Der Blumenstrauß als Realie.
Gebrauchs- und Bedeutungswandel eines Kunstproduktes aus dem christlichen Kult
WOLFGANG BRÜCKNER
Wir gratu eren heute mit Blumensträußen – und ich passe mich dieser Umgangsform gerne an, auch wenn die Blumen, von denen ich sprechen will, nicht die dafür vorgeschriebenen sind, das heißt aus der Gärtnerei stammen. Sie stellen vielmehr Kunstprodukte dar, ja in der von mir zu be handelnden Form sind sie eine ganz spezifische Realie, ein archäologisches Artefakt, womAt ich das nun zwanzigjährige Institut für mittelalterliche Realienkunde Osterreichs durch die Gabe eines angemessenen Gegenstan des zu Ehren hoffe.
Kaiserin Maria Theresia schenkte um 1750 herum ihrem Gemahl ei nen kostbaren Blumenstrauß in Kristallvase, der sich heute – bezeichnen derweise..- im Naturhistorischen Museum in Wien be ndet, weil die uns ererbte Asthetik des josephinistischen Antibarocks, hierin nicht Kunst, sondern nur Künstlichkeit sehen konnte, denn das kostbare Kabinettstück ist vollkommen aus Edelsteinen gearbeitet. Es wird als „Juwelenbouquet“ des J. N. von Grosser geführt (Nr. 101.01) und auf Postkarten abgebil det. Als Geschenks- und Gebrauchs-Typus aber bildete es keineswegs eine Rarität. Blumenstrauß in Vase, genauer noch: hochlanggereckter künstlich-kunstvoller Blumenstrauß in Henkelvase war ein Standardmobi liar der frühen Neuzeit.
Ein zweites Bild aus dem süddeutsch/österreichischen Raum belegt die optische Erscheinung für die Zeit um 1800: in silbergetriebener, über einem Holzkern gearbeiteter Henkelvase steckt an eisener Stange ein aus gemaltem Eisenblech geschmiedeter Blumenstrauß. Zusammen mit einem gleichartigen Pendant stammt das Stück aus der Sammlung Ebenböck des Münchner Stadtmuseums, die noch eine Reihe wunderschöner Exemplare dieser Art enthält.
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Der Realiencharakter solcher Blumensträuße steht also außer Frage, doch im Mittelalter läßt sich mein Gegenstand so nicht nachweisen. Die goldenen Rosen der Päpste sind etwas völlig anderes, ganz zu schweigen von Hofmannsthals sinnreicher Erfindung einer silbeneu Rose für seinen Brautwerber-Kavalier, historisch insofern richtig gedacht, als eine natür liche Rose vor 1789 ein unmögliches Requisit in solchem Zusammenhang gewesen wäre. Doch davon später. Hiermit aber sind zunächst die zeit lichen Grenzen nach hinten und vorn abgesteckt. Erst in der Ablösung mittelalterlicher Äquivalente kultischen Schmucks konnte sich die Realie Vase mit Blumenstrauß entwickeln. Dieser Vorgang wirft somit aus den gewandelten Vorstellungen späterer Zeiten Licht auf einst typische mittel alterliche Anschauungs- und Gebrauchsweisen von Naturdingen. Insofern will mein Thema auch ein Verweis auf die notwendige Einheit der Rea en kunde von den frühesten Zeiten bis zur Gegenwart sein und damit zugleich ein Gruß vom in statu nascendi befindlichen Nürnberger Schwesterinstitut am Germanischen Nationalmuseum Nürnberg, das sich in Zukunft vor al lem der frühen Neuzeit bis zur industriellen Revolution zuwenden möchte und dessen wissenschaftlichem Kuratorium Herr Kollege Kühnel als eine Art Geburtshelfer mit angehört.
Kulturhistoriker der Neuzeit p egen von Gegenwartserfahrungen aus zugehen, weil die uns geläu gen Realien nicht bloß fraglos benutzt, son dern zugleich für selbstredend verstehbare, sozusagen natürliche Gegeben heiten angesehen zu werden pflegen, so daß deren Wah ehmung oder adäquates Zuordnen und ihre Interpretation für vorangegangene Jahrhun derte ebenso fraglos scheint, weil doch in unmittelbarem Kontinuum ste hend und nicht allzulange her. Die für Betrachtungen des Mittelalters eingeübte Skepsis quellenkritischen Fragens aus ständiger Konfrontation mit dem Phänomen der Fremde, wie der Ethnologe sagen würde, p egt für die jüngstvergangenen Jahrhunderte keine solche Selbstverständlichkeit zu sein. Der aufgeklärte Zeitgenosse hält unsere heutigen Erfahrungsweisen für modern im Sinne von entmagisiert, also für genuin natürliche, weshalb wir z. B. in Mitteleuropa im Augenblick wieder einmal so stark von grünem Bewußtsein gebeutelt werden. Seine emphatischen Propheten verschwei gen, daß unser spezifisches Naturemp nden ein erst seit dem 18. Jahr hundert intellektuell elaboriertes ist und somit weitgehend ein mentales Kunst- und Kulturprodukt.
Ich deute diesen aktuellen Bezug nur an, doch er führt mitten ins Ver stehensproblem von einstigem Bildwissen und heutiger Bilderwissenschaft.
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„Bild von Bildern oder Kultur im KopP’1, das heißt Bildwissen von einst und dies als ein Beispiel für Fragen unserer Entschlüsselungsmöglichkeiten, also die methodischen Zugangsversuche im Umgang mit derartigen Phä nomenen, so habe ich das Problem andernorts umschrieben2•
Mein konkreter Bildgegenstand ist der „Blumenstrauß“, und es geht um die Diskrepanz von gegenwärtiger Seherfahrung oder Bilder-Kenntnis und dadurch vorprogrammierter, d. h. entsprechend „gestörter“ Sach- und Bildidenti kation für noch gar nicht so lange vergangene Zeiten unse rer eigenen Kultur. Dem ständigen Begri swandel der Wortbedeutun gen unserer Sprache entspricht für die Semiotik der Bilder eine ebensolche Veränderung des Sehens. Wir erfassen die Welt durch das Auge nicht bloß physiologisch, sondern in unserem Bewußtsein kulturell verschlüsselt oder zubereitet, eben unseren Erfahrungen gemäß durch deren Raster aufbe reitet. Diese Binsenweisheit aller Sozialwissenschaften von der kulturellen Brille unserer Wah ehmungsfähigkeit hindert dennoch nicht daran, das Faktum selbst immer wieder zu vergessen, wenn wir mit o ensichtlichen Selbstverständlichkeiten des gelebten Alltags umgehen. Dabei wissen wir andererseits, daß gerade die angeblich natürlichsten Dinge der Welt in der Regel die am wenigsten ursprünglichen, das heißt die von kulturellen Formungen meist besonders stark beeinflußten sind.
Trotz aller Schulung der Skepsis und methodischen Kritik fallen wir dennoch ständig auf unsere eigenen kulturell erworbenen Meinungen her ein, da unsere Sehgewohnheiten und Dingerfahrungen kollektiv gesteu ert werden. Solange Forschung und Museen aus eben diesem Grunde bestimmte Bilder und Realien überhaupt nicht in den Blick bekommen, bleiben wir gemeinsam blind und ühersehen ständig bestimmte Selbst verständlichkeiten früherer Zeiten, obgleich sie, wenn uns einmal die Augen geö net sind, geradezu anspringen in ihrer einstigen Allgegenwärtigkeit und Vielfalt.
Mein Beispiel bildet der Blumenstrauß und in gewissem Sinne auch
1 U nter dem Titel „Bild vo n Bilder noder Kultur im Kopf“ habe ich diese Gedanke n erstmals a uf dem erste n Bildlore-Symposio n der CIAP in Lu nd 1 984 vor getragen: v gl . Österreichische Zeitschrift für Volksku nde 8 7 {1 984) 33 9-341; Neue Zürcher Zeitun g vom26. 9.1987,Nr.224,S.39.
2 Wolfga ng Brück ner, „Bildlore“ u nd no nverbale Kommu nikatio n. I n: E thnolo gia Eu ropaea 12/II {1981) 18-22. – Vgl. ders., Volkskunst und Realienforschung. In: Edgar Rarvolk (H g.), We ge der Volksku nde in Bayern. Mü nche n-Würzbur g 1 987, 113-13 9.
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der Blumenstock. Für die Zeitgenossen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhun derts ist es eine unbefragbare Selbstverständlichkeit, wie wir diese Dinge heute erleben, ertrinken wir doch förmlich in Blumenmeeren: bei Hoch zeiten, Beerdigungen, Festgottesdiensten, Staatsfeiern, Blumenteppichen, Blumenkorsi, kein Festzug (ob in Tracht oder von Olympioniken) ohne Blumen in aller Hände, kein Rednerpult ohne teures Grünzeug, keine Jah reszeit ohne aufwendige Sommerzüchtungen aller Orten (aus Treibhäusern oder von anderen Kontinenten einge ogen). Beim traditionellen Neujahrs konzert der Wiener Philharmoniker im alten Musikvereinssaal prangt zu jedem 1. Januar weltweit über Eurovision der Orgelprospekt des 19. Jahr hunderts in einem vieltausendköp gen Blütenkleid. Prämierungen der Ak tion „Unser Dorf soll schöner werden“ tre en in Deutschland oft genug Orte, in denen jeder Misthaufen mit Blumenrabatten umstellt ist und wo aus sämtlichen Fenstern der Gemeinde farbige Blumen üsse wie ungebrem ster Waschmaschinenschaum quellen. Solche Anblicke wiederum schlagen auf das Baue bild der Vergangenheit zurück und fördern Erwartungshal tungen des Publikums für Freilichtmuseen oder Denkmalhöfe. Sie werden darum von naiven Verwaltungen bisweilen rund herum mit fotogenen Ge ranienkästen behängt, als handle es sich um provinzielle Domdechaneien des späten 19. Jahrhunderts.
Noch Herr Biedermann aber war nur Kakteenfreund, wie es Spitzweg gemalt hat, und das „Straußenbrett“ fränkischer Küchenfenster ist eine späte und sparsame Allzweckeinrichtung, so selten wie die Gewächstöpfe in Fenstern auf Tafelbildern um 1 5003. Heutige Quantitäten verraten eine völlig neue Qualität der Sache. Das Zeitalter der Volksnelke, wie Weizen felder angebaut und in der Stadt nachts aus Automaten ziehbar, hat – soweit ich sehe – noch nicht die Innovationsforscher auf den Plan gerufen, um uns hier näheren Bescheid zu geben. So vermag ich im wesentlichen nur das Desideratum anzuzeigen. Allein die Schweizer Kollegen haben über den Valentinstag und sein Eindringen über die Welschschweiz von Frankreich her um 1950 kurz berichtet, ansonsten wissen wir nur Vages über den angelsächsischen Verkaufstermin4• Westfälische Kollegen haben
3 Harry Kühne! (Hg.), Alltag i m Spätmittelalter. Graz 21986, 66, 177, 257; Heinrich Mehl – Hans-Ulrich Roller (Red.), Bemalte Möbel aus Hohenlohe. Die Schreinerfamilie Rößler und ihr Umkreis. Stuttgart 1985, 71, Abb. 39.
4 J. Aellig, Wie ein neuer Brauch entstehen kann. Der Valentinstag. In: Schweizer Volkskunde 40 (1950) 7-9.
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das Aufkommen von Blumen statt Erde bei Beerdigungen auf dem Lande als städtische Sitte beobachtet, die erst zwischen den beiden Weltkriegen allmählich Eingang fand5. Und hier ist auch durch Martha Bringemeier der Anstoß zu meinen Studien erfolgt, indem sie sich Gedanken gemacht hat über die Herkunft und den Zeitpunkt des Au ommens von Bäumen und Blumen im Kirchenraum6 . Nichts wissen wir davon, wann „Fleurop“ entstanden ist und wann das Berufsbild der „Floristin“ samt der Expan sion der Blumengärtnereien und des Blumengeschäftes aufkamen. Uns ist das heute alles das Natürlichste der Welt, und doch sind hier ganz moderne Entwicklungen am Werke, regional sicher sehr verschieden und international unterschiedlich beein ußt; man denke nur an die historischen Ursprünge in Holland und Japan7.
Jedenfalls halten wir danach in aller Regel Bilder von Blumensträußen zunächst einmal für Abbildungen blühender Wirklichkeit, für die Wieder gabe von lebendigen Blumen, zumindest für einen Re ex von Schnittblu menstraußumgebung, wie wir sie als Alltagserlebnis gewohnt sind. Wir tun das etwa bei Türfeldfüllungen an ländlichen Truhen und Schränken, un abhängig von Interpretat.ionsversuchen, wie sie der Wiener Karl von Spieß vor einem halben Jahrhundert vorgetragen hat und wogegen sich nach dem Kriege Lenz Kriss-Rettenbeck in München ausdrücklich wandte8 . Es ist die schwer ausrottbare Deutung vom „Lebensbaum“, so heute noch in der Heimatliteratur und von be issenen Laien oder schlecht informierten Journalisten im deutschsprachigen Raum weiterhin gerne bezeichnet, auch wenn ursprünglich nur die Reduktion auf den blumigen Dreispro aus ei nem Gefäß gemeint war9 . Die sogenannte Sinnbildforschung der zwanziger
5 Mitt. Prof. Dr. Hinrich Siuts, Münster.
6 Martha Bringemeier, Baumschmuck im Got teshaus. In: Rheinisch-westfälische Zeit
schrift für Volkskunde 25 (1 980) 255-258; dar aufhin Franz Krins, Blumen- und Baum schmuck in katholischen Kirchen Westfalens. In: ebd. 26/27 ( 1 981/82) 1 8 9-1 98.
