Generic selectors
Exact matches only
Search in title
Search in content
Post Type Selectors
Search in posts
Search in pages
wsarticle
wsjournal
Filter by Categories
Allgemein
MAQ
MAQ-Sonderband
MEMO
MEMO_quer
MEMO-Sonderband

Die Witwe des Bruders

MEDIUM AEVUM QUOIIDIANUM 3 5 (Krems 1996)
OTIVM 3/1-2 ( 1 995.), str. 53-70, M. Mitterauer, Die Witwe des Bruders
UDC: 929.52(4)“ 1 1 /19″
DIE WITWE DES BRUDERS
Leviratsehe und Familienverfassung
U niv. Prof. Dr. Michael Mitterauer
Institut für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte
Universtät Wien
SluieCi se pristupom antropoloske historije, autor razlaie funkciju Leviratskog braka
(braka udovice sa surjakom) s posebnim osvrtom na njegovu pojavvt na zapadnom
dijelu Balkanskog poluotoka i vezu sa slozenim obiteljskim strukturama ( zadrugom) .
Wenn sich Sozialhistoriker mit Familienbeziehungen
in Gesellschaften der Vergangenheit
beschäftigen, dann behandeln sie in der Regel
Beziehungen unter Lebenden. Verpflichtungen
gegenüber verstorbenen Familienangehörigen sind
nur selten ein Thema. Solche Verpflichtungen
würden in der Historischen Familienforschung
mehr Beachtung verdienen – nicht nur weil sie
einen Zugang zu heute fremden Konzepten des
Familienzusammenhangs über den Tod hinaus
erschließen, sondern auch weil sie die Rückwirkung
s olcher Konzepte auf familiäre Beziehungen
und Verhaltensweisen unter Lebenden
erklären. Fam ilienleben und Familienformen
können sehr stark von Jenseitsvorstellungen
beeinflußt sein. Wenn Ahnen für ihr glückliches
Weiterleben nach dem Tod bestimmter Begräbnisund
Opferriten bedürfen, die von einem männlichen
Nachkommen vollzogen werden müssen,
dann wird sich das Heiratsverhalten bzw. das
generative Verhalten an der Nachwuchssicherung
orientieren. Gesellschaften, die keine s olchen
kultischen Verpflichtungen gegenüber den Ahnen
kennen, sind diesbezüglich viel freier. Wenn die
Vorstellung herrscht, daß gegenüber einem getöteten
Verwandten die Pflicht zur Blutrache
besteht, um seinen Geist zur Ruhe kommen zu
lassen, so können Blutrachefehden über Generationen
die Familiengeschicke bestimmen. Besonders
stark von Verpflichtungen gegenüber
einem toten Familienangehörigen bedingt ist die
Stellung der Witwe. Ihr weiterer Lebensweg hängt
davon ab, wie die Gattenbeziehung über den Tod
hinaus konzipiert wird: Muß sie d e m Vers
torbenen folgen? Muß sie ihm die Treue halten,
indem sie sich nicht mehr wiederverehelicht? Und
wenn sie sich wiederverehelichen darf – muß der
zweite Gatte aus der Hausgemeinschaft bzw. dem
Verwandtschaftsverband des ersten stammen oder
ist umgekehrt gerade eine solche Konstellation
verboten? Der klas sis che Fall der Wiederverehelichung
innerhalb der Verwandtschaft ist die
Schwagerehe, das s ogenannte „Levirat “ . Die
Pflicht zur Schwagerehe steht für ganz bestimmte
Vorstellungen über die Familie als Einheit von
Lebenden und Toten. Die christlichen Kirchen
haben das ganze Mittelalter hindurch und bis weit
herauf in die Moderne das Levirat auf das
Heftigste bekämpft – offenbar aufgrund eines
prinzipiell anderen Konzepts von Ehe und Familie.
53
MEDIUM AEVUM QUOTIDIANUM 3 5 (Krems 1 996)
OTIVM 3/ 1 -2 ( 1 995.), str. 53- 70, M. Mitterauer, Die Witwe des Bruders
Trotz dieses erbitterten Kampfes hat sich i n
manchen Teilen Europas das Levirat erhalten. Das
deutet auf eine starke Beharrungskraft konkurrierender
Tradi tionen.1 )
Im Jahre 745 verurteilte Papst Zacharias auf einer
Kirchenversammlung in Rom einen im Frankenreich
wirkenden Geistlichen namens Clemens als
Irrlehrer.2 ) Diesem Clemens wurde unter anderem
vorgeworfen, daß er „jüdische Bräuche“ einführe.
Er lehrte nämlich, daß ein Mann die Witwe seines
B ru ders h e i raten müßte. Damit s tand er i n
krassem Widerspruch zur Lehre der römischen
Kirche. Diese lehnte nämlich nicht nur die obligatorische
Schwagerehe ab, sondern stellte die Ehe
mit der Witwe des Bruders grundsätzlich unter
Sanktion.3 ) Unter den sich im Verlauf des Frühmittelalters
zunehmend verschärfenden Verboten
von Verwandtenheiraten gehört in der Westkirche
das Verbot des Levirats zu den ältesten, das auch
immer wieder vorrangi g angeführt wird. I m
Frankenreich scheint e s zur Zeit, als Clemens hier
mit seiner Lehre auftrat, schon weitgehend durchgesetzt
gewesen zu sein.4 ) Clemens war seiner
Herkunft nach kein Franke. Er stammte aus
Irland. Obwohl die irische Kirche sich gegenüber
der römischen im M i ttelalter lange Sondertraditionen
erhielt, läßt sich sein Eintreten für das
Levirat wohl nur in vermittelter Form aus dieser
Wurzel erklären. Zwar hatte die irische Kirche in
ihrer Verfassung viele Elemente aufgenommen, die
m i t der spezifischen Stammesverfas sung der
keltischsprachigen Bevölkerung dieser Region in
Zusammenhang s t ehen, das Levirat gehört aber
wohl nicht zu diesen Einrichtungen. 5 ) In der
irischen Kirche wurde jedoch dem Alten Testament
eine besondere Bedeutung beigemessen. 6 )
Es könnte sein, daß der Ire Clemens i n dieser
Tradition stehend „jüdische Bräuche“ als religiöse
Verpflichtung ansah.
Aus dem äußersten Westen der frühmittelalterlichen
Christenheit kommend war der Ire Clemens
für den „jüdischen Brauch“ des Levirats
eingetreten und deshalb als Irrlehrer verurteilt
worden. Auch im äußersten Osten der Christenheit
wurde damals dieser Kamp f gegen den
„jüdischen Brauch“ des Levirats geführt. Aus der
nestorianischen Kirche im Perserreich findet sich
ein anschauliches Zeugnis dazu schon aus der
1 Dies gilt vor allem für den westlichen Balkanraum. Die hier vorgelegte Studie ist aus einem Forschungsprojekt „Patriarchale
Sozialstrukturen auf dem Balkan“ entstanden, das vom „Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung in
Österreich“ gefördert wird.
2 Menumenta Germaniae historica, Epistolae selctal 1, Nr. 57, S. 1 05, Nr. 59, S. 1 1 2. Vgl. dazu Aaron J. Gurjewirsch,
Mirrelalrerliche Volkskulrur, München 1987, S. 1 1 0 f.
3 Jack Goody, Die Entwicklung von Ehe und Familie in Europa, Berlin 1983, S. 72 ff. G. Delling, Art. Ehehindernisse, in:
Lexikon für Antike und Christentum, Sp. 687 ff.
4 Im fränkischen Königshaus kamen auch nach der Chrisrianisierung zunächst noch Eheschließungen mir Witwen von Agnaten
vor. So beirarere Chlorachar I nach dem Tod seines Bruders Chlodomer 524 dessen Witwe Gunthenka 555 nach dem Tod
seines Großneffen Theudebald dessen Witwe Waldrada. Bei dieser zweiten Eheschließung innerhalb der Verwandtschaft
konnte sich die fränkische Geistlichkeit bereits gegen den König durchsetzen und den zwingen, Waldrada zu entlassen (Erich
Zöllner, Geschichte der Franken bis zur Mitte des sechsten Jahrhunderts, München 1970, S. 1 02) . Bei der Ehe mir Gunthenka
handelte es sich keineswegs um eine Leviratsverbindung im Sinne des Alten Testaments. Der verstorbene Chlodomer hatte
schon drei Söhne. Es galt also nicht, ihm stellvertretend Nachkommen zu schaffen. Chlorhachar war daran auch nicht
interessiert. Vielmehr brachte er zwei seiner drei Neffen bzw. Stiefsöhne eigenhändig um (Zöllner, Geschichte, S. 8 1
5 Zur Besonderheit der irischen Kirchenverfassung Arnold Angenendt, Das Frühmittelalrer, die abendländische Christenheit
400-900, Stuttgart 1990, S. 203 ff. Zum irischen Verwandtschaftssystem T.M. Charles-Edwards, Early Irish and Walsh Kinship,
üxford 1993. ln lrland hielt sich als Mmel zur Sicherung der Familienkontinuität trotz kirchlichen Widerstands die Adoption
bis weit im Mittelalter (Charles-Edwards, S. 77 f.). ebenso eine dem griechischen Epiklerat verwandte Form der Erbtochterehe
mir einem nahen verwandten Agnaten (ebda., S. 83) . Wo Adoption gegeben ist, fehlt in der Regel das Levirat, weil es sich
um eine alternative Strategie zur Erhaltung der Patrilinie handelt. Goody, Entwicklung, S. 1 76, schreibt über „allgemeinen
Widerstand gegen die (römischen) Heiratsvorschriften in Irland. Seitens des Klerus wurden auch über Verbindungen mit
Witwen aus „der Verwandtschaft“ Klagen geführt. Ein Beleg über die Existenz des Levirats in Irland findet sich bei ihm jedoch
nicht.
6 Leslie Hardinge, The Celtic Church in Britain, London 1972, S. 5 1 .
54
MEDIUM AEVUM QUOTIDIANUM 3 5 (Krems 1 996)
OTIVM 3/l-2 ( 1 995.), str. 53-70, M. Mitterauer, Die Witwe des Bruders
Mitte des 6. Jahrhunderts. Mar Aba, der Patriarch
von Seleukia-Ktesiphon, spricht in seinen eherechtlichen
Kanones von „tierischen Menschen“,
die „die Ehe verwirrt“ haben. Zu ihnen zählt er
„Leute, die es wagen, sich zu nahen dem Weibe
ihres Vaters, ihres Vatersbruders, ihrer Tante,
Schwester, Schwiegertochter, Tochter, Stiefenkelin
oder Stieftochter wie die Magier, oder ihrer
Schwägerin wie die J uden“.7) An erster Stelle wird
hier also gegen Formen der Verwandtenehe vorgegangen,
wie sie bei den Anhängern der zoroastrischen
S t aatsreligion des Sassanidenreich
gebräuchlich waren. Bemerkenswert erscheint,
daß die Reihe der verbotenen Partnerinnen mit der
Stiefmutter und der angeheirateten Tante beginnt
und dann erst die Tante und die Schwester, also die
blutsverwandten Frauen, folgen. Offenbar war die
Übernahme von Witwen in einem patrilinear
strukturierten Groß haushalt das vorrangige
Probl e m . 8 ) Sicher wurde auch die Witwe des
Bruders in diesem Zusammenhang mitgemeint,
die dann erst in Abgrenzung gegenüber den Juden
als verbotene Partnerin genannt wird. Die Frage
der Leviratsehen lag Mar Aba sehr am Herzen. Er
widmete ihr besondere Ausführungen und traf
diesbezüglich Sonderregelungen: „Bezüglich der
gläubigen Laien, die in Unwissenheit in diese
Sünde der Verbindung mit der Schwägerin verstrickt
wurden, indem sie aus Unkenntnis der
Worte der heiligen Schriften, die sie nicht verstanden,
das nicht nur nicht für etwas Sündhaftes,
sondern sogar für etwas Gutes hielten, geben wir
solche Entscheidung, indem wir es ihrem Willen
überlassen, sich selbst l oszusagen von dieser
ungesetzlichen Ehe auf d i e Ermahnung der
Priester, wie es ihnen zu ihrer Bess erung notwendig
ist. Wenn es ihnen aber zu schwerwird und
sie ihr Weib nicht entlassen können wegen der
langen Jahre, die sie mit ihm gelebt oder wegen der
Kinder, die ihnen von demselben geboren wurden,
so bestimmen wir über beide, daß sie gemeinsam
ein volles Jahr fasten und G ott bitten sollen wegen
ihrer Sünde und daß sie als Lösung ihrer Sünde den
Armen und Bresthaften der Kirche ihrer Stadt
oder ihres Dorfes einen genügenden Teil ihres
Erbes, das sie besitzen, geben sollen und dann
sollen s i e entsühnt werde n . “ Anders als i m
Frankenreich waren Schwagerehen im Sassanidenreich
des 6. Jahrhunderts eine weit verbre itete
gesellschaftliche Erscheinung – auch unter
Christen. Bei schon bestehenden Ehen dieses Typs
wäre das Gebot der Trennung wohl gar nicht
durchsetzbar gewesen. Nur bei den neueingegangenen
ließ der Patriarch daher keine Milde
walten. Die beiden Partner wurden vom Kirchenbesuch,
vom Sakramentenempfang und vom Verkehr
mit den Gläubigen ausgeschlossen. In seinen
S trafbestimmun gen kommt der Patriarch abschließend
wieder auf das eingangs gewählte Bild
von den „tierischen Menschen“ zurück: „Wie sie
sich durch ihr Tun vom christlichen Leben losgesagt
und wie vernunftlose Tiere in ungesetzlicher
Ehe verunreinigt, so sollen sie auch im Tode
fremd sein aller Gemeinschaft mit den Gläubigen.
