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Auf der Suche nach Alltagen – der ‚Frauenalltag‘ im Mittelalter oder „Leicht hatten es die Frauen nicht“

Auf der Suche nach Alltagen –
der „Frauenalltag“ im Mittelalter oder „Leicht hatten es die Frauen nicht.“ *
BRIGITTE RATH, WIEN
Die Erforschung des Mittelalters hat in jüngerer Zeit nicht nur „den“ Alltag, sondern
auch „die“ Frau(en) entdeckt. Hohe Verkaufszahlen machen beide Themen für Verlage
schmackhaft und sorgen für eine große Anzahl von Neuerscheinungen. Das Interesse der
Rezipienten – sowie der Autoren – richtet sich in besonderem Maße auf jene Alltagsgeschichte,
die mit einer Geschichte der „kleinen Leute“ identifizi􀉻rt wird. Mitunter drängt
sich sogar die Frage auf, ob nicht „die Frauen“ als besonders beliebte Spezies der „kleinen
Leute“ herangezogen werden.
Innerhalb der „Frauenbewegung“ wurden zunächst seit den 60er Jahren in USA und
in den 70er Jahren im europäischen Raum Forderungen erhoben, die bislang kaum thematisierte
„Geschichte der Frauen“ zu behandeln. Auch auf Grund dieser Anregungen
(und im Zusammenhang mit dem „Mittelalter-Boom“ jüngerer Zeit) entstand eine große
Anzahl neuerer wissenschaftlicher Arbeiten, die sich den Frauen im Mittelalter zuwandten1
. In dieser Phase war es wichtig, die Geschichte der Frau möglichst allgemein und
breit darzustellen.
Die hier besprochenen Arbeiten wurden auch in Bezug auf diese Entwicklung ausgewählt.
Im Vordergrund des Beitrags steht jedoch die Frage, inwieweit sich „allgemeine“
Frauengeschichte des Mittelalters mit „dem“ Alltag „der“ Frau auseinandersetzt2.
Herangezogen wurden SHULAMITH SHAHAR, Die Frau im Mittelalter, EDITH ENNEN,
Frauen im Mittelalter, MARGARET WADE LABARGE, Women in Medieval Life,
und CLAUDIA OPITZ, Frauenalltag im Mittelalter3•
• Ennen, Frauen ( s. Anm. 3 ) , 82
1 Becoming Visible, Hrsg. B. Bridenthal/C.Koonz, Boston 1977; Aspects of Fernale Existence,
Proceedings from the St. Gertrud Symposium „Warnen in the Middle Ages“, Hrsg. Brite Carle
u.a., Kopenhagen 1978; Warnen in Medieval Society, Hrsg. Suaan Moaher Stuart, Pennsylvenia
1976, J.Aufl. 1980; The Role of Warnen in the Middle Ages, Hrsg. Rasmarie Thee Morewedge, Albany
1975; Joan M. Ferrante, Woman as Image in Medieval Literature. From the 12th Century to
Dante, Columbia 1975, 2.Aufl. Durharn 1985; die hier angeführten Beispiele sind zum Teil Aufsatzsammlungen,
die sich – trotz allumfassender Titel – mit speziellen Problemen auseinandersetzen.
2 Zu diesem Thema vgl. die bis dato umfassendste Zusammenschau in: Frau und spätmittelalterlicher
Alltag (Sitzungsberichte der Österreichischen Akademie d. Wissenschaften, phil.-hist.
Klasse, 473 = Veröffentlichungen des Instituts für mittelalterliche Realienkunde Österreichs 9}
Wien 1986. In diesem Sammelband einer Tagung von 1984 wurden Beiträge verschiedener Disziplinen
und unterschiedlicher Alltagsbegriffe vereint.
3 Shulamith Shahar, Die Frau … , Königstein/Taunus 1981, 2.Aufl. Frankfurt/Main 1983; Edith
49
Inhaltlich und zum Teil auch methodisch sind die Arbeiten von Shahar, Ennen und
Labarge ähnlich. Obwohl nicht explizit formuliert, erheben sie de facto den Anspruch,
die Situation von (ALLEN) Frauen im Mittelalter zu behandeln. Insofern wenden sie sich
also beinahe denselben Themen bzw. Gruppen von Frauen zu. Regentinnen, Edelfrauen,
Städterinnen, Bäuerinnen, Randgruppen und „Beterinnen“ („women who prayed“) finden
sich beinahe in allen diesen Büchern. Eine Kritik solcher Aufteilungen scheint hier jedoch
nicht angebracht. Der geographische Umfang schließt hauptsächlich Westeuropa ein.
