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Zur Bedeutung von Schlaf und Traum im Mittelalter

MEDIUM AEVUM QUOTIDIANUM
Herausgegeben von Gerhard Jaritz
SONDERBAND I
Zur Bedeutung von Schlaf und Traum
im Mittelalter
von
MARIA ELISABETH WITTMER-BUTSCH
KREMS 1990
Gedruckt mit Unterstützung des Amtes
der Niederösterreichischen Landesregierung
Die vorliegende Arbeit wurde an der Philosophischen Fakultät I der Universität
Zürich im Sommersemester 1987 auf Antrag von Prof. Dr. L.
Schmugge und Frau Prof. Dr. l. Strauch als Dissertation angenommen.
Umschlagbild: Der Traum des Pharao aus der Josefsgeschichte. „Speculum humanae
salvationis“ des Ms. 243 von Kremsmünster, um 1 324. Aus: Faks. Ed. F. Unterkircher,
Codices selecti 32/a, Graz 1972.
Alle Rechte vorbehalten
– ISBN 3-90 1094 00 8
Herausgeber: Medium Aevum Quotidianum. Gesellschaft zur Erforschung der materiellen
Kultur des Mittelalters, Körnermarkt 13, A-3500 Krems, Österreich – Druck:
Copytu Ges. m. b. H., Wiedner Hauptstraße 8-10, A-1050 Wien.
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
1 . Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1 . 1 . Einführung in die Fragestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1.2. Zur Quellenproblematik . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2. Der Schlaf als Alltagserfahrung . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.1. Zur Soziologie des Schlafens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.2. Schlafrhythmus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.3. Schlaf im Spiegel des mittelalterlichen Wissens . . . . . . . .
2.3.1. Schlaf im Volksglauben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.3.2. Schlaf in der medizinischen Lehre von den vier
Körpersäften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.4. Konkrete Schlafbeobachtungen . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.5. Schlaflosigkeit und ihre Behandlung . . . . . . . . . . . . . .. . . . .
3. Die Traumtheorie in ihrer geschichtlichen Entwicklung
3.1. Christliche Autoren der Antike . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.2. Die negative Wertung des Traums im frühen Mittelalter
3.3. Ausbau der Traumtheorie im hohen Mittelalter
3.3.1. Wiederaufnahme und :‘>l’eubewertung des
Traumproblems im 12. Jahrhundert . . . . . . . . . . . .
3.3.2. Zur Vorsicht mahnende Äußerungen . . . . . . . . . . .
3.4. Der Traum in der Hochscholastik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.5. Die Traumtheorie im Spätmittelalter . . . . . . . . . . . . . . . .
3.6. Zur Verbreitung der Traumbücher im Mittelalter
4. Der Traum als persönliches Erlebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4 . 1 . Vorbemerkungen zur Typologie und Deutung . . . . . . . .
4.2. Gesundheit und Krankheit im Spiegel des Traums
4.3. Sexualität und Traum . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . .
4.3.1. Das Problem der nächtlichen Pollution . . . . . . . .
4.3.2. Sexuelles Erleben im Traum und die Rolle
der Dämonen
4.4. Der Traum als Spiegel verschiedener Emotionen
4.4.1. Bestätigung und Wunsch . . . .. . . . . . . . . . .. . . . . . .
7
9
9
14
18
18
36
50
50
55
63
74
90
90
103
115
115
126
141
153
172
190
190
192
210
211
226
234
234
6
4.4.2. Der Traum als himmlische Aufforderung 243
4.4.3. Angstgefühle und Befürchtungen . . . . . . . . . . . . . . 251
4.4.4 Vorwurf, Mahnung und Korrektur . . . . . . . . . . . . . 261
4.5. Traum und Tod . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269
4.5.1 . Die Todesankündigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270
4.5.2. Traumgespräche mit Verstorbenen . . . . . . . . . . . . 28 3
4.6. Wahrtraum und Zukunftsschau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296
4.7. Symbolische Träume und ihre Interpretation . . . . . . . . . 312
4.7.1 . Die Deutung der Bildsprache und Szenenfolgen . . 312
4.7.2. Tiersymbolik und andere Traummotive aus dem
Alltag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332
4.8. Die praktische Nutzbarmachung des Traums . . . . . . . . . 341
4.9. Zur Funktion des Traums in der mittelalterlichen
Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360
Zusammenfassung und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369
Verzeichnis der Siglen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372
Quellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 380
Abbildungsnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 386
Namens- und Ortsregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387
Vorwort
Die Möglichkeit, geschichtliche Phänomene auch aus psychologischer
Sicht zu betrachten, befruchtet seit einigen Jahren die historische Forschung.
Dieser Ansatz entspricht meinen persönlichen Neigungen und
Interessen ebenso wie den in jüngerer Zeit erhobenen Forderungen nach
vermehrter interdisziplinärer Zusammenarbeit. So war es ein ausgesprochener
Glücksfall, daß mir Prof. Dr. Ludwig Schmugge die Gelegenheit
bot, das von Frau Prof. Dr. Inge Strauch angeregte Thema von Schlaf
und Traum im Rahmen einer Dissertation zur Geschichte des Mittelalters
zu untersuchen. Beide Professoren standen mir bei der Auswahl
der Quellentexte und der Suche nach Sekundärliteratur beratend zur
Seite und förderten die Arbeit durch ihre begleitende, kritische Lektüre
nachhaltig. Dafür möchte ich ihnen auch an dieser Stelle ganz herzlich
danken.
Wenigstens kollektiv erwähnen möchte ich hier jene Kollegen und
Kolleginnen am Historischen Seminar der Universität Zürich, die mir
mit Hinweisen auf Quellenmaterial, durch Diskussionen oder in irgendeiner
anderen Weise halfen. Meine Dankbarkeit gilt nicht zuletzt meinen
Eltern und Brüdern, sowie meinem lieben Mann. Sie alle machten mir
immer wieder Mut, das begonnene Werk fortzusetzen und unterstützten
die Korrekturarbeiten ganz wesentlich.
Dem großzügigen Entgegenkommen von Herrn Dr. Gerhard Jaritz
verdanke ich, daß die Dissertation in so passendem Rahmen veröffentlicht
und damit einem breiteren Fachpublikum vorgelegt werden kann. Als
Verleger war er überdies an der ansprechenden Gestaltung maßgeblich
beteiligt. – Mögen die Phänomene Schlaf und Traum als ein alltäglicher
und doch ganz besonderer Bereich des menschlichen Erlebens auch im
Mittelalter nun das Interesse des Lesers finden.
Zürich, im Juni 1990 Maria Wittmer-Butsch

1. EINLEITUNG
1.1. EINFÜHRUNG IN DIE FRAGESTELLUNG
Seit einigen Jahren erfreut sich die Alltagsgeschichte sowohl bei Historikern
als auch bei einem gebildeten Laienpublikum eines steigenden Interesses.
Die Frage, wie denn die Menschen in der Vergangenheit einmal abgesehen
von politischen Ereignissen und großen sozialen bzw. kulturellen
Umwälzungen konkret gelebt, gefühlt und gedacht haben, hat zweifellos
auch der Mediävistik wichtige Impulse gegeben. Verhältnismäßig wenig
Beachtung hat in der historischen Forschung aber bisher die Tatsache gefunden,
daß der Mensch rund einen Drittel seiner Lebenszeit schlafend
und träumend verbringt. Einige Gesamtdarstellungen zur Geschichte
des Traums sind indessen von psychologischer Seite vorgelegt worden, 1
und die Motive von Schlaf und Traum haben – wie aus zwei etwas älteren
Aufsätzen2 hervorgeht – auch bei Kunsthistorikern Beachtung gefunden.
Für den in der Mediävistik tätigen Historiker ergeben sich gerade im
Bereich von Schlaf und Traum einige interessante Fragestellungen, denn
obwohl diese Phänomene naturgemäß auch damals zu den alltäglichen
Erfahrungen gehörten, kann man nicht einfach davon ausgehen, daß sie
in der selben Weise wie im 20. Jahrhundert erlebt bzw. interpretiert
wurden. Das gilt insbesondere für den Traum und seine Deutung, und
1 Vgl. etwa L. BINSWANGER, Wandlungen in der Auffassung und Deutung des
Traumes von den Griechen bis zur Gegenwart, Berlin 1928; W. von SIEBENTHAL,
Die Wissenschaft vom Traum: Ergebnisse und Probleme, Berlin 1953, bes. S. 55-83;
N. FINK, Lehrbuch der Schlaf und Traumforschung, 2. erweiterte Auf!. München
1979. Allgemeinverständlich dann: M. PONGRACZ – Inge SANTNER, Das Königreich
der Träume: 4000 Jahre moderner Traumdeutung, Wien 1963; N. MACKENZIE,
Träume, Genf 1964; GOTTSCHALK, Die Wissenschaft vom Traum, Forschung
und Deutung, München 21981.
2 Zur Ikonographie des Schlafs: Margarete PFISTER-BURKHALTER, Die Darstellung
des Schlafes in der abendländischen Kunst, Basel (Ciba) 1965, 28 S.; sowie zum
Traum: W. BORN, The Dream and Art, Ciba Symposia 10,2 (1948) S. 940-951.
Vgl. auch Anm. 12.
10 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
in den letzten Jahrzehnten haben sich im Rahmen der Kultur- und Mentalitätsgeschichte
bereits einige Forscher mit dieser Problematik auseinandergesetzt.
Zu nennen ist hier wohl als erster P. SAINTYVES, der
schon 1930 in einer kritischen Studie zu hagiographischen Themen den
Traum als eigenständiges historisches Phänomen behandelte und in ihm
in Anlehnung an die Psychoanalyse von S. FREUD den Ursprung mancher
Legendenmotive vermutete. Einen neuen Anstoß gab dann J. LE
GOFF, der 1977 in einem Essay die kulturelle und psychologische Bedeutung
des Traumes in der mittelalterlichen Gesellschaft skizzierte. Anschließend
schilderte M. AUBRUN in einem illustrativen Aufsatz Charakter
und Tragweite der „Visiones“ im Abendland vom 6. bis zum 1 1 .
Jahrhundert.3 In diesem ambivalenten lateinischen Begriff, den man sowohl
mit Vision als auch mit Traumgesicht übersetzen kann, zeigt sich
bereits, daß im Mittelalter nicht so klar unterschieden wurde wie heute,
wobei ich auf die Schwierigkeiten dieser begrifßichen Unschärfe in den
Quellentexten an anderer Stelle dieser Einleitung noch näher eingehen
möchte.
Bekanntlich gibt es aus dieser Epoche sehr viele Berichte über Visionen,
also über die Wahrnehmung religiöser Offenbarungen im Wachzustand.
4 Dieses faszinierende Phänomen hat denn auch früher als der
Traum das Interesse von Mediävisten und Literaturhistorikern zu erwecken
vermocht und sie zu bemerkenswerten Studien angeregt. Hier
möchte ich zunächst hinweisen auf den kurz nach dem ersten Weltkrieg
entstandenen Aufsatz von Wilhelm LEVISON5 über die wichtige Rolle
der Politik in den frühmittelalterlichen und besonders in den karolin-
3 P. SAINTYVES, En marge de Ia Legende doree: Songes, miracles et survivances,
Paris 1930; J. LE GOFF, Les reves dans Ia culture et Ia psychologie collective de
l’occident medievale, in: derselbe, Pour un autre Moyen Age: temps, travail et culture
en Occident, Paris 1977, S. 299-306; M. AUBRUN, Characteres et portee religieuse
et sociale des „Visiones“ en Occident du VIe au Xle siede, Cahiers de Civilisation
medievale 23, 90 ( 1980) s. 109-130.
4 Vgl. als neuere Einzelstudien etwa Herrad SPILLING, Die Visio Tnugdali, Eigenart
und Stellung in der mittelalterlid:ten Visionsliteratur bis zum Ende des 12. Jahrhunderts
(=Münchner Btrg. zur Mediävistik und Renaissance-Forschung 21) München
1975.
5 W. LEVISON, Die Politik in den Jenseitsvisionen des frühen Mittelalters, in:
ders., Aus rheinischer und fränkischer Frühzeit, Düsseldorf 1948 (1921) S. 245-246.
Dazu später ausführlicher E. DÜNNINGER, Politische und geschichtliche Elemente
EINLEITUNG 11
giseben Jenseitsvisionen. Diese Seher beschrieben die Hölle bzw. das
Paradies sowie Szenen, in denen die Seele vor dem himmlischen Richter
steht. Oft handelte es sich dabei um Visionen von schwerkranken
Menschen, von denen einige bald nach dieser erschütternden Erfahrung
starben.6 – Die Rolle der antiken Kirchenväter bei der Genese der mittelalterlichen
Traumtheorie sowie deren Wirkung auf die Dichtung in der
karolingischen Zeit behandelte 1975 in einer Monographie H. J. KAMPHAUSEN7
aus literaturgeschichtlicher Sicht, wobei er sowohl Visionen
als auch Träume berücksichtigte. Zur Frage, ob Vision und Prophetie
im Spätmittelalter als Medium der Kritik benutzt wurden, äußerten sich
beispielsweise R. MANSELLI und R. LERNER.8 Eine breitangelegte
historische Bestandesaufnahme über Visionsberichte und literarische Visionen
aus dem gesamten Mittelalter publizierte 1981 P. DINZELBACHER,
9 der aber leider die unbestreitbar häufigste Form der Vision,
in mittelalterlichen Jenseitsvisionen bis zum Ende des 13. Jahrhunderts, Phi!. Diss.
Würzburg 1962.
6 Vgl. dazu etwa P. DINZELBACHER, Körperliche und seelische Vorbedingungen
religiöser Träume und Visionen, in: T. GREGORY (Hg.), I sogni nel Medioevo, S.
57-86.
7 H. J . KAMPHAUSEN, Traum und Vision in der lateinischen Poesie der Karolingerzeit
(=Lateinische Sprache u. Literatur des Mittelalters 4) Bern 1975. Das Verhältnis
zwischen den durch die Antike beeinfiußten mittelalterlichen Traumtheorien und dem
Traum als literarischem Formelement untersuchte zuerst F. X. NEWMAN, Somnium:
Medieval Theories of Dreaming and the Form of Vision Poetry, Phi!. Diss., Princeton
1963. Ausschließlich literarisch orientiert sind die Werke von H. BRAET: Le
Songe dans Ia Chanson de geste au xn• siede (=Romanica Gandensia 15) Gent
1975; St. FISCHER, The Dream in the Middle High German Epic (=Australian and
New-Zealand Studies in German Language and Literature 10) Bern 1978; Constance
HIEATT, The Realism of Dream Visions: the poetic exploitation of the dream experience
in Chaucer and bis contemporaries ( =De proprietatibus litteris, Ser. practica 2)
Den Haag 1967; sowie A.C. SPEARING, Medieval Dream-Poetry, Cambridge 21980.
Eine erste Bearbeitung des italienischen Materials zum Traumthema bietet F. CARDINI,
Sognare a Firenze fra Trecento e Quatrocento, in: Quaderni Medievali 9 (1980)
s. 86-120.
8 R. MANSELLI, Ricerca sull’infiuenza della profezia nel basso medioevo, Bull.
dell’lstituto Storico ltaliano per il Medio Evo 82 { 1970) S. 1-157; R. LERNER, Medieval
Prophecy and Religious Dissent, Past and Present 72 {1976) S. 3-24.
9 P. DINZELBACHER, Vision und Visionsliteratur im Mittelalter (=Monographien
zur Geschichte des Mittelalters 23) Stuttgart 1981. Zum Traum bes. S. 39-50.
12 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
nämlich die Erscheinung, aus seinen Betrachtungen völlig ausklammerte
und den Traum nur sehr knapp behandelte. Eine engagierte Studie über
den Stellenwert von Traum und Vision in der spätmittelalterlichen Mystik
vor allem innerhalb des deutschen Dominikanerordens verdanken
wir schließlich A . HAAS.10
In dieser Aufzählung ist selbstverständlich nur eine kleine Auswahl
von Abhandlungen und Monographien zum Thema des für die
Religions- und Mentalitätsgeschichte des Mittelalters so bedeutungsvollen
Phänomens der Vision enthalten. Da aber auf diesem Gebiet schon
viele und teilweise sehr anregende Arbeiten verfaßt worden sind, fällt
die Lücke im Bereich des alltäglichen Erlebens von Schlaf und Traum
um so mehr auf. Das Verständnis des Schlafes im Mittelalter sowie
die konkreten Schlafgewohnheiten wurden auch in der medizinhistorischen
Forschung bisher nur gestreift.U Neben den weiter oben genannten
französischen Studien zum Traum ist freilich 1985 in Rom ein Sammelband
mit den Beiträgen eines Forschungskolloquiums vorgelegt worden,
12 in welchem historische, medizingeschichtliche sowie literarische
Aspekte des Traums im Mittelalter zur Sprache kommen, und in welchem
auch die Bedeutung des Phänomens bei nicht-christlichen Kulturvölkern
innerhalb dieses langen Zeitraumes im Gebiet Europas berücksichtigt
wird. Bis heute fehlt aber eine Gesamtdarstellung der Bedeutung des
Traums im christlichen Mittelalter, und ebenso mangelt es an einer Vorlage
des in den erzählenden Quellen verstreuten Materials. Ferner scheint
es reizvoll, Ähnlichkeiten und Unterschiede der Phänomene von Schlaf
und Traum zur Gegenwart anband von theoretischen Texten und konkreten
Erfahrungsberichten zu untersuchen.
10 A. HAAS, Traum und Traumvision in der deutschen Mystik, in: Analeeta Cartusiana
106 {=Spätmittelalterlichegeistliche Literatur in der Nationalsprache Bd. 1 )
Salzburg 1983, S . 22-55. Dank reicher bibliographischer Angaben kann dieser Aufsatz
auch als Einstieg für verschiedene Spezialprobleme der Mystik dienen.
11 F. J. KUHLEN, Zur Geschichte der Schmerz-, Schlaf- und Betäubungsmittel im
Mittelalter und der frühen Neuzeit ( =Quellen und Studien zur Pharmaziegeschichte
19) Stuttgart 1983, bes. S. 24 ff; H. SCHIPPERGES, Der Garten der Gesundheit:
Medizin im Mittelalter, München 1985, bes. 262 f.
12 T. GREGORY {Hg.), I Sogni nel medioevo: Seminario Roma 2-4.10.83 (=Lessico
lntellettuale Europeo 35) Roma 1985 . – Während der Drucklegung meiner Arbeit ist
eine weitere wichtige Aufsatzsammlung erschienen: A. Paravicini Bagliani – G. Stabile
(Hg.), Träume im Mittelalter: Ikonologische Studien, Stuttgart 1989.
EINLEITUNG 13
Nach einigen an diese Einleitung anknüpfenden Vorbemerkungen
zur Problematik der Quellensituation befasse ich mich in einem zweiten
Kapitel mit den äußeren Umständen der nächtlichen Ruhe, welche
sich im Mittelalter anders als heute gestalteten. Neben der Skizzierung
der Rahmenbedingungen des Schlafes interessieren auch das theoretische
Verständnis des Phänomens und konkrete Beobachtungen zum individuellen
Schlafverhalten. In einem dritten Kapitel untersuche ich die
seit der christlichen Antike bekannten oder entwickelten Traumtheorien.
Während nämlich Vertreter der Kirche in ihren theoretischen Abhandlungen
dem Traum meistens mit großer Skepsis gegenübertraten, achtete
man in der Praxis sehr wohl auf nächtliche Gesichte, um daraus Schlüsse
für das eigene Handeln ziehen zu können. Dieser Gegensatz soll herausgearbeitet
und Veränderungen innerhalb der theologischen und wissenschaftlichen
Stellungnahmen zum Wesen und Zweck des Traumes in
chronologischer Abfolge dargestellt werden. Im vierten Kapitel möchte
ich dann einen repräsentativen Querschnitt von den uns aus dem Mittelalter
überlieferten Traumerzählungen behandeln. Dieses Material soll in
thematischer Gliederung vorgelegt und als Spiegel der damaligen Welterfahrung
diskutiert werden.
Eine weitere Zielsetzung dieser Arbeit liegt schließlich darin, festzustellen,
ob die von der modernen psychologischen Forschung beobachteten
Struktureigentümlichkeiten des Traumes auch auf die nächtlichen
Phantasieprodukte der Menschen einer weit zurückliegenden Epoche anwendbar
sind. Unter diesen Eigentümlichkeiten versteht man die Verarbeitung
von Tageserfahrungen im nächtlichen Erlebnis, d. h. also die
Wiederholung, Vermischung und Verdichtung von Tagesresten. Typisch
ist aber auch die Verdrängung bzw. Umgestaltung unangenehmer Erlebnisse
oder Wünsche durch eine Art innerer Zensurinstanz. Weitere
Merkmale sind die oft absurd anmutenden Handlungsabläufe sowie das
Vorherrschen von optischen Elementen, welche den Traum meistens als
Bild oder ganze Szenenfolge ins Bewußtsein des Schläfers treten lassen.
-Jeder Historiker kommt trotz aller methodischer Vorbehalte nicht umhin,
Ereignisse und Erfahrungen früherer Zeiten mit denen seiner eigenen
Epoche zu konfrontieren. Für einige der in der vorliegenden Arbeit zu
untersuchenden Themenbereiche drängen sich daher Vergleiche mit modernen
psychologischen Theorien auf, ohne daß diese im Mittelpunkt
stehen sollen oder zu grob verfälschenden Analysen verführen dürfen.
Abschließend befasse ich mich mit der praktischen Nutzbarmachung
14 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
des Phänomens im Mittelalter, versuche die vorgelegte M􀊋terialsammlung
im Hinblick auf die Auswahlkriterien der schriftlichen Uberlieferung
und die Funktionen des Traums in der mittelalterlichen Gesellschaft auszuwerten
und die Frage nach der Gültigkeit von psychologischen Strukturmerkmalen
wenigstens ansatzweise zu beantworten.
1.2. ZUR QUELLENPROBLEMATIK
Beim Versuch, Aussagen über die Schlafgewohnheiten der Menschen
im Mittelalter zu machen, merkt man bald, daß Beschreibungen dieser
alltäglichen Verhaltensweisen selten sind. Bruchstückweise finden
sich Einzelbeobachtungen und Bemerkungen dazu in Heiligenviten und
anderen biographischen Texten sowie in den Statuten und Vorschriften,
welche das Leben in den Klöstern regelten. Für das materielle
Umfeld von Schlaf und Traum bietet sich zusätzlich die Möglichkeit,
bildliehe Zeugnisse zur F’undierung und Ergänzung unserer schriftlichen
Informationen heranzuziehen. Über das theoretische Verständnis des
Schlafens sowie die daraus abzuleitenden Verhaltensregeln informieren
seit dem 12. Jahrhundert naturkundliche und medizinische Werke. Als
Folge des Aufschwungs der ärztlichen Wissenschaft an den entstehenden
Universitäten wurden neue Lehrbücher verfaßt, welche antikes medizinisches
Wissen tradierten und teilweise auch mit eigenen Beobachtungen
ergänzten. Aus dem großen Bereich dieser Fachprosa sollen einige in gedruckter
Form zugängliche Texte herausgegriffen und auf Aussagen zum
Schlaf untersucht werden. Auf eine kritische Analyse wird verzichtet; es
sollen aber wenigstens jeweils der Autor und die ungefähre Entstehungszeit
des Werkes angegeben werden. – Ähnliches gilt auch mutatis mutandis
für die Aussagen von Naturwissenschaftlern und Theologen zum
Traum. In diesem Bereich wird zwar ebenfalls nicht Vollständigkeit, wohl
aber eine repräsentative Auswahl des Meinungsspektrums angestrebt,
wobei ich mich hier auf an gegebener Stelle noch zu erwähnende historische
Vorarbeiten stützen kann. Anhand solcher Zeugnisse versuche ich,
die historische Entwicklung in der Beurteilung des Traumphänomens und
der Deutungsproblematik möglichst differenziert zu erfassen.
Der umfangreichste Teil der vorliegenden Arbeit ist dem konkreten
Traumerleben der Menschen im Mittelalter in den rund zehn Jahrhunderten
von 500 bis 1500 gewidmet. Hier stößt der Historiker auf die
Schwierigkeit, daß er zwar mit entsprechendem Zeitaufwand eine unerwartet
große Menge von Traumerzählungen ausfindig machen kann,
EINLEITUNG 1 5
daß aber gerade autobiographische Erlebnisberichte, welche die zuverlässigste
Grundlage für die geplante Inhaltsuntersuchung bilden würden,
eher selten sind und zudem fast ausnahmslos aus den letzten drei Jahrhunderten
des behandelten Zeitraumes stammen. Als Erklärung für die
Lückenhaftigkeit autobiographischer Zeugnisse im Mittelalter könnte das
schwache Ich-Gefühl in dieser Epoche angeführt werden, welches sich erst
seit dem Hochmittelalter parallel zur stärkeren Betonung einer rationalen
Argumentationsweise langsam zu entfalten vermochte.13 Außerdem
lag die Überlieferung bekanntlich weitgehend in den Händen einer einzigen
Gesellschaftsschicht, nämlich der Kleriker, da Laien normalerweise
weder lesen noch schreiben konnten.
Im Rahmen dieser vorgegebenen Einschränkung auf den kirchlichen
Personenkreis verfügen wir jedoch über eine erstaunliche Menge von
Traumerzählungen, welche auf des jeweiligen Autors eigenen Erfahrungen
beruhen. Das ist etwa der Fall bei Othlo von St. Emmeram, Bischof
Thietmar von Merseburg, Abt Petrus Venerabilis von Cluny, Gerald von
Wales, Adam de Salimbene, Margaretha Ebner und bei Kaiser Karl IV.
Berichterstatter wie etwa die Äbte Petrus Venerabilis und Wibert von
Nogent bezeugen neben ihren persönlichen Erfahrungen zusätzlich die
Erlebnisse ihrer Mütter. Dazu kommen Heiligenviten, deren Detailreichtum
nur auf persönliche Berichte von Augenzeugen oder auf Beobachtungen
des Autors selbst zurückgehen können: so zum Beispiel die Vita
s. Wiboradae des Dekans Ekkehard von St. Gallen und die Magna vita
s. Hugonis des Adam von Eynsham, der in den letzten Lebensjahren
des Heiligen dessen engster Vertrauter war. Wenn auch das Auswahlkriterium
der größtmöglichsten Nähe des Schreibers zum Traumerzähler
nicht durchgehend berücksichtigt ist, so hat es doch wo immer möglich
Beachtung gefunden und trägt wesentlich zur Vertrauenswürdigkeit der
Quellenbasis bei. – Dennoch darf man nicht vergessen, daß es sich bei
diesen Berichten um einen verschwindend kleinen Bruchteil der im Mittelalter
von den Menschen am Morgen noch erinnerten Träume handelt.
Die in schriftlicher Form überlieferten Traumerzählungen sind das Endprodukt
einer bewußten Selektion; diese Auswahl enthält naturgemäß
nur Beispiele, welche vom Inhalt her einen Sinn ergaben und zudem als
13 Vgl. zu diesem Problemkreis G. MISCH, Geschichte der Autobiographie, Frühmittelalter
und Hochmittelalter, Bd. 11,1-2 und Bd. III,1 , FrankfurtfMain 1955- 5 9
sowie auch C . MORRIS, The Discovery of the Individual 1050-12 00, London 1972.
16 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
besonders beeindruckend empfunden wurden. In diesem Zusammenhang
muß auch die von modernen Traumforschern nachgewiesene Neigung des
Menschen erwähnt werden, bei der schriftlichen Fixierung eigener oder
fremder Träume unwillkürlich erzählerische Stringenz bzw. zusätzlichen
Sinngehalt zu schaffen.
