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Produktionsabfall und Halbprodukte aus Glas. Archäologische Erkenntnisse zur Glasherstellung in Ostösterreich 

Produktionsabfall und Halbprodukte aus Glas.
Archäologische Erkenntnisse zur Glasherstellung in Ostösterreich
Kinga Tarcsay
Einleitung
In den folgenden Aus hrungen soll ein kurzer Überblick über den gegenwärti­ gen Stand der archäologischen Forschung im Bereich der Glasherstellung in Ostösterreich gegeben werden. Dabei kann es sich allerdings nur um einen ,,Ar­ beitsbericht“ handeln, da die diesbezüglichen Untersuchungen – im Gegensatz zur Au rbeitung der historischen Quellen – in Österreich noch am Anfang ste­ hen.
Obwohl die ersten Glashütten in Ostösterreich bereits 1 9 5 1 freigelegt wurden, kam es erst wieder in den 90er Jahren zu einschlägigen archäologischen Untersuchungen. Die jüngsten Grabungen sind daher meist entweder noch nicht abgeschlossen oder nicht vollständig vorgelegt, so dass keine übergreifenden Forschungsergebnisse präsentiert werden können. Einige der hier vorgestellten Erkenntnisse konnten im Rahmen eines von der Österreichischen Nationalbank nanzierten Jubiläumsfondsprojektes über die Glashütten in Ostösterreich ge­ wonnen werden.
Mit Rücksicht auf das Tagungsthema ,,Halbprodukte“ sollen in der Folge vor allem die Funde, wie eben Halbprodukte oder Werkstattabfälle, vorgestellt werden, während die Be nde nur am Rande gestrei werden. Besonders be­ rücksichtigt wird das Fundmaterial der frühneuzeitlichen Glashütte Reichenau im Freiwald (Niederösterreich), das auf Grund seiner Reichhaltigkeit Rück­ schlüsse aufangewandte Produktionstechniken ermöglicht.
Die Halbprodukte und Werkstattabfälle sind bei der Beurteilung der Ei­ genproduktion der Glashütten von großer Bedeutung, da gerade der Werkstoff Glas optimal zum Recycling geeignet ist. Diese Wiederverwertung ist bei­ spielsweise durch die Erwähnung von Altglaslieferungen aus Wien zur etwa 170 entfe ten Glashütte von Reichenau im Freiwald im 17. Jahrhundert belegt1• Nicht jedes Glasobjekt, das bei einer Hütte ge nden wurde, muss daher auch dort hergestellt worden sein.
Somit helfen die Glasschmelzen, die Halb- und Fehlprodukte sowie
1 AuswertungderhistorischenQuellendurchHerber! ITILER. 125

Werkzeug nde bei der Beurteilung, inwieweit es sich bei einzelnen Glasformen um lokale Erzeugnisse oder um zugeliefertes Altglas handelt. Treten bestimmte Typen oder etwa Verzierungsarten vennehrt auf, ist natürlich ebenfalls mit einer Produktion in der jeweiligen Hütte zu rechnen.
Glaserzeugungszentren in Ostösterreich
Die frühesten historischen Nennungen, die auf den Betrieb von Glashütten schließen lassen, sind aus dem späten 1 1 . und 1 2 . Jahrhundert in der Steiermark bekannt; einer dieser Hinweise bezieht sich aufAdmont im Ennstal, weshalb die Hüttengründung vermutlich durch das Sti initiiert wurde. Weitere steirische Glaserzeugungsgebiete waren das Mur- und das Mürztal; erst im 1 7 . Jahrhundert wurden Hütten auch in höher gelegenen Gebieten errichtet2•
Der Voralpenraum, das Wald- und das angrenzende Mühlviertel in Nie­ der- bzw. Oberösterreich waren ebenfalls frühe Glaserzeugungszentren; in die­ sen Gebieten werden ab dem 14. Jahrhundert Glashütten genanne. In Wien er­ folgte die erste bekannte Gründung im Jahre 14864; im Südburgenland waren ab der zweiten Häl e des 1 7. Jahrhunderts einzelne Hütten in Betrieb5•
Funde aus archäologisch ergrabeneo Glasbütten in Ostösterreich (Abb. I)
Die älteste i n Österreich ergrabene Glashütte wurde von Christine SCHW in Ste stein im Mühlviertel (Oberösterreich) eigelegt6• Es handelt sich um eine Hütte mit drei rund-ovalen Öfen, die aufgrund der Keramik in das 14. Jahr­ hunde datiert wird; sie ist die bisher einzige erforschte mittelalterliche Glas­ hütte in Österreich.