Shahars Schwerpunkt liegt auf dem französischen, englischen, italienischen und deutschsprachigen
Raum, Ennen beschäftigt sich hauptsächlich mit dem deutschsprachigen Gebiet,
Labarge in erster Linie mit dem englischsprachigen Raum. Diese Präferenzen sind einerseits
mit der vorhandenen Quellen- und Literaturlage zu erklären, andererseits durch die
Herkunft der Forscherinnen begründbar. In der Begrenzung des Untersuchungszeitraums
unterscheiden sie sich. Während Labarge und Ennen den Zeitraum von 500 – 1500 bearbeiten,
schränkt Shahar ihn auf die Zeit zwischen 1200 und 1500 ein. Ähnlichkeiten sind
in der Quellenauswahl feststellbar, unterschiedliche Erkentnisinteressen bestimmen deren
Gewichtung.
Shulamith Shahars Untersuchung ist als erste neuere, umfassende4 und international
bekannt gewordene Forschung zum Thema „Frau im Mittelalter“ anzusehen. Ihr Verdienst
liegt nicht nur darin, eine Gesamtschau zu liefern, sondern auch daran, bewiesen
zu haben, daß „Frauenthemen“ auch für das Mittelalter ernsthaft und systematisch zu
bearbeiten sind. Eine beliebte Ausrede männlicher Wissenschafter ist und war es ja, daß
auf Grund der „schwierigen“ Quellenlage solche Themen nicht zu bearbeiten seien. Interpretationen
auf dem einen oder anderen Gebiet mögen vielleicht zu generalisierend sein,
als Diskussionsgrundlage sind sie jedoch von großem Nutzen. Shahar betont explizit, als
Grundlage ihrer Arbeit „das Verhältnis zwischen dem Vorstellungsbild von der Frau in
der Theologie sowie der Literatur und ihrem (der Frauen) wirklichen Status“5 anzusehen.
Inwieweit der „wirkliche Status“ zu sehr mit der rechtlichen Situation identifiziert wurde,
bleibt zu hinterfragen. Eine explizite Auseinandersetzung mit dem Alltag unterbleibt; was
gemeinhin mit „Alltag“ identifiziert wird, findet sich in einzelnen Kapiteln8•
Ennen, Frauen … , München 1984; Mar􀃽aret W. Labarge, Women… . A Small Sound of the
Trumpet, London 1986; Claudia Opitz, Frauenalltag … . Biographien du 13. und 14. Jahrhunden
(Ergebniue der Frauenforachung, 6) BMel 1986.
4 Ältere umfusende Arbeiten beschäftigten sich häufig im Rahmen der Kulturgeschichte mit
Frauen im Mittelalter: z.B. Max Bauer, Bilder aus dem Frauenleben, 2 Bde., München 1917;
Kar! Weinhold, Die deutschen Frauen in dem Mittelalter, 2 Bde., Wien 1882. Andere gehen von
Fragestellungen der Nationalökonomie aus: z.B. Kar! Bücher, Die Frauenfrage im Mittelalter,
Tübingen 1910. Noch in jüngerer Zeit wurde der Zugang über reine Bildbände gewählt: z.B.
Sibylle Harksen, Die Frau im Mittelalter. Daa Bild der Frau, Leipzig 1974.
5 Shahar, Die Frau, 10.
8 Shahar, Die Frau, 56-62 (Klosterleben). Vieles wird nur kurz angerissen, z.B.: „Die Te·
atamente wohlhabender Bürgerinnen, in denen sie über bewegliches Eigentum bestimmten, sind
insofern höchst aufschlußreich, als sie uns über Lebensstandard und materielle Kultur im bürgerlichen
Haushalt bis hin zu Kleidung, Bettzeug, Möbel und Geld detailliert Auskunft geben.“ (S.
