Stadtereignis: Heiraten in Zwickau 15411 Helmut Bräuer
In einer frühneuzeitlichen Stadt übte der Rat seine Lenkungs- und Verwaltungs- macht u.a. mit einer Fülle von „Befehlen“ oder Ordnungen aus, die den Alltag und Festtag der Bewohnerschaft reglementieren sollten. Diese Ordnungen reich- ten von Bestimmungen zum Schutz der Stadt und seiner Einwohner (u.a. Feuer-, Wasser-, Brau-, Wach-, Bau- und Steuerordnung), zur Einflussnahme auf Bür- ger/Einwohner und deren Bewusstsein und Verhalten gegenüber der Obrigkeit und Kirche (u.a. Huldigungs-, Bürgerrechts-, Kirchen- und Religions-, Erzie- hungs- und Moralnormen- sowie Luxus- und Kleiderordnungen), Wirtschafts- regelungen (u.a. Handwerks-, Markt-, Preis-/Gewichts- und Vorkaufsordnun- gen), Gesundheitsvorschriften (u.a. Pest- und andere Seuchenordnungen) und auch spezielle Fest- und Vergnügungsordnungen (u.a. Theaterspiel- und Tier- hatzbestimmungen, Tauf-, Hochzeits-, Begräbnis- sowie Gasthaus- oder Trink- /Schankordnungen). Im Prinzip gab es kaum einen größeren Lebensbereich, des- sen „Funktionierensollen“ nicht mit Bestimmungen dieser Art abgedeckt war.
Eine solche Ordnung, wie sie in einer bürgerschaftlichen Hierarchie2 existierte, und die sich prinzipiell als Relation von Regelungsfaktoren, Zielen und Wirklichkeiten, als Norm und Praxis oder als „Soll“ und „Ist“, verstand, wollte Zustände und Situationen dirigieren, die sich in offenbarer oder anschei- nender Unordnung befanden. Sie war bemüht, aus dem vorhandenen Chaos oder überholten Situationen den gewünschten Zustand werden zu lassen, stellt sich aber dem Historiker zugleich als eine Form von Wahrheit/Realität dar, die das Existierende enthielt oder enthalten konnte. D.h., sie war auch eine Figur des Tatsächlichen, das es partiell zu korrigieren oder zu kanalisieren galt, um die
1 Der nachfolgende Text wird zugleich in leicht verkürzter Form in „Cygnea. Zeitschrift des Stadtarchivs Zwickau“ veröffentlicht. Zu danken habe ich Frau Dipl.-Archivarin Silva Teichert (Zwickau) für die Erlaubnis zur Veröffentlichung von „Ordnungstext“ und Abbildungen sowie Gerhard Jaritz (Wien-Budapest) für die Bereitschaft zur Übernahme der Arbeit in „Medium Aevum Quotidianum“.
2 Thomas Weller, Theatrum Praecedentiae. Zeremonieller Rang und gesellschaftliche Ord- nung in der frühneuzeitlichen Stadt: Leipzig 1500-1800 (Symbolische Kommunikation in der Vormoderne). Darmstadt 2006, 10.
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bestehenden grundsätzlichen Gesellschaftsumstände zu erhalten oder zu qualifi- zieren. Dabei sagte die Ordnung noch nichts über die Realisierung ihrer Vorga- ben aus. Dieselben waren zunächst nur die formulierte Absicht. Meist wiesen erst die zugehörigen Instruktionen den Weg zur Ausführung, die aber nur in wenigen Fällen (und dann für das 17./18. Jahrhundert) überliefert sind. Doch selbst diese hatten Plan-Charakter. Insofern war Ordnung das Sinnbild der Macht – des Machtwillens, des Machterhalts und der Machtexpansion – und sie kaschierte zugleich diese Funktionen durch das Etikett von einer allgemeinen Gültigkeit, die die vermeintlich ordnende Macht und die „geordnete Ohn- Macht“ gleichermaßen betraf. Denn: Es waren stets bestimmte Kräfte erforderlich, um eine Norm auch zu einer allgemein akzeptierten Regelung zu bringen, aber diese Kräfte wurden nur von der „ordnenden Macht“ in Bewegung gesetzt.3
Andererseits ist die Überlegung von Gerd Schwerhoff bedeutungsvoll, die er aus der tausendfachen Produktion von Policeyordnungen des Spätmittelalters und der frühen Neuzeit ableitete, wonach die Historiker die Policey-Ordnungen im Wesentlichen unter dem Aspekt der Disziplinierung gesehen haben, doch, so fragt er: „Liegt nicht eine wichtige Bedeutung dieser Ordnungen darin, durch das beständige Öffentlichmachen von Normen und die fortlaufende Produktion eines Publikums eben auch Öffentlichkeit herzustellen?“4
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Eine Vielzahl von prinzipiellen und speziellen normativen Regelungen der frühen Neuzeit, gleich welche Zwecke sie verfolgen sollten, wurden mit dem Verweis auf ihre göttliche Herkunft eingeleitet: Da die Obrigkeit von Gott kam, war deren Handeln göttlich legitimiert. Von Beginn an war damit eine Kritik, vor allem eine radikale, ausgeschlossen bzw. widerrechtlich. Ihre Duldung wäre Frevel gewesen. Das sollte zur Gewichtigkeits- und Bedeutungssteigerung der jeweiligen Ordnung ebenso dienen wie zur Abschreckung und/oder Bestrafung derer, die sich nicht an die entsprechende Regelung gebunden fühlten, sie also in den Wind schlagen wollten oder die zumindest eine solche Absicht haben könnten.5 Zugleich war diese Hinwendung zu Gott ein Aspekt der Rückversicherung der städtischen Obrigkeit gegenüber der Kirchgemeinde und entsprach dem christlichen Verständnis wie es der Rat sah. Denn: Auch in der frühneuzeitlichen Stadt existierten zu den verschiedensten Situationen oder Gegebenheiten des Alltages unterschiedliche Bewertungen und Haltungen, die
3 Helmut Bräuer, Im Dienste des Rates. Ordnung und Machtrealisation durch Ratsbedienstete in einigen Städten Obersachsens und der Lausitz zwischen 1500 und 1800. Leipzig 2013.
4 Gerd Schwerhoff, Stadt und Öffentlichkeit in der frühen Neuzeit – Perspektiven der For- schung. In: Ders. (Hg.), Stadt und Öffentlichkeit in der frühen Neuzeit. Köln-Weimar-Wien 2011, 20.
5 StadtA Zwickau (in der Folge StadtA), III d Nr. 7, Der Stadt Zwickau Statutenbuch o. J., Bl. 119-124b, hier: Bl. 119. – Helmut Bräuer, Wider den Rat. Der Zwickauer Konflikt 1516/17 (Zwickauer Arbeits- und Forschungsberichte. Kulturgeschichtliche Beiträge, Beiheft 1). Leipzig 1999, Stück 46, 308 f.
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vom Regiment kontrolliert und im Obrigkeitsinteresse „beherrscht“ werden mussten. Das war nicht immer problemfrei.
Daneben spielte auch die vermeintliche oder tatsächliche Not bzw. der Bedarf zur Ordnung der jeweiligen Sachlage im Interesse der Stadt eine Rolle. Eine solche Ansprache wandte sich folglich an alle Bürger, unterstrich den sog. „gemeynen nutz“, dessen die Stadt bedurfte und den der Rat aus weiser Einsicht der Obrigkeit zu befördern in der Lage war, zumindest dies aber stets laut hervorhob.6 Dieser „nutz“ erwies sich insofern als eine Formel von Gewicht, als es „von allgemeinem Nutzen“ sei, der Obrigkeit gehorsam zu sein und die be- stehende Ordnung nicht umzustoßen, wie es von Christina Müller in einem Bei- trag aus Halle deutlich gemacht wird.7 Letztlich sollte eine „vnordenung“ und ein Mangel an Lenkung der Geschäfte der Stadt angesprochen werden, um (neue, bessere oder jedenfalls andere) geregeltere Verhältnisse zu erzeugen. D. h., es ging in all diesen Angelegenheiten um die „gute Policey“, um rechtliche Festlegungen oder um die „Verrechtlichungsprozesse“ im Alltäglichen, wie sie im Anschluss an Winfried Schulze von Martin Scheutz und Alfred Stefan Weiß diskutiert wurden,8 wobei die Fragen der Konsolidierung der kommunalen Finanzen und der sozialen Disziplinierung der Bürgerschaft keine abseitigen Gegenstände darstellten.9 Gesellschaftsorientierte Normen, die den Alltag oder das Alltagsleben betrafen, waren stets Bestandteil des Bezugssystems Staat/ Ratsobrigkeit/Kirche, Öffentlichkeit und Privatheit, doch ist dabei zu beobach- ten, dass das Private im Verlauf der frühen Neuzeit in beträchtlichem Umfang von Rat und Kirche nach deren Willen gelenkt wurde, wodurch folglich das Individuelle entsprechender Beeinträchtigung ausgesetzt oder gar schon gänz- lich abhanden gekommen war.