Eine auffallige Eigenart der mittelalterlichen Hütten, die auch r Ste ­ stein zutri , ist die Tatsache, dass bei Grabungen wenig Glas nde zutage tre-
2 Paul W. ROTH, Mittelalterliche Glashütten in der Steiermark. In: Beiträge zur Mittelalterar­ 3 chäologie in Österreich 7 (1991) 5-8.
Sabine FELGENHAUER-SCH EDT, Hohlglasfunde des Mittelalters aus Ni erösterreich (1. Archäologische Bearbeitung). In: Bei äge zur Mittelalterarchäologie in Österreich 7 (1991)
4 9-38.
Kinga TARCSAY, Mittelalterliche und neuzeitliche Glas nde aus Wien – Alt nde aus den
Beständen des Historischen Museums der Stadt Wien (Bei äge zur Mittelalterarchäologie 5 in Österreich, Beihe 3) Wien 1 999, 7-1 1 .
Etwa: Josef F LLER, Eine Waldglashütte als Ursprung einer Siedlung in der Herrschaft Lockenhaus. Bausteine zur Landeskunde des burgenländisch-westungarischen Raumes. : Festschri Johann Seedoch (Burgenländische Forschungen, Sonderband 22) Eisenstadt
6 1999, 130-143.
Christine SCHWANZAR, Die mittelalterliche Glashütte Stemstein, Bad L nfelden,
Oberösterreich. In: Beiträge Mittelalterarchäologie in Österreich 9 (1993) 129-138. Christine SCHWANZAR, Die mittelalterliche Glashütte St stein in Bad Leonfelden, Oberösterreich. ln: Glas aus dem Böhmerwald ( talog des OÖ. Landesmuseums NF 74) L 1994, 104-1 15.
126
ten. Anscheinend wurden hier der Produktionsabfall und das Altglas gründlich recycelt bzw. bei der Au assung des Standorts mitgenommen, während sich bei den frühneuzeitlichen Hütten stets große Abfallhalden neben dem Gebäude n­ den. In Ste stein wurden neben grünen und manganvioletten Glasschmelzen einige Fragmente von Flaschenhälsen mit Kropfhals, Nuppenbeche und Fen­ sterglas gefunden. Von besonderem Interesse sind die Flaschenhälse mit Kropf­ hals, die eine manganviolette Färbung zeigen (Abb. 2). Die Halsart in dieser Färbung ist für Flaschen mit Stauchungsring typisch. Sie weisen einen zylindri­ schen Körper und einen durch das Stauchen desselben entstandenen Innenring („Stauchungsring“) im Bauch-Schulterbereich auf (Abb. 3). Häufig sind sie in Ostösterreich, Böhmen sowie Westunga nden. Diese Flaschen unterschei­ den sich also durch ihre Form und Farbe von den meist grünen, doppelkonischen Flaschen mit Stauchungsring aus dem deutschen Raum.
Da einige Stücke dieser Flaschenform sowie manganviolette Glasschmel­ zen in Ste stein ge nden wurden, kann eine Produktion der manganvioletten Flaschen mit Stauchungsring in der Oberösterreichischen Glashütte angenom­ men werden.
Die chemische Analyse der Fundstücke ergab, dass es sich, unabhängig von der Farbe, bei den grünen und violetten Fragmenten um das gleiche Ge­ menge, vermutlich um Sodaaschemischglas, handelt, welches eine Schmelztem­ peratur von bis zu 1300-1400°C benötigte. Die unterschiedliche Färbung der Gläser aus dem gleichen Gemenge beweist, dass man die Regulierung von oxi­ dierendem und reduzierendem Brand beherrschte7.