50
Edith Ennen, deren wissenschaftliche Provenienz in der traditionellen Stadtgeschichtsforschung
liegt, entspricht in ihrer Beschäftigung mit Frauen im Mittelalter kaum den
Anforderungen der historischen Frauenforschung7• Ihrem in der Einleitung formulierten
Anspruch, „Entwicklungslinien herauszuarbeiten und nicht bei isolierten Einzelaussagen
stehenzubleiben“8, kommt sie nicht nach. Erika Uitz konstatiert daher m.E. völlig zu
Recht: „Das weit ausgreifende Thema wird ohne konzeptionelle Ansprüche anband zahlreicher
interessanter Beispiele dargestellt“9• Der Feststellung der Einleitung, daß es „unerläßlich
(sei), die wechselnden rechtlichen Bedingungen ihrer Lage, ihre gesellschaftliche
Stellung, ihren wirtschaftlichen Alltag im zeitlichen Wandel und der regionalen Differenzierung
zu erfassen“10, kommt Ennen am ehesten was den zeitlichen Wandel und die regionale
Differenzierung betrifft, nach. „Große Entwicklungen“ und „große Frauen“ scheinen Ennen
mehr zu beschäftigen als der/die Frauenalltag/e, an dem/denen sie nur sekundäres
Interesse zeigt. Eine Problematik, die sowohl bei der „Alltagsgeschichte“ als auch bei der
historischen Frauenforschung häufig auftritt, i􀆛t, daß falsche Eindrücke durch einzelne herausragende
Beispiele, die eher singulär denn repräsentativ sind, entstehen. Davor ist auch
Ennen nicht gefeit1 1 .
172, im Kapitel „Eheleben in der Stadt“). Es muß jedoch berücksichtigt werden, daß zum Entste·
hungszeitpunkt dieser Arbeit Ergebnisse der Alltagsforschung noch nicht in jenem Maß vorlagen
wie heute.
7 Vgl. z.B. die 1975 von Joan Kelly erhobene Forderung zu „Sex as a Social Category – Two
convictions are implicit in this more complete and more complex sense of periodization: one,
that women do form a diotinctive social group and, second, that the invisibility of this group in
traditional history is not to be ascribed to female nature.“ (dies. , The Social Relation ofthe Sexes,
in: Women, Hiotory and Theory. The Essays of Joan Kelly, Chicago-London 1984, 4); weiters
stellt sie die Frage: „What accounts for wo man ’s situation as „other“, and what perpetuates it
historically?“, ebda., 5; ferner geht sie auf die Implikationen des Gebrauchs von „sex as a social
category“ ein: „Our use of sex as a social category means that our conception of historical change
itself, aa a change in the social order, is broadened to indude changes in the relation of the sexes.“,
ebda., 8.
8 Ennen, Frauen, 29.
Erika Uitz, Rezension, in: Deutsche Literaturzeitung, Bd. 107, Heft 5/6, Berlin 1986, 405-
410.
10 Ennen, Frauen, 29.
11 Immer wieder tritt die Liebe zum Detail zutage: „Ein Verzeichnis von Hausrat auf den Burgen
Gerolstein und Kasselburg von 1381 nennt für Gerolstein 15 Betten, eine beträchtliche Menge von
Kissen, Laken und Decken aller Art, 25 Handtücher und 25 Tischdecken, drei Handfässer, zwei
Waschkessel, drei Töpfe und eine Pfanne; der Hausrat in Kasselburg war viel bescheidener, vor
allem was das Leinen angeht, es gab nur vier Betten, zwei Handfasser, drei Becken und einen
Topf.“ (Ennen, Frauen, 225). Auch in ganz anderem Kontext – und zwar in Bezug auf die Arbeit
von Shahar – zeigt sich ihre Freude am Detail. Inwieweit es jedoch sinnvoll sein kann, in der
Einleitung einer Gesamtschau eine Detailkritik an einer Vorgängerarbeit – die noch dazu z.T.
wohl auf Übersetzungsproblemen beruht – anzubringen, bleibt fraglich! ebda., 30.
51
Das Hauptziel von Margaret Wade Labarge, „social realities and everyday activities“12
zu erfassen, wird nicht eingelöst. „Queens“ und „Noble Ladies“ räumt sie natürlich mehr
Platz ein als „Townswomen and Peasants“. Häufig werden mit Hilfe von Einzelfällen
unreflektierte Verallgemeinerungen vorgenommen. Beispielsweise kann die Darstellung der
Lebensgeschichte der Hildegard von Bingen, die natürlich quellenmässig gut belegt ist,
sich daher auch anschaulich präsentieren läßt, nicht als typisch für Lebensgeschichten von
Klosterfrauen angesehen werden13. Auf Grund ihrer eher erzählenden Schreibweise ist
du Buch jedoch auch für „nicht anglophile“ Rezipienten gut und leicht zu lesen. Wie in
ihrem Werk „Medieval Travellers“14 gelingt es ihr auch hier, ein modisches Thema zum
„richtigen“ Zeitpunkt, marktgerecht verpackt zu präsentieren.
