäckig hält, ist die Überwürzung der
Speisen.18 Das ergibt sich zum einen aus den großen Mengen, die in historischen
Dokumenten wie Abrechnungen, Testamenten oder Zollbelegen überliefert sind.
Was dabei aber sehr oft übersehen wird, ist, dass die unterschiedlichen Verbrauchsmöglichkeiten
von Gewürzen zum Beispiel auch die Verwendung als
Duft- oder Räuchermittel, in der Medizin, als Geschenk oder als Währungseinheit
umfassen; zugleich ist nur in sehr wenigen Fällen die genaue Personenanzahl
bekannt, für welche die in den Quellen angeführten Mengen gedacht
waren.19 Dass sich der mittelalterliche Geschmackssinn zweifellos von dem heutigen
unterscheidet, wurde oben schon gezeigt, schlagkräftige Beweise für exor-
15 Vgl. auch Freedman, Spices 25; Christopher M. Woolgar, Food and the Middle Ages. In:
Journal of Medieval History 36 (2010) 8.
16 Einzig die Verwendung von Zucker ist diesem Kontakt zuzuschreiben. Bis zu den ersten
erhaltenen Rezeptsammlungen hat sich diese Luxuszutat aber schon so durchgesetzt, dass
sie in den Rezepten annähernd gleich oft verlangt wird wie das ursprüngliche Süßungsmittel
Honig.
17 Vgl. Laurioux, Spices 52.
18 Eine umfassende Sammlung aller Vorurteile findet sich in Heidrun Merkle, Tafelfreuden.
Eine Geschichte des Genießens. Düsseldorf-Zürich 2001, 89-93.
19 Vgl. Laurioux, Spices 60.
62
bitant stark gewürzte Speisen lassen sich aber nur schwer finden: Zum einen ist
eine brauchbare Angabe zu den verwendeten Mengen selten, sodass allgemein
gültige Schlussfolgerungen kaum möglich sind, zum anderen legt ein analytisches
Herangehen an Rezepte mit Mengenangaben offen, dass auch Speisen mit
scheinbar übermäßigen Gewürzmengen durchaus nicht überwürzt sein mussten.
Es gibt Rezepte, welche die Herstellung von Speisen beschreiben, die aus diversen
(z. B. diätetischen) Gründen entsprechend hochdosiert gewürzt sein mussten
und welche ohnehin nicht für den Verzehr in großer Menge gedacht waren: Ein
derartiges Beispiel stellen die verschiedenen Rezepte für Lebzelten dar, auf
welche weiter unten noch im Detail eingegangen wird. Ein anderes, gewürzintensives
Rezept ist wilpret von eigern (Rezept Nr. 75 in der Sammlung Cod.
Guelf 16.17 Aug 4°), das laut Editionskommentar „beachtlich große Mengen an
Gewürzen“ benötigt:20
Wiltu machen ein wilpret von eigern, so nim L eiger vnd slach die in einen
hafen vnd kloppfe die eiger Vnd wurtze sui abe. Nim III lot ingeber, I lot
negelin, II lot zymmin vnd tuo es in eine pfanne mit smaltz vnd ruer es
wol. vnd dar noch slach es in ein duoch vnd suit es in eime wasser vnd
mache eine bruege vnd wurtze sui wol. vnd die bruege sol swartz sin, vnd
daz heisset ein wilpret von eigern.
Um die Gewürzmengen richtig einschätzen zu können, müssen die Angaben in
uns heute geläufigere Maße umgerechnet werden: 50 Eier entsprechen ca. 2,5-3
Liter Eimischung, sechs Lot Gewürze etwa 96g.21 Eine küchenpraktische
Versuchsreihe mit sechs Durchgängen, in denen jeweils ein Ei der Größe M und
die entsprechende, auf einer Apothekenwaage ausgewogene Menge an frisch
geöffneten Gewürzen (0,96g Ingwer, 0,64g Zimt, 0,32g Nelken) verwendet wurde,
zeigte, dass die rohe, ausgiebig verquirlte, lehmbraune Eimasse durch den
Ingwer sehr scharf schmeckt. Von den beiden anderen Gewürzen übertönt der
Geschmack der Gewürznelken unangenehm jenen des Zimtes. Die Eimasse wird
nach den Vorgaben im zweiten Arbeitsschritt wie Rührei in der Pfanne gebraten
– der Geschmack der fertigen Speise lässt die beigemengten Gewürze zwar erkennen,
kann allgemein aber nur als mild gewürzt mit einer leichten Schärfe am
Gaumen beschrieben werden.
Diese Versuchsreihe und weitere Experimente mit größeren Würzmengen
sowie unterschiedlichem Fett und somit unterschiedlichen Gartemperaturen
stützen meine Annahme, dass gestockte Eimasse weit größere Mengen an Gewürzen
als die im Rezept geforderte aufnehmen könnte, bevor eine Überwürzung
feststellbar wäre. Zieht man zudem die im Vergleich zu den heute erhältlichen
Produkten geringere Qualität und damit Intensität der mittelalterlichen
20 Marianne Honold, Die Kochrezepte des Cod. Guelf. 16.17. Aug. 4°, Bl. 102r-118v. In:
Würzburger medizinhistorische Mitteilungen 19 (2000) 181.
21 Für das Volumen eines Eis werden hier ca. 50-60cm3 angenommen, für das Lot wird ein
Durchschnittsgewicht von etwa 16g zugrunde gelegt.
63
Gewürze in Betracht22 und bedenkt man dazu den im vorliegenden Rezept geforderten
dritten Arbeitsschritt, in dem die gestockte Eimasse noch gesotten wird,
so kann von einer überwürzten Speise wohl kaum mehr die Rede sein. Das Ergebnis
des Praxisbeispiels wird zudem durch verschiedene zeitgenössische diätetische
Literatur gestützt, die generell und ganz im Sinne der Temperamentelehre
vor Überwürzung warnt.23
Korpus
Habe ich in dieser gerafften, allgemein gehaltenen Einführung versucht, alte
Muster, Vor- und Fehlurteile aufzugreifen und zu diskutieren, wird im weiteren
Verlauf mit dem historischen Material, einer Auswahl der überlieferten Quellentexte,
gearbeitet, um die theoretischen Feststellungen der tradierten Praxis gegenüberzustellen
und diese Ergebnisse in einem weiteren Schritt auch skalar zu
verorten. Bei der Auswahl der einzelnen, bereits edierten Rezeptsammlungen
wurde primär darauf geachtet, dass die Anzahl der parallel überlieferten Rezepte
möglichst gering ausfällt, um statistische Redundanzen zu vermeiden.24 Ausgehend
von den in der Sekundärliteratur präsentierten Forschungsergebnissen25
war die Entstehungszeit der einzelnen Sammlungen ein weiteres Auswahlkriterium:
Sie wurden so gewählt, dass sie Basis für einen kontinuierlichen Überblick
vom Beginn der mittelalterlichen Kochrezeptüberlieferung bis zum Ende
der Epoche sein können. In der folgenden Beschreibung und zeitlichen Einordnung
der Rezeptsammlungen wird auch – sofern bekannt – auf den jeweiligen
Entstehungskontext und die Verfasser / Sammler der Rezepte Bezug genommen,
da dies obligate Informationen für eine weitere Interpretation der Ergebnisse
sind.
Mit seiner Entstehungszeit um 1350 ist das buoch von guoter spîse die
älteste überlieferte Rezeptsammlung in deutscher Sprache. Sie ist im sogenannten
‚Hausbuch’ des Michael de Leone enthalten (auch ‚Würzburger Liederhandschrift’;
München, Bayerische Staatsbibliothek, 2° Cod. ms. 731, fol. 156ra-
165vb), der als Protonotar des Bischofs von Würzburg eine einflussreiche Stellung
innehatte und somit dem gehobenen Stadtbürgertum zugewiesen werden
kann – dies ordnet die überlieferten Rezepte gleichzeitig einer bestimmten
Schicht im mittelalterlichen Standesgefüge zu. Aus dem Index der einen
22 Nimmt man an, dass es reine, unveränderte Gewürze sind, die den Konsumenten erreichen,
so haben die langen Transportwege ohne Zweifel Einfluss auf die Qualität der Gewürze;
vgl. Freedman, Spices 113 f.
23 Vgl. Dorothee Rippmann, Der Körper im Gleichgewicht: Ernährung und Gesundheit im
Mittelalter. In: Medium Aevum Quotidianum 52 (2005) 37 f.
24 Selbstverständlich können auch aus der Anzahl der Parallelüberlieferungen kulturhistorisch
relevante Schlüsse gezogen werden, für eine Untersuchung zur Verwendung von Gewürzen
scheint dies aber zweitrangig.