Um eine sinnvolle Bearbeitung des Themas überhaupt zu ermöglichen,
wurde bei Beginn der Untersuchung der Traum von der hauptsächlich
um religiöse Inhalte kreisenden Vision abgegrenzt. Über dieses für
die Mentalitätsgeschichte des Mittelalters sehr bedeutsame Phänomen
liegen- wie bereits gezeigt wurde- mehrere Studien und Untersuchungen
vor, so daß eine Abtrennung vertretbar erscheint. In den Quellentexten
findet man neben dem doppeldeutigen Begriff der „visio“, der mit Vision
bzw. Traumgesicht übersetzt werden muß, für den Traum häufig das
aus dem klassischen Latein übernommene „somnium“. Daneben treten
auch Umschreibungen wie „in nocte videor“ oder „in sopore vidi“, welche
sich eindeutig auf die im Schlaf geschauten nächtlichen Bilder, also auf
Träume beziehen. Am schwierigsten einzuorden sind Erzählungen, welche
mit den Worten „mihi visum est“ gar keine Informationen über Zeit
und Umstände der Offenbarung zu erkennen geben. Sehr oft handelt
es sich dabei um Anspielungen auf die „visio“, welche gemäß antiker
Schematisierungsversuche das von überirdischen Mächten stammende
Traumorakel oder die nächtliche Schau mit Wahrheitsanspruch bezeichnete,
die aber gleichwohl im Schlaf stattfand. Derartige Erzählungen
sind grundsätzlich nur dann in die Untersuchung integriert worden, wenn
es sich gemäß der geschilderten Situation höchstwahrscheinlich um Träume
handelte, und wenn sie zudem einen Bezug auf die persönliche Lebenssituation
des Träumers erkennen ließen. Angesichts der Fülle des zu
bearbeitenden Stoffes läßt es sich vertreten, die Quellenkritik jeweils nur
für einige wichtige Textzeugnisse eines größeren Themenkreises exemplarisch
durchzuführen; im übrigen wird für die notwendigen Angaben
auf die Anmerkungen verwiesen.
Allgemeine Schwierigkeiten einer unverzerrten Berichterstattung infolge
ungenauer oder lückenhafter Traumerinnerung sind auch in der modernen
Psychologie bekannt. Dazu käme ferner die speziell von FREUD
und seinen Schülern beschriebene innere Zensur, welche den latenten,
verborgenen Traumgedanken des Schläfers in einen manifesten Trauminhalt
umwandeln soll, der dann die Grundlage für eine schriftlich fixierte
Traumerzählung bilden würde. – Wir können den fragmentarischen ChaEINLEITUNG
17
rakter der benutzten Quellentexte nicht leugnen; trotzdem scheint es
sinnvoll, die zahlreichen und auch thematisch unterschiedliche Bereiche
umfassenden Traumerzählungen zu einem Mosaik zusammenzufügen und
das Wissen über das Mittelalter um einen bisher vernachlässigten Aspekt
des menschlichen Erlebens zu erweitern.
2. DER SCHLAF ALS ALLTAGSERFAHRUNG
2 . 1 . ZUR SOZIOLOGIE DES SCHLAFENS
Am Anfang einer Untersuchung über die Bedeutung von Schlaf und
Traum im Mittelalter stellt man wohl am besten die Frage, wie die
Menschen damals eigentlich geschlafen haben. Welche Unterschiede zu
den Gewohnheiten unserer modernen Zivilisation lassen sich feststellen
und wie wirkten sich andere Bräuche und Bedingungen allenfalls
aus? – Bevor mögliche Antworten gesucht und diskutiert werden, sei
hier noch auf die Schwierigkeit, geeignete Quellentexte für ein Thema
aus der Privatsphäre des Einzelnen zu finden, hingewiesen. Direkte
Auskünfte, die man heute mittels soziologischer Untersuchungsmethoden
(z. B. Fragebogenversand an eine statistisch relevante Stichprobe aus
der Bevölkerung und ergänzende persönliche Interviews) einholen würde,
stehen dem Historiker selbstverständlich nicht zur Verfügung; der Forscher
muß seine Informationen aus den verschiedenen Quellengattungen
selbst zusammensuchen. Eine weiteres Problem besteht darin, daß die
Menschen im Mittelalter wenig Veranlassung hatten, sich über scheinbar
so unwichtige Dinge wie persönliche Schlafgewohnheiten oder die materielle
Beschaffenheit ihres Nachtlagers schriftlich zu äußern. Es gilt also,
die historischen Texte, seien es Biographien, Briefe, medizinische Anleitungen
und Ratschläge, Klosterregeln oder anderes Material, durchzusehen
und die eher spärliche Ausbeute mit zeitgenössischem Bildmaterial
und archäologischen Fundstücken zu ergänzen.
Man kann von der Annahme ausgehen, daß im Mittelalter und schon
in früheren Zeiten immer mehrere Personen im gleichen Raum schliefen.
Die Wohnverhältnisse waren selbst in den städtischen Zentren bis ins
12. und 13. Jahrhundert sehr einfach, oft genug auch eng und ärmlich;
eine Bauernhütte dürfte sogar bis zum 16. Jahrhundert selten mehr als
einen oder zwei Räume aufgewiesen haben.14 Auch in materiell besser
gestellten Kreisen bezog die Familie wohl mindestens während der kalten
14 J. KUCZYNSKI, Geschichte des Alltags des deutschen Volkes, Bd. 1 (1600-1650)
Berlin Ost 1979, S. 330 f.
DER SCHLAF ALS ALLTAGSERFAHRUNG 19
Jahreszeit eine gemeinsame Kammer, die man mit Kohlengluten oder einem
offenen Feuer, seit dem 13. Jahrhundert auch mit einem steinernen
Ofen zu heizen versuchte, und in der schon eine kleine Menschengruppe
eine gewisse Wärme zu erzeugen vermochte. Solche praktische Gegebenheiten
führten auch dazu, daß Betten, wo sie überhaupt vorhanden
waren, von mehreren Personen miteinander benutzt wurden. Einer der
wenigen Texte, die sich dazu explizit äußern, stammt aus der frühen
Neuzeit, was seine Aussagekraft für die Verhältnisse im Mittelalter aber
nicht mindert. Der Erzähler, Girolamo Cardano (1501-1576), war ein
berühmter italienischer Arzt, Mathematiker und Philosoph, der sich in
seiner Autobiographie auch an einige Kindheitserlebnisse erinnerte. In
diesem Zusammenhang schrieb er wie folgt:
„Krankheitssymptome zeigten sich mannigfache. Das erste war, daß
ich von meinem siebenten bis fast zum zwölften Jahre bei Nacht
mich erhob und Schreie ausstieß, die aber keinen bestimmten Sinn
hatten. Und hätten Mutter und Tante, zwischen denen ich schlief,
mich nicht gehalten, so wäre ich öfters aus dem Bette gestürzt. So
hatte ich nur heftiges Herzklopfen, das aber, sobald man die Hand
darauf drückte, sich beruhigte, was das wesentliche Merkmal eines
beschleunigten Atems ist.“15
Dieser Text deutet darauf hin, daß im Mittelalter und noch weit in die
Neuzeit hinein Kinder von ihren nächsten Angehörigen zu sich ins Bett
genommen wurden. Hier fanden sie normalerweise Wärme und Betreuung,
wie es auch in Cardanos Beschreibung anklingt. Die Schattenseite
dieser sympathischen Gewohnheit darf jedoch nicht verschwiegen
werden: Immer wieder starben scheinbar wohlbehütete Kleinkinder und
Säuglinge über Nacht in der elterlichen Lagerstätte. Die frühesten Hinweise
auf solche Vorkommnisse stammen aus den Bußbüchern und Synodalakten.
Dabei handelt es sich um Texte, in denen die Priester die
15 Girolamo Cardano, De vita propria.liber. Amsterdam 1654, ca.p. 6, De valetudine,
At 3ymptomata fuere varia, primum a 3eptimo anno ad XII pene U3que 3urgebam
noctu, clamabam, 3ed nil ezplicite: et nüi mater et materta inter quas dormiebam
me apprehendüsent, saepiu3 praecipitatus essem: tarnen cor 3aliebat, ez compre3Sa
manu brevi 3Ub3idebat, id enimflatus proprium e3t. Ü bers. v. H. HEFELE, Cardanos
eigene Lebensbeschreibung 1914, Reprint München 1969, S. 28. – Zur modernen
Interpretation dieses seltsamen Verhaltens siehe unten, Kapitel 2.4 der vorliegenden
Arbeit.
20 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
möglichen Vergehen der Beichtenden und die Art und Dauer der zu erteilenden
Buße verzeichnet fanden. Beispielsweise lautete in den Bestimmungen
der Synode zu Mainz von 852 die Strafe für eine Frau, welche
ihr Kind aus Unachtsamkeit im Schlaf erdrückt oder erstickt hatte, drei,
und wenn es sich um einen noch ungetauften Säugling handelte, sogar
fünf Jahre Kirchenbuße.16 Diese beinhaltete konkret den befristeten
Ausschluß aus der religiösen Gemeinschaft während vierzig bzw. fünfzig
Tagen und in den folgenden Jahren asketische Übungen wie strenges Fasten
während den allgemeinen Bußtagen und den Wochen vor Ostern und
Weihnachten. Solch harte Strafen trafen sicher auch völlig unschuldige
Frauen, denn das Phänomen des plötzlichen Säuglingstodes war noch
unbekannt und man suchte deshalb die Todesursache in jedem Fall bei einem
Fehlverhalten der Mutter. Anderseits verwischten sich die Grenzen
zwischen natürlicher Kindersterblichkeit, tragischem Mißgeschick bzw.
Fahrlässigkeit und absichtlicher Tötung eines unerwünschten Säuglings
sehr leicht, weil der Priester auf die Aussagen der Mutter als oft einziger
Zeugin angewiesen war. Zwar war die Kirche seit dem frühen Mittelalter
bemüht, dem Volk Achtung vor dem menschlichen Leben einzuprägen,
doch hatte sie damit nur beschränkt Erfolg. Das Bußbuch des englischen
Bischofs Bartholomäus von Exeter, das dieser Geistliche zwischen 1150
und 1170 verfaßt hatte, spricht ganz offen vom Tatbestand der absichtlichen
Kindstötung. Es gab also selbst im 12. Jahrhundert noch Frauen,
welche ihr Kind nicht ernähren konnten und es daher umbrachten.17
Die Verwendung einer Wiege für Kleinkinder wird erstmals im 8.
Jahrhundert in der Lebensschilderung eines merowingischen Adelsheiligen
bezeugt, und anfangs des 12. Jahrhunderts berichtet dann Abt Wibert
von Nogent beiläufig über eine hölzerne Wiege mit Stroheinlage im
Haushalt einer Bedienten seiner Mutter.18 Die meisten Mütter zogen es
aber anscheinend vor, ihr Kleinkind im Erwachsenenbett zu wärmen und
16 Canon Hludowici Regis, cap. 9, Ed. W. HARTMANN, Die Konzilien der karolingischen
Teilreiche, MGH LL Conc. III, S. 24(}-252; 247.
17 Bartholomä.us von Exeter, Poeniteniale. Ed. A. MOREY, in ders., Bartholomew
of Exeter- Bisbop and Canonist: A Study in the 12th century, London 1937, S.
218. Zum Inhalt des Bußbuches und zur Entstehungszeit vgl. MOREY, S. 172 ff. –
Die BuBbestimmungen für absichtliche Kindstötung gehen auf das Konzil von Elvira
(313) zurück; der Bischof entnahm sie den Dekretalen (XV,164) des lvo von Chartres,
PL 161, Sp. 894.
18 Vita Pardulfi, Ed. B. KRUSCH, MGH SS rer. Merov. 7, repr. 1979, S. 37. –
DER SCHLAF ALS ALLTAGSERFAHRUNG 21
mit ihm während der Nacht in engstem Kontakt zu bleiben. Daher wies
noch im Jahre 1236 der englische Bischof Grosseteste die Diakone seiner
Diözese Lincoln in zwei Rundbriefen unter anderem an, sie sollten die
Mütter und Ammen ermahnen, Kinder wegen der immer vorhandenen
Erstickungsgefahr nicht zu sich ins Bett zu nehmen.19 Erst im Verlauf
des Spätmittelalters hat sich gemäß dem Zeugnis von bildliehen Darstellungen
der Gebrauch von hölzernen Wiegen für Wickelkinder allmählich
durchsetzen können (vgl. Abb. 10).
Es versteht sich von selbst, daß nicht nur Mütter ihre Kinder zu
sich ins Bett nahmen, sondern daß auch Ehegatten die selbe Lagerstätte
teilten. Bemerkungen darüber oder Bilder, welche uns einen Einblick in
die Privatsphäre von Mann und Frau gewähren, sind begreiflicherweise
selten. Immerhin malte ein anonymer Künstler 1519 auf einer Tafel des
Maria Zeller Wunderaltars eine Traumerscheinung des hl. Wenzel, welcher
dem an Händen und Füßen gelähmten Markgrafen Heinrich von
Mähren und seiner Gemahlin Genesung durch die Fürsprache der Hl.
Jungfrau versprach (vgl. Abb. 1 ) . Die außergewöhnliche Situation der
Ankündigung eines Heilungswunders schließt freilich eine erotische Deutung
der dargestellten Szene aus; die fast völlig entblößten Oberkörper
des nebeneinander ruhenden Paares zeugen vielmehr von der im Mittelalter
üblichen Gewohnheit, sich ohne Kleider20 schlafen zu legen, wobei
Wibert von Nogent, De vita sua sive monodiae. Lat. franz. Ed. E. LABANDE
(=Les classiques de l’histoire de France au Moyen Age 34) Paris 1981, lib. I, cap. 21,
s. 174.
19 Robert Grosseteste. Epistolae. Ed. H. R. LUARD, RBSS 25, Repr. 1965 , S. 72
f. und 154 ff. Dieser letzte Brief wird vom Herausgeber aufs Jahr 1238 datiert. –
Eine Zusammenfassung der kanonistischen Betrachtungsweise solcher Vorfälle bietet
S. KUTTNER, Kanonistische S chuldlehre von Gratian bis auf die Dekretalen Gregors
IX., Vatikan 1935 , repr. 1961, S. 116 ff. Seit dem 12. Jahrhundert bauten die
Kirchenrechtier die Lehre der B ußbücher in bezug auf die Kindstötung aus; sie unterschieden
meistens die vorsätzliche oder grobfahrlässige Tötung von der mit keiner
objektiven Schuld verbundenen leichtsinnigen Verhaltensweise, wie sie das Zusammenschlafen
mit Kleinkindern in einem Bett darstellte. Die weltliche Gerichtsbarkeit
hingegen dürfte nach Versehentlichern Ersticken von Säuglingen nur in seltenen Ausnahmefällen
aktiv geworden sein.
20 Zum unbefangenen Verhältnis zur körperlichen Nacktheit im Mittelalterund einem
anband von Textbeispielen dokumentierten ‚Vorrücken der Schamgrenze‘ in der Zeit
bis zum 19. Jahrhundert vgl. N. ELIAS, Über den Prozeß der Zivilisation: Soziogene22
ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
man allenfalls den Kopf mit einer Nachtmütze gegen Kälte schützte (vgl.
Abb. 1 , 2). Nahe Verwandte konnten, sofern sie im selben Haushalt lebten und
nicht sehr vermögend waren, sehr wohl zusammen ein Bett benutzen.
Dies war für Kinder und ledige Geschwister gewiß die Regel. Unter besonderen
Umständen legten sich im Mittelalter aber auch fremde Menschen
miteinander in eine Bettstatt. So waren Pilger und arme Reisende
oft darauf angewiesen, in Herbergen und Gasthöfen ein billiges
Nachtlager zu finden. Gewährung von Unterkunft und Verpflegung gegen
finanzielle Entschädigung wurden offenbar im 12. und 13. Jahrhundert
üblich und damit quellenmäßig erfaßbar. In Rom kam es beim
großen Wallfahrtsgedränge anläßtich der Heiligen Jahre von 1300 und
1350 sogar zu Klagen, daß gierige Wirte die vorhandenen Betten nicht
wie üblich mit zwei bis drei, sondern im Extremfall mit bis zu sechs Personen
belegten. 21 Ähnliche Zustände herrschten wahrscheinlich in den
Hospizien, in denen materiell bedürftige Kranke und Alte gepflegt und
betreut wurden. Wenigstens in Zeiten der Not, wenn Epidemien und
Seuchen grassierten, war man gezwungen, mehrere Patienten in ein Bett
zu legen. Ein Ausschnitt aus einem um 1520 entstandenen Freskenzyklus
in der Deutschordenskirche von Frankfurt-Sachsenbausen illustriert
diese Situation in sehr eindrücklicher Weise (vgl. Abb. 3). Die heilige
Elisabeth von Thüringen wird hier als aufopfernde Pflegerin in dem von
ihr gegründeten Armenspital dargestellt. Sie steht vor einem erstaunlich
breiten Holzbett, in welchem mehrere ausgemergelte Kranke nebeneinander
liegen.
Die angeführten Indizien zeigen deutlich, daß es die Intimität unserer
heutigen Schlafzimmer im Mittelalter nicht gab. Eine Tabuisierung
der Sexualität, wie sie die moderne Gesellschaft besonders Kindern gegenüber
kennt, konnte sich unter den damaligen Umständen kaum so
ausgeprägt entwickeln.
tische und psychogenetische Untersuchungen, Bd. 1, Frankfurt/Main 31976, S. 219-
230. Dagegen hat sich mit historisch weniger zwingenden Argumenten H. P. DUERR
gewandt: Nacktheit und Scham (=Der Mythos vom Zivilisationsprozeß 1 ) Frankfurt/
Main 1988, S. 177-196.
21 L. SCHMUGGE, Zu den Anfängen des organisierten Pilgerverkehrs und zur Unterbringung
und Verpflegung von Pilgern im Mittelalter, in: H.C. Peyer (Hg.), Gastfreundschaft,
Taverne und Gasthaus im Mittelalter (=S chriften des Historischen Kollegs,
Kolloquium 3) München 1983, S. 37-60; 52.
DER SCHLAF ALS ALLTAGSERFAHRUNG 23
Abb. 1: Traumerscheinung des hl. Wenzel, der dem Markgrafen von Mähren die
Heilung verspricht. Tafelbild des Großen Mariazeller Wunderaltars, um 1520. Graz,
Landesmuseum Joanneum, lnv. Nr. 390.
24 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
Abb. 2: Vigila – Das Wachen. Das Hausbuch der Cerruti,
Bildfassung des Tacuinum sanitatis, 14. Jh.
DER SCHLAF ALS ALLTAGSERFAHRUNG
Abb. 3: Elisabeth bei den Kranken im HospitalsaaL
Wandfries aus der Deutschordenskirche in Frankfurt-Sachsenhausen,
um 1520.
25
Abb. 4: Alemannischer Bettsarg.
Archäologisches Fragment von Oberflacht, Kreis Tuttlingen, Grab 74.
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Abb. 5: Darstellung eines Kistenbettes: Ein Engel erscheint Josef im Traum.
lllumination des „Codex Egberti“, Reichenauer Schule, 10. Jh.
Stadtbibliothek Trier, Ms. 24, qt. 61.
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28 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
Der unvermutete Tod eines Kleinkindes wurde auf versehentliches
Erdrücken oder Ersticken zurückgeführt und zumindest von kirchlicher
Seite hart bestraft. Trotzdem spiegelte und verstärkte die gemeinsame
Lagerstätte und der gemeinsame Schlafraum auch das Gefühl des Schutzes
und der Geborgenheit, welches die Familie als festgefügter Sozialverband
ganz selbstverständlich vermittelte. Im Gegensatz dazu besitzt
heute in westlich-zivilisierten Verhältnissen nicht nur praktisch jeder
Mensch ein eigenes Bett, sondern der Trend geht parallel zur allgemein
beobachtbaren Individualisierung dahin, daß schon bald alle Erwachsenen,
ja sogar Kinder einen eigenen Schlafraum beanspruchen.
* * *
Im folgenden soll versucht werden zu beschreiben, wie ein Bett im Mittelalter
konkret aussah. Dabei erweist es sich als notwendig, zeitlich
und sozial zu differenzieren. Die erste Verwendung einer Liege als Luxusgegenstand
der Pharaonen ist in Ägypten durch Grabfunde schon im
dritten vorchristlichen Jahrtausend bezeugt.22 Die Griechen und Römer
gebrauchten ihre Ruhemöbel zum Schlafen, zum Essen und auch zum
Aufbahren Verstorbener; die Verwendung von einfachen Betten verbreitete
sich damals im ganzen Mittelmeergebiet.23 Wenigstens nördlich der
Alpen dürfte aber der Besitz eines Holzbettes für längere Zeit der sozialen
Oberschicht vorbehalten gewesen sein; die einfachen Leute schliefen
wahrscheinlich auf Strohsäcken am Boden. Genauere Kenntnisse über
die Lagerstätten der Adligen im Frühmittelalter verdankt man vor allem
den Grabungen von Oberflacht im Kreis Tuttlingen (Württemberg) aus
den Jahren 1846 und 1933/34.24 In diesem alemannischen Gräberfeld lagen
rund die Hälfte der Toten in schlichten Baumsärgen; bei etwa zehn
Prozent der Bestattungen ruhten die Verstorbenen nach Ansicht von
PAULSEN in ihren eigenen Betten, denen man lediglich die Holzfüße
22 LMA, Bd. 1, Zürich 1980, Sp. 2087: K. CSILLERY.
23 Eine ausführliche Materialzusammenstellung zu dieser dreifachen Nutzungsweise
in der Antike bietet der Dictionnaire des antiquites grecques et romaines, Bd. 3, Paris
1904, S. 1014-1023: P. GIRARD.
24 Zusammenfassend vorgelegt wurden die Ergebnisse dieser Grabungen von P. PA ULSEN
– H. SCHACH-DÖRGES unter dem Titel: Holzhandwerk der Alamannen, Stuttgart
1972.
DER SCHLAF ALS ALLTAGSERFAHRUNG 29
abgenommen und hie und da noch einen Holzdeckel hinzugefügt hatte. 25
Abbildung 4 zeigt einen solchen nach archäologischen Fragmenten rekonstruierten
Bettsarg, während es sich beim Kistenbett in Abbildung 5 um
eine lllumination aus dem Kodex Egberti handelt, welcher während des
10. Jahrhunderts im Kloster Reichenau entstand. Der Vergleich macht
deutlich, daß dieser einfache Möbeltyp mindestens dreihundert Jahre
lang unverändert in Gebrauch blieb. Besonders kostbar gearbeitete Lagerstätten
wiesen an Seiten und Enden statt Brettern feingedrechselte
Säulenreihen auf und waren teilweise sogar bemalt und mit Stoff bespannt
(vgl. Abb. 6) . Außerdem konnte man in Oberflacht Reste der
Ausstattung dieser frühen Bettform beobachten. Die ‚Matratze‘ bestand
aus einer Polsterungsschicht aus Stroh, Schilf, Moos oder Laub, worüber
ein leinernes Tuch gelegt wurde. Dazu kam ein Kopfpolster und, je nach
Jahreszeit, eine Pelz- oder Stoffdecke.26
In der Karolingerzeit konnten sich hochadelige Personen noch einer
weitergehenden Bequemlichkeit erfreuen. Die Anweisungen über die
Ausstattung und Vorratshaltung in den Königspfalzen Karls des Großen
enthalten eine Auflistung des Bettzeugs, welches für den Herrscher und
seine Begleiter bereit gestellt werden mußte. Hier werden allgemein
Decken, Federkissen und Leintücher erwähnt, während einzelne Inventare
sogar Matratzen, federgefüllte Kopfkissen und Bettücher, Nackenrollen,
Decken und Steppdecken verzeichnen. 27 – Ein durch die Kargheit
des schriftlichen Quellenmaterials bedingter Sprung ins 13. Jahrhundert
zeigt, daß sich im Aufbau des Bettes kaum etwas geändert hat.
Der Zisterziensermönch Caesarius von Heisterbach (ca. 1 180-1240) beschreibt
in einer Episode seiner vor allem kulturhistorisch interessanten
Mirakelsammlung eine zu dieser Zeit in adligen Kreisen Frankreichs
gebräuchliche Lagerstätte. Auf dem aus rohen Holzplanken gezimmerten
Bettgestell lag ein Strohpolster und darüber ein Leintuch; die wohl
25 PAULSEN, S. 25. – Allerdings sind diese Totenbetten nur ca. 50 cm breit, so
daß es sich wohl entgegen der Meinung der Autoren doch eher um extra gefertigte
Särge handeln dürfte, die in ihrer Grundform den damalige Betten jedoch zweifellos
entsprachen.
26 PAULSEN, S. 27 f.
27 Capitulare de villis, cap. 42. Ed. C. BRÜHL (=Dokumente zur dt. Gesch. in
Faks. Reihe 1 Mittelalter 1) Stuttgart 1971. Die Inventare von Annapes und Triel,
in: Capitularia regum Francorum. Ed. A. BORETIUS, MGH LL Cap., repr. 1960,
Bd. 1, S. 254.
30 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
ebenfalls vorhandenen Decken und Kissen werden in diesem Text nicht
erwähnt.28
Der wirtschaftliche Aufschwung und die soziale Differenzierung führten
seit dem hohen Mittelalter dazu, daß auch Menschen, die nicht der
herrschenden Oberschicht angehörten, einen gewissen Besitz ansammeln
konnten. Daher vermute ich, daß auch einfachere Familien in städtischen
Wohnverhältnissen über wenigstens eine hölzerne Bettstelle verfügten.
Reiche, seien es nun Adlige oder begüterte Kaufleute, tendierten ihrerseits
dazu, die Lagerstätten noch bequemer und gleichzeitig auch
repräsentativer zu gestalten. Eine weichere Liegefläche erhielt man beispielsweise,
indem man die horizontal tragenden Bretter durch gespannte
Lederriemen ersetzte. Die Konstruktion eines solchen Spannbetts wird
in einer Zeichnung aus dem „Hortus Deliciarum“ (vgl. Abb. 7) am Kopfende
wenigstens angedeutet. Ferner kannte man anscheinend schon seit
dem 1 1 . Jahrhundert ein Stoffdach mit Vorhang, um die Zugluft sowie
Ungeziefer abzuhalten und innerhalb des allgemeinen Wohnraumes eine
Abtrennung herzustellen. Daraus entwickelte sich im 14. Jahrhundert
in Mitteleuropa ein hölzerner Halbhimmel mit Vorhang (vgl. Abb. 1 ) ;
seit Ende des 15. Jahrhunderts gab es in Italien Baldachine mit vier
Holzsäulen, die dann häufig gedrechselt oder geschnitzt wurden (vgl.
Abb. 2).29
* * *
28 Caesarius von Heisterbach, Dialogus miraculorum libri XII, lib. X, cap. 34. Ed. J.
STRANGE, Köln 21922, Bd. 2, S. 242. Diese Sammlung von Wundererzählungen und
Visionsberichten entstand in erzieherisdier Absicht; sie sollte den Mönchen zur religiösen
Unterweisung und Erbauung dienen. Heute weiß man Caesarius‘ Werk trotz
des legendenhaften Charakters als ergiebige Quelle für kultur- und sozialgeschichtliche
Fragestellungen zu schätzen. – Ergänzend soll hier noch auf den ebenfalls im
13. Jahrhundert schreibenden Salimbene de Adam verwiesen werden. In seiner Chronik
(Ed. G. SCALIA, Bari 1966, Bd. 2, S. 798) berichtet er von Frauen, die bei einem
Erdbeben aus Furcht vor weiteren Erdstößen ihre Betten in einfache, nur mit Stroh
gedeckte Hütten trugen. Es dürfte sich demnach bei diesen Lagerstätten wohl um
Stroh- oder Laubsäcke sowie Leintücher gehandelt haben. Ferner erwähnt Salimbene
(Bd. 2, S. 883) ein Federkissen, welches ein gedungener Mörder in der Schlafkammer
seines Opfers vorfand und zu dessen Erstickung verwendete.