Das Begräbnis eines Esels sollen sie erhalten wie
die Tiere, denen sie im Leben geglichen.“9 )
7 Oskar Braun, Das Buch der Synhados, Swrrgart 1900, S. 1 3 1 . Dazu Michael Mitterauer, The Cusroms of ehe Magians: The
Problem of incest in hisrorical socieries, in: Roy Porter und Mikulas Teich (Hgg.), Sexual Knowledge, Sexual Science, Thc
History of Attitudes to Sexualiry, Cambridge 1994, S. 2 3 1 ff. Derselbe, Christentum und Endogamie, in: Historischanthropologische
Familienforschung, Wien 1 990, S. 53 ff.
8 Zur Witwenvererbung in Kulturen des Orients Jack Goody, Producrion and Reproduction. A comparative study of the
domesric domain, Cambridge 1976, S. 83; derselbe, The Orienral, the Ancient and rhe Primitive. Systems of marriage and
rhe family in the prc-indusrrial socicries of Eurasia, Cambridgc 1 990, vor allem, S. 470 ff. Claus Wilcke, Familiengründung
im Alten ßabylonien, in: Ernst Wilhelm Müller (Hg.), Geschichrsreife und Legitimation zur Zeugung (Veröffentlichungen
des Instituts für HiHorischc Anthropologie E.V. 3), Freiburg 1985, S. 303 [f., HaralJ Morzki, „Dann machte er daraus die
beiden Geschlechter, das männliche und das weibliche … „, Die historischen Wurzeln der islamischen Geschlcchterrollen,
in: Jochen Martin und Renare Zoepffel (Hgg.), Aufgaben, Rollen und Räume von Frau und Mann (Veröffentlichungen des
Instituts für historische Anthropologie 5/2), Freiburg 1989, S. 6 1 6. Zu den Verwandrenheiraten der Zoroasrrier allgemein
Nikolaus Sidler, Zur Universalität des Tnzesttabus, Stuttgarr 1971, S. 86 ff. A.D. Lee, Close-Kin Marriage in Late Antique
Mesopotamia, in: Greck, Roman and Byzantine Srudies 29, 1 988, S. 405 ff.
9 Braun, Das Buch der Synhados, S. 133.
5 5
MEDillM AEVUM QUOTIDIANUM 35 (Krems 1996)
OTIVM 3/1-2 ( 1 995.), Str. 53-70, M. Mitterauer, Die Witwe des Bruders
Mag die Drastik der Verurteilung des Levirats bei
Mar Aba einmalig sein, das Verbot dieser Form der
Verwandtenehe ist allen christlichen Kirchen des
Frühmittelalters gemeinsam. Wir finden es ohne
j ede Einschränkung in Byzanz wie in den germanischen
Landeskirchen des Westens, bei den
Kopten genauso wie bei den Armeniern.10) Im
Vergleich zu diesen vielfachen Verboten lassen die
eherechtliehen Bestimmungen t.les Mar Aba eine
bemerkenswerte Differenzierung erkennen. Zwar
deutet er es als ein Zeichen der Unkenntnis der
heiligen Schriften – die Möglichkeit, aus ihnen das
Levirat nicht als sündhaft sondern im Gegenteil
sogar als besonders verdienstvoll zu deuten, gesteht
er jedoch zu. Das führt uns zu jenem Sachverhalt,
auf den sich wohl auch der Ire Clemens
in seiner von der römischen Kirchenversammlung
verurteilten „Irrlehre“ stützte, nämlich der inneren
Widersprüchlichkeit der Bestimmungen, die sich
im Alten Testam’ent über die Schwagerehe finden.
Die christlichen Verhore von Verwandtenheiraten
basieren im wesentlichen auf den generellen Anweisungen,
die sich im Alten Testament über
verbotene Sexualbeziehungen zu Ve rwandten
finden. Die entscheidende Stelle ist diesbezüglich
das Kapitel l S des Buchs Levitikus. Hier heißt es
in analoger Formulierung zum Verbor des Verkehrs
mit eingeheirateten Frauen – der Stiefmutter,
der Frau des Vatersbruders, der Schwiegertochter
– bezüglich der Schwägerin: „Die Scham der Frau
deines Bruders darfst du nicht entblößen, denn sie
ist die Scham deines Bruders.“ 1 1 ) Ursprünglich
dürfte mit dieser Stelle der Geschlechtsverkehr
innerhalb der Hausgemeinschaft angesprochen
worden sein.12 ) So erklärt es sich, daß jene Frauen
aufgezählt sind, mit deren Präsenz in einem patrilinear
komplexen Großhaushalt gerechnet werden
durfte. Die Auflisrung ist asymmetrisch. Etwa
fehlt die Frau des Mutterbruders, die bei einer
Orientierung an Verwandtschaftsgraden zu erwarten
wäre. Aber schon in jüdischer Tradition
und ihr folgend in christlicher wurde die sexualethische
Norm des Verbors von Geschlechtsv,
erkehr inne rhalb der Hausgemeinschaft als
Heiratsverbot unter Verwandten unabhängig von
der Form des Zusammenlebens gedeutet. Und aus
dieser Sicht war die Schwagerehe verboten. 1 3 )
I m Gegensatz z u dieser allgemeinen Norm steht
eine spezielle, die im Buch Deurerononium formuliert
wird (25, 5 ff. ) : „Wenn zwei Brüder
zusammen wohnen und der eine von ihnen stirbt
und keinen Sohn hat, soll die Frau des Verstorbenen
nicht die Frau eines fremden Mannes
außerhalb der Familie werden. Ihr Schwager soll
sich ihrer annehmen, s i e heiraten und die
Schwagerehe vollziehen. Der erste Sohn, den sie
gebiert, soll mit dem Namen des verstorbenen
Bruders aufwachsen. So soll dessen Name nicht
erlöschen in Israel.“ Unter bes onderen Bedingungen
ist also die Schwagerehe nicht nur
gestattet, sondern sogar geboten, nämlich wenn
der verstorbene Bruder keinen Sohn hinterlassen
hat, der seinen Namen weiterführt. Es geht also
um die Fortsetzung der Parrilinie. „Seinem Bruder
10 Zu den Eheverboten unter Verwandten in den einzelnen christlichen Kirchen zusammenfassendJos. Zhishman, Das Eherecht
der orientalischen Kirchen, Wien 1864, Kar! Eduard Zachariae von Lingenthal, Geschichte des griechisch-römischen Rechts,
Berlin 1 892, Joseph Freisen, Geschichte des canonischen Eherechts bis zum Verfall der Glossenliteratur, Tübingen 1 888.
Arsen Klidschian, Das armenische Eherecht und die Grundzüge der armenischen Familienorganisation, in: Zeitschrift für
vergleichende Rechtswissenschaft 25, 1 9 1 1, S. 332 ff.
11 Levitikus 1 8, 6-1 8. Den hier formulierten Verboten von Unzucht unter Verwandten ist die einleitende Anweisung vorangestellt:
Ihr sollt nicht un, was man in Ägypten tut, wo ihr gewöhnt habt; ihr sollt nicht un, was man in Kanaan tut, wohin ich euch
führe. Ihre Bräuche sollt ihr nicht befolgen.“ Das auserwählte Volk sollte sich also gerade durch seine besondere Sexualithik
von den Kulturen seiner altorientalischen Umwelt unterscheiden.
12 Eine solche Deutung wird durch den Umstand nahegelegt, daß in der Parallelstelle Levitikus 20, 1 1 ff., an der Spitze der
Unzuchtverbrechen der Beischlaf mit der Frau des Vaters und mit der Schwiegertochter genannt wird. Vgl. dazu Raphael
Patai, Sitte und Sippe in Bibel und Orient, Frankfurt 1962, Tamar Somogyi, Die Braut im Alten Testament, in: Gisela Völger
und Karin von Welck (Hgg.), Die Braut Geliebt – verkauft-getauscht-geraubt. Zur Rolle der Frau im Kulturvergleich 1, Köln
1985, S. 139
11 Artikel „incest“, in: The Jewish Encyclopedia 6, S. 571 ff., sowie Artikel „marriage“, ebda 8, S. 336. Artikel „Ehehindernisse“,
in: Lexikon für Antike und Christentum, Sp. 680 ff.
5 6
:MEDIUM AEVUM QUOTIDIANUM 35 (Krems 1996)
OTIVM 3/ 1 -2 (1995.), str. 53-70, M. Mitterauer, Die Witwe des Bruders
das Haus bauen“ wird dieser Auftrag wenige Sätze
später mit anderen Worten formuliert. Die Verpflichtung
zum Levirat galt allerdings zur Zeit der
Abfassung des Buchs Deuteronomium nicht mehr
bedingungslos. Wollte der Bruder die Ehe mit der
Schwägerin nicht eingehen, so konnte er sich
durch einen Ritus der Verpflichtung entziehen:
Die Schwägerin zog ihm vor den Augen der Ältesten
den Schuh aus und spuckte ihm ins Geschieht.
Dieser als „Chalitza“ bezeichnete Schandritus
zeigt, in welchem Zwiespalt sich die Beurteilung
des obligatorischen Levirats schon damals befand.
1 4 )
Eine zweifellos ältere Entwicklungsschicht des
Levirats ist in einer Geschichte angesprochen, die
im Buch Genesis erzählt wirdY ) Juda, einer der
Stammväter der zwölf Stämme Israels, hatte drei
Söhne Er, Onan und Schela. Seinem Erstgeborenen
Er gab er eine Frau namens Tamar. Als Er
starb sagte Juda zu Onan: „Geh mit der Frau
deines Bruders die Schwagerehe ein und verschaffe
deinem Bruder Nachkommen! “ Onan verweigerte
dies, indem er mit Tamar nur „coitus interruptus“
praktizierte. „Was er tat mißfiel dem Herrn, und
so ließ er auch ihn sterben“ heißt es hier über die
später ganz anders gedeutete „Sünde Onans“.16 )
Tamar hätte nun von Juda an den dritten Sohn
Schela gegeben werden müssen. Dieser war allerdings
noch nicht erwachsen. So schickte Juda die
junge Witwe in ihr Elternhaus zurück. Als Dirne
verkleidet verführte nun Tamar ihren Schwiegervater
und empfing von ihm die Zwillingssöhne
Perez und Serach. Als Juda von der Schwangerschaft
Tarnars erfuhr gab er zu: „Sie ist mir gegenüber
im Recht, weil ich sie meinem Sohn Schela
nicht zur Frau gegeben habe.“ Das eigenartige
Rechtsdenken, daß dieser Form der Fortsetzung
der Patrilinie zugrundeliegt, wurde auch späterhin
nicht in Zweifel gezogen. Die Stammesfolge die
von Juda über Perez zum Königshaus der Davididen
führte, galt als völlig legitimY )
So widersprüchlich die i m Pe ntateuch überlieferten
Bestimmungen über die Schwagerehe auf
den ersten Blick erscheinen, sie haben ihre Wurzel
im gleichen Grundmuster der Familienverfassung.
Sowohl die Verpflichtung zur Ehe mit der Witwe
des Bruders als auch das Verbot des Verkehrs mit
der Frau des Bruders, das als Heiratsverbot gedeutet
wurde, sind in einer patrilinear-komplexen
Familienstruktur begründet. 1 8 ) Bei den Bestimmungen
des Buchs Levitikus kann dieser Zusammenhang
indirekt erschlossen werden, bei denen
des Buchs Deuteronomium ist er explizit angesprochen
und die Erzählung über die Familie des
Juda im Buch Genesis schildert s olche Verhältnisse.
Der Sinn des obligatorischen Levirats ist
eine familiäre Verpflichtung gegenüber einem
Toten. Dem verstOrbenen Bruder sollen in fiktiver
Weise männliche Nachkommen gezeugt werden.
Es geht also um eine Erhaltung der Patrilinie aus
kultischen Gründen. Dieses Prinzip der Patrilinearität
aber führt wiederum zur Entstehung
patrilinear-komplexer Familien, in denen sich das
Risiko des Geschlechtsverkehrs mit einheiratenden
Frauen als ein strukturelles Problem stellt.