7 Norbert Schneider, Vom Klostergarten zur Tulpomanie. Hinweise zur materiellen Vor geschichte des Blumenstille ns. In: Stilleben in Europa. Westfälisches Landesmuseum Münster und Staatliche Kunsthalle Baden-Baden. Münster 1 97 9, 2 94-313.
8 Lenz Kriss-Rettenbeck, Lebensbaum und Ährenkleid. Probleme der volkskundlichen Ikonographie. In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde 1 956, 42-56. Anlaß war Karl v. Spieß, Neue Marksteine. Drei Abhandlungen aus dem Gebiet der überlieferungs ge bundenen Kunst {Verö entlichungen des Österreichischen Museums für Volkskunde 7) Wien 1 955; dort eine Bibliographie von Spieß d urch Leopold Schmidt (S. 1 17-122.).
9 Selbst bei einem sonst so ernst zu nehmenden Spezialisten wie Friedrich Knaipp, Hin- 23
und dreißiger Jahre ging von einer ideologischen Prämisse aus, nämlich von der unhaltbaren theoretischen Meinung, daß es auch im Bereich histori scher Überlieferungen „Dinge an sich“ gäbe, also zum Beispiel zeichenhafte Bedeutungs xierungen übergeschichtlicher Art. Kriss-Rettenbeck hat da gegen das Problem der „wissensoziologischen Verständnismöglichkeit für Vergangenes“ gestellt und die formalen „Reihenvergleiche“ zur Ermitt lung der Spießsehen „Leitgestalt“ Lebensbaum als methodisch falsch und sachlich fahrlässig nachgewiesen.
Für die uns hier interessierende Variante („henkellose oder mehrhen kelige Vase, die mit einer oder mehreren Blumen oder mit einer P anzen ranke gefüllt ist“) mußte er konstatieren: „In der mitteleuropäischen Volks kunst erscheint das … Bild zum Ausgang des 17. Jahrhunderts und hält sich bis in unsere Zeit. Es wird als Muster und O ament verwendet bei der Verzierung von Tischdecken, Überhandtüche , Türstützen, Tür- und Torpfosten, Stirnholzbrette , Kuhglockenbügeln und -riemen, Leitgur ten, Kästen, Bänken, Ofenkacheln, Teppichen, Vorhängen, Leder-, Sto und Basttaschen, Körben, Krügen, Tellern, Miniaturen, Hinterglasbildern, Kämmen, Totenbrettern, Grabdenkmälern, im Grabputz usw. Wir kennen keinen Fall, daß das Blumenbouquet in einer Vase vom yolke als Lebens baum bezeichnet wurde oder wird. Es gibt auch keine Uberlieferung, die uns über den Bildsinn au lären könnte. Von der Funktion können wir nur aussagen, daß es der Verzierung von Flächen dient“ . Kriss-Rettenbeck sieht „die Beliebtheit der Blume, des Blumenbouquets, der Blumen- und P anzenranke in der volkskundlichen Anwendung als ächenverzierendes Muster“ von vier möglichen Faktoren abhängen: „1. Von der Beharrung in der Überlieferung, 2. in der Überlieferung mit der Stilkunst, 3. von der Verwendbarkeit des Naturmodells, 4. von der Bedeutung und vom Sinne der Bildgestalt“, wobei er zu Punkt 4 die jüdisch-christliche Ikonographie des Lebensbaumes als arbor vitae entfaltet, um damit zu demonstrieren, daß auch dies hier in keiner Weise einschlägig ist, sondern nur zu falschen Konnotationen geführt hat. Von den Punkten 1-3 handelt er die beiden
terglasb ilder aus Bauern- und Bergmannsstuben des 18. und 1 9. Jahrhunderts. Linz 2. erw. Au . 1973 (‚1963) 66 f.: „Dreisprossige Lebensbäume, aus dem Gefäß mit dem Lebenswasser sprießend, verdeutlichen den Gekreuzigten als den Überwinder des To des „. – Auch nicht immer auf dem neuesten Stand der Forschung ist Sibylle Selbmann, Der Baum. Symbol und Schicksal des Mensch en. Eine Ausstellung der Badischen Lan desbibliothek. Karlsruhe 31984.
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ersten nur kursorisch mit je einem Satz ab, und zum dritten entfaltet er eine Phänomenologie der Ornamentbedingungen von Naturmodellen10.
Hier möchte ich neu einsetzen und zunächst zwei Weiterführungen anbieten auf die Fragen:
1. Gibt es möglicherweise Vorlagen in der Hochkunst für diese ornamen talen Füllungen seit dem 17. Jahrhundert?
2. Gibt es in dieser Zeit selbst Entwicklungen, die auf eine bestimmte Herkunft aus konkreten Gebrauchszusammenhängen verweisen?
In Schweden ist die sogenannte Kürbismalerei seit einem halben Jahr hundert gut erforscht. Svante Svärdström hat schon 1934 gezeigt, daß die Ornamentfüllungen von Feldern auf Schränken und Wandverzierungen aus Vasenbildern entwickelt worden sind11. Erst heute wird das – zumin dest bei uns – gerne vergessen, weil das bekannte lnterpretament „Baum“ dahinter steht, nämlich Wunderstaude aufgrund der inzwischen Fachter minologie gewordenen Bezeichnung „Kürbismalerei“. Daß dies in solcher Allgemeinbedeutung eine sekundäre literarische Benennung vom Ende des vorigen Jahrhunderts ist, verdrängt man dabei allzu schnell. Umso wich tiger ist es, sich besonders zu verdeutlichen, daß die se�.undäre bildliehe Darstellung eines solchen Ornamentdetails für eine breite O entlichkeit aus einer Zeitschrift des Jahres 1893 stammt und dort die Umzeichnung einer Henkelvase mit hochgestreckter Blumenkomposition war, die als „kurbit sen“ bezeichnet wurde12.
1° Kriss ·Rettenbeck (wie Anm. 8) 45. – Neben dieser phänomenologischen Betrach tungsweise sollte auch noch die funktionale einbezogen werden; vgl. dazu Martin Schar fe, Probleme der Soziologie des Wandschmucks. I n : Zeitschrift für Volkskunde 66 ( 1 970) 87-99, hier 93: „Man müßte untersuchen, welche Funktion Blumenbilder verschiedener Qualität und verschiedenen Stils auf verschiedenen Re exions- und Bildungsstufen, in verschiedenen Situationen, soz ialen Schichten und Subkulturen haben können, ob bei spielsweise … die Blumenor namente auf dem S chranke eines Bauern im 18. Jahrhundert Kumulationen der nahen Natur bedeuten – o der aber, kontrastierend dazu, Ersatz der fer nen Natur auf einem Blumen lender in der modernen Arbeiterstube“; d. h. wissens soziologische Vorstudien erst können zu derartigen Ergebnissen führen, und genau dies soll hier geleistet werden.
11 Svante Svärdström, Die Bauernmalerei in Dalarna. Stockholm 1957.
12 Ders., Rosm älning och kurbits. En studie i det yngre dalm äleriet. In: Fataburen. Nordiska museets och skansens ärsbok 1934, 121-146, hier 143, Abb. 16 von P. Hedman aus „Ny Illustrerad Tidning “ 1893; s. unsere A bb. 2.
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Die skandinavischen Hersteller und Benutzer nannten im 19. Jahr hundert den Blumendekor „rosm ng“13, so wie 1680 die Berchtesgadener Blumenlieferanten in Niederbayern „Rosenmacher“ hießen und dort 1669 . Altarschmuck als „Mairosen“ bezeichnet wurde14, ebenfalls im Odenwald
1686: „für gemalte Rosen . . . zu der Zierrath zu den altaren“15• Dennochblieb inSchweden die nachträgliche ätiologischeBenennung „Kürbis“, die ja nicht reine Intellektuellenerfindung ist, bezeichnend für die nur bisweilen wiedergegebene biblische Szene der tatsächlich zutref fenden Darstellung. Der Ausdruck, auch in den dazugehörigen üblichen Beschriftungen enthalten, meint nach der Lutherübersetzung den Wun derbaum des Propheten Jona von Ninive16 . Die religiöse Präfiguration des ornamentalen Blumenwerks deckt sich aber zugleich mit der gebrauchs technischen von Kirchenzier, wie wir sie in Mitteleuropa kennen und wie sieauchinSchwedennichtunbekanntgewesenseindürfte. Esfälltim merhin auf, daß Bilder christlicher Kulthandlungen, etwa kirchliche Pre digtszenen, von zwei wohlgeordneten (nicht wuche den) Henkelvasen mit Sträußen flankiert sind gleich den bühnenartigen Guckkastendarstellungen,
wie jene nach Daniel mit dem Festmahl des Belsazar von 181917.
Daß es sich dabei um einen gemeineuropäischen Dekor handelt, be legen Gebrauch und Herkunft in der ungarischen Hoch- und Volkskunst. Nach einer Kronstädter Drechslerarbeit des Jahres 1545, die im archiva lischen Rechnungsbeleg „amphora italica“ heißt18, bezeichnet die ungari sche Forschung das Motiv heute als „italienische Vase“ in der Tradition von Musterbüchern der Renaissance, die dafür benannt werden können1 9 . Im
13 Ra ndi Asker, Die Rose nmalerei. I n: Roar Hauglid (Hg.), Norwegische Volksku nst. Oslo 1965, 63-106. Vgl. de n Tite l des vierbändige n Werkes vo n Nils Georg Brekke „Rosem äli ng i Hordaland“.
14 Frdl. Mitt. v. Dr. Fritz Markmiller, Di ng ol ng; aus KR Filiale St. Leo nhard, Ha ge nau, 1680 für „8 ru nde Maibüsche um 8 „; aus Kapellenrech nu ng der Zimmerleute Di ngol ng, Seitenaltar St. A nna 1669.
15 Max Walter-Archiv des I nstituts für deutsche Philologie, volksku ndl. Abt. der U niv. Würzburg: ZK 31 Nr. 237 aus KR Feche nbach.
16 Svärdström (wie Anm. 11) 4.
17 Ebd., Farbtafel 10; s. u nsere Abb. 3; vgl. noch Taf. 9, 20, 24 u nd Abb. S. 7, 45, 46, alles 19. Jahrhu ndert.
18 Freu nd!. Mitt. vo n Frau Dr. Katali n Si nk6 vo n der U ngarische n Natio nalgalerie Budapest.
19 Kl ara Csill ery, U ngarische Bauer nmöbe L Budapest 1972.
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17. Jahrhundert nden sich diese Blumenkrüge dann in ausgeschmückten Kassettendecken protestantischer Kirchen in Unga , ehe sie später in der Siebenbürgener Schreinermalerei oder auf ungarischer Hafner-Keramik be gegnen20.
Aus dem 18. und 19. Jahrhundert besitzen wir in der gut erforsch ten Graphikproduktion der Pennsylvanien-Deutschen in Amerika reichlich Zeugnisse der aus Europa mitgebrachten Dekorationsmotivik, voran unsere Blumenvasen in der typisch ankierenden Zweieranordnung21 . Für West und Mitteleuropa gibt es in der Hochkunst vom 17. Jahrhundert an, der Zeit also, in der das Motiv populär geworden ist, niederländische Stichvor lagen sowohl für Blumenvasenbilder (sogar mit den in der deutschsprachi gen Volkskunstdebatte mysti zierten zwei Vögeln), aber auch solche, die das ornamentale Ausfüllen einer Fläche schon vorexerzieren22.
Dahinter steht natürlich die Kunst des Stillebens, von der noch näher gesprochen werden muß. Doch im 18. Jahrhundert haben die Augsbur ger Verleger Blätter mit großformatigen Maikrügen angeboten, die dann tatsächlich zu Dekorationszwecken verwendet wurden, wie nach 1721 im Kellerschlössel des Stiftpropstes von Dü stein, hier in der Wachau23.
Solche Blumenvasen treten auf süddeutschen Schränken nicht bloß paarig entsprechend den Schranktüren auf, sondern sie sind den beiden Heiligenbildern der oberen Füllungen zugeordnet und stehen ihnen sozu sagen zu Füßen24. Wenn man sich nun vergewissert, daß die Hersteller dieses sogenannten Baue barocks im frühen 19. Jahrhundert aus dem Umkreis klösterlichen Handwerks stammen, und wir dies an Schrankfassa den ablesen können, die wie Altäre gestaltet sind, dann liegt es nahe, im kirchlichen Raum auch die Vorbilder und Anregungen nicht bloß der from men Motive zu suchen. Und in der Tat lassen sie sich hier nden. Es gibt
20 Roswith Capesius, Siebenbürgisch-sächsische Schreinermalerei. Bukarest 1983.
21 Frederick S. Weiser – Howell J. Heaney, The Pennsylvania German Fraktur. 2Bde. Philadelphia 1976, passim, besonders Nr. 653-674.
22 Gerhard Langemeyer- Hans-Albert Peters (Hgg.), Stilleben in Europa. Westfälisches Landesmuseum Münster und Staatliche Kunsthalle Baden-Baden 1 97 9, 330 f., Abb. 175 -177; s. unsere Abb. 4.
23 Ludwig Baron Döry, Die profanen Stichfolgen im Kellerschlössel Dürnstein. In: König Richard I. Löwenherz von England. Hg. v.d. Stadt Dürnstein 1 966, 116-1 20.
