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Totentanz à la mode

Totentanz a Ia mode Elisabeth Vavra
Die wiederholt plötzlich auftretenden Pandemien des 14. und 15. Jahrhunderts konfrontietten die Menschen auf erschreckende Weise mit dem ,plötzlichen‘ Tod, der unabhängig von Alter, Geschlecht und Stand zuschlug. Der plötzliche Tod, der bis zu diesem Zeitpunkt als spezielles Strafgericht Gottes über den ver­ härteten Sünder angesehen wurde, trafnun alle, auch die, die sich nur mit lässli­ chen Sünden behaftet wähnten. Ziel der Totentänze war es u. a., die Rezipienten einem ,heilsamen Leben‘ anzuregen, ohne dem ein guter Tod – das ist ein ,vorbereiteter‘ Tod – nicht denkbar ist. Den Menschen sollten „die Annseligkeit, Ohnmacht und Sündhaftigkeit der menschlichen Natur, das Elend des dem Tode verfallenen Lebens“‚ vor Augen geführt werden, um sie so zur Umkehr zu bewegen. In Predigten sowie in religiöser und didaktischer Dichtlmg wmden das Auftreten der Pest und in ihrem Gefolge der plötzliche, unetwartete Tod als Strafgericht Gottes auf den Verfall der Sitten zurückgeführt, auf die Vorherr­ schaft von Wollust und Hochmut, deren äußere Signale Kleidung und bestimmte Verhaltensfom1en setzten. Städte stellten die von ilmen erlassenen Kleiderord­ nungen in den Dienst des Kampfs gegen das Laster der Ho art. Ungerechtfer­ tigter Kleiderluxus galt traditionell als Superbia oder Hoffart, die schlimmste der sieben Hauptsünden, da der Stolz ochmut die eigene Ordnung über die von Gott gegebene stellte und stets Ungehorsam und Unordnung, also Rebellion, impliziette. Im Folgenden werden überlieferte Bilder und Texte der Totentänze hinsichtlich ihrer Aussagen zu diesen Signalen untersucht.
Die Totentänze repräsentieren eine spätmittelalterliche Ständehierarchie in mehr oder weniger abgekürzter Form. Sie wählen deren wichtigste Vertreter aus; bleiben sie nicht auf das männliche Geschlecht reduzie1t, so tritt als Ver­ treteri des höchsten adeligen Standes die Kaiserin auf, bisweilen in der Reihe ergänzt durch die Königin als Pendant zum König und die Gräfin zum Grafen. Übereinstimmend wird diese Grupfe textlich mit den Attributen der Hoffart, der Wollust und der Putzsucht belegt. Einzig die ,Lübeck-Revaler Gruppe‘ nimmt sich in der geäußerten Kritik etwas zurück. In dieser Fassung wird nur der
1 Rainer Rudolf, Ars moriendi. Von der Kunst des heilsamen Lebens und Sterbens (Forschun­ gen Volkskunde 39) Köln und Graz J 957, 26.
2 Erwin Koller, Totentanz. Versuch einer Texte beschreibung (Innsbrucker Beiträge zur Kul­ turwissenscha . Germanistische Reihe 10) msbruck 1980, 208-2 1 1 .
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Kaiser ausdrücklich der Hoffart beschuldigt – Men houardie he di vor blent. Im ,Lübecker Totentanzdruck‘ von 1489 wird das Sündenregister des Kaisers noch um die giericheil enveitert.3 Im ,Oberdeutschen vierzeitigen Totentanz‘ bekennt die Kaiserin: Wollust hett meyn Stolezer /eyb, I Do ich lebt atz ains kaysers weyb. INu hat mich der tod zu schanden bracht, IDaz mir dehain fröd ist mer erdacht.
Abb. I: Kaiserin und Tod, Totentanz des Heidelberger Blockbuchs, 1455/58 (nach: Gert Kaiser (Hg.), Der tanzende Tod. Mittelalterliche Totentänze. Frank rt am Main J 982)
Das ,Heidelberger Blockbuch‘, das die Klagerede der Kaiserin mit Anrede und Tanzaufforderung des Todes zum Dialog ergänzt, zeigt diese mit Bügelkrone, wehendem Schleier, im Rock, der in einer langen Schleppe endet (Abb. 1); ihre Körperhaltung drückt Abwehr und gleichzeitig Trauer und Angst aus. Trotz dieser Grundstimmung lüpft sie noch kokett den Rock zum Tanz und zeigt i Bein bis über den Knöchel, was als Ausdruck ihrer Flatterhaftigkeit und
3 Hartmut Freytag (Hg.), Der Totentanz der Marienkirche in Lübeck und der Nikolaikirche in Reval (Tallinn). Köln-Weimar-Wien J 993, 170 u:1d 1 73 (zu Zeile 57).
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Unkeuschheit zu deuten ist.4 Die Kaiserin des ,Revaler Totentanzes‘ Bemt Notkes (Abb. 2), der von Karin Petennann aufgrund der stilistischen Nähe den Flügeln des Schonenfahrer-Altars in die 80er Jahre datiert wird, trägt einen ä ellosen Smkot, mit Hetmelin am Saum verbrämt;5 von den Schulte hängen frei auf dem Boden nachschleppende Scheinä el, die ebenfalls mit Hermelin unter ttert sind. Als Halsgeschmeide trägt sie eine lange, schwere, mit Schellen besetzte Goldkette. lhr Haupt ziert, wie im ,Heidelberger Blockbuch‘, eine hohe Bügelkrone; allerdings wird diese mit einer Hö erhaube kombiniert, über die ein Schleier drapiert ist, eine unikale Erscheinung.6
Abb. 2: Königin und Tod, Revaler Totentanz, Be t Notke. 80er Jahre des 1 5 . Jh. (nach: Kers­ tin Petermann, Be t Notke. Arbeitsweise und Werkstattorganisation im späten Mittelalter. Berlin 2000)
4 Abb. Bei Gert Kaiser (Hg.), Der tanzende Tod. Mittelalterliche Totentänze. Frankfurt am Main 1982, 284.
5 Vgl. zum Revaler Totentanz Elina Gertsmann, The Dance of Death in Reval (Tallinn): The Preacher and bis Audience. In: Gesta 42/2 (2003), 143-159; zur Datierung und stilistischen Einordnung Kerstin Petermann, Be t Notke. Arbeitsweise und Werkstauorganisation im späten Mittelalter. Berlin 2000, 30-4 1 ; zur Kleidung Gisela Jaacks, Die Kleidung im Lübe­ cker und Revaler Totentanz. In: Der Totentanz der Marien rche in Lübeck, 1 1 4 .