29 LMA, Sp. 2087: K. CSILLERY. Vgl. auch D. SCHWARZ, Sachgüter und Lebensformen:
Einführung in die materielle Kulturgeschichte des Mittelalters und der
Neuzeit (=Grundlagen der Germanistik 11) Berlin 1970, S. 49 f.
Abb. 6: Alemannisches Rahmenbett mit Säulengeländer.
Rekonstruktion von Fundstücken aus Oberftacht.
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Abb. 7: Salomons Prunkbett, Durchpauskopie des verbrannten „Hortus Deliciarum“
der Herrad von Landsberg, 12. Jh. Bibliotheque nationale, Paris.
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DER SCHLAF ALS ALLTAGSERFAHRUNG 33
Abschließend wenden wir uns den materiellen Gegebenheiten des Schlafes
in den mittelalterlichen Klöstern zu. Erfreulicherweise sind die Textbelege
hier etwas zahlreicher, denn das Zusammenleben von Ordensleuten
wurde seit jeher durch bindende Vorschriften bis in kleinste Einzelheiten
geregelt.30 Der hl. Benedikt (ca. 480-547) legte grundsätzlich
fest, daß jeder Mönch eine eigene Lagerstätte, bestehend aus Bodenmatte,
Tuch, Decke und Kopfpolster, zugewiesen erhalten sollte. 31 Wichtig
war ihm ferner, daß die religiöse Gemeinschaft zusammen im selben
Raum schlief; wo die Anzahl der Mönche zu groß schien, erlaubte Benedikt
eine Aufteilung in Gruppen zu zehn oder zwanzig Personen.
In den Gebieten nördlich der Alpen war freilich eine Anpassung an
die klimatischen Verhältnisse unumgänglich. So dürfte es hier sehr bald
üblich gewesen sein, daß sich die Mönche des Nachts mit wärmenden
Fellen zudeckten. Die bei den cluniazensischen Benediktinern im Hochmittelalter
allgemein beobachtbare Liebe zum Prunk zeigte sich auch
bei Bettzeug und Kleidung, wo sich eigentlicher Luxus entwickelte. Dies
wird klar bezeugt durch die Reformstatuten des Abtes Petrus Venerabilis
von Cluny (1094-1156) . Als oberster Leiter aller Priorate sah
sich Petrus nämlich gezwungen, sowohl mehrfach gefaltete und farbige
Decken als auch teures Pelzwerk ausdrücklich zu verbieten. Statt Schafsoder
Ziegenfellen oder den vom Abt gerade noch geduldeten iltispelzen
wußten sich die Mönche offenbar modische Marder- oder Raubkatzenfelle
aus Spanien zu beschaffen. Diese, der mönchischen Armut zuwiderlaufende
Begehrlichkeit hatte nach den Erfahrungen des Abtes sogar dazu
geführt, daß sich selbst reiche Cluniazenser-Priorate durch den damit
30 Die beste Darstellung des alltäglichen Klosterlebens auf Grund erschöpfender Quellenstudien
stammt von Gerd ZIMMERMANN, Ordensleben und Lebensstandard:
Die Cura Corporis in den Ordensvorschriften des abendländischen Hochmittelalters
(=Beiträge zur Geschichte des Alten Mönchstums und des Benediktinerordens 32)
Münster 1973. Weniger gründlich und öfters tendenziös beschönigend, aber dafür
nicht nur auf Benediktiner und Zisterzienser beschränkt, ist das Werk von Leo MOULIN,
La vie quotidienne des religieux au Moyen Age: x• – X:v• siede, Paris 1978.
31 Diese Bestimmung lautet im lateinischen Originaltext: Stramenta autem lectorum
3ufficiant matta, 3agum et /ena et capitale (Ed. R. HANSLINK, Corpus Scriptorum
Ecclesiasticorum Latinorum 75, Wien 1960), wobei in späteren Statuten dann auch
andere Ausdrücke verwendet wurden, vgl. diese bei ZIMMERMANN, Cura Corporis,
s. 143 f.
34 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
verbundenen finanziellen Aufwand regelrecht verschuldeten und ärmere
Niederlassungen deshalb dem wirtschaftlichen Ruin zusteuerten.32
Erstaunlicherweise gab es in vielen Klöstern schon seit der Zeit Karls
des Großen nicht nur Kopfkissen mit Federfüllung, sondern für den Ausnahmefall
der Krankheit richtige Federbetten. Deren Gebrauch blieb allerdings
im Reformzentrum Hirsau, aber auch bei Zisterziensern und Bettelorden,
den geschwächten Schwerkranken vorbehalten, wie es aus den
gegen Mißbräuche gerichteten Bestimmungen hervorgeht.33 Wenn der in
den Statuten etwa verwendete Ausdruck „super culcitras“ vermuten läßt,
daß diese Federbetten als Polsterung und nicht wie heute als wärmende
Decke benützt wurden, so fragt man sich natürlich, auf welcher Unterlage
die Ordensleute denn normalerweise schliefen. Die Binsen- oder
Strohmatten der ursprünglichen Benediktinerregel wurden schon bald
durch die im Mittelalter bei einfachen Leuten gebräuchlichen Stroh- oder
Laubsäcke ersetzt. Wo aber nur eine lose Stroh- oder Heuschüttung unter
einem rauben Thch erlaubt war, zwangen schließlich praktische Gesichtspunkte
zur Verwendung von Kistenbetten (vgl. Abb. 4 u. 5), deren
Inhalt laut verschiedenen Klosterkonstitutionen jeweils einmal pro Jahr
erneuert wurde.34 – In den Eremitengemeinschaften Italiens, aber auch
in den neuen Orden des 12. und 13. Jahrhunderts versuchten die Brüder,
den asketischen Forderungen des hl. Benedikt wieder vermehrt nachzuleben.
In diesen Klöstern schlief man auf dem bloßen Fußboden, auf
Matten oder auf einem Brett mit etwas Stroh, hie und da auch auf einem
Strohsack. Zum Zudecken gab es eine Wolldecke oder ein Schaffell; die in
bessergestellten weltlichen Kreisen gerne benutzten Bettlaken aus Leinen
blieben hingegen bei Mönchen und Bettelbrüdern vorerst verpönt.35
Ein wesentlicher Unterschied zum Verhalten von Leuten weltlichen
32 Statuta Petri Venerabilis. Ed. G. CONSTABLE, CCM 6, cap. 17 u. 18, S. 55 f.
33 ZIMMERMANN, Cura Corporis, S. 144 und Quellenbelege eben da S. 456. Beispielsweise
galt für alle gesunden Angehörigen des Dominikanerordens die Dist. I,
cap. 9: Super culcitra􀀺 non dormiant fratre& no􀀺tri, ni&i forte 􀅠tramen vel aliquid
tale, 􀀺uper quod dormiant, habere non pouint. Cum tunica et caligü cincti dormiant.
Super 􀀺tramina et Ia neo􀀺 et 􀀺accone& dormire licebit. (. . .) Qui autem culcitram
petierit, ieiunet unam diem in pane et aqua. Zitiert nach A. H. THOMAS, De oudste
constituties van de Dominicanen (Bibliotheque de Ia Revue d’histoire ecclesiastique
42) Leuven 1965, S. 320 f.
34 ZIMMERMANNN, S. 145; Quellenbelege ebenda S. 456.
35 MOULIN, Vie quotidienne, S. 167.
DER SCHLAF ALS ALLTAGSERFAHRUNG 35
Standes bildete die ebenfalls schon von Benedikt begründete Sitte des
Schlafens in Kleidern. Ob der Mönch wirklich nur gerade das Obergewand
ablegen durfte, oder ob er noch ein zusätzliches Hemd für die
Nacht zur Verfügung hatte, wichtig war die Tatsache, daß er nicht nackt
schlief. Damit sollte die Wahrscheinlichkeit einer erotischen Empfindung
vermindert werden. Sogar im Schlaf soll der Mönch nach der Anweisung
eines wohl fälschlich dem hl. Bernhard von Clairvaux zugeschriebenen,
anonymen Textes eine gewisse Kontrolle über seinen Körper bewahren
und nicht etwa die Beine ungebührlich nahe an den Schoß ziehen oder
die Arme ungeordnet hängen lassen:
„Deshalb ruhen wir ja bekleidet und gegürtet, damit wir nicht die
Möglichkeit haben, die Hand frei auf dem nackten Körper herumwandern
zu lassen, und damit wir um so eher zum Gebet oder zum
Aufstehen bereit sind.“36
Das Bestreben, alle sexuellen Versuchungen zu vermeiden, macht auch
die Vorschrift verständlich, wonach jeder Ordensangehörige eine eigene
Lagerstätte, und sei sie auch noch so ärmlich, zugewiesen erhielt. Es galt
ja, gleichgeschlechtliche Kontakte unter Klosterinsassen nach Möglichkeit
zu verhindern, denn solche Fehltritte wogen nach christlichen Moralvorstellungen
besonders schwer.37 Dieser strenge Sittenkodex erklärt
auch das hartnäckige Festhalten am gemeinsamen Schlafsaal. Das enge
Zusammenleben in der Gruppe ermöglichte nämlich eine gegenseitige
36 Ps.-Bernardus, Opusculum in Verba „Ad quid venisti“, PL 184, Sp. 1 190-98;
cap. 10, De modo cubandi seu dormiendi, Sp. 1193: Cum propter hoc ve&titi iaceamu3
et cincti, ut non habeamu& pote&tatem circumducendi manu& huc et i/luc in nudo
corpore, et magi& parati &imu& ad orationem vel ad &urgendum. Übers. d. Verfasserin.
– Dieser kleine Schriftkommentar erläutert einige Grundregeln des Klosterlebens und
ist an eine nicht näher identifizierbare Nonne gerichtet.
37 Eine solche Interpretation kann sich zum Beispiel auf den „Liber Ghomorrianus“
des Kirchenreformers Petrus Damiani (=Opusculum VII, PL 145,) stützen, der hier
besonders in cap. 14-16, Sp. 172 ff. tatsächliche Verirrungen von Priestern und
Mönchen schonungslos geißelt und entsprechend harte Strafen fordert. – Die anfangs
des 13. Jahrhunderts im Benediktinerkloster Montecassino entstandenen Statuta Casinensia
drohen sogar ausdrücklich mit Prügelstrafe und Zwangsfasten für denjenigen
Mönch, der im Bett eines Mitbruders gefunden würde. Statuta Casinensis, Ed. T.
LECCISOTTI, C. BYNUM CCM 6, S. 226, II De poenis, 142: Qui in uno &tratu
cum alio domierit, unde quadraginta verbera accipiat et &eptem diebu& panem et
aqua comedat.
36 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
Kontrolle, und zudem brannte nachts im Dormitorium iminer ein Licht.
Während die eremitischen Gemeinschaften in Italien schon seit dem
Beginn des 1 1 . Jahrhunderts Einzelzellen kannten, lassen sich in den
übrigen Orden erst seit dem 13. Jahrhundert Versuche feststellen, die
Schlafplätze durch Stellwände oder Vorhänge voneinander zu trennen.
Kälte und Zugluft im ungeheizten Schlafsaal, aber auch ein vielleicht im
Spätmittelalter allgemein zunehmendes Bedürfnis nach einem Minimum
von Privatsphäre führten schließlich dazu, Zellen mit festen Mauern zu
bauen. Doch noch Papst Benedikt XII. (1334-1342), ursprünglich selber
Zisterziensermönch, befahl diesem Orden unter Strafe der Exkommunikation,
alle inzwischen erstellten Einzelzellen abzureißen.38 Indem man
die Zelle als Raum mit Tür und Schloß definierte, gelang es aber mancherorts
die geltenden Bestimmungen zu unterlaufen, bis dann in der
Mitte des 16. Jahrhunderts die Einzelzelle für alle Orden offiziell gestattet
wurde.39
2 . 2 . SCHLAFRHYTHMUS
Im Mittelalter bestimmte das natürliche Tageslicht weitgehend die Aktivitäts-
und Ruheperioden der Menschen. Mit Kienspanfackeln, Talglichtern
und Wachskerzen ließ sich die nächtliche Dunkelheit zwar notdürftig
erhellen, doch an regelmäßige Arbeit nach Sonnenuntergang, wie wir sie
heute kennen, war damals nicht zu denken. Nur bei Festen oder in anderen
Ausnahmefallen zögerte man mit Hilfe von künstlicher Beleuchtung
das Schlafengehen hinaus. Diese Anpassung des Tagesablaufs an die
natürlichen Bedingungen war so selbstverständlich, daß sich schriftliche
Bemerkungen darüber nur selten finden. Immerhin entwickelte Hildegard
von Bingen (1098-1179) erste theoretische Überlegungen dazu in
ihrem Werk „De operatione Dei“. Die Äbtissin versuchte darin, Gottes
Wirken in der Welt zu erklären; Wachen und Schlafen entsprechen nach
dieser Anschauung dem von Gott gewollten Wechsel von Tätigkeit und
Erholung. Das Leben auf der Erde werde durch den Sonnenrhythmus,
d. h. die regelmäßige Wiederkehr des Lichtes erhalten.40 Umge-
38 MOULIN, Vie quotidienne, S. 167: sogenannte Constitutio Benedictiana von 1335:
Fulget sicut stella matutina.
39 R. SCHNEIDER, Lebensverhältnisse bei den Zisterziensern, in: Klösterliche Sachkultur
des Spätmittelalters, Wien 1980, S. 43-72; 50.
40 Hildegard von Bingen, Liber divinorum operum simplicis hominis. PL 197, Sp.
DER SCHLAF ALS ALLTAGSERFAHRUNG 37
kehrt benötige der Mensch auch den Schlaf, um bei Kräften zu bleiben;
schließlich hat der Winter nach Hildegards Auffassung die gleiche Funktion
für die pflanzliche Welt wie die nächtliche Ruhephase für Mensch
und Tier.41
In der kalten Jahreszeit dauert die Dunkelheit länger und die Menschen
schliefen vermutlich entsprechend länger. Tag und Nacht zählten
seit der römischen Epoche je zwölf ‚Stunden‘, die man mit Sonnenuhren,
Sand- oder Wassergläsern maß. Diese Intervalle wurden durch gelegentliches
Umstellen der Zeitmesser den jahreszeitlich bedingten Schwankungen
der Tagesdauer angepaßt. Daraus ergaben sich beispielsweise
im Sommer tagsüber längere Maßeinheiten, die sogenannten „hores inequales“,
nach welchen dann der Ablauf von Arbeit, Essen und Schlaf
grob geordnet werden konnte.42 Dieses System wurde im 14. Jahrhundert
zugunsten der noch heute verwendeten gleichmäßigen Zeiteinteilung aufgegeben.
Voraussetzung dafür war aber die Erfindung von Uhren, welche
vom Tageslicht unabhängig waren. Solche mechanische Zeitmesser wurden
erstmals gegen Ende des 13. Jahrhunderts in England bezeugt.43
Obwohl die Dauer der nächtlichen Ruhephase also weitgehend von
den natürlichen Gegebenheiten abhing, stellten sich Ärzte gelegentlich
die Frage, wann und wie lange der Mensch grundsätzlich schlafen solle.
Die früheste Äußerung entstammt dem „Tacuinum Sanitatis“ des Elbochasim
de Baldach (gest. um 1064). In seinen im 13. Jahrhundert
in Sizilien ins Lateinische übertragenen Ratschlägen für die Gesundheit
empfahl dieser Arzt acht Stunden zu schlafen und zwar zwischen
den ersten beiden und den letzten beiden Stunden der Nacht.44 Der
jüdische Gelehrte Mosche ben Maimon (1 135-1204), Maimonides ge-
739-1038. Ich paraphrasiere die dt. Übersetzung: Welt und Mensch, von H. SCHIPPERGES,
Salzburg 1965, S. 94.
41 Ebenda, S. 153, Siehe dazu auch unten, Kapitel 2.3.2 der vorliegenden Arbeit.
42 Ph. CONTAMINE, La vie quotidienne pendant la guerre des cent ans, Paris 1976,
S. 33 f. Vgl. dazu auch D. SCHWARZ, Sachgüter u. Lebensformen, S. 154 f.
43 CONTAMINE, La vie quotidienne, S. 36.
44 Das Hausbuch der Cerruti, Bildfassung des Tacuinum sanitatis. Dt. Faks. Übers.
und eingeleitet von F. UNTERKIRCHER (=Codices Selecti 6) 2 Bde., Graz 1966/67,
Bd. 2, S. 5-6 u. 132 (vgl. auch Abb. 2, 12 u. 13 dieser Arbeit). Dieses Werk befaßt
sich hauptichlieh mit der Zuträglichkeit bestimmter Speisen und stützt sich auf die
antike Säftelehre. Es ist uns heute in neun arabischen und siebzehn lateinischen
Manuskripten sowie in fünf Bilderhandschriften überliefert, vgl. dazu Bd. 2, S. 3-5.
38 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
nannt, schrieb in seinem „Regimen sanitatis“, man solle sich mit oder
kurz vor der Sonne erheben.45 Die ideale Schlafdauer betrug seiner Ansicht
nach genau acht Stunden, oder – anders ausgedrückt – ein Drittel
des Vierundzwanzig-Stunden-Tages.46 Einige Anweisungen zur Gestaltung
der Ruhezeit sind ferner von Arnald von Villanova ( 1 234-1311)
überliefert. Er wirkte zeitweise als Leibarzt der Könige von Aragon sowie
des Papstes Bonifaz VIII. und hatte seit 1291 einen Lehrstuhl an der
Universität von Montpellier inne, wo er seine umfassenden medizinischen
Kenntnisse weitergeben konnte. Seiner Meinung nach merkt jeder in der
Tugend der Mäßigkeit geübte Mensch durch Selbstbeobachtung rasch,
wieviel Schlaf er braucht. Als Faustregel könne gelten, daß man etwa
gleich viel Ruhezeit wie Wachzeit benötige. Arnald empfahl aber, diesen
Ratschlag nach Alter, Grundtemperament und Wetterlage zu modifizieren.
Zu Bett solle man sich abends legen, denn die Nacht sei infolge der
dann herrschenden Dunkelheit, wegen der geringeren Wärme und wegen
der größeren Ruhe geeignet zur Regeneration von Seele und Körper.47
Auch in der Renaissance änderte sich offensichtlich kaum etwas an
der Überzeugung, daß man in Anlehnung an den natürlichen Rhythmus
nachts der Ruhe pflegen sollte. Eine systematische Begründung für dieses
bis dahin wenig reflektierte Verhaltensmuster erarbeitete der Arzt und
Philosoph Marsilio Ficino ( 1433-1499), ein vielseitiger und berühmter
Vertreter des italienischen Frühhumanismus. In „De triplica vita“ , einem
seiner Hauptwerke, beschäftigte er sich mit der Lebensgestaltung
des geistig arbeitenden Menschen. Zu diesem Zweck baute er die aus der
Antike übernommene Säftelehre aus, in welcher die Liebhaber der Philo-
45 Mosche ben Maimon, Regimen sanitatis. Aus dem Hebr. ins Dt. übersetzt als
„Diätik für Körper und Seele“ von S. MUNTNER, BaselfNew York 1966, S. 152.
Der medizinisch-hygienische Leitfaden entstand als Auftragswerk für einen Sohn des
Jerusalem-Erobereres Sultan Saladin. MUNTNER, ebenda S. 13 f., nennt zahlreiche
hebräische Abschriften sowie zwei lateinische Übersetzungen vom Ende des 13. Jahrhunderts,
die von der allgemeinen Anerkennung und großen Verbreitung des Gesundheitsführers
zeugen. Im späteren Mittelalter wurden andere „Regimen sanitatis“
geschrieben, die zwar inhaltlich unabhängig sein mögen, doch ohne das arabische „Tacuinum
sanitatis“ und die gattungsbildende Arbeit des jüdischen Mediziners kaum
denkbar sind.
46 Auszüge aus der „Ethik“, übers. von S. MUNTNER, ebenda S. 174.
47 Arnald von Villanova, Opera. Druck Conrad Waldkirch, Basel 1585. Regimen
Sanitatis, cap. 7: De somno et vigilia, S. 699-701.
DER SCHLAF ALS ALLTAGSERFAHRUNG 39
sophie traditionellerweise dem Typ des melancholischen Temperaments
zugeordnet werden. Er empfahl den Philosophen nachts zu schlafen,
denn die beste Zeit für geistige Arbeit sei frühmorgens nach Sonnenaufgang.
Dies erklärte er hauptsächlich damit, daß die Sonnenstrahlen die
Luft nicht nur erleuchten und erwärmen würden, sondern sie auch bewegten
und dünner machten. Ebenso bewirke der Sonnenaufgang, daß
Feuchtigkeit und Geist im menschlichen Körper nach außen strebten,
während nach Sonnenuntergang die Geisteskräfte sich wieder ins Zentrum
des Körpers zurückzögen. Ficino hielt das Schlafen am Tag, wobei
sich die Seele nach innen wendet, für einen klaren Verstoß gegen die in
der Natur beobachtbaren Gesetze, was sogar zum seelischen Zusammenbruch
führen könne. Gegen ein Studium am späten Abend sprach nach
der damals geltenden medizinischen Lehre ferner die größtenteils nachts
stattfindende Verdauungstätigkeit des Magens, die durch andere Aktivitäten
nur gestört werde. Die beim Verdauungsprozeß entstehenden
Dünste und Dämpfe behinderten den Intellekt und schließlich sei auch
die Einbildungskraft bzw. die Phantasie nach den vielfältigen Tageserlebnissen
verwirrt und übermüdet. Am Morgen jedoch fühle sich der
Mensch frisch ausgeruht und wisse sich im Besitz eines ungetrübten Urteilsvermögens,
was eine wichtige Voraussetzung für geistig produktives
Arbeiten darstellt. 48
Weniger von ärztlichem Wissen als von moralisch-pädagogischer Besorgtheit
geprägt sind die Bemerkungen eines anonymen Lehrgedichts,
welches unter dem Namen des altrömischen Censors Cato im 3. oder
4. Jahrhundert n. Chr. entstand. Die „Disticha Catonis“ stellten während
des ganzen Mittelalters einen beliebten, oft kopierten Unterrichts-
48 Marsilio Ficino, De triplica vita. Faksimile Ed. Turin 1965. Lib. I: De sanitate tuenda,
cap. 7, S. 529 f. – Auch nach der Reformation lauteten die Ratschläge bezüglich
des Schlafes beinahe identisch. Wiederum wird betont, daß man in Übereinstimmung
mit Gottes Willen nachts und nicht etwa am Tag ruhen solle, und daß man die Tugend
der Mäßigkeit beachten solle, indem man nicht mehr als rund sieben Stunden
schlafe. Nachfolgend das wörtliche Zitat aus Heinrich Bullingers „Studiorum ratio“
– einer humanistisch-reformatorischen Studienanleitung, welche zur Zeit von Peter
STOTZ in Zürich für die Edition vorbereitet wird: Dormiendi quoque idonea et pro·
pria debet e33e tempora, ne noz vigiliae, die3 1omno impendatur. Noctem enim Deu3
quieti con3ecravit, labori diem. Tradunt autem 3eptem horarum curriculum iu3tum
e33e naturoli3 3omni 3tadium. Caveat ergo literarum candidatu31 ne nimio 3omno
deditu3 vitii3 alimenta mini3tret.
40 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
text für Lateinschüler dar, der auch in viele Land􀅿􀆀sprachen und Dialekte
übersetzt wurde. In einer mittelhochdeutschen Ubertragung lauten die
interessierenden Verse dann:
„Soen, slayff so lange dat ydt sy genoch
Dair bouen nict dat sy genoych.“49
oder an anderer Stelle etwas ausführlicher:
„Soen wache also dar nict dyn leuen
Tzo mayl den sayfst en sy gegeuen
Wer lange sleyfft und altzijt rast
Der gijfft den sunden groise mast.“60
Einen konkreten Hinweis auf diese von Erziehern besonders bei Jugendlichen
befürchtete Unmäßigkeit gibt Wibert, Abt von Nogent (1055-1125)
in seiner für mittelalterliche Verhältnisse einzigartigen Autobiographie
„De vita sua“ , die er wahrscheinlich zwischen 1 1 1 2 und 1 1 1 5 schrieb. 51
Als Knabe sei er, so berichtet der Abt in einem Rückblick auf seine
Jugend, umständehalber einige Zeit lang ohne erzieherische Aufsicht gewesen.
Die zuvor nie gekannte Freiheit habe er weidlich ausgenutzt und
sich unter anderem auch dem Schlaf hingegeben, während früher seine
Ruhezeit immer kurz bemessen worden sei. Diese Unmäßigkeit sei ihm
aber nicht gut bekommen; sie habe ihn im Gegenteil arg geschwächt.
Etwas später kam Wibert ins Kloster St. Germer de Fly (Dep. Oise), wo
sein ehemaliger Privatlehrer weilte, der den Knaben nun wieder unter
seine Obhut nahm. Nach Wiberts bald darauf erfolgtem Eintritt in den
Orden erfaßte ihn nach seiner Beschreibung ein heiliger Lerneifer. Oft lag
er dann scheinbar schlafend im Bett, wohingegen er in Wirklichkeit sich
49 Disticha Catonis. Ich zitiere aus der mittelhochdeutschen Ausgabe von Köln, 1498.
Faks. ed. W. GREBE, Zürich 1982, Vorspann zum I. Kapitel. Neuhochdeutsch von
Grebe: Sohn, schlafe solange, bis es ausreicht/ nicht darüber hinaus, so schickt es
sich.
50 Disticha Catonis. I. Kapitel. Neuhochdeutsch: Sohn, also wache, damit dein
Leben/ nicht allzusehr dem Schlafe ergeben sei./ Wer lange schläft und stets rastet,/
der verschafft dem Laster reichlich Nahrung.
51 Wibert von Nogent, De vita sua sive monodiae. Ed. lat. franz. E. LABANDE,
Paris 1981. Zur Diskussion der angegebenen Lebensdaten vgl. die Einleitung bei Labande,
S. IX-XV. Eine überzeugende historische Analyse von Wiberts Persönlichkeit
und Werk bietet J. BENTON, Self and Society: The Memoirs of Abbot Guibert of
Nogent (=Harper Torchbooks 1471) New York 1970, Introduction S. 7-33.
DER SCHLAF ALS ALLTAGSERFAHRUNG 41
fleißig bemühte, seine Gedanken grammatikalisch und stilistisch präzis
zu formulieren. Schließlich bekennt er auch, statt geschlafen, oftmals
hinter der Bettdecke versteckt gelesen zu haben. 52 Lektüre im Bett war
in mittelalterlichen Klöstern allerdings, mindestens was die Zöglinge im
Kindesalter anbetraf, streng verboten, denn sie sollten die an sich schon
kurzen Ruhezeiten wirklich zum Schlafen nutzen. 53
* * *
Das Alltagsleben im Kloster wickelt sich nach klaren Vorschriften ab.
Die jeweilige Ordensregel ordnet auch die Nachtruhe der Mönche und
Nonnen. Der hl. Benedikt hatte als Grundgedanken festgelegt, daß von
Sonnenuntergang bis eine oder zwei Stunden nach Mitternacht geschlafen
werden solle, wonach der Tag mit gemeinsamen Gebeten im Chor
der Klosterkirche zu beginnen hatte (= Vigil oder Mette). Dazu kam
im Sommer eine Ruhepause mittags, welche die jahreszeitlich bedingte
kürzere Dauer der Nacht ausglich und auch der im Mittelmeergebiet
– dem Entstehungsort der Benedikts-Regel – herrschenden Hitze Rechnung
trug. 54 Den Absichten Benedikts hingegen fremd war der nördlich
der Alpen entstandene Brauch, sich zwischen Vigil und Laudes (zu Sonnenaufgang)
nochmals niederzulegen. Diesen Frühschlaf erlaubte man
zunächst nur an bestimmten Feiertagen mit besonders langen und anstrengenden
Chorgesängen; später bürgerte sich diese Regelwidrigkeit
jedoch allgemein in den Benediktinerklöstern ein. Nur die streng gesinnten
Reform-Orden der Kartäuser und Zisterzienser vermieden konsequent
solche Bequemlichkeiten, die sie den Cluniazensern auch offen
zum Vorwurf machten. 56
52 Wibert von Nogent, De vita sua, lib. I, cap. 15, S. 109 u. S. 1 1 2 . – Einen
weiteren Fall eines von der Norm abweichenden Schlafrhythmus erwähnt Caesarius
von Heisterbach im Dialogus miraculorum, lib. V, cap. 32, S. 316. Es handelte sich
in dieser Episode um eine Frau, die sich nachts nie zur Ruhe zu legen wagte, bevor
nicht ihr Ehemann, ein Gewohnheitstrinker, von der Schenke heimgekehrt war.