24 Z. B. 34 Abbildungsbeispiele zwischen 1750 und 1850 bei Wolfgang Schwarze, Alte deutsche Bauernmöbel von 1700-1860. Bd. I: Der Süden vom Main bis zum lnn. Wup pertal 1979; s. unsere Abb. 10 nach Nr. 283.
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Antependien, auf denen ein Marienbild von zwei ebenso großen Henkelva sen ankiert wird – Gargellen im Montafon z. B . – und dies wiederholt sich im 1 9. Jahrhundert auf slowenischen Bienenbrettchen25.
Holzschnittbilderbogen, deren Vorwurf aus dem 17. Jahrhundert stammt, die aber noch im 18. Jahrhundert gedruckt wurden, sogenannte Bauernbriefe aus Augsburg, stellen Maria nicht mehr wie im Mittelalter mit einem einzigen symbolträchtigen, auf die Jungfernschaft verweisenden Lilienstrauß dar, sondern mit zwei sie rahmenden, also aus dem Kultus stammenden Altarsträußen, wie sich das schon bei Domenico Michelinos thronender Madonna mit Heiligen von 1458 in der Alten Pinakothek in München ndet26. 1733 wurden in St. Kolamann in Schwangau zwei so!-
25 Ein Tafelbild mitdem Altöttinger Gnadenbild von 1752in der Aegidienkir e in Deggendorf: Abb. 2 im Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde 1 98 9, wohl nach einem Kupfers tich der Art des kleinen Andachtsbildes wie bei Rober t Bauer, Der bayerische Wallfahrtsor t Altötting. München 1 96 9, Ab b. 56. – Andachtsbild ehen von Maria Zell, Beichtzettel der Serviten in Gu tenstein 1768, eine Lauretana auf „Geis tlichem Marien brief“ um 1860, alles in der Slg. Ast, Gutenstein. – Annahand, ebenfalls von Maikrügen ankiertin der Slg. Pachinger, Germ. Nat. Mus. Nü berg, Kaps. 1734; in Kaps. 1 251 H B 1 9985 das „Gnadenreiche Jesulein“ i n Krumau. – Heiliggrabdarstellungen i m Wand schmuck vom Ende des 1 9. Jhs. zeigen die gleiche Si tuation wie reali ter in Notre Dame des Vic toires in Paris, bei Rudolf Kriss – Lenz Rettenbeck, Wallfahr tsorte Europas. München 1 950, Abb. S. 1 90. – Ein Bienens tockbret tehen aus Kärnten bei Leopold Schmid t, Die Volkskuns t in Österreich. Wien-Hannover 1 966, Abb. 77. – K a talog: GehelanskimuseywRadorljici(1973),Nr.22von1869. -GorazdMarkarovicu.a., Der Mensch und die Biene. Die Apikultur Sloweniens in der traditionellen Wir tschaft und Volkskunst. Begleit rö fef ntlichung zur Sonderausstellung (Verö fef ntlichungen des Österreichischen Museums für Volkskunde 24) L jubljana-Wien 1 98 9, Abb. 29, 3 1 , u. ö. in der Ausstellung selbst. Diese S tücke waren auch in München zu sehen mit genauerer ikonographischer Beschreibung: Nina Gockerell (Red.), Bunte Bilder am Bienenhaus. Malereien aus Slowenien. Bayer. Nat. Mus. München 1 991, Abb. 33, 35-37, 65, 66, 85,
90, 92, 94, 95.
26 Dorothy Alexander – Walter L. Strauss, The German Single-Leaf Woodcu t 1600- 1700, 2 Bde. New York 1 977, 540 von Briefmale r Matheus Schmid, Augsburg. – Ein Blatt des gleichen Stils, aber aus dem 18. Jah rhundert von Briefmaler Boas U lrich Meh rer, Augsburg, in der Slg. Tobler, Stä fa am Zürichsee ; es stellt eine Kopie des Bla ttes von Georg Jäger (= 1660) dar; Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde 1 950 („Bauern briefe“), S. 118, Abb. 18. – Zur Einzelvase vgl. „Fayencen in Verkündigungen des Spätmi ttelalters“ (Mitteilungsblatt der Keramikfreunde der Schweiz 84) 1 97 2.
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ehe den Altar flankierende Türen geschnitzt:27 mannshohe Vasen mit Blu menstöcken.
Eine ebenfalls aus dem Allgäu stammende Votivtafel von 1690 zeigt ein Elternpaar, das St. Ursula in Görisried für die Errettung zweier Buben aus Gefahr dankt28 . Das mag mit einem solchen Strauß geschehen sein, denn die Mirakelbücher von Maria Stein in Tirol belegen dergleichen für 1697 und 1709 als „Altarbluemenbusch“, aber auch in Westfalen wurde solches z.B. St. Walburga in Werl geopfert, wie das Inventar der Wall fahrtskirche von 1 783 ausweist29 . Auf dem Allgäuer Votivbild schwebt die Heilige über einem Blumenstrauß in Henkelvase. Das entspricht der sym bolischen Au assung, wie sie in den kleinen Andachtsbildehen mit Klapp blumen zum Ausdruck kommt oder in den emblematischen Miniaturen des 18. Jahrhunderts, wo der Heilige als Frucht oder Hauptblume erscheint oder – wieder ganz praktisch – als Abbild der Kultsituation ein Mari eugnadenbild über einem Altar mit Kerzen und Henkelvasen erscheint30.
In der populären Druckgraphik Spaniens bieten die Blumenkrug-Flan kierungen von Heiligen ein regelrechtes Erkennungsschema für religiöse Liederdrucke auf Bilderbogen, die sogenannten „Goigs“ aus Katalonien3 1 . Die großen Sammlungen des „Arxiv historic de Barcelona“ und die dortige „Biblioteca de Catalunga“ besitzen Exemplare dieser spezifischen Bebilde rungsart von der Mitte des 17. Jahrhunderts bis hoch ins 19. Jahrhundert
27 Die Kirchen der Pfarre Waltenhofen. Waltenhafen 1968, Abb. S. 14 u. 16.
28 Vgl. unsere Abb. 5; frdl. Mitt. und Foto von Frau Restauratorin i. R. Margot Luda, Nesselwang (vgl. unten Anm. 83). – Desglei en auf einem Votivbild mit Soldat aus dem Jahre 1832; im Diözesanmuseum Freising ausgestellt.
29 Hans Bellinghausen (Hg.), Alt-Koblenz 1929, 123. – Hans Bachmann, Das Mi rakelbuch der Wallfahrtskir e Maria Stein in Tirol als Quelle zur Kulturgeschichte 1678-1742 (Schiern-Schriften 265) Innsbruck 1973, 134. – Krins (wie Anm. 6) 197.
30 Vgl. unsere Abb. 9; z. B. St. Damian als Blumenheiliger im Kupferstich bei Anneliese Wittmann, Grundzüge der Volksdevotion der hl. Kosmas und Damian. In: Veröffentli chungen der Schweizerischen Gesellschaft für Geschichte der Pharmazie 5 (1985) 95-108, hier Abb. S. 98.
31 Josep Marti i Perez, Die „goigs“. Zu Wesen und Funktion katalanischer Andachts bilder. In: Rolf Wilhelm Brednich – Andreas Hartmann (Hgg.), Populäre Bildmedien (Beiträge zur Volkskunde von Niedersachsen 3) Göttingen 1989, 241-261 (mit 10 Abb.); ders., Katalanische Volksdruckgraphik. Die Goigs. In: Volkskunst 13/1 (1990) 31-35 (mit 7 Abb.). – Der Autor hat mir eine Reihe einschlägiger Kopien aus dem Archiv in Barcelona zukommen lassen, s. unsere Abb. 11.
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hinein. Die stereotype Form zeigt stets im oberen Viertel oder Drittel das besungene Gnadenbild im gerahmten Holzschnitt, an beiden Seiten umgeben von freistehenden Henkelvasen mit stilisierten Blumensträußen.
Ich behaupte nun, daß auch die kirchlichen Parallelen zu unserer profanen Motivik nur sekundäre Formen der eigentlichen Vorbilder sind, nur Bilder von Bildern, nämlich zweidimensional gemalte Blumenstöcke von den dreidimensionalen sogenannten Maikrügen oder realen „Altarbu schen“, auch „Buschkrügen“ genannt, wie es in den kirchlichen Rechnun gen der Zeit heißt – und das waren alles Kunstblumensträuße. Dies aber ist eine bislang völlig außer Betracht gelassene Bildgattung von Kunst gebilden. Um meine These zu stützen, bedarf es einiger Ausgri e in die Kunst- und Kulturgeschichte.
Unser Wissen von Naturblumengebrauch und die Kunstblumenfor schung haben noch nicht zusammengefunden. Martha Bringemeier macht darauf aufmerksam, daß eine Naturblume im Knop och als modisches At tribut erst seit der französischen Revolution möglich geworden ist32. Der Kult des Natürlichen gegen mannigfache Künstlichkeiten der Zivilisation setzte sich im 19. Jahrhundert allmählich und sehr unterschiedlich durch. Für die breite Masse der Bevölkerung, zumal auf dem Lande, blieben Kunstblumen aller Art und Arrangements gang und gäbe. Das hat für Deutschland vor einigen Jahren die kleine Berliner Ausstellung von Ulrike Zischka erstmals zusammenfassend angedeutet33, denn das immer wieder zitierte Buch von Bruno Schier über „Die Kunstblume von der Antike bis zur Gegenwart“ befaßt sich entgegen seinem Titel fast allein mit den Mode accessoires der fabrikmäßigen Sto blumenherstellung34 . Im Vordergrund
32 Martha Bringemeier, Ein Modejournalist erlebt die Französische Revolution. Mün ster 1981, 37 f.
33 Ulrike Zischka, Kauft Blumen! Herstellung und Verwendung von Kunstblumen (Kleine Schriften der Freunde des Museums für Deutscl1e Volkskunde 1) Berlin 1979. Zur dortigen Literatur ist zu ergänzen: Die so kluge als künstlicl1e von Araebne und Penelope getreulicl1 unterwiesenen HaußHalterin. Nürnberg (W. M. Endter) 1703, schon im Titelkupfer häusliches Blumenmacl1en und 1. Abth. Cap. 23-26: Anfertigung von Wachs-, Feder-, Oe!-, Blechblumen. – Abbildung einer Wiener Fabrik des Biedermeier, s. unten Anm. 81. – „Wachsblumen zur Ausschmückung von Altären, Grabkapellen etc.“ = Annonce in: Der Bazar 12 (1885) Nr. 8, 2. Blatt, S. 63 f. (mit 2 Abb.). – Zur heutigen Beliebtheit s. Rosemie Strobel-Schulze, Trockenblumen. Gewürzsträuße, Gestecke, Kränze, Buketts (Reihe Hobby des Balkenverlages) Niedernhausen/Ts. 1983. 34 Bruno Schier, Die Kunstblume von der Antike bis zur Gegenwart. Geschicl1te und
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stehen jedoch beide Male das 19. Jahrhundert, und ganz und gar fehlen die häuslichen Repräsentationsblumen und die kirchlichen Altarsträuße, von denen letztere seit dem frühen 17. Jahrhundert die wohl gefragtesten und am meisten produzierten, weil nach Jahren immer wieder erneuerten Kunstblumen darstellen. Von ihnen scheint auf den ersten Blick jede Spur verlorengegangen zu sein, denn gerade sie sind seit dem 19. Jahrhundert ästhetisch in Verruf geraten35.
In Thomas Bernhards „Heldenplatz“ – welches Stück nicht bloß eine Publikumsbeschimpfung, sondern voran eine Professorentragödie ist – wird von dem nicht mehr lebenden Protagonisten gesagt, er haßte Blumen in der Wohnung: „in der Natur ja, zu Hause nein“ . Das ist die alteuropäische Haltung. Das war, mit Stefan Zweig zu sprechen, ein Mann der Welt von gestern.
Aber zunächst ein Blick in die Kunstgeschichte der Blumensymbo lik und des Blumenstillebens. Vorhin ist schon einmal im Zusammen hang von paarigen Vasen bei Marienbildern seit dem 17. Jahrhundert die Rede davon gewesen, daß dies Altarschmuck meint, entgegen der mittel alterlichen Ikonographie von Verkündigungs- und Christi-Geburtsbildern, wo der Blumenkrug eindeutiges Mariensymbol mit Hinweis auf die Jung frauschart war. Hier liegen zugleich die mittelalterlichen Vorstufen für die verselbständigten nachmittelalterlichen Blumenstilleben. Doch auch diese waren, wie die intensiven Stillebenforschungen der letzten Jahrzehnte si cher festgestellt haben, keine Naturbilder von Blumensträußen, sondern
Eigenart eines volkstümlichen Kunstgewerbes (Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Verö entlichungen des Instituts für Deutsche Volkskunde 11) Berlin 1957. 35 Darum ist die fabriksmäßige Herstellung der Papierblumen erst spät in den Blick ge kommen und in der Volkskunde zunächst nur für privates „Basteln“ angesehen worden, so noch bei Adolf Spamer, Die deutsche Volkskunde II. Leipzig-Berlin 1935, 366 f., ja die NS-Volkskulturpfleger haben die moderne Aesthetik zu „überliefertem Volksemp n den“ stilisiert und von „lebendigem Grün“ gegen „exotische Zierp anzen“ gesprochen; s. Hans Strobel, Die Hochzeitsfeier als nationalsozialistis e „Lebensfeier“. In: Deut sche Volkskunde 6/1-2 (1944) 12-15, hier 13. – Heutige Forschungen dagegen: Wolf gang Brückner, Europäische Konkurrenz in Kunstblumen. Zur neuesten Entwicklung eines alten Gewerbes. In: FS für Bruno Schier (Verö entlichungen des Instituts für mitteleuropäische Volksforschung Marburg 5) Göttingen 1967, 229-239; Peter Assion, Anfang und Ende der Papierblume. In: Zauber des Papiers (Begleitband zur Ausstel lung des Frankfurter Kunstvereins) Frankfurt 1973, 90-95; Christa Pieske, Das ABC des Luxuspapiers. Herstellung, Verarbeitung und Gebrauch 1860-1930. Berlin 21984.