25 Vgl. Laurioux, Spices 47-51.
64
erhaltenen Handschrift kann man erschließen, dass die ursprüngliche Sammlung
zwei Codices umfasst haben muss und wohl als Wissensspeicher für die Bewohner
des frisch gegründeten Familienstammsitzes gedacht war.26 Dies spiegelt
(wie auch der übrige Inhalt der Handschrift) das spätmittelalterliche Vertrauen in
die Korrelation von spirituellem, körperlichem und wirtschaftlichem Wohlergehen
wider: Neben der Rezeptsammlung und ähnlichen hauswirtschaftlichen Texten
hat Michael de Leone auch moralisch-didaktische, religiöse, literarische sowie
politische Schriften in seine Sammlung aufgenommen. Es wird vermutet,
dass er die Kompilation der Handschrift sehr genau überwacht hat. Aus dem
Aufbau der Rezeptsammlung geht hervor, dass sie zumindest aus zwei
verschiedenen Vorlagen kompiliert worden sein muss: Teil I umfasst den gereimten
Prolog, der mit Diz buoch sagt / von guoter spise / Daz machet / die
vnverrihtigen koeche wise (BvgS 55) beginnt, und 54 Rezepte, wovon die letzten
zwei gereimte Rezeptparodien darstellen; dieser Abschnitt wird mit dem Satz
Diz ist ein guot lere von guoter spise (BvgS 80) beschlossen. Neben diesen
offensichtlichen Abgrenzungen lassen sich im zweiten Teil (Rezepte 55-101) vor
allem auch inhaltliche Unterschiede festmachen, welche auf unterschiedliche
Vorlagen schließen lassen. Die einleitenden Sätze des ersten Teiles heben die
didaktischen Absichten des Kompilators explizit hervor, und diese schlagen sich
auch in der hohen Dichte sehr detaillierter Angaben (Mengen, Gewürze, Zubereitung,
Namen von Gerichten) nieder. Der zweite Abschnitt lässt diese aber
vermissen: Die Art der Zutaten und auch die syntaktische Analyse begründen
Adamsons Vermutung, der Autor / Kompilator des zweiten Teiles sei ein
professioneller Koch im Dienst des Bischofs von Würzburg gewesen.27 Dass uns
so genaue Informationen zur Entstehung einer Handschrift erhalten sind, ist
durchaus nicht der Regelfall und macht die darin überlieferten Informationen
umso wertvoller, weil man sie somit real-, kultur- und sozialhistorisch exakt verorten
kann.
Weit weniger präzise gestalten sich die Angaben, die zu den anderen Rezeptsammlungen
des Korpus vorhanden sind: Die Handschriften cgm 72528 und
cgm 38429 (München, Bayerische Staatsbibliothek) sowie Donaueschingen 79330
(Karlsruhe, Badische Landesbibliothek) beinhalten neben den Kochrezepten
(jeweils auf fol. 41r und 139r-142v; fol. 76r-78r und 103v-115v; fol. 27v-28v
26 Michel de Leone erwarb den ‚Löwenhof’ in Würzburg im Jahre 1432. Die zur Handschrift
und zur Rezeptsammlung genannten Daten sind den entsprechenden Abschnitten der sehr
detaillierten Arbeit von Melitta Weiss Adamson entnommen: Daz buoch von guoter spîse.
The book of good food. A study, edition, and English translation of the oldest German
cookbook (Medium Aevum Quotidianum, Sonderband 9) Krems 2000, 7-25 (in der Folge:
BvgS; die Superskripte des mhdt. Textes der Edition wurden aufgelöst).
27 Vgl. BvgS 20-24.
28 Münchner Kochbuchhandschriften 194-219 (in der Folge: cgm725I bzw. cgm725II).
29 Münchner Kochbuchhandschriften 111-183 (in der Folge: cgm384I bzw. cgm384II).
30 Berthilde Danner, Alte Kochrezepte aus dem bayrischen Inntal. In: Ostbairische Grenzmarken
12 (1970) 118-128 (in der Folge: Inntal).
65
und 96r-98r) vorwiegend magisch-religiöse, human- und veterinärmedizinische
oder hauswirtschaftliche Schriften. Die 23 Kochrezepte in cgm 725 sind wahrscheinlich
im letzten Viertel des 15. Jahrhunderts in Tegernsee kompiliert worden;
ähnlich wie für cgm 384 ist die Entstehung in einem Kloster möglich, aber
nicht gesichert. Diese Sammlung kann aufgrund der Wasserzeichen auf 1470
datiert werden und beinhaltet 84 Rezepte, ein Besitzvermerk auf fol. 1r lässt die
Editor/innen vermuten, dass es sich beim Verfasser der Kochrezepte um einen
Arzt oder Apotheker handeln könnte, der diese für den professionellen Gebrauch
aufzeichnete; das Fehlen jeglicher diätetischer Informationen in den Texten erklären
sie mit dem den Praktiker auszeichnenden Eigenwissen.31 Die dritte
Handschrift enthält das sogenannte ‚Inntalkochbuch’, das Ende des 15. oder Anfang
des 16. Jahrhunderts in der Gegend von Mühldorf am Inn entstanden sein
könnte. Es zeichnet sich durch sehr pointierte Rezepte von fast überwiegend
Fastenspeisen aus, was die Editorin auf einen professionellen Koch eines hohen
Geistlichen schließen lässt,32 der diese als Gedankenstütze niederschreiben ließ.
Für eine fünfte Rezeptsammlung, cgm 15632, fol. 143r-152v33 (München,
Bayerische Staatsbibliothek) können zwar sehr genaue Angaben zur Provenienz
der Handschrift gemacht werden, die Entstehung bleibt aber im Dunkeln.34 Die
55 Kochrezepte wurden wahrscheinlich nach 1490 im Kloster Rott am Inn in die
(aus überwiegend religiös-didaktischen, lateinischen Texten zusammengesetzte)
Handschrift eingetragen. Die beschriebenen Speisen lassen aufgrund der verwendeten
Zutaten eine Sammlung in einem Kloster vermuten, verschiedene Widersprüche
machen eine genaue Zuordnung aber nicht möglich.35 Die Handschrift
A I 1 des Konstanzer Stadtarchivs schlussendlich enthält neben bekannten
Legenden und Texten zur geistigen wie moralischen Kontemplation auf neunzehn
Seiten Marginaleinträge einer Hand aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts.
36 Diese umfassen neben chronikalischen Einträgen zum Zeitraum
1450-1466 Kochrezepte sowie Ratschläge zur Lagerhaltung, Küchentipps und
medizinisch-diätetische Abhandlungen zu einzelnen Pflanzen. Ehlert leitet aus
der Art der Niederschrift und dem Inhalt der Rezepte ab, dass es sich beim Kompilator
um einen hauswirtschaftlich interessierten, gebildeten Laien gehandelt
haben müsse, der mündlich tradierte Rezepte aus seinem näheren Umfeld niedergeschrieben
und diese um von ihm überarbeitetete Kapitel aus der zeitgenössischen
medizinischen Fachliteratur ergänzt habe. Sie schließt daraus auf ein im
Sinne des buoch von guoter spîse verfasstes Hausbuch, wenngleich auch für
einen wesentlich bescheideneren Haushalt.37
31 Münchner Kochbuchhandschriften 181 f.
32 Inntal 119a.
33 Münchner Kochbuchhandschriften 228-293 (in der Folge: cgm15632).
34 Vgl. Münchner Kochbuchhandschriften 230 f.
35 Vgl. ebenda 289.
36 Vgl. AI1, 39 f.
37 Ebenda 53-58.
66
Definition
Insgesamt umfasst das Korpus somit sechs verschiedene Kochrezeptsammlungen,
die in Summe 365 Rezepttexte beinhalten und im Zeitraum von ca. 1350
bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts niedergeschrieben wurden. Die Rezepte
sollen als Grundlage für eine skalare Auswertung der darin verwendeten Gewürze
dienen. Bevor eine derartige Untersuchung konkrete Ergebnisse liefern kann,
muss der Begriff ‚Gewürz’, eine Vokabel der Küchensprache, eindeutig definiert
werden, da es je nach Kontext oder Autorenintention sehr unterschiedlich ausgelegt
werden kann:38 Als ‚Gewürz’ gilt für diese Arbeit jede in den Rezepten
explizit wie auch implizit genannte Zutat, welche schon durch die Zugabe
geringer Mengen den Geschmack oder die Farbe der Grundzutaten verändert.
Dies unterscheidet Gewürze von Haupt- und Nebenzutaten, die entweder in
größeren Mengen den Grundgeschmack der Speise prägen (z. B. Eier, Fischund
Fleischsorten, Gemüse) oder aber zugegeben werden, ohne eine grundlegende
Geschmacksveränderung zu bewirken (Fett, Mandelmilch, Mehl). Somit
schließt die getroffene Definition lokale sowie importierte Würz- und
Färbepflanzen, die Süßungsmittel Honig und Zucker, außerdem die
Säuerungsmittel Wein und Essig und schließlich das Mineral Salz ein. Trotz
dieser ganz im Sinne der mittelalterlichen Küche möglichst offenen Definition
gibt es Grauzonen, die unter Hinzuziehung der Primärtexte im Detail
ausgeleuchtet werden müssen: Zum einen gilt es, die Zuordnung einzelner
Pflanzen zu klären, zum anderen muss aufgeschlüsselt werden, was unter dem
Begriff ‚implizit genannte Zutat’ verstanden wird.