53 ZIMMERMANN, Cura Corporis, S. 138.
54 ZIMMERMANN, S. 135 f. Zu den Methoden der Tageseinteilung siehe weiter
oben.
55 Ebenda, S. 137 f.
1 X 1 X
D D
2 X 2 X
D D
7 X
1 X
0
1 8 X
15 )(
14 )(
12 )(
6X
sx
3 h.20 4h.20 4h.40 5 h. 5h.20 5h.40 6 h. 6h.20 6h.40 7 h. 7h.20 7h.40
Abb. 8: Graphische Darstellung der Schlafdauer im Zisterzienserkloster Villers,
Sept. – Febr. 1267-68. Aus: A. d’HAENENS, La clepsydre de Villers,
in: Klösterliche Sachkultur des Spätmittelalters, Wien 1980.
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Abb. 9: Graphische Darstellung der Weckzeit im Kloster Villers,
Sept. – Fe br. 1267-68. Aus: A. d’HAENENS, La clepsydre.
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44 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
Eher zufällig sind aus dem Zisterzienserkloster von Villers bei Le
Havre (Dep. Seine) Schieferplatten mit Instruktionen für den Betrieb
einer Wasseruhr erhalten geblieben. Dieses archäologische FUndstück
hat es ermöglicht, die jeden Tag gemäß den liturgischen Vorschriften
ändernden Schlafzeiten dieser religiösen Gemeinschaft wenigstens für das
Winterhalbjahr 1267/68 (Sept. bis Febr.) exakt zu berechnen. 56 Danach
schwankte die nächtliche Ruheperiode zwischen 3 Std. 20 Min. und 7
Std. 40 Min. (vgl. Abb. 8). Am frühesten (Oh.20) erhoben sich die
Mönche am Weihnachtsabend, was auch unmittelbar einleuchtet. Am
meisten Schlaf gönnte man ihnen offenbar kurz vor St. Michaelis, welcher
im Heiligenkalender auf den 29. September festgesetzt ist; an jenem
Dienstag wurden sie erst um 5h.20 geweckt (vgl. Abb. 9). – Diese
teilweise unglaublich kurzen Ruhezeiten sind als eine Form der in den
Klöstern bis zum heutigen Tag geübten Askese zu verstehen. Das Aufstehen
und Beten mitten in der Nacht wurde aber im Mittelalter kaum direkt
mit dem Ideal der Abhärtung und des Verzichts auf irdische Genüsse
begründet; die Mönche und Nonnen fühlten sich vielmehr verpflichtet,
das ewige Gotteslob ( = Laus perennis) zu verwirklichen. Gerade in den
Klöstern müsse auch nachts und in der Morgendämmerung gebetet werden,
damit die Anbetung des Allerhöchsten auch zu Zeiten gewährleistet
sei, in denen die Laien noch tief schlafen. 57
Man kann sich gewiß vorstellen, wieviel Selbstüberwindung die genannten
Askeseübungen die Mönche und Nonnen kostete. Daher wurde
jeder aufs höchste bewundert, der sich beispielsweise noch weniger Ruhe
gönnte als in der örtlichen Klostergemeinschaft üblich war. In der beinahe
zeitgenössischen Lebensbeschreibung des hl. Bruno (gest. 965) wird
der Schlafverzicht des Kölner Erzbischofs dementsprechend heroisch dargestellt.
58 Ruotger erzählt, Bruno sei als Kanzler im Dienste seines Bruders,
des Kaisers Otto 1., so stark von Hofgeschäften in Anspruch genommen
worden, daß er nur selten Zeit für geistige Arbeit und Lektüre gefun-
56 Alle Angaben dazu nach A. d’HAENENS, La clepsydre de Villers, 1267, in: H.
APPELT (Hg.), Klösterliche Sachkultur des Spätmittelalters, Wien 1980, S. 321-342.
57 MOULIN, Vie quotidienne, S. 30, zitiert diesbezüglich den französischen König
Philipp August, der sich in einem Meeressturm auf die Schutzwirkung der in den
Klöstern auch für den Herrscher verrichteten Morgengebete verlassen habe: „Si nous
pouvons tenir jusqu‘ a l’heure des matines, nous sommes sauves, car !es moines commencent
alors l’office et se relaient pour nous dans Ia priere.“
58 Ruotger, Vita s. Brunoni, Archiepiscopi Colonienis. Ed. Irene OTT, MGH SS,
DER SCHLAF ALS ALLTAGSERFAHRUNG 45
den habe. Für persönliche Sammlung oder religiöse Meditation pflegte
der Heilige deshalb die frühen Morgenstunden zu benutzen und gab dann
der Verlockung zum Schlafe nicht nach. Der Biograph behauptet ferner
noch, der Bischof habe im Gegensatz zu den Hofgeistlichen sogar mittags
keine Ruhepause eingelegt, sondern gelesen. – Unschwer läßt sich in der
Schilderung Ruotgers Bestreben erkennen, den Bruder des Kaisers als
Heiligen zu zeichnen. Der Verzicht von Heiligen auf Teile ihrer Nachtruhe
oder die Bruno ebenfalls zugeschriebene Verachtung gegenüber einer bequemen
Lagerstätte stellt daher möglicherweise nur einen Topos dar,
welcher nach den Untersuchungen von ZÖPF schon im 10. Jahrhundert
sehr gebräuchlich war59 und auch in späteren Heiligenviten immer wieder
verwendet wurde. Es gibt aber durchaus hagiographische Texte von
dokumentarischem Wert. Als Beispiel einer besonders aussagekräftigen
Schilderung möchte ich hier die Biographie des Abtes Johannes von Gorze
(gest. 976) anführen. Darin wird unter anderem berichtet, der Selige
habe als Mönch extrem wenig geschlafen, in der Ruhezeit zwischen Nocturn
und Matutin eifrig wie eine Biene leise die Psalmen vor sich hergemurmelt
und Kniebeugen vor sämtlichen Altären gemacht; er sei im
Freien umhergegangen, ferner habe er wie unter Zwang Lichter kontrolliert
und geputzt und Netze geflickt, nur um dem Drang nach Schlaf
nicht nachgeben zu müssen.60 Die Genauigkeit dieser Beobachtungen
zeugt von der intimen Vertrautheit des Autors mit den Gewohnheiten
des Johannes; tatsächlich bestand zwischen den beiden Mönchen eine
persönliche Freundschaft, welche eine Schilderung ermöglichte, die weit
über das in der Hagiographie manchmal übliche Aneinanderreihen von
Topoi hinausgeht. Wichtig scheint mir jedenfalls, daß das Verhalten des
Johannes von Gorze ebenso wie dasjenige des Reichkanzlers Bruno in
den Augen ihrer Umgebung eine Ausnahmeerscheinung darstellte.
Für weniger heroische Charaktere dürfte die Anpassung an die klösterliche
Ordnung mit meistens kurzen und zudem sehr unregelmäßigen
Nova Series 10, Weimar 1951, S . 8 f. – Die Herausgeberin datiert diese Schrift zwischen
967 und 969.
59 L. ZÖPF, Das Heiligen-Leben im 10. Jahrhundert (=Beitr. zur Kulturgeschichte
des Mittelalters und der Renaissance 1) Leipzig 1908, S. 121 f. – Ruotger, Vita
Brunonis, S. 3 1 .
60 Johannes Abt von St. Arnulf, Vita Johannis de Gorze. Ed. G. PERTZ, MGH SS
4, 335-377; cap. 80, S. 259. – Diese Vita datiert L. ZÖPF zwischen 974 und 984.
46 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
Schlafzeiten wahrscheinlich mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden
gewesen sein. Als berufener Zeuge dafür kann Othlo von St. Emmeram
(ca. lOlQ-1070) gelten, aus dessen eigenen Erinnerungen im folgenden
zitiert wird:
„Es ist nämlich oft passiert, daß ich, wie die heilige Regel es vorschreibt,
mich beim ersten Glockenzeichen zur Matutin erheben
wollte; aber schon lange vor der Zeit des Aufstehens wurde ich durch
irgendein gespenstisches Gesicht aufgeschreckt und eilte in die Kirche.
Das hielt ich so lange für ein Werk Gottes, wie ich am zeitlich
passenden Schlaf gehindert und mich daher gezwungen fühlte, zur
Unzeit zu schlafen. Einige Jahre hindurch mußte ich aber auch folgendes
in den Nachtstunden erdulden: auf dem Lager schlief ich
noch einigermaßen gesund; als ich aber doch zum nächtlichen Lobgesang
aufstehen mußte, fühlte ich mich wie mit einer Fessel durch
eine Schwäche an allen Gliedmaßen festgehalten. Und so kam ich
nur mit schwerem, schleppendem Gang in die Kirche.“61
Aus diesem Geständnis spricht nun wirklich kein Heiliger, sondern ein
Mensch, der die harten Forderungen des hl. Benedikt am eigenen Leib
zu spüren bekam. Allerdings zweifelte Othlo den Sinn dieser Vorschriften
nie an, sondern verstand die erlittene Unbill gemäß den religiösen
Anschauungen seiner Epoche als eine Anfechtung des Teufels. Ähnlich
interpretierte auch der bereits früher erwähnte Abt Petrus Venerabilis
die Klagen seiner Untergebenen. Beispielsweise erzählte der schon
bejahrte Mönch Alger seinem Abt, er sei einmal durch ein höllisches
Täuschungsmanöver viel zu früh in der Nacht zum Chorgebet geweckt
worden. Ja, es schien Alger, wie wenn sich einige Mitbrüder ebenfalls
61 Othlo von St. Emmeram, Libellus de tentationibus suis et scriptis. PL 146, Sp.
29-50; 3 1 : Saepe namque contigit ut quia matutiniJ horü ad Jignum primum, Jicut
regula Jancta docet, volui ezJurgere, phanta&matico aliquo Jigno Ionge ante tempu&
Jurgendi ezcitatu.s, ad oratorium venirem feJtinuJ. Hoc etiam tamdiu credidi opu&
eJJe divinum, quouJque ez tempeJtivi Jopori& impendimento coactum me Jentirem
ad intempeJtivum. Patiebar et hoc per aliquot annoJ in nocturni& horis, ut licet
admodum JanuJ in lectulo dormienJ iacerem, cum ad matutinaJ /aude.s .surgere debe·
rem, quaJi compede quodam membrarum omnium conJtringerer debilitate: Jicque ad
eccle&iam mutanti et difficillimo greuu pervenirem. Übers. nach W. BLUM, Das
Buch von seinen Versuchungen, von den Wechselfällen seines Lebens und von seinen
Schriften ( =Aevum Christianum, Salzburger Beitr. zur Religions- und Geistesgesch.
des Abendlandes 13) Münster 1977, S. 34.
DER SCHLAF ALS ALLTAGSERFAHRUNG 47
von ihren Betten erhöben. Doch als er ins Freie trat und zum Gotteshaus
eilte, waren plötzlich keine Glocken mehr zu hören und auch das
Kirchenportal blieb verschlossen. Endlich kehrte er ins Dormitorium
zurück, wo er alle anderen Mönche in tiefstem Schlafe vorfand. Nach
Petrus‘ Erklärung des Vorgefallenen versuchten Dämonen, die Klosterleute
am Chorgebet zu hindern, denn wenn jemand zur Unzeit aufwachte,
so verschlief er umso sicherer das richtige Weckzeichen und konnte oft
kaum mehr munter gerüttelt werden. Die teuflischen Mächte vermochten
zwar den Seelen der Klosterinsassen wenig anzuhaben, sie rächten sich
aber, indem sie ihre Opfer mit körperlicher Mühsal quälten und oft genug
den Frieden im Dormitorium störten.62 – Die von Othlo und Petrus beschriebenen
Schreckreaktionen spiegeln vielleicht einen von übergroßem
Pflichtgefühl beeinträchtigten Schlaf wider. Mehrere moderne psychologische
Versuchsreihen haben ferner eindrücklich gezeigt, wie der Mensch
auf Schlafentzug reagiert. Dabei läßt sich die von Othlo eingestandene
Körperschwäche mit den von den freiwillig wachenden Testpersonen
beschriebenen Beschwerden der Bewegungsmuskulatur63 vergleichen,
während die Schwierigkeiten der Leiter von Experimenten, die Teilnehmer
mit mehreren Tagen dauerndem Schlafentzug auch wirklich wach
zu halten64, an die Anstrengungen der Cluniazenser-Mönche erinnern,
wenn sie einen nochmals eingeschlafenen Mitbruder zu wecken hatten.
Es verwundert kaum, daß die häufig extrem kurze Ruhezeit trotz
aller Selbstüberwindung und gegenseitigen Kontrollen auch tagsüber unerwünschte
Folgen zeitigte. Während des Chorgebetes döste so mancher
Religiose, der eben im Dormitorium den Schlaf mühsam abgeschüttelt
hatte, auf seinem Platz in der Kirche weiter und schlief stehend einfach
wieder ein. Caesarius von Heisterbach {ca. 1 180-1240) schildert bei-
62 Petrus Venerabilis, De miraculis, lib. I, cap. 17. PL 189, Sp. 882 f. – Eine
Segensformel, welche die höllischen Mächte vom Dormitorium abhalten sollte, findet
sich bei A. FRANZ, Die kirchlichen Benediktionen des Mittelalters, Freiburg i.
Br. 1904, Bd. 1, S. 637: Benedic(e), domine, hoc famularum tuorum dormitorium,
qui non dormi3 neque dormita3, qui cu3todis l3rael: famulo3 tuo3 in hoc habitaculo
quie3cente3 cu3todi ab inlu3ionibu3 fantaJmatici3 3atane, vigilante“ in precepti3
tui3 meditentur, dormiente3 te per 3oporem 3entiant et hic et ubique tue defen3ioni3
auzilio muniantur.
63 H. HUBER-WEIDMANN, Schlaf, Schlafstörungen, Schlafentzug, Köln 1976, S. 43
u. 49 ff.
64 Ebenda, S. 64 u. 69 sowie 85.
48 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
spielsweise einen älteren Mönch, der träumte, irgendein langer Kerl werfe
ihm einen Wisch Stroh ins Gesicht. Der Schläfer schreckte aus seinem
Traum auf und schlug dabei mit dem Kopf hart an die Chorwand an.65
So hatte der Mönch den Schaden und brauchte wohl – wie das Sprichwort
sagt – für den Spott seiner Mitbrüder nicht zu sorgen. In einer weiteren
Episode seiner Sammlung zeichnet der Zisterzienser ein ebenfalls sehr bezeichnendes
Bild der monastischen Disziplin. Von nächtlichem Wachen
offensichtlich erschöpfte Ordensleute vermochten der Predigt ihres Abtes
Gerhard nicht mehr zu folgen und fielen in einen leichten Schlaf. Der
Abt aber wechselte flugs das Thema und begann mit etwas erhobenen
Stimme vom sagenhaften König Arthur zu erzählen. Sofort erwachten
alle Anwesenden und hörten mit gespannter Aufmerksamkeit dem Abt
zu, der sie nun allerdings der Faulheit bezichtigte und ihnen mangelnden
religiösen Eifer vorwarf. 66
Vergessen wir nicht, daß in mittelalterlichen Klöstern keineswegs
nur erwachsene Mönche und Nonnen lebten, die mit den geforderten
Schlafunterbrechungen und Kürzungen je nach persönlicher Veranlagung
mehr oder weniger gut zurecht kamen, sondern auch zahlreiche Kinder.
Diese wurden von ihren Eltern, meistens Adligen, entweder zu
Erziehung- und Ausbildungszwecken im Kloster untergebracht oder als
Oblaten, d. h. als zukünftige Mitglieder der betreffenden Ordensgemeinschaft,
übergeben. Hinter diesem Brauch stand zunächst das Bedürfnis
der Adelsfamilien, ihre jüngeren Nachkommen standesgemäß zu versorgen
oder ihnen bei entsprechender Eignung auch eine geistliche Karriere
zu ermöglichen. Ebenso wichtig, wenn auch heute weniger unmittelbar
verständlich, war der Wunsch, einen Fürbitter aus dem eigenen Blut im
Kloster zu wissen. Seit dem 12. Jahrhundert wurden solche Zwangseintritte
von Unmündigen jedoch seltener67, und allgemein schien man die
doch andersartigen kindlichen Bedürfnisse nun besser wahrzunehmen.
So empfahl der Dominikaner Vinzenz von Beauvais (gest. 1264) in einer
noch ganz in der monastischen Tradition stehenden Anleitung zur Erzie-
65 Caesarius v. Heisterbach, Dialogus miraculorum, lib. IV, cap. 34, S. 203.
66 Caesarius v. Heisterbach, Dialogus miraculorum, lib. IV, cap. 36, S. 205. – Zum
Problem der Trägheit und von melancholischen Verzagtheitszuständen im monastischen
Leben vgl. die Spezialstudie von S. WENZEL, The Sin of Sloth: Acedia in
Medieval Thought and Literature, Chapel Hili 21967.
67 ZIMMERMANN, Cura Corporis, S. 159 f.
DER SCHLAF ALS ALLTAGSERFAHRUNG 49
hung von Adelssprößlingen ausdrücklich, die jugendlichen Zöglinge mit
Studienstoff nicht zu überlasten und ihre Schlafzeiten vernünftig bzw.
ausreichend zu bemessen.68
Es stellt sich nun die Frage nach dem eigentlichen Zweck der Schlafaskese.
Auf Grund von verschiedenen Aussagen drängt sich die Vermutung
auf, man habe dem Schlaf in streng religiösen Kreisen allgemein
mißtraut, da sich in diesem Phänomen das, was heute von den Psychologen
das Unbewußte genannt wird, am ehesten bemerkbar machen
konnte. Am deutlichsten äußert sich in diesem Sinne Wilhelm von St.
Thierry (gest. vor 1199), der vom Mönch selbst im Schlaf noch Wachsamkeit
forderte, denn der Schlaf gleiche größtenteils der Trunkenheit.
Ähnlich wie der hl. Bernhard von Clairvaux, dessen Zeitgenosse er war
und dessen Vita er später noch schreiben sollte, verstand er die nächtliche
Ruhe als eine Zeitspanne, die keinen Nutzen bringe und in der auch die
Laster nicht bekämpft würden.69 Johannes von St. Arnulf wiederum berichtete
in der Lebensgeschichte des Abtes von Gorze, dieser habe ihm
einmal anvertraut, daß er vor allem den Morgenschlaf zu bekämpfen suche.
Aus alter Gewohnheit habe er nämlich den bösen Feind genährt ,
indem er nachts gewacht und dann lange in den Tag hinein geschlafen
habe. 70 Möglicherweise ging es dem Heiligen nicht nur um einen Hang zu
gewöhnlicher, aus monastischer Sicht negativer Bequemlichkeit, sondern
er fühlte sich vielleicht frühmorgens vermehrt durch sexuelle Bilder und
Empfindungen bedrängt.
Die negative Bewertung des Schlafzustandes ließ sich schließlich
auch mit biblischen Texten begründen. Christus tadelte ja die drei
Jünger, die mit ihm am Ölberg hätten wachen sollen, ausdrücklich wegen
ihres Schlafs (Mt. 26,40). In der christlichen Theologie entwickelte sich
daraus eine eigentliche Allegorie vom Sündenschlaf. So klagte Dhuoda,
68 Vinzenz von Beauvais, De eruditione filiorum nobilium. Ed. A. STEINER, Cambridge
Mass. 1938, cap. 17, S. 63 f.
69 Wilhelm von St. Thierry, Lettre d’or. Lat. franz. Ed. J. DECHANET, Paris
1975, cap. 135, S. 248. Der ehemalige Abt schrieb diesen Traktat 1144 nach einem
längeren Aufenthalt bei den Kartäusern von Mont-Dieu an seine Gastgeber, die er
in ihrem Ringen um eine wirklich geistliche Lebensführung unterstützen wollte. Für
Angaben zur Entstehungsgeschichte und allgemein zu Wilhelm von St. Thierry vgl.
Dechanet, S. 24 ff.
70 Johannes von St. Arnulf, Vita Johannis de Gorze, cap. 82, S. 360.
50 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
eine um das Seelenheil ihres Sohnes besorgte und außergewöhnlich gebildete
Frau in der Mitte des 9. Jahrhunderts über verstockte Sünder:
„Oh, der schwere und endlose Schlaf jener, welche böse leben
und keine Buße tun, sie gehen hin zum Abgrund.“71
Der englische Gelehrte Radulfus Niger (gest. vor 1 1 90) verwendete in
einer theologischen Auslegung von der Befreiung des Apostels Petrus
{Acta apost. 12,1-8) ebenfalls diese Allegorie. Wie der gefesselte Petrus
im Kerker schlief und vom Engel geweckt wurde, so schläft auch der
Mensch in Sündenketten. Niger sieht die Seele befangen von Fleischeslust
und weltlichen Begierden sowie von Hochmut und Unwissenheit. Der
Kirche fällt die Aufgabe des Engels zu; sie rüttelt den Menschen wach
und bereitet ihn so auf einen guten Tod vor. Beim Sterben schließlich
verläßt die Seele den Körper, der ja nach alter, platonischer Auffassung
des Menschen Kerker ist. 72
2.3. SCHLAF IM SPIEGEL DES MITTELALTERLICHEN WISSENS
2.3.1. Schlaf im Volksglauben
Aus den bisherigen Ausführungen geht hervor, daß der mittelalterliche
Klerus und vor allem Ordensleute dazu neigten, den Schlaf negativ zu
beurteilen. Es wäre jedoch wohl falsch zu glauben, daß andererseits die
breite Masse der Laien ein ungebrochenes Verhältnis zu diesem Teil der
natürlichen Lebensprozesse gehabt hätte. Eine solche Zweiteilung läßt
sich allein wegen der starken Einflußnahme der Geistlichkeit auf das Denken
und Fühlen der Menschen nicht rechtfertigen. Als Beispiel für eine
durch die kirchliche Lehre geprägte Haltung mögen die Ermahnungen
der bereits erwähnten karolingischen Adligen Dhuoda dienen. Für den
in der Ferne weilenden Sohn schuf sie eine Art Handbuch der christlichen
Verhaltensweisen. Darin riet sie ihm, sein Leben zu einem einzigen
71 Dhuoda, Liber manualis ad filium suum. Ed. lat. franz. P. RICHE, Paris 1975,
cap. 5, S. 264: 0 Jomnum durum et inezcitabile hiJ qui nequiter uiuunt et abJque
poenitentiae fructum ad imma recurrunt! Übers. nach Riche. Der Herausgeber datiert
das Werk, welches der Gattung der Fürstenspiegel zuzählt, zwischen November
841 und Februar 843.
72 Radulfus Niger, Oe re militari et triplici via Peregrinationis Ierosolimitane. Ed. L.
SCHMUGGE (=Beiträge zur Geschichte u. Quellenkunde des Mittelalters 6) Berlin
1977, lib. III, cap. 27-33, S. 173-75.
DER SCHLAF ALS ALLTAGSERFAHRUNG 51
Gebet um Gottes Beistand zu machen. Indem die Mutter einzelne Gebete
formulierte, zeigte sie ihrem Kind auch konkret, wie man Gott um
seinen Segen anfleht. Der erste Teil des von ihr im Anklang an Psalm
16,8 formulierten Abendgebets lautet in deutscher Übersetzung:
„0 Herr, Du hast mich während des Tages behütet, bewahre mich
nun auch in dieser Nacht, wenn es Dein Wille ist. Möge ich es
doch verdienen, daß ich unter dem Schatten Deiner Flügel beschützt
werde; es erfülle mich der Heilige Geist, es verteidige mich Deine
königliche Macht und es umgebe mich eine Schar wachender Engel,
so daß ich diese Nacht, in der ich ein wenig Ruhe suche, den Frieden
des Schlafes finde. Und wenn ich dazwischen aufwachen sollte, so
laß mich fühlen, daß Du mich beschützest während des Schlummers,
o Herr, der Du dem seligen Jakob einst auf der Leiter als Retter
erschienen bist.“73
Der Schluß dieses Gebetes besteht dann noch in einer längeren Anrufung
des Kreuzes Christi, wobei der Sohn angewiesen wird, das Kreuzzeichen
während des Sprechens auf seine Stirn zu machen und auch das Bett mit
dieser Gebärde zu segnen.
Vielleicht darf man, ohne Dhuodas persönliche Religiosität in Zweifel
zu ziehen, hinter diesem Ritual noch etwas anderes suchen als nur
die tiefe christliche Gesinnung. Die hier angedeutete Befangenheit gegenüber
dem Schlaf zeugt meines Erachtens auch von der konkreten Unsicherheit
der mittelalterlichen Lebensverhältnisse. Die Nacht brachte
reale Gefahren wie Feuersbrunst oder Uberfall mit sich und wurde als
bedrohliche Phase verspürt. Daher lag es nahe, die diesbezüglichen
Gefühle der Furcht und Angst auf den Schlaf selber zu übertragen, dies
umso eher, weil ja im Schlaf auch die Abwehrbereitschaft nicht mehr
gewährleistet ist. Wer sich aber im entscheidenden Moment nicht wehren
konnte, war wohl bald einmal verletzt oder tot.74
73 Dhuoda, Liber Manualis, S. 128: Cu&todi me, Domine, per diem, cu&todi me in hac
nocte, &i iube&, et &ub umbra alarum tuarum mererar e&&e protectus, Spiritu Saneta
repletu&, munimine regio &eptu& angelorumque cu&todia circumdatus, ut in hac nocte,
quamui& parum quie&cen&, &omnum capiam pacü; et &i quando evigilavero, infra te
per &oporem &entiam cu&todem, qui beato Iacobo innizum apparuisti &calae Salvator.
Übers. d. Verfasserin.
74 Ferner ist die Unbeweglichkeit des Körpers im Schlaf ein altes Sinnbild für den
Tod; der Ruf von nachtaktiven Vögeln wie Uhu und Waldkauz wird über die Asso52
ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
Die allgemein eher mißtrauische Haltung gegenüber der nächtlichen
Erholungsperiode wurde durch die wahrscheinlich bei allen Menschen
gelegentlich auftretenden Schreckträume noch verstärkt. Dieses Phänomen,
das inhaltlich in anderem Zusammenhang diskutiert werden soll,
wurde im Mittelalter meistens auf den Einfluß des Teufels zurückgeführt.