D i e enge Verbindung zwischen Levirat und
patrilinear-komplexer Familienverfassung bedeutet
nicht, daß sich die Schwagerehe im Kontext
solcher Familienstrukturen monokausal erklären
ließe. Das jüdische Levirat dient offenbar ursprünglich
der Aufrechterhaltung der Familienkontinuität
in männlicher Linie aus kultischen
Gründen. Um Ahnenkult im eigentlichen Sinne
handelt es sich hier freilich nicht. Man wird eher
“ Deuteronomium 25, 5-10. Vgl. dazu Artikel „jabam“, in: Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament 3, Stuttgart 1 977,
393 ff., K.H. RengstOrf, Jebamot (Die Mischna III/1) 1929, Patai, Sitte und Sippe, Goody, Die Entwicklung, S. 72 ff., Shlomo
Goitein, A mediterranean society, Berkeley 1978, S. 2 1 0 ff.
15 Genesis 38, 1 -26.
16 Juli an Pitt-Rivers, The fate of Shechem or the Polities of Sex. Essays in the Anthropology of the Mediterranean, Cambridge
1977, S. 169, Leonard Mars, What was Onan’s Crime, in: Comparative Studies in Society and HistOry 26 (1 984), S. 429 ff.
17 Vgl. etwa die beiden Stammbäume Jesu bei Matthäus (1,3) und Lukas (3,33)
18 Patai, Sitte und Sippe, S. 98, Somogyi, Die Braut im Alten Testament, S. 139
5 7
JvlEDIUM AEVUM QUOTIDIANUM 35 (Krems 1 996)
OTIVM 3/1-2 ( 1 995.), s tr. 53-70, M. Mitterauer, Die Witwe des Bruders
von einem stark religiös mot ivierten Abstammungs
denken sprechen dürfe n . 1 9 ) In Gesellschaften,
die Ahnenkult praktizieren, kommt dem
Erhalt der Patrilinie elementare Bedeutung zu. So
findet sich in solchen Gesellschaften nicht selten
das Muster eines Zusammenhangs von Levirat und
patrilinear-komplexer Familienverfassung.20) Es
gibt freilich auch ganz andere Gründe für einen
derartigen Zusammenhang. So kann die Schwagerehe
ohne jeden religiösen Hintergrund aus ökonomischen,
sozialen oder besitzrechtlichen Gründen
bei einer Dominanz solcher Familienformen begegnen.
Der Verbleib im Haus und die Wiederverehelichung
mit dem Bruder des Verstorbenen
stellte eine naheliegende Form der Versorgung der
Witwe, gegebenenfalls auch der Kinder dar. Ein
anderes Motiv für ein s olches Arrangement
konnte es sein, wenn man die Witwe der Hausgemeinschaft
als Arbeitskraft erhalten wollte. Vor
allem wenn die Familie für sie einen Brautpreis
bezahlt hatte, spielten besitzrechtliche Momente
eine Rolle. Die Witwe wurde dann als Teil der
Erbschaft nach dem Verstorbenen betrachtet, der
an den nächsten männlichen Verwandten, meist
den Bruder mitunter aber auch einen Cousin oder
Neffen fiel. Die präferentielle Zweitheirat mit
einem anderen agnatischen Verwandten ist eine
der Schwagerehe durchaus analog konzipierte
Sitte. In Gesellschaften, in denen das Levirat in
Verbindung mit patrilinear-komplexen Familienformen
auftritt, läßt sich allerdings selten feststellen,
welchem dieser Motive die entscheidende
Bedeutung zukommt. Meist treten mehrere miteinander
verbunden in Erscheinung. Der Grundsatz:
„Die Frau des Verstorbenen soll nicht die
Frau eines fremden Mannes 21 ) werden“ kann in
gleicher Weise durch religiöse wie durch sozioökonomische
Faktoren bedingt sein. Die Realisierung
ökonomischer Interessen an einer solchen
Zweitheirat setzte freilich voraus, daß sie religiös
zumindest als zulässig erscheint.
Religiöse Normen über gebotene, erlaubte und
verbotene Formen der Verwandtenheirat sind
äußerst langlebig. Sie behalten häufig ihre Geltung
auch dann noch, wenn sich die gesellschaftlichen
Bedingungen ihrer Entstehungszeit schon längst
verändert haben. Das jüdische Levirat mag seine
Wurzeln in den gesellschaftlichen Verhältnissen
früher Hirtennomadenstämme haben. Als sakralrechtliche
Institution wurde an ihm bis hinein in
Gesellschaften der Moderne festgehaltenY ) Diese
Zähigkeit des Festhaltens am Levirat ist umso
erstaunlicher, als ihm in den Inzestverboten des
Levitikus eine gegensätzliche generelle Regel
gegenüberstand. Dieses Spannungsverh ältnis
beeinflußte die Diskussion um das Levirat, die sich
19 Als Indizien für das Fortwirken von Vorstellungen des Ahnen-kults im geschichtlichen Israel führt Paul Volz, Die biblischen
Altertümer, Wiesbaden 1914, S.1 76, an: „den kultischen Zusammen-schluß der Familie 1 Sam 20,6, die Aufnahme der Sklaven
in die häusliche Kultgemeinschaft Ex 21 ,6, das Werdegen auf männliche Nachkommenschaft, die Ähnlichkeit der Trauerriten
mit kultischen Zeremonien, das Befragen der Toten, die Familiengottheit Terafim.“ Das Fortbestehen des Ahnenkults hielt
er jedoch für unbewiesen. Zur Gliederung in patrilineare Geschlechter- und Stammesverbände ebda, S.444. Zu religiös
bedingtem Abstammungsdenken in spät-jüdischer Zeit vor allem Joachim J eremias,Jerusalem zur ZeitJesu, Göttingen 1958,
S . 1 4 1 ff.
20 Ein solcher Zusammenhang findet sich in ganz unterschiedlichen Gesellschaften. In Japan war das Levirat seit alters verbreitet,
wurde jedoch in der Tokugawa-Zeit für den Adel verboten. Die Meji-Regierung untersagte es 1 8 75 in Anlehnung an die
Regelungen im Adel generell, mußte es aber unter dem Druck der Bevölkerung ab J 882 in Sonderfällen wieder gestatten
(Renate Herold, Geschlechts-reife und Legitimation zur Zeugung. Jugend, Sexualität und Heiratsverhalten im Japan der
Tokugawa – und Meji-Zeit, in: Wilhelm E. Müller, Hg., Geschlechtsreife und Legitimation zur Zeugung, Veröffentlichungen
des Instituts für Historische Anthro-pologie 3, Freiburg 1985, S.710f). Auch in verschiedenen Regionen Indiens hat das
Levirat in Verbindung mit Ahnenkult und patrilinear-komplexen Familienformen eine weit zurückreichende Tradition. In
Unterschichten erhielt es sich bis ins 20. Jahr-hundert, in höher gestellten Bevölkerungsgruppen war es hingegen verpönt
und wurde schon im Mittelalter schwer bekämpft. Die Sitte läßt sich bis in vedische Zeit zurückverfolgen (Goody, The
Oriental, vor allem S.203). Unter den altorientalischen Kulturen ist dieser Zusammenhang zuerst in Babylonien faßbar
(Wilcke, Familiengründung, S.303ff.). Historische Kulturen, in denen das Levirat verbreitet war, in vergleichendem Überblick
bei Goody, The Oriental, S.470).
21 Deuterononium 25,5
22 Shlomo D. Goitein, Zur heutigen Praxis der Leviratsehe bei orientalischen Juden, in: Journal of the Palestine Oriental Society
13, 1933, S.159ff.
58
MEDIUM AEVUM QUOTIDIANUM 35 (Krems 1996)
OTIVM 3/ 1 -2 ( 1 995.), str. 53-70, M. Mitterau er, Die Witwe des Bruders
im mittelalterlichen Judentum entwickelte. Zur
totalen Verurteilung in Hinblick auf die Bestimmungen
des Levitikus entschlossen sich nur die
Karäer, eine Mitte des 8. Jahrhunderts in Babyion
entstandene Reformgruppe.2j ) Unter den Rabbaniten,
die zum Unterschied von den Karäern den
Talmud anerkannten, gab es in der Einstellung
zum Levirat sehr unterschiedliche Richtungen.
Manche von ihnen empfahlen grundsätzlich, den
Chalitza-Ritus zu praktizieren, wodurch die
Ausnahme zur Regel gemacht wurde. Andere
vertraten den Standpunkt, daß die Leviratsverpflichtung
dem sich im Mittelalter immer mehr
durchsetzenden Bigamieverbot unterzuordnen
sei. Der Zwang die Witwe des Bruders zur Frau zu
nehmen, führte j a – wenn der jüngere Bruder schon
verheiratet war – notwendig zur Bigamie, es sei
denn er trennte sich von seiner ersten Frau. Ein
anschauliches Bild, welche nahezu unlösbaren
Rech tsprobleme die Einhaltung des Levirats in
städtischen Gesellschaften des Mittelalters bewirken
konnte, zeigt das reiche Quellenmaterial,
das in der „Geniza“ der Ben-Ezra-Synagoge in
Fustat/ Alt-Kairo gefunden wurde .24 ) Trotz
solcher Komplikationen hielt der große Religionsphilosoph
Moses Maimonides ( 1 1 3 5 – 1 204) an der
vollen Geltung der Bestimmungen des Deuteronomium
fest. Vor allem seine Autorität hatte zur
Folge, daß – insbesondere unter den orientalischen
Juden – das Levirat weiterhin praktiziert wurde,
und zwar bis hinein in die Moderne.
Die christlichen Kirchen haben den „jüdischen
Brauch“ des Levirats grundsätzlich abgelehnt. Die
Verbote der Schwagerehe reichen bis in die ausgehende
Antike25 ) zurück. Sie wurden vor allem
im Frühmittelalter immer wieder erneuert und
behielten bis in neueste Zeit ihre Geltung. Wenn
die Leviratsproblematik in ihrer Entstehung und
Entwicklung in besonderer Weise mit patrilinearkomplexen
Familienformen i n Zusammenhang
gebracht werden kann, so stellt sich die Frage, was
2J Goitein, A mediterranean society, S.2J Of.
24 Ebda, S.2 1 1
die strikte Ablehnung d e s Levirats an Rückschlüssen
auf charakteristisch christliche Einstellungen
zu Ehe und Familie zuläßt.
Christliche Autoren des Mittelalters hatten es
nicht leicht, die Ablehnung des Levirats aus der
Heiligen Schrift zu belegen. Natürlich konnte man
sich auf das Alte Testament berufen. Dann aber
stand der Belegstelle im Levitikus die konträre aus
Deuteronomium gegenüber. Das Neue Testament
gab wenig Ansatzpunkte. Papst Gregor der Große
zitierte in s einem Verbot d i e S telle aus dem
Markus-Evangelium, in der über die Enthauptung
Johannes des Täufers berichtet wird (6, 1 7-29) .16 )
J ohannes hatte König He rod es vorgehalten: „Du
hast nicht das Recht die Frau deines Bruders zu
heiraten.“ Herodes hatte nämlich Herodias, die
Frau seines Bruders Philippus geheiratet, die
übrigens zugleich auch beider Nichte war. Wegen
seiner Vorhaltungen ließ Herodes den J ohannes
einkerkern und schließlich töten. Um eine Leviratsehe
hat es sich hier jedoch keineswegs gehandelt.
Herodias war nicht Witwe, Philippus
noch am Leben. Und so war auch Johannes nicht
ein Märtyrer für christliche Leviratsgegnerschaft.
Ebensowenig eignet sich eine andere Evangelienstelle
als biblischer Beleg gegen das Levirat. Im
Matthäusevangelium wird (22, 23-33) berichtet,
„einige der Sadduzäer, die behaupteten, es gebe
keine Auferstehung“ hätten J esu folgende Frage
vorgelegt: „Meister, Mose hat gesagt: Wenn einer
kinderlos stirbt, dann soll sein Bruder seine Frau
heiraten und für seinen Bruder Nachkommen
zeugen. Bei uns lebten einmal sieben Brüder. Der
erste heiratete und starb, und weil er keine Nachkommen
hatte, hinterließ er seine Frau seinem
Bruder. Ebenso der zweite und der dritte und so
weiter bis zum siebten. Als letzte von allen starb
die Frau. Wem von den sieben wird sie nun bei der
Auferstehung als Ehefrau gehören?“ Die Zurü􀨱kweisung
dieser Frage durch J esus bedeutet keme
Ablehnung des Levirats. Sein Hinweis „Denn bei
2s Das Verbot des Levirats wurde erstmals 393 n.Chr. auf der Synode von Neocäsarea ausgesprochen. Dazu sowie zur weiteren
Entwicklung Goody, Die Entwicklung, S.724, Emil Eyben, Geschlechtsreife und Ehe im griechisch-römischen Altertum
und im frühen Christentum, in Müller (Hg.), Geschlechtsreife, S.452.