Aus dem 16. Jahrhundert stammen zwei in Niederösterreich ergrabene Hütten. Die Be nddokumentationen beider Grabungen wurden erst kürzlich von der Autorin eingesehen. Da von beiden Anlagen die Glasfunde verschollen bzw. noch unbekannt sind, wird hier nur kurz auf sie eingegangen.
In Wilhelmsburg, im Voralpenraum gelegen, wurde 1950 und 1951 von He a STIGLITZ ein Glasofen freigelegt8. Der Hauptofen war 3×5 m groß und bestand aus einem runden Schmelzraum mit Stützpfeile aus Ziegel und einem angebauten, rechteckigen Kühlraum. In der Mitte des Schmelzraumes wurde im Boden ein Mühlstein in sekundärer Verwendung eingebaut. In 8 m Entfe ung stand ein Nebenofen mit Ziegelplattfo , bei dem es sich um einen Tafelofen, in dem das Flachglas gestreckt wurde, gehandelt haben dü e.
7 Manfred SCHRE ER – Fritz SAUTER, Chemische Untersuchungen der mittelalterlichen Glas­ nde vom Ste stein bei Bad Leonfelden, Ob österreich. In: Beiträge Mittelalterar­ chäologie in Österreich 10 (1994) 121-129. Hinweise von Dr. Heike Bronk, TU Berlin, der
8 ichandieserStelledankenmöchte.
An dieser Stelle möchte ich He a STIGLITZ danken, die mir die Einsicht in ihre Grabungs­
unterlagen ermöglichte. He a ALLER, Grabung im Minichwald bei Kreisbach­ Wilhelmsburg (BH. St. Pölten). In: Pro Aust a Romana 5/6, I (1951) 18; D S., Die Gra­ bung im Minichwald bei Wilhelmsburg a. Tr. In: Pro Austria Romana 5/6, 2 (1952) 28 f.; D S., Wilhelmsburg. In: Fundberichte aus Österreich 6 (1951155) 157.
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Die Funde dieser Grabung sind – wie schon erwähnt – leider verschollen, nach Berichten der Ausgräberin handelte es sich um grünes, blaues und „feines“ Glas, das von ihr in das 16. Jahrhundert datiert wurde.
Die zweite Hütte aus dem 16. Jahrhunde , die Schönfeiner bzw. -feldner Hütte im Waldviertel, wurde ebenfalls 1 9 5 1 von Franz PL ergraben9. Es handelte sich um eine Anlage mit zwei oder drei Öfen, die offenbar mit einem Holzschuppen, dessen Steinfundament erhalten blieb, überdacht war. Der Abfall wurde an der Ostseite der Hütte abgelagert. Dieser Be nd ist vergleichbar mit
jenem der Hütte in Reichenau, die anschließend behandelt wird.
Die Schönfeiner Hütte ist auch deshalb von Bedeutung, weil es sich um eine der vier in der „Topographia Windhagiana“ genannten, zeitgleichen Vor­ gängerhütten der Glashütte Reichenau aus dem 1 7. Jahrhundert handelt. Wie aus dieser Quelle hervorgeht, wurde die Hütte 1599 abgebrochen und 1601 nach Reichenau verlegt.
Für die Glashütte in Reichenau im Freiwald, die von 160I bis 1686 in Betrieb war, existiert mit der bereits erwähnten „Topographia Windhagiana“ eine vorzügliche schri liche und bildliehe Quelle10• 1967 fanden durch einen Nicht-Archäologen erste „Grabungen“ am Hüttenstandort statt. 1997 wurden durch die Waldviertel Akademie auf Initiative von Herbert Knittler, der auch die historischen Quellen aufarbeitet, archäologische Untersuchungen ermöglicht, die von der Autorio geleitet wurden 1 1 . Da auf dem Gelände der ehemaligen Hütte heute ein Wohnhaus steht, konnte nur der Bereich neben diesem erforscht wer­ den; dabei wurden die Außenmauem der Glashütte sowie die davor liegenden Schutthalden zum Teil freigelegt.
Im folgenden soll ein kleiner Ausschnitt des Fundmaterials vorgestellt werden. Bei der Freilegung kamen neben Glas und Keramik eine große Menge an Ofenkonstruktionsteilen und Schmelzgefäß agmenten, den sogenannten Ha­ fen, aber kaum Werkzeug zu Tage.