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allenfalls der einzelnen Blüten, die zu verschiedenen Jahreszeiten sozusa gen notiert wurden, um dann ein durchaus künstliches Arrangement zu ergeben36. Darüber hinaus stand die symbolische Bedeutung der schnell vergänglichen blühenden Natur wie der einzelnen Blumen obenan. Es do minierte das Motiv der Vanitas. Blumen und Totenschädel heißen die gängigen und optischen Entsprechungen. Sie signalisieren nicht das Le ben, sondern das Sterbenmüssen37. „Homo est ut fior in campo“ steht auf einem Zettel neben dem Totenschädel mit Blumenvase des kleinen Kup ferstiches als Denkzettel (s. Abb. 8).
Der Blumenstrauß taucht darum bezeichnenderweise in der so breit entfalteten emblematischen Bilderwelt des Barocks nicht auf. Das Hand buch von Henkel/Schöne verzeichnet lediglich picturae im Abschnitt III, „blühende Pflanzen“ , mit symbolischer Einzeldeutung, wie sie später auch noch im Volksleben lange nachgewirkt haben38. Schon Julius Schwietering wies vor einem halben Jahrhundert darauf hin, daß entsprechend der Ver mittlungsmacht des katholischen Katechismus in Westfalen die Tugend lehre mit einem Bedeutungskanon der Blumen verknüpft wurde, so daß deren gut erkennbare realistische Darstellung in der Volkskunst nichts mit besonderem Kunstwollen, sondern allein mit dem zeichenhaften Sinn, mit der Aussageintention, mit dem Kommunikationswert des Dargestellten zu tun hat39.
Wie stark die Vanitasbedeutung für den Blumenstrauß in breiteste
36 Umfassende Bibliographie im Ausstellungskatalog von 1979, s. Anm. 22, dort vor al lem Paul Pieper, Das Blumenbukett, S. 314-349; Stilleben – Natura Morta im Wallraf Richartz-Museum und im Museum Ludwig. Köln 1980; Ciaus Grimm, Stilleben. Mei ster der europäischen Stillebenmalerei des 17. und 18. Jahrhunderts. Stuttgart 1988. 37 So unsere Abb. 8 aus der Slg. Hofmann, Würzburg; vgl. im Kölner Katalog (s. Anm. 36), S. 8: Abh. von 1610. – Im Katalog von Münster (s. Anm. 22) Christian Klemm, Weltdeutung. Allegorien und Symbole im Stilleben, S. 140-218 mit Vanitas-Abb. samt Blumenvase zu Hauf ab S. 191.
38 Arthur Henkel – Wolfgang Schöne (Hgg.), Emblemata. Handbuch zur Sinnbildkunst des 16. und 17. Jahrhunderts. Stuttgart 1967. Der Supplementband von 1976 bietet keine Ergänzungen.
39 Julius Schwietering, Vom zeichenhaften Sinn der Volkskunst. In: Niederdeutsche Zeitschrift für Volkskunde 11 (1933) 56-67, hier 66 f. – Zu den Vermittlungsinstanzen
jetzt Lisa Riede! – Werner Hirte (Hgg.), Der neue Blumengarten. Stadt und Land auf Neuruppiner Bilderbogen. Berlin 1988, 137: „Es welken schnell die Blumen unseres Lebens …“, „Die Sprache der Blumen“, 29 . mit Kommentar 137 .
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Kreise gedrungen ist, möge das seltene Beispiel eines bäuerlichen Erbau ungsbuches belegen, handgeschrieben von einem Pennsylvanien-Deutschen 1784, das von Don Yoder in Philadelphia verö entlicht worden ist40. Lud wig Denig in Chamberburg, der Schreiber, hat es mit emblematischen Bild seiten versehen. Auf das Motiv des Weinstocks folgt eine Vase mit Blumen wie die Füllung eines Bauernschranks. Der Text dazu lautet: „Dan gleich als wan man allerley schönen Blumen abricht und stellet sie in ein gefäss, desen voll waser gefület ist, so grinen sie wohl eine Zeit lang, aber weil sie nicht den rechten Sa t haben, kommen sie doch zu keiner Frucht oder saa men, also muß sich der Mensch alle Zeit an Jesum Christum halten, weill er der anfänger und vollender unsers Glaubens ist“ . Das nächste Bild zeigt Tulpen auf einem Acker, die den lieblichen Geruch vor Gott anzeigen sol len. Ein weiteres Bild stellt drei Lilienstauden als weißes Kleid der Ehre vor und betont nochmals als größere Tugend den Wohlgeruch. Dann folgt ein gelber ingelrosenzweig, der die „Zierlichkeit“ anzeigen soll, lustig an zuschauen und doch nur von ferne, weil sie stinkig und giftig sind. Das letzte der Blumenbilder zeigt eine Maiglöckchenstaude. Sie ist Sinnbild der unschuldigen Kindlein, lieblich im Geruch, aber schnell vergänglich. – Insgesamt also besitzen Blumen stets moralischen Verweischarakter und sind Vanitaszeichen.
Etwas anderes war die Benutzung von Blumensträußen zu Dekora tions-, Geschenk- oder Prestigezwecken, nämlich als kunstvoll Gemach tes, als Wertobjekte, eben als Kunstwerke. Ich erinnere an das eingangs erwähnte Gatten-Geschenk Maria Theresias aus der Zeit um 1750 im Na turhistorischen Museum Wien, und ich erwähne aus dem Heeresgeschicht lichen Museum das große Gemälde des kaiserlichen Feldmarschalls Graf Galas (1584-1647) aus dem Dreißigjährigen Krieg. Er war einer der Haupt verschwörer gegen Wallenstein. Auf einem Tisch neben ihm ist eine Fay encevase mit einem großen Blumenstrauß zu sehen4 1 . In einem Augsbur ger Tischzucht-Blatt der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts als illustrier-
40 Herzlichen Dank für die freundliche Überlassung einer Xeroxkopie durch Prof. Don Yoder von der State University Philadelphia. Inzwischen erschienen: The Picture-Bible of Ludwig Denig. A Pennsylvania German Emblem Book. Vol. I translated and edited by Don Yoder, vol. II (Faksimileder Handschrift). New York 1990, I, 74 f. Stichvorlagen des 18. Jhs. mit der emblematischen Blumenvasenbedeutung: „Allein den Augen“.
41 Zum profanen Gebrauch von Henkelvasen mit Blumenstrauß bei Porträts s. Gerhard Langemeyer, Das Stilleben als Attribut. In: ders. (wie Anm. 22) 220-241. – Aus der Druckgraphik ist voran Dürers Kupferstich des Erasmus von 1526 zu nennen.
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tem Flugblatt in Holzschnitt werden die Attribute bürgerlichen Wohlstan des optisch aufgezählt, darunter ein Doppelpokal und ein Kunstblumen strauß in Doppelhenkelvase aus Zinnguß oder Edelmetall42. Ebenfalls in einem illustrierten Flugblatt des frühen 17. Jahrhunderts, das in Kup ferstich und Text den gelehrten, aber armen Arzt und den ungelehrten, aber reichen Beutelschneider darstellt, besitzt letzterer anstatt B ücher ein Repräsentationsmöbel mit stufenförmigem Aufsatz, also eine Anrichte mit zwei Blumenvasen darauf, wie ein Hausaltar anzusehen43. Ein Straßburger Kupferstich nach französischem Vorbild von 1636 zeigt eine galante Sclm sterszene, die aber im wohl aussta erten Zimmer der Dame deren Lie besnöte meint, jedenfalls Wohnausstattung höchster Kreise darstellt: auf dem Tisch als Zier-, Kunst- und Prestigeelement ein Krug mit Strauß44.
Auch in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts waren Blumen im bürgerlichen Wohnzimmer noch keine vergänglichen aus der Natur. Das läßt sich anhand zeitgenössischer Darstellungen zeigen. Im beginnenden 20. Jahrhundert hat in Mitteleuropa auf dem Lande der Glassturz über dem Kunstblumenstrauß für lange Lebensdauer ohne Verstauben gesorgt, gesunkenes Kulturgut aus der bürgerlichen Oberschicht und auch als In dustrieprodukt für breite Kreise angeboten, so um 1910 beim dör ichen Fotografen in Franken zu nden: das alte Wohlhabensattribut der, wenn auch in Pappmache nachgebildeten metallenen Doppelhenkelvase im Stil des 17. Jahrhunderts mit Kunstblumenstrauß45.
Zuständig für einen Teil der gefragten Produkte waren Zinngießer und Goldschmiede (vgl. Jost Ammans Ständebuch von 1568), die sehr wohl wußten, wie in Biberach 1720, wofür sie gebraucht wurden, nämlich für Kunstblumen. Das ist aus deren Zunftwappen deutlich abzulesen46. Erst die Fach- und Depoteinteilungen unserer Kunstgewerbemuseen ha-
42 Alexander – Strauß (wie Anm. 26) 51 von Abraham Bach, Augsburg.
43 Hermann Peters, Der Arzt und die Heilkunst in alten Zeiten. Düsseldorf 1969 (1. Au . Jena 1900), Faksimilebeilage o. S. zwischen Abb. 79 u. 80: Illustriertes Flug blatt über den gelehrten und den unwissenden Arzt, 17. Jahrhundert.
44 „Ich weiß am besten wo euch der Schuh drückt“, Jacob von der Heyden 1636 (Straßburg), zweisprachig; danach bei Paulus Fürst in Nürnberg mit langem deutschen Text; beide im Germanischen National-Museums Nürnberg: Kaps. 1294, K 1627 und HB 24300.
45 S. unsere Abb. 7. Zum Landfotografen Johann Walter, Vasbühl, s. Wolfgang Brück ner (Hg.), Historische Fotogra e in Unterfranken. Würzburg 1989, 113-120.
46 S. unsere Abb. 6, nach: Barock in Baden und Württemberg. Ausstellung des Ba-
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ben die Lebenswelt von einst nach Materialien auseinanderdividiert, aber auch schon die Schatzkammerüberlieferungen von Kirchen sind daran nicht ganz unschuldig. Nur die angeblich wertvollen Metalle blieben erhalten, nachdem der Zierat selbst dem Verdikt der Aufklärungsästhetik verfal len war. Da heißt es in Salzburg 1783, alle „ungeziemende Pracht und unnöthiges . . . Putzwerk“ müßten unterbleiben. „Der Altar darf weder mit künstlichen, noch mit lebendigen Büschen, Blumen oder Fruchtstöcken ge ziert sein“47, und die Nürnberger Leichenordnung von 1786 verfügte die neue Naturwertschätzung gegenüber den alten Künstlichkeiten, nämlich daß die Kränze „hinfüro allein von frischen oder gedörrten Blumenwerck und nicht von Gold und Silber noch Seiden und Wachs“ sein dürfen48.
Das Ergebnis solcher Bestimmungen ndet sich dann 150 Jahre später in unseren wissenschaftlichen Handbüchern, so 1937 im „Reallexikon zur deutschen Kunstgeschichte“ unter dem Stichwort „Altarvasen“, wo völlig unzureichende Nachrichten stehen49. Danach seien die zinnernen und sil bernen Henkelvasen vornehmlich eine protestantisch-norddeutsche Angele genheit (weil sie dort o enbar früher außer Gebrauch gekommen sind und sich in den Sakristeien als Metallwert erhalten haben), und es wird be hauptet, sie ließen sich nicht vor der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts
dischen Landesmuseums Karlsruhe in Schloß Bruchsal 1981, Bd. I (Katalog) Nr. L 427 u. Abb. S. 717.
4 7 Josef Schöttl, Kirchliche Reformen des Salzburger Erzbischofs Hieronymus von Col loredo im Zeitalter der Aufklärung (Südostbayrische Heimatstudien 16) Hirschenhau sen 1939, 43. – Der Münchner geistliche Aufklärer Anton von Bucher, Gesammelte Schriften, hg. v. J .von Klessing, Bd. VI. München 1822, 609 ., kritisiert ebenfalls die Altarau auten durch Ironie, zumal die der Bruderschaften: „denn Bauern sehen sonst nichts von Flinselwerk und Gaze, weil sie5keine Ope häuser haben“ (S. 638). In seiner „Kinderlehre auf dem Lande“ (München 1815) zeigt das Titelkupfer eine Sakristei, auf deren Paramentenschrank einer der typischen hochgestreckten Altar-Mai-Krüge steht, s. Bayerische Staatsbibliothek: Von der Aufklärung zur Romantik. Geistige Strömungen in München. Ausstellungskat. Regensburg 1984, 47 f., Nr. 19, Abb. 48. – Die allgemeine Meinung faßte um diese Zeit Aegidius Jais zusammen, vgl. unten Zitat zu Anm. 72.