6 Der von Gisela Jaacks herangezogene Vergleich mit dem Kronentypus auf den Porträts Eleonores von Portugal überzeugt nicht wirklich.
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Die Edelfrau als eigener weiblicher Stand ndet sich in der oberdeutschen Totentanztradition. Der Überlieferungszustand des ,Großbasler Totentanzes‘ er­ laubt nur eine sehr eingeschrä te Interpretation in Hinblick auf die anstehende Fragestellung. Wenn wir von der Hypothese ausgehen, dass der , Kleinbasler To­ tentanz‘ im Kreuzgang des Dominikanertimenklosters eine getreue bimediale Kopie des Freskos im Dominikanerkloster war, so dürfte letzteres textlich dem ,Oberdeutschen vierzeiligen Totentanz‘ gefolgt sein. Dieser formuliert als An­ klagepunkt das nur auf Vergnügen ausgerichtete Leben der adeligen Damen: h solt treybenJuchtzens vif, ISech ich vor mir derjröden spyl. IDes todes pfeyff mich betrügt; I Disß tancz gesank hie fälschlychen luigt. Im ,Heidelberger Blockbuch‘, das in der Tradition des ,Oberdeutschen vierzeiligen Totentanzes‘ steht, ist die Edelfrau zum Tanz gekleidet; sie trägt einen hoch gegürteten Rock mit weiten Beutelärmeln, dessen Stofffülle und -länge sich am Boden staut. Über die Frisur hat sie einen langen, sendelbindenartigen Schleier gelegt.
Abb. 3: Edelfrau, Fragment des Totentanzes an der Friedhofsmauer des Dominikanerklosters in Basel, 1439/40 (nach: Franz Keller, Basler Totentanz. Basel 1990)
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Abb. 4: Edel au und Tod, Kopie des Totentanzes an der Friedhofsmauer des Dominikaner­ klosters in Basel, Matthäus Merian, 1 744 (nach: Kaiser, Der tanzende Tod)
Im ,Großbasler‘ und ,Kleinbasler Totentanz‘ wird die Edelfrau durch den Blick in den Spiegel charakterisiert (Abb. 3 und 4).7 Da gerade diese obere Par­ tie die Edelfrau im Original erhalten hat, gehörte das Motiv sicher zum ur­ sprünglichen Bestand des Großbasler Freskos. Die spärlichen Reste der Kleidung, die noch zu erkennen sind, gen sich in das Erscheinungsbild der
Mode um die Mitte des 15. Jahrhunderts: ein Rock mit kleinem, spitz zulau­ fenden Halsausschnitt, der andersfarbig besetzt ist; eine turbanartige Schleier­ haube. Im Spiegel erblickt die Edelfrau einen tanzenden Leichnam, der über seinem Haupt einen lose aufliegenden Schleier trägt.
1 Großbasler Totentanz, zwischen 1439-1445 angefertigt, im Umkreis Konrad Witz entstan­ den; Kleinbasler bzw. Klingentaler Totentanz, zwischen 1460-1480 entstanden; zum Toten­ tanz als Spiegelbild vgl. Bettina Spoerri, Die Spiegelmetapher und das Spiegelbild in den Totentänzen von 1400 bis zur Mitte des 1 8 . Jahrhunderts. In: Markus J. Wenni ger (Hrsg.), duguotertöt.SterbenimMittelalter.IdealundRealität.Klagen rt1998, 157-180.
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Der Spiegel ist Symbol der Eitelkeit; er dient der Vanitas als Attribut; der Blick in den Spiegel wird zum Ausdruck des Lasters der Eitelkeit und damit der Hoffart – Superbia, eine der Hauptsünden, die die Edelfrau geradewegs in die Hölle fihren wird. Der im Spiegel erscheinende Totenkopf oder, wie in diesem Fall, Leichnam weist auf die Vergänglichkeit menschlichen Lebens hin, wie es eindrucksvoll Lukas Furtenagel im Doppelporträt des Malers Hans Burgkmair und seiner Gattin Anna aus dem Jahr 1 529 dargestellte.8 Das Spiegelmotiv fin­ det sich auch im 1 602 entstandenen Totentanz in der Annakapelle von St. Mang in Füssen, ein Werk Jakob Hiebelers (Abb. 5).9 Allerdings erblickt hier die Edelfrau im Spiegel ihr eigenes Bild und nicht eine ihren Totenkopf. Dafür sitzt auf der Schleppe ihres Kleides ein kleiner schwarzer Teufel als Ausdruck der Superbia (Hoffart), folgend dem zumindest ab 1 5 2 0 in Schriftform übediefetten Sprichwort „Up der vruwen langhen swansen Plecht de düvel gern to draven (=reiten).“
Abb. 5: Edelfrau und Tod, Füssener Totentanz, Jakob Hiebeler, 1597 (nach: Reinhold Böhm, Der Füssener Totentanz und das Fortwirken der Totentanzidee im Ostallgäuer und Außer­ fe er Raum. Füssen 1 990)
8 Wien, Kunsthistorisches Museum, Inv.-Nr. GG 924: unter der Signatur rechts oben die In­ schri : „(SOLL)CHE GESTALT VNSER BAIDER VVAS. IM SPIEGEL ABER NIX DANN DAS“ und auf der Einfassung bzw. am Griff des Konvexspiegels: „ERKEN DICH SELBS I 0 MO S I HOFNVNG DER LT.“
9 Vgl. zum Füssener Totentanz Tho as Riedmiller: Füssener Totentanz – Gesichertes und Hypothese zur Entstehung und Überlieferungsgeschichte. In: l’art macabre 5 (2004), S. 1 5 5 – 168. Abbildung in: Reinhold Böhm: Der Füsseoer Totentanz und das Fortwirken der Toten­ tanzidee im Ostallgäuer und Außerfe er Raum. Füssen 1990, S. 35.