Anband der Glasabfalle und der Halbprodukte aus Reichenau lassen sich die Arbeitsschritte bei der Glaserzeugung sowie die Produktpalette der hier her­ gestellten Gläser rekonstruieren.
Das Farbenspektrum der in der Hütte Reichenau produzierten Gläser lässt sich anhand der vor Ort ge ndenen und sicher auch dort erzeugten Glasschmel­ zen bzw. Rohgläser bestimmen. Die Erzeugung von siegellackrotem, blauem
9 Franz HAMPL, Waldviertier Glashütten. In: Kulturberichte aus Niederöste eich 8 ( 1 9 5 1 ) 60 10f.; DERS., Großpe holz. In: Fundberichte aus Öste eich 6 (195 1/55) 147.
Herbert KNITILER, Die Glashütten zu Reichenaw (Glas aus dem Bö erwald, Kataloge 11des OÖ. Landesmuseums NF 74) Linz 1994, 142-147.
Sabine FELGENHAUER-SCHMIEDT, Die Glashütte Reichenau Freiwalde. ln: Adel Wandel. Politik – Kultur – Konfession 1500-1700 (Katalog des NÖ Landesmuseums, NF 2 5 1 ) Wien 1 990, 68-70; DIES., Die Glashütte Reichenau Freiwalde, Niederösterreich. ln: Glas aus dem Bö erwald (Katalog des OÖ. Landesmuseums NF.74) Linz 1 994, 1 34-147; KNITTLER 1994 (zit. . 8) 142-147; Kinga TARCSAY, KG Reichenau, MG Bad Groß­ pertholz, VB Gmünd. ln: Fundberichte aus Österreich 36 ( 1 997) 943-945.
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entfärbten (farblosen) und einfachem grünen Glas ist hier belegt, wobei das ent­ färbte Glas verschiedene Qualitätsstufen au eist. Schmelzen und Glasbruch­ stücke aus grüner Glasmasse kommen am häufigsten vor. Dies ist damit zu er­ klären, dass ir die Herstellung von grüner Glasmasse keine Zusatzstoffe not­ wendig sind, und auch Recyclingglas verwendet werden kann; somit war die Erzeugung von grünem Glas am einfachsten und billigsten, und man achtete nicht sehr auf Glasbruch, Fehlstücke oder Schmelzreste. Entfärbte Schmelzreste und Bruchstücke treten weniger häu g auf, während blaue sowie vor allem sie­ gellackrote Stücke am seltensten sind. Für die Erzeugung dieser Farben waren teure Rohstoffe notwendig und die Glasmassen daher wertvoll, weshalb man offensichtlich vorsichtiger mit dieser umging.
Zur Kontrolle, ob das geschmolzene Glas die erwünschte Qualität auf­ weist, lässt der Glasmacher etwas Glas, das er aus dem Hafen entnommen hat, herabfließen, so dass es einen langen Faden bildet. So kann er die Reinheit und die Härte des Glases überp fen. Bei diesem Kontrollverfahren könnten die Tropfen, die bei der Glasbütte Reichenau ge nden wurden (Abb. 4), entstanden sein; sie könnten aber auch Abfallprodukte vom Auflegen verschiedener Fäden und Verzierungen auf den Glaskörper sein (Abb. 5).
Zur Herstellung eines Hohlgefäßes entnimmt der Glasmacher mit der Glasmache feife aus dem Schmelzhafen einen Glasposten. Um aus diesem „massiven Klumpen“ einen Hohlkörper – das sogenannte Kölbel (Abb. 6) – zu erzeugen, bläst er Lu durch seine Pfeife ein. Das Kölbel kann nun nach Belie­ ben weiterbearbeitet bzw. geformt werden. Nach dem Fertigblasen des Stückes wird es von der Pfeife abgetrennt; an der Pfeife bleibt ein Glasrest ha en, der entfe t werden muß. Diese sogenannten Abschläge zeigen den Abdruck und den Durchmesser derjeweiligen Pfeife (Abb. 7).
Die in Reiche au im Freiwald erzeugten Glasformen lassen sich gut fas­ sen. Wie entsprechende Glasabfalle zeigen, wurde an Fensterglas sowohl Zylin­ derglas als auch Butzen- bzw. Mondglasscheiben hergestellt (Abb. 8).