Am Ausgang des Spätmittelalters und dem Beginn der frühen Neuzeit waren auch Familiensituation und Ehe in den Strudel des Wandels gelangt.10 Erich Markgraf sprach direkt davon, dass die Ehe in eine „strukturelle Krise geraten“ sei und verwies auf die wachsende Zahl von Unverheirateten, viele „heimliche“ oder Winkelehen, die ohne elterliche und kirchliche Zustimmung
6 StadtA, III rO Nr. 22, Ordnung des Brauens, unpag. – Bräuer, Wider den Rat, Stück 32, 257.
7 Christina Müller, Feste in der Schenke: Die Trinkstubenordnung von 1568 und andere Regulierungen des Rates zum Aufenthalt in Wirtshäusern. In: Werner Freitag, Katrin Minner (Hg.), Vergnügen und Inszenierung. Stationen städtischer Festkultur in Halle (For- schungen zur halleschen Stadtgeschichte 4). Halle 2004, 13-26, hier: 25.
8 Winfried Schulze, Einführung in Neuere Geschichte, 4. Aufl. Stuttgart 2004.- Martin Scheutz, Alfred Stefan Weiß (Hg.), Spital als Lebensform. Österreichische Spitalordnungen und Spitalinstruktionen der Neuzeit (Quelleneditionen des Instituts für Österreichische Geschichte 15/1). Wien-Köln-Weimar 2015, 37-40.
9 Karl Härter (Hg.), Policey und frühneuzeitliche Gesellschaft (Ius Commune, Sonderband 129). Frankfurt/M. 2000.
10 Richard van Dülmen, Kultur und Alltag in der Frühen Neuzeit, Bd. 1: Das Haus und seine Menschen 16.-18. Jahrhundert. München 1990, 134-197.
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geschlossen wurden, und auf viele Kleriker, die im Konkubinat lebten.11 Damit gaben sie ein „öffentliches Ärgernis“ ab.
Die zentrale Unvereinbarkeit entwickelte sich für die (einfache) Bewohnerschaft in Stadt und Land letztlich aus diesen realen Alltagsumständen, die allenthalben zu beobachten waren und dem kirchlichen Anspruch, zwischen Gott und den (gläubigen) Menschen zu vermitteln – also jene „Lebensform“ gut zu heißen, die sich aus der Bibel ergab und die die Kirche als „gottgewollt“ beschilderte und zum Sakrament erhob. Daraus leitete sich ein weiterer Wider- spruch ab: die „höhere“ menschlich-moralische Qualität der ehelosen Geistlichen,12 die sich selbst Gott näher wähnten und daraus „Lenkungskon- sequenzen“ begründeten. Aber „gottgewollte Ehe“ und Ehelosigkeit kollidierten nicht selten mit der Praxis der „wilden Ehe“, weil die Anforderungen von Kir- che und Öffentlichkeit nicht erfüllt werden konnten resp. abgelehnt wurden, im Klartext: Weil Pfarrköchin und Geistlicher nicht selten in einem Verbund lebten, der kirchlich „sündhaft“ und öffentlich anstößig war.
Luthers Verzicht auf den sakramentalen Charakter der Ehe – sie sei ein weltliches Ding – war daher ein tiefer (theologischer) Einschnitt. Mit ihm wurde aber nur bedingt Klarheit im Eheverständnis des Volkes geschaffen, weil sich dessen Kritik am Sakrament mit dem Bemühen der Reformatoren verband, die Ehe dennoch eng mit der Kirche als Institution zusammenzuführen – Seelsorge, Aufgebot, Trauung vor dem bzw. im Gebäude der Kirche, Ehegericht des Kon- sistoriums, Unehrbarerklärung vorehelicher Sexualität.13 Zwischen 1520 und 1530 nahm dann Luthers Eheauffassung klarere Konturen an. Die ersten vier Artikel der Schrift von 1530 waren danach der Kritik der weiten Verbreitung der „Vorehelichkeit“ oder dem „heimlichen Verlöbnis“ gewidmet und zielten auf die Einbeziehung der Öffentlichkeit.14
Ein innerer Konflikt in einer Familie/Verwandtschaft war beispielsweise eine solche Beziehung, die eigentlich auch intern ausgetragen wurde oder wer- den sollte. Wurden die Differenzen jedoch öffentlich, gerieten sie also mit den „gesetzten Normen“ in Kontakt, dann griffen umgehend die obrigkeitlichen Institutionen zu. So verzeichnet u.a. der Zwickauer Liber proscriptorum, 1367- 1536, in den Jahren zwischen 1510 und 1536 über 30 entsprechende Differenz- akte und die jeweiligen Strafen bzw. Urfehden – wegen innerfamiliärer Zerwürf- nisse/Gewalt, Frauenhausbesuchen von Ehemännern, geschwisterlichen Sexual- delikten, Verlassen von Ehepartnern, Bigamie oder Sodomie und vorehelicher
11 Erich Markgraf, Die Hochzeitspredigt der Frühen Neuzeit (Geschichtswissenschaften 16). München 2007, 49 f.
12 Siegrid Westphal, Venus und Vulcanus. Einleitende Überlegungen. In: Siegrid Westphal, Inken Schmidt-Voges, Anette Baumann (Hg.), Venus und Vulcanus. Ehen und ihre Konflikte in der Frühen Neuzeit (bibliothek altes Reich 6). München 2011, 10-12.
13 Westphal, Ehe 16-19.
14 Sieghard Mühlmann, Von Ehesachen, 1530. In: Martin Luther. Studienausgabe, hg. Hans-
Ulrich Delius, Bd. 4. Berlin 1986, 259-317, hier: 165. 45
Sexualität.15 Dabei handelte es sich in der Tat lediglich um die der Obrigkeit angezeigten Fälle. Die Dunkelziffer der realen Fälle lag vermutlich um einiges höher, wie sich etwa aus den Darlegungen von Richard van Dülmen ergibt,16 wie es aber auch Zwickauer Quellen außerhalb des o.g. Urfehde-Buches erken- nen lassen. Wurden sie öffentlich, konnten sie auch Gegenstand von Ratssitzun- gen werden. Die Beratung der Herren von Anfang November 1516 befasste sich z.B. mit dem Thema „Dye Jungkfrawhen schwecher“, weil „solch laster so fast vbirhandt nymbtt“.17 Es blieb jedoch eine brisante Angelegenheit. So hat beispielsweise wenig später ein Tuchknappe, der noch eine Ehefrau besaß, eine Zwickauerin sexuell genötigt und gestanden „ein ehebrecher“ zu sein, was ihm Staupenschlag und ewige Stadtverweisung einbrachte.18 Der gehäufte Normen- bruch hatte also öffentlichen Widerwillen und Verachtung zur Folge und zog obrigkeitliche Strafen nach sich. Das Zwickauer „Ehesachenbuch 1549-1552“ nennt zwar ähnliche „Delikte“ und demonstriert viele Seiten der alten Vorgänge, doch kannte man inzwischen eine weltlich-kirchliche „Behörde“, die „Verord- neten in Ehesachen“, die sich vielfach intensiv um die Lösung der Probleme bemühten, Verhöre/Anhörungen durchführten oder mit Pastoren, Ortsbehörden oder Landesherren korrespondierten, um die gewünschten Zustände wieder herzustellen, Eheversprechen aufzuheben oder Strafenanzudrohen und Entlaufe- ne zu suchen.19
Es verwundert daher nicht, dass man Martin Luther 1522 bei seinen vier Zwickauer Predigten eine über den Ehestand halten ließ.20 Dennoch blieb das Problem auch weiterhin brisant. So sind von Johannes Mathesius viele Hoch- zeitspredigten bekannt, die aus dem Kirchenraum hinaus in die Öffentlichkeit wirkten, weil sie mit dem Druck eine entsprechende Verbreitung erlangten.21 Dort sagt der Joachimsthaler Geistliche in der Vorrede zur ersten Predigt, er habe den freundlichen Rat „guter leut“, die Predigten drucken zu lassen, nicht abschlagen können. Er „laß sie derwegen im namen des rechten Hochzeyt-herrn / vnd öbersten Haußuatters vnter die leute kommen.“22
Das Zwickauer Stadtarchiv verwahrt die Kirchenbücher der beiden Kirchspiele St. Marien und St. Katharinen aus der Mitte der 1530er Jahre bis um die Jahrhundertmitte.23 Sie wurden von den Kirchnern Paul Greff (St. Marien)
15 StadtA, III x1 Nr. 135, Bl. 59-118b.
16 van Dülmen, Kultur und Alltag, 184-197.