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Oberdeutscher ach eiliger Totentanz, Hei ich Knoblochtzer,
Abb. 6: Bürgeri und Tod,
Straßburg-Heidelberg 1485/88 (nach: Kaiser, Der tanzende Tod)
Relativ selten ist in der Ständehierarchie der Totentänze die Bürgersfrau belegt. Im Knoblochtzer-Druck (Abb. 6) macht ihr der Tod, der Dudelsack spielend sie zum Tanz holt, ihr leichtfertiges Leben zum Vorwurf; gleich die erste Zeile im Dialog deutet an, dass sie ihrem Mann Kuckuckseier ins Nest legt: „Ir bürgerin mit den hohen rantzen I ir pflegent hofeyen vnd zu tantzen“ usw. In der Widerrede bekennt sie, ihre hausfrauliehen Pflichten vemachlässigt haben: „Doch han ich sere gelauffen uß, versumer kynder man vnd huß.“ Ähnlich klingt es im nur als Textkopie überlieferten Kienzheimer Totentanz, datie1i 1512: „Min hoffart vnd schönen gestalt I Myn man gar offt im huss entgalt I dz ich kyrchen vnd stross Stoltz inhar kamm I einer Burgerin, eines rychen mans frow […]“.10 Im Text zum Totentanz in dem von GrafWilhelm von Zinunem angelegten Geistlichen ABC (Abb. 7) klingt dann schon deutlich


1° Koller, Totentanz, S. 214.
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reformatorische Kritik durch: „Doch bin ich ser geloffenn auß, Vorsaurot khinnd, Man, vnnd das hauß […) ich hab mein ee gar dickh gebogen, Minnckh vnnd Pfaffen hingezogenn, Die mir machteund öwd vnnd Iust [… . 1 1
Abb. 7: Bürgerio und Tod, Vergänglichkeitsbuch, Wilhelm Wemer von Zimme , 40er Jahre des 16. J11. (nach: Christian Kiening (Hg.), Wilhelm Wemer von Zimme . Totentanz. Konstanz 2004)
Der Holzschnitt im Knoblochtzer-Druck (Abb. 6) zeigt eine zum Kirch­ gang gekleidete Ehefrau mit einer ,schweren“2 weißen Haube mit Kinnbinde, wie wir sie etwa vom Porträt der Ursula Tueher aus dem Jahr 1478 kennen.13 Die bürgerliche Ehefrau in der Handschrift Zimme trägt als Kopfbedeckung ein Steuchlein, das in Bild- tmd Textzeugnissen aus Nürnberg ab dem Ende des
1 1 Koller, Totentanz, S. 2 1 4 ; zum Vergänglichkeitsbuch vgl. Franz-Josef Holznagel: Selbstdarstellung und Montage im ,Vergänglichkeitsbuch‘ des Grafen Wilhelm Werner von Zimmern (ca. 1550). In: Zeitschrift ftir deutsches Altertum und deutsche Literatur 134
12 (2005), s. 143- .
Diese Bezeichnung verwendet Jutta Zander-Seidel: Textiler Hausrat. Kleidung und
Haustextilien in Nümberg von 1500-1650. München 1 990, S. 107.
13 Michael Wolgemut, Porträt der Ursula Tucher, 1478 (Kassel, Staatliche Kunstsammlungen,
Kg 4); abgebildet bei Peter Striedcr: Tafelmalerei in Nümberg 1350-1550. Königstein im
Taunus 1993, S. 201.
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15. Jahrhunderts belegbar ist. Als Oberbekleidung trägt sie einen Rock, dessen Ärmel an den Schulte und Ellbogen geschlitzt sind; durch die Schlitze quellen die Ärmel des andersfarbigen Hemdes. Der tiefe Halsausschnitt wird durch einen über dem Rock getragenen Goller bedeckt. Über dem Rock trägt sie einen Schurz eck, auch Fünock genannt, eine nur den vorderen Teil des Rockes bedeckende Schürze, die einfacher Ausführung bei der Arbeit getragen rde; in kostbarer Aus htung gehörte sie auch zur Ausgehtracht Letztere wurden dann auch zum Gegenstand von Kleiderordnungen, die bei den Ma­ terialien eingriffen und die Verwendung von Gold- und Silberga en bei der Kräuselung Taillenband verboten. Weiters beschäftigten sie sich mit der Tragweise solcher SchurzHecken und Schurzhemden, da „unter dem weiblichen geschlecht […] ein Mißbrauch und Unordnung entstanden ist, als daß sie zu zeiten bei Tag und Nacht auf offener gassen und Straßen ihre Häupter und angesicht mit Schurzhemden, Tischtüche und anderem außerhalb p eglicher Gebennde bedecken und sich damit unkenntlich machen.'“4 Die von Wilhelm We er von Zimme angefertigten Federzeichnungen werden in der Forschung – so zuletzt von Franz-JosefHolznagel 2005 – als Kopien nach dem Knoblocht­ zer-Druck oder einer verlorenen Zwischenstufe angesehen. Die Figur des Dudel­ sack spielenden Todes spricht da ir; die Darstellung der Ehefrau wurde aller­ dings, was ihre Tracht angeht, deutlich ,mode isiert‘.
Die weibliche Reihe der im Totentanz vorkommenden Figuren umfasst neben solchen Vertreterinnen, die in Verbindung mit der sozialen Stellung ihrer Mätmer in der Obrigkeits- bzw. Untertanenreihe auftreten, auch Vettreterinnen bestimmter weiblicher Alterstufen. Zu diesen gehören neben der nur selten vor­ kommenden Witwe, die Jungfrau/Tochter und die Mutter. Im Gesamtbestand der Totentanz-Textüberlieferung, den Koller in Hinblick auf Häu gkeilen in­ nerhalb der Ständereihen analysierte, ist die Jungfrau die mit den meisten Bele­ gen vertretene weibliche Figur 5 Der generelle Vorwurf, der in allen überliefer­ ten Texten anklingt, ist der der Wollust und Unzucht; statt sich dem geistigen Leben zu widmen, stand ihr während ihres kurzen Lebens der Sinn nur nach Unterhaltung, Tanz, Spiel und Gesang: „Ich wolt der werlt zu male behagen I Mit dantzen und mit springen“ heißt es im Knoblochtzer-Druck; „Den knaben zu leyb thet ich singen weltliche leider offvnd vil. Vwer vffmutzen, dantzen, zye­ ren Der knaben gestalt und hoffieren“, formuliert der Kienzheimer Totentanz.16 Sie hat die Zeit ihres Jungfe standes falsch genützt; statt eine geistliche Lauf­ bahn im Kloster einzuschlagen – „Were ik ene klostervrowe worden.“ klagt sie im Lübecker Totentanz Notkes 1463 – oder einen passablen Ehemann zu finden und ihm Kinder zu schenken, hat sie ihr Leben mit Tanz und Spiel vertan. Die Jtmgfrau auf dem Holzschnitt im Knoblochtzer-Druck (Abb. 8) trägt einen am Oberkörper eng anliegenden Rock, der ihre Brüste betont; die Schleppe als Zei-
14 Erste Erwähnung dieser Trageweise 1496, dann weiter in allen Ratsverlässen Nümbergs von 1 500 bis I 523; Zander-Seidel, Textiler Hausrat , S. 7 1 .