26 Ebda, S.73, Zur Ehe des Herades Antipas mit I-Ierodias, Mitterauer, Christentum und Endogamie, S.41 ff.
59
MEDIUM AEVUM QUOIIDIANUM 35 (Krems 1996)
OTIVM 3/1-2 ( 1 995.), str. 53-70, M. Mitterauer, Die Witwe des Bruders
der Auferstehung werden sie nicht mehr heiraten,
sondern wie die Engel im Himmel sein“, ist eine
eschatologische Aussage, keine Regel bezüglich
Verwandtenheiraten im Diesseits. Jesus stand dem
Levirat offenbar neutral gegenüber. Die Stelle ist
bloß ein Beleg für die Bedeutung dieser Institution
im jüdischen Umfeld des frühen Christentums.
Eine Neuorientierung gegenüber der jüdischen
Tradition läßt sie nicht erkennen 27 ) .
Woher kam aber dann die strikte Ablehnung des
Levirats durch die christlichen Kirchen, wenn sich
im Neuen Testament keine ablehnende Stellungnahme
nachweisen läßt? Man könnte dem Gedanken
nachgehen, ob vielleicht aus vorchristlichem
Substrat Traditionen gegeben waren, die
von den christlichen Kirchen in ihrer Ehegesetzgebung
aufgegriffen wurden. Tatsächlich war die
Institution der Schwagerehe im Raum des Imperium
Romanum kaum verankert. Soweit man
hier um die Erhaltung von Familienkontinuität in
der Patrilinie bemüht war, erreichte man das im
Fall der Söhnelosigkeit durch Praktiken, die als
Alternativen zum Levirat angesehen werden
können.28 ) Für den Westen ist diesbezüglich vor
27 Goody, Die Entwicklung, S.73.
allem auf die altrömische Tradition der Adoption
zu verweisen. Sie war hier – anders als sonst i n
vielen Gesellschaften m i t starkem patrilinearen
Abstammungsdenken – nicht auf agnatisch Verwandte
beschränkt.29 ) In der Tradition des griechischen
Ostens hatte das Epiklerat eine ähnliche
Bedeutung für die Sicherung der Familienkontinuität.
Der m i t der Erbtochter verheiratete
Schwiegers o h n sollte hier aus dem Kreis der
Agnaten stammen.30) Die Adoption spielte auch
eine Rolle, nicht hingegen die fiktive Zeugung von
Nachwuchs für den verstorbenen Bruder in der
Schwagerehe. Diese war innerhalb des Verbreitungsgebiets
des frühen Christentums nur im
Vorderen Orient relativ häufig anzutreffen. Dort
reicht das Levirat wie im Judentum so auch in
anderen Kulturen weit zurück, bei den Persern,
den Assyrern, den Hethitern und anderen.31 ) Die
starke Verankerung des Levirats in diesem Kulturraum
scheint dazu geführt zu haben, daß der Islam
die Schwagerehe erlaubt, allerdings nicht vorgeschrieben
hat. Die Bestimmungen des Korans über
Verwandtenehen lassen die Übernahme von
Witwen zu, jedoch nur mit deren Zustimmung.32 )
18 Über solche Familienstrategien ausführlich Goody, Production, S.66ff., derselbe, The Oriental, S.206f. et passim. Goody spricht
in diesem Zusammenhang meist von „strategies of heirship“ (z.B. S.471) oder „strategies of continuity“ (z.B. S.206). Daß dabei
Kontinuität des Familienkults häufig eine wesentliche Rolle spielt, wird weder aus seiner Terminologie noch aus seinen Ausführungen
erkennbar. Überzeugend scheint hingegen Goodys Nachweis (The Oriental, S.206f., 265, 473 und 477), daß in vielen
Kulturen das Levirat durch die Adoption abgelöst wird. Man darf daher vielleicht auch für den Mittelmeerraum annehmen, daß
das Levirat hier in älterer Zeit stärker verbreitet war. Wo es sich bis in die Moderne gehalten hat, kann es wohl als ein Relikt
aus archaischen Gesellschaftsverhältnissen angesehen werden.
29 Über die römische Adoption im interkulturellen Vergleich Goody, Production, S.66ff., derselbe, Die Entwicklung, S.81 ff.,
derselbe, The Oriental, S.416 und 426FF. Daß in Rom auch Nicht-agnaten adoptiert werden konnten, zeigt deutlich, wie
stark man sich hier bereits von einem religiös fundierten Geblütsdenken gelöst hatte. Im nachvedischen Indien etwa war
das Levirat zwar in den höheren Kasten auch schon durch die Adoption ersetzt, es sollte jedoch im Fall der Söhnelosigkeit
nach Möglichkeit der Sohn des Bruders adoptiert werden, also ein Agnate gleichen Grades, wie es der in der Leviratsehe
gezeugte fiktive Sohn des Verstorbenen in Wirklichkeit war. Der Adoptierte sollte „a reflexion of a natural son“ sein, was
beim Neffen am ehesten gewährleistet schien(Goody, The Oriental, S.206). Auch in China wurde – jedenfalls im Norden
– die Adoption von Agnaten bevorzugt (ebda., S.109).
Jo Goody, Production, S.71, derselbe, The Oriental, S.389ff., W.K. Lacey, Die Familie im Antiken Griechenland, Mainz 1 968,
S . l 3 1 ff., Renare Zoepfel, Geschlechtsreife und Legitimation zur Zeugung im Alten Griechenland, in: Müller (Hg.),
Geschlechtsreife, S.387ff. Bei der Institution Epiklci·ats spielte die Erhaltung der agnatisehen Geblütslinie eine viel stärkere
Rolle als bei der römischen Adoption. Das Epiklerat war mit den Heiratsregeln des römischen Verwandtschaftssystems
unvereinbar, da es Endogamie innerhalb der Patrilinie bis hin zur Nichtenheirat impliziert (Goody, The Oriental, S.120).
Jl Artikel „jabam“ in: Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament 3, Stuttgarr 1 977, Sp. 398ff; Völz, Die biblischen
Altertümer, S.343, vgl. o. Anm. 8.
Jl In Sure 4 (20) heißt es: „0 Gläubige, es ist nicht erlaubt, Frauen durch Erbschaft gegen ihren Willen sich anzueignen.“
Vgl. dazu Motzki, Dann machte er daraus die beiden Geschlechter … S.616.
60
.lvfEDIUM AEVUM QUOTIDIANUM 3 5 (Krems 1 996)
OTIVM 3/1-2 ( 1 995.), str. 53-70, M. Mitterauer, Die Witwe des Bruders
Ganz anders verhielten s i ch die christlichen
Kirchen des Orients. Sie machten gegenüber den
diesbezüglichen Traditionen der Substratreligionen
keinerlei Zugeständnisse. Ebensowenig wie
sich im Vorderen Orient ein Fortwirken des Levirats
im Christentum nachweisen läßt, scheinen die
alternativen S t rategien zum Levirat im Mittelmeerraum
nach dessen Christianisierung nachhaltig
weitergewirkt zu haben. Die altrömische
Adop tion hat unter christlichem Einfluß ihre
Funktion gewandelt bzw. völlig eingebüßt, der
griechische Epiklerat ist völlig verschwunden. So
wird die geringe Verankerung des Levirats i n
diesem Raum vielleicht als Begünstigung für die
ablehnende Haltung des Christentums angesehen
werden dürfen, sicher aber nicht als dessen entscheidende
Ursache.
Tro tzdem die Schriften des Neuen Testaments
keine Aussage machen, die explizit als Ablehnung
des Levirats gedeutet werden könnten, enthielt die
neue Religion implizit einige wesentliche Elemente,
die einen prinzipiellen Gegensatz zur
Institution der Schwagerehe bedeuteten. Vor allem
zwei Momente verdienen in diesem Zusammenhang
Erwähnung, weil sie insgesamt für die Entwicklung
christlich beeinflu ßter Familienverfassungen
große Bedeutung erlangten. Das erste
betrifft die religiöse Bewertung von Abstammung.
Das jüdis che Levirat hatte nach den Formulierungen
im Pentateuch den Sinn, aus kultischen
Gründen die Patrilinie des söhnelos verstorbenen
Bruders fortzuführen. Im Judentum spielte das
Abstammungsdenken insgesamt eine zentrale
Bedeutung: die Heilsbedeutsamkeit der Abstammung
von Abraham, mit dem „Gott den Bund
geschlossen hatte“, die Verdienste der „Väter“, die
an die „Söhne“ weitergegeben gedacht wurden,
das Erbcharisma der Priester- und Levi tendynastien.
3 3 ) Gegen den Glauben an die Heilsbedeutsamkeit
der Abstammung hatte sich J esus
genauso wie vor ihm J ohannes der Täufer wiederholt
ganz dezidiert ausgesprochen.34 ) Die Zuwendung
zur Heidenmission verstärkte notwendig
diese Tendenz. Vor allem aber war es das
Moment der Heilsvermittlung durch die Taufe, die
im Christentum jeder Form des religiösen Abstammungsdenkens
entschieden entgegenwirkte.
Nicht auf die “ Geburt dem Fleische nach“,
sondern auf die „Geburt dem Geiste nach“ kam es
jetzt an. Das bedeutete gegenüber den Traditionen
der jüdischen Mutterreligion einen sehr radikalen
Bruch. Erhalt der Patrilinie spielte im Christentum
keine Rolle mehr. Das Levirat hatte damit seinen
Sinn verloren. Es liegt auf der Hand, daß die ihm
entgegenstehenden Inzestverbote des Levitikus
nun die Oberhand gewannen. Die strikte Ablehnung
religiöser Bedeutsamkeit von Abstammung
hatte zur Folge, daß auch alternative Strategien
zum Erhalt der Patrilinie, wie etwa die
Adoption, aus christlicher Sicht nicht akzeptiert
wurden.
Noch wichtiger als die Tendenzen zur Abwertung
des Abstammungsdenkens scheinen verschiedene
Elemente der christlichen Ehekonzeption für die
Bekämpfung des Levirats geworden zu sein. Die
Verpflichtung, die Witwe des söhnelosen Bruders
zu heiraten, implizierte – wenn der überlebende
Bruder bereits verheiratet war – die Verpflichtung
zur Bigamie. Im Judentum war die Bigamie bis ins
Mittelalter hinein gestattet, obwohl sie schon seit
der Zeit der Propheten immer wieder bekämpft
wurde. 35 ) In der inner-jüdischen Debatte spielte
die Unvereinbarkeit von Levirat und Monogamie
eine wesentliche Rolle.36 ) Das Christentum hatte
sich in einer für die alte Welt einmalig radikalen
Weise auf die unauflösliche Einehe festgelegt.37)
Im Kontext dieser Ehe-konzeption war ein Kompromiß
mit der Institution der Schwagerehe
ausgeschlossen. Dieser wirkte weiters die Vorstellung
entgegen, daß durch die Ehe Mann und
H Zusammenfassend dazu Mitterauer, Christentum und Endogamie, S.61ff im Anschluß vor allem an Jeremias, J erusalem.
34 Vgl. Matthäus 3,7-9, Johannes 8,39-40.
35 Rache! Monika Henry, Die jüdische Mutter, Darmstadt 1994, S.40f, Völz, Die biblischen Altertümer, S.334.
36 Goitein, A mediterranean society, S.21 0f.
37 Artikel Ehe I (Institution), in: Lexikon für Antike und Christentum, Sp.657.
6 1
MEDIUM AEVUM QUOTIDIANlJJ\1 35 (Krems 1996)
OTIVM 3/1-2 (1995.), str. 53-70, M. Mitterauer, Die Witwe des Bruders
Frau „ein Fleisch“ werden – ein Gedanke, der aus
der jüdischen Tradition s tammt.38 ) Nach dem
„una caro“ -Prinzip, war die Frau des Bruders der
eigenen Schwester gleichzuhalten. Im Judentum
hat die Richtung der Karäer aus dieser Vorstellung
Eheverbote unter Heiratsverwandten von extremer
Reichweite entwickelt.39 ) Die ursprünglich
wohl aus anderen Motiven konzipierten Inzestverbote
des Levitikus unterstützten ein solches
Denken. Auch in einzelnen christlichen Kirchen
– vor allem in der byzantinischen – ist es auf dieser
Grundlage im Mittelalter zu sehr weitreichenden
Verb oten der Eheschließung unter Heiratsverwandten
gekommen. 40 ) Die wichtigste dieser
Beziehungen, nämlich die Schwagerehe, war nach
dem “ una-caro“ -Prinzip i n allen christlichen
Kirchen untersagt.