17 StadtA, RP 1516/17, Bl. 5.
18 StadtA,, RP 1526/27, Bl. 46.
19 StadtA, III x1 Nr. 140, Bl. 1-86.
20 Ratsschulbibliothek Zwickau (in der Folge RSB), Peter Schumanns Annalen, II, Bl. 169b.
21 Johannes Mathesius, Vom Ehestandt Vnd Haußwesen. 15 Hochzeytspredigten. Nürnberg
1563.
22 Ebd., Vorrede.
23 StadtA, Kaland 26 Nr. 1 (1)-(11b), Kirchenregister 1535-1547, Marienkirche; Kaland 26
Nr. 3 (1) – (15), Kirchenregister 1535-1550, Katharinenkirche. – Helmut Bräuer, Thomas 46
und Nikolaus Kellner (St. Katharinen) geführt und verzeichnen zwischen 1535 und 1545 neben Taufen und Begräbnissen insgesamt 833 Eheschließungen.
Die in der Ratsschulbibliothek liegenden Annalen der beiden Bäcker, Peter Schumann d. Ä. und Peter Schumann d. J., nennen gleichfalls viele personenbezogene Daten – beispielsweise 130 Hochzeiten aus den Jahren 1506 bis 1530, von denen zumindest der Vater Peter Schumann persönliche Kenntnis gehabt hat.24 Wir haben es also mit zwei verschiedenen „Sichten“ zu tun – eine offizielle aus der Kirchenbuchschreiberei, eine private aus einer Handwerker- stube. In gleicher Weise fixierte der 1554 die Aufzeichnungen beginnende Jo- hann Tretwein25 zwischen 1525 und 1530 insgesamt 34 Eheschließungen, die in ihrer Diktion von den anderen Quellen nicht abweichen. Es wird demnach durchaus davon zu sprechen sein, dass eine Heirat – sowohl als Ereignis der Be- obachtung als auch der „bewertenden“ Gespräche resp. des Klatsches der Bürger – ein „städtischer Vorgang“ war.
Diese drei Informationsquellen lassen folgende Beobachtungen über die Szene der Heiratswilligen zu:
o Die Partner stammten aus einem (geografischen) Kreis, der von Breslau/Görlitz und Leipzig/Halle über Nürnberg bis ins Böhmische reich- te. Das Erzgebirge und die Stadt Zwickau nahmen natürlich eine besonders herausragende Position ein.
o Von anderen Orten kamen nicht nur Männer, sondern auch Mädchen und Frauen, in einigen Fällen zogen beide Heiratswillige nach Zwickau. Ande- rerseits heirateten Zwickauer auch außerhalb der Stadt.
o Grundsätzlich heirateten die Männer. Mädchen und Frauen wurden gehei- ratet. Männer waren die aktiven Faktoren und wurden namentlich, teilwiese mit erklärenden Attributen, genannt. Die Partnerinnen sind fast aus- schließlich nur mit ihrem Vornamen sowie dem Namen des Vaters aufge- führt worden.
o Relativ hoch war der Anteil der erneut heiratenden Witwen. Im Einjahres- Zeitraum 1535/36 sind im Kirchenbuch neben den 36 „Jungfrauen“ 10 Witwen genannt.
o Die Schließung des Zwickauer Franziskanerklosters und die nach 1525 folgenden Klosteraustritte in anderen Orten führten zu vielen Hochzeiten von Geistlichen beiderlei Geschlechts. Ehemalige Mönche vermählten sich mit Bürgertöchtern, „ausgelaufene Nonnen“ heirateten Bürgersöhne, und Geistliche traten mit ihrer vormaligen Köchin in den Ehestand.26 Beispiele: Der betagte Mönch Greger Kunitz ist 1525 aus dem Kloster gegangen und
Müntzer & die Zwickauer. Zum Wirken Thomas Müntzers in Zwickau 1520-1521. Karl-
Marx-Stadt 1989, 40 f., 64.
24 RSB, Peter Schumanns Annalen, Bd. 2.
25 RSB, Ms. 147, Tretweins Annalen.
26 RSB, Peter Schumanns Annalen, II, (alte Zählung) Bl. 166b, 177b, 178b, 186, 186b, 201b,
204b, 222b, 234.
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hat mit Endres Peren Tochter Wirtschaft gehalten, Er Adam (Schumann) „hat mit einer kochin auf der pfar hochzeit gehabt“27 oder 1527: Er, Jacob Werman, Pfarrer zu Planitz, heiratete seine Köchin.28 Andererseits war die Beifügung Tretweins zur Eintragung des Wolff Werner, der 1528 eine Jungfrau aus Hof geheiratet hatte, „die geste haben aus einem kelche getruncken“, der Verweis auf den symbolischen Akt einer lutherischen Heirat.29
o Einen gewissen „Gleichklang“ in sozialer Hinsicht kann man zwischen einer erheblichen Masse an weltlichen Heiratswilligen beobachten, wenn man die Heiratsdaten zu Angaben im Türkensteuerregister 153130 in Ver- bindung bringt:
Beispiel/Unterschicht 1: Der Tuchknappe und Hausgenosse Hans Eichler heiratete 1536 Anna, filia des Knappen und Hausgenossen Hans Loch- mann.31
Beispiel/Unterschicht 2: Jorg Runßler (versteuerte 28 ßo Vermögen, be- schäftigte 1 Knecht) heiratete 1526 Cristina, filia des Hausgenossen Johann Vogel, der 5 ßo versteuerte.32
Beispiel/Mittelschicht: Jocoff Muller (versteuerte 21 ßo) ehelichte 1535 Kunigunde, filia Hans Widmans ( 38 ßo 30 gr).33
Beispiel/Oberschicht 1: Nickel Thurschmidt (versteuerte 425 ßo, besaß Äcker und Wiesen) und vermählte sich 1529 mit Katharina, „Erhart Schmidts des becken tochter“, der über ein versteuerbares Vermögen von 203 ßo verfügte.34
Beispiel/Oberschicht 2: Im Jahre 1529 schloss der Ratsherr Jorg Hechelmoller (175 ßo) mit Anna, der Tochter des Ratsherrn Nicol Günther (245 ßo, Äcker, Scheunen, 140 ßo Handelgeld) die Ehe.35
Natürlich war es ein wichtiges Stadtgespräch, das von den Annalenschreibern umgehend aufgezeichnet wurde, wenn beispielsweise 1528 „Herman Mulpfortt mit etzlichen burgern wol gekleit in eine farb, wol gerüst gen Leiptzig geritten, do seinem sone Paul Sebastian Osterlandts tochter beigelegt worden“ ist, 36 und
27 RSB, Ms 147, Tretweins Annalen, Bl. 28.
28 RSB, Peter Schumanns Annalen II,( alte Zählung) Bl. 166b, 194.
29 RSB, Ms 147, Tretweins Annalen, Bl. 32.
30 StadtA, A * A II 17, Nr. 19a.
31 StadtA, Kaland 26 Nr. 1 (1), Kirchenbuch St. Marien, Bl. 20, kombiniert mit TSR 1531, Bl.
30b und 48.
32 StadtA, KB St. Marien, 18, kombiniert mit TSR 1531, Bl. 99 und 16b.
33 StadtA, KB St. Marien, Bl. 17b, kombiniert mit TSR 1531, Bl. 31b.
34 RSB, Peter Schumanns Annalen II, Bl. 217, kombiniert mit TSR 1531, Bl. 63b und 68b.
35 RSB, Peter Schumanns Annalen II, Bl. 230, kombiniert mit TSR 1531, Bl. 34b und 62b.
36 RSB, Peter Schumanns Annalen II, alt, Bl. 214.- Tretwein kommentiert diese Heirat
ebenso, Bl. 33. – Osterland war ein Leipziger Ratsherr und Leder- sowie Rauchwarenhänd- ler, vgl. Gerhard Fischer, Aus zwei Jahrhunderten Leipziger Handelsgeschichte 1470-
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auch Peter Zipser ist 1524 „etwo mit 25 pferden von hir nach Leipzig geritten vnd aldo wirtschafft gehalten“ oder wenn eine Hochzeit der „höheren Gesell- schaft“ stattfand, und es „kein gros gebrenge“ gab bzw. wenn eine solche Festi- vität „vffn schlos“ stattfand oder wenn Gelehrte heirateten 37 bzw. wenn Andres Risch 1525 mit seiner Magd Hochzeit hielt. 38 Von den Stadtbewohnern wurden demnach nicht allein die Fakten eines solchen Ereignisses wahrgenommen und aufgeschrieben, sondern es wurden gleichzeitig Werturteile moralischer, so- zialer, religiöser und politischer Art abgegeben, die sich auf die be- und genann- ten Personen und ihr Umfeld bezogen.