Als Problemfall im Rahmen meiner Klassifikation und im Licht der
mittelalterlichen Küche muss vorweg die Gewürzpflanze Zwiebel diskutiert
werden.39 Im Lexikon des Mittelalters liest man zur Zwiebel eine
‚diplomatische’ Stellungnahme, die den Zwiespalt beschreibt: „Im Nahrungskonsum
nahm die Z. eine Art Zwischenstellung zw. den Gemüsen und Gewürzen
ein“.40 Historische Quellen mit hauswirtschaftlichem Inhalt liefern ein
vergleichbar zwiespältiges Bild: Im Klosterplan von St. Gallen, der auch das
Bepflanzungskonzept der Gärten zeigt, wird die Zwiebel (cepa) im Gemüsegarten
(hortus) aufgeführt und nicht im Kräutergarten (herbularis).41 Ähnliches
kann man auch in dem zur etwa gleichen Zeit entstandenen Hortulus des
Walahfried Strabo beobachten, der den von ihm bewirtschafteten medizinischen
38 Vgl. Jacob und Wilhelm Grimm, Deutsches Wörterbuch (http://germazope.uni-trier.de/
Projects/DWB – letzter Zugriff 18.5.2010): Suchbegriff: Gewürz. Zur historischen Verwendung
vgl. besonders Absatz 2) 2)) ff. und zum modernen Deutsch Absatz 3).
39 Vgl. Wolfgang Franke, Nutzpflanzenkunde. Nutzbare Gewächse der gemäßigten Breiten,
Subtropen und Tropen, 2. Aufl. Stuttgart-New York 1981, 199.
40 Gerhard Fouquet, Zwiebel. In: LexMA.
41 St. Gall Monastery Plan, hg. University of Virginia; University of California; University of
Vienna (2009): http://www.stgallplan.org/de/plan_notes.html (letzter Zugriff 18.5.2010).
67
Klostergarten im Detail beschreibt. Auch darin wird die Zwiebel nicht erwähnt.
42 In zeitgenössischen Inventaren oder Pflanzordnungen wurde eine
derartige Trennung von Gewürzen und Gemüsen aber anscheinend nicht vorgenommen,
und (Gewürz)Kräuter wie Raute, Salbei oder Liebstöckel werden ohne
Unterschied neben Kohl, Mangold und Rüben genannt.43 Man muss also davon
ausgehen, dass die moderne, binäre Klassifizierung im Mittelalter kein vorrangiges
Ordnungskriterium war, obwohl das Konzept des Würzens in den bearbeiteten
Texten klar ersichtlich und als solches auch nie in Frage gestellt wird.
In den im Korpus enthaltenen Kochrezepten spielt die Zwiebel nur eine
untergeordnete Rolle,44 doch geht aus dem Zubereitungskontext oder der (entsprechend
großen) Mengenangabe klar hervor, dass sie unter Berücksichtigung
der oben getroffenen Definition nicht unter die Gewürze eingeordnet werden
kann, da als Konsequenz andere Zutaten wie Rosinen oder Äpfel, wenn in entsprechender
Menge zugegeben, den Geschmack eines Gerichtes auch beeinflussen
und so ebenfalls zu den Würzmitteln gezählt werden müssten. Vielmehr
stellt die Zwiebel eine Haupt- oder Nebenzutat in Zuspeisen dar, deren Aufgabe
die geschmackliche Ergänzung des Hauptgerichtes ist. Dazu dienen meist Füllen
oder Saucen. Für die Dokumentation der Verwendung der Zwiebel in einer
Sauce – zu einer gefüllten Gans – kann exemplarisch Rezept 26 aus dem buoch
von guoter spîse herangezogen werden:
[…] vnd schele zwiboln vnd snide sie duenne vnd tuo sie denne in einen
hafen tuo dar zvo smaltz oder wazzer. vnd laz sie sieden daz sie weich
werden, vnd nim denne sur epfele snit die kern her vz als die zwiboln gar
sin gesoten wirf die epfele dar zvo daz ez weich belibe vnd tuo denne daz
gemalne vnd die epfele vnd die zwiboln alle in ein phannen vnd als die
gans gebraten ist so zvo lide sie lege sie in ein schon vaz vnd guez daz
condimente dar vber vnd gib sie hin.
Eine eigene Würzanweisung für die Zuspeise bringt das Rezept 14 (eine
Zuspeise zu gebackenen Fischen) der Sammlung cgm 725 II:
Jtem Nym opfel zway tail vnd ain tail zwifel vnd hack es woll durch ein
ander vnd Roste es woll jn smalcz, vncz es waich werden, vnd wurcz es
woll vnd mach es gelb mit Saffran vnd gews essig dar an. wildw es aber
guett machen. So tue ein erbalben hönig daran.
Noch deutlicher als in den im Korpus vorhandenen Texten wird der Eigenwert
42 Vgl. dazu auch Hans-Dieter Stoffler, Der Hortulus des Walahfrid Strabo. Aus dem Kräutergarten
des Klosters Reichenau. 6. Aufl. Stuttgart 2000, 23-32. Ein Fortbestehen dieser im
Frühmittelalter gültigen Einteilung bis in das Spätmittelalter kann ohne weiteres angenommen
werden, da sie auf antiker Tradition beruht, die bis weit in die Neuzeit gültig war.
43 Rudolph von Fischer-Benzon, Altdeutsche Gartenflora. Untersuchungen über die Nutzpflanzen
des deutschen Mittelalters, ihre Wanderung und ihre Vorgeschichte im klassischen
Altertum. Reprint der Ausgabe Kiel und Leipzig, 1894. Liechtenstein 1998, 181-184.
44 Nach Zwiebeln wird in den Rezepten BvgS 16, 26; cgm384I 4, 7; cgm384II 9, 31;
cgm725II 13, 14; cgm15632 38, 49 und Inntal 13, 15, 20 verlangt.
68
der Zwiebel in zwei Rezepten aus Italien, in denen Zwiebeln die Hauptzutat
bilden. Beide beschreiben die Zubereitung eines Zwiebelsalates / Zwiebelgemüses.
45 Auch wenn es also der modernen Klassifizierung widerspricht, muss die
Zwiebel im Rahmen dieser Untersuchung für den Zeitraum des Mittelalters als
Gemüse- und nicht als Gewürzpflanze betrachtet werden.
Dass der Vorgang des Würzens ein inhärenter Bestandteil der mittelalterlichen
Küche ist, wurde oben schon angesprochen: Neben der expliziten Nennung
von Gewürzen wird dies auf lexikalischer Ebene vor allem durch die Verwendung
eines festgelegten Fachwortschatzes belegt. Wie prägend die Verschriftlichung
der spätmittelalterlichen Kochrezepte wirkte, wird wohl am besten aus
dem Umstand ersichtlich, dass der Terminus gewurz als Kollektiv zu mhdt. wurz
/ würze zu eben dieser Zeit im Rahmen der Kochrezepte geprägt46 und, wie noch
zu verifizieren sein wird, gegenüber dem Singular auch eine Bedeutungsverengung
erfahren hat. In den Rezeptsammlungen wird mit nachfolgend angeführtem
Vokabular implizit auf die Verwendung von Gewürzen hingewiesen: mit den
Substantiven krût, gewürz, specerey, pîmënt, pulver, würze im Rahmen der
Nennung von Zutaten und mit den Verben würzen, gewürzen, pulvern, verwen,
gilwen in Form von Handlungsanweisungen. Die detaillierte Aufstellung in Tabelle
1 im Anhang verrät aber weit mehr, als dass das Kollektiv gewürz ab der
zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts würze als Bezeichnung für Gewürze in den
untersuchten Rezeptsammlungen verdrängt hat. Speziell für das buoch von guoter
spîse lassen sich in diesem Zusammenhang besondere Feststellungen treffen,
welche die vermutete Zweiteilung der Rezeptsammlung noch zusätzlich bekräftigt.
Während im ersten, dem Haushalt von Michael de Leone zugeschriebenen
Teil der Sammlung in den wenigen vorhandenen Fällen krût als Sammelbegriff
neben einer überdurchschnittlichen Zahl an expliziten Gewürznennungen (vgl.
Tabelle 1) verwendet wird, überwiegt im zweiten Teil die Bezeichnung würze.
Dies führt im Grimmschen Wörterbuch zur Feststellung, dass die Bezeichnung
krût in den Kochrezepttexten des Spätmittelalters (neben der Bezeichnung für
Brassica sp.) bevorzugt für frische, einheimische Würzpflanzen verwendet
worden sein soll:
„in dem gegensatz, der unter solchen voraussetzungen zwischen älteren
und neueren würzmitteln fühlbar wird, vertieft sich auch die grenzlinie im
gebrauch von kraut und gewürz. ersteres tritt mehr für die heimischen
pflanzen ein, die man auch im lebenden und blühenden zustand vor augen
hat, während gewürz die fremden pflanzen betont, die im getrockneten
zustande eingeführt werden.“47
45 Odilie Redon, Françoise Sabban und Silvano Serventi, Die Kochkunst des Mittelalters. Ihre
Geschichte und 150 Rezepte des 14. und 15. Jahrhunderts, wiederentdeckt für Genießer von
heute. Frankfurt am Main 1993, 122, Rezept Nr. 26; Robert Maier (Hg.), Liber de coquina.