Hildegard von Bingen zog als Ratgeberio zusätzlich auch physische Gründe
in Betracht. In einem Brief an einen von schweren Träumen und
nächtlichem Aufschrecken gequälten Priester, dessen Name nicht überliefert
ist, diagnostiziert sie als Grund dieser Beschwerden ein Ungleichgewicht
der vier Körpersäfte. Trotzdem verschreibt sie ihm nicht etwa
eine entsprechende Therapie, sondern empfiehlt dem Manne, abends vor
dem Einschlafen den Prolog des J ohannesevangeliums zu lesen. Danach
möge er die Hand aufs Herz legen und ein von Hildegard für seinen ganz
persönlichen Gebrauch gedichtetes Stoßgebet sprechen:
„Herr, allmächtiger Gott, in der Fülle Deiner Güte hast Du mich
durch den Hauch des Lebens erweckt. Bei dem hochheiligen Gewand
der so zarten menschlichen Natur, mit der sich Dein Sohn
um meinetwillen bekleidete, beschwöre ich Dich: Laß nicht zu, daß
ich weiter von der Bitterkeit dieser Unruhe gepeinigt werde, sondern
um der Liebe Deines eingeborenen Sohnes willen befreie mich
von dieser Bedrängnis durch Deine erbarmende Hilfe und verteidige
mich gegen alle Nachstellungen der Geister in den Lüften.“ 75
Das Erwähnen von den Menschen offenbar feindlich gesinnten Luftgeistern
beweist zur Genüge, daß die Äbtissin den damaligen Dämonenglauben
durchaus teilte und den zeitgenössischen Anschauungen verhaftet
blieb.
ziationskette Schlaf und Nacht vielerorts heute noch als Ankündigung eines baldigen
Trauerfalls verstanden. Auf diese mehr ins Gebiet der Volkskunde und Psychologie
gehörende Diskussion der Todessymbolik kann hier nicht näher eingegangen werden.
75 Hildegards Briefwechsel übers. von Adelheid FÜHRKÖTTER, Salzburg 1965,
Werke Bd. 5, S. 183. Lat. Text in P. DRONKE, Woman Writers of the Middle Ages:
a Critical Study of Texts from Perpetua to Marguerite Porete, Garnbridge Univ.
Press 1984, S. 261 f.: Dominu3 deu3 omnipoten3, qui in plena bonitate tua 3piraculo
me vite 3Ußcita3ti, per 3ancti33imum indumentum miti33ime humanitati3 filii tui –
quam propter me induit – ob3ecro, ne parciarü me ulteriu3 huiu3 inquietationi3
amaritudine torqueri, 3ed, propter amorem unigeniti filii tui, auzilio mi3ericordie
tue me ab üta fatigatione libera, et ab omnibu3 in3idii3 aeriorum 3pirituum defende.
DER SCHLAF ALS ALLTAGSERFAHRUNG 53
Diese Bemerkungen über die Angst erregenden Begleitumstände des
Schlafes lassen sich durch einen Blick auf die sogenannte Edelsteinlehre
sinnvoll ergänzen. Die Vorstellung, wonach gewisse Steine magische
Wirkkräfte besitzen sollen, geht auf die Antike zurück und war während
des Mittelalters ebenfalls stark verbreitet. In dem von Marbod ( 1 035-
1123), dem Archidiakon und späteren Bischof von Rennes, um 1090 nach
einer arabischen Vorlage verfaßten Versdichtung „De lapidis“76 werden
die verschiedenen Kraftwirkungen der einzelnen Edelsteine besprochen,
und dabei ist mehrmals auch von Schlaf und Traum die Rede. Dem
Ceraun (=Rubin) wird die Fähigkeit zugeschrieben, seinem Besitzer einen
süßen, erholsamen Schlaf und fröhliche Träume zu verschaffen. 77
Der Diamant soll neben vielen anderen guten Qualitäten auch die Eigenschaft
besitzen, daß er leere Träume und Alpdruck-Geister zu verjagen
vermag.78 Eine ähnliche Schutzwirkung gegen Schreckträume wird
dem in magischen Riten geweihten Jaspis zugesprochen. 79 Schließlich
stellt ein in Gold gefaßter und um den linken Arm getragener Chrisolyth
ebenfalls ein nützliches Amulett dar, welches unter anderem auch gegen
nächtliche Angstzustände zu helfen vermag.80
Während alle bisher genannten Steine zur Abwehr gegen die Schrekken
der Nacht dienen sollen, schneidet der Dichter mit seiner Bemerkung
über den Magnetit einen ganz anderen Themenkreis an. In seinen Versen
behauptet Marbod, daß der Magnetstein einem Mann helfen könne, die
wahren Gefühle seiner Ehefrau ausfindig zu machen. Wenn er nämlich
den Stein unter das Haupt der der Untreue verdächtigten Gattin schiebe,
so werde sie nicht etwa aufwachen, sondern, falls sie keusch geblieben sei,
in die Arme des neben ihr liegenden Gatten gleiten. Habe sie aber Ehebruch
begangen, so falle sie – wie von einer unsichtbaren Hand gestoßen
– aus dem Bett. Diese Reaktion werde von einem widerlichen Geruch
erzwungen, der als Anzeige des bisher verborgenen Verbrechens vom
76 Marbod, Liber de lapidis sive de gemmis. Ed. J. RIDDLE, in: Sudhaffs Archiv,
Beiheft 20, 1977.
77 Ebenda, S. 66: Et dulce& 30mno3 et 3omnia /aeta mini3trat.
78 Ebenda, S. 35: Et noctü lemure3, et 3omnia vana repelit.
79 Ebenda, S. 41: Tum consecratu3 gratum facit atque potentem/ Et 3icut perhibent,
fanta3ma no:r:ia pel/it.
80 Ebenda, S. 49: E33e philacterium fi:r:u3 perhibetur in auro.j Contra nocturnos
forti3 tutela timore3.
54 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
Magnetit ausgehe. 81 Der Glaube an dieses seltsame Testverfahren läßt
sich bis in die Antike zurückverfolgen und steht im Zusammenhang mit
der schon damals beobachteten Anziehungskraft, welcher der Magnetit
auf eiserne Gegenstände ausübt. Aufgrund eines Analogieschlusses
entstand dann im Volksglauben die Vorstellung, daß diese dem Mineral
innewohnende Eigenschaft die natürliche Anziehung zwischen liebenden
Gatten verstärke und sichtbar mache.82 Woher Marbod die Idee eines
abstoßenden Geruches nimmt, bleibt jedoch unklar.
Ähnliche magische Vorstellungen, wie sie über Edelsteine verbreitet
waren, herrschten auch in bezug auf Pflanzen und Tiere. Albertus Magnus
(1193?-1280) galt lange Zeit als Autor einer anonymen Schrift mit
dem Titel „Liber aggregationis“. Die Albertus fälschlicherweise unterschobene
Schrift enthält Beschreibungen von geheimnisvollen Kräften in
Steinen, Pflanzen und Tieren, von denen hier wiederum nur diejenigen
Aussagen, welche sich auf den Schlaf beziehen, kurz referiert werden.
So eignete sich beispielsweise die Lilie für Schadenzauber: Nach Anwendung
bestimmter Zubereitungsrituale wurde sie dem Opfer mit der
Nahrung eingegeben und sollte dann dessen Schlaf stören und Fieber
erzeugen. Im Kuhstall angewandt, konnte sie die Milchproduktion der
Tiere zum Erliegen bringen.83 Dem Hyazinthus-Stein (=Saphir) wird
nachgesagt, daß er den Amuletträger wegen der von ihm ausgehenden
Kälte schläfrig mache. 84 Beim Magnetit finden wir die schon bei Marbod
besprochene Keuschheitsprobe verzeichnet, und zudem soll er – pulverisiert
und auf glühende Kohlen gestreut – schlafende Menschen von ihrem
Lager vertreiben, was sich Diebe öfter zu Nutze machen würden.85 Im
81 Mabod, S. 58: Nam qui $eire cupit $Ua num $it adultera conjuz,/ Suppo$itum
capiti lapidem $tertentü adaptet;/ Moz quae Ca$ta manet petit amplezura maritum,/
Non tantum evigilan$. Cadit omni& adultera lecto,/ Tanquam pul$a manu, $Ubito
fetore coa.cta,/ Quem lapü emittit celati crimini1 indez.
82 Vgl. dazu Paulys Realenzyklopädie der klassischen Altertumswissensd:J.aften. Hg.
W. KROLL, 27. Halbband, Stuttgart 1928, Sp. 484, Stichwort Magnet: ROMMEL.
83 Liber aggregationis – The Book of Secrets, Ed. M. BEST – F. BRIGHTMAN,
Oxford 1973, S. 1 1 . Die Herausgeber weisen diesbezüglich in einer Anmerkung auf
die schon seit alters her bekannte herzanregende Wirkung von Derivaten der Liliengewächse
hin.
84 Liber awegationis, S. 47.
85 Ebenda, S. 26. auch diese Idee stammt aus der Antike. Vgl. dazu Paulys Realenzyklopädie,
27. Halbband, Sp. 484, Magnet: ROMMEL.
DER SCHLAF ALS ALLTAGSERFAHRUNG 55
Hause aufgehängte Federn aus dem rechten Flügel der Amsel hätten nach
diesem Traktat die Kraft, das natürliche Schlafbedürfnis der Bewohner
dramatisch zu reduzieren. Lege man hingegen das Herz eines solchen
Vogels unter das Kopfkissen eines beliebigen Menschen, so werde der
Schläfer mit lauter Stimme alle seine Missetaten bekennen.86 Schließlich
soll der Amiant, ein gelbliches und wegen seiner haarfeinen Kristallnadeln
an ein Tierfell erinnerndes Gestein, die Gabe der Prophezeiung und
der Traumdeutung verleihen sowie allgemein Einsicht in schwierige Probleme
schenken. 87
Das Vertrauen in die Geheimkräfte alltäglicher Gegenstände und die
mit ihrer Anwendung praktisch immer verbundenen magischen Praktiken
mögen heute von kirchlichen Kreisen als Aberglaube kritisiert und
von der Allgemeinheit im Gefolge der Aufklärung belächelt werden. Solche
Gedanken lebten aber, wenn auch zum Teil in leicht modifizierter
Form, während der gesamten Neuzeit weiter.88 Obwohl hier nicht
näher auf das Problem der Wirksamkeit magischer llituale und Beschwörungsformeln
eingegangen werden kann, möchte ich trotzdem auf
das psychologische Konzept der Suggestibilität verweisen, das viel zur
Erhellung solcher Phänomene beitragen dürfte.
2.3.2. Der Schlaf in der medizinischen Lehre von den vier Körpersäften
Nach der Jahrtausendwende entwickelte sich die Medizin, die während
des frühen Mittelalters nur noch in einigen Klöstern praktiziert worden
war, langsam wieder zu einer theoretisch fundierten und zunehmend
auch von der Kirche unabhängigeren Wissenschaftsdiziplin. Durch Vermittlung
von Gelehrten aus dem islamischen Kulturraum gelangten bisher
verschollene antike Texte, darunter auch medizinisches Schriftgut,
nach Europa. Die Erkenntnisse von hervorragenden Ärzten wie Hippokrates
und Galen wurden an den neu entstehenden medizinischen Ausbildungsstätten
gelehrt; sie bildeten bis weit in die Neuzeit hinein die
Grundlage für das ärztliche Handeln.
86 Ebenda, S. 60.
87 Ebenda, S. 32.
88 Zum Glauben an magische Rituale und dessen Verhältnis zur christlichen Religion
während der frühen Neuzeit vgl. das Standardwerk von K. THOMAS, Religion and
the Decline of Magie, London 21971.
56 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
Als einer der frühesten Vermittler zwischen arabischer und christlicher
Welt gilt Constantinus Africanus (gest. 1087). Constantinus war
jahrzehntelang als Kräuterhändler tätig und bereiste in dieser Eigenschaft
das ganze Mittelmeergebiet und den vorderen Orient. Nach einem
Aufenthalt in Salerno, dem frühesten europäischen Zentrum medizinischer
Bildung, ließ er sich taufen und trat als Laienbruder in den
Benediktinerorden ein. In seinen letzten Lebensjahren hielt er sich nachweislich
im Kloster Montecassino auf. Wahrscheinlich am selben Ort
bearbeitete er im Sinne freier Übertragungen ins Lateinische die Werke
griechischer und arabischer Ärzte. 89 Die von den Ärzten des Altertums
in Anlehnung an die vier Urelernente Feuer, Erde, Luft und Wasser aufgestellte
Säftelehre ermöglichte unter anderem auch eine einfache Theorie
des Schlafes.90 Solche Erklärungen finden sich in der uns interessierenden
mittelalterlichen Epoche bereits bei Constantinus, der sie aus
der sogenannten „Dispositio regalis“ des Ali ihn al Abbas übernommen
hatte. Danach würde der Schlaf durch Dämpfe ausgelöst, welche aus
dem Körper ins Gehirn aufsteigen und sich hier als Feuchtigkeit niederschlagen.
Der Schlaf stehe in einem ursächlichen Zusammenhang mit
der Verdauung von Nahrung, denn die dazu benötigte Wärme werde aus
den Extremitäten in den Leib zurückgezogen. Der Bewegungsapparat
und die Sinnesorgane müßten daher während dieser Zeit ruhiggestellt
werden. Die zweite Funktion des Schlafes besteht für Constantinus dann
ausdrücklich in der allgemeinen Erholung und körperlichen Regeneration.
91
Auf die klassische Humorallehre stützte sich ferner der bereits im
Zusammenhang mit dem klösterlichen Schlafrhythmus erwähnte Abt
Wilhelm von St. Thierry in seinem um 1130 geschriebenen Traktat „De
natura corporis et animi“ . Obwohl Nichtmediziner, erklärte er den Schlaf
ebenfalls mit Dämpfen, die aus dem Verdauungsprozeß stammen sollen
und das Hirn gewissermaßen einnebelten. Alle Sinne würden dadurch
zur Untätigkeit gezwungen; nur die Lebenskraft, eine Art Grundsinn,
89 LMA, Bd. 3, S.171: H. SCHIPPERGES.
90 Eine knappe, aber nützliche Zusammenfassung der medizinischen Schlaftheorien
dieser Zeit bietet F. KUHLEN, Zur Geschichte der Schmerz·, Schlaf- und Betäubungsmittel
in Mittelalter und der frühen Neuzeit, Stuttgart 1983, besonders S. 24-36.
91 Constantinus Africanus, De communibus medico cognitu necessariis locis. Druck
Heinrich Petrus, Basel 1539, lib. V, cap. 33, Oe somno et vigiliis, S. 137 f.
DER SCHLAF ALS ALLTAGSERFAHRUNG 57
sei noch aktiv bzw. wach. In diesem Zustand betrachte die Seele V ergangenes,
Gegenwärtiges und Zukünftiges; aus dieser Schau entstehen
dann nach Wilhelms Auffassung die Träume.92
Hildegard von Bingen formulierte in ihrem medizinischen Hauptwerk
„Causae et curae“ eine durchaus eigenständige, nicht direkt auf die
Säftelehre bezogene Schlaftheorie. Das Fleisch, aus dem der menschliche
Körper hauptsächlich besteht, wird nach ihrer Ansicht immer wieder
neu aus der Nahrung gebildet. Parallel dazu benötige auch das Knochenmark
eine Regeneration bzw. Neubildung, welche während des Schlafes
stattfinde. Die dem Menschen von Gott schon im Mutterleib gegebene
Seele wird von Hildegard als eine Art Steuerungsinstanz für alle vegetativen
Prozesse verstanden. Nach dem ermüdenden Tagwerk soll sich die
Seele ins Körperinnere bis zu den Schenkeln hinunter zurückziehen und
einen süßen Wind aus dem Mark ins Gehirn senden, so daß dessen Aktivitäten
während des Schlafes eingestellt werden. Die Seele regeneriere
dann das Mark, die Knochen, das Blut und den gesamten Körper.93 Die
Empfindungsfahigkeit, aber auch alle Gedanken und Gefühle sind nach
Hildegards Konzept im Schlaf ausgeschaltet; nur die Atemtätigkeit geht
wie im Wachen gleichmäßig weiter. Der ständige Wechsel von Schlafen
und Wachen wird in Beziehung gesetzt mit anderen in der Natur
beobachtbaren Rhythmen, wie etwa das jährliche Grünen und Ausschla-
92 Wilhelm von St. Thierry, De natura corporis et animi. PL 180. lib. I, Sp. 698.
93 Hildegard von Bingen, Causae et curae. Ich paraphrasiere die dt. Übersetzung
von H. SCHIPPERGES, Heilkunde, Salzburg 1957, S. 127 f. u. 152. – An dieser
Stelle kann darauf hingewiesen werden, daß die Diskussion über den Zweck von
Schlaf und Traum heute durch die biochemische Forschung einerseits und die unter
Laborbedingungen durchgeführten Experimente zum Schlafverhalten andererseits
neue Dimensionen erhalten hat, daß aber zu diesem ganzen Themenkreis endgültige
Ergebnisse noch keineswegs vorliegen. Zur Funktion des Schlafes bestehen nach Th.
RILEY, Clinical Aspects of Sleep and Sleep Disturbance, Boston 1985, Introduction
S. 4 ff., im wesentlichen zwei Erklärungsmodelle, welche sich gegenseitig vielleicht
weniger ausschließen als ergänzen und die intuitiven Erkenntnisse der Hildegard von
Bingen zu bestätigen scheinen. Die sogenannte Restaurationstheorie untersucht die
während des Schlafes in erhöhtem Maße stattfindenden Stoffwechselvorgänge, welche
dem Aufbau des Körpergewebes dienen. Das als ethologische oder konservative
Theorie bekannte Modell betont die zumindest in einer wenig zivilisierten Umwelt
für die Überlebenschancen des Menschen notwendige Anpassung an den natürlichen
Tagesrhythmus von Licht/Dunkel und Wärme/Kälte.
58 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
gen der Pflanzen nach der Ruheperiode des Winters. Ebenso vergleicht
die Äbtissin die Sonne mit dem wachen Bewußtsein und den Mond mit
der Seele. Daher glaubt Hildegard ähnlich wie schon Wilhelm von St.
Thierry, daß die Seele einen Menschen von klarer und guter Gesinnung
die Wahrheit sehen lasse, so wie der nicht durch Wolken verhüllte Mond
den Weg zeigt.94
Der von den meisten mittelalterlichen Medizinern beschriebene Zusammenhang
zwischen Schlaf und Verdauung beruht wohl auf der alltäglichen
Erfahrung, daß man nach einer reichlichen Mahlzeit schläfrig
wird und ziemlich leicht einnickt. Aus derartigen Beobachtungen und
den theoretischen Grundlagen der Humorallehre ließen sich dann konkrete
Ratschläge für das persönliche Verhalten ableiten. Solche Anweisungen
zu Ernährung, Schlaf und Bewegung wurden beispielsweise Kaiser
Friedrich Il. 1227 anläßtich eines geplanten Kreuzzuges ins Hl. Land
überreicht.95 In der Schrift des Adam von Cremona heißt es unter anderem,
daß, wenn sich der Schlaf nach zu üppigem Essen nicht einstellen
wolle, ein Spaziergang oder ein Glas guten Weins bald Abhilfe schaffe.
In schwereren Fällen empfiehlt der Autor dem Kaiser heißes Wasser oder
sonst ein Brechreiz erregendes Getränk zu sich zu nehmen, um so den
Magen zu entlasten. Von der Milch wird in diesem Zusammenhang warnend
gesagt, daß sie schwer auf dem Magen liege und direkt nach ihrem
Genuß weder körperliche Betätigung noch Schlaf geraten seien. Ferner
benötigten die Speisen eine gewisse Zeitspanne, bis sie im Verdauungsapparat
angelangt seien. Deshalb solle man sich auch nicht sofort nach
dem Abendessen zu Bett legen, sondern die natürliche, schlaffördernde
Wirkung der Verdauung abwarten. Andernfalls dürfe man sich nicht
wundern, wenn man sich schlaflos hin und her wälze.96 Diese medizinische
Anschauung zeitigte zudem einige Folgen für die Festlegung der
94 Hildegard, Heilkunde, S. 152 u. 154. – Für die Beurteilung der hier angesprochenen
Träume durch die mittelalterli<hen Theologen und Mediziner siehe unten, Kapitel 3
der vorliegenden Arbeit.
95 Adam von Cremona, Regimen iter agentium vel peregrinantium. Ed. F. HÖNGER,
Diss. med. Leipzig 1913. Bei dieser Schrift handelt es sich meines Wissens
um den ersten Gesundheitsführer, welcher direkt in lateinischer Sprache verfaßt
wurde. Als Vorbild diente möglicherweise der ebenfalls für einen Fürsten geschriebene
hebräische Ratgeber des Maimonides, siehe dazu oben, Kapitel 2.2 der vorliegenden
Arbeit.
96 Adam von Cremona, Regimen iter agentium, S. 21 f., 32 und 46.
DER SCHLAF ALS ALLTAGSERFAHRUNG 59
idealen Schlafposition, die von Adam ebenfalls besprochen wird. So rät
er dem Kaiser, sich zuerst halbaufgerichtet auf die rechte Körperhälfte
zu drehen und mit erhobenem Kopf, aber trotzdem gut zugedeckt, einzuschlafen.
In einer zweiten Phase der Nacht, die „post longam horam“,
also wohl bis zum Morgengrauen dauert, drehe sich der Schläfer besser
auf die linke Seite und im letzten Abschnitt der Ruhezeit wieder nach
rechts. Ferner preist Adam noch die Bauchlage, die ihm für die Verdauung
besonders förderlich zu sein scheint.97
Die am weitesten ausgearbeitete Theorie über den Schlaf stammt
von Albertus Magnus (1 193?-1280). Seine Studien sind betitelt mit
„De somno et vigilia“98 und beruhen weitgehend auf dem gleichnamigen
Werk des Aristoteles sowie auf Beiträgen von Denkern aus dem islamischen
Kulturraum. Albertus nennt diese Quellen selbst in der Einleitung
zum ersten Buch. Im Sinne einer vorläufigen Definition wird
der Schlaf als Privation des aktiven Handeins angesehen.99 Das Wachen
beschreibt Albertus dann komplementär dazu als Zustand, in dem der
Mensch ständig auf äußere Reize reagiert. Die Verbindung von Körper
und Seele zu einem lebendigen Organismus bilde eine notwendige Voraussetzung
für Wachen und Schlafen, was nur bei Mensch und Tier, nicht
jedoch in der Pflanzenwelt zu finden sei.100 Albertus möchte den Schlaf
als Ermüdung der Sinne deuten, wobei unter Sinne die Befehlsträger
(= Nerven?) und nicht das ausführende Organ zu verstehen seien.101
Der Wechsel von Wachen und Schlafen beruhe nicht auf Zufall, sondern
spiegle die Tatsache, daß die höheren Lebewesen primär auf Außenreize
und die entsprechenden Reaktionen angelegt seien; zuviel Schlaf wäre
deshalb kaum von Gutem. Nach der Säftelehre werden Nahrung und
Wärme durch das Blut in die äußeren Körperzonen transportiert; diese
zentrifugale Bewegung entspräche dann dem Wachzustand des Menschen
97 Adam von Cremona, S. 46 ff. – Eine ausführliche Erörterung der Frage, auf welcher
Seite man ruhen solle, findet sich beim Mediziner Petrus Aponus (Pietro d’Abano)
als Differentia 123 des „Conciliator differentiarum philosophorum et medicorum“, S.
180 ff. Die Universitätsbibliothek Basel stellte mir freundlicherweise einen Mikrofilm
des Drucks Venedig 1520 zur Verfügung.
98 Albertus Magnus, Opera, Bd. 9, Ed. A. BORGNET, Paris 1890, S. 121-212.
99 Liber de somno et vigilia, lib. I, tract. 1, cap. 2, S. 123 f.
100 Ebenda, lib. 1,1, cap. 3, S. 125 f.
101 Ebenda, lib. 1,1, cap. 4, S. 127 f.
60 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
und dem Aufgang der Sonne.102 Die individuelle Verteilung der Säfte
erlaubt auch eine differenziertere Schilderung des Schlafes bei verschiedenen
Menschentypen und Situationen. Albertus charakterisiert zum
Beispiel die schlaffordernde Wirkung der körperlichen Arbeit und erklärt
aus der zur Kälte neigenden Grunddisposition des melancholischen Menschen
dessen Abneigung gegen den Schlaf. Kleinkinder hingegen schlafen
viel, weil Wärme und Feuchtigkeit, die sie zum Schlummern bringen,
natürliche Eigenschaften ihres Alters bzw. Reifezustandes seien. Der
Embryo im Mutterleib schläft nach Meinung des Albertus nicht. Es
handelt sich bei seinem Zustand eher um eine Art von Betäubung durch
das ihn umgebende Fruchtwasser. Ferner glaubt er, daß bei einer Neigung
zu epileptischen Anfällen solche Krämpfe häufiger im Schlaf103 als
während des Wachzustandes auftreten, was er wiederum auf die verdauungsbedingte
Ansammlung von Feuchtigkeit im Kopf zurückführt.
Die Bemühungen des Albertus Magnus, die zeitgenössischen Kenntnisse
über Mensch und Natur durch Beizug von Werken des Aristoteles
zu erweitern, wurden durch seine praktische Tätigkeit als Naturforscher
ergänzt. Er selbst nahm zwar meines Wissens keine systematischen Beobachtungen
zum Phänomen des Schlafes vor, doch forderte er Experimente
zur Bestätigung von theoretischen Aussagen, soweit dies durch
empirische Erfahrung möglich sei.10″ So erstaunt es nicht, daß in einer
kurz nach dem Tod des Albertus entstandenen Chronik ein Bericht
über ein schon ziemlich naturwissenschaftlich anmutendes Experiment
erscheint. Es wurde nämlich in Italien behauptet, daß der Stauferkaiser
Friedrich li. ( 1 212-1250) die Qualität der Verdauung zweier Männer
während verschiedener Tätigkeiten geprüft habe.105 Beiden Versuchspersonen
habe der Monarch zuerst eine reichliche Mahlzeit vorsetzen lassen
und danach den einen zu Bett geschickt, den anderen aber auf die Jagd
102 Ebenda, lib. I,1, cap. 5, S. 129 f.
103 Ebenda, lib. I,2, cap. 8, S. 150 f. Nach modernen medizinischen Erkenntnissen
treten epileptische Anralle tatsächlich gehäuft im Schlaf oder aber kurz nach dem
Aufwachen auf. Vgl dazu J. FINKE, Schlafstörungen als Symptom bei neurologischen
Erkrankungen; in: H. KAISER (Hg.), Der gestörte Schlaf: Genese und Therapie,
Köln 1975, S. 47-53; S. 52.
104 Ich zitiere Albertus nach J. PIEPER, Scholastik: Geschichte und Probleme der
mittelalterlichen Philosophie, München 21981, S. 105: „Experimentum solum certificat
in talibus“.
105 Salimbene de Adam, Chronica, Bd. I, S. 363.
DER SCHLAF ALS ALLTAGSERFAHRUNG 61
gesandt. Ob der ungewöhnlich gebildete und vielseitig interessierte Herrscher
wirklich am anderen Morgen persönlich die ausgeschiedenen Exkremente
begutachtet hatte, wie der ihm auch sonst nicht gerade freundlich
gesinnte Chronist behauptet, oder ob er dies seinen Leibärzten überließ,
kann hier nicht entschieden werden. Wesentlich bleibt an dieser Episode
zweifellos, daß im 13. Jahrhundert jemand auf die Idee kam, die Hypothese
von der verdauungsfordernden Rolle des Schlafes einem praktischen
Test zu unterwerfen, der übrigens diese Annahme auch bestätigt haben
soll.
Arnald von Villanova vertrat ebenfalls die Theorie, wonach der
Schlaf ursächlich mit der Verdauung verbunden sei. Die für die Umwandlung
der Speisen nötige Wärme werde aus den Extremitäten zurückgezogen.
Der Kopf und die Füße seien am weitesten vom Leib entfernt
und daher besonders kälteempfindlich. In seiner Eigenschaft als
königlicher Leibarzt rät Arnald deshalb seinem Herrn, diese Körperteile
beim Schlafen gut bedeckt zu halten.106 Im seihen, an den König von
Aragon gerichteten Traktat äußert sich der katalanische Arzt ferner zur
Frage der günstigsten Schlafposition. Im Einklang mit der geläufigen
Lehre sollen sich gesunde Menschen zunächst auf die rechte Seite legen,
was Arnald mit der Wärme der Leber begründet, welche in dieser Stellung
direkt unter dem Magen liege und so dessen Arbeit unterstütze.