Das Levirat widersprach schließlich dem Konsensprinzip,
das sich – vor allem im lateinischen Westen
– mehr und mehr zu einem zentralen Grundsatz
des christlichen Ehekönzepts entwickelte. Unter
Berufung auf das römische Recht fand es in der
Westkirche im Hochmittelalter seine deutlichste
Ausformulierung und wurde zu einem für die
ganze europäische Eherechtstradition bestimmenden
Faktor.41 ) In seinen Wurzeln geht es weit
zurück. Das Levirat war mit ihm unvereinbar,
bedeutete es doch sowohl für die Witwe wie für
38 Genesis 2,24
39 Mitterauer, Christentum und Endogamie, 5.69f.
40 Zhishman, Eherecht, 5.31 9ff.
den Bruder eine verpflichtende Bindung, die freie
Entscheidung ausschloß. Mit seiner Aufwertung
der Gattenbindung begünstigte das christliche
Ehekonzept gattenzentrierte Familienformen. Die
Abwertung der Abstammungsbindungen wirkte
so Verwandt-schaftssystemen mit starken Abstammungsbindungen
entgegen. So schuf das
Christentum insgesamt ein Klima, das der Ausbildung
patrilinear-komplexer Familienstrukturen
nicht günstig war. Mit solchen Familienstrukturen
aber erscheint das Levirat funktional aufs engste
verbunden.
Obwohl von den Bestimmungen das Kirchenrechts
strikt abgelehnt, hat sich das Levirat in
einigen wenigen Regionen der Christenheit bis in
die j üngste Vergangenheit halten können. Es
handelt sich dabei durchwegs um Räume, in denen
auch patrilinear-komplex strukturierte „joint
families“ auftreten. Solche Verteilungsmuster
deuten auf den postulierten Z u samm enhang
zwischen diesen beiden Phänomenen. Es gibt
wissenschaftliche Erklärungsversuche, die – mehr
oder minder plausibel – für eine Entstehung dieser
„joint-families“ erst in neuerer Zeit eintreten.42 )
Es gibt allerdings keinen einzigen Erklärungsversuch,
der eine so späte Entstehung des Levirats
annimmt. Tatsächlich läßt sich auch schwer ein
Argument dafür finden, wie das Levirat als eine
41 Artiekl Ehe, in: Lexikon des Mittelalters 3, 5p. 1 6 l 7, 1 620, 1 623. In Byzanz ist sowohl die Zustimmung der Partner als auch
ihrer Gewalthaber gefordert: ebda, 5p.1642.
42 Rudolf Andorka und Tamas Farag6, Pre-industrial household structure in Hungary, in: Richard Wall, Jean Robin und Peter
LasJett (Hgg.), Family forms in historic Europe, Cambridge 1983, 5.304, formulieren für Ungarn die Hypothese „that the
comparatively !arge household and rhe relarively complicated household structure in pre-industrial Hungary as compared
with Western Europe was not permanent feature, bur that it evolved du ring the eighteenth and nineteenth centuries … This
does not, of course, exclude the possibility that sorne elements of the functions and custorns relating to !arge and complex
households had in fact existed for several centuries.“ Für den Balkanraim formuliert Maria Toderova, Balkan Family 5tructure
and the European Pattern. Demographie Developments in Ottoman, Washington 1993, 5.1 51, über das Alter komplexer
Familienformen: „One eould put forward an alternative explanation, that the historieally known and scholarly described
Zadruga could have been only a phenomenon of the late eighteenth to the early twenteenth centuries, whose appearance
and decline is to be explained by different factors typical of this period only. Among the variety of factors, some are applicable
only to specific regions. One of the explanations, which seems plausible for part of the Ottoman territories, is the critical
decentralization of the Ottoman Empire in the latter half of the eigthteenth century. This had special repercussions in specific
regions of rhe Balkans, panicularly in the western Bulgarian territories. The rcsponse to this challenge might have been the
emergence of the Zadruga as a more viable means of survival.“ Vgl. ähnlich dieselbe, 5lava and Zadruga, in: Historische
Anthropologie 1, 1993, 5.128, in Kommentierung von Kar! Kaser, Ahnenkult und Patriarchalismus auf dem Balkan, ebda,
5.93ff.
62
MEDIUM AEVUM QUOTIDIANUM 3 5 (Krems 1996)
OTIVM 3/1-2 ( 1 995.), str. 53-70, M. Mitterauer, Die Witwe des Bruders
gesellschaftlich befolgte Norm im Geltungsbereich
entgegenstehender kirchenrechtlicher
Bestimmungen neu entstanden sein sollte. Wo es
in diesem Kontext auftritt, darf man also wohl mit
ziemlicher Sicherheit nicht mit einer Neubildung,
sondern mit einem Relikt aus vorchristlicher Zeit
rechnen. Auch wo die Belege erst aus dem 1 8 . oder
1 9 . Jahrhundert stammen, ist dementsprechend
mit einem hohen Alter zu rechnen. Dasselbe gilt
dann auch für die korrespondierenden „joint
family“ -Formen.
In ihrer grundlegenden Studie über „The joint
family in H ungary“ hat J udit Morvay 1965 ganz
generell fomuliert: „The institution of Ievirate was
deeply rooted in the joint families“Y ) Allerdings
handelte es s i c h in den von ihr untersuchten
Verbreitungsgebieten patrilinear-komplexer Familien
in Ungarn offenbar nicht um die im Alten
Testament beschriebene Form der Schwagerehe.
War die junge Witwe kinderlos, so kehrte sie
nämlich in der Regel ins Elternhaus zurück. Nur
wenn schon Kinder da waren, kam es zur Heirat
mit dem Bruder oder einem anderen Agnaten des
verstorbenen Mannes. Die Zeugung von männlichen
Nachkommen für den Toten kann also hier
nicht der primäre Zweck der Institution gewesen
sein. Auch die Sitte, daß häufig die Braut vom
jüngeren Bruder übernommen wurde, wenn der
ältere starb, muß nicht unbedingt in diesem Sinne
gedeutet werden. Aufschlußreich für das Verständnis
der in Ungarn begegnenden Leviratsformen
erscheint es, daß in manchen „joint
family“ -Gebieten der jüngere Bruder des Gatten,
ebenso aber auch dessen Vetter als „mein junger
Gatte“ („kisebbek uram“) angesprochen wurde.44 )
Wenn die junge Witwe unverheiratet in d e r Großfamilie
ihres verstorbenen Mannes verblieb, dann
soll es häufig zu sexuellen Beziehungen zu dessen
hier lebenden Brüdern, aber auch zu dessen Vater
gekommen sein. Auch zu Lebzeiten des Gatten
waren solche Beziehungen möglich, etwa wenn
dieser Militärdienst machte oder sonst längere
Zeit von zuhause weg war. Offenbar handelte es
sich dabei nicht bloß um einen Mißbrauch der
Situation des Zusammenlebens unter einem Dach,
sondern um Kontakte, die unter bestimmten
Voraussetzungen als legitim angesehen wurden.45 )
Zum Verständnis der Rahmenbedingungen des
Levirats sind solche Informationen wertvoll.
Besondere Beachtung verdient unter jenen Reliktzonen,
in denen sich in Europa das Levirat erhalten
hat, der Westen der Balkanhalbinsel.46) Auch hier
ist der Zusammenhang mit komplexen Familienformen
und patrilinearem Verwandtschaftssystem
ganz offenkundig . .Jl ) Die Kernzone der Verbreitung
des Levirats bilden die Gebiete mit
Stammesverfassung in Nordalbanien und in Montenegro.
Vor allem in Albanien war die Schwagerehe
zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch weithin
geübte Praxis.48 ) Das Levirat begegnet aber auch
im albanischen Kosovo.49 ) Mit Sicherheit läßt es
sich ferner in der östlichen Herzegowina, in der
43 J udi t Morvay, The joint family in Hungary; in: Europa et Hungaria. Congressus ethnographicus in H ungaria, Budapest 1965,
S.234. Vgl. auch Bela Gunda, The ethno-sociolocical structure of the Hungarian cxtended family, in: Journal of family history
7, 1982, S.45. Zsuzsa Szeman, Die Herausbildung und Auflösung der Großfamilie in Ungarn, in: Zeitschrift für Soziologie
10, 1 9 8 1 , S.l 07. Dieselbe, Die arbeitende Frau in Ungarn, in: Martin und Zoeffel (Hgg.), Aufgaben, Rollen und Räume,
S.984.
44 Gunda, Structure, S.45.
45 Darauf deutet etwa der Sachverhalt, daß bei den Palotern solche sexuellen Kontakte des Familienoberhaupts mit einer seiner
Schwiegertöchter mit Billigung seiner Ehefrau erfolgten (Gunda, Structure, 5.45).
46 Dazu Kar! Kaser, Hirten, Kämpfer, Stammeshelden. Ursprünge und Gegenwart des balkanischen Patriarchats, Wien 1992,
5.267f., derselbe, Familie und Verwandtschaft auf dem Balkan, Wien 1995, S . 1 63ff.
‚7 Zur Verbreitung komplexer Familienformen in dieser Region um 1 850 und heute vgl. die Karte 17 in Kaser, Familie, S.268.
48 Mary Durham, Some tribal origins, laws and customs of the Balkans, London 1928, 5.203ff. Für die Mitte des 20. Jahrhunderts
\Xfalther Peinsipp, Das Volk der Shkypetaren, Geschichte, Gesellschafts- und Verfassungsordnung, Wien 1985, 5. 96f.
49 Vera 5t. Erlich, The Last Big Zadrugas: Albanian Exrended Families ih the Kosovo Region, in: Roben F. Byrnes (Hg.),
Communal Families in the Balkans, Notre Dame in London 1973, 5.247.
63
NIEDIUM AEVUM QUOTIDIANUM 35 (Krems 1996)
OT IVM 3/1-2 (1995.) , str. 53-70, M. Mitterauer, Die Witwe des Bruders
Bucht von Kotor, in Te ilen Dalmatiens und
Bosniens, gelegentlich in Serbien sowie unter
serbischen Siedlern im Slawonien nachweisen –
hier vor allem um Pakrac, wo schon aus dem
ausgehenden 18. Jahrhundert ausführlich darüber
berichtet wird. 50 ) Der Brauch ist weder auf eine
ethnische Gruppe noch auf eine Religionsgemeins
chaft beschränkt. Er findet sich bei
Albanern, Montenegrinern, Serben, Kroaten und
Muslimen. Daß er erst unter dem Einfluß des
Islam aufgekommen wäre, darf mit Sicherheit
ausgeschlossen werden. Auch muslimische Gruppen
praktizierten ihn in einer vom Koran abweichenden
Form, nämlich als obligatorische
Schwagerehe. Allerdings mag die jahrhundertelange
Türkenhe rrschaft das Ü berdauern der Institution
begünstigt haben. Aus neuerer Zeit läßt
sich nachweisen, daß katholische und orthodoxe
Christen, die eine solche kirchenrechtlich verbotene
Ehe schließen wollten, sich an den Kadi
wandten. 51 ) Das mag auch früher so gewesen sein.
Sicher war es für die christlichen Kirchen im Reich
eines islamischen Herrschers weniger leicht, ihre
eherech tlichen Normen in der Bevölkerung
durchzusetzen. Das mag für die Entwicklung des
Levirats im westlichen Balkanraum wohl von
Bedeutung gewesen sein. Seine Entstehung verdankt
es jedoch weder dem Islam noch einer der
anderen heute hier existierenden Religionsgemeinschaften.
Es gehört viel mehr zu jenem „patriarchalen
Muster“, das in diesem Raum wohl
schon seit vorchristlicher Zeit eine spezifische
Sonderentwicklung der Familien- und Gesellschaftsentwicklung
bewirkt hat, die bis in die
Gegenwart nachwirkt. 52 )
Die Ve rbreitung des Levirats im westlichen
Balkanraum stimmt im wesentlichen mit jenem
Gebiet überein, in dem seit alters auch der Brautkauf
üblich war. 53 ) Dementsprechend findet sich
hier auch die Sitte des Brautlevirats, bei dem die
gekaufte Braut im Falle des vorzeitigen To des des
Bräutigams an dessen Bruder übergeht, bzw. die
Witwenerbschaft in allgemeinerer Form, bei der
nicht nur der Bruder, sondern auch andere
Agnaten des Ve rstorbenen als zweiter Gatte in
Frage kommen. Die Ethnologin Mary Durharn
berichtet 1907 vom Fall eines katholischen
Albaners der zunächst die Witwe seines Onkels,
dann die seines Bruders übernahm und sich
schließlich noch mit einer Frau eigener Wahl
verband. 54 ) Diese enge Beziehung zwischen
Levirat und Brautkauf schließt freilich nicht aus,
daß die Schwagerehe neben der Sicherung des
erworbenen Besitzes auch einer anderen Funktion
diente, nämlich der der stellvertretenden Zeugung
von Nachwuchs für den verstorbenen Bruder. In
Albanien wurde das erste Kind einer Witwe, das
innerhalb der Frist von vier Jahren nach dem Tod
des Gatten zur We lt kam, als von diesem stammend
betrachtet, auch wenn die Witwe sich außerhalb
der Hausgemeinschaft wiederverehelichte.
55 ) Eine solche Vo rstellung hat sicher
nichts mit Unwissenheit über die tatsächliche
Dauer der Schwangerschaft zu tun, sondern wohl
so Milenko Filipovic, Levirat i sovorat kot 5rba, Hrvata i Arbanasa, in: Rad Vojvodjanskih Muzeja 3, 1954, 5.139ff.