Das Buch der guten Küche. Frankfurt am Main 2005, 110, Rezept Nr. 66.
46 Vgl. Grimm, Deutsches Wörterbuch, Gewürz, Abs. 1).
47 Grimm, Deutsches Wörterbuch, Gewürz, Abs. 2) 3)) a)).
69
Die Daten der Korpusanalyse unterstützen diese Annahme aber nur bedingt,
denn krût wird als Sammelbegriff für Würzmittel einzig in diesem einen Text
verwendet;48 daneben gibt es zusätzlich nur zwei weitere Belege, welche die
oben getroffene Annahme unterstützen würden, nämlich peterlin krut (BvgS 8)
und pfeffer krawt (cgm15632 40). Der Kontext der Belegstellen bietet nur wenig
Hilfe, da man die Gerichte sowohl mit frischen, lokal produzierten Würzkräutern
hätte zubereiten können als auch mit Importgewürzen; Rezepte des Korpus
mit vergleichbaren Grundzutaten bestätigen dies. Über ein Ausschlussverfahren
der in den Belegkontexten genannten Würzpflanzen kann man mit hoher
Wahrscheinlichkeit sagen, dass der Verfasser Safran (BvgS 36, 46, 47) dem
Kollektivbegriff krût als nicht zugehörig gesehen hat, was die These des Wörterbuches
stützt. Dann wird aber auch Salbei, eine Pflanze der mittelalterlichen
Gärten, als eine weitere Zutat neben krût in einem Rezept (BvgS 37) genannt.
Die im Deutschen Wörterbuch vorgeschlagene Unterscheidung würde
also einen Umgang mit den Kochrezepten zwar erleichtern, sie spiegelt sich aber
nicht in den Primärtexten und ist somit nicht hinreichend belegt. Ebenso wenig
haltbar ist eine Schlussfolgerung, die Adamson anhand der oben im Bezug auf
das BvgS genannten und ähnlichen auch von ihr erhobenen Daten trifft:
„Overall the ingredients listed in Part I seem to point to an older
Germanic cuisine. In particular the locally available foodstuffs […] are in
stark contrast to the ‘fashionable’ new imported foods […] which
dominate Part II of the cookbook.”49
Was sie dabei aber vergisst, sind zum einen der soziale Hintergrund, vor dem die
Texte jeweils entstanden sind, und zum anderen die unterschiedlichen Intentionen
der Verfasser. Der erste Teil ist als Lehrbuch für eine gutbürgerliche Küche
gedacht, der zweite spiegelt die Rezepte und Methoden der Küche eines
Bischofssitzes wider.
Als historische Information zum Kollektiv gewürz liest man im
‚Deutschen Wörterbuch’:
„die zeit, in der diese [Kollektiv]bildung auftritt, bezeichnet zugleich
einen höhepunkt in der einführung und auch noch in der werthschätzung
ausländischer gewürze.“50
Für ein besseres Verständnis der Kochrezepte würde dies also bedeuten, dass
diese unbestimmte Zutat automatisch auf die gängigsten Importgewürze – Pfef-
48 Für den Beleg BvgS 13 (hie von mac man machen mit gvtem krute kuechin oder waz man
wil von muose) ist die Zuordnung zu krût (Kraut – im Sinne von Gemüsepflanze) wahrscheinlicher,
da die Stelle analog zu anderen Rezeptabschlüssen als Servierempfehlung ‚damit
kann man Pasteten an gutem Kraut oder mit beliebigem andern Gemüse machen’
verstanden werden kann. Adamson (BvgS 94) übersetzt: „With that you can make patties
with good herbs, or any mashed dish you want.“
49 BvgS 24; meine Hervorhebung. Eine ähnlich irreführende Angabe ist schon bei Grimm,
Deutsches Wörterbuch, Gewürz, Abs. 2) 3)) b)) zu lesen und auch Woolgar, Food 8
versucht eine – nicht haltbare – volkstümliche Verortung mittelalterlicher Speisen.
50 Grimm, Deutsches Wörterbuch, Gewürz, Abs. 2) 3)) a)).
70
fer, Ingwer, Nelken, Zimt – bezogen werden könnte. Um die Situation in den
Quelltexten darzustellen, wurde wieder auf das schon oben angewandte
Ausschlussverfahren zurückgegriffen. In der folgenden Aufzählung werden
alphabetisch jene Pflanzen genannt, die in einem zusammengehörigen Arbeitsablauf
neben den verschiedenen Varianten impliziter Würzanweisungen (außer
krût und Färbeanweisungen) als weitere Zutaten eines Rezeptes genannt werden:
– Anis (cgm15632 53a),
– Essig (cgm725II 13; cgm384II 69; Inntal 25),
– Honig (cgm384II 22, 23, 45, 55; cgm15632 28, 29; Inntal 34),
– Ingwer (Inntal 29), Knoblauch (cgm725II 10; cgm384II 23),
– Kümmel (Inntal 31),
– Lorbeer (cgm15632 53a),
– Petersilie (BvgS 7; cgm384II 68; cgm15632 53a; Inntal 22),
– Rainfarn (BvgS 7),
– Safran (AI1 7.2, 8.1; cgm15632 9, 19, 28; Inntal 2, 28, 34, 51),
– Salbei (BvgS 7; cgm384II 68; Inntal 22),
– Salz (BvgS 57, 60, 61, 83, 92; cgm725II 10; cgm384II 68; AI1 7.2, 18.4;
cgm15632 52; Inntal 2),
– ‚traget’ (Inntal 31),
– Wacholderbeeren (cgm725II 10),
– Waldmeister (cgm384II 68).
– Zucker (BvgS 46, 83; cgm725II 10; Inntal 29, 31, 35).
Auf den ersten Blick können bereits mehrere Würzmittel (Essig, Honig,
Petersilie, Safran, Salbei, Salz, Zucker) als dem Kollektivbegriff nicht zugehörig
eingestuft werden, da sie sehr häufig gemeinsam in Rezepten vorkommen, was
die Grimmsche Annahme vollkommen unterstützt. Weitere Bestätigung liefert
das Rezept 10 aus cgm725II, in dem verhältnismäßig genaue Würzanweisungen
gegeben werden: […] vnd knoblach vnd zwcker vnd wachallter per, jngwer vnd
naglein vnd ander guett gewürcz. Die Importgewürze werden hier als eine
eigene mit Konjunktionen verbundene Gruppe deutlich von den anderen
Gewürzen abgegrenzt. Die gehäufte Nennung von Safran widerspricht der
getroffenen Feststellung keineswegs, sondern lässt sich daraus erklären, dass
dessen Zweck nicht die geschmackliche, sondern die farbliche Veränderung der
Speisen war, wie auch die Belegstellen zu den Färbeanweisungen zeigen:
– cgm725II 14: mac es gelb mit Saffran;
– AI1 7.1: mac daz gel mit safran und mit wrczen;
– cgm15632 5: und gilbs mit saffran, 39: vnd gilb daz mit saffran;
– Inntal 34: vnd verbs mit saffran vnd mit gewürtz vnd ein wenig honig.
Eine Füllung des Kollektivbegriffes gewürz kann aber trotz aller positiven Belege
nicht ohne zusätzliche Einschränkungen erfolgen: Es muss dabei zumindest
der Entstehungshintergrund des Rezeptes berücksichtigt werden, denn in derartigen
Fällen bestimmt der Stand die Gewürzqualität und -sorte. Der Rezeptautor
überlässt es also dem Wissen des Rezipienten, die richtige Wahl zu treffen.
71
Neben den impliziten Würzanweisungen, die über das Wortfeld wurz /
würze transportiert werden, findet sich in den Rezepttexten noch ein weiteres
Würz- und Bindemittel (cgm384II 19, 60, 20; cgm725II 12, 17; cgm15362 10,
42, 46; Inntal 37,38), das in der bisherigen Forschung weniger als solches, denn
als eigenständige Speise behandelt worden ist. Die zahlreichen, sehr oft in Arzneibüchern
überlieferten Rezepte haben aufgrund der erforderlichen Zutaten
immer für Erstaunen gesorgt und sind wahrscheinlich mitverantwortlich dafür,
dass die mittelalterliche Küche oft unreflektiert als überwürzt dargestellt wird.
Das Textkorpus enthält in der Sammlung cgm725I ein Rezept (Nr. 2), das derartige
Reaktionen verständlich erscheinen lässt:
Wiltu guot letzelten machen, So nym einen guten tayg gemacht mit
guttemm lauteren honig vnnd dar nach Jngwer stupp, nagel, muoscat,
muscatpluod, zimatrinten, anes yecz nach seiner wag. Vnnd darnach nim
For motill wurtzen, Naterwurtz, peren wurtz, veldkümel vnnd petersil
samen, vnnd soll dy pulueren vnd als miteinander legen Jn ein guten
geprannten wein. Vnnd soll darin ligen ein tag vnnd ein nacht. Darnach
gewßt man es gar in den tayg vnnd soll den tayg wol knetten vnnd soll
dann machen letzelten Als mann wil das prot pachen.