Mit solchen Erwägungen (den Fakten und ihren öffentlichen Bewer- tungen) findet die These von den „Heiratsebenen“, die in sozialer Hinsicht pass- gerecht sein „müssen“, erneute Nahrung, womit sich die Marginalität der emotionalen Beziehung wiederum bestätigt, wie Richard van Dülmen unter- streicht, wenn er sagt, dass in der frühen Neuzeit „Besitzdenken, eheliche Liebe und Liebesheirat unter dem Gebot der Ökonomie des ́ganzen Hauses ́ stan- den.“39 Und mit dem Blick auf die gesamte frühe Neuzeit hob Paul Münch hervor, dass die Handwerker ihre Frauen meist „aus demselben Milieu“ wählten. 40 Zur Ehe führten also nicht primär die Liebesheirat, sondern die ökonomischen und sozialen „Nützlichkeitserwägungen“ der Familien. Das „E.-Paar als Arbeits- paar“, wie Claudia Ulbrich betonte,41 war folglich in der gewerblich-handwerk- lich-bäuerlichen Realität die dominante Größe.
Zugleich ist diese auf Personen/Familien gerichtete Aufmerksamkeit, für die die Annalenschreiber einen Blick hatten, ein Ausdruck für die relativ hohe Wertschätzung einer ehelichen Verbindung in der Bürgerschaft. Es war ein Stadtereignis. Aber diese Beachtung galt in erster Linie den sozial gewichtigen und den gleichrangigen Verwandtschaften sowie den Kuriositäten, nicht aber den Unterschichten. Dieses Auffällige zeigte sich vor allem dann, wenn „Re- geln“ oder „Traditionen“ verletzt wurden, z.B. als Bartel Kündel 1524 Michel Richters Tochter heiratete; dieser Bräutigam „war aber ein schuster wurde dornach ein tuchmacher weil er eines Tuchmachers tochter nam.“42 Das ist eine Normabweichung gewesen, die nicht jedermanns Beifall fand und rief ebensolches Kopfschütteln hervor wie die folgende Begebenheit: 1525 „hatte her Adam schuman ein Capplan alhie hochtzeitt vff der pfar, mit der pfarköchin
1650. Leipzig 1929, 103, 132, 231.– Weitere Hochzeitsreisen nach Leipzig vgl. P. Schu-
manns Annalen II, alt, Bl. 147, 142, 119b,
37 RSB, Peter Schumanns Annalen II, alt, Bl. 152b, 194, 189, 218b, 197.
38 RSB, Ms 147, Tretweins Annalen, Bl. 29.
39 Van Dülmen, Kultur und Alltag 134.
40 Paul Münch, Lebensformen in der frühen Neuzeit 1500 bis 1800, Frankfurt/M-Berlin 1996,
270.
41 Claudia Ulbrich, Art. „Ehe“. In: Enzyklopädie der Neuzeit, Bd. 3. Stuttgart-Weimar 2006,
Sp. 38-44, hier Sp. 39.
42 RSB, Peter Schumanns Annalen II, alt, Bl. 161.
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vnd in 8 wochen hernach ist sie gelegen vnd hat 2 Junge son geboren, die kindlein aber seint nicht zeittig gewesen,“ 43 d.h. sie waren keine Frühlinge.
Wie der Rat als Stadtobrigkeit in das Privatmilieu der Bürger regulierend eingriff, demonstrierte beispielsweise die Hochzeitsordnung vom Jahre 1541(Abb. 1 und 2),44 war doch die Heirat ein Ereignis, das private/familiäre Absichten, öffentliches Denken/Werten und Handeln sowie stadtobrigkeitlich- kirchliches Regeln sehr direkt betraf.
Abb. 1: Stadtarchiv Zwickau, Titelblatt der Hochzeitsordnung von 1541
43 RSB, Peter Schumanns Annalen II, alt 177b. – Johann Tretwein verzeichnet allerdings nur die Hochzeit vgl. Tretwein, Bl. 28.
44 StadtA, A * A II 11, Nr. 27, Stück Nr. 2.
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Die in Zwickau vorgefundenen Muster lassen sich wesentlich auch durch eine Prüfung der Verhältnisse in Chemnitz bestätigen.45 Bestandteile einer sol- chen Regelung waren auch anderswo im Sinne einer „guten Policey“ die folgen- den Weisungen, die teils separat, teils kompakt in einer „Hochzeits-Ordnung“ veröffentlicht werden konnten: Vor-Regelungen in den Elternhäusern, Bestim- mungen zu Qualität und Quantität von Essen/Trinken/Tanzen, Festlegung der Gästezahlen (Anzahl der Tische), Zeitdauer der verschiedenen Hochzeitsvarian- ten, Art und Wert der Geschenke an das Brautpaar.46
„Feste zu feiern ist ein menschliches Grundbedürfnis, da diese geselligen und kommunikativen Ereignisse den Alltag unterbrechen und somit die Zeit gliedern – sowohl den Jahreslauf als auch das menschliche und das städtische Leben“, heißt es im Vorwort einer Hallenser Untersuchung. 47 Ohne Abstriche trifft das auch auf die Zwickauer Verhältnisse zu. Zunächst sei der Weg zur Zwickauer Ordnung von 1541 verfolgt:
o Ein Torso „Ordenung der wirtschafften, Ersten messen, Cleyder tracht vnd von gemeinem byre“ aus den Jahren um 1470 erweist sich als Einstieg in das Thema, weil es mehrfach „Irrungen“ gegeben habe, so dass der Rat die Notwendigkeit zu Regelungen sah. Festgelegt wurde die Zahl der Gäste- tische, ein Verbot „unzcimlicher tentze“, Regeln für Dienstboten und Mägde sowie Bestimmungen für den Wert der Geschenke.48
o Um 1490 gab es einen zweiten, ähnlichen Versuch Rates, das Familien- ereignis einer Hochzeit der kommunalen Kontrolle zu unterwerfen. Freilich besteht auch die Möglichkeit, dass dies eine zweite Fassung des Vorläufers ist.49
o Die knappe Notiz, von 1516/17 zeigt eigentlich nur an, dass es offenbar an der Zeit war, wiederum eine neue Regelung in die Geschäfte des Rates zu bringen, lautete doch der Eintrag im Ratsprotokoll vom Oktober 1521: „Ordnung halber der hochzceit. Szol zu weitern (?) bedencken gestalt werden.“50 Man wollte sich also dem Problem stellen. In der ersten Zwickauer Phase des reformatorischen Prozesses, im Oktober 1521, hatte sich der Landesherr mit einer Vielzahl von Bestimmungen gemeldet, die der Rat der Bürgerschaft zur Kenntnis geben sollte. Dazu seien im Kloster nach der Sonntagspredigt sowie auch durch Verkünden vom Rathaus aus
45 Helmut Bräuer, Chemnitz zwischen 1450 und 1650. Menschen in ihren Kontexten (Aus dem Stadtarchiv Chemnitz 8) Chemnitz 2005, 173-182.
46 Verena Grave, Städtische Festkultur und staatliche „Policey: Die Reglementierungen der Hochzeiten zur Zeit des Administrators August von Sachsen Weißenfels und der Kurfürsten Friedrich Wilhelm und Friedrich III. In: Freitag, Minner (Hg.), Vergnügen, 47- 58, hier: 48.
47 Freitag, Minner (Hg.), Vergnügen 8.
48 StadtA, A * A II 11, Nr. 25, Polizeiordnungen, Stadt Zwickau, ca. 1475-1510, Nr. 1, Bl.1 f.
49 StadtA, A * A II 11, Nr. 26, Torso, Nr. 2, etwa 1490: Bl. 12 f. Von Wirtschafften.
50 StadtA, RP 1516/17, Bl. 17.
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die besten Gelegenheiten. Unter diesen Weisungen des Wettiners befanden
sich Befehle, wie es künftig im Lande mit dem Heiraten zu halten sei.51
o Da es jedoch um 1534 erneut zu Differenzen zwischen Rat und Bürgerschaft gekommen war, hat es sich der Landesherr nicht nehmen lassen, mit einigen seiner Räte nach Zwickau zu kommen und tiefgreifende Maßnahmen zur Lageveränderungen anzuordnen oder anordnen zu las- sen,52 zu denen auch eine Hochzeitsbestimmung 53 gehört, von der aller-
dings keine Textfassung überliefert zu sein scheint.
o Seither hatten sich jedoch neuerliche Missstände angesammelt, „daraus
vnerbarlich wesen, vnzucht vnd anders erfolget“, so dass der Rat im März 1536 übereinkam, die Hochzeitsordnung ganz neu zu regeln. 54 Es blieb wieder beim Stückwerk.