48 Landeskirchenarchiv Nürnberg Sig. BKG 816 vom 17. 7. 1786; frdl. Mitt. meines Schülers Ludger Heuer, M. A.
49 Georg Stuhlfauth – Otto Schmidt, Altarvasen. In: RDK I, 1937, Sp. 618-620; ergänzende Abb. in Hildesheimer Heimat-Kalender 1987, 19 (frdl. Mitt. R. W. Bred nich). Vgl. Paul Gra , Geschichte der Au ösung der alten gottesdienstlichen Formen. Göttingen 1921-39, I, 21937, 105: „Schmuck mit Blumen“.
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nachweisen, was leicht durch westfälische Rechnungen widerlegt werden kann und durch Votationen solchen Altarschmucks kurz nach 160050, bei des katholische Beispiele, wozu unser Handbuch behauptet, daß dort der Altarschmuck ohnehin eine sehr untergeordnete Rolle gespielt habe, wenn gleich einige künstliche Blumen nach Inventarwerken zitiert werden.
Wie sehr im 17. Jahrhundert im katholischen Bereich sogar die mit telalterliche Mariensymbolik von der modischen Verwendung des Metall kruges mit Kunstblumenstrauß als bloße Altarzier abgelöst worden ist, mag neben den schon genannten Einblattdrucken ein Beispiel zeigen, das wieder zurückverweist auf die übrigen Heiligenattribute und Votivgaben von Sträußen. Die sogenannte Schöne Maria von Regensburg, seit 1 5 1 9 umstrittenes neues Gnadenbild der Reformationszeit, erhielt durch Alb recht Altdorfer unter anderem einen vielfarbigen Holzschnitt, bei dem der K ünstler – anders als auf seinen Gnadenbildkopien in Öl – auf die als Archi tekturrahmung perspektivisch dargestellte Arkadenö nung nach mittelal terlicher Manier ein Fayencekrüglein mit deutlich zu erkennenden Lilien als Symbol der Jungfrauschaft Mariens stellte51. Im 17. Jahrhundert ist dar aus ein metallener Doppelhenkelkrug mit Rosen geworden und schließlich auf den Andachtsbildern des 18. Jahrhunderts ein üblicher Altarbuschen und zwar nicht mehr als Symbolverweis, sondern als Erkennungszeichen des wahren Gnadenbildes. Der Strauß wurde zum Attribut. Ein Votivbild von 1756 erweist diese Funktion und ikonographische Markierung beson ders deutlich52.
Damit komme ich zu den in der Literatur bisher fast völlig über sehenen, einst zuhauf existierenden und in Süddeutschland, Österreich und Italien noch häu g anzutre enden, jetzt mehr und mehr im Handel auftauchenden dekorativen Altarsträußen des 17. bis 19. Jahrhunderts. Ihre Bezeichnungen in den Kirchenrechnungen lauten in der Mehrzahl „Maien“ oder „Maienkrüge“ , auch „Maibüsche“ oder „Altarbuschen“ oder „Buschkrüge“ (so im Salzburgischen), aber auch „Mairosen“ (1669 Nie derbaye ). In Westfalen lautet die niederdeutsche Bezeichnung in den
5° Kri ns (wie A nm. 6) 195 .
51 Achim Hube!, Die schöne Maria vo n Re gensburg. Wallfahrt, Geschichte, I ko no
graphie. In: PaulMai(Hg.),850JahreKollegiatstiftzudenhll.Joh.Baptistund Joh. Evangelistin Regensburg 1127-1977. München 1977, 199-239 und 91 Abb. auf Taf., Abb. 4 {1519).
52 Ebd., Abb. 28-45, Abb. 58 (1756).
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Rechnungen des 17. bis 18. Jahrhunderts „Tinnerne Krudtkannen op dat altar“ 162553, also zinnerne Henkelvasen für Grünzeug, sowie in Polen heute noch – etwa im volkstümlichen Scherenschnitt – die Blumenstöcke „Zielka“ (= Kräutlein) heißen und ganz o ensichtlich auch von den Altar buschen abgeleitet werden müssen54.
Was „Maien“ überall in Deutschland zunächst meint, beschränkt sich im Norden auf die Bedeutung als frisch geschlagene grüne Bäumchen, bezeichnet im Süden aber auch die „Kräuter“, nämlich die Büsche oder Büschel im Verständnis von Sträußen55. „Tinnen blomenkennkens“ 1631 oder 1636 „Biomen-Pötte“, also Blumentöpfe, 1733 eigens aus Silber und 1748 mit Wachs- oder Gold- und Silberpapierblumen besteckt genannt, weisen auf die völlig gleiche Sitte überall im Lande hin. So sind in Westfa len 1702 und 1750 Seidenblumen erwähnt oder 1790 „Blumenstücke“ aus gefärbten Federn; noch 1823 kommen 8 „verzierte Blumen mit Töpfen“ auf dem Altar im Inventar unter den Pretiosen vor56. Im Odenwald heißen 1862/63 in einer Kirchenrechnung die aus der Walldürner Blumenfabrik gelieferten Altarverzierungen „Peramidtenstreis“, also Pyramidensträuße und verweisen damit in so später Zeit auf deren Funktionsäquivalenz für Reliquienaufbauten57. „Pyramiden“ heißen nämlich allerorten in Inventa
ren und Kirchenrechnungen jene dreieckigen barocken Altaraufsätze mit kunstvoll gefaßten Reliquien und „Agnus Dei“.
Insofern tri t die Notiz des „Reallexikons zur deutschen Kunstge-
53 So bei Bringemeier (wie Anm. 6) 257.
54 Staatliche Kunstsammlungen Dresden. Museum für Volkskunst: Polnische Sche
renschnitte. Gastausstellung des Ethnographischen Museums Torun. 0. J. (1980), Abb. S. 17 und 19.
55 Jacob u. Wilhelm Grimm, Deutsches Wörterbuch VI. Leipzig 1885, Sp. 1474: „Maie 3, der blumenstrauß“; Johann Andreas Schmeller, Bayerisches Wörterbuch. München 21872-77, Sp. 1549 .: „Mai, Maien“, frühester Beleg für „Maikrug/Maienkrug“ 1604 als Geschenk für den Altar des hl. Benno.
56 Krins (wie Anm. 6) 191 f. und 195 .
57 Max Walter-Archiv, Univ. Würzburg, Institut für deutsche Philologie, Zk Nr. 237,
aus dem Gemeindearchiv Beuchen, Kapellenrechnungen ab 1839. Der Blumenfabri nt „Drz. Joseph Stäphan zu Walldü “ erhielt für 2 Stück 56 Kreuzer. – Zu den „Pyra miden“ vgl. Anton Legner (Hg.), Reliquien. Verehrung und Verklärung. Skizzen und Noten zur Thematik und Katalog zur Ausstellung der Kölner Sammlung Louis Peters im Schnütgen-Museum. Köln 1989, Abb. zu Kat. Nr. 1-5, 16, 18-21, 22-24, 39, 41/42, 147, 195, 200/201, 218, 234.
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schichte“, daß „die Häufung der Kerzenleuchter und die Reliquientafeln als Schmuck des Altares Blumen über üssig machten“, den liturgiegeschicht lichen Sachverhalt richtig, nicht aber die Wirklichkeit der nachmittelalter lichen Entwicklung. Den Schmuck der Altäre an Festtagen bildeten von jeher die Gebeine der Heiligen in ihren Reliquiengefäßen und Büsten, denn die Heiligen verkörpe die Frucht des Glaubens; die Heiligen sind mithin die Blumen der Kirche. Blumen können daher sozusagen nur ein moder ner Ersatz für die Heiligen s_ein. Die für’s Detail etwas zu pauschalierende These von Martha Bringemeier trifft dennoch die Tendenz der generellen Entwicklung: Erst mit dem Fortfall der Heiligenverehrung durch die Re formation wird im Kirchenraum (genauer müßte es heißen: auf dem Altar) Platz für die blühende Natur; und der katholische Kultus folgt darin dem evangelischen seit dem 19. Jahrhundert nach58. Nochmals verkürzend for muliert hieße dies: Reliquien raus, Blumen rein; anstatt Kultur die Natur. Man muß und kann dies genauer belege . Hier mögen nur die wichtigsten Zeugnisse eines breiten Dokumentationsmaterials folgen.
In den kirchlichen Anleitungen zur Liturgie, in den Agenden, Ritua lien, Zeremonialhandbüche und Funktionarien der Meßner wird der Blu menschmuck meist nur kurz erwähnt, in den älteren Quellenwerken gar übergangen. Es gab ihn im Mittelalter ja auch in keiner Form, wie die vielen Altardarstellungen in der alten Kunst ausweisen. Der katholische Katechismus des Würzburger Landdechanten Höp ner aus dem Jahre 1739 antwortet in der Augsburger Fassung von 1783 auf die Frage nach „Zier rathen“ auf dem Altar zum Punkte Blumen wie folgt: „Auch theils zur Zierde und theils zur Bezeugung der Freude und des Fruchts, der aus den Leiden Christi entsprungen ist, welcher Frucht uns appliciret, oder mitge theilet wird durch das heilige Meßopfer“. Dazu bietet der Autor folgende Anmerkung: „In der alten Kirche war es niemals der Gebrauch, Blumen in einem Gefäß auf den Altar zu setzen, wie es auch in den Dom- und anderen Kirchen nicht [!] geschieht: denn es war durch eine alte Kirchensatzung verordnet, daß man nichts als die mit Reliquien der Heiligen angefüllten Trüblein oder … die vier heiligen Evangelien Gottes, oder das Gefäß mit dem Leib des Herrn zur Wegzehrung für die Kranken auf den Altar setzen sollte. Also redet der Papst Leo der Vierte in der Predigt, welche man bey Labbe Tom 8. Conc. p. 35 nden kann. Übrigens ist schon in den ältesten Zeiten der Gebrauch gewesen, daß man einige Blumen entweder auf dem
58 Bringemeier (wie Anm. 6) 258.
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Altar ausstreuete, oder um den Altar herum zur Zierde und seinem liebli cheren Geruche legte, wie man solches bey dem heiligen Augustinus b. 22 de Civ. Dei, c. 8 ersehen kann“59.
Zusammengefaßt ist letztere Meinung im Jahre 1600 im römischen „Ceremoniale Episcoporum“ t. 14, 1. 1: „sed et vascula cum ßosculis fron dibusque adoriferis seu serico contextis studiose ornata adhiberi poter unt“60. Diese für die Neuzeit wegweisende Bestimmung über Schnittblu men oder solche aus Seide und die Betonung von Wohlgeruch nden sich noch im Jahre 1850 fast wörtlich weitergegeben im „Sulzbacher Kalender für katholische Christen“ : „Die Blumenbüsche, künstliche und natürliche, womit die Altäre häu g geschmückt werden, sollen uns erinnern, daß wir unser Leben mit guten Werken bezeichnen und vor dem Herrn ein Wohlge ruch sein sollen. Auch nennt sich der Bräutigam reiner Seelen eine Blume des Feldes; wir sollen uns Desselben stets freuen ! “ 6 1 . Die dazugehörige Abbildung eines Altaraufbaus mit 10 Maikrügen der üblichen Art in zwei Sta elungen und zwei weiteren Kunstblumensträußen bietet eine Anschau ung von der Praxis, wenngleich Höp ner dies im Jahrhundert zuvor ei gentlich nur für Nebenkirchen und Kapellen als zulässig oder gebräuchlich bezeichnet hatte, nämlich da, wo es am eigentlichen Schmuck, den Reli quien mangelt. In der Mitte des vorigen Jahrhunderts aber wurden auch Reliquien von Maikrügen flankiert, wie eine Lithographie mit dem Heiligen Blut in Weingarten belegt62.
Für die o iziellen liturgischen Anweisungen galt immer die alte Norm.
59 Johann Caspar Höp ner, Catholischer Gatechismus in kurtze Frag und Antwort gestellet, 5 Bde. Augsburg 1783 (Würzburg 1739), III, 473 f. Es handelt sich um einen gallika.nischen Kanon des 8. Jahrhunderts, hier zur Frage der Eucharistieaufbewahrung nach der Messe, vgl. Aime-Georges u. a. (Hgg.), Handbuch der Liturgiewissens aft. Dt. Ausgabe Freiburg, S. 477: „Auf den Altar darf nichts gelegt werden außer den Capsae mit den Reliquien oder vielleicht den vier Evangelien und dem kleinen Schrein mit dem Leib Christi für die Wegzehrung der Kranken“.
60 Zitiert bei Kar! Atz, Die christliche Kunst in Wort und Bild oder ein practisches Handbuch. Bozen 21884, 60: „Blumen“ (Datierung des Ceremoniale bei Eisenhofer, Liturgik I, 49).
61 „Der Altar mit dem Tabernakel und die verschiedenen Farben der Meßkleider“. In: Kalender für katholische Christen auf das Jahr 1850. Sulzbach 2. Abdruck 1896, 22, Abb. S. 21.
62 Lithographie von J. G. Bayer, Ravensburg, in Sammlung Hofmann, Diözesanarchiv Würzburg, s. unsere Abb. 16.
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So gab es, wie oben schon aus Rom mit Pyramiden belegt, noch im 19. Jahrhundert dergleichen puristische Darstellungen mit Pyramiden63. Dies entsprach alter liturgischer Au assung. Das Magdeburger Rituale des 13. Jahrhunderts zum Beispiel ließ nicht einmal Bilder auf den Altären zu mit der für die erlaubten Reliquien bezeichnenden Begründung: „Ima gines enim sunt res umbratiles et veritatem rei quam repraesentant in se non habentes“64. Reliquien aber haben Substanz an sich.