Ich nehme hier also Bezug auf den Zelten, Lebzelten oder Lebkuchen: Im Mittelalter
bezeichnet der Begriff zëlte diverses flaches Backwerk, das zum Beispiel
als pfann(en)zelte (ein palatschinkenartiges Backwerk), pfersichzelte, hagebuttenzelte,
quittenzelte (div. Arten von Fruchtlatwerge) oder lebzelte, leckuchen
(gewürztes Honiggebäck) bekannt war.51 In der modernen Küche werden diese,
wenn überhaupt, meist nur als Zutaten für Süßspeisen verwendet; im Mittelalter
war der Gebrauch weit differenzierter, die Zelten sind nicht, wie so oft fälschlich
dargestellt, als Süß- oder Feingebäck zu verstehen,52 sondern primär als ein medizinisches
Produkt, das nur in sehr kleinen Mengen konsumiert wurde. Honig
hat sich als konservierendes und wohlschmeckendes Vehikel für derartige
Mischungen bewährt, Mehl – in diesem Rezept nicht extra angeführt, sondern
vermutlich in tayg mitgedacht – gibt dem Teig die nötige Festigkeit und die
Zutaten können je nach den verwendeten Simplicia oder je nach intendierter
Heilanwendung bis hin zur Mischung einer allgemein wirksamen Arznei aufeinander
abgestimmt werden – weshalb das oben dargestellte Rezept auch
zusammenfassend schließt: Jst gar güet vnd nuotz zw vil dingen vnnd für
manigerlay presten.53 Die vorliegende Überlieferung dieses Rezepts, sozusagen
51 Vgl. die entsprechenden Einträge bei Sabine Bunsmann-Hopf, Zur Sprache in Kochbüchern
des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit. Ein fachkundliches Wörterbuch (Würzburger
medizinhistorische Forschungen 80) Würzburg 2003.
52 Vgl. Helmut Hundsbichler, Gebäck. In: LexMA; Ehlert, Kochbuch 14; Hans Wiswe, Kulturgeschichte
der Kochkunst. Kochbücher und Rezepte aus zwei Jahrtausenden. Mit einem
lexikalischen Anhang zur Fachsprache. München 1970, 142 f. Auch die Verwendung als
Würzmittel fällt in den Bereich der medizinischen Anwendung.
53 Der Editionskommentar zu diesem Rezept bietet weder klare noch nachvollziehbare
72
zwischen Arzneibuch und Kochrezeptsammlung, zeigt deutlich den im
Spätmittelalter beginnenden Wandel. Finden sich in den ältesten überlieferten
Kochrezeptsammlungen noch keine Lebkuchenrezepte, so enthält das Kochbuch
der Sabina Welserin (ca. 1533), derer drei und Ende des 16. Jahrhunderts entwickeln
sich eigene Sammlungen, die ‚Confect-Büchlein’, die ausschließlich
derartiges Rezeptgut transportieren.54
Nach pfefferbrot, einer weiteren Unterart der Zelten, wird in den vorliegenden
Sammlungen zwar nie verlangt, doch führt das ‚Inntalkochbuch’ in zwei
Rezepten (17,18) ein ähnliches Gewürz, und so heißt es in letzterem: slachs mit
einem pfeffer durch. Diese Zutat, im Korpus vom Gewürz Pfeffer durch den
unbestimmten Artikel zu unterscheiden, ist eine überwiegend aus Pfeffer, aber
auch anderen Gewürzen bereitete Würzsauce,55 die bevorzugt zu verschiedenen
Fleischsorten gereicht wird. Dass diese Sauce aber auch ohne das gleichnamige
Gewürz auskommt und der Name wohl von der dunklen Farbe abzuleiten ist,
zeigt Rezept 43 des ‚Inntalkochbuches’:
Ein gar guten pfeffer zu vischen[:] Nim lötig weinper vnd ein swarcze
gepäte sniten prots vnd nim 1/2 lb weinper vnd stos prot vnd weinper
miteinander vnd slachs mit dem pesten wein durch vnd darczu gucz
gewurcz: mustat, nagell, zuker, zymatrintten.
Die Verwendung als würzendes Bindemittel ist innerhalb des Korpus ausschließlich
im ‚Inntalkochbuch’ belegt und scheint gerade im Rahmen dieser kurzen,
notizähnlichen Rezepte besonders interessant, da es Einblick in die Arbeitsabläufe
einer mittelalterlichen, herrschaftlichen Großküche erlaubt.
Nachdem die Definition des Begriffes ‚Gewürz’, wie sie hier verwendet
wird, im Detail erläutert worden ist, kann der Umfang der Datensammlung bestimmt
werden. In die Auswertung werden alle explizit genannten Würzmittel
aller in den Quellentexten vorhandenen Rezepte aufgenommen (das schließt z.
B. Ratschläge zur Lagerhaltung und die wenigen Parallelüberlieferungen ein).
Daneben werden auch implizite Würzanweisungen registriert, unter welchen
auch die kombinierten Würz- und Bindemittel Zelten und Pfeffer gezählt werden.
Jeder Beleg sowie redundante Nennungen (z. B. verbs mit saffran, Inntal
34) werden pro Rezept nur einmal gezählt, auch wenn dieses die Zubereitung
mehrerer Gericht beschreiben sollte. Die weite Definition von ‚Gewürz’ und die
eben festgelegten Kriterien können Unterschiede zu bereits vorhandenen Zäh-
Informationen (vgl. Münchner Kochbuchhandschriften 211-213).
54 Vgl. Hans und Heidi Zotter, Wohl bekomm’s! Alte Bücher übers Kochen und Essen. Katalog
zur Ausstellung an der Universitätsbibliothek Graz vom 10. – 22. Dezember 1979. Graz
1979, 13 f.
55 Die Bezeichnung ‚Brühe’ bei Bunsmann-Hopf, Sprache 28 ist irreführend, da dies eine
dünnflüssige Konsistenz klarer Suppen impliziert, die der ‚Pfeffer’ des Mittelalters nicht
gehabt haben kann (vgl. die Anweisung zum Eindicken im Rezeptbeispiel und in diversen
anderen Rezepten).
73
lungen56 mit sich bringen, da diese meist reine Frequenzanalysen der Gewürz-
(pflanzen)namen ohne Einbeziehung impliziter Würzanweisungen und ohne Berücksichtigung
des Kontextes darstellen. Die detaillierten Zahlen zur Rezeptauswertung
sind im Anhang in einer alphabetischen Liste und sechs weiteren
Tabellen, welche die Gewürzverteilung nach Zahl der Nennung für jede Rezeptsammlung
einzeln auflisten, sowie in einem Balkendiagramm (geordnet nach
Zahl der Nennung) für das gesamte Korpus dargestellt.
Auswertung
Im Überblick bietet die Auszählung der Würzanweisungen nur wenige
Überraschungen, sondern bestätigt den Eindruck, dass die Rezepte handwerkliche
Arbeitsnotizen von Fachkundigen für Fachkundige darstellen, die allfällige
Lücken aus dem eigenen praktischen Wissen heraus ergänzen, was gerade bei
fehlenden oder impliziten Würzanweisungen viel Spielraum für individuelle,
ganz auf den/die Speisenden abgestimmte Zubereitung lässt. Knapp 10% der
Rezepte kommen überhaupt ohne Würzanweisungen aus, in ca. 40% der
Rezepte (knapp 20% der Summe der Würzanweisungen, vgl. Tabelle 2 und
Diagramme 1 und 2) wird nur implizit nach Gewürzen verlangt. Aus der
tabellarischen Aufstellung wird auch ersichtlich, dass eine diachrone Auswertung,
wie sie zum Beispiel Laurioux vornimmt,57 mit den in das Korpus aufgenommenen
Texten nicht möglich ist, da keine diachrone Entwicklung feststellbar
ist. Der Entstehungshintergrund der einzelnen Sammlungen wird vor allem
bei den Süßungsmitteln Honig (7,64%, vierthäufigstes Gewürz in 15,62% der
Rezepte) und Zucker (5,36%, siebthäufigstes Gewürz in ca. 11% der Rezepte)
evident, wo in jenen Sammlungen, die Klöstern (cgm 384, 15632) oder etwas
weniger wohlhabenden Haushalten (A I 1) zugeschrieben werden, bevorzugt Rezepte
verzeichnet sind, die auf Honig zum Süßen von Gerichten zurückgreifen –
vielleicht, weil dieser ohnehin vor Ort produziert wurde. Demgegenüber wird in
Sammlungen, bei denen man darauf schließen kann, dass in den (reichen)
Haushalten, für die sie bestimmt waren, ein Großteil der Zutaten zugekauft
wurde, (BvgS, Inntal) öfter nach Zucker als nach Honig verlangt. Besonders auffällig
ist dies im BvgS, das aufgrund des didaktischen Ansatzes in der Frequenz
der Würzanweisungen ohnehin eine Ausnahme darstellt und in dem im ersten
Teil mehr Honig als Zucker (8:5) und im zweiten mehr Zucker als Honig (11:3)
gefordert wird; in der Gesamtzählung überwiegt der Zucker (vgl. Tabelle 4).