51 Derselbe MarriaO’e and Divorce of Christians by Moslem Magistrates during the Tu rkish Peroid, in: E.A. Hammel u.a.
(Hgg.), Among the People. native Yu goslav Ethnography. 5elected Wri ting of Milenko F. Filipovic, Ann Arbor 1982, 5.163.
52 Kaser, Hirten, 5.269ff., derselbe, Familie, S.62ff., derselbe, Ahnenkult, S.1 12ff. Kaser spricht i􀥌 d! esem Zusammenhang
mehrfach von „illyrischem Erbe“. Über autochthone Traditionen h 􀀻 naus könnte dieses 􀥍orchn􀥎 thche 5ub􀀼‘
trat auch auf
zugewanderte slawische Stämme zurückzuführen sein. Vgl. dazu Michael Mmerauer, Edm arhaicen rehk? Balkanskoto
semejstvo“ w diskusija, in: Balkanistic Forum 2, 1994, 5.15ff.
5; Kas er, familie, S.l60ff. Zum Brat.�devirat: Peinsipp, Das Volk der Shkypetaren, S.88 und 96.
5< Durham, 5ome tribal origins, 5.203. Ähnlich berichtet Erlich, The Last Big Zadrugas, 5.247, noch in den sechziger Jahren
von zwei Witwen in einer Zadruga, von denen die eine mit dem Bruder die andere mit dem Onkel des verstorbenen Gatten
verheiratet wurde.
55 Peinsipp, Das Volk der 5hkypetaren, 5.96. Dementsprechend wurde jede Witwe innerhalb der ersten vier Ja􀀽re nach 􀀾e 􀥏
Tod des Gatten von der Hebamme untersucht, „damit sie nicht einen Nachkommen des Verstorbenen Im Leibe wegtragt
( ebda, 5. 97).
64
MEDIUM AEVUM QUOTIDIANUM 3 5 (Krems 1996)
OTIVM 3/1-2 (1 995.), str. 53-70, M. Mitterauer, Die Witwe des Bruders
mit der Fiktion der p o s thumen Zeugung von
Nachkommenschaft durch einen Stellvertreter, die
für das Phänomen des Levirats so charakteristisch
ISt.
Das Prinzip der stellvertretenden Zeugung von
Nachkom menschaft begegnet im Verbreitungsgebiet
von Levirat und patrilinear-komplexen
Familienformen im westlichen Balkanraum in
verschiedenen Varianten. Milenko Filipovic hat
ihm für die serbisch b zw. kroatisch besiedelten
Gebiete eine eigene Untersuchung gewid-met. 56 )
Wurde von b zw. für kinderlose Frauen ein
„Zeugungshelfer“ außerhalb der Familie gesucht,
so wandte man sich oft an einen heiligen M􀨰nn –
einen M önch oder einen Pop en. 5 7 ) In Großfamilienhaus
halten dürfte es jedoch – ähnlich wie
dies aus Ungarn berichtet wird5 8 ) – viel häufiger
gewesen sein, daß die stellvertretende Zeugung
von einem Bruder oder auch vom Vater des Gatten
vorgenommen wurde. 59 ) Für sexuelle Bez
i e h u n g e n z w i s c h e n S c h w i e g e rv a t e r u n d
Schwiegertochter innerhalb d e r Hausgemeinschaft
verfügen die slawischen Sprachen über
einen e i genen Begriff, nämlich „snochatchestvo“.
60 ) Solche Beziehungen sollen in
Zedrugas früherer Zeiten häufig vorgekommen
sein. Filipovic bringt sie vor allem mit dem Brauch
in Zusammenhang, Knaben vor der Geschlechtsreife
:nit bereits geschlechtsreifen Frauen zu
verheiraten. Aufkommen und Verbreitung dieses
Brauchs sieht er vor allem als Gegenstrategie der
christlichen Bevölkerung gegen die unter der
Türkenherrschaft übliche „Knabenlese“, durch die
unverheiratete Söhne ihren Eltern weggenommen
und in 􀀺.as Janit s charenkorps eingegliedert
wurden. Okonomische Gründe hätten dann zur
Persistenz dieses B rauches b e igetragen. Das
Interesse an weiblichen Arbeitskräften hätte in
den großen Hausgemeinschaften dazu geführt, die
eigenen Söhne möglichst früh, die Töchter aber
möglichst spät zu verheiraten.6 1 ) Die altersungleichen
Ehen in Zadrugas des westlichen Balkanraumes
waren aber wohl nur einer der Gründe für
die Häufigkeit von „snochatchestvo“. Ebenso
wirkte wahrscheinlich die lange Abwesenheit
junger Ehemänner durch Wanderarbeit in diese
Richtung. Wie auch immer – „snochachestvo“ war
– wie allein schon die Existenz einer speziellen
Bezeichnung andeutet – eine sexuelle Beziehung
innerhalb der Hausgemeinschaft, die nicht als
grundsätzlich widerrechtlich angesehen wurde.
Kinder, die aus solchen B e ziehungen hervorgingen,
galten als legitim und wurden dem rechtlichen
Vater zugerechnet. Ebenso verhielt es sich
bei stellvertretender Zeugung, die von einem in
Hausgemeinschaft lebenden Bruder i m Falle der
56 Milenko Filipovic, Vicarious Paternity Among Serbs and Croats, in: Among the People, S. 1 1 7ff.
57 Filipovic, Vicarious Paternity, S.1 1 9ff. Der stellvertretenden Zeugung durch einen „heiligen Mann“ liegt offenbar die
Vorstellung zugrunde, daß durch ihn die Gottheit wirkt. Zu solchen Vor-stellungen analog zur Ersatzzeugung im Levirat
für Indien Werner F. Menski, Geschlechterrollen bei den Hindus, in: Martin und Zoepfel, Aufgaben, Rollen und Räume,
S.31 4f., D.F.S. Fernando, Marriage and Demarriage in some Asian Civilizations, in: Jacques Dupacquier et al. (Hgg.),
Marriage and Remarriage in thc Past, London 1981, S.92.
58 Gunda, Structure 45.
59 Filipovic, Vicarious Paternity, S . 1 2 1 .
r,o Der Begriff bzw. der ibm zugrundeliegende Sachverhalt scheint vor allem in Rußland weit v􀥐rbreitet gewesen zu sein (Mark.
0. Kosven, Semejnaja obscina i patronimija. Izdatel’stvo Akademii nauk SSSR, Moskau 1 963, S.75). I n seinen „Studien
über die inneren Zustände, das Volksleben und insbesondere die ländlichen Einrichtungen Rußlands“ berichtet 1 847 Freiherr
von Haxthausen: „Bei diesen frühen Heirathen, wo einem Knaben, einem Kinde, ein junges mannbares Weib angetraut wurde,
entwickelte sich meistens und in der Regel ein skandalöses Verhältnis. Der Schwiegervater nämlich lebte dann mit der
Schwiegertochter im Concubinat.“ (Haxthausen 1, Hannover 1 847, S . l 29). Schon im ausgebenden 1 8 . Jahrhundert wenden
sich vier kaiserliche Edikte gegen ungleiche Heiraten von Knaben mit erwachsenen Frauen, weil sie unvermeidlich zu Sünde,
Inzest und mitunter sogar zu Vatermord führten (Peter Czap, Jr., Marriage and Peasant Joint Family in the Era of … dom,
in: David L. Ransel (Hg.), The Family in Imperial Russia. New Lincs of Historical Research, Urbana-Champain 1 976, S.109.
das Phänomen des „snocharchestvo“ begegnet also auch hier im Zusammen-hang mit patrilinear komplexen Familien formen,
allerdings nicht mit dem Levirat.
61 Filipovic, Vicarious Paternity, S . 1 2 1 f.
6 5
MEDIUM hEVUM QUOTIDIANUM 35 (Krems 1 996)
OTIVM 3 / 1 -2 ( 1 995.), str. 53-70, M. Mitterauer, Die Witwe des Bruders
Zeugungsunfähigkeit des Gatten vorgenommen
wurdeY ) Die letztere dürfte in Serbien schon im
Mittelalter üblich gewesen sein. Ein Verbot der
Serbischen Kirche, das einer kinderlosen Frau
untersagte, das Bett einer anderen Frau zu benützen,
um schwanger zu werden, kann wahrscheinlich
in diesem Sinn interpretiert werden 63 ) .
„Snochachestvo“ und stellvertretende Vaterschaft
durch Bruder oder Vater des Gatten basieren
jedenfalls auf demselben Denkmodell, das
zwischen außerehelichen Beziehungen innerhalb
und außerhalb der Patrilinie unterscheidet. Beide
gehören in eine Vorstellungswelt, der sich auch d.is
Levirat zuordnen läßt.M ) Wird „snochatchestvo“
praktiziert, bevor der junge Gatte die Geschlechtsreife
erreicht hat, so erfüllt er vor der Pubertät
dieselbe Aufgabe, die nach dem Tod das Levirat
erfüllt. Auch stellvertretende Vaterschaft erscheint
als eine solche Vorwegnahme. Der Gedanke, daß
der Gatte durch einen Agnaten vertreten werden
kann, ist für das Konzept des Levirats essentiell.
Er gehört in ein umfassenderes Muster einer von
patrilinearem Abstammungsdenken geprägten
Mentalität. Daß sich im westlichen Balkanraum
trotz der Gegnerschaft der christlichen Kirchen
die archaische Institution des Levirats so lange
erhalten hat, deutet auf eine besondere Stärke und
Beharrungskraft eines solchen Denkens in diesem
Raum.
Ein Gebiet am äußersten Rand der christlichen
Ökumene gelegen, in dem Levirat i m Kontext
einer patrili near-komplexen Familienverfassung
begegnet, i s t die Kaukasusregi o n Y ) M i t dem
westlichen Balkanraum hat sie viele Gemeinsamkeiten.
Vom Naturraum h e r eine s c hwer zugängliche
Gebirgsregion, wirtschaftlich vom
Pastoralismus bestimmt, gesellschaftlich noch
stärker durch das Überleben archaischer Stammesverfassungen
geprägt. Wie auf dem Balkan haben
Christianisierung und Islamisierung auf diese alten
Ordnungen eingewirkt, hier alle rdi ngs mit noch
geringerer Tiefenwirkung. Vor allem der Einfluß
des C h ri s tentums war in vielen Regionen des
Kaukasusgebiets nur in einer mehr oder minder
langen Übergangsphase wirksam und blieb dementsprechend
oberflächlich.66 ) Für das Überdauern
von Levirats -Traditionen ist dieser Umstand
sicher bedeutsam.
Das Levirat findet sich in der Kaukasusregion in
historischen Zeiten bei allen im Gebirge lebenden
Stämmen, und zwar – ebenso wie auf dem Balkan
– unabhängig von sprachlicher, ethnischer und
religiöser Zugehörigkeit 67 ) . Die Vielfalt solcher
Gruppen ist im Kaukasus noch weit höher als auf
dem Balkan. Von den religiösen Einflüssen scheint
hier eher der des Islams bedeutsam als der des
Christentums. Unter dem Einfluß des Islams hat
sich nämlich in neuerer Zeit eine Entwicklung vom
obligatorischen Levirat, wie er sich in Bestimmungen
der älteren Stammesrechte findet, zum
opt ionalen abgespielt. Eine We itergabe von
Witwen in der Familie gegen ihren Willen ist ja
durch den Koran untersagt. Der Islam hat also hier
auf eine schon bestehende Institution modifi-
62 Aus dieser Tradition dürfte es zu erklären sein, daß beim Aufkommen der künstlichen Befruchtung in der jüngsten Vergangenheit
sehr häufig ganz selbstverständlich der Bruder des Gatten als Samenspender gewählt wurde. Die „stellvertretende
Vaterschaft“ des nächsten patrilinear Verwandten wird in veränderter Form weiter geführt (Filipovic, Vicarious Paternity,
5.1 24).
63 Ebda, 5.124.
61 Zu solchen Zusammenhängen zwischen Geschlechtsverkehr mit Agnaten des gatten in komplexen Familien, stellvertretender
Vaterschaft des Bruders und Levirat an Beispielen im interkulturellen Vergleich Goody, The Oriental, S . 1 5 1 f. Unter
Eibbeziehung des Witwenkonkubinats derselbe, Production, 5.43. Beim Witwenkonkubinat bringt die Frau, für die der
Brautpreis bezahlt wurde, nach dem Tod in dessen Namen Kinder zur Welt, gleichgültig ob sie mit einem nahen Verwandten
zusammenlebt oder nicht. Die eigenartigen Zurechnungsverhältnisse in Albanien (Peinsipp, Das Volk der Shkypetaren, S.96f)
könnten auf diesem Hintergrund eine Erklärung finden. Zum Witwenkonkubinat bei den Osseten vgl. n. Anm.69.
’s Louis Luzbetak, Marriage and the Family in Caucasia. A contribution to the Study of North Caucasian Ethnology and
Cusromary Law, Wien-Mödling 195 I, 5.71 ff.