In der liturgischen Praxis existierten Stufenpläne für Festlichkeits grade im Kirchenjahr mit entsprechenden Zelebrantenhierarchien. So muß ten in Landshut zu allen Propstämtern, also den allein dem höchsten Stiftsdignitär zukommenden Festtagshauptmessen, sämtliche „Heiltümer“ aus der Schatzkammer auf den Altar geräumt werden, wie 1604 verord net wurde. In DingoHing lautete die 1730 festgehaltene Ordnung für den
„Aufputz“ an Neujahr: 6 Leuchter und 4 Maibüsche zwischen den Reli quientafeln; auf Dreikönig hingegen nur 2 große Maibüsche zur Figur des Heiligen Johannes, und im Advent wurden in Mainburg in Niederbayern sämtliche künstliche Blumen abgeräumt65. Das alles ist optisch sehr gut vorstellbar an einem bildliehen Zeugnis von 1814 aus Niederbayern, der Wallfahrtskirche Maria Steinfeld bei Landau66 .
Maikrüge sind also gewöhnlicher Nebenkirchen-, Nebenaltar-, Wo chentags- oder Zusatzschmuck und darum weniger in Ordnungen als in Rechnungen und bildliehen Darstellungen zu fassen. Darum müssen wir einen kurzen Blick auf die Massenbildquellen der Kupferstiche von Alltags wiedergaben und Illustrationen zu Meßerklärungen werfen, die ja Alltags situationen schildern wollen, weil sie die liturgischen Handlungen zum Dar stellungsinhalt haben, also den Altar zurücktreten lassen, das heißt in ge wohnter, üblicher Form darstellen. Und hier nun begegnen uns überall im
63 Slg. Hofmann, Diözesanarchiv Würzburg, „8. Hauestadt inv. – Hier. Strübel sc.“; M. v. Montbach, Darstellung des römischen Ritus von dem Ceremoniar der St. Petcrskirche zu Rom. Joseph Baldeschi, Regensburg 1856, 328, s. unsere Abb. 13.
64 Harald I<eller, Der Flügelaltar als Reliquienschrein. In: Studien zur Geschichte der europäischen Plastik, FS für Theodor Müller. München 1965, 144, Anm. 83.
65 Frdl. Mitt. Fritz Markmiller, Dingol ng, aus dem Pfarrmesner-Hausbuch von St. Jo hannes durch Matthias Johannes Piz!, 1730.
66 Fritz Markmiller, Barockmaler in Niederbayern. Regensburg 1982, farb. Titelabb. = Hauptaltar Maria Steinfeld.
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17. und 18. Jahrhundert immer wieder paarweise aufgestellte Maikrüge67. Sie waren in den katholischen Kirchen des Barock das Allerselbstverständ lichste und sie waren – das zeigen solche Bilderserien – zugleich aus wechselbar mit ähnlich großen, ja verwandt aussehbaren Reliquiengefäßen und Schautafeln voll kunstvoll arrangierten kleineren Heiligtümern. Man braucht sich daher nur eine kleine Auswahl dieser Szenen mit zwei Maikrü gen oder zwei Ostensorien vor Augen zu führen, um dazu Holz- und Stahl stiche aus Zeitschriften des 19. Jahrhunderts zu stellen, die immer noch die gleiche Situation des 17. Jahrhunderts belegen68. Erst im 20. Jahrhundert, nach dem Ersten Weltkrieg, geben Kommunionbüchlein, z. B .· von 1937, of fenbar echte Blumentöpfe wieder, was liturgiegeschichtlich ein neues Pro blem aufwirft, denn genau das war nie gestattet gewesen: Erdkübel auf dem Altar69.
Hierfür ist die Entwicklung genauer in den liturgischen Anleitungstex ten zu fassen. So kommentiert das „Repertorium Rituum“ von Hartmann in seiner ersten Au age 1857 ganz im Sinne des zitierten römischen Ce remoniales aus dem Jahre 1600: „auch dürfen da selbst natürliche und künstliche Blumen und Reliquien der Heiligen angebracht werden“70 und dies im Gegensatz zu den aufklärerischen Forderungen, die zum Beispiel Aegidius Jais zu Beginn des Jahrhunderts formuliert hatte: „einfach und erhaben“, nicht „unschicklich“, vielmehr „andächtige Christen sind die schönste Zierde der Kirche“71. Die oben schon zitierte Salzburger Verord nung von 1784 plädierte ebenfalls für „Simplizität“ und verwarf alle „Kro nen, Kränze und Büsche von Bändern, Blumen und anderen Faßarbeiten“,
aberauchlebendeP anzensowieBilderundReliquien72. Hartmannsigna lisiert also 1857 die endgültige Rückkehr zu den Statuten der Gegenrefor-
67 Slg. Hofmann, Diözesanarchiv Würzburg, s. unsere Abb. 14 und 15.
68 Vgl. Holzstiche mit Altardarstellungen in lllustrationsszenen, z. B. in Kalender für Zeit und Ewigkeit 1 {1843), 3. Au . Freiburg 1845, 38; Martin von Cochem, Großer gol dener Himmel-Schlüssel. Budapest 1897, Titelbilder zum 1. und zum 5. Teil (o. S. oder beschnitten) .
69 Katholisches Religionsbüchlein für die Grundschule, vorgeschrieben von den bayeri schen Bischöfen 1937, 144 .
70 Ph. Hartmann, Repertorium Rituum. Heiligenstadt 11857, 600.
71 Aegidius Jais, Bemerkungen über die Seelsorge besonders auf dem Lande. Salzburg l1828, 256.
72 Wie Anm. 47.
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mation, legt sie aber im Verlaufe der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts dann weiter aus, entsprechend den neueren Entwicklungen, die im profan aesthetischen Bereich nun doch vom Naturemp nden der säkularisierten Religiosität getragen wareiL
Für diese Entwicklung steht auf katholischer Seite der Rheinpfälzer Pfarrer von Erfweiler A old Rütter, dessen dreibändiges Erfolgswerk „Die Pflanzenwelt im Dienste der Kirche“ ab 1 886 bei Pustet in Regensburg er schien73. Er geht bezeichnenderweise von Fronleichnam und den neuen Maiandachten aus, rückt für seine Zwecke die Liturgiegeschichte ein wenig passend zurecht (1. Kap. 6-8) und erweist sich ansonsten als gärtnern der Landgeistlicher und Blumenfreund, der praktische Anleitungen geben möchte. Hier ist der Zeitgeist sozusagen an der Basis angekommen, wie die Auflagen belegen. Zuvor hatten oberhirtliehe Weisungen ältere Texte wie den von 1600 umgedeutet, so das hier nach Rütter zitierte „Prager Concil“ von 1860: „Obwohl Gefäße mit künstlichen Blumen aus Seidensto eine dienliche Zierde des Altares abgeben können, so verdienen doch natürliche Blumen und wohlriechendes Pflanzenwerk den Vorzug“. So sah sich der Autor bemüßigt, auch ein kleines Kapitel über „Künstliche Blumen“ (I, Kap. 17) einzufügen, wo er nur kostbare Materialien gelten läßt. „Aber der ganze Plunder der Papier-, Nessel-, Cattun-, Zink- und Blechblumen Sträuße und -Kränze erkläre ich des Altarschmucks unwürdig und verwerf lich“. Für den Winter gäbe es Trockenblumen.
In der 8. Auflage des Hartmann von 1898 heißt es: „schön verzierte Gefäße mit wohlriechenden Blüten und Zweigen oder aus Seide verfertig ten Blumen“74, also, wenn schon Kunst, dann nur edle Sto e, so wie es 1884 in einem Handbuch aus Bozen „Die christliche Kunst“ zum Stich wort „Blume“ heißt: „nichts aus gemeinem Blech vom Spängier bearbei tet“, sonde wie bei den „Maialtären“ – und hier zeigt sich die Her kunft des lebenden Grüns – in Blumentöpfen um den Altar; auf dem Altar
73 Arnold Rütter, Die P anzenwelt im Dienste der Kirche für Geistliche und Laien. Erster Theil: Die P anzenwelt als Schmuck des Heiligthums und Fronleichnamfestes im Allgemeinen. Regensburg 318 91 C l883); Zweiter Theil: Die besten Altarblumen im Topf. Regensburg 21886 C1885); Dritter Theil: Die besten Altarblumen im Garten. Regensburg 1886. – Die folgenden Zitate aus I, 22 und 45. Im dritten Teil gibt es auch bebilderte Anleitungen für Straußbinden, Trockengestecke und ein Kapitel (Nr. 40) „Der kirchliche Vasenschmuck“.
74 Ph. Hartmann, Repertorium Rituum. Paderbo 818 98, 7 90 f.
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aber zwischen die Leuchter „zierliche Reliquien-Gefäße“75. Hartmanns Repertorium stellt dann spätestens in der 14. Au age 1940 ebenfalls fest: „künstliche Blumen sind nicht zu empfehlen und nur zu verwenden, wenn man keine natürlichen hat“76. Aus westfälischen Kirchenrechnungen wis sen wir durch Franz Krins, daß 1902 und 1912 erstmals Blumenerde sack weise für Altarkübel77 eingekauft wurde. Das wäre ein Greuel für mittel alterliches Denken gewesen. Matthias Zender berichtet aus der Eifel von selbstgemachten Papierblumen in Filialkirchen auf dem Lande noch zwi schen den beiden Weltkriegen78, und Reinhard Haller hat aus dem Bayeri schen Wald geschnitzte Blumen aus dem vorigen Jahrhundert notiert, so
wie papierene für Feldkapellen aus unserem im Bilde festgehalten79.
Es gehört nicht mehr in unserem Zusammenhang davon zu berichten, wer diese Krüge, wer die verschiedenen Blumenarten gemacht hat, wo solches gehandelt worden ist, usw.8° Für Österreich nur ein Bildzeugnis
75 Wie Anm 60.
76 Hartmann Repertorium Rituum, 14. Au . v. Johannes Kley. Paderborn 1940, 920
§ 283, Abs. 1 1 „Reliquien, Bilder, Blumen“.
77 Krins (wie Anm. 6) 198.
78 Frdl. Mitt. Mattbias Zender, Bonn.
79 Reinhard Haller, Von Maibüschen und Maikrügen. Volkstümlicher Altarschmuck im Bayerischen Wald. In: Der Bayerwald 69/2 (1977) 99-104; dazu jetzt als Ergänzungen bei Otto Kerscher, 250 Jahre Baue hof. Die Geschichte des „Geigerhofes“ aus Grub. Museumsdorf Bayerischer Wald Tittling 1987, 88 f. mit Abb. von „Maibüschel“, wie sie im Anschreibbuch des Bauern 1864 und 1879 für 24, resp. 30 Kreuzer vorkommen.
80 Über Hersteller s. oben Anm. 33 und zu Anm. 14; des weiteren: Pfrontener Pfarr rechnungen Maria Hilf 1774/75: „Dem Blumenkramer von Murnau für 8 Paar Federne Blumenstöcke umzubinden 3 30 kr“ (Mitt. Berthold Pälcher, Zell). Dazu paßt, wie Margot Luda, Nesselwang, entdeckt hat, die Abb. aus einem Votivbild der Mitte des 18. Jhs. in der Murnauer Pfarrkirche bei Irmgard Gier!, Pfa enwinkler Trachtenbuch. Weißenho 1971, 9: „Johannes Zwinckh, Kraxentrager von Murnau wird bei Rain von Straßenräubern überfallen“; in der umgestürzten Trage liegt auch ein Kunstblu menstrauß. – Im „Würzburger Kath. Sonntags-Blatt für Stadt und Land“ 17 (1866) Nr. 9, 54 annonciert eine Eva Mangold „Kirchenstöcke, Tabernakelkränze und sonstige zur Ausschmückung der Kirchen geeignete Blumen“ (frdl. Hinweis v. H. Dünninger). W. Funk erwähnt im Bayerischen Heimatschutz 21 (1931) 38 für das heutige Bad Winds heim um 1900 den Beruf des „Straußenmachers“, der den Seifensiedern zugeordnet war; im 18. Jahrhundert hießen sie „Kranzmacher“ und waren unter anderem für Totenkro nen zuständig. J. A. Daisenberger, Historisch-topographische Beschreibung der Pfarrei Oberammergau. 1880, 38 zählt unter den „Erwerbsarten“ einen „Blumenmacher“ auf
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.
=
aus dem Biedermeier: „Wachs Ta et und Blummen- Fabriks- Niederlage des Herrn Leopold Lhedel & Sohn, unter den Tuchlauben No. 553“ in Wien, i n dessen Schaufenster drei Henkelvasen m i t Kunstblumen zu sehen sind8 1 . Doch ich muß noch weitere originale Maikrüge als Altarbuschen benennen, damit wir ein Fazit ziehen können.