Auffallend ist jedenfalls, dass Safran (5,36%, sechsthäufigstes Gewürz in
10,96% der Rezepte) in Bezug auf das Gesamtkorpus noch vor Pfeffer (4,96%,
56 Vgl. z. B. Liber de coquina 17; Trude Ehlert, Regionalität und nachbarlicher Einfluß in der
deutschen Rezeptliteratur des ausgehenden Mittelalters. In: Hans-Jürgen Teuteberg, Gerhard
Neumann und Alois Wierlacher (Hg.), Essen und kulturelle Identität. Europäische
Perspektiven. Berlin 1997, 142 f.; BvgS. 23.
57 Laurioux, Spices 47-51.
74
achthäufigstes Gewürz in 10,14% der Rezepte) rangiert, was durch mehrere
Faktoren bedingt ist: Nach Safran wird im BvgS sehr häufig, aber dennoch
weniger oft als nach Pfeffer verlangt (18:26); Pfeffer ist aber in den übrigen Rezeptsammlungen
sehr selten explizit genannt (Weder cgm 725, 15632, AI1 noch
Inntal führen Pfeffer an; vgl. Tabellen 6-9), da in diesen implizite Würzanweisungen
generell überwiegen. Diese können aber durchaus auch Pfeffer
einschließen, und somit ist ein verminderter Gebrauch in diesen Sammlungen
nicht anzunehmen. Die häufige Forderung nach Safran untermauert meine
einführende Darstellung zum Färben der Speisen. Das wird zusätzlich durch die
indirekten Färbeanweisungen (3,22%, zehnthäufigste Nennung in 6,58% der Rezepte)
unterstrichen. Hier sticht die Sammlung cgm384II heraus, in der in 22
Rezepten (31,89%) direkt oder indirekt eine farbliche Veränderung der Gerichte
gefordert wird. Könnte man die implizit geforderten Gewürze nicht zu den
Importgewürzen (absteigend nach Frequenz: Safran, Zucker, Pfeffer, Ingwer,
Nelken, Zimt, Galgant) zählen, würde das dem in der Sekundärliteratur gebotenen
Bild völlig widersprechen: So kann man aber errechnen, dass diese für mehr
als die Hälfte aller Gerichte verlangt werden. Über die Zahlen hinaus können
meine Erhebungen durch jene Informationen bestehende Unsicherheiten in
Bezug auf die lokal erzeugten Gewürze aufklären.58 Die deutlich erkennbare
geringe Frequenz dieser Würzmittel wird vor allem von Trude Ehlert in Frage
gestellt,59 allerdings ohne ihre Argumente empirisch zu untermauern. Bis auf
Petersilie (4,42%, neunthäufigstes Gewürz in 9,04% der Rezepte), Salbei, Anis,
Knoblauch und Kümmel (1,34% aller Gewürznennungen in 2,74% der Rezepte),
nach denen öfters verlangt wird, sind lokal produzierte Gewürzpflanzen nur in
einigen wenigen Rezepten genannt. Bei den oben genannten Gewürzen handelt
es sich bis auf den Kümmel ausschließlich um Pflanzen, die im Mittelmeerraum
heimisch sind und im Mittelalter (wie auch noch heute) nur in Kultur produziert
werden – diese Beobachtung stützt die eingangs dargelegte These einer kontinuierlichen
Entwicklung der westeuropäischen Speisekultur. Somit wurde nicht
nur die Verwendung der in der Antike bekannten Importgewürze tradiert, sondern
auch jene der mediterranen Würzpflanzen. Die Annahmen, dass einheimische
Gewürze in den Kochrezepten zwar verwendet, aber ob ihrer Bekanntheit
einfach nicht genannt werden, und die Annahme, dass vor allem die ländliche
Bevölkerung heimische Gewürze verwendet hätte, sind nur Hypothesen, die bis
dato noch nicht mit historischen Quellen belegt werden konnten.
Bemerkenswert ist auch, dass das Würzmittel Salz (gezählt wurden
direkte Nennungen sowie entsprechende verbale Würzanweisungen) mit 8,85%
58 Es wird hier eine bewusste ‚binäre’ Unterscheidung zwischen heimischen / einheimischen
Pflanzen, die auch in Wildform vorkommen können, und jenen getroffen, die nur in Kultur
produziert werden können. Als entsprechend falsch müssen die Angaben in Ehlert, Kochbuch
13 f. gewertet werden.
59 Vgl. Trude Ehlert, Das Reichenauer Kochbuch aus der Badischen Landesbibliothek. Edition
und Kommentar. In: Mediaevistik 9 (1996) 184 f.
75
der Gewürznennungen in 18,08% der Rezepte genannt wird und somit an dritter
Stelle aller Gewürze liegt, gleich nach den impliziten Würzaufforderungen und
nach dem Säuerungsmittel Wein. Im BvgS und in der Sammlung AI1 führt Salz
die Wertungsliste (vgl. Tabellen 4 und 8) sogar an. Eine Analyse der Forschungsliteratur
zeigt eine generelle Unsicherheit in Bezug auf den Umgang mit
diesem Gewürz auf. Dass Salz als ein sehr wirkungsvolles Konservierungsmittel60
von allen Bevölkerungsschichten in großen Mengen verwendet worden sein
muss, ist offensichtlich. Weniger klar ist, wie und ob sich das auch in den
Kochrezepten niedergeschlagen hat. Die Unsicherheit wird noch durch den
formelhaften Rezeptschluss und versaltz es niht, der scheinbar willkürlich an
Rezepte pikanter wie auch süßer Speisen angefügt wird, vergrößert. Trude Ehlert
fasst ihren Eindruck in Bezug auf das Würzen von Fleisch- und Fischspeisen so
zusammen:
„Daß der Grundgeschmack dabei tendenziell salzig sein sollte, muß auch
dann angenommen werden, wenn Salz nicht ausdrücklich erwähnt wird;
Salz bildete einen so selbstverständlichen Bestandteil der Würze, daß am
Schluß vieler Rezepte ausdrücklich vor dem Versalzen gewarnt wird.“61
Wiswe deutet diese Eigenart aus volkskundlicher Sicht:
„Wo der Schwerpunkt der Ernährung in der Fleischkost liegt, wird gern
stark gewürzt, wo Pflanzenkost bevorzugt wird, wird stark gesalzen. Im
Hinblick auf den starken Fleischverbrauch im Mittelalter ist es deshalb
verständlich, daß die alten deutschen Kochbücher recht oft vor Versalzen
warnen, nicht aber vor Überwürzen.”62
Was für die uns erhaltenen Rezeptsammlungen von vornherein ausgeschlossen
werden kann,63 ist, dass die häufige Verwendung von gepökeltem Fleisch oder
eingesalzenem Fisch und Gemüse der Grund ist, weshalb so oft vor dem
Versalzen gewarnt wird.64 Die Haushalte, für welche die Rezepte konzipiert
sind, hatten entweder durch Hausschlachtungen oder über Fleischhauer immer
Zugang zu Frischfleisch.65 Dies wird auch durch die aus dem Korpus erhobenen
60 Die Feststellung im LexMA (Jean-Claude Hocquet, Salz), dass Salz als Konservierungsmittel
die Austrocknung von Lebensmitteln verhindere, ist falsch. Genau das Gegenteil ist
der Fall.
61 Ehlert, Regionalität 144.
62 Wiswe, Kulturgeschichte 118.
63 Vgl. z. B. Johanna Maria van Winter, Kochen und Essen im Mittelalter. In: Bernd Herrmann
(Hg.), Mensch und Umwelt im Mittelalter. Frankfurt am Main 1989, 93; Phyllis Pray
Bober, Art, Culture and Cuisine: Ancient and Medieval Gastronomy. Chicago 1999, 242,
die diese These zurückweisen.
64 Diese Vermutung wird mehrfach von Trude Ehlert geäußert. Vgl. dies., “Nehmet ein junges
Hun, ertrænckets mit Essig”. Zur Syntax spätmittelalterlicher Kochbücher. In: Irmgard
Bitsch, Trude Ehlert und Xenja von Ertzdorff (Hg.), Essen und Trinken in Mittelalter und
Neuzeit. Sigmaringen 1987, 263, Anm. 11; dies., Kochbuch 14.