1 5 K o l l e r , To t e n t a n z , S . 2 1 7 – 2 1 9 . 16 Koller, Totentanz, S. 218.
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chen der Hoffart hat sie über ihren rechten Arm gelegt, um die Tanzschritte zu ermöglichen; auch bei ihr wird dadurch ihr Fuß enthüllt, der in einem Schna­ belschuh steckt, über dem sie zum Schutz vor dem Straßenschmutz eine hölzeme Trippe trägt. Der Tod hat sie auf dem Weg zum Tanz überrascht. Als Kopfschmuck trägt sie einen üppigen, vermutlich aus frischen Blumen und Zweigen ge rundenen Kranz – ein weiteres Zeichen der Hoffatt, denn „[. . .] zieren ihr heubte mit krentzen, mit ko en, mit guldin schappeln, mit perlen etc. […] soelich zierung ist ein bereitunge, daz der tufel uffundjn sitzt und wider got vicht uffjne, vnd vil seien dar nider schlecht vnd sticht […]“, so ein anonymer Prediger des 15. Jah.rhunderts.17
K iu ui z
Abb. 8: Jungfrau und Tod, Oberdeutscher achtzeitiger Totentanz, Heinrich Knoblochtzer, Straßburg-Heidelberg 1485/88 (nach: Kaiser, Der tanzende Tod)
17 Zitiert nach Valcska Koal: Zur Praxis von Totentänzen in Mittelalter und Früher euzeit. In: Zum Sterben schön. Alter. Totentanz und Sterbekunst von 1500 bis heute. Hg. von Andrea von Hülsen-Esch und Hiltrud Westermann-Angershausen in Zusammenarbeit mit Stefanie Knöll. Regensburg 2006, Bd. 1, S. 1 10.
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Abb. 9: Witwe und Tod – Jung au und Tod, Bemer Totentanz, Nik.laus Manuel Deutsch, 15 16/17- 1 5 1 9/20 (nach: Johannes Tripps, „Den Würme wirst Du Wildbret sein“: der Be er Totentanz des Niklaus Manuel Deutsch in den Aquarellkopien von Albrecht Kauw (1 649).
Be 2006)
Im Berner Totentanz des Niklaus Manuel ( 1 5 1 6/1 520) gibt sich die Jung­ frau als verlobt oder zumindest liiert zu erkennen (Abb. 9). Die Verse stehen in der Tradition der Klage über die Vergänglichkeit weiblicher Schönheit: Der tod spricht zu der dochter I Dochterjetz ist schon hie din Stund I Bleych wirt werden din Rodter Mund I Din Lyb, din angsicht, din Har, vnnd Brüst I mus alles werden Ein fuler Mist I Die dochter gibt Antwort. I 0 tod wie grüwlich gr t mich an I mir wyl min Hertz Jm Lyb zergan I Jch was verp icht Einem Jungen knaben, I So wyl mich der tod mit Jm haben.18 Drastisch überträgt Niklaus Manuel den Inhalt der Zeilen in seine Bildersprache: Die Kleidung der Jungfer wirkt derangiert. Dreist greift der Tod ihr ins Dekollete und trägt den Kop utz der Braut/Jungfer: eine Brautkrone, die mit einem Band befestigt wird. Der Grundtenor der Aussage Niklaus Manuels lässt sich zu der 1 5 1 8 entstandenen Holzschnittfolge zur Parabel von den „Klugen und Törichten Jungfrauen“ in Beziehung setzen, die bei Niklaus Manuel wie bei seinem Zeitgenossen Urs Graf eine radikale Umdeutung erfa . Seit etwa 1 5 1 3 – aus diesem Jahr stammen die ältesten erhaltenen Zeichnungen diesem Thema – setzte sich Niklaus Manuel mit dem Thema der Klugen und Törichten Jun rauen ausein-
18 Johannes Tripps: „Den Würme wirst Du Wildbret sein“: der Be er Totentanz des Nik­ laus Manuel Deutsch in den Aquarellkopien von Albrecht Kauw ( 1 649). Bem 2006, S. 79.
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ander. Der Unterschied zwischen ,klug‘ und ,töricht‘ ist verwischt, auch die klu­ gen Jungfrauen huldigen nun dem Laster der Superbio und Luxuria (Abb. 1 0). 19
Abb. 1 0 : Kluge Jungfrau, Niklaus Manuel Deutsch, 1 5 1 8 (nach: iklaus-Manuel Deutsch.
Maler, Dichter, Staatsmann. Ausstellungskatalog Kunsnnuseum Bem. Bem 1979)
Das männliche Pendant zur Jungfrau ist der Jüngling, den ich aufgrund ähnlicher Konstellation mit der Figur des Junkers zusammenfasse: Der Knoblochtzer-Druck unterscheidet in seiner Ständehierarchie zwischen „Jung­ her“ als XV. Figur und „Jungeling“ als XXI. Figur. Rede und Gegenrede sind beim „Jungher“ recht allgemein formuliert. Der Tod fordert ihn zum Tanz auf: „Her Jungher myr m ßen dantzen, hofyeren und hovelichen schwantzen usw.“ Der Junker wird sich in seinen Antwo1tversen seines sündigen Lebens bewusst und ho t, dass Gott ihm gnädig sei: „Ich harr wollust gesucht offerden I Myn sele wolle gotde zu deyl werden.“ Die Figur des Jünglings versieht der Tod mit schmückenden Beiworten, die auf dessen Jugend anspielen: ,jungelink zart hubs und fm […] Du kanst gar süßliche syngen hofieren dantzen vnd spryn-
19 Vgl. Elisabeth Vavra: Klug oder töricht – Heilige oder Sünderin. Ln: Genntd Blaschitz, Helmut Hundsbichler, Gerhard Jaritz und Elisabeth Vavra (Hg.): Symbole des Alltags – Alltag der Symbole. Festschrift ir Harry Kühnel zum 65. Gebunstag. Graz 1992, S. 417- 444.