Die reichhaltige Produktionspalette der Hohlgläser umfasste Formen von einfachen Fläschchen, Schröpfköpfen und Humpen bis hin zu feinem Tafelglas „a Ja fa on de Venise“ (Abb. 9). Venezianisches Tafelglas war im 16. und 17. Jahrhundert sehr begehrt, so dass es in einigen Gebieten Europas nachgeahmt wurde. Bekannt sind hier vor allem die Niederlande und Spanien. Durch die Grabungen in der Reichenauer Hütte, aber auch in Sulzbichl (s. unten), ist die Erzeugung dieser Gläser in venezianischer Art auch ir Ostösterreich belegt. Typische Verzierungen in Reichenau waren – neben verschiedenen Baluster­ und Nodusformen – gewundene Glasfäden, spiralförmig aufgelegte Glasfäden in den in dieser Hütte erzeugten Farben, optisch geblasene Muster und blaue Bee­ rennuppen. Der Nachweis der Erzeugung von Gläse mit diesen blauen Bee­ rennuppen ist sehr interessant, da die Herstellung dieser Verzierung bisher nur aus den Niederlanden belegt ist.
Für die Verzierungen mit .Glasfäden wurden zunächst Glasstäbchen her­ gestellt (Abb. 10). Vermutlich aus Gründen der Materialerspamis, eventuell aber
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auch wegen des höheren Lichtreflexes, wurden die Stäbchen aus siegellackrotem Glas dreilagig hergestellt: innen ein entfarbter Ke , darüber ein dünner farbiger Überfang, und schließlich wieder eine entfarbte Glasschicht (Abb. 1 1). Die so erzeugten Stäbchen konnten entweder auf die Gefaßwandung aufgelegt werden, oder man bündelte einige Stücke, klemmte sie an ihren beiden Enden mit einer Zange zusammen und drehte sie zu gewundenen Fäden. Einige der in Reichenau gefundenen Endstücke zeigen den Abdruck der Zange (Abb. 12).
In Reichenau sind durch die „Topographia Windhagiana“ auch Glasmaler belegt. Die bei der Hütte ge ndenen Glasbruchstücke mit Emailmalerei wurden daher sehr wahrscheinlich vor Ort bemalt. Ob die Diamantrißverzierung auf ein­ zelnen Bruchstücken auch lokal angebracht wurde, ist nicht nachweisbar, aber ebenfalls möglich.
Bei der Glashütte Reichenau wurden weiters einige Stücke eines (archäo­ metrisch analysierten) Goldrubinglases gefunden, jedoch können sie auf Grund der Fundlage nicht mit Sicherheit der Produktionszeit der Glashütte zugeordnet werden.
Von den Hüttenabfallen aus Reichenau wurde eine große Anzahl che­ misch untersucht. So wurden Gruppen der Schmelzen, Halbprodukte und End­ produkte bestimmbarer Formen aus den hier produzierten Farben (entfarbt, blau, siegellackrot und „grün“) gebildet. Die chemischen Analysen wurden unter der Leitung von Manfred SCHRE R am Institut für Farbenchemie, Akademie der Bildenden Künste, Wien, mittels energiedispersiver Röntgen uoreszenzanalyse und Elektronenstrahlmikroanalyse im Rasterelektronenmikroskop durchge hrt.
Besonders hervorzuheben ist das Ergebnis, dass es sich um Kalk-Kali­ Silicatgläser handelt, die in ihrer Zusammensetzung sehr einheitlich sind. Das heißt, ihre Grundrezeptur war – unabhängig von der jeweiligen Farbe bzw. Qualität – gleich; bei ge rbtem Glas treten natürlich noch die jeweiligen Me­ talloxide auf. Diese gleichartige Zusammensetzung der einzelnen Glasgruppen in der Hütte Reichenau weist darauf hin, dass die zur Analyse ausgewählten Formen bzw. Typen in der Hütte hergestellt wurden und vermutlich bei der Pro­ duktion zu Bruch gingen, nicht aber als Altglas dorthin gelangten. Dadurch ist es in Zukun bei vergleichbaren Gläse durch chemische Analysen möglich, fest­
zustellen, ob diese ebenfalls in der Reichenauer Hütte produziert wurden; damit sind die Datierung und der Herstellungsort eindeutig bestimmbar. Die homogene Rezeptur der Reiche auer Gläser ermöglicht so auch ihre Gegenüberstellung mit Funden aus anderen archäologischen Ausgrabungen sowie Sammlungs- und Museumsbeständen.