65 Vgl. dazu besonders die Kochrezeptsammlung des Ulrich Schwarz (Herzog August
Bibliothek Wolfenbüttel, Cod. Guelf. 226 Extr., fol. 65r-141v), in der, wenn das Salzen
76
Daten bestätigt: Nach Salz wird in 66 Rezepten verlangt, davon wird das Gewürz
29 Mal explizit genannt, mit der Schlussformel oder einer vergleichbaren
verbalen Anweisung wird 37 Mal aufgefordert, mit Salz zu würzen; in 51 der
Fälle handelt es sich um pikante Speisen, 12 Mal werden Süßspeisen gesalzen
und in drei Fällen kann dies nicht näher bestimmt werden, da es sich um ein
Scherzrezept oder um einen Küchentipp handelt. Aus den im BvgS genannten
Hauptzutaten wird auch ersichtlich, dass Salz in Fleischspeisen nur in Kombination
mit Frischfleisch genannt wird, sei es mit Rindfleisch (Rezept 41), Geflügel
(23, 28), das kostengünstig als ‚lebendiger Vorrat’ gehalten werden konnte, mit
frischem (18,19) oder getrocknetem (20, 38) Fisch oder mit Gemüse (31, 33).
Die Verwendung von einer Prise Salz in Süßspeisen bzw. etwas Zucker für pikante
Gerichte ist auch in der modernen Küche durchaus üblich, da die Zugabe
eines dieser beiden Würzmittel das andere im Geschmack etwas verstärkt und
jene Würzweise generell das Aroma von Speisen abrunden und voller machen
kann – nicht umsonst wird heute häufig vor ‚verstecktem Zucker’ oder ‚verstecktem
Salz’, welches aus gerade diesem Grund zugesetzt wird, in vielen Nahrungsmitteln
und Fertiggerichten gewarnt.
Für den formelhaften Rezeptschluss gibt es eine Erklärung, die mit den
einleitend zusammengefassten Grundlagen einhergeht: Für den mittelalterlichen
Menschen war ein harmonischer geistiger wie körperlicher Zustand das höchste
zu erreichende Ziel.66 Bei der Zubereitung der Speisen hatte der Koch dafür zu
sorgen, dass diese entsprechend temperiert waren. Die Mahnung (Erinnerung?)
am Ende des Rezeptes oder am Ende eines Arbeitsschrittes (versaltz es niht,
wuertz es wol, bülfer es, ein zucker dor vf etc.) verfolgt genau diesen Zweck:
‚Gehe sparsam mit Salz um! Passe die Menge der Gewürze entsprechend an!
Würze es! Streue Zucker darüber!‘ Nicht zuletzt hat das Bestreuen mit Zucker
oder Gewürzen aber auch einen optischen Effekt, und eine generelle Warnung
vor dem Versalzen ist bei diesem intensiven Gewürz sicher von Vorteil, da ein zu
intensiver Salzgeschmack seit jeher nur mehr sehr schwer in einer Speise zu
neutralisieren war.
Ausblick
Die skalare, nicht vorschnell auf binäre Faktoren zugespitzte Auswertung des
Datenmaterials konnte grundlegende Forschungshypothesen bestätigen, andererseits
wurde mit den präsentierten Zahlen eine Reihe von Vorurteilen stichhaltig
erwähnt wird, explizit darauf hingewiesen wird, ja ausreichend zu salzen (Rezept 1, 7, 17,
19, 31, 41, 52, 59): vergiß das saltz nicht. Vor dem Versalzen wird dagegen nur in fünf
Rezepten (12, 14, 18, 34, 136) gewarnt. Die Rezepte sind ediert in: Gerhard Fouquet (Hg.),
‚Goldene Speisen in den Maien’. Das Kochbuch des Augsburger Zunftbürgermeisters
Ulrich Schwarz (+1478) (Sachüberlieferung und Geschichte 30) St. Katharinen 2000.
66 Vgl. Hundsbichler, Nahrung 206; auch die Anweisungen des Tacuinum sanitatis zielen
darauf ab.
77
widerlegt. Trotzdem kann die vorliegende Arbeit schon allein wegen ihres eingeschränkten
Korpus nur exemplarischen Charakter haben. Als zukünftige Aufgabe
muss eine entsprechende Bearbeitung des gesamten vorhandenen Quellenmaterials,
also aller überlieferten deutschsprachigen Kochrezepte,67 angestrebt
werden. Erst auf Basis dieser Daten können generische Aussagen getroffen
werden.
In der Arbeit wurde mehrfach die kontinuierliche Entwicklung der
Speisekultur aus der Antike angesprochen. Dieser Entwicklungsprozess macht
natürlich auch am Umbruch zur Neuzeit nicht halt, und dabei ist als ein wesentlicher
Aspekt der Wandel im Geschmack der Speisen zu berücksichtigen, der mit
einer verstärkten Verwendung von einheimischen und lokal produzierten Gewürzen
bzw. einem Rückgang in der Verwendung von Importgewürzen einhergeht:
Eine vergleichende Beschäftigung mit den frühneuzeitlichen Kochrezepten kann
daher ohne Zweifel zusätzliche weit reichende Aufschlüsse liefern.
67 Damit die Quelltexte in entsprechender Form zugänglich sind, ist natürliche eine adäquate
Edition der Rezepte eine Vorbedingung.
78
Anhang
Tabelle 1: Vokabular der impliziten Würzanweisung mit Rezeptsammlung nach Entstehungszeit
und mit Rezeptnummer.
Mhdt. BvgS cgm384 I cgm384 II cgm7
25 I
cgm725 II AI1 cgm15632 Inntalkb.
würze 6,7,51,57,5
9,60,61,63,
79,82,83,8
8,90,93
7.2
Würzen 92,95 13,14,17,
18
1.3,13.
2,
13.3,1
8.4
43,46
Gewürz 56,96 9,11,13 2, 3, 25,
31, 37, 46,
50, 51,53
7,10,15 8, 9, 15, 16,
19, 20, 28,
29, 37, 39,
43, 53a;
3,7,13, 19,
22, 23,
24,25, 27,
28,29,30,
31, 32, 33,
34, 35,38,
51, 53, 55
gewürzen
(bewürtz,
gewürtz,
gewürtzt)
96 10,11 1,4,8,10,11
,12,15,16,1
7,18,21,22,
23,27,28,2
9,32,33,38,
45,48,54,5
5,56,62,63,
64,65,66,6
8,69
1,2,5,14,50a,
52
2
pulver 8.1,9.1 12 5
pulvern 9.1,18.
2
specerey 1,2
krût 9,13?,36,3
7,45,46,47
phëffer 17,18
gestupp 36
verwen
(färbs,
befärben,
gefärbt)
4, 8, 11,
16, 18, 21,
28, 37, 38,
48, 56, 62,
66, 68, 69
34
gilwen
(mac ez
gelb, gilbs,
gilbt)
14 7.1 5, 8, 39, 52,
50a
79
Tabelle 2: Skalare Auswertung und prozentuale Darstellung der Gewürze in alphabetischer
Ordnung
Gewürze BvgS cgm384 I cgm384 II cgm725 I cgm725 II cgm15632 AI1 Inntal Summe
ampfer 1 1
anîz 9 1 1 2 13
bärißkorn 1 1
bërwurz 1 1
bier 1 1
boretsch 1 1 2
brûnwurz 1 1
ezzich 13 3 19 4 8 3 5 55
galgan 4 4
holderbere 1 1
holunter 1 1 2
honec 13 5 12 1 4 9 4 9 57
hopfe 1 1
hûswurz 1 1
ingewër 12 1 2 1 2 1 4 23
isôpe 1 1
knobelouch 4 1 4 1 10
krût 7 1 1 9
kumin 7 1 1 1 10
lôrber 1 1 2
louch 1 1
lübestecke 1 1
minze 3 1 4
muscât 1 2 1 4
nâterwurz 1 1
negellîn 2 1 1 1 3 8
pêterlîn 9 5 8 1 6 1 3 33
phëffer 26 9 2 37
phëfferkrût 1 1
polei 1 1
quëckolter 1 1 2
rëbeloup 1 1
rein-vane 1 1
rôse 1 1
saffrân 18 1 5 2 6 8 40
salveie 10 3 1 1 1 2 18
salz 36 1 5 1 2 5 13 3 66
sënif 1 2 2 1 6
varwe 17 5 2 24
vëlt-kümel 1 1
vîol 4 4
walhisch kumin 1 1
wîn 16 6 21 6 15 8 16 88
würze 20 5 47 12 24 9 29 146
zinemîn 1 1 1 1 1 2 7
zucker 16 5 3 4 12 40
80
Tabelle 3: Skalare Auswertung der Würzanweisung in absteigender Ordnung nach
Gesamtnennung mit prozentualer Angabe der Verteilung innerhalb der Gewürznennungen
(insgesamt 746) und mit prozentualer Verteilung auf die Rezepte