Während des zweiten Teils der Nacht seien die Verdauungsprozesse hingegen
schon weitgehend beendet, und deshalb dürfe man auch schon
aufstehen. Derjenige, der jedoch noch weiterschlafen wolle, drehe sich
nun besser auf die linke Seite. Negativ beurteilt Arnald die Rückenlage,
denn in dieser Stellung könnten dem Schläfer die schleimigen Absonderungen
aus Nase und Mund ins Gehirn zurücklaufen, was die Gesundheit
ernstlich zu beeinträchtigen drohe. Die Bauchlage erscheint dem Arzt
auch nicht gerade vorteilhaft, da damit immer eine Verdrehung des Halses
einhergehe; doch für dieses Problem findet Arnald in der Verwendung
von zusätzlichen Stützpolstern eine befriedigende Lösung.
Interessant sind schließlich auch die Empfehlungen für den Fall, daß
sich der Monarch einmal überessen haben sollte. In dieser Situation
mache man zunächst einen kleinen Abendspaziergang und lege sich erst
nachher zu Bett. Um unangenehme Völlegefühle zu vermeiden, solle
106 Arnald von Villanova, Opera, Regimen sanitatis ad Regem Aragonensis, Basel
1585, s. 793.
62 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
der Schläfer jedoch das Haupt und den Oberkörper sehr hoch lagern.
Beim flachen Liegen belaste nämlich die Speise den Mageneingang, wodurch
Kopf und Geist gleichermaßen gestört würden.107 – Diese Gedankengänge
des katalanischen Mediziners bieten übrigens eine einleuchtende
und selten so deutlich formulierte Erklärung für die in mittelalterlichen
Buchmalereien und Wandfresken regelmäßig anzutreffenden Darstellungen
von Schläfern mit übertrieben hoch gelagertem Kopf. Durch
Kissen und Polster gestützt, nehmen die beispielsweise in Abb. 1 , 2 und
7 dargestellten Personen schon beinahe eine sitzende Haltung ein. Eine
solche Schlafposition mag zwar unseren Vorstellungen von Bequemlichkeit
sowie den modernen physiologischen Theorien kraß widersprechen,
sie ist jedoch auch durch die extrem kurzen Längenmaße von mittelalterlichen
Bettstellen belegbar.
Die bisher referierten Theorien über den Schlaf lassen sich ergänzen
durch eine Hypothese zur Traumentstehung eines anderen berühmten
Katalanen. Der Universalgelehrte Raimund Lull {1232-1316) äußerte
sich in einer 1310 als medizinisches Nachschlagewerk konzipierten Schrift
zur physiologischen Seite des Traumes, freilich ohne zu dessen moralischen
Problemen Stellung zu nehmen. Lull versteht die Wahrnehmungsprozesse
bei Mensch und Tier ähnlich wie Albertus als Reaktion auf
äußere Reize, oder genauer als von den speziellen Sinnesorganen empfangene
Bewegungen, die den Allgemeinsinn (= Nervensystem?) zu
ständiger Aktivität stimulieren. In einem nicht allzu tiefen Schlafe aber
soll dieser Allgemeinsinn immerhin zu einem schwachen Urteil befähigt
sein, was dem Zustand des Träumens entsprechen würde. Lull rückt
diesen Zustand in die Nähe des Wachens. Während dieser Phase versuche
der Allgemeinsinn wieder seine Tagesaktivität zu erreichen. Deshalb
sei dem Menschen in diesem Zustand eine gewisse Erkenntnis möglich,
welche in der Form von Traumbildern erlebt werde.108 Hier scheint ein
mittelalterlicher Gelehrter wiederum eine Erkenntnis der modernen psychologischen
Forschung vorauszunehmen; denn heute hat man empirisch
mindestens vier verschiedene Phasen des Schlafens mit wechselnder
Schlaftiefe nachgewiesen, wobei die Periode des intensiven Traumer-
107 Ebenda, S. 794.
108 Raimund Lull, Liber novum physicorum et compendiosum. Opera, Ed. H.
HARDA, CCCM 33, S. 78.
DER SCHLAF ALS ALLTAGSERFAHRUNG 63
lebens jeweils am Ende bzw. am Anfang eines solchen mehrphasigen
Schlafzyklus einsetzt und gegen Morgen auch an Länge zunimmt.109
Auch im Spätmittelalter diskutierten die Ärzte den Schlaf noch ganz
im Sinne der traditionellen Humorallehre. Der nachweislich gegen 1340
in Würzburg praktizierende Ortolf von Baierland110 glaubte wie seine
Kollegen an einen erkennbaren Zusammenhang zwischen Art der Erkrankung
und Charaktertyp, wobei Traumbilder und Schlafverhalten bei der
Diagnose hilfreich sein konnten. Den beim sanguinischen Typus gelegentlich
auftretende Blutübererfluß diagnostizierte er beispielsweise am
rotgefärbten, trübe eingedickten Harn. Der Phlegmatiker hingegen neige
zu einem Überfluß an wäßriger Flüssigkeit bzw. Schleim und scheide im
Falle der Krankheit weißen, zähflüssigen Urin aus; sein Puls gehe stark
und die Krise seines Befindens wird von Ortolf gegen Mitternacht erwartet.
Trotzdem könne dieser Patient meistens schlafen und seine Träume
handelten dann in irgendeiner Form von Wasser. Während der Choleriker
nach der Säftelehre im Krisenfall ganz allgemein von wunderlichen
Dingen träumen soll, erlebe der Melancholiker in seinen Nachtgesichten
schreckliche Szenen. Von allen vier Typen aber besitze der Phlegmatiker
das ausgeglichenste Gemüt und schlafe auch in gesunden Tagen viel.111
Aus der Säftelehre leitet der Mediziner den bereits bekannten Ratschlag
ab, nach dem Essen nicht sofort zu Bett zu gehen; zudem empfiehlt auch
Ortolf die Lage auf der rechten Seite. Die Begründung lautet bei ihm
wörtlich so: „daz dasz hertz, daz in der lenkken seiten ist, von vberfluzziger
speiz vnd tranck icht erstick von der füll.“ 112
2.4. Konkrete Schlafbeobachtungen
Neben dem Versuch von Arzten, aus konkreten Verhaltensweisen einen
Zusammenhang zwischen Schlaf und Verdauung herzustellen und ihn
109 Vgl. dazu H. HUBER-WEIDMANN, S. 1 1 f. und Rosalind CARTWRIGHT,
Schlafen und Träumen: Eine Einführung in die experimentelle Traumforschung, München
1982, 22 ff.
110 Vgl. dazu G. KALLINICH – Karin FIGALA, „Ortolf von Baierland“ ein Beweis
seiner Existenz; in: G. BAADER – G. KEIL (Hg.), Medizin im mittelalterlidJ.en
Abendland, Darmstadt 1982, S. 293-296.
111 Das Arzneibuch des Ortolf von Baierland. Ed. J. FOLLAN, Stuttgart 1963,
cap. 4 u. 5, S. 82 f.
112 Arzneibuch, cap. 1 5 , S. 87.
64 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
in die Tradition der antiken Humorallehre einzufügen, gibt es aus dem
Mittelalter eine Reihe weiterer Beobachtungen, welche die nächtliche Ruheperiode
betreffen. Solche Hinweise sind freilich eher zufälliger Natur;
wir verdanken sie weniger systematischen Untersuchungen als der schon
erwähnten Tatsache, daß mehrere Leute denselben Schlafraum benutzten.
In diesem Sinne muß man auch Berichte über das Schlafverhalten
hochgestellter Personen verstehen, die sich zwar gewiß ein eigenes
Zimmer leisten konnten, jedoch trotzdem nachts meistens einen treuen
Gefolgsmann oder einen Kämmerer bei sich hatten. Gestützt auf solche
Zeugen schreibt beispielsweise Einhard, daß Karl der Große in der Nacht
etwa vier bis fünfmal aufgewacht sei und sich dann jeweils vom Lager
erhoben habe. Am Morgen empfing der Herrscher schon beim Ankleiden
seine Freunde, aber auch Kläger und Bittsteller. Im Sommer schlief
er nach dem Mittagessen dann nochmals für zwei oder drei Stunden.113
Diese Schilderung stimmt erstaunlich gut mit dem typischen Schlafverhalten
eines älteren Menschen überein, als den Einhard den Kaiser ja
auch gekannt hatte.
Von einem Kammerdiener stammen wahrscheinlich die Informationen,
mit denen Widukind das Charakterbild des Sachsenkaisers Otto I.
(936-973) zu bereichern weiß:
„Deshalb ragte der König auch unter seinen Brüdern als der Tüchtigste
hervor; er zeichnete sich vor allem durch seine Frömmigkeit
aus und war in seinen Werken unter den Sterblichen der Beständigste;
zudem erwies er sich, abgesehen von dem Schrecken, der von der
Majestät ausgeht, als stets fröhlich und freigebig. Er schlief wenig
und im Schlaf redete er oft vor sich hin, so daß man ihn für wach
halten konnte, seinen Freunden schlug er nichts ab und Treue hielt
er über das menschliche Maß hinaus.“114
Von einem anderen Vertreter der Oberschicht, dem Kartäuser Abt Hugo
113 Einbard, Vita Caroli Magni. Ed. G. WAITZ, MHG SS in usum scbol. 25,
Hannover 81911, cap. 24, S. 29.
114 Widukind, Res gestae Saxonum, lib. II, cap. 36. Ed. P. HIRSCH, MGH SS in
usu scbol. 60, Hannover 11935, S. 97: lp3e denique dominuß regnum, fratrum natu
mazimu3 optimuß, in primiß pietate erat claruß, opere omnium mortalium con3tan·
tiuimuß, preter regia düciplinae terrorem ßemper jocunduß, dandilarguß, dormiendi
parcuß et inter dormiendum umper aliquid loquenß, quo eum 3emper vigilare aeßti·
meß, amicü nihil nequanß et ßupra hominem fide/i3. Übers. der Verfasserin.
DER SCHLAF ALS ALLTAGSERFAHRUNG 65
(ca. 114o-1200), der sich später als Bischof von Lincoln großes Ansehen
erwarb und 1220 kanonisiert wurde, heißt es ebenfalls, daß er im
Schlaf geredet habe. In der Hauptquelle zu seinem Leben, der Magna
Vita Hugonis erfahrt man diesbezüglich, er habe sich sehr wenig Ruhe
gegönnt und viel Zeit mit Gebet, Meditation und frommer Lektüre zugebracht.
U5 Der Autor beteuert dann nachdrücklich, daß jeder, der so wie
er selber Gelegenheit gehabt hätte, sich nachts über Hugo zu beugen,
dessen Seele für wach gehalten haben würde. Hugo repetierte nämlich,
was sein nicht von den Banden des Schlafes beeinträchtigter Geist ihm
eingab, d. h. sein stets waches Herz sprach immer wieder „Amen“ . Von
diesem zweifellos gottergebenen Mann, der auch tagsüber hundertmal
diese mystische Gebetsformel murmelte, hörte man selbst im Schlaf kein
anderes Wort. Ein solches Verhalten kontrastierte, nach der Meinung
des Adam von Eynsham, stark mit denjenigen Lauten und Ausrufen,
welche gewöhnliche Menschen nachts manchmal von sich geben. Bei einem
so frommen Menschen wie Hugo schien es dem Biographen sogar
angebracht, aus einem Ambrosianischen Hymnus zu zitieren:
„Wenn die Täuschungen der Sinne abgestreift sind,
träumt die Tiefe des Herzens von Dir.“ 116
Wann immer Hugo seinen geistlichen Mitbrüdern von seinen Träumen
und Gesichten erzählte, sah Adam die Wahrheit dieser Verse bestätigt.
Der im Schlaf erlebte heitere Friede, die himmlischen Erleuchtungen und
süßen Tröstungen spiegelten die absolute Lauterkeit von Hugos allgemeiner
Gesinnung. Der heutige Leser dieser Schilderung mag geneigt
sein, darin eine hagiographische Stilisierung oder Übertreibung zu sehen.
Trotzdem dürfte mindestens der Bericht über das nächtliche Amen
wegen seiner Detailliertheit der historischen Kritik standhalten. Für
115 Adam von Eynsham, Magna Vita s. Hugonis. Lat. eng!. Ed. Decima DOUIE
– H. FARMER 1962 (=Medieval Texts 1) London 1962, Bd. 1, lib. li, cap. 9, S. 74
f. – Der Autor, Adam von Eynsham, war Benediktinermönch und stand als Kaplan
in den Diensten des Bischofs, so daß er einige Zeit nach Hugos Tod dessen letzte Lebensjahre
aus persönlicher Kenntnis schildern konnte. Diesen günstigen Umständen
und Adams schriftstellerischer Begabung ist eine der wertvollsten und ‚realistischsten‘
Heiligenviten des Hochmittelalters zu verdanken.
116 Aus dem Hymnus „Deus creator omnium“, den die Kartäuser in ihr Brevier
eingefügt hatten. Lateinisch lauten die Verse bei Adam: Ezuta .fen.fu lubrico/ Te
cordi.f alta .fompnient.
66 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
die Glaubwürdigkeit Adams spricht ferner die psychologische Erkenntnis,
daß die Träume durch das Tagleben sehr wohl konditioniert werden
können.117 Wer sich die ständige stille Andacht zur Gewohnheit gemacht
hat, wird daher wenigstens zum Teil in diesem Sinne träumen und vielleicht
sogar entsprechende Gebetsworte murmeln.
Noch seltener als über hochgestellte Personen sind Informationen
über das Schlafverhalten einfacher Menschen. Dies trifft sogar für das
spätere Mittelalter zu. Bartholomäus Anglicus, ein englischer Franziskaner,
welcher seine groß angelegte Enzyklopädie kurz nach 1235 vollendet
haben dürfte, bemerkte darin nur ganz beiläufig, daß Knaben leicht erregbar,
unruhig und geschwätzig seien; ja ihre Unstetigkeit sei so groß,
daß sie selbst im Schlaf nicht still hielten.118 Eine Anekdote aus demselben
Werk, die unser Thema wenigstens streift, sei an dieser Stelle eingeflochten.
Bartholomäus erzählt nämlich auch von einem ihm persönlich
bekannten Adligen, welcher in einem melancholischen Wahnzustande befangen
war und glaubte, er sei kein Mensch, sondern eine Katze. Daher
bestand der Kranke darauf, sich nicht etwa auf seinem Lager, sondern
unter seiner Bettstatt zur Ruhe zu legen, damit er während der Nacht,
wie es sich für Katzen eben gehört, die Mäuselöcher in der Wand bewachen
könne.119
Wenn mehrere Personen in einem Raum schliefen, kam es leicht
zu gegenseitigen Störungen. Es war dabei nicht einmal nötig, daß jemand
im Schlaf sprach oder sich unruhig auf dem Lager hin und her
warf. Lautes und andauerndes Schnarchen konnte ebenfalls empfindlich
stören oder gar zu einem ernsten Problem werden. Einen solchen Fall
beschreibt jedenfalls der italienische Chronist Salimbene de Adam.120
In den Dominikanerkonvent zu Bologna war ein Jüngling eingetreten,
der, wie es sich bald herausstellte, übermäßig zu schnarchen pflegte. Da
117 Vgl. dazu etwa R. BOSSHARD, Traumpsychologie: Wachen, Schlafen, Träumen,
Frankfurt/Main 1983, S. 241.
118 Bartholomäus Anglicus, De proprietate rerum, lib. IV, cap. 5. Druck Heinrich
Knoblochtzer Heidelberg 1488. Datierung nach LMA, Bd. 2, S. 192 f.: Ch.
HÜNEMÖRDER – M. MÜCKSHOFF.
119 De proprietate rerum, lib. IV, cap. 11. Eine entsprechende Bettkonstruktion mit
hohen Beinen wird in Abb. 3 angedeutet. Sie schützte den Schläfer vor der Kälte und
Feuchtigkeit des Bodens.
120 Salimbene de Adam, Chronica, Bd. 2, S. 812.
DER SCHLAF ALS ALLTAGSERFAHRUNG 67
dies seine Mitbrüder, ob sie nun schliefen oder wachten, sehr störte,
schob man ihn aus dem gemeinsamen Schlafsaal in ein Nebengebäude
ab, welches zur Aufbewahrung von Holzscheiten und Pfählen diente.
Das Schnarchen des jungen Mannes war aber so durchdringend, daß
man ihn trotzdem noch im Dormitorium hörte. In der Folge erwirkte
eine Delegation der Klostergemeinschaft im Sommer des Jahres 1284
in der Gegenwart des Salimbene beim Ordensoberen in Parma die Ausstoßung
des Jünglings. Bevor man den Sehnareher jedoch zu seiner Mutter
zurückschicken konnte, wurde er nach Salimbenes Zeugnis durch Gebet
und Handaufiegung eines besonders frommen Mitbruders zur allgemeinen
Überraschung geheilt. Es ist natürlich im nachhinein nicht mehr
zu entscheiden, welche Ursachen das aufdringliche Schnarchen hatte. Es
konnte zum Beispiel von einem die Atmung behindernden Nasenpolypen
oder auch nur von einer ungünstigen Schlafposition des Jünglings
herrühren,121 die er dann wegen der Drohung des Ordensausschlusses
unwillkürlich aufgegeben hätte. Ebensogut könnte das Gebet des im
ganzen Kloster hoch angesehenen Mönches suggestiv gewirkt und das
habituelle Verhalten, d. h. die Schlafposition, wenigstens vorübergehend
beeinflußt haben. Im Falle einer Gewebswucherung ( = Polyp) würde
man hingegen vor einem echten Heilungswunder stehen. Dies scheint insofern
denkbar, als Salimbene ausdrücklich nicht nur die Schlagartigkeit,
sondern auch die Dauerhaftigkeit der Heilung bestätigt. Von diesem Tag
an habe der junge Novize stets friedlich und ruhig wie ein Murmeltier geschlafen
und sich später zu einem tüchtigen Ordenspriester und Prediger
entwickelt.
Auf eine vorwiegend theoretische Weise äußerten sich die mittelalterlichen
Schriftsteller zum Phänomen des Nachtwandelns. Am ausführlichsten
ist der Kommentar des Albertus Magnus, der sich dabei auf
Aristoteles‘ „Problemata“ berief, welche er allerdings nur in Auszügen
gelesen hatte.122 Schlafwandeln wurde gemäß der antiken Überlieferung
im wesentlichen gleich wie heute definiert: Schlafende Menschen führen
Handlungen aus, die normalerweise dem Wachzustand zugeordnet werden.
Nachtwandler gehen nach Schilderung des Albertus beispielsweise
121 Zu den Entstehungsfaktoren dieses besonders im leichten Schlaf auftretenden
Symptoms vgl. etwa N. FINK, Lehrbuch der Schlaf- und Traumforschung. München
21979, s. 185 u. 195 f.
122 Albertus Magnus, De somno et vigilia, lib. I, tract. II, cap. 5, S. 145 f.
68 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
herum, besteigen ihr Pferd, suchen ihre Feinde auf und töten sie vielleicht
sogar. Danach aber kehren sie in ihr Bett zurück, wo sie in aller
Ruhe weiter schlafen. Der Gelehrte will sogar persönlich jemanden beobachtet
haben, der sich auf die Fragen einiger Anwesender vom Bett
erhob, schlafend Antworten auf die gestellten Probleme gab und sich,
nachdem die Besucher den Raum verlassen hatten, wieder hinlegte und
weiterschlummerte, als ob nichts geschehen wäre. Albertus erklärt dieses
Phänomen dann als eine Art ausgelebter Träume. Die normalerweise
während des Schlafes im Leibesinneren konzentrierte Wärme werde
durch übermäßiges Essen, aber auch durch Fieberhitze so verstärkt, daß
auch die Glieder erwärmt und damit der taktile Sinn beziehungsweise
der Bewegungsapparat aktiviert würden. Man beobachte ja auch bei
fiebrig erkrankten Personen, daß sie im Schlaf um sich schlügen oder
laut redeten, selbst wenn sie dabei nicht aus dem Bett stiegen. Neben
rein körperlichen Ursachen könnten auch heftige Leidenschaften wie Liebessehnsucht
oder Haß in ähnlicher Weise wirken. Schlafwandler wären
zudem nach Meinung des Albertus keineswegs wache Simulanten, die nur
ihre Augen geschlossen hielten. Beweisen ließe sich dies seiner Ansicht
nach mit der Tatsache, daß sie ihre Angriffe auf ein beliebiges Objekt
zu richten pflegen, in welchem sie den Gegner ihres Traumes zu sehen
glauben. Dabei könne es sich um einen unbeteiligten Menschen, aber
auch um eine steinerne Säule oder ein Stück Holz handeln. In Befolgung
ihres Traumes, der sowohl wahr als auch falsch sein könne, würden
Schlafwandler manchmal in die Irre gehen oder brächen sich bei einem
Sturze sogar den Hals.
Ein Echo dieser aristotelischen Lehrmeinung findet sich übrigens
schon bei Caesarius von Heisterbach, der in seiner Wundersammlung
einen Novizen im Dialog mit einem älteren Mönch über Schlafwandler
berichten läßt.123 Gewisse schlimme Leute aus dem Ritterstand sollen
sich mitten im Schlaf bewaffnen, ihr Schwert gegen nur in ihrer Phantasie
vorhandene Feinde zücken und es mehrmals in die Wände stoßen,
bis sie völlig erschöpft seien. Danach würden sie sich wieder zur Ruhe
legen und wüßten am Morgen nichts mehr von ihrem merkwürdigen Verhalten.
Dieses aufa.Jlif‘ ge Vergessen der nächtlichen Geschehnisse findet
man auch im theoretischen Traktat des Albertus erwähnt.124 Hier wird
123 Caesarius von Heisterbach, Dialogus miraculorum, lib. V, cap. 33, S. 316.
124 Albertus, De somno et vigilia, lib. I, tract. 2, cap. 5, S. 145 f.
DER SCHLAF ALS ALLTAGSERFAHRUNG 69
allerdings behauptet, daß die Nachtwandler ihre Handlungen nur soweit
ignorieren, als sie morgens beim Aufwachen glauben, das Vergaugene
geträumt, nicht aber wirklich vollbracht zu haben. Die Traumbilder blieben
als Eindrücke in der Erinnerung erhalten, während die körperlichen
Bewegungen schon wegen der normalerweise nachts vorherrschenden Inaktivität
des Allgemeinsinns bezüglich der Rückmeldungen ins Gehirn
keinerlei Eindrücke zurücklassen würden. – Die moderne Schlafforschung
kann allerdings die Idee, das Phänomen stehe mit Träumen in ursächlicher
Beziehung, nicht bestätigen, denn echter Somnambulismus kommt
nur in den Phasen des Tiefschlafs, nicht aber in den Stadien mit lebhaftem
Traumerleben (sogenannter Rapid Eye Movements-Schlaf, abgek.
REM) vor und muß auf eine Störung der Steuerungsmechanismen
zurückgeführt werden, die Wachen und Schlafen regulieren.125 Die von
Caesarius geschilderte völlige Amnesie scheint hingegen mit modernen
Beobachtungen übereinzustimmen; dieses Vergessen kann vielleicht mit
der allgemein schlechteren Erinnerbarkeit aller nicht der sogenannten
REM-Phase zugehörenden psychischen Vorgänge während der Nacht
erklärt werden.126
Ein weiteres, vergleichsweise harmloses und durchaus alltägliches
Phänomen bildet das Bettnässen. Bereits Constantinus Africanus kannte
dieses Problem, das vor allem Kinder betrifft.127 Sie hätten einen besonders
tiefen Schlaf, und gemäß der Humorallehre herrsche in ihrem Körper
ein Übermaß an Feuchtigkeit vor. Aber selbst Erwachsene bzw. Personen
in schon vorgerücktem Alter seien vor solchen Mißgeschicken nicht
gefeit. Es handelt sich dabei nach Constantinus gleichfalls um ein UDgleichgewicht
der Säfte. Die Feuchtigkeit weicht nach dieser Anschauung
gewissermaßen die Blase auf. Für beide Patientengruppen empfahl
er eine medikamentöse Behandlung, die im wesentlichen Abführmittel,
in Wein gekochte Heilkräuter, äußerliche Anwendung von Salben und
die Verbreitung wohlriechender Kräuteressenzen und heißen Dampfes
im Schlafraum umfaßte. Obwohl rein körperliche Gründe wie chronische
Blasenschwäche, Altersinkontinenz oder gar Epilepsie auch heute für das
Bettnässen verantwortlich gemacht werden, kennt die moderne Psychologie
auch seelische Ursachen dieser Störung. Als Beispiel diene hier die
125 BOSSHARD, Traumpsychologie, S. 51.
126 Vg!. dazu FINK, Lehrbuch, S. 187.
127 Constantius Africanus, De morbibus cognatione, Jib. V, cap. 20, S. 120.
70 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
verzweifelte Suche von Kindern nach vermehrter Aufmerksamkeit und
Zuwendung ihrer Bezugspersonen.128 .
Ferner erwähnte Constantinus auch das nächtliche Aufsemecken von
kleinen Kindern. In diesem Zustande sieht der Betroffene nach Constantins
Schilderung aus wie ein Toter und starrt mit offenen Augen vor sich
hin. Seine Seele erträgt keine Störung und bedarf der äußersten Schonung.
Constantinus führte dieses seltsame Verhalten, sich auf Galen
berufend, auf eine Verstopfung des Gehirns zurück und schlug daher zur
Behandlung Arzneien mit erweichender Wirkung vor. Wenn auch dieser
Erklärungsversuch und die angewandte Therapie zeitbedingt waren,
so erstaunt doch die Genauigkeit der Symptombeschreibung. Im folgenden
sei zum Vergleich eine moderne psychologische Darstellung des
sogenannten ‚Pavor nocturnus‘ zitiert, den man hauptsächlich bei kleineren
Kindern beobachtet. Dieses Phänomen „tritt normalerweise nach
der ersten Stunde Schlaf auf, während sich das Kind im Tiefschlaf befindet
und beginnt mit einem markerschütternden Schrei. Das Kind sitzt
dann möglicherweise aufrecht im Bett mit weit offenen Augen, macht
jedoch nicht den Eindruck, als sei es bei vollem Bewußtsein. ( … ) Der
Zustand spricht nicht auf die Beruhigungsversuche und Besänftigungen
der Eltern an; er nimmt einfach seinen Lauf.“129 Der von Constantinus
nicht ausdrücklich erwähnte Schrei findet sich hingegen bei der andernorts
wörtlich zitierten Erzählung des Girolamo Cardano.130 Plötzliches
nächtliches Aufschreien ohne erkennbaren Sinngehalt, Herzklopfen und
Ansteigen der Atemfrequenz sowie die Tatsache, daß sich der junge
Cardano dabei erhob oder zumindest im Bett aufsetzte, erlauben hier
eindeutig die Diagnose „Pavor nocturnus“. Unter nächtlichen Schreckerlebnissen
litt nach eigenem Bezeugen auch Abt Wibert. Als Knabe sah er
in seinen Träumen oftmals Leichen, schrie vor Entsetzen und mußte vom
in der selben Kammer schlafenden Erzieher im Bett festgehalten und beruhigt
werden, ohne daß dessen Gegenwart die nächtlichen Angstanfa.Jle
hätte wesentlich mildern können.131 Auch Albertus beschrieb Kinder,
die im Bett und gewissermaßen wach Bilder vor sich sähen. Davon
sehr ersclueckt, suchten sie sich dann unter der Decke zu verbergen und
128 Vgl. dazu FINK, Lehrbuch, S. 188 f.
129 R. CARTWRIGHT, Schlafen und Träumen, S. 38 f.
130 Siehe oben, Kapitel 2.1 der vorliegenden Arbeit.
131 Wibert von Nogent, De vita sua, lib. I, cap. 15, S. 114.
DER SCHLAF ALS ALLTAGSERFAHRUNG 71
manchmal hätten sie sogar den Eindruck, es sei ihnen ein Schlag versetzt
worden.132 Solche theoretische Zeugnisse und vor allem die beiden autobiographischen
Berichte beweisen klar, daß Kinder im Mittelalter und
in der frühen Neuzeit psychologisch betrachtet identische Erfahrungen
machten wie ihre Altersgenossen in der heutigen Zeit.