Versucht man/frau dem/den Alltagjen auf die Spur zu kommen, ist das in allen genannten
Publikationen schwierig. Der Begriff selbst scheint nur selten auf, wenn er erwähnt
wird, so geschieht dies unhinterfragt. Auch Fragen der materiellen Kultur, die in die Erforschung
des Alltagslebens miteinbezogen werden müssen, treten nur am Rande der erwähnten
Publikationen auf. Vorausgesetzt wird ein Allgemeinverständnis von Alltag, das je
nach Quellen- und Literaturlage Kleidung, Wohnen und Ernährung einschließt und auch
Außergewöhnliches nicht vergißt 15•
Schließen wir uns den von „Alltagstheoretikern“ geprägten Definitionen an und übernehmen
wir die anband von Gegensatzpaaren18 getroffenen Unterscheidungen zwischen
Alltag/Festtag, routinisiertem/nicht routinisiertem Verhalten usw., so finden wir in den
besprochenen Werken eher die Gegenbegriffe als den Alltag behandelt.
Auch die Forderung, die Alltagsforschung müsse sich auf die Suche nach dem ‚Lau-
12 Labarge, Women, XIV.
13 Labarge, Women, 101f.
H dies., Medieval Travellers. The Rich and the Restless, London 1982.
15 „Die Auuagen visitierender Bischöfe stimmten mit der Kritik der Moralschriften darin überein,
daß sie Nonnen der Eitelkeit bezichtigten und behaupteten, sie tanzten überaus gern und
hielten sich ebensogern Schoßhündchen.“ (Shahar, Die Frau, 60); „Die modische Tracht der Schweetern
ließ sich eheneowenig wie das Halten von Haustieren (Äffchen, Eichhörnchen, Vögel und vor
allem kleine Hunde) verbannen.“ {ebda.); – „Was trugen die Damen, was aßen und tranken sie
? ( … ) Man trug viel Pelz. ( … ) Fretherun kleidete sich nicht nur kostbar, sie aß und trank auch
gut. (Ennen, Frauen, 84, zum frühmittelalterlichen adeligen Frauenleben).
11 Vgl. dazu: Norbert Elias, Zum Begriff des Alltags, in: Materialien zur Soziologie des Alltags,
Hrsg. K. Hammerich/M. Klein, Opladen 1978, 22-29; Agnes Heller, Das Alltagsleben . .V ersuch
einer Erklärung der individuellen Reproduktion, Frankfurt 1978. – Neueste Ansätze diskutiert
Peter Borscheid, Alltagsgeschichte – Modetorheit oder neues Tor zur Vergangenheit?, in: Sozialgeschichte
in Deutschland III, Hrsg. W.SchiederfV. Sellin, Göttingen 1987, 78-100; vgl. auch:
Wolfgang Kaechuba, Mythos oder Eigensinn. „Volkskultur“ zwischen Volkskunde und Sozialgeschichte,
in: Volkekultur in der Moderne, Hrsg. Utz Jeggle u.a., Reinbek bei Harnburg 1986,
469-607; Norbert Schindler, Für eine Geschichte realer Möglichkeiten, in: Nathalie Z. Davis,
Humanismus, Narrenherrschaft und die Riten der Gewalt. Gesellschaft und Kultur im frühneuzeitlichen
Frankreich, Frankfurt/Main 1987, 328-349.
52
ten und Leisen‘, ‚Repetitiven‘ und ‚Habitualisierten’17 begeben, hat für die historische
Frauenforschung Gültigkeit. Die Deskription außergewöhnlicher und singulärer Erscheinungen,
mögen sie auch dazu beitragen, ein besonders „kulinarisch-buntes“ Bild „der“
Frau im Mittelalter zu zeichnen, muß zugunsten systematischer Fragestellungen aufgegeben
werden. Um diesem Desiderat nachzukommen, ist vor allem eine intensive Quellenkritik
erforderlich, die bisher – zumindest im Bereich der historischen Frauenforschung
– kaum geleistet wurde18. Auch muß sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt die historische
Frauenforschung lösen von Gesamtüberblicken, die z.T. generalisierend sein müssenie und
die für die Traditionsbildung einer neuen Richtung ausgesprochen wichtig waren (sind).
Für eine Weiterentwicklung ist nun jedoch die Bearbeitung abgegrenzter Themenbereiche
notwendig, für die die oben genannten Forderungen sicher leichter zu erfüllen sind20.