o Am 13. Dezember 1539 beschloss der Rat, man wolle die Gemeinde vom Neuen Kaufhaus aus erinnern, dass durch das ungehemmte Einladen von Junggesellen auf die Hochzeiten viel „misbrauch kömpt, vnd zu schanden vnd sunden“ Anlass gebe. Daher werde der Rat die Gesellenanzahl verringern, um Braut und Bräutigam „zu ehren“. 55 Aber es war bald darauf für den Rat eine generelle Sicht auf das Geschehen nötig, und so bestimmte man zu Conversio Pauli (Januar) 1540 einige Ratsherren mit der Ausarbeitung eines neuen Textes.56 Derselbe lag dann im Oktober 1541 dem Rat vor, der ihn für brauchbar erachtete und den folgenden Herren zur Bereitung der rechten Form „verordnete“: Bürgermeister Oswald Lasan, Dr. Stephan Wilde, Dr. Leonhard Nather, Stadtvogt Schicker, Stadtvogt Sangner, Stadtvogt Jacob und Johann Hoffmann sowie einem Stadtschreiber.57 Deren Arbeit ist allen Ratsherren Ende November 1541 vorgelesen worden, die das Schlusswerk für gut befanden und bestimmten, es der Bürgerschaft zur Kenntnis zu bringen und in das Ordnungsbuch der Stadt aufzunehmen. 58
51 StadtA, RP 1521/22, Bl. 6.
52 Helmut Bräuer, Der Eingriff des Landesherrn in die Zwickauer Ratsverfassung im Jahre
1534. In: Cygnea. Schriftenreihe des Stadtarchivs Zwickau 5. Zwickau 2007, 34-41.
53 StadtA III d 25, Ordenung Buch… (1534), Bl. 29.
54 StadtA, RP 1535/36, Bl. 43.
55 StadtA, RP 1539/40, Bl. 31.
56 StadtA, RP 1540/41, Bl. 20b.
57 StadtA, RP 1541/42, Bl. 5.
58 StadtA, RP 1541/42, Bl. 16b.
52
StadtA Zwickau, A x A II 11, Nr. 27, Stück Nr. 259
{Bl. 1:} Hochzeit Ordenung
Vorrede
Hochzeitordenung der Stad Zwickaw Anno Dominj 1541
Nachdem wir alle, durch das heilwertige Gotliche Wort, berichtet seind, das der ehestand [als durch Gott vnsern Vater jm Paradeis ausgesätzt vnd durch den sohn Gottes, Jesum Christum vnsern Herrn, mit deme das er daraus geborn, vnd seine erste wunderthat, auff der hochzeit gethan,60 hochlichen gepreiset] ein heiliger Gottegefelliger stand ist, So will sich auch gebüren, denselben Ehe- stand, mit ehrlichen, Christlichen Ceremonien, geprenge vnd herrlickeiten, anzufahen vnd darinnen heilig zuleben.
Weil aber Wir Burgermeistere vnd Rethe, dieser Stad Zwickaw befinden, das alhie mit den hochzeitten, als dem anfange des Ehestandes allerley vnrichtig- keiten eingerissen, dadurch vnd darmit Gott erzörnet, Zucht vnd Erbarkeit hindan gesatzt, auch gemeyne Bürgerschafft Jnn schaden vnd nachtheil gefuhrt, So haben
{Bl. 1b:} wir zu abwendung dessen, folgende hochzeitordenung, mit guttem rathe gestellet vnd auffgericht, Gebieten vnd schaffen ernstlich, das alle vnd Jede vnsere Mitbürgere vnd Einwohnere dieser Stad, dieselbe Jnn allen Jhren puncten vnd artickeln hinfuro fest vnd vnuerbruchlich halten sollen, bey vermeydung darinnen verleibten61 vnd andern rechtmessigen straffen, die wir vnnachleßlich zu thuen vnd einzubrengen, entschlossen seind, Mit vorbehalt diese ordenung (nach gelegenheit zu Gemeyner Stad besten) zu endern mehrern wenigern vnd bessern:
{Bl. 2:} Von Hingelubden62
Wenn man zwisschen zweyen Personen das ehelubde volziehen will, sollen auffs meyste nur zu zweyen tischen, vnd vber einen tisch nicht mehr dann zehen
59 Im Mittelteil der Schrift gibt es intensive Korrekturen von gleicher Hand, die durch Einschübe und Randbemerkungen die Überschaubarkeit erschweren. Sie wurden kommentarlos aufgelöst und in den Text eingefügt, sofern sie dem Sinn des Haupttextes entsprachen: Runde Klammer (…) = Passage am Textrand; Einschub des Text-Autors = eckige Klammer […]. Die Blattzahlen wurden in geschweifte Klammern gesetzt {…}.
60 Joh 2, 1-12: Jesus wandelte auf der Hochzeit zu Kana / Galiläa Wasser zu Wein. 61 Im Sinne von „enthalten“.
62 Vor-Gelübde etwa Vorgelöbnis, Versprechen, Lexer: hinnen.
53
personen gebeten vnd gesetzt werden, denen sol man auch nicht mehr dann vier Gerichte, einerley wein vnd Zwickisch Bier geben, Bey straff von Jeder verbre- chung63 eins gutten schogks.64
Vom ausbitten65 auff der Cantzel
Nach gehaltenem hingelubde sollen die Personen (nach Ihrer gelegenheit) drey Sontage nacheinander offentlich ausgeboten werden, allerley vnrichtigkeit da- durch zuuerhuten vnnd solch auffgepot so mit vorwissen vnd ansage beider Personen (neben zweyen aus der) freundschafft66 fur den Herrn Pastor oder seinen Diacon geschehen.
Von Hochzeitbittern67
Die Zweene Brautdiener68 sollen die Geste zur hochzeit laden oder bitten, beide Mannen vnd frawen, sampt Ihren töchtern (auch die Gesellen), do aber Jung- frawen, deren eltern nicht zur hochzeit geladen (zubieten sein), das sol durch eine befreundte der Braut (sonderlich) verschafft werden.
Denselben hochzeitbittern, sol man vor dem ausgange eine Collation oder Zihmlich essen, vnd nach dem widderkomen einen trunck69 geben.
{Bl. 2b:} Von anzale der Geste
Es sollen zu hochzeitten, aller geste, sampt den gefreundten,70 nicht mehr dann zu sechs tischen gebeten, auch vber einen tisch, nicht mehr dann Zehen Per- sonen [ausgeschlossen der Jungfrawen Tisch] (der dann der Siebende tisch sein sol), nidergesetzt werden, bey peen, von iglicher person, so vber diese anzale befunden, einen gulden.71
(Es sollen aber auch die geste so geladen werden abe oder zu sagen, darnach sich Breutigam vnd Braut zuachten haben mügen).
Die frembden geselle, sollen Inn die Sechs tische, mit eingerechnet werden.
Es sol auch der Breutigam Inn allewege mit zu tische vnd oben ansitzen vnd in die anzale der geste nicht gerechnet werden.
{Rückverweis. Bl. 5b:} (Vide 6. sub titulo Von anzal der geste, die Brautdiener etc. werden,72 das sol mit vorwissen vnd willen des Radths geschehen.
63 Verletzung der Anordnung.
64 Gutes Schock = 60 neue Groschen.
65 Aufbieten, der Gemeinde ankündigen, um event. Einwände zu hören.
66 Verwandtschaft.
67 Feierliche Brautwerbung, Grimm, Buchstabe A, Sp. 833.
68 Zu Diensten/Helfern für die Braut herangezogene Verwandte oder Freunde. 69 Etwa 0,5 bis 0,9 Liter Bier.
70 Verwandte, Blutsverwandte.
71 1 Gulden = 21 Groschen.
72 Diejenigen, die Brautdiener werden, sollen mit Ratswissen benannt werden.
54
Abb. 2: Stadtarchiv Zwickau, Textblatt der Hochzeitsordnung von 1541, Bl. 2b: Von anzale der Geste, Von anzale der Jungfrawen vnd Gesellen
55
Von anzale der Jungfrawen vnd Gesellen
Vber funffzehen Jungfrawen vnd vber funffzehen gesellen, ausgeschlossen die Brautdiener, sollen zu keiner wirdtschafft73 geladen werden, bey straffe von einer Jeden vberigen Person, ein halben gulden. (Die Jungfrawen aber sollen alle beysame vber) einem tische sitzen vnd keine vber der Brauttisch gesatzt werden. Es sollen auch die Gesellen, so gebeten werden vnd zusagen, nicht aussen- bleiben, bey straffe eins halben guldens, do auch einer abesagete vnd hernach komen würde, der sol mit schimpff von der hochzeit abtreten.