Anders als die allein auf ihre eigene Beobachtungsgabe angewiesenen
Menschen von damals sieht sich die experimentelle Schlafforschung heute
im Stande, eine einigermaßen befriedigende Erklärungshypothese anzubieten.
In der Mehrheit der beobachteten Fälle fällt das Aufschrecken
mit dem Ende des ersten Schlafzyklus zusammen, wenn eigentlich die
Phase der raschen Augenbewegungen (REM-Schlaf) beginnen sollte. Dieses
Stadium beinhaltet, vereinfacht gesagt, die lebhaften Traumerlebnisse,
in der normalerweise auch Ängste verarbeitet und unter Kontrolle
gehalten werden können. Die neuere Forschung unterscheidet neben der
aktiven Traumphase noch mindestens drei weitere Schlafstadien, wobei
der Tiefschlaf die vierte Phase darstellt. In diesem Stadium stehen
offenbar die erlernten Kontroll- und Abwehrmechanismen nicht zur
Verfügung. Wenn ein Kind den Übergang (Durchlaufen der Phasen 4,
3 und 2) zur normalen Auftauchphase 1 , d. h. zum REM-Schlaf, nicht
schafft, sondern abrupt aufwacht, können deshalb sehr intensive Furchtgefühle
entstehen. Diese lösen dann den Schrei aus und setzen eine Kette
von physiologisch meßbaren Erregungsreaktionen in Gang, welche offenbar
häufig auch von halluzinierten, alptraumartigen Bildern begleitet
werden.133
* * •
Mit der Pflege von Kleinkindern und Säuglingen befassen sich naturgemäß
Frauen. Mütter und Ammen konnten aber im Mittelalter in der
Regel kaum je lesen oder sogar schreiben, so daß wir für Beobachtungen
des Schlafes dieser Altersgruppe wiederum auf die Ausführungen eines
Mediziners zurückgreifen müssen. 1473 erschien unter dem Titel „Ein
Regiment der jungen Kinder“ erstmals ein Handbuch zur Säuglingspflege
und Kindererziehung in deutscher Sprache.134 Dieses Werk des Augs-
132 Albertus, De somno et vigilia, lib. Il, tract. 2, cap. 4, S. 174.
133 FISCHER, et al. 1970; zitiert nach CARTWRIGHT, S. 38 ff.
134 Bartholomäus Mettlinger, Ein Regiment der jungen Kinder. Ich zitiere im Folgenden
den Druck von 1497 in Augsburg nach der Faksimile-Edition, Zürich 1976.
72 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
burger Arztes Bartholomäus Metttinger faßte zunächst das zusammen,
was Galen, die Araber, Constantinus Africanus und Metttingers früherer
Universitätslehrer in Padua, Paolo Bagellardo, zum Thema Kinderpflege
und Kinderkrankheiten geschrieben hatten. Neben dieser literarischtheoretischen
Überlieferung spiegeln die hier gesammelten Ratschläge
zweifellos auch konkrete Bräuche und Gewohnheiten wider, die Metttinger
während seiner medizinischen Tätigkeit kennengelernt hatte. Beispielsweise
durften seinen Ausführungen zufolge Säuglinge nur nach einer
längeren Schlafperiode gebadet werden, und man sollte sie weder
kurz vorher noch kurz nachher nähren. Zum Schlafen legte man den
Säugling in gestreckter Lage mit einem Kissen unter dem Kopf in die
Wiege, damit das Haupt stets etwas höher ruhte als der Leib. J e nach
Klimaverhältnissen empfiehlt der Arzt den Gebrauch von leichten oder
etwas schwereren Decken. Metttinger beschreibt auch das übliche Einbinden;
die Ärmchen wurden dabei bald nach der Geburt entlang dem
Rumpf mittels Stoffbändern fixiert.135 Mit diesem heute unangemessen,
ja befremdend und quälerisch erscheinenden Vorgehen wollte man offenbar
eine Streckung der auf den ersten Blick krumm wirkenden kindlichen
Gliedmaßen bewirken.
Nach Metttingers Aussage ist übermäßiges Wachen bei Kleinkindern
genauso ein Zeichen für gesundheitliche Störungen wie andauerndes
Schreien oder Weinen. Ganz allgemein bewertet dieser Arzt den
Schlaf für Säuglinge nach dem Motto ‚je mehr, desto besser‘ als überaus
wichtig.136 Deshalb rät er entschieden davon ab, ein Kleines zum Trinken
oder zum Essen extra aufzuwecken. Um nun Säuglingen das Einschlafen
zu erleichtern, führt Metttinger drei Mittel an, welche sich seit
Galens Zeiten bewährt hätten.137 Unruhige Kinder schlummerten meistens
bald ein, wenn sie an die Brust gelegt würden. Diese Beobachtung
darf vielleicht mit der besänftigenden Wirkung des modernen Schnullers
verglichen werden. Ferner vermag nach Metttingers Handbuch, aber
wohl auch nach der Erfahrung mancher Mutter, der Gesang einer sanften
Stimme das kindliche Herz zu erfreuen und in den Schlaf zu geleiten.
Schließlich empfiehlt der Autor noch das Wiegen, indem er sich auf
135 Bartholomäus Mettlinger, cap. 1, Seite A IV f.
136 Ebenda, cap. 1 , Seite A IV und cap. 3, Seite B VI, wo sich die entsprechenden
Behandlungsvorschläge finden.
137 Ebenda, cap. 1 , Seite A V.
DER SCHLAF ALS ALLTAGSERFAHRUNG 73
Aristoteles beruft, der die Bewegung als ein dem Menschen angeborenes
Bedürfnis definiert habe. Ein anonymer Holzschnitt von 1476 (Abb. 10),
der übrigens die vierte Ausgabe des beliebten Mettlingerschen Ratgebers
von 1497 zierte, zeigt eine solche Wiege zu Füßen einer am Spinnrocken
beschäftigten Bürgersfrau. Ihr jüngstes Kind ist, wie es üblich war, mit
Bändern festgebunden und so gegen das Herausfallen gesichert. Der Vater
und zwei weitere Kinder vervollständigen diese ‚Familienidylle‘ des
ausgehenden Mittelalters, während ein steinerner Ofen im Hintergrund
Wärme ausstrahlt.
Abb. 10: Bürgerliche Familienidylle. Holzschnitt 1480,
Deckblatt zum Frühdruck Bartholomäus Mettlinger,
Ein Regiment der jungen Kinder, Augsburg 1497. Aus: Faks. Ed. Zürich 1976.
74 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
2.5. SCHLAFLOSIGKEIT UND IHRE BEHANDLUNG
Von besonderem Interesse unter den konkreten Beobachtungen des Schlafes
ist der Zustand der Schlaflosigkeit, beziehungsweise des Nicht- oder
Nicht-genügend-schlafen-könnens. Es handelt sich dabei zwar um eine
eher alltägliche, jedoch ziemlich unangenehme Erfahrung, über die sich
auch im Mittelalter einzelne Betroffene schriftlich geäußert haben. Diese
Berichte bleiben notwendigerweise fragmentarisch und können kaum als
Grundlage für eine fundierte Diagnose dienen. Trotzdem soll versucht
werden, typische Formen, unter denen diese Störung im Mittelalter auftrat,
herauszuarbeiten.
Das früheste mir bekannte Zeugnis für ein mehr oder weniger unfreiwilliges
Wachliegen findet sich in einer autobiographischen Skizze des Bischofs
Rather von Verona (gest. 974). Das hier als Quelle dienende „Excerptum
ex dialogo confessionali“138 verfaßte er um 957 als Abt in Aulne
(Belgien), wohin er sich vorübergehend zurückgezogen hatte. Seine aus
dem monastischen Ideal einer christlich vollkommenen Lebensführung resultierenden
Selbstanklagen lassen sich auf die „Moralia“ Papst Gregors
des Großen zurückführen; formal lehnen sie sich an das Zwiegespräch der
Beichte an. Bei aller Einsicht in die eigenen Fehler entbehren Rathers
Gedanken nicht der rhetorischen Überhöhung, und seine Neigung zu sarkastischer
Polemik bricht immer wieder durch. In überaus scharfen Worten
beschuldigte sich Rather etwa der Doppelzüngigkeit, als er glaubte,
sich selber mangelnder Nachsicht gegenüber seinen Untergebenen vorwerfen
zu müssen. In der Nacht auf das Fest der Apostel Philippus und
Jakobus ( 1 . Mai) sei er wieder einmal wegen Einflüsterungen des Teufels
lange wach gelegen, obwohl doch Schlaf notwendig gewesen wäre. Den
Grund dafür suchte Rather im Ärger über einen eigenmächtigen Entscheid
eines ihm unterstellten Mönchs namens Boito. Dieser hatte die
Mitbrüder ohne die ausdrückliche Zustimmung seines Abtes von der wollenen
Kleidung dispensiert. Die innere Erregung über diese Mißachtung
seiner absoluten Befehlsgewalt hielt Rather lange wach. Aufrichtig schildert
er, wie in ihm allmählich die Erkenntnis reifte, daß seine heftige
Reaktion eine Folge seines verletzten Stolzes und Machtanspruchs war.
Die Einsicht, daß selbst der Abt der Klosterregel unterstellt ist und seine
138 Rather von Verona, Excerptum ex dialogo confessionali. Ed. P. REID, CCCM
46, I, cap. 34 u. 35, S. 251 ff.
DER SCHLAF ALS ALLTAGSERFAHRUNG 75
Befehlsgewalt nur im Sinne Gottes ausüben darf, ließen ihn schließlich
ruhiger werden und wohl auch von einer Bestrafung Boitos absehen.
Durch seelische Erregung verursachte Schlaflosigkeit schilderte rund
ein Jahrhundert später auch Abt Wibert von Nogent, der dabei allerdings
nicht von sich selbst, sondern von seiner Mutter erzählt.139 Deren
Ehemann hatte an den 1053 ausgebrochenen Kämpfen zwischen König
Heinrich I. von Frankreich und dem Normannenherzog Wilhelm teilgenommen
und war in die Gefangenschaft des letzteren geraten. Wilhelm
stand in dem Rufe, seine Gefangenen, nicht wie damals bei Rittern
üblich, gegen Lösegeld frei zu lassen, sondern sie lebenslänglich in seine
Burgverliese zu sperren. Unter diesen Umständen erschreckte die Nachricht
von der Gefangennahme des Gatten die junge Frau so sehr, daß
sie zunächst in Ohnmacht fiel. Die Aussicht, ihren Mann, von dem sie
zu dieser Zeit möglicherweise gerade ihr jüngstes Kind, eben Wibert,
erwartete, nie im Leben wieder zu sehen, ließ sie die Nahrungsaufnahme
verweigern, und sie schlief noch weniger als zuvor. – Der aktuelle Anlaß
war gewiß kummervoll genug, um die seelische Ruhe von Wiberts Mutter
zu erschüttern und die schon vorher bestehenden Schlafstörungen zu
verstärken, doch wendeten sich die Dinge glücklicherweise bald zum Besseren.
Als Folge der diplomatischen Bemühungen des Königs und dessen
Lösegeldzahlungen ließ Wilhelm kurz nach der Schlacht von Mortemersur-
Eaulne (Dep. Oise) viele Gefangene frei140 und auch Wiberts Vater
kehrte offensichtlich heim, denn er war bei dessen Geburt anwesend.141
Die Liebe stellte freilich auch ohne so dramatische Ereignisse ein
Thema dar, das geeignet war, Frauen den Schlaf zu rauben. Jedenfalls
wandte sich der englische Zisterzienserabt Aelred von Rievaulx ( ca.
1100-1167) in diesem Sinne warnend an seine eigene Schwester, welche
offenbar ebenfalls in ein Kloster eingetreten war. In einer kleinen an
sie gerichteten Schrift kommentierte und begründete er die wichtigsten
Regeln des hl. Benedikt. Beispielsweise empfahl er ihr, noch vor Sonnenuntergang
zu Bett zu gehen, damit sie das frühe Aufstehen wenige Stun-
139 Wibert von Nogent, De vita sua, lib. I, cap. 13, S. 88 f.
140 Ebenda, S. 88; zum Ablauf der Ereignisse vgl. Anmerkungen 4 und 5 des Herausgebers.
141 Ebenda, lib. I, cap. 3, S. 18.
76 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
den nach Mitternacht besser durchhalten könne.142 Aber selbst wenn
auf diese Weise für ausreichende Schlafenszeit gesorgt war, vermochten
aufwühlende Gespräche nach Aelreds Meinung den Seelenfrieden der
Nonnen zu stören und er riet daher seiner Schwester, sich vor Gästen und
Besuchern zu hüten. Schlechte Menschen würden nämlich zuerst über
Religiöses reden, dann zu weltlichen Dingen übergehen, zuletzt aber über
die Liebe sprechen und danach könne man die ganze Nacht kaum mehr
schlafen.143 Ähnliches galt übrigens auch für Mönche, die in einem anderen
Traktat des selben Autors vor der im monastischen Lebensideal
nicht erlaubten Neugierde gewarnt wurden.144 Mochte diese Neugierde
sich in ungezügeltem Wissensdurst äußern und beispielsweise die Werke
antiker Dichter betreffen oder einfach die Lebensführung anderer Menschen
aufs Korn nehmen, die Vielfalt dieser eitlen Eindrücke nehme der
Religiose mit auf sein Lager und könne daher keinen Schlaf finden, ganz
abgesehen von den Folgen solcher gedanklicher Unbeherrschtheit für das
Seelenheil des Mönchs. – Abt Aelred erörtete also mögliche Gründe für
das Auftreten von Schlaflosigkeit im Sinne eines affektiven Spannungszustandes.
Er bewertete solche Schlafstörungen offensichtlich negativ,
wobei er aber kaum an deren subjektiv unangenehme Seiten gedacht
haben dürfte. Vielmehr beunruhigte ihn die Gefahr, welche ein daraus
entstehendes Nachschlafbedürfnis einzelner Konventsmitglieder für
den eingespielten Lebensrhythmus der ganzen Klostergemeinschaft und
damit für die allgemeine Disziplin darstellte.145
142 Aelred von Rievaulx, De institutione inclusarum. Ed. A. ROSTE u. Ch. TALBOT,
CCCM 1 , cap. 10, S. 646.
143 De institutione inclusarum, cap. 1, S. 640.
144 Aelred von Rievaulx, De speculo caritatis, Jib. II, cap. 24, CCCM 1 , S. 99 ff.
145 Greifbar werden solche Nachholwünsche infolge des kurzen und oft genug gestörten
Nachtschlafes in den verschiedenen Klostersatzungen und Statuten, die einen
internen Ordnungsdienst vorsahen, welcher in allen Ecken und Kammern nach heimlich
schlafenden Mitbrüdern zu suchen hatte. Vgl. dazu den Text des sogenannten
„Liber tramitis aevi Odilonis abbatis“, das heißt die nach 1015 erstmals schriftlich
festgehaltenen Gewohnheiten des italienischen Cluniazenser-Priorates Farfa, Ed. P.
DINTER, CCM 10, cap. 19, S. 215: De nocte po1t terna3 orotione3 eat frater qui pro·
vüor e1t de infirmü et videat, ne aliquü ez ip3il grovatu3 3omno remaneat in lecto
3uo. Decanu1 proefatu3 vel aliu3 frater cui iniuncta e1t euro quam 3upro nominaui·
mu3 eat in dormitorium, ne aliqui1 ez fratribus reman3erit in /ectuli1 per negligentia
vel 10por detentu1 et eztinguat dua3 lucerna3. Tertiam quae e3t in dormitorium
DER SCHLAF ALS ALLTAGSERFAHRUNG 77
Weitere interessante Hinweise auf gelegentliche Ein- oder Durchschlafstörungen
enthalten die Aufzeichnungen der deutschen Dominikanerin
Margaretha Ebner ( ca. 1291-1351) über ihre religiösen Erfahrungen.
146 Der Kummer über die ernsthafte Erkrankung einer ihr wegen
ihrer allgemeinen Körperschwäche zur Pflege zugeteilten Nonne raubte
Margaretha ebenso den Schlaf wie etwas später das Sterben einer anderen
Mitschwester.147 Es ist wohl eine allgemein menschliche Erfahrung,
daß die durch Krankheit oder Tod nahestehender Personen verursachte
affektive Erschütterung sich ungünstig auf die Fähigkeit zur seelischen
Entspannung und damit zum Einschlafen auswirkt. Bei der Mystikerin
Margaretha genügte nach deren eigenem Zeugnis jedoch schon die Meditation
über irgendein gefühlsmäßig stark besetztes Thema, um ihr den
Schlaf zu rauben. Im Falle dieser Klosterfrau waren dies keine aus religiöser
Sicht nichtigen Gedanken über die Liebe zwischen den Geschlechtern,
sondern die fromme Vertiefung in die Stationen des Lebens Christi.
et nece33arium dimittat et jugiter u3que mane ardeat. Reveratur in eccle3iam et
circumeat cripta3 et membra 3ingula et videat, 3i aliqui3 iacet vel 3edet praeter infirmo3
aut fteotkomatico3. Si aliquem talem inuenerit dormientem, ezcitet eum; 3i
cum gratiarum actione non receperit, in capitulo quaere/abitur. Eodem faciat in 3ecundo
nocturno et Laudibu3. Ähnlich auch etwa die zwischen 1123 und 1128 nach
dem Vorbild der Augustiner-Chorherren-Regel von Marbach entstandenen Consuetudines
Spiringbacenses-Rodenieses, Ed. St. WEINFURTER, CCCM 48: cap. 2,13, S.
9: Frater (. . .) 3i quem vero fratrum apud Jeceuum dormientem reperit, cum 3onitu
ezcitabit. Deinde perlu3trabit minorem chorum et lecto3 cu3todum et, 3i quo3, ab3que
minuti3 3anguine, dormiente3 inuenerit, cum 3onitu aliquo eo3 ezcitare non omittet.
Für einen persönlichen Erfahrungsbericht sei auf die oben Kapitel 2.2 zitierten
Geständnisse des Othlo von St. Emmeram verwiesen.
146 Die Offenbarungen der Margaretha Ebner, in: Margaretha Ebner und Heinrich
von Nördlingen. Ed. Ph. STRAUCH, Freiburg i. Br. 1882. – Diese tagebuchartigen
Berichte haben unzweifelhaft autobiographischen Charakter, denn sie wurden
nach mündlichem Diktat der meistens bettlägerigen Margaretha im Kloster Maria
Medingen angefertigt. Einerseits zeigt sich gerade im Willen zur schriftlichen Verarbeitung
seelischer Erfahrungen ein erstaunliches Maß an geistiger Unabhängigkeit
und Reife, anderseits dürften mit diesen Offenbarungen wohl auch didaktische Ziele
verfolgt worden sein. Sowohl Margarethas geistlicher Freund und Seelsorger Heinrich
von Nördlingen als auch die Klosteroberin mochten sich von solchen hauptsächlich
um religiöse Themen kreisenden Aufzeichnungen eine anspornende Wirkung auf die
Ordensschwestern und auf junge Novizinnen versprochen haben.
147 Margaretha Ebner, Offenbarungen, S. 11 und 116.
78 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
Speziell hingezogen fühlte sie sich offenbar zur Kindheit Jesu, vielleicht
weil sie selber als Nonne auf Mutterschaft verzichten mußte. Vor allem
die Szene der Darbringung und Beschneidung des Jesus-Knaben im
Tempel faszinierte sie sehr, so daß sie nachts deshalb häufig wach lag148,
was wiederum mit den besonderen affektiven Bezügen dieses Rituals zusammenhängen
dürfte.
Überblickt man die referierten Berichte, so fällt auf, daß Schlaflosigkeit
bzw. Schwierigkeiten mit dem Einschlafen oder Durchschlafen
meistens in einer Situation mit starker innerer Beteilig.􀋀ng – wie etwa
bei Rather und Margaretha – oder wirklicher affektiver Uberlastung wie
bei Wiberts Mutter auftraten. Bei allen drei genannten Personen läßt
sich aus dem Wortlaut der jeweiligen Schilderung zusätzlich aber noch
entnehmen, daß diese Menschen auch bei anderen Gelegenheiten nachts
längere Zeit wach lagen. Heute stellt die sogenannte Schlaflosigkeit eine
weit verbreitete Störung des Wohlbefindens dar, und es ist anzunehmen,
daß sich situativ bedingte Schlafstörungen unter ungünstigen Umständen
zur habituellen ‚Schlaflosigkeit‘ entwickeln können.149
Die Tatsache, daß in dem von uns behandelten Zeitraum biographisches
Material beinahe ausschließlich von Ordensangehörigen stammt,
könnte den irrigen Eindruck erwecken, daß Schlaflosigkeit im Mittelalter
eine Störung war, unter welcher praktisch nur Priester und Ordensleute
litten. Es existieren jedoch mindestens für das Spätmittelalter Belegtexte
für situativ bedingte oder auch habituelle Schlaflosigkeit, in denen
die Betroffenen nicht den kirchlichen Kreisen angehörten. Zuerst
sei hier das Selbstzeugnis eines Herrschers angeführt: die in katalanischer
Sprache verfaßte „Cronica o Llibre dels Feyts“ schildert im Stile eines
Heldenepos die kriegerischen Unternehmungen Jakobs I. von Aragon
(1 208-1276). Der König diktierte dieses Buch in gewissen Zeitabständen
einem Schreiber in die Feder, wobei er sich auf seine Erinnerungen und
die fast täglich nachgeführten Regierungsakten, Notizen und Itinerarien
stützte.150 Dabei legt Jakob den Schwerpunkt auf die Gefechte im Zug
der Reconquista der iberischen Halbinsel, erzählt aber auch von den wei-
148 Margaretha Ebner, Offenbarungen, S. 88.
149 Vgl. dazu Inge STRAUCH, Schlafstörungen als psychologisches Problem, in:
Berichte aus der Abteilung klinische Psychologie 7 (Zürich 1978) S. 8 ff.
150 Zur literaturhistorischen Einordnung dieses auch für die Entwicklung der Volkssprache
sehr bedeutenden Werks und zum Problem der Abfassungszeit der einzelnen
DER SCHLAF ALS ALLTAGSERFAHRUNG 79
teren Regierungsgeschäften und von seiner Rolle als unmündiger König
in seiner Kindheit, während er die Geschichte seiner teilweise Anstoß erregenden
privaten Beziehungen begreiflicherweise mit diskretem Schweigen
umgeht. Als an der Erweiterung seines Königreiches interessierter
und an praktisch allen Eroberungskämpfen aktiv teilnehmender Ritter
fühlte er sich von Nachrichten über Verrat und Meuterei unter seinen
Truppen während eines Kriegszuges so sehr getroffen, daß er sich in der
folgenden Nacht lange im Bett schwitzend hin und her wälzte und kaum
Schlaf fand.151 Ein anderes Mal hatte sich der König mit einem Aufstand
von innerhalb seines Herrschaftsbereichs wohnenden Sarazenen auseinanderzusetzen.
Die innere Erregung ließ ihn nach eigenem Eingeständnis
nachts wiederum nicht zur Ruhe kommen.152 In gefährlichen Situationen
verbrachte der Herrscher fast regelmäßig schlaflose Nächte. Einmal, so
berichtet er wörtlich, habe er sich vor einer der vielen Feldschlachten mit
der Erinnerung an seine durch die Hilfe Gottes und der Jungfrau Maria
errungenen militärischen Erfolge schließlich einigermaßen zu beruhigen
vermocht.153 Es läßt sich vermuten, daß Jakob hier um der dramatischen
Wirkung willen seine wirklich gemachten Erfahrungen übertrieb und daß
es sich in diesen Fällen eher um Einschlafschwierigkeiten handelte. Die
Opfer von Schlafstörungen neigen wohl allgemein dazu, die Dauer des
unfreiwilligen Wachliegens zu über- und die tatsächlich schlafend verbrachte
Zeit zu unterschätzen.154
Aus dem Ende der mittelalterlichen Epoche stammt der letzte Bericht
über einen konkreten Fall von Schlaflosigkeit. Der Augustinerpater
Johannes Busch (1399-1480), bekannt vor allem als erfolgreicher Prediger,
übernahm auch die Aufgabe, die Sitten und Regeltreue verschiedener
Konvente in seiner sächsischen Heimat zu überprüfen. Von diesen
Besuchsreisen ist ein zwischen 1470 und 1475 entstandener Visitationsbericht
erhalten, wobei Busch auch persönliche Erlebnisse außerhalb der
Teile vgl. G. MISCH, Die Geschichte der Autobiographie im Mittelalter, Bd. 4, 1.
Hälfte, S. 333 ff.
151 Diese Paraphrasierung nach G. MISCH, Geschichte der Autobiographie, Bd. 4,1
S. 337; cap. 237 im katalanischen Originaltext, ed. F. SOLDEVILA, Jaime I: Cronica
o Llibre dels Feits, Barcelona 1982.
152 MISCH, S. 355; cap. 263 im katalanischen Text.
153 MISCH, S. 400; cap. 327 im katalanischen Text.
154 I. STRAUCH, Schlafstörungen, S. 5 f. und N. FINK, Lehrbuch, S. 182 f.
80 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
Klostermauern in seine Erzählung einßocht.155 So begegnete er einmal
auf einem Feldweg einem Bauern, der ihn als Geistlichen um Beistand
für seine besessene Ehefrau anflehte. Nachdem der Pater in die ärmlich-e
Hütte getreten war, begann er nicht etwa sofort mit einem Exorzismus
zur Austreibung des Dämons, sondern erkundigte sich zunächst nach den
genauen Umständen. Dabei stellte sich heraus, daß die Frau gewohnheitsmäßig
zu wenig aß und auch zu wenig schlief. Dies hatte zu einem
Schwächezustand geführt, in welchem die Bäuerin wahnartig phantasierte
und sich selbst von einem bösen Geist besessen glaubte. Der besonnene
Augustinerpater erkannte die rein körperlichen Ursachen ihrer
befremdlichen Äußerungen und verordnete ihr kräftigende Nahrung und
einen jeweils abends einzunehmenden Schlaftrunk von 1/4 Maß heißem
Bier zusammen mit einem nußgroßen Stück Butter. Dem beunruhigten
Bauern versprach er, daß die Gattin ihren gesunden Verstand durch diese
Kur bald wieder gewinnen würde.156
Die von dem Geistlichen bewiesene Zurückhaltung gegenüber der
bedauernswerten Bäuerin, welche er nicht unnötig einem Exorzismus unterwerfen
wollte, dürfte wohl selbst an der Schwelle zur Neuzeit selten
gewesen sein und verdient schon deshalb unsere Aufmerksamkeit. Ferner
ist Johannes Busch der einzige mir bekannte Berichterstatter, der nicht
nur einen konkreten Fall von habitueller Schlaflosigkeit schildert, sondern
auch durch seine Erzählung gleichzeitig einen Behandlungsversuch
dokumentierte. Indem er, obwohl medizinischer Laie, die wirren Phantasien
als Folge einer chronifizierten Schlafstörung erklärte157, gelang es
ihm auch, ein geeignetes und für den Bauern einfach zu beschaffendes
Heilmittel zu finden. Reichliches Essen und der im Bier enthaltene Alkohol
sowie vielleicht auch das Hopfenkraut erzeugen erfahrungsgemäß
eine gewisse Müdigkeit, welche der Patientin wohl das Einschlafen erleichtert
haben dürfte. Der bei Schlafschwierigkeiten angezeigte mäßige
Genuß von Alkohol in Form von Wein wurde übrigens schon von Con-
155 Johannes Busch, Liber de reformatione monasteriorum. Ed. K. GRUBER ( =Geschichtsquellen
der Provinz Sachsen 19) Halle 1886. Zu Busch vgL auch Neue dt.