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gen.“ Sein Fehler war, dass er mit einem so plötzlichen Tod nicht gerechnet hatte; wäre er sich dessen bewusst gewesen, so hätte er Gott sein Leben geweiht.
Abb. I I : Junker und Tod, Oberdeutscher achtzeiliger Totentanz, Heinrich Knoblochtzer, Straßburg-Heidelberg 1485/88 (nach: Kaiser, Der tanzende Tod)
Abb. 1 2 : Jüngling und Tod, Oberdeutscher achtzeiliger Totentanz, Heinrich Knoblochtzer, Straßburg-Heidelberg 1485/88 (nach: Kaiser, Der tanzende Tod)
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Die beiden Il lustrationen (Abb. 1 1 und 1 2 ) unterscheiden sich, was die Kleidung betri t, nicht grundsätzlich voneinander. Beide Männer tragen die für die zweite Jahrhunderthälfte typischen kurzen Schecken und Wämser, dazu eng anliegende Beinkleider. Der Junker trägt über der Schecke noch einen kurzen Schultermantel und statt des Schapels eine mützenartige Kopfbedeckung mit Fransen auf einer Seite.
Abb. 13: Jüngling, Fragment des Totentanzes an der Friedhofsmauer des Dominikanerklosters in Basel, 1439/40 (nach: Keller, Basler Totentanz)
Der als Fragment erhaltene Jüngling des Totentanzfreskos im Kreuzgang des Dominikanerklosters in Basel (Abb. 13) trug ein – kann man den Kopien nach dem Klingentaler Totentanz trauen, kurzes gegürtetes Obergewand in Rot und dazu einen grünen Chaperon – beide Farben deuten auf Jugend und Liebe hin. 1n seiner textlichen Intention unterscheidet sich der Berner Totentanz (Abb. 14) nicht wesentlich. Die zentrale Aussage dreht sich um das jugendliche Alter, das vor einem plötzlichen Tod nicht schützt. Die dem Tod in den Mund gelegten Verse zitieren das seit dem 14. Jahrhundert bekannte Motiv der Begegnung der drei Lebenden mit den drei Toten: „Edler Jüngling, schön I Jung vnd Rych I sich wäm du Endtlich werdest glych I Dinem Adell sollt mit Zucht wo! zierenn I din Läbenn wirst sunst balld verlieren.“ Der Jüngling bedauert in der Widerrede seinen frühen Tod: „Jn fröyd hatt Jch ein gutten mut I Das bracht mit gsundt heyt I vnd mit gut I Ach Jch sollt hie vil lennger läbenn I so l mir der tod nit Zytt meer gäben.“ Die bildliehe Wiedergabe zeigt einen jugendlichen eid­ genössischen Reisläufer: Die Beinkleider enden unterhalb des Knies; die Waden stecken in farbigen, eng anliegenden Sttiimpfen, die von Strumpfbände in
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derselben Farbe gehalten werden; die Beinkleider und das weit ausgeschnittene Wams sind buntfarbig zerhauen; den Kopf zie ein Barett mit Federschmuck. In pervertierter Form tritt der Tod als Werber auf: den Totenschädel ziert ein aus Eichenlaub gewundener Kranz, wie ihn Edelleute beim Maienritt trugen?0 Statt des Falken trägt der Leichnam einen aas essenden Raben auf seinem rechten Arm.
Abb. 14: Schultheiß und Tod – Reicher Jüngling und Tod, Bcmer Totentanz, Niklaus Manuel Deutsch, 1 5 16/1 7-1 5 1 9/20 (nach: Tripps, „Den Würme wirst Du Wildbret sein“)
In vielen Fällen bildet die Gruppe ,Mutter und Kind‘ den Abschluss der
Ständehierarchie.2 1 l m Kleinbasler Totentanz zieht der Tod zunächst das Kind in den Reigen und forde1t dann im nächsten Bild die Mutter auf, i em Kind zu folgen. 1m Heidelberger Blockbuch (Abb. 1 5 und 1 6) ist die Sequenz sinnstö­ rend ve1tauscht: „Nu sweiget w1d Iot ewie kriegen I 1oft dem kinde noch mit der wygen I ir must alle beyde an desen tanz I fraw lacht so wüt der schympf gantz.“22 Die Mutter spricht zum Kind gerichtet: „0 kind ich wold dich haben erlost I nw ist empfallen mir der trost I der tod hot das vorkommen I vnd mich mit dir genomen.“ In keinem der überlieferten Totentanztexte wird in irgend­ einer Form itik an den Verhaltensweisen der Mutter geübt; sie ist das unschul­ dige Opfer, der zunächst das Kind aus der Wiege geraubt wird und die sich dann
20 So Tripps, ,.Den Würme wirst Du Wildbret sein“, S. 68.
21 Nur der Lübecker Totentanz von 1489 und die von ihm abhängige Gruppe titeln die letzte
Vertreterio des menschlichen Geschlechts, die vom Tod in den Reigen gezogen wird, als 2 „Ammeu.
2 Transkription nach dem Blockbuch, abgebildet bei Kaiser, Der tanzende Tod, S. 326. 76

schließlich mehr oder minder freiwillig in den Totentanz einreiht. Ganz in die­ sem Sinne erfolgt auch ihre bildliehe Umsetzung.