Der Felixaltar in Hergiswald bei Luzern von 1651 mit zwei ganz dem Retabel angepaßten Maikrügen als beweglichen Altarzierden, verweist auf die beginnende Verselbständigung und zugleich das Eingebundenbleiben in den alleinigen Gebrauchszusammenhang, denn sie sind ach gehalten in Reliefschnitzerei, hier auch im Blumenteil aus vergoldetem Holz. – Blech bemalte Maikrüge vorzüglicher Qualität {entgegen dem zitierten Schimpf des 19. Jahrhunderts), aber nur in diesem einen Beispiel aus Oberschwa ben einmal in ein repräsentatives Buch über Volkskunst geraten82, stam men hier gewiß aus einstigem Klosterbesitz und sind insofern fälschlich für eine spezielle Landessitte zur Verzierung der Maialtäre ausgegeben wor den, nämlich 1938 dann in der „Deutschen Volkskunst“ von Karlinger83.
{frdl. Hinweis v. Th. Finkenstaedt). Die Münchener Rundschau für Kunst, Kunsthand werk, Industrie etc. 4 { 1 907) M a i, 1-6 druckt einen Beitrag mit dem Titel ab: „Eine poetische Münchener Kunstindustrie“, worin die „Hofblumenfabrik Joseph von Hecke!“ und ihre Produkte seit 1845 beschrieben und abgebildet werden, darunter „Altardeko rationen“, „Hausaltärchen“ {frdl. Mitt. E. Harvolk). Die einseitige Zuordnung zu den „Klosterarbeiten“ ist für Stücke des 19. Jhs. nicht zulässig. Für das 18. Jh. vgl. den Katalog zur Ausstellung „Klosterfrauenarbeiten“ der lgnaz Günther-Gesells aft und des Hauses der Bayerischen Geschichte. München 1987.
81 Gerda Buxbaum, Mode aus Wien 1815-1938. Salzburg-Wien 1986, Abb. 114. Über Pariser Seidenblumensträuße und ihre Hersteller s. jetzt: Tione Raht, Die Geschichte der Seidenblumen (Textilkunst -Fachschriften) Hannover 1981, mit zahlr. Abb.
82 Kar! Gröber, Deutsche Volkskunst V: Schwaben. Weimar {1925), Abb. 101.
83 Hans Karlinger, Deutsche Volkskunst. Berlin 1938, 227, Abb. eines Maikrugpaares aus bemaltem Blech, Gemp ngen bei Neuburg a. d. Donau. – Heute erst ist im Lande selbst denkmalp egerische Aufmerksamkeit entstanden, vgl. Margot Luda, Mayen und Rosenstöck. Ein Apell zur Rettung der letzten alten Altar-Kunst-Blumenvasen. In: Das schöne Allgäu 49/5 {1986) 22 f. mit 3 Abb. Die Autorin hat mir eine Kopie der Kirchenrechnung Maria-Trost-Wallfahrt Nesselwang von 1744/45 in Kopie zukommen lassen, deren beige gtes Inventar hintereinander au ührt: „2 Mayen, 2 Neue mayen Krüeg von goldt, 2 ramen neu zu hayl. reliquien“ und später nochmals „2 Mayen“. Zur renovierten Kirche s. Margot Luda – Franz Xaver Greß, Wallfahrtskirche Maria Trost Nesselwang im Allgäu (Schwäbische Kunstdenkmale 31) Weißenhorn 1982. – Das Mu seum in Weißenhorn besitzt ländliche Exemplare, ebenso das Wallfahrtsmuseum Maria
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Gesammelt hat sie damals nur Meister Ebenböck, der Münchner Wachs zieher, dessen Objekte vergangener Frömmigkeit sich nun im Münchner Stadtmuseum befinden84.
Wie weit Mißverständnisse heute noch gehen können, zeigen die süd amerikanischen Silberarbeiten, unter denen in Ausstellungskatalogen or namental dekorierte, oft sogar paarig erhaltene Objekte als „Zierplatten“ bezeichnet werden, obgleich es sich, wie andererseits bekannt, in aller Re gel um Blumenaufsätze von Maikrügen handelt, die bezeichnenderweise
„Mayas“ heißen, also wörtlich unserem „Maien“ entsprechen85. Es gibt sie in großer Zahl aus Argentinien wie Peru, in vielen Größen und Arten und natürlich auch in Spanien, z. B. für das Gnadenbild von La Alberca bei Salamanca86.
Nur bei Tiroler Beispielen besitze ich auch einmal eine fotografische Aufnahme von hinten, so daß die Funktion der reinen Vorderansicht mit der Möglichkeit direkter Anlehnung an das Altarretabel hinter den Ker zen und Reliquien begreifbar wird87. So lassen sie sich zugleich sehr viel
Steinbach, wo auch das Gnadenbild von zwei Maikrügen ankiert wurde, so noch auf Aufnahmen vor dem Ersten Weltkrieg zu sehen. Frau Gertrud Beck, Ulm, hat mir eine Kopie der Kirchenrechnung von 1772/73 aus Maria Steinbach überlassen (Hauptstaats archiv Stut tgart). Dor t werden „für 4 naye Mayen huschen“ 3 Gulden und 1 5 Kreuzer ausgegeben. – Vg l. auch: Jürgen Hohl – Thomas Heitele, Gu tenzeller Klosterarbei ten. In: 750 Jahre Gutenzell(Bona Cella), hg. v. Ludwig Haas – Otto Beck. München 1988, 49-53, Abb. S. 51 „Maiens trauß“-Aitarschmuck. – Dies., Klos terarbeiten aus dem Pfarrhof zu Eggmannsried (bei Bad Wurzach). Selbs tverlag 1987.
84 Zur Person s. „Wachszieher und Lebzel ter im alten München. Slg. Ebenböck“. Münchner Stad tmuseum 4. 12. 1981 – 3 1 . 1 . 1982 (Beglei tband). Die zahlreichen, vor nehmlich blechbemalten Maien in meist silbe en Halbvasen (über Holzkernen) aus dem späten 18. und frühen 1 9 . J h . sind einmal kurz zur Weihnachtsze i t als Flan kie rungen e n tsprechender M o tive im Münchner Stadtmuseum ausges tellt gewesen. Ulri ke Zischka h a t mir nacllträglich Magazinaufnahmen zur Verfügung ges tellt.
85 Silbersch ä tze aus Südameri ka 1700-1900. Eine Ausstel lung des Freistaates Bayern durchgeführ t durch das Bayerische Nationalmuseum und durch das Staa tliche Museum für Völkerkunde vom 7. Juli bis 31. O ktober 1981. München 1981, Abb. 58 und 59, 60- 68 (diese als „Zierplatten“ bezeichnet).
86 Gutzu erkennen auf einer Farbpostkarte des Umzugs. Frdl. Zusendung von Herrn Armin Griebe! 1990.
87 Aus dem Tiroler Volks kunstmuseum Innsbruc k, das eine Reihe prächtiger S tü c ke in seinen Magazinen besitz t, von denen mir Herlinde Menardi freundlicherweise gu te Aufnahmen machen ließ, s. unsere Abb. 18/19.
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besser plazieren und arrangieren, in Holz und Silber natürlich auch kom pakter und dauerhafter bearbeiten. Daher das heutige Mißverständnis der „Zierplatten“ .
Bei den Tiroler Arrangements aus Flitterwerk stellen die geblasenen Glaskugeln in Form von Trauben eine wichtige Besonderheit dar. Die Flachheit wird bei holzgeschnitzten Blumenreliefs besonders augenfällig. Es gibt daneben einfach bemalte Blechschilde. Es gibt sie auch, wie so oft, in Gesamtbronzierung oder im_ Silberanstrich als Ersatz für echtes Metall. Künstlichkeit heißt u. a. Echtheitsersatz.
Die schwäbischen Beispiele und die Stücke des Münchner Stadtmu seums hingegen sind alle von erster Qualität aus Handwerkerhand, Klo sterwerkstätten oder ausländischer Galanteriewaren-Import der Messen und Märkte, weniger Beispiele ländlicher Drechsler und Schnitzer oder Gürtlerkünstler, wie die aus dem Bayerischen Wald um 1850, wo für die Krüge seit dem 17. Jahrhundert die einheimischen Holzhandwerker zustän dig waren und die Leute sich in unsrem Jahrhundert für ihre Feldkapellen selbst Blumen aus Kreppapier und Flitter bastelten. Diese Situation in einer ländlichen Gnadenkapelle gibt für das 19. Jahrhundert ein Ex Voto aus dem Ötztal mit vier bäuerlichen Maikrügen anschaulich wieder88.
Auch im Miniaturspielzeug der Zinngußwaren leben die Maikrüge bis heute weiter, zu nden in einem Nürnberger Musterbuch des Biedermeier und dort in typischer Parallele zur Reliquienpyramide89. Bei der Firma Schweitzer in Dießen am Ammersee kann man sie heute noch erwerben, jetzt allerdings wie ein Feldblumenstrauß ins Schiefermodel geschnitten, aber ganz klar einen Kunstblumen-Maikrug für den Hausaltar darstellend, weil mit dem Kreuz auf dem Krug bezeichnet90. Es ist ein Bild vom Bilde, also zweifacher Abklatsch: Naturvorbild, danach Kunstgebrauch und davon Spielzeugnachahmung jenes Kunstgebrauchs.
88 Klaus Beitl, Votivbilder. Zeugnisse einer alten Volkskunst. Salzburg 1973, Abb. 45, datiert „Ex Voto 1854“, s. unsere Abb. 17. – Eine vergleichbare Votivtafel von 1818 in der Frauenkapelle Fischen im Allgäu; Foto durch Margot Luda, Nesselwang.
89 Christa Pieske (Hg.), Schönes Spielzeug aus alten Nürnberger Musterbüchern. Mün chen 1979, 65. – Vgl. Altes Spielzeug. Slg. H. G. Klein (Schriften des Museumsvereins Derenberg 26) Köln 1979, 213: „Kapelle mit Zinnteilen“.
90 Selbst dort erstanden. Zur Firma s. Thomas Ra , Die Wallfahrts- und Weihemedail len der Zinngießerei Schweizer in Diessen am Ammersee. In: Jahrbuch für Volkskunde 1 1 {1988) 134-218. – Vier zinne e „Maibüsche“ aus Diessen in: Volkskunst 5/1 ( 1 982)
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52.
Genauso verhält es sich – cum grano salis – mit den gemalten Mai krügen an Wirtshauswänden, auf Stubenbehängen und in Füllungen von Kisten und Kästen. Das Blumenvasenmotiv ist stereotypes Zierelement von o amentaler Stilisierung, selbst Kunstwerk wie die Künstlichkeiten der dreidimensionalen Maikrüge und nicht direkle Naturnachahmung, viel eher schon gemalte Nachformung der von den Straußenmachern und Bild schnitze gestalteten Vorbilder. Dieser selbstverständlich nicht in jedem Einzelfalle gegebene Zusammenhang, der vielmehr auf’s Ganze gesehen als ein entwicklungs- und formgeschichtlicher Bezug genereller Art verstanden werden will, läßt sich jedoch in bestimmten regionalen Ausprägungen auch als ein direktes Abhängigkeitsverhältnis belegen. Wir müssen lediglich zu den oben zitierten Exemplaren Tiroler Altarbuschen mit den charakte ristischen Traubenkugeln die Maikrüge auf den Alpacher uhen stellen, wo nirgends jene eucharistischen Symbole des Kirchenschmucks in den raumfüllenden Stilisierungen dieser Volkskunst fehlen. Sie sind o enkun dig abhängig von der genauen Vorstellung, wie das Kunstgebilde Maikrug auszusehen hat, nämlich wie ein Altarbuschen in der Kirche91.
Was ist gewonnen? Wir haben sehen gele t, daß
1. zumindest die paarig überlieferten, halbplastischen, aus gefaßtem Holz, bemaltem Blech, getriebenem Silber oder aus Flitter, Federn, Glasperlen und anderen Materialien arrangierten Blumenkrüge Al tarschmuck und Kirchenzierrat sind,
2. auch die vollplastischen Altarvasen des 17. Jahrhunderts, wie die ver einzelten Blumenkrüge auf Kupferstichen der Zeit nicht für natürliche Schnittblumen bestimmt waren, sonde Kunstgebilde enthielten, und
3. daß die gemalten Blumenstilleben keine wirklichkeitsgetreuen Sträuße wiedergeben, sonde bewußte Idealbilder, eben auch Kunstgebilde in einem doppelten Sinne sein wollen.
Wir konstatieren daher:
1 . Natürliche Schnittblumensträuße und Topfblumen als Haus-, Zimmer und I<irchenschmuck, Brauchrequisiten und Statussymbole sind mo derne Erscheinungen und als solche noch genauer zu erforschen in ihrer
91 Tiroler Volkskunstmuseum Innsbruck, s. unsere Abb. 20. – Weintrauben im Maikrug auch im Hinterglasbild aus Böhmen um 1800, s. Udo Oammert – Gernot Prunner, Hinterglasmalerei aus Europa. Ha burg 1982, Kat. Nr. 91 mit Abb.
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zeitlichen Genese, und sie sind in ihrer regionalen Akzeptanz präziser
einzukreisen.
2. Dies gilt nicht minder für ihre künstlichen Vorgänger, die Maikrüge und Altarbuschen, archivalisch vor allem in den Kirchenrechnungen zu greifen sowie deren Hersteller, Vertrieb und Gebrauch in Europa samt Nachwehen und Selbstherstellung92.
3. Erst dann wird man wirklich beurteilen können, in welchem Ausmaß die gemalten Sträuße Abbilder von Kunstobjekten, also Bilder von Nachahmungen der Natur sind, Hinweise auf Zweitwelten oder gar billiger und dauerhafter Ersatz dieser Kunstgebilde.