Zu behandeln wäre von einer „historischen Frauenforschung“ wohl auch die Unterscheidung
von Männer- und Frauenalltag, ein Gegensatzpaar, das in der bisherigen Diskussion
der „Alltagsforscher“ kein Gewicht hatte. Neueste Tendenzen zeigen, daß die
„Gender“-Forschung oder „Geschlechtergeschichte“ bereits die „historische Frauenfor-
17 Gerhard Jaritz, Das ‚Neue‘ im ‚Alltag‘ des Spätmittelalters: Annahme-ZurückweisungFörderung,
in: Alltag und Fortschritt (Sitzungsberichte der öster. Akademie d. Wissenschaften,
phil.-hist. Klasse Bd. 470 = Veröffentlichungen des Instituts für mittelalterliche Realienkunde
Österr. 8) Wien 1986, 91 f.; Borscheid, Alltagsgeschichte, 95.
18 Interessante Ansätze dazu bietet Frau und spätmittelalterlicher Alltag, (vgl. Anm. 2).
u Vgl. dazu die richtungsweisende Arbeit von Fernand Braudel, Sozialgeschichte des 15.-18.
Jahrhunderts. Der Alltag, München 1985; Dimensionen der Gefahr einer ‚falschen‘ Popularisie·
rung des Themas, zeigen sich in der Ankündigung des Verlags zu: Anne Echols/Marty Williams,
Between Pit and Pedestal. Women in the Middle Ages, Oxford-New York-Hamburg: Berg Publishers,
angekündigt für Juli 1988, dessen Inhalt im Verlagsprospekt folgendermaßen beschrieben
wird: „Women in the Middle Ages managed huge estates, ruled countries, won tennis matches,
became spies, went to war, composed poetry, took the veil, studied medicine, presided as judges,
cast evil spells on their neighbours, affered pleasure at a price, and were an economic force to be
reckoned with in a number of more respectable (although not older) professions.“
20 Vgl. z.B.: Lea Lydia Otis, Prostitution in Medieval Society. The History of an Urban Insti·
tution in Languedoc, Chicago-London 1980; Judith M. Bennett, Women in the Medieval Englisch
Countryside. Gender and Bousehold in Brigstock before the Plague, New York-Oxford 1987;
Martha C. Howell, Women, Production, and Patriarchy in Late Medieval Cities, Chigago 1986;
Penny Schine Gold, The Lady and the Virgin. Image, Attitude, and Experience in 12th Century
France, Chicago-London 1985; Middeleeuwers over vrouwen, Hrsg. R.E.V.Stuip/C. Vellekoop, 2
Bde., Utrecht 1985; Christiane Klapisch-Zuber, Women, Family, and Ritual in Renaissance Italy,
Chicago-London 1985; Women ofthe Medieval World, Hrsg. Julius Kirshner/Suzanne F. Wemple,
New York 1985; Natalie Zernon Davis, Humanismus ( vgl. Anm.16); Maria Consiglia de Matteis,
Idee sulla Donna nel Medioevo: fonti e aspetti giuridici, anthropologici, religiosi, sociali e letterari
della condizione feminile, Bologna 1982. – Einen Überblick über die neueren Untersuchungen im
und über den deutschsprachigen Raum: Michel Parisse, Les femmes au Moyen Age. Recherehes
en Allemagne et sur l’AIIemagne, in: Bulletin d’lnformation de Ia Mission Historique Fran􀈼aise
en Allemagne, Bd. 13, Göttingen 1986, 27-40.
53
schung“ abzulösen scheint. Es muß jedoch bedacht werden, daß damit ein von Frauen
„okkupiertes“ Gebiet der Wissenschaft nun von dem traditionell in der Wissenschaft vorherrschenden
Geschlecht wieder zurückerobert werden könnte !
Bis auf Claudia Opitz erhebt keine der genannten Autorinnen den Anspruch, der
„historischen Frauenforschung“ anzugehören21 • Der von dieser Richtung oft gestellten
Forderung, schon bekannte Quellen mit neuer/anderer Sichtweise bzw. mit neuen/anderen
Fragestellungen zu konfrontieren, versucht sie in ihrer Untersuchung nachzukommen. Die
obengenannten Kritikpunkte treffen für sie nur modifiziert zu. Als einzige der behandelten
Untersuchungen erwähnt sie auch direkt den Begriff „Frauenalltag“. Weiters unterscheidet
sie sich dadurch von den bisher genannten Publikationen, daß sie sich einer
gesonderten Quellengruppe annimmt – Hagiographien, „Miracula“ und „Kanonisationsakten“.