Abb. 1 5 : Muner und Tod, Totentanz des Heidelberger Blockbuchs, 1455/58 (nach: Kaiser, Der tanzende Tod)
Abb. 16: Kind und Tod, Totentanz des Heidelberger Blockbuchs, 1455/58 (nach: Kaiser, Der tanzende Tod)
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Abb. 1 7 : Narr und Tod – Mutter mit Kind und Tod, Bemer Totentanz, Niklaus Manuel Deutsch, 1 5 1 6117-1 5 1 9/20 (nach: Tripps, „Deo Würme wirst Du Wildbret sein“)
Im Berner Totentanz (Abb. 17) wird sie in ihrer Rolle als Ehefrau ange­ sprochen: „Der Tod spricht zu der Eefrouw I Eefrouw das Kind must du mir 1an I Es mus tantzen, vnnd kann nit gan I Es ist besßer du Jaßests also stärben I Es möchte viilicht zum Buben werdenn I Die Eefrouw gibt Antwottt ./ 0 tod, wie bist so thumb und Blind I Nimpst mit dem Mann, ouch mir das Kind I Das kann Jch nit wo! vber khon I Zletst so mus Jch ouch mit dir daruon.“ Ihre Kleidung weist sie als ,seriöse‘ Ehefrau aus. Ihr Haar trägt sie mit einer leinenen Wulst­ haube, deren Schleiertuch gelöst ist, bedeckt. Wenn man den Kopien Kauws auch im Detail trauen darf, so weist ihre Oberbekleidung bereits eine Trennung ,Unter- bzw. Halbrock‘ und ein den Oberkörper bedeckendes langärmeliges Kleidungsstück auf, das in den Kostümlandschaften mit unterschiedlichen zeitgenössischen Te ini belegt wird: Brüstlein und Leiblein etwa in Nü berg, in anderen Regionen Joppe, Leib, Leibstück, Mieder etc. Im Halsausschnitt wird das Hemd sichtbar. Darüber trägt sie noch einen Goller, der kragenartig Schul­ te und Dekollete bedeckt. Unter dem Halbrock wird noch ein weiterer Rock getragen.
Bevor ich zu einem Resümee komme, möchte ich noch einige der im Ber­ ner Totentanz Niklaus Manuels verwendeten Kleidungsformen in den Kontext der historischen Ereignisse und deren Re exion in der chronikalischen Überlie­ ferung stellen. Als Ausgangspunkt dient eine um 1 5 3 2 entstandene Kabinett­ scheibe des Bemer Glasmalers Hans Funk mit der Darstellung Des Alten und des jungen Eidgenossen (Abb. 1 8). Die f Hans Rudolf Nägeli geschaffene Scheibe zeigt in der oberen Hälfte die Schlacht bei Novara, in der unteren Hälfte
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stehen einander der alte und der junge Eidgenosse gegenüber, flankiert von zwei Textblöcken, die die Problematik des Reisläuferrums und den damit einher­ gehenden Sittenverfall in den ersten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts proble­ matisieren.
Abb. 18: Derjunge und der alte Eidgenosse, Hans Funk, um 1532 (nach: Niklaus-Manuel Deutsch. Maler Dichter Staatsmann)
Der Sittenverfall äußert sich in neuen Laste , neuen Genüssen und nicht zuletzt in neuen Kleide , wie sie der junge Eidgenosse protzig zur Schau stellt: „Syden Thamast vnd samat. das was bei uns in schlechter acht“, stellt der alte Eidgenosse fest, „vnd suster vil der Welschen trachten, dere wir wenig jn vnsere husre machte.“ Durch die Reisläufe regierten nun im Land „hoffart gwaltt großer vbermut“. Dem Tenor des Textes entsprechend sind die beiden Prota­ gonisten dargestelle3 Der Alte in bescheidener Haltung und Tracht, auf dem
23 Beschreibung der Kleidung nach: Niklaus-Manuel Deutsch. Maler Dichter Staatsmann. Ausstellungskatalog Kunstmuseum Be . Be 1979, S. 474, dort auch eine Abbildung.
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Kopf ein Barett mit Nelkenbusch, ein schlichter Rock, einfarbige Beinkleider, im Ledergurt der einfache Schweizerdolch mit den beiden Beimessem. Im Kon­ trast dazu steht der Stutzerhaft modisch gekleidete junge Eidgenosse: ein schräg geschlitztes Wams aus Damast, reich geschlitzte Beinkleider, Strümpfe und Beinkleider gelb und schwarz gestreift, ein mächtiges Federbarett, ein rot­ schwarz gestreifter Mantel, ebenfalls geschlitzt, durch die Schlitze tritt das Pelz tter hervor.Z4
Der Inhalt der Scheibe ist vor dem Hintergrund des Schweizer Reisläu­ fertu s zu verstehen und der wechselnden Parteinahme der Eidgenossen. Schweizer Reisläufer waren zunächst im Sold des französischen Königs gestan­ den, dann tmterstützten sie den Herzog von Mailand. In der Schlacht bei Novara 1513 fugten die im Dienste des Herzogs von Mailand, Maximilian Sforza, ste­ henden Eidgenossen den Truppen König Ludwigs XII. von Frankreich eine ver­ nichtende Niederlage zu. Allerdings gab es weiterhin in der Stadt Bem und an­ derswo E pfauger französischer Pensionen. In der Schlacht von Marignano 1515 mussten die Eidgenossen die erste schwere Niederlage hinnehmen. Ende 1516 schlossen die eidgenössischen Orte mit Frankreich einen ewigen Frieden. Das wachsende Machtpotential der Habsburger durch die Wahl Karls V. zum Kaiser 1 5 1 9 bewog die Eidgenossen, sich noch enger an Frankreich anzuschlie­ ßen. Die Niederlagen der Jahre 1 522 und 1 525 und die damit verbundenen ho­ hen Kriegsverluste veranlassten schließlich das Stadtregiment von Bern 1529, dem Niklaus Manuel seit 1 5 1 0 angehörte, einem offiziellen Verzicht auf Reislauf und Pensionen. Das Kleidermandat der Stadt Bem aus demselben Jahr verbietet die „üppigen kleider und zerhowen hosen“, als Grund f dieses Gebot
werden die hohen Kosten angeführt, die Kleidung aufgewendet werden: „Zum vierden, so haben wir betrachtet den grossen u kosten, so man bissbar an die kleider bewendt hat, tmd damit söllichs hienach fürkommen und abgestellt, so ist genzlich unser will und emstig meynung, dass jederman, wib und man, jung und alt, sich ersamer unergerlicher kleidungen gebruchen und vorab nie­ mands hinfür kein zerhuwen kleid machen lasse, noch antrage, weder in- noch usse1ihalb unser stetten, landen und gepieten (…].“25
Welche Kleidungsstücke in der Ordnung von 1529 und mit dem Schei­ bentext gemeint sind, berichtet ausfuhrlieh die entsprechende Stelle zum Jahr
1521 der Bemer Chronik des Valerius Anshelm:26 „[
beschehen, dass das kriegsvolk uf Spangisehen siten mit hosen und wammes so zerhowen ist kommen, dass ein stat Be , die nie liechtlich nüw siten hat ange­ nommen, semlichs zerhowen bis straf 5 pfund in ir stat und land lies verbieten; item blaterhosen, hosenbändel, ( . . . ] item Lampartische zarter arbeit kragen und
14 Zum Landsknechtwesen vgl. Reinhard Baumann: Landsknechte, München 1994 und Bruno Koch: Reislaufund Pensionen. : Bems große Zeit. Hg. von Ellen J. Beer u. a. Bem 1 999,
2
2
s. 277-285.