1686 wurde die Produktion von Reichenau von Kar! von Hacketberg nach Karlsti verlegt. Von dieser Nachfolgehütte ist ein vollständiger Schmelzhafen erhalten; die Fragmente aus der Grabung Reichenau lassen sich zu Ge ßen etwa gleicher Art und Größe zusammensetzen (Abb. 13).
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Eine weitere Glashütte wurde im Voralpenraum in Sulzbichl bei Puchen­ stuben von Sabine Felgenhauer teilweise ergraben12• Nach schri lichen Quellen erzeugte man hier ab 1655 bis zum Beginn des 18. Jahrhunde s Glas.
Bei der Grabung wurden ein Teil der Abraumhalde sowie die Ecke der Glashütte mit einem Ofen, bei dem es sich wahrscheinlich um einen Kühlofen handelt, freigelegt. Die Funde zeigen, dass hier neben Trinkgläse , Flaschen, Kuttrolfen und Flachglas auch Tafelglas ,a Ia fa9on de Venise‘ erzeugt wurde. Zur Verzierung wurden, wie schon oben erwähnt, gezogene Glasstäbchen ver­ wendet (Abb. 14), die anschließend in sich gewunden oder über den Glaskörper gelegt wurden. Die ebenfalls am Institut f r Farbenchemie durchge hrten Analysen zeigten, dass die Zusammensetzung der Glas nde – im Gegensatz zu
jenen aus der Hütte in Reichenau – sehr verschieden ist.
Die Glashütte vom Baue berg/Liebenau im Mühlviertel wurde von Chri­
stirre SCHWANZ freigelegt und war von 1787 bis 1806 in Betrieb13• Bei dem Hauptofen, der Platz f r zehn Hafen hatte, dür e es sich um einen typischen „böhmischen Ofen“ handeln. Ein weiterer Ofen dür e als Streckofen ir die Herstellung von Flachglas gedient haben.
Zu den Funden zählen einige datierte Model, die zur Erzeugung von formgeblasenen Hohlgläse dienten, indem die Glasblase in die Modelform eingeblasen wurde. Die Herstellung von formgeblasenen Gefäßen belegen die hier vor Ort ge ndenen facettierten Klarglasbecherfragmente. Bei der Anlage vom Baue berg handelt es sich um die jüngste archäologisch freigelegte Glas­ hütte in Österreich.
Zusammenfassung
Dieser Bericht mit einem Schwerpunkt zum Thema Halbprodukte soll neben einem Überblick zum Stand der Glashüttenforschung in Ostösterreich auch zei­ gen, dass gerade die Untersuchung des Produktionsabfalls von Glashütten weit­ reichende Aussagen zur Glasherstellung e öglicht.
So konnten beispielsweise zahlreiche Details zur verwendeten Glasmasse und den Glasfarben, zu produktionstechnischen Abläufen und zur Produktpalette erschlossen werden. Durch die chemische Analyse war es weiterhin möglich, die genaue chemische Zusammensetzung der erzeugten Gläser festzustellen.
Zusammengefasst zeigen die vorgestellten Ergebnisse deutlich, dass auch im Bereich der Glashütten- und Glasproduktionsforschung ohne zielgerichtete archäologische Grabungen viele Fragen ungeklärt bleiben müssen.
12
13
Sabine FELGENHAUER-SCHMIEDT, Archäologische Untersuchungen in der Glashütte Sulz­ bichi bei Puchenstuben, N.Ö. In: Beiträge zur Mittelalterarchäologie in Österreich 1 0 ( 1 994) 23-36.
Christine SCHWANZAR, Die Glashütte am Bau berg in Liebenau, Oberösterreich. : Glas ausdemBölune a1d(KatalogdesOÖ.LandesmuseumsNF74)Linz 1994, 116-133.