Ihre Untersuchung ist sowohl geographisch („flandrisch- brabantischen Raum (mit
Nordfrankreich), dem Deutschen Reich (mit angrenzenden Ostgebieten) und Italien (mit
Provence)“)22, als auch zeitlich eingeschränkt (13.-14. Jahrhundert).
Anzumerken ist, daß sie den Alltagsbegriff verwendet, obwohl sie nicht angibt, was sie
unter Alltag versteht. Im Rahmen eines solchen „Alltags“ werden verschiedene Stadien im
Lebenszyklus von Frauen untersucht: Kindheit, weibliche Sozialisation, Ehe, Mutterschaft
und Witwen. Beispiele aus dem Inhaltsverzeichnis sollen das veranschaulichen: „EIN
WEG INS LEBEN: WEIBLICHE SOZIALISATION: Spiel und Unterricht; Kinderarbeit,
Mädchenarbeit – Hausarbeit?; Das Beziehungsnetz der Mädchen; Mütterliche Schwestern,
väterliche Brüder; Geteiltes Leid … : Gleichaltrige und Freundinnen; EHELEBEN IM
13. JAHRHUNDERT: Männerphantasien: Die absolute Vormachtstellung des Ehemannes;
( … ) Vereint zu Essen und Schlaf: Ehelicher Alltag; DIE LAST MIT DER LUST:
EHELICHE UND AUSSEREHELICHE SEXUALITÄT: Körper und Macht: Eheliche Sexualität;
Eine „quantite negligeable“? – Die weibliche Libido; … ; DIE PFLICHT DER
FRAUEN: MUTTERSCHAFT: ( … ) Jenseits der Norm: Vaterliebe; „VOM JOCH DER
EHE BEFREIT … „: WITWEN: Wohlhabende und versorgte Alleinstehende; Hilfsbedürftig
und abhängig: die armen Witwen; Der zweite Versuch: Wiederverheiratung; ( … )“. Ihre
Darstellung hängt mit der in der Einleitung formulierten Zielsetzung zusammen: „Dabei
möchte ich verstehen lernen, wie die ( … ) Differenzen innerhalb der einzelnen Stadien weiblicher
Existenz auf Frauen. und deren Lebensgestaltung einwirkten und wie Frauen damit
umgingen, wo sie den Normen folgten, wo sie von ihnen abwichen und wie dies von ihrer
Umwelt erlebt wurde“23. Diese Aussage wird in der Zusammenfassung bekräftigt: es kann
„eine breite Skala weiblicher Alltagserfahrungen und Lebenszusammenhänge erfaßt und
21 Vsl. auch: Claudia Opitz, Weibliche Biographien des 13. Jahrhunderts zwischen hagiographischer
Topik und historiographieeher Fragestellung, in: Die Ungeschriebene Geschichte, Hrsg.
Wiener Hi.torikerinnen ( Frauenforschung Bd.3) Wien 1984; diee., “ . . . zu schriben von gutten
und eelsen 1chwe1tren uebung“. Frauenmystik und geistliche Literatur in südwestdeutschen Frauenklöstern
dea Spätmittelalters, in: Die Frauenfeder 2, Weingarten 1986, 75-104; dies./Elieabeth
Schraut, Frauen und Kunet im Mittelalter, Ausetellungskatalog, Braunschweig 1983.
22 Opits, Frauenalltag, 11.
23 Opitz, Frauenalltag, 12.
54
beschrieben werden“24. Die ausführilchen Darstellungen und interessanten Fragestellungen
hinterlassen einen positiven Eindruck.
Neben der bereits angeführten Schwammigkeit des Alltagsbegriffs muß kritisch angemerkt
werden, daß der Alltag der Heiligen – die sie ja untersucht – von den Quellenproduzenten
als „positive“ Abweichung vom Alltag der Nichtheiligen gesehen wurde. Darüber
hinaus liegt der Schwerpunkt auf der Auswertung der Biographien adeliger Frauen, die
nur ein Bild des adeligen Alltags ergeben. Somit untersucht sie eigentlich nicht den „Frauenalltag
im Mittelalter“, sondern den Alltag heiliger adeliger Frauen25• Vielleicht kann
relativierend angemerkt werden, daß sie unter Umständen der – wohl vor allem im deutschsprachigen
Raum auftretenden – Versuchung erlegen ist, der Titelwahl einen großen, sich
oft über inhaltliche Schwerpunkte hinwegsetzenden, verkaufsfördernden Einfluß zuzumessen20.