Gewürze BvgS cgm384 I cgm384 II cgm725 I cgm725 II cgm15632 AI1 Inntal Summe % Würzreferenz % Rezept
würze 20 5 47 12 24 9 29 146 19,57 40
wîn 16 6 21 6 15 8 16 88 11,8 24,11
salz 36 1 5 1 2 5 13 3 66 8,85 18,08
honec 13 5 12 1 4 9 4 9 57 7,64 15,62
ezzich 13 3 19 4 8 3 5 55 7,37 15,07
saffrân 18 1 5 2 6 8 40 5,36 10,96
zucker 16 5 3 4 12 40 5,36 10,96
phëffer 26 9 2 37 4,96 10,14
pêterlîn 9 5 8 1 6 1 3 33 4,42 9,04
varwe 17 5 2 24 3,22 6,58
ingewër 12 1 2 1 2 1 4 23 3,08 6,3
salveie 10 3 1 1 1 2 18 2,41 4,93
anîz 9 1 1 2 13 1,74 3,56
knobelouch 4 1 4 1 10 1,34 2,74
kumin 7 1 1 1 10 1,34 2,74
krût 7 1 1 9 1,21 2,47
negellîn 2 1 1 1 3 8 1,07 2,19
zinemîn 1 1 1 1 1 2 7 0,94 1,92
sënif 1 2 2 1 6 0,8 1,64
galgan 4 4 0,54 1,1
minze 3 1 4 0,54 1,1
muscât 1 2 1 4 0,54 1,1
vîol 4 4 0,54 1,1
boretsch 1 1 2 0,27 0,55
holunter 1 1 2 0,27 0,55
lôrber 1 1 2 0,27 0,55
quëckolter 1 1 2 0,27 0,55
ampfer 1 1 0,13 0,27
bärißkorn 1 1 0,13 0,27
bërwurz 1 1 0,13 0,27
bier 1 1 0,13 0,27
brûnwurz 1 1 0,13 0,27
holderbere 1 1 0,13 0,27
hopfe 1 1 0,13 0,27
hûswurz 1 1 0,13 0,27
isôpe 1 1 0,13 0,27
louch 1 1 0,13 0,27
lübestecke 1 1 0,13 0,27
nâterwurz 1 1 0,13 0,27
phëfferkrût 1 1 0,13 0,27
polei 1 1 0,13 0,27
rëbeloup 1 1 0,13 0,27
rein-vane 1 1 0,13 0,27
rôse 1 1 0,13 0,27
vëlt-kümel 1 1 0,13 0,27
walhisch kumin 1 1 0,13 0,27
kein Gewürz 4 3 1 11 8 8 35 9,59
81
Diagramm 1: Auswahl aus der skalaren Auswertung der Gewürznennungen nach Gesamtzahl
der Nennungen in absteigender Reihenfolge
82
Diagramm 2: Prozentuale Verteilung der Gewürze innerhalb der Gewürznennungen sowie
der Rezepte in absteigender Reihenfolge
83
Tabellen 4-9: (BvgS, cgm384, cgm725, cgm15632, AI1, Inntal) Auflistung der Gewürze nach
Sammlung in aufsteigender Ordnung nach Zahl der Nennungen
Gewürze BvgS %
salz 36 35,64
phëffer 26 25,74
würze 20 19,8
saffrân 18 17,82
wîn 16 15,84
zucker 16 15,84
ezzich 13 12,87
honec 13 12,87
ingewër 12 11,88
salveie 10 9,9
anîz 9 8,91
pêterlîn 9 8,91
krût 7 6,93
kumin 7 6,93
galgan 4 3,96
knobelouch 4 3,96
vîol 4 3,96
minze 3 2,97
negellîn 2 1,98
bier 1 0,99
hopfe 1 0,99
lôrber 1 0,99
louch 1 0,99
lübestecke 1 0,99
muscât 1 0,99
polei 1 0,99
rein-vane 1 0,99
rôse 1 0,99
sënif 1 0,99
zinemîn 1 0,99
Gewürze cgm384 %
würze 52 61,9
wîn 27 32,14
ezzich 22 26,19
honec 17 20,24
varwe 17 20,24
pêterlîn 13 15,48
phëffer 9 10,71
saffrân 6 7,14
salz 6 7,14
knobelouch 5 5,95
zucker 5 5,95
ingewër 3 3,57
salveie 3 3,57
boretsch 2 2,38
sënif 2 2,38
zinemîn 2 2,38
ampfer 1 1,19
anîz 1 1,19
bärißkorn 1 1,19
brûnwurz 1 1,19
holunter 1 1,19
isôpe 1 1,19
krût 1 1,19
minze 1 1,19
quëckolter 1 1,19
rëbeloup 1 1,19
Gewürze cgm725 %
würze 12 52,17
wîn 6 26,09
honec 5 21,74
ezzich 4 17,39
ingewër 3 13,04
salz 3 13,04
zucker 3 13,04
muscât 2 8,7
negellîn 2 8,7
saffrân 2 8,7
zwibolle 2 8,7
anîz 1 4,35
bërwurz 1 4,35
holunter 1 4,35
knobelouch 1 4,35
kumin 1 4,35
nâterwurz 1 4,35
pêterlîn 1 4,35
quëckolter 1 4,35
salveie 1 4,35
vëlt-kümel 1 4,35
walhisch kum 1 4,35
zinemîn 1 4,35
Gewürze cgm15632 %
würze 24 40,68
wîn 15 25,42
honec 9 15,25
ezzich 8 13,56
pêterlîn 6 10,17
salz 5 8,47
varwe 5 8,47
zucker 4 6,78
anîz 2 3,39
phëffer 2 3,39
sënif 2 3,39
hûswurz 1 1,69
ingewër 1 1,69
krût 1 1,69
kumin 1 1,69
lôrber 1 1,69
negellîn 1 1,69
phëfferkrût 1 1,69
salveie 1 1,69
zinemîn 1 1,69
Gewürze AI1 %
salz 13 30,95
würze 9 21,43
wîn 8 19,05
saffrân 6 14,29
honec 4 9,52
ezzich 3 7,14
holderbere 1 2,38
pêterlîn 1 2,38
salveie 1 2,38
Gewürze Inntal %
würze 29 51,79
wîn 16 28,57
zucker 12 21,43
honec 9 16,07
saffrân 8 14,29
ezzich 5 8,93
ingewër 4 7,14
negellîn 3 5,36
pêterlîn 3 5,36
salz 3 5,36
salveie 2 3,57
varwe 2 3,57
zinemîn 2 3,57
kumin 1 1,79
muscât 1 1,79
senif 1 1,79
M E D I U M A E V U M
Q U O T I D I A N U M
61
KREMS 2010
HERAUSGEGEBEN
VON GERHARD JARITZ
GEDRUCKT MIT UNTERSTÜTZUNG DER KULTURABTEILUNG
DES AMTES DER NIEDERÖSTERREICHISCHEN LANDESREGIERUNG
Titelgraphik: Stephan J. Tramèr
ISSN 1029-0737
Herausgeber: Medium Aevum Quotidianum. Gesellschaft zur Erforschung der
materiellen Kultur des Mittelalters, Körnermarkt 13, 3500 Krems, Österreich.
Für den Inhalt verantwortlich zeichnen die Autoren, ohne deren ausdrückliche
Zustimmung jeglicher Nachdruck, auch in Auszügen, nicht gestattet ist. –
Druck: Grafisches Zentrum an der Technischen Universität Wien, Wiedner
Hauptstraße 8-10, 1040 Wien.
Inhaltsverzeichnis
Vorwort ……………………………………………………..…………….…… 4
András Vadas, Volcanoes, Meteors and Famines. The Perception of Nature
in the Writings of an Eleventh-Century Monk ………….……….……… 5
Ronald Salzer, Ein brennendes Thema: Der Destillierhelmfund
in der ehemaligen Badestube von Zwettl-Niederösterreich) und
die Rolle der Destillation im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit …… 27
Helmut W. Klug, gewürcz wol vnd versalcz nicht.
Auf der Suche nach skalaren Erklärungsmodellen
zur Verwendung von Gewürzen in mittelalterlichen Kochrezepten ..… 56
Isabella Nicka, Raum für Heilige und Heilsgeschehen.
Fragen zu Bild-Settings des Passionsaltars
der heutigen Pfarrkirche in Pöggstall (Niederösterreich) ……..……….. 84
Buchbesprechung …..……………………………………………………….. 101
Anschriften der Autoren …………………………………….……..…….….. 103
4
Vorwort
Der vorliegende Band von Medium Aevum Qutidianum widmet sich Untersuchungsergebnissen
zu Alltag und materieller Kultur des Mittelalters und der
Frühen Neuzeit, die aus Forschungen zu archäologischem, textlichem und bildlichem
Quellenmaterial hervorgegangen sind, welche in Österreich und Ungarn
durchgeführt wurden.
Ausgehend von einem Fund im nördlichen Niederösterreich widmet sich
Ronald Salzer der Analyse frühneuzeitlicher keramischer Destilliergefäße. Helmut
W. Klug präsentiert eine Untersuchung der Gewürzkultur, wie sie sich in
mittelalterlichen Kochrezeptsammlungen darstellt. An Hand eines zu Ende des
15. Jahrhunderts geschaffenen Flügelaltars analysiert Isabella Nicka die „Räume“
der dargestellten Heiligen und deren beabsichtigte Wirkung auf ihr
Publikum. András Vadas hingegen zieht für seine Untersuchung das berühmte
chronikalische Werk des burgundischen Benediktinermönches Rodulfus Glaber
aus dem 11. Jahrhundert heran um herauszufinden, in welchem Maße sich der
Autor mit der Natur und Naturerscheinungen seiner Zeit auseinandersetzte.
Gerhard Jaritz

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