5 Zitiert nach Leo Zehnder: Volkskundliches in der älteren schweizerischen Chronistik, Basel
1976 (Schriften der Schweizerischen Gesellschaft Volkskunde Bd. 60), S. 87. 6 Zehnder, Volkskundliches, S. 74.
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•••
] also ist ouch dieser zit

kragenhemder; item spangisch, in einer Eidgnoschaft hievor nie gebrucht kap­ pen; item blattenbaretli, schäpli, ouch von sammat, und schouch, an zehen han­ gend, und doch zwifach türer, dan vomacher puontschuoch [ . . . ] item beschroten
köpf und bärt [
Welche Stellung nimmt nun der Be er Totentanz, der zwischen 1 5 1 61 1 7
.
. .].“
und 1519/20 entstanden ist, in diesem Kontext ein? Die einzelnen Felder des Be er Totentanzes wurden – meist noch Lebzeiten – von Mitgliedem der re­ gierenden Gesellschaft von Adels- und Burgerfamilien gestiftet.27 Zum Teil lie­ ßen sie sich als Repräsentanten des eigenen Standes abbilden. Die Vertreter des ,3. Standes‘ -Jurist,Fürsprecher, Schultheiß, RatshetT, Vogt, Burger, Kaufmann – tragen eine der Entstehungszeit entsprechende gemäßigt konservative Tracht. Allerdings zeigen sich im Detail durchaus die neuen Sitten. Unter der voluminö­ sen roten Schaube des Fürsprechs werden zweifarbig gestreifte Beinkleider sichtbar und eine ausgestopfte, farbig betonte SchamkapseL Betont modisch auch der Bürger: mit geteilten gestreiften Beinkleidern in den Farben Blau und Gelb bzw. Weiß; die vertikale Farbverteilung setzt sich auch im Wams tmd in den Ärmeln fort. Gelb, das bis zum Ausgang des 15. Jahrhunderts mit Rand­ ständigen und Stigmatisienmg konnotiert war, wurde um 1 500 in der Schweize­ rischen Eidgenossenschaft zur Modefarbe.28 Zum Jahr 1 503 vetmerkt der Chro­ nist Anshelm: „So hat die gel farb, so vor Judas hiess, anfangen und die gmei­ nest worden, der eine Swytzergel gnent.“ Der Kontakt mit Oberitalien im Zuge der Reisläufe vermittelte auch den Kontakt mit der „welschen“ Mode – die aus den Kriegszügen heimkehrenden Söldner hatten ihren Sold u. a. in die Anschaf­ fung modischer Kleidung investiert. Simon-Muscheid hat in ihren Untersuchun­ gen der Basler Inventare die frühesten Belege für die Farbe Gelb in den Jahren 1 505-1508 gefunden. In dem folgenden Jahrzelmt erweiterte sich die Produkt­ palette rasch und umfasste gegen 1 520 gelbe Damast- und Seidenwämser, Fut­ tersto e, Hemden, Schleier, Obergewänder, Mäntel und Röcke. Die Bilder des Berner Totentanzes spiegeln diese Entwicklung deutlich. Sie zeigen im Bild des Jünglings und im Selbstporträt des Malers die charakteristische Tracht des eid­ genössischen Reisläufers (Abb. 19).
Diese Tracht ndet sich in zahlreichen Belegen im Oeuvre Niklaus Ma­ nuels, ohne dass eine negative Konnotation festzustellen wäre.29 Es ist gerrau die Tracht, die dann vom Berner Rat 1 529 verboten wird – eine Entscheidung, die von Niklaus Manuel mitgetragen wurde. Welcher Erfolg diesem Verbot tatsäch­ lich beschieden war, entzieht sich unserer Kenntnis. Kritik am Berner Kleider-
27 Vgl. dazu Urs Martin Zahnd: „. . . aller W lt Figur . . .“. Die bemische Gesellscha des ausgehenden Mittelalters im Spiegel von Niklaus Manuels Totentanz. In: Bems große Zeit. Hg. von Ellen J. Beer u. a. Be 1999, S. 1 19-139 und ders., Gesellscha sbild und Gesell­
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8 schaftskritik in Niklaus Manuels Be er Totentanz. In: Zum Sterben schön, S. 144-154.
Vgl. dazu die Ausf rungen zur neuen Modefarbe Gelb und deren Verbreitung bei Katha­ rina Simon-Muscheid: Die Dinge im Schnittpunkt sozialer Beziehungsnetze. Reden und Objekte im Alltag (Oberrhein, 14. bis 16. Jahrhundert). Göttingen 2004, S. 335-340.
29 Vgl. z. B. die Zeichnungen in Niklaus-Manue/ Deutsch, Abb. 74, 75, 1 18. 81
Iuxus, an den neuen „welschen“ Sitten etc. spricht m. E. nicht aus den Bilde des Be er Totentanzes. So wie die Fresken die ständische Hierarchie in Be widerspiegeln, so zeigen sie auch, wie die Be er Gesellschaft durch ihre Klei­ dung ihren Status repräsentierte. Die Annahme, dass die Finanziers der Fresken eine diffamierende Darstellungsweise il es Standes durch die Kleidung zugelas­ sen hätten, ist kaum wahrscheinlich.