Im gegenwärtigen Stadium sind sowohl Alltagsgeschichte als auch historische Frauenforschung
dabei, sich zu konsolidieren27• Erster unreflektierter Enthusiasmus hat sich
in beiden llichtungen gelegt. In dieser Phase sind einerseits Gefahren gegeben, beispielsweise
ins Ghetto abgedrängt zu werden28. Andererseits eröffnen sich neue Perspektiven.
So wäre es etwa an der Zeit, etablierte llichtungen der historischen Forschung, wie z.B.
die Sozialgeschichte, dazu zu bringen, den Usus, Frauen (modifiziert gilt das auch für den
Alltag) zwar implizit mitzumeinen, jedoch nicht explizit zu erwähnen, aufzugeben.
Darüber hinaus verlaufen die Entwicklungen von historischer Frauenforschung und
Alltagsgeschichtsschreibung nicht nur zum gleichen Zeitpunkt, sondern auch in vielen Bereichen
paralell. Hier sind Möglichkeiten der gegenseitigen Rezeption gegeben, die für beide
2t Opitz, Frauenalltag, 239.
25 Die Quellengruppe bietet jedoch darüber hinaus z.B. die Möglichkeit der Erforschung weibli·
cher Biographien. Vgl. dazu besonders: Christina Vanja, Probleme und Möglichkeiten der Arbeit
über weibliche Biographien in der mittelalterlichen Geschichte, in: beiträge zur feministischen
theorie und praxis 7 ( 1982), 14-17.
28 Vgl. dazu beispielsweise: Peter Burke, Popular Culture in Early Modern Europe, London
1978, dt.: Helden, Schurken und Narren, Stuttgart 1981; Robert Delort, Les animaux ont une
histoire, Paris 1984, dt.: Der Elefant, die Biene und der heilige Wolf. Die wahre Geschichte der
Tiere, München 1987.
27 Anne Echols/Marty Williams, Women in The Middle Ages, An Annoted Bibliography,
Oxford-New York-Hamburg: Berg Publishers, angekündigt für September 1988; Gerhard Jaritz,
Alltag und materielle Kultur des Mittelalters. Eine Auswahlbibliographie 1, (MAQ-Newsletter
7 /8) Krems 1986.
28 Beispiele dafür sind meines Erachtens in der in Österreich in jüngster Zeit aufkommenden
Praxis und Veröffentlichung der „Frauenringvorlesungen“ zu sehen. Die darin für das Mittelalter
vorliegenden Beiträge zeigen die Problematik dieser Vorgangsweise: Katherine Walsh, Die Frau im
Mittelalter – ihre Bewertung in der Forschung, in: Frauenbilder-Frauenrollen- Frauenforschung,
Hrsg. Christine Gürtler, (Veröffentlichungen d. historischen lnst. der Universität Salzburg,
Bd. 17), Wien-Salzburg 1987, 92-107; Käthe Sonnleitner, Die Frau im Mittelalter, in: Über
Frauenleben, Männerwelt und Wissenschafi, Hrsg. Beate Frakele/Elisabeth List/Grete Pauritsch,
Wien 1987, 93-120.
55
interessant wären. Die Frauengeschichte kann von einer Alltagsgeschichte, die mit einem
definierten und systematisch angewandten Alltagsbegriff operiert, lernen und mit diesem
Begriff arbeiten. Auch die Alltagsgeschichte kann in großem Maße Ansätze historischer
Frauenforschung übernehmen, bzw. sie muß „sex as a social category“ in ihre Untersuchungen
einbeziehen. Manche Möglichkeiten dieser Entwicklung werden in den genannten
Publikationen bereits angedeutet.
56
MEDIUM AEVUM
QUOTIDIANUM
newsletter 10
Krems 1987
Herausgeber: Medium Aevum Quotidianum. Gesellschaft zur Erforschung der materiellen
Kultur des Mittelalters. Körnermarkt 13, A-3500 Krems, Österreich. – Für den
Inhalt verantwortlich: Univ.Pro{. Dr. Harry Kühne!. -Druck: HTU-Wirtschaftsbetrieb
Ges.m.b.H., Ka.rlsga.sse 16, 1040 Wien.