{Eingeklebter Zettel /Bl. 4/:} /Gehört zu „Von krentzen vnd andern…/
{Bl. 5:} Frembde geste zu empfahen
(Wo der Breutigam oder die Braut zu empfahen, So mogen die freundtschafft) mit sechs oder acht pferden auffs meiste, doch sonder vbrigen vnd vngebür- lichen vnkosten (Ihne) entgegen reiten, Bey straff, von einem iglichen vbrigen pferde, eins halben guldens, doch sollen des drommelschlahers vnd pfeiffers pferde nicht eingerechnet werden. Do aber der Breutigam (adder die Braut nicht) zuholen, so mogen nicht mehr (dann zweene freunde) sonder einige spielleute den frembden (entgegen geschickt werden, die sie an die herbrige weissen.)
Vom Hochzeit Bade74
Es sol hinfordern das hochzeitbad, also auch die Collation vnd Zeche, so man darauff gehalten hat, gantz abgethan sein, Bey straffe eins gutten schogks.
Von der Vorhochzeit75
Wo keine frembde geste gebeten noch einkomen, do sol man am abende vor dem hochzeittage keine geste speissen, bey straffe eins gutten schogks, aber den frembden, so dere furhanden, zu ehren, mag man von der freundschafft (zu) einem tisch bitten vnd wie zum hingelübde speissen.
Suppen (vnd trincken nicht) auszusenden
Hinfuro sol man den Gesten, Aufsehern, gesellen, Cantori, Radtsdienern adder andern [allein frembde geste ausgeschlossen] keine suppen (nach trincken) geben noch aussenden,76 bey straffe eins guldens.
Von krentzen77 vnd andern Brautgeschencken78
73 Hochzeit = Wirtschaft.
74 Bad von Braut und Bräutigam mit Freunden/Fremden vor der Hochzeit, Grimm, Bd. H, Sp.
1642.
75 Am Tag vor der Hochzeit.
76 Aus dem Hause geben.
77 Brautkranz, Grimm, Buchstabe H, Sp. 1645.
56
{Bl. 4:} * Ausgeschlossen Breutigam, frembde, die nechsten freunde vnd gesel- len sol hinfuro keinem gast einicher krantz geschanckt werden, vnd dieselbigen krentze, so verschanckt werden, sollen ohne sondere grosse kost, als güldene schnüre vnd vntzengold zugerichtet sein, Bey straffe eins halben güldens von einem Jeden, also zugerichtem krantze,
dergleichen sol alles Brautgeschencke, nemlich hembde, Badekittel, schue, Pantoffeln vnd anders zugeben gantz abgestellet sein, doch mag die Braut dem Breutigam seinen vnd Ihren eltern hiermit, eine wilfahrung thuen vnd (damit Ihren freundlichen willen) erzeigen.
{Bl. 5b:} Vom Hochzeittage
Am hochzeittage, sollen die gebetene geste, sich am ortte, dahin sie erfordert sein, vor Neun hora samlen, von dannen, Breutigam vnd Braut, zu ehren, sie zu vnd von der kirchen, auch nach gehaltener malzeit auffn Tantzboden beleiten vnd nachm abendmal, das eheliche beilager halten.
(Den abend zuuor sol der Breutigam, neben einem befreundten, zu dem Herrn Pfarrherr gehen vnd bitten, des morgenden tages Ihne vnd die braut Inn der kirchen ehelichen vertrawen zulassen).
{Bl. 3b:} (Vom Hochzeittage)
(Die Brautdiener) sollen nach verehlichung vnd vertrawung des Breu(tigams vnd der Braut) Inn der kirchen den Diacon der sie vertrauet (zur malzeit bitten, derselbige sol dann Jnn die Zale der hochzeit geste nicht gerechnet werden, darf auch gleich andern gesten nicht schencken).
{Wieder Bl. 5b:} Von den auffsehern vnd dienern
Fur die küchen, mag man haben (vnd verordnen) neben dem koch oder köchin, zwo helffermeyde vnd Bratenwender, auch einen kuchenmeister, Zum getren- cke, neben dem kellerknecht, einen Schencken, Zur Speiskammer zwey weibere. Zu Jeder stuben darInne geste sitzen, einen Verwalter, fur einen Jeden tisch zweene diener von den gebetenen gesellen, vnd dann fur die Mannen zweene freunde, vnd fur die Weibere zwo frawelin, auch einen der die tische decket brod aufftrage vnd anders ausrichte, (Auch mag man einen thurhüter zu Jedem hausse, do die geste sitzen, bestellen.) Diese alle sol man speisen am morgen vor dem kirchgange vnd am abend nach gehaltenem beilager, damit sie Ihrer dienste desto besser vnd vleissiger auswarten79 kunnen, Auch das schendliche fressen fur den tischen, dadurch verhutet vnd abgeschafft werde.
{Bl. 6:} Von Speise den Gesten zugeben
78 Der Text nach diesem Abschnittstitel befindet sich mit Rückverweis * auf eingeklebtem Blatt 4.
79 Auswarten – erfüllen, realisieren.
57
Den frembden gesten, do die furhanden, auffm hochzeitabend, sol man nicht mehr dann vier essen geben, darzu kese oder ein gebackens.
Auffn hochzeittag, zum Mittags mahl, funffe, auffs Abendmal vier essen vnd kese darzu, vnd nichts darüber geben. Bey straffe eins gutten schogks.
Es sol aber zum mittagsmahl, also gespeist werden, das die malzeit allenthalben nicht vber zwo stunden wehre.
Vom Getrencke
Den hochzeit gesten, soll man nicht mehr dann einerley wein, auch nicht mehr dann einerley, nemlich Zwickisch Bier, geben.
Do auch einem wein oder frembd bier zu hochzeitlichen ehren geschanckt wur- de, das sol er ohne vnser des Radths vorwissen vnd erlaubnis nicht speissen, (bei obbemelter bus). Bey straffe eins gutten schogks.
Vom abetragen vnd wegschickung der speisse von den tischen.
Die geladene geste, beyde mannen vnd weibere, sollen Ihre kinder vnd gesynde, wo die nicht sonderlich gebeten, anheym bleiben lassen, ihne auch nichts von dem tische geben, noch andere knaben, die Inn keinem wege zudulden, dauon speissen, oder aber auch selbst etwas hinterlegen vnd fur sich behalten, bey straffe eines guldens, desgleichen sollen auch tischdienere, bey itztgnanter straffe nichts aus den schusseln nehmen vnd verschicken oder hinweg reichen. {Bl. 6b:} Do aber etliche geladene geste zur hochzeit oder malzeit nicht kemen vnd gleichwol das geschencke schicken würden, (oder oder sonsten befreundet weren) denen mag Breutigam vnd Braut, Ihres gefallens, etwas aus der kuchen vnd nicht vom tische widderümb zur verehrung dancksagung (vnd zu erzeugung freundlichs willens) vbersenden.
Vom Hochzeit Geschencke
Es so ein Jeder hochzeitgast dem Breutigam vnd Braut ein ort,80 eines gulden- groschens, oder den werdt desselbigen (am tische) schencken, Bey straffe eines guldens.
Doch sollen die frembde vnd nechsten freunde hierinne nicht begrieffen sein, sondern Ihne frey stehen nach Ihrer gelegenheit zuschencken. (Do auch die Weiber, deren Menner geschanckt, desgleichen die Jungfrawen) der Braut auch etwas schencken wollen, das mügen sie thun vnd sol Ihn nachgelassen werden. Ab die Gesellen auch schencken wollen, das sol Inn Ihrem gefallen stehen, mu- gen das geschencke zusamme tragen vnd dem Breutigam oder der Braut vber- antwortten.
Von Zechen
80 1 Ort = Viertel einer Währungseinheit.
58
An dem ort, da die hochzeit oder wirtschafft ist, sol am hochzeit tage, keine Zeche widder von Mannen noch gesellen, zu morgen oder abends gehalten wer- den. Wollen aber die Bürgere, den frembden zu ehren, oder vnternander, zwisschen {Bl. 7:} den malzeitten Zeche halten, das mugen sie Inn der frembden geste herbrige, Inn der Wein vnd trinckstuben oder andern heusern (sonder grosse vnkost vnd zerung wol thuen).
Von
dem Tantze
Nach gehaltener Malzeit sollen die Brautdienere die funffzehen geladenen Jungfrawen den funffzehen gesellen, einem Jden eine zufuren, dieselbige auffs tantzhaus zubeleiten.
Desgleichen sollen die Weibere, so viel müglich, den Jungen ehemennern, oder andern hochzeit gesten, so lust hierzu haben, (vnd geschickt seind) auffs tantz- haus zufuhren (von den Brautdienern) befohlen werden. Vnd solches sollen die gesellen one wegerung zuthuen vnd die zugeordenten Jungfrawen zum tantze (vnd dauon) zufuhren schuldig sein, bey straff eins orts eins guldengroschens.//81 (Es sollen auch die Brautdienere, die sache, mit dem Zufuren der Jungfrawen
vnd frawen (desto schleuniger) fördern, auff das dieselbigen den
Hochzeitgesten zum tantz alsbalde nach folgen mügen.)