131
w
Abb. I : Archäologisch ergrabene Glashütten in Ostösterreich

Abb. 2: Manganviolettes Flaschenbruchstück aus Ste stein (OÖ) [SCHWAN 1994 (zit. Anm 5) 136, Taf. 3/9]
Abb. 3: Flasche mit Stauchungsring aus Unga (Katalin ÜY Y, Üvegek a közepkori Magyarorszägon [Gläser im mittelalterlichen Ung ] (BTM Mühely 3) Budapest 1991, 98,Taf. 14/7)
133
Abb. 4: Glastropfen aus Reichenau im Freiwald Ö) (Foto: Cs. Tarcsay)
Abb. 5: Au egen eines Glasfadens (Foto: K. Tarcsay) 134
Abb. 6: Kölbeln aus Reichenau im Freiwald (NÖ) (Foto: Cs. Tarcsay)
135
Abb. 7: Glasposten mit dem Abdruck derGlasmacherpfeifen aus Reichenau im Freiwald (NÖ) (Foto: Cs. Tarcsay)
Abb. 8: Große, scheibenformige Abfallprodukte
(wohl von der Flachglasherstellung) aus Reichenau im Freiwald (NÖ)
136

Abb. 9: Kelchgläser nach venezianischer Art aus Reichenau im Freiwald (NÖ)
(Foto: Cs. Tarcsay)
Abb. 10: Gewundene Fäden und Glasstäbchen aus Reichenau im Freiwald (NÖ) (Foto: Cs. Tarcsay)
137
Abb. 1 1 : Querschnitt eines Glasstäbchens unter dem Rasterelektronenmikroskop
Abb. 12: Enden von gewundenen Fäden mit Abdrücken der Zangen aus Reichenau im Freiwald Ö) (Foto: Cs. Tarcsay)
138
Abb. 1 3 : Glashafen aus Karlsti Ö)
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Abb. 14: Gewundene Fäden und Glasstäbchen aus Sulzbichl/Puchenstuben Ö) [FELGENHAUER-SCHMIEDT 1994 (zit. Anm 12), 30, Taf. 4]
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139
MEDIUM AEVUM QUOTIDIANUM
43
MS 2001
HE USGEGEBEN VON GE JARITZ
GEDRUCKT MIT UNTERSTÜTZUNG DER KULTURABTEILUNG DES AMTES DER NIEDERÖSTERREICHISCHEN LANDESREGIERUNG
niederösterreich kultur
Titelgraphik: Stephan J. Tramer
Herausgeber: Medium Aevum Quotidianum. Gesellschaft zur Erfor­ schung der materiellen Kultur des Mittelalters, Kö ermarkt 13, A-3500 Krems, Österreich. Für den Inhalt verantwortlich zeichnen die Autoren, ohne deren ausdrückliche Zustimmung jeglicher Nachdruck, auch in Auszügen, nicht gestattet ist. – Druck: KOPITU Ges. m. b. H., Wiedner Hauptstraße 8-10, A-1050 Wien.
Inhalt
Beiträge zur Erforschung des mittelalterlichen Handwer in Österreich:
Thomas Kühtreiber, Vorwort ……………………………………………………….. …………. 5
Brigitte Cech, Bergtechnik der hen Neuzeit. Ein Eisen ndkomplex
des 16. Jahrhunderts aus der Bergschmiede am Oberen Bockhartsee, Gasteiner Tal, Salzburg ………………………………….. ………………………………….. 7
Gabriele Scharrer, Mittelalterliche Töpferöfen im Österreichischen
Donauraum und der Strukturwandel in der Keramikherstellung …………. … 33 Heinz Winter, Die mittelalterliche Münzstätte am Beispiel
des Friesacher Pfennigs ……………………………………………………………………. 98
Robert Linke und Man ed Schreiner, Naturwissenscha liche Untersuchungsmethoden zur Klärung der Provenienz
mittelalterlicher Münzen an den Beispielen Friesacher Pfennig
und Tiroler Kreuzer ……………………………………………………………………….. 113
Kinga Tarcsay, Produktionsabfall und Halbprodukte aus Glas.