Nicht die Natur kommt ins Bürger- und Baue haus, sondern die Kunst fertigkeit und das damit verbundene Kulturwissen. Nicht Naturreligion, sonde Theologie und künstlich gestaltete, das heißt interpretierbare Na tur sind die Voraussetzung: nämlich die in der K ünstlichkeit verewigte Idee des guten Geruchs, der Frucht der Heiligkeit, der Zierde des Göttlichen. Die davon sich lösenden Ornament- und Zierstücke volkstümlicher Malerei sogenannter Lebensbäume, Kürbisse oder Kräutlein des 19. und 20. Jahr hunderts gehen auf den Massengebrauch von Kunstblumensträußen des 17. und 18. Jahrhunderts zurück, auf die Maikrüge, Mayas, Krautpötte, und sie stellen deren lediglich zweidimensionale Entsprechungen dar. Die Menschen der Vergangenheit haben in Sträußen immer etwas Künstliches gesehen, so wie das heute mit Naturstecksträußen wiederum zu einer ei-
92 Die archivalischen Belege für Maikrüge und Altarbuschen sind Legion. Mein Zettel kasten mit Rechnungsbefunden ist durch jahrelange Zuträgerschaft vor allem von Hans Dlinninger und Thomas Finkenstaedt so angeschwollen, daß ich diese Anmerkungen hier damit nicht belasten kann. Ähnliches gilt für die indirekten, meist graphischen Bildbelege, während für die originalen Stücke oben die wenigen ö entlichen Sammlun gen genannt worden sind, auch wenn sich hie und da noch Einzelstücke in Magazinen nden lassen. Für Würzburg aber sollte die reiche Sammlung meist italienischer Stücke des Kunstmalers Joachim Schiotterheck zumindest erwähnt werden. Als Beispiel für Auktionskataloge stehe aus jüngster Zeit der zur 6. Auktion Antiquitäten und Gemälde des Auktionshauses König in Nürnberg vom 30. 4. 1988, S. 103, Abb. zu Nr. 1886/1: „1 Paar Blumenbuketts in Vasen auf geschnitztem Sockel, süddeutsch, 18. Jh., ungefaßt, 54x 35“, Schätzwert 3000,- DM. – Soeben erscheint in Kenntnis des vorliegenden Vor trages ein materialreicher Beitrag von methodischer Bedeutsamkeit, weil für einen Ort exemplaris durch drei Jahrhunderle verfolgt: Gerhard Hanke, Maikrüge und Maibu schen in Dachau. Frühere Formen des Altarschmuckes. In: Amperland 28 (1992) Heft 2 (im Druck).
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genen, geradezu barocken Kunst geworden ist. Auch Schmuckformen und Ornamentmuster sind kulturelle Gemeinplätze, die den Gesetzen der a dierungsmöglichkeiten unterliegen und darum als Bild von Bildern in unse ren Köpfen wie auf unseren Schreibtischen existieren. Sie sind nicht quasi zeitlose Sinnbilder, wie in Österreich spätestens seit Strygowskis Studien vermutet, sondern es handelt sich um geschichtliche Realien, wie nach heu tiger österreichischer Wissenschaftspragmatik hier in Krems angemessener zu interpretieren.
Als ich vor kurzem in Paris wieder einmal im Musee des Arts et Tra ditions populaires gewesen bin, habe ich Dinge gesehen, die mir erst heute in die Augen springen. Wir sehen immer nur das, was wir schon kennen, das heißt mit verstehendem Bewußtsein rezipiert haben. Es war unsere Realie Kunstblumenstrauß in Henkelvase, genannt „Vase du Bouquet“, verwendet als Siegestrophäe für einen Bogenschützenwettkampf in der Pro vinz, dargestellt auf einem Werbeplakat dieses Volksfestes aus dem Jahre 1958 in Seine-Saint-Denis93. Nicht ein leerer Silberpokal wie bei unse ren Fußballern und Tennisspielern, sondern eine große Keramikvase mit Kunstblumen, die laut Plakatankündigung im Festzug mitgetragen und dann für die Gemeindekirche (!) oder das Vereinslokal bestimmt war.
Die Ankündigung der veranstaltenden „Compagnie d’Arc“ vermerkt werbend: „Deux ronds, deux compagnies, deux bouquets“. Dieses „Jeu d’arc“ der Mittelalter spielenden „Chevaliers d’Arc“ faßt tre end zusam men, was ich Ihnen darbringen wollte: nämlich die erlebbare Erkennt nis, daß der Blumenstrauß in Henkelvase ein Kunstgebilde, eine veritable Realie, ein dauerhaftes Festgeschenk war und auch heute noch sein kann. Wenn in jenem französischen Beispiel des Jahres 1958 dieser Brauch von den Ausübenden in mittelalterlicher Kontinuität gesehen wird, so stimmt das zwar nicht, voran was die direkten Bezüge angeht, aber Ritteror den und Henkelvase mit Blumen lassen sich im frühen 15. Jahrhundert in emblematischer Beziehung beobachten. Die 1412 gestiftete aragonesische Adelsbruderschaft vom heiligen Land nannte sich „Kannenorden“ , weil ihr Wappenschild unsere Henkelvase mit drei Blumen war. Sie ndet sich da her bei deren Mitgliedern als prestigeträchtiges Pilger-Abzeichen, z. B. auf
93 Vgl. dazu Helene Tremaud, Jeux de force et d’adresse dans !es pays de France. In: Arts et Traditions Populaires 6 (1958) 231, 234, Nr. 742 f. und Abb. dazu PI. li (frdl. Hinweis von Klaus Beitl).
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Bildzeugnissen der Nürnberger Kaufmannsfamilie Ketzel ab 151994• So spiegelt beides das religiöse Herkommen, und noch das späte Beispiel be legt mit Zweipaarigkeit und Kirchenbezug historisch exakt die vorliegenden frühneuzeitlichen Zusammenhänge. Also darf mein „Bouquet“ eine ange messene Geburtstagsgabe für Mediaevisten aus der Hand des Folkloristen sem.
94 Constanze Hofmann-Rendtel: Pilger und Sozialprestige. Möglichkeiten des sozialen Aufstiegs in der mittelalterlid1en Stadt. In: Visualisierung städtischer Ordnung. Zei chen – Abzeichen – Hoheitszei en. Tagung des Forschungsinstituts fiir Realienkunde am Germanischen Nationalmuseum Nürnberg vom 9.-11. Oktober 1991 (= Anzeiger des Germ. Nat. Mus. 1992); spezieller zum „Kannenorden“ in: Jb. f. Volkskunde N. F. 15 (1992). – Die Lilienvase führt den Namen „Ia Jarra de la Salutacion“ und geht auf die Gründungsstatuten von 1403 am Festtag der Verkündigung Mariens zurück, ist also ikonographisches Attribut der Patronatsverbildli ung.
50
1. Altarbuschen, bemaltes Blech, frühes 19. Jh.; Volkskunstmuseum Innsbruck.
2. Der Namen gebende „kurbitsen“ aus einem schwedischen Journal von 1893. 51
3. D Mahl des Belsazar, Schweden 1819.
4. Gestochen von Abraham Aubry, Frankfurt, nach J. Toussyn, um 1660/70. 52
5. Votivbild aus St. Ursula, Görisried im Ostallgäu, 1690. 53
6. Zinngießerwappen aus Biberacher Zunfttafel von 1720; Städt. Slgn. Biberach a. d. Riß.
7. Unterfranken um 1910, Utensilien des Schreiners und Landfotografen Johann Walter, Vasbühl.
54
8. Kleines Andachtsbild, Kupferstich von J. J. Kleinschmidt, Augsburg, um 1750; Slg. Hofmann, Würzburg.
9. Kleines Andachtsbild, gemalt, um 1800; Slg. Hofmann, Würzburg.
55
10. Tegernseer Schrank 1825, Privatbesitz, nach W. Schwarze Nr. 283.
�..
Voa. Estcla .. invociro pcr UcJemptor�; I i dels ro ls I� tira�fa
11. Goigs, spanisches Lied ugblatt von 1869; Historisches Archiv Barcelona.
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12. Kupferstich des 18. Jhs. aus einem Rituale in Oktavformat; lose in der Slg. Hofmann, \Vürzburg.
13. Lithographische Illustration aus „Darstellung des römischen Ritus“, Regensburg 1856, S. 238.
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14 und 15. Zwei Kupferstiche aus Meßerklärungen des 17. Jhs. mit Serien solcher Bilder; lose in der Slg. Hofmann, Würzburg.
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16. Der Hl. Blut-Altar von Kloster Weingarten um 1830/40, Lithographie von J. G. Bayer, Ravensburg; aus einem Faltbrief der Slg. Hofmann, Würzburg.
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17. „Ex voto 1854“, Waldkapelle in Huben bei Sölden/Ötztal; Österr. Museum für Volkskunde, Wien.
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18 und 19. Vorder- und Rückansicht eines Altarbuschenpaares aus Papierblumen und Glaskugeln in Holzvasen, 19. Jh.; Volkskunstmuseum Innsbruck.
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20. Türfüllung eines Alpacher Schrankes aus dem frühen 19. Jh.; Volkskunstmuseum Innsbruck.
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MEDIUM AEVUM QUOTIDIANUM
HERAUSGEGEBEN VON GERHARD JARITZ
25
Zwanzig Jahre
Institut für Realienkunde
DES MITTELALTERS UND DER FRÜHEN NEUZEIT
DER ÖSTERREICHISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN
KREMS 1992
GEDRUCKT MIT UNTERSTÜTZUNG DER KULTURABTEILUNG DES AMTES DER NIEDERÖSTERREICHISCHEN LANDESREGIERUNG
Umschlagbild: Blumenvasenbild. Gestochen von Abraham Aubry, nach J. Toussyn, um 1660/70.
Alle Rechte vorbehalten
– ISBN 3-90 1094 04 0
Herausgeber: Medium Aevum Quotidianum. Gesellschaft zur Erforschung der ma teriellen Kultur des Mittelalters, Körnermarkt 13, A-3500 Krems, Österreich – Druck: KOPITU Ces. m. b. H., Wiedner Hauptstraße 8-10, A-1050 Wien.
Inhaltsverzeichnis
Vorwort 7 HARRY KÜHNEL, 20 Jahre Institut für Realienkunde des
MittelaltersundderfrühenNeuzeit. EinResümee …………….. 9
WOLFGANG BRÜCKNER, Der Blumenstrauß als Realie. Ge
brauchs- und Bedeutungswandel eines Kunstproduktes aus
dem christlichen Kult …………………………………….. 19
Publikationen des Instituts für Realienkunde bei der OAW 63 Publikationen des Institutsmitarbeiter 73 Mitarbeit des Instituts an Ausstellungen 95 Personalstand des Instituts für Realienkunde 96
Vorwort
Obwohl seit der Feier des zwanzigjährigen Bestehens des Instituts für Rea lienkunde des Mittelalters und der frühen Neuzeit (früher: Institut für mit telalterliche Realienkunde Österreichs) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften bereits mehr als drei Jahre vergangen sind, haben wir den noch gerne die von mehreren Seiten geäußerte Anregung aufgegri en und verwirklicht, diesem Anlaß – wenn auch sehr verspätet- ein Heft von Me dium Aevum Quotidianum zu widmen.
Neben einem kurzen Resümee der Tätigkeit des Instituts durch Harry Kühne! kommt dabei vor allem der stark erweiterte Vortrag zum Abdruck, welchen Wolfgang Brückner anläßlich des am 1 1 . April 1989 stattgefunde nen Festaktes gehalten hat. Er erscheint uns als Musterbeispiel systemati scher und kritischer realienkundlieber Analyse und verweist gleichzeitig auf die so notwendige interdisziplinäre Kooperation, in diesem Falle zwischen Geschichte und Volkskunde.
Des öfteren wurde es als bedauerliches Manko vermerkt, daß bis dato keine bibliographische Erfassung der Publikationen des Instituts für Rea lienkunde und seiner ehemaligen und derzeitigen Mitarbeiter vorlag. Dem Anlaß entsprechend erschien es uns angemessen, dieselbe – in bis 1992
aktualisierter Form- hier zur Verö entlichung zu bringen.
Das Programm der nächsten Bände von Medium Aevum Quotidianum steht bereits fest. Im September 1992 wird als Sonderband 2 „Crudelitas. Papers from the International Conference on ‚The Politics of Cruelty in the Ancient and Medieval World'“ in Zusammenarbeit mit dem Institut für Klassische Philologie der Universität Turku erscheinen. Aus Anlaß des von Medium Aevum Quotidianum in Kooperation mit dem Institut für Reali enkunde in Krems veranstalteten Kongresses „Kommunikation zwischen Orient und Okzident. Alltag und Sachkultur“ (6. bis 9. Oktober 1992) werden die Kurzfassungen der gehaltenen Referate wie gewohnt zum Ab druck kommen. Band 27 wird die ebenfalls bereits angekündigte Arbeit von Sandor Petenyi „Games and Toys in Medieval Hungary“ enthalten und voraussichtlich im Oktober/November 1992 erscheinen.
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Anfangs 1993 wird als Sonderband 3 die umfassende Dissertation von Elke Schlenkrich (Leipzig) zum Alltag sächsischer Lehrlinge (15.- 18.Jahrhundert) publiziert werden. In Zusammenarbeit mit „History & Society in Central Europe“ (Budapest) werden wir voraussichtlich ei nen gemeinsamen Band zur mittelalterlichen Adelskultur in Mitteleuropa verö entlichen.
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Gerhard Jaritz