Damit auch nu am tantze Erbarkeit vnd Zucht gehalten werde, ordenen wir, das es hinfuro, mit verschencken82 der frawen vnd Jungfrawen zum tantzen, dermas- sen gehalten werden sol, Nemlich
{Bl. 7b:} Nach den ersten dreyen reynen,83 Welche allein der Breutigam vnd Braut, die frembden vnd befreundten, die Regenten,84 Radtsfreunde vnd andere ansehenliche Personen tantzen sollen, wo frawen vnd Jungfrawen zum tantze aus gefurt, sollen dieselben alle, an eine sondere banck nidergesatzt, vnd dar- nach dem Jenigen, es sey Man oder geselle, mit deme sie denselben reyhen tantzen sol, angesagt werden. Es sol auch der Jenige, der also frawen vnd Jungfrawen ausgefuret hat, darauff sehen, darmit die nicht sitzen bleiben, dann wo eine oder mehr also sitzen bleiben, So sollen beide, der, so sie ausgefuret, vnd der deme sie angesagt, dem Radth zur straffe einen halben gulden geben, so offt solches vbertretten wirdet. Dergleichen sol keiner, einiche fraw oder Jung- fraw, mit der er einen tantz thut, vor endung des tantzes schimpfflichen von sich gehen lassen. Abs aber Mannes oder Weibesbildern, den gantzen reyhen aus- zutantzen, vngelegen, das sol eines dem andern, mit zucht ansagen vnd dann der Mann odder geselle, dieselbe frawe oder Jungfrawe an Ihre stelle fuhren, bey obenernanter straffe.
81 Die folgende Passage nachträglich am unteren Blattrand eingefügt, während die Urfassung des Textes gestrichen ist.
82 Im Sinne von „Weiterreichen“ der Tanzpartnerinnen. 83 Reigen/Tänzen.
84 Jeweilige Formen von „Obrigkeiteiten“.
59
Die Pfeiffer Drommelschlaher vnd andere Spielleute sollen gar keine vnzuch- tige, leichtfertige, sondern erbare vnd zuchtige Melodien vnd tentze, auch die- selbigen mit gutter weise vnd nicht gar zu lang machen, bey straffe ein tag vnd nacht Im Bewerlein85 zusitzen.
{Bl. 8:} Am tantze, auffm Tantzboden, In heusern, auff der gassen vnd sonst an allen Tantzpletzen, nicht allein auff hochzeitten, sondern auch zu andern frolickeiten sollen Man vnd weibsbildere Inn allewege, Sich mit wortten vnd geberden, erbar, zuchtig vnd ehrlich halten, vnd alles, das der erbarkeit vnd zuchte entgegen ist, als mit einspringen, vörlauffen86 vnd dergleichen, meiden Vnd in sonderheit sol niemands, das sey Manne oder Geselle, fraw oder Jungfrawe, sich am tantze, (an welchem ort es auch sey), verdrehen87 noch verdrehen lassen, vnd wer hierwidder handelte, der sol zum ersten Mahl einen halben gulden, zum andern Mal einen gulden, zur straffe geben. Wer es aber zum dritten Mahl thete oder vbete, der sol mit gefengknis drey tage auff oder Inn einem thurm gestrafft werden.
Zwisschen zwey vnd drey hora, sol man frawen vnd Jungfrawen, einen trunck Bier, als vngefehrlich eine grosse kandel oder Zwo auffn Tantzboden schicken vnd vmbtragen lassen, da sich dann auch die Gesellen (wol) mit versorgen werden. Desgleichen sol man den Spielleuten auffn Tantzboden, zwo grosse kandeln Biers vnd nicht mehr von der hochzeit schicken.
Zu Sommerzeit vmb funff, Winterzeit zu vier hora, sol man vom Tantzboden zum nachtmal gehen vnd daruber nicht verziehen.88
{Bl. 8b:} Von dem ehelichen Beylager
Nach gehaltenem Abendmal, sol man nicht mehr (dann drey reihen tantzen, alsdann) sol der nechste freund die Braut, ehrlicher weise zu Bette fuhren, da dann die weibere Ihr nachfolgen mugen. Aber die Jungfrawen sollen (In des) sitzend bleiben, vnd Ihrer eltern wartten vnd folgende mit Ihnen (one beleitung der gesellen) zu hause gehen.
(Wurde aber ein geselle widder dis des Radths verpot, mit den Jungfrawen heymgehen, oder hernach ein lagk zurichten,89 der sol einen halben gulden zur straffe geben).
Es sollen auch die Weibere die Braut nicht mehr ansingen,90 Sondern, wann der Zucker oder das gebackene, zusampt einem truncke, vmbgetragen, mugen die
85 Bewerlein = Grimm, Buchstabe B, Sp. 1176, Gemach, Kammer, Käfig.
86 Beim Tanz springen, vorauslaufen.
87 Über das Verdrehen gibt es eine große Zahl unterschiedlicher Auffassungen. Meist ist die
Oberkörperdrehbewegung der Partnerin gemeint, die als „anstößig“ gilt. – In andere Rich-
tung drehen, Grimm, Buchstabe V, Sp. 241. 88 Verziehen = verzögern, Lexer, S. 286.
89 Eine Zeche beginnen.
90 Jemanden mit einem Lied ehren.
60
sich widder an das ort, da sie das nachtmal gehalten, begeben, vnd alsdann (zuchtig) heym gehen.
Wenn auch den frembden gesten zu ehren, wolt ein frawden fewer ohne oder mit schüssen zugerichtet werden, So sol das mit vorwissen vnd willen des Radths geschehen.
Vnd Inn allewege sol nach dem Beylager, widder von den Mannen nach gesel- len einiche Zeche In dem Hause[,] da die wirdschafft ist[,] gehalten werden. Die frembden geste, mag man an Ihre herbrige beleyten vnd sich des orts mit Ihne frölich machen, vnd mit Zechen oder anderer kurtzweil (sich) freundlich vnd nachparlich erzeigen.
{Bl. 9:} Von der Nachhochzeit91
Auff den nach hochzeit tagk zum Mittagsmahl, sol man allein die frembden geste vnd neben denen von den nehtsgefreundten vnd nachpaurn, auffs meyste drey tische (doch das es nicht mehr dann vier tische vberal seyn), wenn aber kei- ne frembde geste furhanden, allenthalben nicht mehr dann drey tische speisen, vnd darmit widder diese ordenung, mit essen, trincken, personen anzale vnd anderm, bey daselbst verleibter straffe,92 nicht handeln.
Es sol Inns Breutigams gefallen stehen, die Gesellen alle oder allein etliche (so viel er dere bedarff), auffn nachhochzeit tag zubitten, doch das sie zu tische dienen vnd hierInne dem Breutigam vnd Braut zuehren (sich) wilferig erzeigen. Vnd do etliche gesellen, so nicht dieneten, zu tische sitzen wurden, so sollen dieselbigen zur anzale der geste nicht gerechnet werden.
Aber Jungfrawen sollen zum meysten von den (nehst)gefreundten nicht mehr dann funffe, ausgeschlossen die frembden, gebeten werden.
Den tantz nach der malzeit, mag man Inn einem hause oder auff einem saal vnd boden halten, Inn der Zucht vnd erbarkeit wie am hochzeittage, Bey daselbst verleibter straffe.
Vnd den tantz sol man vmb zwey hora beschliessen auch nach der endung desselbigen den frawen vnd
{Bl. 9b:} Jungfrawen, kuchen den gesellen einen trungk sampt kese vnd brod fursetzen vnd zu hause abfertigen.93
Wolten aber die nehstbefreundten (geladenen) Mannen, den frembden Gesten zu ehren, nach gehaltener morgenmalzeit des nachhochzeittages verharren vnd mit Ihne Zeche halten, das sol auff diesen fal, nachgelassen sein. Do aber keine frembde geste furhanden, vnd gleichwol die befreundten mit vnd vnternander zechen wolten, welches Ihne frey stehen sol, so sollen sie vmb zwey hora, mit einem kese vnd brod gleich den Jungfrawen vnd gesellen, der wirdschafft vnd hochzeitlichen (geprenge) Ihre endschafft geben. Bey straffe eines gutten schogks.
91Tag nach dem Hochzeitstag; auch mehrtägig möglich, Krünitz, Bd. 24, S. 92 92 Im Sinne von: bei den dort enthaltenen Strafen.
93 Nach Hause schicken.
61
Würden dann die frembden geste am nachhochzeit tage, des nachtmals auch erwartten, So mag der Breutigam, der nehstbefreundten, zu einem tische, bey Ihne behalten, vnd zihmlich speissen.