Archäologische Erkenntnisse zur Glasherstellung in Ostösterreich ……. 125 Thomas Kühtreiber, Eisenverarbeitung auf mittelalterlichen Burganlagen …. 140
Buchbesprechungen …………………………………………………………………………….. 159

Beiträge zur Erforschung des mittelalterlichen Handwer in Österreich
Vorwort
Von 23.-25. März 2001 fand in Krems auf Einladun� des ,Instituts für Realien­ kunde des Mittelalters und der frühen Neuzeit‘ der Osterreichischen Akademie der Wissenscha en das 4. Treffen des Arbeitskreises zur Erforschung des mit­ telalterlichen Handwerks statt. Zum ersten Mal verließ der Arbeitskreis somit seine „Heimat“ Konstanz, wo bislang auf Initiative des Arbeitskreisleiters Ralph Röber in seiner beru ichen Wirkungsstätte in der Außenstelle Konstanz des Ar­ chäologischen Landesmuseums Baden-Württemberg drei höchst erfolgreiche und abwechslungsreiche Treffen stattge nden hatten.
Mit der ersten Tagung außerhalb von Konstanz wurde somit auch die Ge­ legenheit ergri en, neben dem Haupttagungsthema „Fehl-, Halbprodukte sowie ungearbeitete Objekte“, welches in einem Folgeheft von Medium Aevum Quoti­ dianum voraussichtlich im Herbst 2001 vorgelegt wird, den Forschungsstand zur Handwerksforschung in der Mittelalterarchäologie Ostösterreichs zu beleuchten.
ln insgesamt acht Vorträgen wurde zum einen ein breites Spektrum an Forschungstätigkeiten in der für manchen ausländischen Gast als te a incognita emp ndenen Region ersichtlich, die sich über verschiedene Materialgruppen (Keramik, Glas, Metalle) und Disziplinen (u. a. Numismatik, Montanarchäolo­ gie, analytische Chemie) erstreckt. Zum anderen zeigte sich, dass neben den in der Mittelalterarchäologie auch überregional stark vertretenen Arbeiten zur Ke­ ramik- und Glasforschung in Ostösterreich ein ausgeprägter Schwe unkt in der Archäometallurgie zu beobachten ist, wobei dieser Fachzweig Forschungen vom Bergbau bis zur experimentellen Rekonstruktion alter Ver hrenstechniken zum Oberflächendekor von Edelmetallschmuck umfasst.
Dabei handelt es sich weniger um ein zentral gelenktes Forschungsvorha­ ben, sonde um eine Reihe von Initiativen, die alle mehr oder weniger ihre Im­ pulse aus der starken montanarchäologischen Tradition dieses Raumes schöpfen, die untrennbar mit den Namen von Forscherpersönlichkeiten wie Franz Hampl, Heinz Neuninger, Richard Pittioni, E st Preuschen u. a. m. verbunden ist. Seit mittle eile vielen Jahren existiert daher auch eine enge Kooperation mit der Montan-Universität Leoben, die z. B. im Forschungsprojekt zum Gasteiner Goldbergbau derzeit reiche Früchte trägt. Die starke naturwissenscha liche Ausrichtung der archäologischen Arbeit an der Universität Wien fand zuletzt ihren institutionellen Niederschlag in der Gründung des ,Vienna Institute for
5
Archaeological Research‘ (VIAS), dessen Mitarbeiterinnen Hilfestellung bei interdisziplinären Forschungsproblemen sowie Eigenforschung leisten. Zwei Mitarbeiterinnen – Gabriele Scharrer und Birgit Bühler- nahmen am Tre n in Krems teil.
Forschungslücken in der Österreichischen Archäologielandscha an dieser Stelle zu diskutieren ist müßig – zu groß ist der Mangel an qualifizierten ­ chäologlnnenstellen, um eine halbwegs ächendeckende Arbeit, v. a. in der Bo­ dendenkmalp ege – leisten zu können. Umso erfreulicher, und das wurde auch von den aus dem Ausland angereisten Gästen so emp nden, ist die Qualität je­ ner Projekte, die gegenwärtig laufen und in deren „Werkstatt“ in diesem Band auszugsweise geblickt werden kann.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen mit dieser Publikation wertvolle An­ regungen r Ihre Arbeiten!
Krems, im Mai 200I
Thomas Kühtreiber
6

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