Abb. 1 9 : Heiden und Juden, der Maler und Tod, Be er Totentanz, Niklaus Manuel Deutsch, 1 5 1 6/1 7 – 1 5 1 9/20 (nach: Tripps, „Den Würme wirst Du Wildbret sein“)
***
Generell lässt sich ftir die spätmittelalterlichen Totentänze, soweit ihr Überliefe­ rungsstand ein Urteil erlaubt, feststellen, dass sie Kleidung in erster Linie asso­ ziativ zur Kenntlichmachung des Standes einsetzen, nicht aber, um pointiert auf standestypische Verfehlungen hinzuweisen. Kleidung war ein weiteres Mittel, um den Betrachter unmittelbar in seiner Lebenswirklichkeit anzusprechen. In­ terpretationen der Totentänze z. B. als ,Abrechnung‘ mit den großen ,Hansen’30 oder mit dem Be er Stadtregiment erscheinen mir völlig überzogen. Die Vor­ würfe, mit denen die Handlungsträger und städtischen Führungsschichten kon­ ontiert werden, stehen in der langen Tradition didaktischer Literatur. Wie ein­ gangs festgestellt, ist eine der zentralen Aussagen der Totentänze der memento mori-Gedanke, die geistliche Warnung vor dem plötzlichen Tod, dem jeder in
3 0 Vgl. dazu ftir Lübeck die Erläuterungen bei Helmut Rosenfeld: Der mi elalterliche Toten­ tanz. Entstehung-Entwicklung-Bedeutung. Aufl. 3. Köln-Wien 1974, S. 180-203.
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Zeiten der Pest von einem auf den anderen Tag begegnen konnte. Die Toten­ tänze hren ihren Adressaten die Vergänglichkeit menschlichen Lebens in schauriger Form vor Augen, eine Vergänglichkeit, der alle anheim fallen, unab­ hängig von Alter, Geschlecht, Vennögen und auch Lebensweise oder wie es im Berner Totentanz heißt: „Kein Blyben ist in dieser Zytt, I Wir faren all dahin, ferr und wyth, I Silber und Gold hilfft uns nit hie, I Es weysz ouch niemand wenn oder wie.“3 1 Auch wer Zeit seines Lebens die Gebote Gottes befolgt hatte, blieb nicht verschont, allerdings konnte sie oder er leichteren Herzens der Auf­ fordenmg zum Tanz Folge leisten.
31 Tripps,“DenWürmernwirstDuWildbretsein“25. 83
MEDIUM AEVUM QUOTIDIANUM
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MS 2012
HERAUSGEGEBEN VON GERHARD JARITZ
GEDRUCKT MIT UNTERSTÜTZUNG DERKULTURABTEILUNG DES AMTES DER NIEDERÖSTERREICHISCHEN LANDES GIERUNG
KULTUR NIEDERÖSTERREICH
Titelgraphik Stephan J. Tramer
ISSN 1029-0737
Herausgeber: Medium Aevum Quotidianum. Gesellschaft zur Erforschung der materiellen Kultur des Mittelalters, Kö ermarkt 13, 3500 Krems, Österreich. Für den Inhalt verantwortlich zeichnen die Autoren, ohne deren ausdrückliche Zustimmung jeglicher Nachdruck, auch in Auszügen, nicht gestattet ist. – Druck: Grafisches Zentrum an der Technischen Universität Wien, Wiedner Haupts aße 8-10, I 040 Wien.

Inhaltsverzeichnis
Vorwort………………………………………………………………………… 4 Francesca Battista, Umotismo, satira e parodia nelle lettere erotiche
di Enrico di Ise ia ………………………………………………………. 5
Jan Odstrcilik, The Effects ofChrist’s Coming into the Soul.
A Case Study on a Group ofAnonymous Treatises
in Ms. Cambtidge, Corpus Christi Library 524 ……………………….. 32
Katefina Homickova, My Saints: „Personal“ Relic Collections inBohemiabeforeEmperorCharlesIV. . . . . . … . . … . . . . . .. .. . . . . . .. . . . . . …50
ElisabethVavra,Totentanzalamode………………………………………… . . . . . … . …62
Ievgen A. Khalkov, Everyday Life and Material Culture
in the Venetian and Genoese Trading Stations ofTana in the 1430s
(BasedontheStudyofNotarialDocuments) …………………………… 84
Irina Savinetskaya, „Othering“ a Neighbour: Perccptions
oftheFrenchBody intheEarlyModernGermanLands………………94
Buchbesprechw1g ……………………………………………………………… 104
AnschriftenderAutorinnenundAutoren …………………………………….108
Vorwort
Die vorliegende Ausgabe von Medium Aevum Quotidianum soll neuerlich die Breite vermitteln, in welcher Bereiche des mittelalterlichen und ühneuzeit­ lichen Alltags in der Quellenüberlieferung unterschiedlichster Inhalte, Autoren, Datierung, Provenienz und sozialer Gmppierungen auftreten können.
Wärend sich Francesca Battista mit „erotischen“ Musterbriefen des Hein­ rich von lse a aus dem dreizehnten Jalu·hundert beschäftigt, konzentriert sich Jan Odstrcilik auf anonyme Texte böhmischer Herkunft in einer Handschrift des vierze ten Jahrhunderts aus der Corpus Christi Library in Cambridge, welche sich mit dem Eintritt Gottes in die menschliche Seele auseinandersetzen. Auch Kate ina Ho lekova widmet sich Lebensäußerungen im böhmischen Raum und zwar den Reliquiensammlungen von Angehörigen der Prager Eliten bereits vor dem Zeitraum und den diesbezüglichen Bestrebungen Kaiser Karls IV.
Elisabeth Vavra untersucht Totentanz-Darstellungen des deutschsprachi­ gen Raumes aus dem fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert und kann fest­ stellen, dass die in diesen auftretenden Kleidungsdarstellungen der wiedergege­ benen Protagonisten zur Kenntlichmachung der Standeszugehörigkeit derselben dienen sollten und nicht, um visuell auf deren standestypische Verfehlungen hinzuweisen. Tevgen A. Khalkov untersucht die letztwilligen Ver igungen der Bewohner der Venezianischen und Genueser Handelstationen von Tana am Schwarzen Meer aus den Dreißigerjahren des nfzehnten Jahrhunderts hin­ sichtlich ihrer Aussagen zur materiellen Kultur und weist auf die herausragende Stellung des Kleidungswesens hin. lrina Savinetskaya liefert Ergebnisse ihrer Forschungen zur Konstruktion des Fremdbildes von Franzosen in deutschen Quellen des fünfzehnten und sechzehnten Jahrhunderts und deren Verhältnis zur Selbstbeurteilung der Deutschen.
Damit liefe die sechs Beiträge wichtige Ergebnisse zu Alltag, spirituel­ ler und materieller Kultur von Angehörigen unterschiedlicher sozialer Schichten profaner und klerikaler Provenienz. Sie können dadurch mithelfen, die kom­ parative Erforschung mittelalterlicher und frühneuzeitlicher Lebensgestalttung erfolgreich voranzutreiben.
Gerhard Jaritz
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