66 Luzbetak, Marriage, 5.191 f.
67 Ebda, 5.73.
66
MEDTIJM AEVUM QUOTIDIANUM 35 (Krems 1996)
OTIVM 3/ 1 -2 ( 1 995.), str. 53-70, M. Mitterauer, Die Witwe des Bruders
zierend gewirkt. Für ihr Aufkommen ist er sicher
nicht als Erklärung heranzuziehen.
Wie im westlichen Balkanraum gibt es auch in der
Tradition der Stammes gesellschaften des Kaukasus
eine Entsprechung zwischen Levirat und
Brautkauf Die junge Frau, für die der B rautpreis
bezahlt wurde, wird als Eigentum jener Familie
angesehen, die ihn erbracht hat.68 ) Dementsprechend
ist nicht nur die Schwagerehe, sondern
auch die Witwenerbschaft insgesamt sehr verbreitet.
Die Stiefmuttererbschaft begegnet häufig,
seltener d i e Schwiegertochtererbs chaft. Man
würde dem Phänomen von Schwagerehe und
Witwenerbschaft allerdings nicht gerecht, wenn
man es nur von der besitzrechtlichen Seite betrachtet.
Bei den Osseten lassen sich die Verhältnisse,
wie sie vor dem Übergang vom obligatarischen
zum optionalen Levirat weiter verbreitet
gewesen sein dürften, am besten fassen.69 ) Der
Witwe war es nicht erlaubt, außerhalb der Familie
ihres verstorbenen Gatten eine zweite Ehe einzugehen.
Der Vater, Bruder oder Sohn des Verstorbenen
mußte sie als Frau übernehmen, auch
wenn er selbst schon verheiratet war. Die zweite
Ehe wurde bloß als Fortsetzung der ersten gedacht
und das war nur m i t einem nahen Agnaten
möglich. Die Kinder aus der zweiten Ehe galten
als Söhne und Töchter des Verstorbenen. Sie
erhielten seinen Namen und wurden seine rechtmäßigen
Erben. Wenn die Witwe keinen Schwager,
Schwiegervater oder Stiefsohn hatte, so mußte sie
unverheiratet bleiben. Allerdings konnte sie ein
rechtlich anerkanntes Konkubinat eingehen. Wie
die Kinder aus der Zweitehe mit einem Agnaten
des Ve rstorbenen wurden auch die aus einem
solchen Konkubinat dem Toten zugerechnet. Das
galt keineswegs nur für den ersten Sohn oder die
innerhalb einer bestimmten Jahresfrist geborenen
Kinder, wie dies aus Albanien berichtet wird,
sondern lebenslänglich. Louis Luzbetak, der den
Familienverhältnissen der Bergstämme im Kau-
68 Ebda, 5.74.
69 Ebda, 5.132.
70 Ebda, 5.132.
7′ Ebda, 5.74f.
kasus eine interkulturell vergleichende historischanthropologische
Studie gewidmet hat, deutet
diese traditionelle Verhaltensweise der Witwe bei
den Osseten als ein Zeichen dafür, daß die Ehe
grundsätzlich als durch den Tod unauflösbar
angesehen wurde. In Anspielung auf die alttestamentlichen
Formulierungen des Zwecks der
Schwagerehe formuliert er: „The marriage and
concubinage had only one purpose: to ‚raise seed‘
and ‚build up the h,ouse‘ of the deceased till the
wife would once again j o i n him in the other
world.“70)
Ganz ähnlich wie im westlichen Balkanraum findet
sich auch in der Kaukasusregion ein Zusammenhang
zwischen Witwenübertragung innerhalb der
patri Iineal-komplexen Haushai tsgemeinschaft
nach dem Tod des Gatten und erlaubten Sexualbeziehungen
zu dessen Lebzeiten. D i e von
russischen Ethnographen für diese Institution
gebrauchte Bezeichnung ist sogar dieselbe wie die
bei den slawischen Balkanvölkern übliche, nämlich
„snochatchestvo“.71 ) Die Ausgangssituation ist
die Verheiratung eines Knaben vor der Pubertät
mit einem erwachsenen Mädchen. Dem Schwiegervater
ist es nun erlaubt, mit der Schwiegertochter
Geschlechtsverkehr zu haben wie mit seiner
eigenen Frau. Das Verhältnis wird als ein rechtmäßiges
Konkubinat angesehen und darf fortgesetzt
werden, bis der Sohn mündig ist. Die aus
diesem Konkubinat hervorgehenden Kinder
werden rechtlich dem noch nicht herangewachsenen
Sohn zugerechnet, manchmal auch zur
Hälfte ihm und zur Hälfte dem Vat e r. D i e
Institution erscheint hier als eine klare Parallele
zur Witwenerbschaft im allgemeinen und zum
Levirat im besonderen. Auch hier liegt die Idee der
stellvertretenden Zeugung von N achkommenschaft
zugrunde. D e r Vater vertritt den Sohn,
solange er noch nicht zeugungsfähig ist. Und er
wird es vielleicht wieder tun, wenn d e r Sohn
verstirbt. Im Normalfall aber ist das dann schon
die Aufgabe eines Bruders.
6 7
MEDIUM AEVUM QUOTIDIANUM 35 (Krems 1996)
OTIVM 3/1-2 ( 1 995.) , s tr. 53-70, M. Mitterauer, Die Witwe des Bruders
Die Institution des „snochatchestvo“ als erlaubte
Sexualbeziehung unter Nichtverheirateten innerhalb
d e r Hausgemeins chaft hat nichts m i t
sexueller Freizügigkeit z u tun. Sexuelle Beziehungen
waren und sind bei den Bergstämmen
der Kaukasusregion sehr streng geregelt.72 ) Verstöße
gegen sie wurden äußerst hart geahndet.
Genausowenig wie Witwenerbschaft und Levirat
hat die Institution des „snochatchestvo“ etwas mit
Gruppenehe oder Polyandrie zu tun. Die
ehelichen Rechte werden sukzessive, nicht gleichzeitig
ausgeübt. Die grundsätzliche Zurechnung
der Kinder zur ersten Ehe bei den Osseten deutet
sogar auf eine sehr dauerhafte Konzeption der
individuellen Ehebeziehung über den Tod
hinaus.73 ) In die Ehe als individuelle Beziehung
können freilich agnatisch verwandte Männer unter
besonderen Umständen eintreten – sei es schon zu
Lebzeiten, sei es nach dem Tode, stets mit der
Aufgabe der ersatzweisen Zeugung von Nachkommen.
In dieser Aufgabe der Reproduktion der
Patril.inie ist eine wechselseitige Vertretung unter
den Männern der patrilinear-komplexen Hausgemeinschaft
m ö glich. D i e gemeinsame Verantwortung,
aus der ein solches Stellvertreterdenken
stammt, ist durchaus analog jener Solidarhaftung
der Männer zu sehen, die in einem ganz
anderen Lebensbereich i n den Praktiken der
Blutrache zum Ausdruck kommt. In den Bergstämmen
des Kaukasus hat ja auch die Blutrache
eine besonders starke Tradition.74 ) Aus der Sicht
einer individualisierten Gesellschaft sind solche
Ausdrucksformen der Identifikation des einzelnen
72 Ebda, S.1 80ff.
7) Ebda, S.132.
mit der Gruppe der Agnaten schwer verständlich.
Der paradoxe Begriff des „Gruppen-Ego“, den die
Ethnopsychoanalyse verwendet, kann ein Versuch
sein, sie verbal zu fassen.75 ) Daß gerade die Fortsetzung
der Patrilinie eine so wesentliche Aufgabe
ist, daß sie zu stellvertretender Zeugung durch
nächste Anverwandte führt, erklärt Luzbetak für
die Kaukasusregion aus religiösen Wurzeln: „The
m os t s ac r e d duty of t h e individual and of t h e
individual family is, or at least had been, to perpetuate
itself, and thus to perpetuate the cult of
the ancestors. It is a fact throughout North
Caucasus that only a son can perpetuate the family
and prevent the greatest calamity imagineable, the
extinction. „76 )
Die Parallelen in der Familienverfassung zwischen
der Kaukasusregion und dem westlichen Balkanraum
beschränken sich nicht auf die Verbreitung
des Levirats. Viele andere Elemente, die sich zu
einem funktional zusammenhängenden Muster
fügen, begegnen hier wie dort. Das patrilineare
Verwandtschaftssystem ist in diesem Zusammenhang
zu nennen, die Patrilokalität, der Patriarchalismus,
die starke Polarisierung von Geschlechterrollen
und geschlechtsspezifischer
Arbeitsteilung, die ausgeprägte Bevorzugung von
Söhnegeburten, die in beiden Regionen zu einen
ungewöhnlich unausgewogenen Geschlechterverhältnis
zugunsren von Männern fü hrt/7 ) die
Hochbewertung von Fruchtbarkeit insgesamt, die
aus der Sorge um ein Aussterben der männlichen
Linie resultiert, der Ahnenkult, der s i ch in
christlicher Überformung auch auf dem Balkan
74 Ebda, D.70 et passim, für den Balkanraum Kaser, Hirten, S.275ff., Kaser, Familie, S.227ff., speziell für Albanien Peinsipp,
Das Volk der Shkypetaren, S.149ff.
75 Paul Parin, Der Widerspruch im Subjekt, Ethnopsycho-analythische Studien, Harnburg 1992, S.153ff.
76 Luzbetak, The Marriage, S.44.
77 Ebda, S.45ff. Kaser, Familie, S.1 40ff. Die von Richard Wagner, Children and Change in Orasac, 1 8 70-1975: A Serbian
Perspective on Fertility Decline, Amhurst 1 992, gebotene Erklärung für das Überwiegen des männlichen Bevölkerungsanteils
aus der herrschenden Männerideologie dürfte auch für den Kaukasus zutreffen. Diese kommt nicht bei den ersten, sondern
bei den letzten Geburten einer Frau zum Tragen. Zumeist ist es der Wunsch nach einem Sohn oder nach einem zusätzlichen
Sohn, der die familiale Reproduktion weitertreibt. Nach der Geburt des erwünschten Sohnes wird die Reproduktion
eingestellt. Um diese These zu überprüfen, muß man also die Letztgeburten auf ein Überwiegen von Knabengeburten
überprüfen.
68
MEDIUM AEVUM QUOTIDIANUM 3 5 (Krems 1996)
OTIVM 3/1-2 ( 1 995.), str. 53-70, M. Mitterauer, Die Witwe des Bruders
findet/8 ) die Blutrache als besondere Ausdrucksform
des Zusammengehörigkeitsbewußtseins in
der Patrilinie, vor allem aber die patrilinearkomplexe
Struktur der Hausgemeinschaft, die wir
als eine wesentliche soziale Rahmenbedingung des
Levirats kennengelernt haben. Manche dieser
Elemente und manche Zusammenhänge zwischen
ihnen sind im Kaukasus deutlicher zu fassen. Das
mag damit zusammenhängen, daß hier Überformungsprozesse
später einsetzten oder weniger
intensiv verliefen.79 ) Bezüglich des Levirats gilt
das vor allem für den Einfluß des Christentums.
Jedenfalls könnte eine interkulturell vergleichende
Betrachtung aus Übereinstimmungen und Unterschieden
Aussagen ermöglichen, die aus einer
isolierten Sicht nicht ohne weiters zulässig sind.
Vor allem gilt dies für die Frage des Alters der
spezifischen Formen der Familienverfassung in
den beiden Gebirgsregionen. Wenn neuerdings
etwa für den Balkanraum die Auffassung vertreten
wird, joint families wären hier erst unter der
Türkenherrschaft seit dem 1 8. Jahrhundert entstanden,
80 ) so kann der Ve“rgleich mit den Verhältnissen
i m Kaukasus bewußt machen, wie
wenig wahrscheinlich eine solche Annahme ist.
Die Diskussion um das Alter gewisser Elemente
der Familienverfassung in Südos teuropa wäre
durch eine solche komparative Vorgehensweise
wohl sehr klar zu entscheiden.
Methodisch gewagt mag es erscheinen, aus dem
interkulturellen Vergleich im historischen Längsschnitt
über Jahrhunderte, ja Jahrtausende hin
Schlüsse zu ziehen. Lassen sich ethnographische
Berichte über das Levirat aus dem 1 9. und 20.
Jahrhundert mit Erzählungen und Rechtsnormen
des Alten Testaments sinnvoll in Verbindung
bringen? Sicher – die Geschichte von Tamar, die
sich als Dirne verkleidet abseits des Weges für ein
Ziegenböckchen ihrem Schwiegervater Juda hingibt,
ist kein „snochatchestvo“ -Fall. Wieso aber
wurde die aus dieser Begegnung hervorgegangenen
Zwillingssöhne als legitim angesehen?