INHALTSVERZEICHNIS / CONTENTS
Vorwort . . …. . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4
Manfred Thaller, The Daily Life o{ the Middle Ages, Editions of Sources and Data
Processing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6
Ingo H. Kropac und Peter Becker, Die Prosopographische Datenbank zur Geschichte
der südöstlichen Reichsgebiete bis 1250 (PDB): Konzepte und Kurzdokumentation . . . 30
Brigitte Rath, Auf der Suche nach Alltagen – der ‚Frauenalltag‘ im MittelaHer oder
„Leicht hatten es die Frauen nicht“ . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49
Rezensionen und Berichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . ….. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57
3
Vorwort
Dae vorliegende Heft 10 von Medium Aevum Quotidianum- Newsletter widmet sich
einem Aspekt, der in der internationalen historischen Diskussion seit geraumer Zeit einen
entscheidenden Schwerpunkt darstellt: der Anwendung computerunterstützter Methoden.
Es braucht nicht gesondert betont zu werden, daß in der Alltagsgeschichte, und nicht
allein in jener des Mittelalters, diesbezüglich ein bedeutender Nachholbedarf zu konstatieren
ist. Doch auch in unserem Fachbereich mehren sich Einsicht und Zeichen, daß EDV
mehr bieten kann als Textverarbeitungsprogramme zur schnellen und billigen Produktion
von Publikationen. Ein entscheidender Vorstoß in diese Richtung ergibt sich beileibe nicht
nur für den deutschsprachigen Raum auf Grund der Initiative des Max-Planck-lnstituts
für Geschichte in Göttingen und dessen EDV-Spezialisten Manfred Thaller. Wir sind deshalb
besonders froh, gerade ihn für einen sehr grundsätzlichen Beitrag in Medium Aevum
Quotidianum-Newsletter gewonnen zu haben. Auf Grund der internationalen Relevanz
des Aufsatzes haben wir uns entschlossen, diesen in englischer Sprache wiederzugeben.
Der zweite umfassendere Beitrag des Heftes, verfaßt von Ingo Kropac und Peter Becker
(beide Graz), widmet sich einem Anwendungsbeispiel, dessen inhaltlicher Schwerpunkt
zwar auf dem Gebiet der mittelalterlichen Prosopagraphie zu suchen ist, welches jedoch
nicht nur wegen der angewandten Methoden auch für die Alltagsgeschichte des Mittelalters
von Wichtigkeit erscheint.
Beide Beiträge sollen den Auftakt darstellen für eine in unserer Reihe fortzusetzende
Diskussion zur Anwendung computerunterstützter Methoden.
Der bereits seit längerem angekündigte Band mit den Ergebnissen der von Medium
Aevum Quotidianum im Oktober 1985 mitveranstalteten Tagung „Migration und horizontale
Mobilität vom Mittelalter bis zum Ende des Ancien Regime“ befindet sich im
Druck (Campus-Verlag, Frankfurt am Main- New York) und wird noch heuer (für unsere
Mitglieder als MAQ-Newsletter 11/12) zur Auslieferung gelangen.
Ein besonderer Hinweis muß auf den bereits im vorigen Heft erwähnten Kongreß
gegeben werden, den Medium Aevum Quotidianum in Zusammenarbeit mit dem Institut
für mittelalterliche Realienkunde der Österreichischen Akademie der Wissenschaften vom
27. bis 30. September 1988 in Krems veranstalten wird. Er befaßt sich mit dem Thema
„Mensch und Objekt im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit. Leben -Alltag –
Kultur“ und läßt im Rahmen der Diskussion von international anerkanntesten Fachleuten
vor allem im theoretischen und methodischen Bereich neue Ansätze und Wege erwarten.
Voreinladungen an unsere Mitglieder wurden bereits vor einiger Zeit versandt.
Wie gewohnt wird sich einer der im Jahre 1988 erscheinenden Newsletter den Zusammenfassungen
der am genannten Kongreß gebotenen Referate widmen. Darüber hinaus
wird, wie bereits zuvor angekündigt, Teil II der Auswahl-Bibliographie zur materiellen
4
Kultur des Mittelalters erscheinen. Im Planungsstadium befinden sich einige Hefte, die
sich mit der Erforschung von Alltag und materieller Kultur des Mittelalters in einzelnen
Ländern auseinandersetzen werden und einen Schwerpunkt insbesondere auf Forschungsund
Literaturberichte legen sollen. Das erste Heft dieser Reihe wird vermutlich Dänemark
gewidmet sein.
Gerhard Jaritz, Schriftleiter
5

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