Von abendhochzeitten94
Wer hinfort ein abendhochzeit halten will, der sol die hochzeit nicht mehr dann zwo malzeiten als am abende nach gehaltenem kirchgang, nicht vber viere, vnd folgendes mittags nicht vber zweene tissche, vnd auff eine malzeit, nicht vber vier essen speissen, vnd sonst allenthalben diese ordenung halten, bey daselbst verleibten straffen.
{Bl. 10:} Von hochzeit deren, so nicht Burgere seindt95
Alle die Jhenigen so nicht Burgere alhie seind, die sollen zu Ihren hochzeitten, nicht mehr dann zwo malzeitten, als zur ersten nur drey vnd zur andern zweene tische, auff eine malzeit nur vier essen ein Bier vnd keinen wein geben, sich auch Inn andern stücken, dieser ordenung gemeß, bey daselbst verleibten straffe, halten.
Von Heymfarten.
Wenn dem Breutigam seine Braut heym gefürt wirdet, die mügen, alleine Ihre eltern vnd geschwisterde ab sie die hette, vnd Inn mangel derer, viere Ihre nehs- te freundyn, doch one spielleuthe, beleyten, dene vnd seinen nehsten freunden, mag der Breutigam, doch nicht mehr, dann allenthalben zu einem tische, eine malzeit von vier essen einerley Bier vnd wein geben.
Von Spielleuten.
Zu einer Hochzeit, sol man nicht mehr dann einerley Spielleute, als Pfeiffer vnd Drommelschlaher, oder dergleichen haben, doch mag die Braut, auch einen fidler halten, vnd Ihne sonderlich lohnen.
{Bl. 10b:} Der Spielleute besoldung sol sein, Pfeiffern vnd drommelschlahern, von einer abendhochzeit ein ort eins guldengroschens, von einer gantzen hochzeit ein halber gulden grosschen. Einem fidler zur abendhochzeit vier grosschen vnd von einer gantzen hochzeit (Sechs) grosschen, wo sonsten keine Spielleute seind, vnd darüber nichts dann (zimlich essen vnd trincken).
Die geste frölich zumachen, sollen die geordenten Spielleute, Inn einer Jeden Gaststuben, einsmals vnd nicht fur Jederm tische besondern, hofieren,96 do Ihne
94 Eintägige Hochzeiten, die mit der Trauungszeremonie erst nachmittags beginnen. Offen- sichtlich kostensparend, Krünitz, Bd. 24 S. 79.
95 Zur Zunftmitgliedschaft resp. zur Meisterschaft im Handwerk gehörte der Verheirateten- status. Nichtbürger waren auch in Steuerfragen minderberechtigt. Vgl. Karl Steinmüller, Die Zwickauer Stadtschreiberei von 1526 bis 1546. In: Wissenschaftliche Zeitschrift des Pädagogischen Instituts Zwickau, gesellschafts- und sprachwissenschaftliche Reihe 4 (1968) 1, 58-84, v.a. 80-84.
62
die geste etwas geben wollen, sol Inn Ihrem gefallen stehen. Es sol auch solches hofieren, mit Zucht vnd sonder vppisch97 geperde, fur Mannen vnd weiber geschehen.
Es sollen auch ausser der geordenten Spielleute keine andere Hofierer zuge- lassen werden.
Der Thurmer98 sol hinfuro auff keiner hochzeit widder Im hause, nach auffm Tantzboden, dann allein zum kirchgang vnd dauon, blasen oder hofiren, vnd mag dauon ein trangkgeld bey dem Breutigam fordern lassen, Er würde dann sonderlich darzu gebeten, vnd erlangete des erlaubnis vom Regirenden Burgermeister.
Die diener des Gemeynen kastens, sollen auff alle hochzeitten, dem armut zu gut, ehe die Spielleute hofiren, die Büchsen auff die tische setzen vnd von den Gesten des almosen wartten.
{Bl. 11:} Von andiengen99 der Wirdtschafften Inn die Gasthöfe
Nachdem die tegliche erfahrung leret, das ausrichtung der Wirdschafften, den Eltern, vber grosse Ihrer selbst vnd anderer mühe (schwere) vnkost machen, dadurch manche sein selbst schaden thut, sich inn schulden verteufft100 vnd Inn beschwerung füret, als achten wirs dafur , das dieser mühe, arbeit, sorge, vnkost vnd nachteil, wo nicht gar, doch etlicher massen, gerathen möchte werden, wann man die wirdtschafften Inn die Gasthöfe verdingete, vnd also dem Gastgeber, ein benant geld von einer Jeden Person, oder aber von den Tischen, vnter- schiedlich, auff anzale der speisse vnd trancks, wie obstehet, gebe. Hierümb wollen wir vnsern mitbürgern diesen wegk Jm besten angezeigt vnd furge- schlagen haben, denselben Inn Versuchung zunehmen, zweiffels on, sie werden darmit grosse mühe, sorge, abgangk101 vnd schaden verhüten.
Von bestellung ob dieser ordenung zuhalten.
Ein Jeder vnser Burger vnd mitwohner, So eine hochzeitliche wirdtschafft, Ihme oder den seinen
{Bl. 11b:} ausrichten will, der sol diese ordenung, bey vns auffm Radhaus fordern vnd empfahen, dieselbe mit guttem bedacht selbst lesen oder Ihme lesen lassen, sich darnach zuachten vnd fur auffgesatzten straffen zuhüten, Alsdann die ohne verzugk, vnd sonder behaltener abschrifft widderumb, der Stad-
96 Mehrdeutig, u.a. schmeicheln, Krünitz, Bd. 24, S. 243.
97 Übermütig, Lexer 259.
98 Der Einsatz des Türmers mit seinen Knechten als Spielleute auf Hochzeiten war möglicher-
weise von den jeweiligen Gefahrensituationen (Brand, Krieg) abhängig. Prinzipiell durfte er spielen, oft aber war es ihm verboten, vgl. Wolfgang Niemeyer, Die Zwickauer Stadtpfeifer im 16. Jahrhundert. In: Mitteilungen des Altertumsvereins für Zwickau und Umgegend, 15(1931), 34-79.
99 Andingen = antragen, verdingen, Grimm, Bd. 1, Sp. 315 f. 100 Verteufen = vertiefen, Lexer 282.
101 Materiellen Verlust.
63
schreiber einem, vnbeschmiert vnd vnzergentzt102 (neben erlegung sechs pfenningen) zustellen, Bey straffe eins gutten schogks.
So wollen wir vnsern heymlichen geschwornen kundschaffern ernstlich befehlen vnd einbinden auch gewisse bestellung thuen (lassen), das sie bey allen wirdtschafften, vleisigs vnd guts auffmercken thuen sollen, das diese ordenung Inn allen stücken gehalten vnd darwidder nicht gehandelt werde, vnd do befunden, das diese ordenung, es sey an speisse, anzal der tische vnd geste, oder des geschencks vnd anders halben mehr vberschriten, solchs bey Ihren eidespflichten, dem Regirenden Bürgermeister, dasselb geburlich zustraffen, ansagen.
Desgleichen sollen die Gerichtsdienere, allemahl, zum wenigsten einer, bey den Tentzen, auffm Radhaus Inn heusern, auffn gassen, entgegen sein, vnd mit gantzem vleis auffsehen, damit widder diese ordenung, sonderlich des Tantzens {Bl. 12:} halben [,] nicht gehandelt, vnd die verbrecher als do es frembde weren, denselben diese ordenung zum ersten ansagen, vnd do sie dauon nicht abstunden, furn Bürgermeister, Staduoigt oder Schuldhais, welcher am nehsten anzutreffen, brengen, do es aber gesessene oder vngesessene103 weren, dem Regirenden Burgermeister die ansagen, auff das die geburliche straffe, von Ihne als vbertrettern eingebracht werde, vnd sollen hier Inne niemandes verschonen. Damit auch diese dienere, Inn deme dester vleissiger sein, sollen sie von einer Jeden geldstraffe ein tranckgeld haben, do sie aber vnuleissig sein wurden, sollen sie Inn straffe genomen oder enturlaubt104 werden.
Würde sich auch Jemandes vnterstehen, diese dienere an Ihrem befehl zuhindern, sie mit worten oder that beleidigen, der sol darümb, nach gelegenheit der verbrechung, ernstlich gestrafft werden.
102 Unzergentzt = unvergänglich, unbeschädigt, Lexer, S. 259.
103 Die Gestaltung des Buchstabens „g“ in „gesessene oder vngesessene“ (Bürger oder Ein-
wohner) weicht von der übrigen g-Form ab. Es wäre also auch „b“ (besessene oder
vnbesessene“, also: Besitzende oder Unbesitzende möglich). 104 Entlassen.
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