78 Kaser, Ahnenkult; Mitterauer, Edin archaicen relik?
Wieso konnte einer von ihnen sogar zum Träger
jener S tammlinie werden, der derart heilsbedeutsam
Versprechungen gemacht wurden? Im
Buch Deuteronomium ist nur von der Schwagerehe
die Rede, auf die in der Tamar-Erzählung auch
ausdrücklich Bezug genommen wird. Bedenkt
man die Rolle agnat ischer Verwandter in der
stellvertretenden Zeugung zur Fortsetzung des
Mannesstammes in patrilinearen Gesellschaften
der Moderne, so wird der soziale Kontext der
Geschichte verständlich. Die Analogie erschließt
zumindest mögliche Denkmuster der Interpretation.
D e r mentale Hintergrund von Leviratspraktiken
ist heutigem Denken insgesamt so
fremd, daß es eines solchen Zugangs bedarf. Das
bedeutet natürlich nicht, daß die e i genartige
Institution des Levirats, wo immer sie begegnet,
auf analoge Motive zurückgeführt werden dürfte.
Es geht bloß darum, das Spektrum möglicher
Erklärungen abzustecken. Und diesbe züglich
konnte auch der hier vorgelegte skizzenhafte
Vergleich einige Schwerpunkte erkennen lassen.
Geht man der Frage der Bedeutung des Todes für
die Familie im interkulturellen Vergleich bzw. im
epochenübergreifenden Längsschnitt nach, s o
führt die Institution d e s Levirats in sehr fremde
Vorstellungswelten. Die christlich-europäische
Ehekonzeption basierte durch zwei Jahrtausende
auf einer Bindung „bis daß der Tod euch scheidet“.
In J esu Antwort auf die Sadduzäerfrage ist etwa
diese Grenze deutlich angesprochen. Das Levirat
hingegen setzt ein Denken voraus, das die Frau
über den Tod des Mannes hinaus an ihn und seine
Familie bindet. Es steht damit für eine grundsätzlich
andere Auffassung über das Leben nach
dem Tod. Vorstellungen über dasJenseits bestimmen
soziale Beziehungen im Diesseits. Die relativ
große Entscheidungsfreiheit über den weiteren
Lebensweg, der Witwen in der europäischen Trad
i tion zugestanden wurde, war nur auf dem
Hintergrund eines Konzepts der Ehe möglich, in
dem diese durch den Tod als beendet gedacht
wurde.
79 Solche Übcrformungsprozesse für den Kaukasus im Überblick bei Luzbetak, Marriage, S.1 89ff.
80 Todorova, Balkan Family Structure. Vgl. o. Anm. 43.
69
:tviEDIUM AEVUM QUOTIDIANUM 35 (Krems 1 996)
OTIVM 3/1-2 ( 1 995.) , str. 53-70, M. Mitterauer, Die Witwe des Bruders
BRATOVA UDOVICA
Leviratski brak i obiteljske strukture
S a z e t a k
Praucava li se znacenje smrti za abitelj u interkulturalnaj usparedbi, adnasna presjeku kraz epahe, tada ustanava
levirata pakazuje naracita zanimljive meciuavisnasti. Gdjegad se pajavljuje – ad eurapskih plemenskih drustava
ranag srednjavjekavlja da carstva Sasanida, od Starog zavjeta da suvremenih azijskih i africkih drustava – ana
je indikatar za posebnosti u strukturiranju obitelji: za patrilinearno sloiene strukture, za svijest o podrijetlu u
muskoj liniji, najcesce i za kult predaka. U tom se kantekstu treba shvatiti i osnovno znacenje surjackog braka,
naime ielja da se muskarcu koji je preminuo bez djece osigura musko potamstvo udajom udovice za pokojnikova
brata. Krscanstvo se oduvijek odlucno opiralo ustanovi levirata, sto je u vezi s tipicna krscanskim poimanjem
obitelji, po kajemu, s jedne strane, podnj’etlo nema nikakvog utjecaja na osobni spas, dok se s druge strane pridaje
velika vainost monogamnom braku, koji poCiva na suglasnosti i zamisljen je kao doiivotna veza. Ove specificno
krscanske znacajke Htjecale su na razvoj obitelji u Europi.
Drugaciji se razvaj moie pratiti na zapadnom dijelu balkanskogpoluotoka i u Ugarskoj, gdje su se sve do u 20.
st. zadriali elementi obvezatnog levirata. Oni se i ovdje poklapaju s patrilinearna-kompleksnim abiteljskim
strukturama, tj. s puno diskutiranom zadrugom, o cijoj se starosti zahvaljujuCi ovim vezama moie doCi do
sigurnijih zakljucaka. Analagije izmectu Balkana i Kavkaza u pogledu ovih obiteljskih struktura potvrctuju
pretpostavku da su specificni odnosi na Baikanu nastavak starih tradicija sto su preiivjele usprkos kristzjanizaciji.
70
l\1EDIUM AEVUM QUOIIDIANUM 35
(Krems 1996)
OTIVM 3/1-2
(1995.)
V O RWO RT
Alltagsgeschichte ist ein Forschungsbereich, der nicht nur in starkem Maße interdisziplinären
Ansätzen und Methoden verbunden ist, sondern auch im besonderen von wissenschaftlicher
Kooperation bestimmt wird. Aus diesem Grunde freut es uns umso mehr,
daß wir Ihnen mit diesem Heft das Ergebnis einer solchen Zusammenarbeit präsentieren
zu können, die sich im Rahmen der Lehrtätigkeit der Herausgeber an der Central European
University in Budapest entwickelt hat. Otium, die kroatische Zeitschrift fiir Alltagsgeschichte,
und Medium Aevum Quotidianum, die in Österreich erscheinende internationale
Zeitschrift für Alltagsgeschichte und Geschichte der Sachkultur des Mittelalters,
bieten Ihnen hiermit eine gemeinsame Ausgabe, die vor allem Beiträge von Historikern aus
dem mitteleuropäischen Raum – aus Deutschland, Kroatien, Österreich, Slowenien und
Ungarn- enthält.
Das Generalthema des Heftes bezieht sich auf die Problemkreise „Familie und Alltag“ mit
besonderem Bezug auf „Familie und Tod“. Es werden dabei Fragestellungen angesprochen,
die für eine allgemeine Alltagsgeschichte ausgesprochene Relevanz besitzen.
Dies trifft besonders auf verschiedene Verbindungen zwischen ‚privatem‘ und ‚öffentlichem‘
Raum zu. Dusan Kos (Ljubljana) setzt sich mit adeligen Begräbnisritualen in Kärnten,
Zdenka Janekovüe-Römer (Zagreb) mit denen des Adels von Dubrovnik auseinander.
Erhard Chwoyka (Saarbrücken) behandelt das Motiv des „Ungleichen Paares“ vom 15.
bis zum 17 .Jahrhundert. Michael Mitterauer (Wien) konzentriert sich auf das Problem der
Schwagerehe. Elisabeth Vavra (Krems) untersucht die Reflexionen aufTodesf Quellen des Spätmittelalters und der frühen Neuzeit, während sich Dusan
Mlacovüe (Ljubljana), Katalin Szende (Sopron) und Brigitte Pohl-Resl (Wien) Familienaspekten
in der testamentarischen Überlieferung widmen.
Wir hoffenmit dieser Ausgabe Anstoß und Amegung zu weiterer und verstärkter wissenschaftlicher
Zusammenarbeit im Bereich der Alltagsgeschichtsforschung gegeben zu haben.
Neven Budak und Gerhard Jaritz
PREDGOVOR
Povijest je svakodnevice podrucje istrazivanja koje ne zahtijeva samo u velikoj mjeri interdisciplinamost,
nego je napose odredeno medusobnom suradnjom znanstvenika. Iz tog
razloga posebno nas veseli da ovim sveskom mozemo predstaviti plod takve suradnje, a
koji je nastao kao rezultat nastavnicke djelatnosti izdavaca na Central European University
u Budimpesti. Otium, hrvatski casopis za povijest svakodnevice, i Medium Aevum Quotidian
um, medunarodni casopis za povijest svakodnevice i materijalne kulture srednjeg
vijeka, koji izlazi u Austriji, odlucili su izdati zajednicki broj koji sadrZi priloge povjesnicara/
ki iz srednjoeuropskog prostora: Njemacke, Hrvatske, Austrije, Slovenije i Madarske.
Sredisnja se tema broja odnosi na „Obitelj i svakodnevicu“, s posenim osvrtom na „Obitelj
i smrt“. Pri tom se obraduju pitanja od izrazite vaznosti za opcu povijest svakodnevice.
To se odnosi pogotovo na razlicite veze izmedu „privatnih“ i „javnih“ sfera zivota.
Dusan Kos (Ljubljana) bavi se pogrebnim ritualima koruskog plemstva, a Zdenka Janekovic
(Zagreb) obraduje istu problematiku u vezi s dubrovackim patricijatom. Erhard Chvojka
(Saarbrücken) obraduje motiv „nejednakog para“ od 15. do 17. stoljeca, a Michael
Mitterauer (Bec) problern Ieviratskog braka. Elisabeth Vavra (Krems) proucava promisljanja
smrtnih slucajeva u autobiografskim izvorima kasnog srednjeg i ranoga novog vijeka,
dok se Dusan Mlacovic (Ljubljana), Katalin G. Szende (Sopron) i Brigitte Pohl-Resl
(Bec) posvecuju obiteljskoj problematici u oporukama.
Nadamo se da smo ovim izdanjem dali nov poticaj daljnjem intenziviranju znanstvene
suradnje na polju historije svakodnevice.
Neven Budak i Gerhard Jaritz
INHALT
Du5an Kos- WILLIAM’S LAST TEMPTATION ………………………………………………………. ……………………………………… 1-24
Zdenka Janekovic-Römer – „PRO ANIMA MEA ET PREDECESSORUM MEORUM“ ……. …. ….. 25-34
Erhard Chvojka- „NU IST SIE JUNK, SO IST ER ALT“ . . . . ………………………………………………………………………… 35-52
Michael Mitterauer-DIE WITWE DES BRUDERS ………………………………………………………………………………………… 53-70
Elisabeth Vavra – “ …W ANN ER NIT GOT WERE, AUCH SO HOCH DOBEN
IM HIMEL SEßE, WELLT ICH SEIN FEINDT WERDEN … “ ………………… 7 1 -8 4
Dusan Mlacovic – THE WORLD DOMINCHIELLUS MEC::IGNA …………… ………………….. . . . . ………….. 8 5 – 1 0 6
Katalin G . Szende- FAMILIES IN TESTAMENTS ……… ………………………………………………………… .. . . . . . . . . . . . . . … 1 0 7- 1 2 4
Brigitte Pohl-Resl – FAMILY, MEMORY AND CHARITY IN
LATE MEDIEVAL VIENNA ……….. . . . . . . . . . . . . . ……………………. . . . . . . . . . ………………. . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . 1 2 5 – 1 3 2
SADRZAJ
Dusan Kos – VILHELMOVO POSLJEDNJE ISKUSENJE … .. .. . . . …. .. …. .. .. .. .. ….. …. ….. .. .. .. ….. .. …. ……………… . …. .. .. .. 1-24
Zdenka Janekovic-Römer – „ZA DUSU SVOJU I SVOJIH PREDAKA“ . . ……………. . . . . ……………………… . . . . 25-34
Erhard Chvojka – „I TAKO, ONA JE MLADA, A ON JE STAR“ ……………………………………….. …………………. 35-52
Michael Mitteraue r – BRATOVA UDOVICA ………………………………………………………. …………………….. …………………….. 53-70
Elisabeth Vavra – “ … KADA NE BI BIO BOG I SJEDIO TAKO VISOKO NA NEBU,
POSTAO BIH NJEGOVIM NEPRIJATELJEM .. . “ ……………………………………………….. 71-84
Dusan Mlacovic -SVIJET DOMINCHIELLA MEC::IGNE ……. ………………………………………………………………… 85-106
Katalin G. Szende- OBITELJI U OPORUKAMA . ……………………………. . … ……….. …….. . .. ……… ……. … …. . . . . . . . . . . . . . . . . 107-124
Brigitte Pohl-Resl – OBITELJ, MEMORIJA I DOBROTVORNOST U
KASNOSREDNJOVJEKOVNOM BECU ……………… .. .. ……………….. ……………. …………. 125-132

/* function WSArticle_content_before() { $t_abstract_german = get_field( 'abstract' ); $t_abstract_english = get_field( 'abstract_english' ); $wsa_language = WSA_get_language(); if ( $wsa_language == "de" ) { if ( $t_abstract_german ) { $t_abstract1 = '

' . WSA_translate_string( 'Abstract' ) . '

' . $t_abstract_german; } if ( $t_abstract_english ) { $t_abstract2 = '

' . WSA_translate_string( 'Abstract (englisch)' ) . '

' . $t_abstract_english; } } else { if ( $t_abstract_english ) { $t_abstract1 = '

' . WSA_translate_string( 'Abstract' ) . '

' . $t_abstract_english; } if ( $t_abstract_german ) { $t_abstract2 = '

' . WSA_translate_string( 'Abstract (deutsch)' ) . '

' . $t_abstract_german; } } $beforecontent = ''; echo $beforecontent; } ?> */