Biographie, Bd. 3, S. 62 f.: E. ISERLOH.
156 Johannes Busch, De reformatione, lib. III, cap. 21, S. 701.
157 Bei der vorliegenden, relativ kargen Symptombeschreibung wäre allerdings auch
an ernsthafte psychische Leiden wie Depressionen oder andere Psychosen zu denken.
DER SCHLAF ALS ALLTAGSERFAHRUNG 81
stantinus Africanus erwähnt158 und kann analog zu der heute üblichen
Rezeptur von leichten Beruhigungsmitteln als Versuch verstanden werden,
das Einschlafen durch eine allgemeine Entspannung und Beruhigung
zu fördern.159
In einem gewissen Gegensatz zu diesen bewährten und wohl öfters
eingenommenen Hausmitteln wie Bier und Wein stehen die Rezepte der
mittelalterlichen Ärzte, die ihrerseits ebenfalls mit dem Problem der
chronischen Schlaflosigkeit konfrontiert wurden. Die in den damaligen
pharmakologischen und medizinischen Schriften festgehaltenen Therapievorschriften
weisen zwar indirekt auf die Verbreitung dieser Befindlichkeitsstörung
hin, doch läßt sich damit nichts über den absoluten oder
relativen Anteil von Menschen mit Schlafschwierigkeiten an der jeweiligen
Bevölkerung aussagen. Aus dem quantitativ reichen Quellenmaterial
können im Rahmen der vorliegenden Arbeit freilich nur einige ausgesuchte
Beispiele vorgestellt werden. Eine erste Übersicht über diese
Rezepttexte hat aus pharmaziegeschichtlicher Sicht F. J. KUHLEN vorgelegt.
160
Bereits im 1 1 . Jahrhundert wurde die Behandlung von Schlaflosigkeit
bei Constantinus Africanus eingehend besprochen, wobei er das
Symptom durch den lateinischen Terminus „vigilia“ als übermäßiges Wachen
definierte.161 Die Ursachen suchte er nach der klassischen Humorallehre
wiederum in einem Ungleichgewicht der Säfte im Gehirn und
glaubte, daß damit meistens eine Überhitzung und Austrocknung dieser
Körperregion einhergehe. Daraus würden dann Symptome wie Engegefühle,
Unruhe oder Erregungszustände, Verwirrtheit und krampfhaftes
Nachdenken entstehen. Eine solche medizinische Konzeption der Schlaflosigkeit
führte auffälliges Verhalten auf körperliche Veränderungen zurück
und rechnete offenbar nicht mit den in den biographischen Zeug-
158 Constantinus Africanus, Opera, Basel 1536, De melancholia, lib. II, S. 393.
159 Vgl. dazu S. KANOWSKI, Psychopharmaka in der Behandlung von Schlafstörungen,
in: H. KAISER (Hg.), Der gestörte Schlaf: Genese und Therapie, Köln 1975,
s. 154-178; s. 158 f.
16° F. J. KUHLEN, Zur Geschichte der Schlaf-, Schmerz- und Betäubungsmittel,
S. 189-265, wobei betont werden muß, daß KuhJens Sammlung bei weitem nicht
vollständig ist. Sehr originelle Texte wie zum Beispiel Hildegards „Causae et curae“
werden weder zitiert noch auch nur erwähnt.
161 Constantinus Africanus, De morbibus cognatione, lib. I, cap. 17: De vigiliis, S.
14 f.
82 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
nissen so deutlich faßbaren seelischen Faktoren wie Ärger, Angst oder
anderen Affekten.162 Man befürchtete, daß die unbehandelt bleibende
Schlaflosigkeit und speziell die daraus nach der Säftelehre notwendigerweise
enstehenden Verdauungsstörungen schlimme Folgen für die Gesundheit
nach sich ziehen würden. Daher unternahm man alles, um dem
Patienten wieder zum Schlaf zu verhelfen.
Die Therapievorschläge des Constantinus und seiner Gewährsleute
beinhalten im wesentlichen Umschläge um Kopf und Schläfen.163 Die
Tücher wurden mit einem Absud aus Heilpflanzen getränkt; die wichtigsten
Komponenten waren Papaver (Mohn), Hyoscyamus {Bilsenkraut),
Portulac (Bürzelkraut), Opium (Mohnderivat), Mandrago {Alraunwurzel)
und Frauenmilch beziehungsweise Milch von Eselstuten oder Schafen.
Ferner konnten auch Kräuter wie Kamille, Melisse, Dill und Malvensamen
für solche Umschläge sowie für Salben oder Waschungen verwendet
werden, wobei die Zusammensetzung nach der Diagnose des
spezifischen Säfteüberschusses varüerte. Erstaunlicherweise verordnete
Constantinus alle diese wirksamen Ingredienzen mit einer einzigen Ausnahme
nur zur äußerlichen Anwendung, obwohl doch die Einnahme solcher
Kräuterabsude als Heiltrank einen viel unmittelbareren Erfolg hätte
erwarten lassen. Vermutlich hing diese Zurückhaltung mit der teilweise
sehr großen Toxizität dieser Wirkstoffe zusammen, denn die genaue bzw.
gesundheitlich bedenkenlose Dosierung der verschiedenen Pflanzengifte
war mit den damaligen pharmakologischen Methoden nicht möglich.164
Umgekehrt läßt sich die Wirksamkeit von feuchten Umschlägen nicht
generell bestreiten. Mindestens in jenen Fällen, in denen Ein- oder
Durchschlafschwierigkeiten auf Kopfschmerzen165 zurückgeführt werden
konnten, brachte diese in einer medizinischen Handschrift des 13. Jahr-
162 Selbstverständlich ist diese Feststellung wertfrei zu verstehen. Schlafstörungen
müssen schon deshalb als Beschwerde ernstgenommen werden, weil sie Begleiterscheinungen
von schweren körperlichen Krankheiten sein können. Vgl. dazu etwa D.
RENNER, Schlafstörungen als Symptom bei inneren Erkrankungen, in: H. KAISER
(Hg.), Der gestörte Schlaf, S. 73-81.
163 Constantinus Africanus, De morbibus cognatione, S. 14 f.
164 Diese Interpretation in Anlehnung an KUHLEN, Zur Geschichte der Schmerz-,
Schlaf- und Betäubungsmittel, S. 190, 197 u. 261 f., der allerdings den doch erstaunlich
geringen Anteil an innerlich verordneten Schlafmitteln gegenüber Schlafschwämmen,
Riechmitteln, Salben und Umschlägen nirgends klar analysiert.
165 C. Africanus, De morbibus cognatione, ca.p. 10: De cephalaea, S. 7 f.
DER SCHLAF ALS ALLTAGSERFAHRUNG 83
hunderts (vgl. Abb. 1 1 ) dargestellte Behandlungsform dem Patienten
gewiß Erleichterung, wenn nicht sogar den ersehnten Schlaf.
Bei Hildegard von Bingen finden wir im Anschluß an ihre originelle
Theorie über die Entstehung des Schlafes166 auch einige interessante Bemerkungen
über die Schlaflosigkeit. Die Seele ist nach Hildegards Auffassung
dem menschlichen Körper in einer nicht näher erläuterten Weise
verhaftet und regelt die verschiedenen Lebensprozesse, unter anderem
auch Schlafen und Wachen. Bei unbequemen Schlaflagen, bei stärkeren
Schmerzen oder bei Störungen von außen wie Lärm soll die Seele als
Steuerungsinstanz den Körper aufwecken.167 Die Ärztin beobachtete ferner
richtig, daß sowohl zuviel als auch zuwenig Schlaf Unwohlsein erzeugen,
wobei sie vor allem auf Mißempfindungen und Erkrankungen
der Augen hinwies. Die Genese der Schlaflosigkeit erklärte Hildegard
souverän gleich auf zwei Arten. Zunächst schenkte sie im Gegensatz
zu manchem mittelalterlichen Fachkollegen dem psychologischen Aspekt
gebührend Aufmerksamkeit, indem sie feststellte, daß große Emotionen
oder heftige Gefühlswallungen (= Affekte) die Blutbahnen verengen. Der
in ihrer Schlaftheorie eine wichtige Rolle spielende Markwind könne unter
diesen Bedingungen nicht ins Gehirn dringen, um dort – wie üblich
– durch Stillegung der Tagesaktivitäten den Schlaf auszulösen. Hildegard
wies andererseits auch darauf hin, daß bei schweren Krankheiten
unter Umständen auch der Säftehaushalt bzw. die Zusammensetzung
des Blutes durcheinander gerate, und Schlafstörungen deshalb als sekundäre
Folgen auftreten könnten.168 Die Äbtissin vom Rupertsberg
kannte zudem verschiedene narkotisierend wirkende Pflanzen wie Tollkirsche
und Bilsenkraut, riet aber von deren Einnahme ab, während sie
das schlaffordernde Opium gar nicht erwähnte. Ihre Warnung bezog sich
auf die akute Vergiftungsgefahr bei Überdosierung solcher Medikamente,
die nicht nur Halluzinationen, sondern sogar den Tod des Patienten herbeiführen
konnten.169
Anweisungen zur Bekämpfung von Schlaflosigkeit finden sich auch
in dem von Adam von Cremona für Kaiser Friedrich II. verfaßten Ge-
166 Siehe oben, Kapitel 2.3.2 der vorliegenden Arbeit.
167 Hildegard, Heilkunde, S. 154 f.
168 Heilkunde, S. 156.
169 Hildegard, Liber subtilitate diversarum naturarum creaturarum. Ich paraphrasiere
die dt. Übers. von P. RIETHE, Naturkunde, Salzburg 1959, S. 27 und 39.
84 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
sundheitsregimen, dessen Ratschläge für einen erholsamen Schlaf bereits
referiert wurden.170 Grundsätzlich hielt Adam ein stabiles Gleichgewicht
von Schlafen und Wachen für notwendig. Die Ruhephase hatte immer
nachts stattzufinden, während die körperlichen und geistigen Aktivitäten
sich am Tage abspielen sollten. Jedes Abweichen von diesem
normalen Rhythmus, wozu eben auch übermäßig langes Wachen
gehörte, schien dem italienischen Arzt schädlich für die Gesundheit.
Schlafstörungen führte Adam auf verschiedene körperliche und seelische
Dispositionen zurück. Fasten, große körperliche Anstrengungen,
unmäßiger Geschlechtsverkehr, aber auch seelisch bedingter ‚Streß‘ wie
Trauer, Sorge oder Aufregung bewirkten eine partielle Austrocknung und
damit auch Schlafschwierigkeiten. Dieser bedrohliche Zustand konnte
nach Adams Meinung wirkungsvoll mit warmen Wassergüssen über den
Kopf, mit feuchten Speisen und mit Entlastung von den Tagesgeschäften
bekämpft werden. Ferner empfahl er in seinem Ratgeber fleißiges Salben
von Kopf, Schläfen und Nase mit einer Paste aus Öl und Milch. In
hartnäckigeren Fällen schließlich riet Adam dann zur Einnahme von Öl
aus der Mohnkapsel und Samen des weißen Mohns, um den Schlaf herbeizuzwingen.
171 Gerade in Italien, aber auch im Heiligen Land, wohin
der Kaiser 1227 ja zu reisen beabsichtigte, konnte man sich leicht eine
allgemeine Überhitzung zuziehen. Deren Symptome beschrieb Adam
mit Durst, brennenden Augen und Schlafstörungen und empfiehlt dagegen
zusätzlich zu den oben erwähnten Heilmitteln noch Portulac, Kürbiskraut,
Schleim vom Flohkraut und Virgula pastoris (Hirtenrute?).
Neben diesen pharmakologischen Rezepturen betont er die beruhigende
Wirkung, welche ein sanftes, leises Geräusch häufig habe, wobei es sich
um eine mit Instrumenten gespielte oder gesungene Melodie handeln
könne (Vgl. die Abb. 12 und 13 von Geplauder und Musik aus dem
Tacuinum Sanitatis)172 oder einfach um das aus der Ferne vernehmbare
Geräusch laufenden Wassers. – Schwieriger zu behandeln war die
Schlaflosigkeit, welche von Schmerzzuständen herrührte, die man nicht
direkt beeinflussen konnte. Eine Salbe auf der Basis von Rosenöl aus
170 Adam von Cremona, Regimen iter agentium, siehe oben, Kapitel 2.3.2 dieser
Arbeit.
171 Adam von Cremona, Regimen iter agentium, S. 48.
172 Auf die einschläfernde Wirkung von Musik wies schon im 1 1 . Jahrhundert Maimonides
in seinem Regimen Sanitatis hin. Ed. S. MUNTNER, 1966 Basel, S. 152.
DER SCHLAF ALS ALLTAGSERFAHRUNG 85
Zimt, Opium und Krokus solle in solchen Fällen zur Inhalation unter die
Nase gestrichen werden. Wer zusätzlich von dieser Tinktur ein Gran
einnehme, werde einen mäßigen Schlaf genießen, ohne mit stärkeren
Betäubungserscheinungen rechnen zu müssen.173
Während Albertus Magnus die Schlaflosigkeit in seinem Traktat
über Wachen und Schlafen nur am Rande als Anzeichen für Krankheit
erwähnt17\ baut sein Schüler Thomas von Cantimpre (ca. 1204-1280)
in seinem naturkundlichen Lehrbuch bei der Besprechung des menschlichen
Körpers nach einer knappen Definition des Schlafes nach Plinius
und Aristoteles auch Rezepte gegen Schlafstörungen ein.175 Zu einem
Absud von Mandragofrüchten und Öl setzt er Mohnsamen sowie Samen
und Kraut von Portulac und Lattich, ferner Bilsenkraut und Venusnabel
zu. Diese Tinktur wird dann auf Schläfen, Stirn und Handrücken des
Patienten gestrichen. Weiter empfiehlt Thomas eine Salbe aus Kräutern
wie Veilchen, Malve, Myrthe, Lattich und Mohnblättern sowie Hagebutten,
welche nach Vermischung mit Essig auf Fußsohlen und Schläfen
aufgetragen werden soll. Direkt auf die Schläfen aufgelegte Blätter von
Lattich und Bilsenkraut dienen ebenfalls der Herbeiführung des Schlafes.
Schließlich erwähnt Thomas noch ein Stirnpflaster aus Eiweiß, in welches
Opium, Mohn und Silberschaum einzurühren sind. Mit Ausnahme von
zerstoßenen Lattichsamen, welche der Patient in Wasser gelöst einnehmen
konnte, dienen also auch alle von Thomas von Cantimpre in der
Mitte des 13. Jahrhundert tradierten Mixturen nur zur äußerlichen Anwendung.
Im Laufe des Spätmittelalters und der frühen Neuzeit setzten sich
dann schließlich die Opium-haitigen Präparate durch, welche der Patient
als Pille oder Heiltrank einnehmen konnte.176 Aus französischen Gerichtsakten
stammt ein indirekter Beweis für die nicht unbedingt harmlose
Natur solcher Medikamente: 1336 wurde nämlich ein Raubmörder
namens Richard Langlois abgeurteilt, der gestanden hatte, sein Opfer
zunächst mit einem Schlaftrunk wehrlos gemacht zu haben, bevor er es
173 Adam von Cremona., S. 49.
174 Albertus Ma.gnus, De somno et vigilia., lib. I, tra.ct. 1, ca.p. 5, S. 129.
175 Thoma.s von Ca.ntimpre, Liber de na.tura rerum. Ed. H. BOESE, Berlin 1973,
lib. I, cap. 5, S. 18.
176 Vgl. F. J. KUHLEN, S. 163 f.
86 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
bestahl und ermordete.177 Diese kriminalistische Episode zeugt deutlich
genug von der stark betäubenden 􀋁irkung der damals gebräuchlichen
Schlafmittel. Verantwortungsvolle Arzte wie der französische Chirurg
Guy de Chauliac (gest. 1368) und der deutsche Wundarzt Hans von
Gersdorff (gest. 1529)178 warnten ihre Kollegen vor der bedenkenlosen
Verordnung von nicht durch Zugabe anderer Ingredienzien gemilderten
Opiaten, denn reines Opium drohe, selbst wenn der Patient nicht daran
sterbe, seinen Geist ernsthaft zu zerrütten.
177 Aus: Archives Nationales: Confessions et jugements au Parlement 1 319-1350.
Ed. M. LANGLOIS – Y. LANHERS, Paris 1971, S. 119.
178 Diese beiden Mediziner sind als Vertreter einer vorsichtigen Haltung namentlich
zitiert bei KUHLEN, S. 197.
DER SCHLAF ALS ALLTAGSERFAHRUNG
Abb. 1 1 : Medizinisd1e Behandlung von Kopfschmerzen und Schlaflosigkeit.
Illumination aus „Libri quattuor medicinae.“ des Pseudo-Apuleius, 13. Jh.
Florenz, Biblioteca Medicea Laurenziana. Ms. Laur. Plut. 73.16, c. 84 v.
87
88 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
Abb. 12: Confabublationes in sompnis – Gespräche verhelfen zum Einschlafen.
Das Hausbuch der Cerruti, Bilderhandschrift des „Tacuinum Sanitatis.“
DER SCHLAF ALS ALLTAGSERFAHRUNG 89
– Abb. 13: Somnus – Der Schlaf: Musikdarbietungen verhelfen zum Einschlafen.
Das Hausbuch der Cerruti, Bilderhandschrift des Tacuinum sanitatis.
3. DIE TRAUMTHEORIE
IN IHRER GESCHICHTLICHEN ENTWICKLUNG
3.1. CHRISTLICHE AUTOREN DER ANTIKE
In den folgenden Kapiteln soll versucht werden, in einem Überblick
die im Mittelalter verbreiteten Gedanken über den Traum darzustellen.
Während dieser rund tausend Jahre dauernden Epoche kam es
zu unterschiedlichen Strömungen und Tendenzen, welche es zu erkennen
und in einen größeren historischen Zusammenhang einzuordnen gilt.
Allgemein soll hier auch festgehalten werden, daß die meisten mittelalterlichen
Autoren mehr oder weniger direkt auf den Gedanken griechischer
und römischer Philosophen aufbauten, doch wird man diese
geistige Abhängigkeit nicht abwertend beurteilen dürfen, wie dies in verschiedenen
geschichtlichen Abrissen über den Traum implizit geschehen
ist.179
Die erhebliche Rolle, welche der Traum im antiken Alltag spielte,
und die von einigen Philosophen entwickelten theoretischen Ansätze zu
seinem Verständnis haben seit dem Ende des 19. Jahrhunderts das Interesse
einiger Forscher zu erwecken vermocht.180 Im Rahmen dieser auf das
179 So etwa bei M. PONGRACZ – I. SANTNER, Das Königreich der Träume: 4000
Jahre Traumdeutung, Wien 1963, S. 64 ff., und N. MACKENZIE, Träume, Genf
1964, S. 63 ff. Eine abschätzige Tendenz gegenüber dem Mittelalter läßt sich auch
bei N. FINK, Lehrbuch der Schlaf- und Traumforschung, S. 19 ff. feststellen.
180 Vgl. dazu die Monographie von B. BÜCHSENSCHÜTZ, Traum und Traumdeutung
in der Antike, Berlin 1868, Repr. Wiesbaden 1967 und daneben die entsprechenden
Ausführungen in A. BOUCHE-LECLERQUE, Histoire de Ia divination
dans l’Antiquite, Paris 1879-81, repr. 4 Bde. Aalen 1978. Ferner mit Bezug auf das
wichtigste Traumbuch dieser Epoche C. BLUM, Studies in the Dreambook of Artemidorus,
Phil. Diss. Uppsala 1936 und als psychologische Spezialstudie W. KURTH,
Das Traumbuch des Artemidor im Lichte der Freudschen Traumlehre, in: Psyche
4,10 (1951) S. 488-512. Kritisch gegen diesen Ansatz S. R. F. PRICE, From Freud
to Artemidor, in: Past and Present 113 (1986) S. 3-37. Mit den antiken Heilkulten
befaßte sich C. A. MEIER, Der Traum als Medizin: Antike Inkubation und moderne
Psychotherapie, Neubearbeitung Zürich 1985 ( 1949).
DIE TRAUMTHEORIE IN IHRER GESCHICHTLICHEN ENTWICKLUNG 91
Mittelalter konzentrierten Untersuchung können wir jedoch darauf nicht
näher eingehen, sondern wenden uns direkt der Haltung des Urchristentums
zu, welche das Traumverständnis der nachfolgenden Jahrhunderte
tief prägte. Der Kern der frohen Botschaft läßt sich als Versprechen der
Befreiung des Einzelnen aus Sünde, Furcht und Abhängigkeiten charakterisieren.
Solche Hoffnungen hatten zur Folge, daß die Kirchenväter allen
abergläubischen Praktiken und Orakelbefragungen grundsätzlich ablehnend,
ja sogar ausgesprochen feindselig gegenüberstanden. Sie konnten
sich dabei beispielsweise auf den Apostel Paulus stützen, der sich im
Brief an die Galater diesbezüglich unmißverständlich äußerte und den
Glauben an irgendwelche Mächte außer Gott sowie die Beachtung von
bestimmten Tagen, Monaten und Jahren als sklavische Haltung brandmarkte
(Gal. 4,8).
Trotzdem war eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Phänomen
des Traumes unvermeidlich in Anbetracht der großen Bedeutung,
welche der Vision und der nächtlichen Traumoffenbarung im Alten Testament
(vgl. etwa den Traum Jakobs von der Engelsleiter, die Josefsgeschichte
und die Visionen im Buch Daniels) zukam.181 Ebenso bekannt
waren die Wahrträume in den Evangelien (z. B. Traumanweisung an die
drei Magier, Befehl an Joseph nach Ägypten zu fliehen, Warntraum der
Frau des Pilatus) oder in den Apostelgeschichte (Leben des Paulus)182,
und diese Episoden wurden später in mittelalterlichen Evangeliaren und
181 Als klassische religionsgeschichtliche Untersuchung des hebräischen Traumglaubens
vgl. E. L. EHRLICH, Der Traum im Alten Testament, Diss. phil. Berlin 1953.
Als Ergänzung dazu, aber weniger überzeugend, eine Synthese von theologischer Exegese
und psychologischer Deutung bei A. RESCH, Der Traum im Heilsplan Gottes:
Deutung und Bedeutung des Traums im alten Testament, Diss. theol. Freiburg i.
Br. 1964.
182 Vgl. dazu A. WIKENHAUER, Die Traumgesichte des Neuen Testaments in
religionsgeschichtlicher Sicht (in: Pisciculi, Festschrift F.J. Dölger, Münster 1939,
S. 320-333) , der die erste Gruppe einem orientalischen Typus der Traumerzählung
und die zweite Serie einem hellenistischen Modell zuordnet. Martine DULAEY, Le
reve dans Ia vie et Ia pensee de saint Augustin (Paris 1973, S. 33 f.), charakterisiert
die Haltung der jüdischen und urchristlichen Tradition gegenüber dem Traum als
ziemlich nüchtern; dieser wurde nie als ausscbließlicher Offenbarungsweg verstanden;
Gott konnte durch den Traum, aber sehr wohl auch anders zum Menschen sprechen.
Außerdem macht sie auf die Seltenheit von eigentlichen, d. h. visuellen Gesichten
aufmerksam. In der Hl. Schrift redet Gott oder sein Bote den Träumer meistens mit
Worten an und tut so seinen Willen unmißverständlich kund, was meines Erachtens
92 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
religiösen Erbauungsbüchern auch bildlich dargestellt (Vgl. Abb. 14, 1 5
u. 16). Die im Urchristentum immer wieder aufbrechende Diskussion
über Wesen und Ursprung der den Schläfer heimsuchenden Bilder und
Gesichte orientierte sich notgedrungen sowohl an der Hl. Schrift wie auch
an den Erkenntnissen antiker Philosophen. Anband von Äußerungen einiger
wichtiger Vertreter der Urkirche sollen diese für das mittelalterliche
Traumverständnis prägend wirkenden Theorien und Synthesen skizziert
werden.
Eine der frühesten Stellungnahmen stammt von Quintus Septimius
Florens Tertullianus (ca. 150-225). Sein Übertritt in die Sekte der Montanisten
beraubte Tertullian zwar des Ehrentitels eines Kirchenvaters,
trotzdem hat er die christliche Glaubenslehre nicht unwesentlich zu beeinflussen
vermocht. Tertullians Hauptwerk „De Anima“ enthält einen
längeren Exkurs über Schlaf und Traum, worin er den möglichen Offenbarungscharakter
des Traumes anerkannte und sich bemühte, dies mit
Beispielen aus der griechischen und römischen Geschichte zu belegen.183
Von Gott stammen seiner Auffassung nach die guten Träume, deren
Inhalt er als ehrbar, rein, erbaulich und voraussagend umschreibt und die
er auch keineswegs auf einen ausschließlich christlichen Empfängerkreis
beschränkt sehen wollte. Die Dämonen jedoch, die an den heidnischen
Orakelstätten mit ihren teilweise richtigen Weissagungen danach trachteten,
die Menschen vom wahren Gott abzulenken184 , verursachen manchmal
auch wahre Träume, um so ihr Opfer zu verwirren. Die Mehrzahl
der von ihnen gesandten nächtlichen Bilder sind jedoch falsch, trügerisch,
schlüpfrig-schmutzig oder verworren.185 Als dritte Kategorie des Traumerlebens
nannte Tertullian Bilder, die auf Tagreste zurückgehen und von
der Seele, welche Tag und Nacht ständig aktiv bleibt, in einer Art Verkettung
der Begebenheiten geschaut werden.186 Damit distanzierte er sich
auch mit der Schwierigkeit bzw. dem Verbot, sich das Himmlische überhaupt bildlich
vorzustellen, zu tun hat.
183 Tertullian, De anima. Opera Montanistica. Ed. A. GERLO, CC 2, S. 781-869,
spez. cap. 46, 4-10; S. 850 ff.
184 Tertullian, ebenda, cap. 46,12, S. 853.
185 Ebenda, cap. 47,1; S. 853.
186 Ebenda, cap. 47,3; S. 853 – Es finden sich in dieser Schrift ferner ein nicht sehr
überzeugender Versuch, das Träumen im Sinne der Montanisten als Folge einer den
Geist lähmenden Ekstase zu erklären (cap. 45,3 u. 5; S. 849 !.) sowie Hinweise auf
Abb. 14: Jakobs Traum von der Engelsleiter.
Durchpauskopie des verbrannten „Hortus Deliciarum“ der Herrad von Landsberg, 12. Jh.
<Euvre Notre-Dame de Strasbourg, Bureau de l’Architecture.
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94 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
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Abb. 16: Traum der Frau des Pilatus.
Hortus Delidarum der Herrad von Landsberg. Bibliotheque nationale, Paris.
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96 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
deutlich von der alten platonischen Ideenlehre, gemäß deren Traumerklärung
sich die Seele nachts aus dem Körper, ihrem Gefängnis, entferne
und so Kontakt mit überirdischen Wesen aufnehmen könne.187 Aus Tertullians
Theorie läßt sich schließlich eine für das Urchristentum typische
moralische Indifferenz gegenüber dem Traum ableiten, denn bei diesem
inneren Schauen bleibt der Geist völlig unbeteiligt und der Körper passiv:
„Darum bleiben auch gute Taten im Traum unbelohnt und Sünden
unbestraft; wir werden ebensowenig wegen Betreibung der Unzucht
im Traume verdammt werden wie wegen des Erleidens des Martyriums
im Traume gekrönt.“188
Bei Firminianus Lactantius ( ca. 250-317) ist eine Abhängigkeit von Tertullian
nicht sicher feststellbar. Beide Autoren waren trotz ihres christlichen
Glaubensbekenntnisses in ihrer Auffassung vom Traum deutlich
von den Stoikern geprägt. Lactantius stützte sich in seinem Traktat „De
opificio Dei“ wahrscheinlich auf eine Vorlage des römischen Schriftstellers
Varro, bezog aber zusätzlich aristotelisches Gedankengut in seine
Darstellung ein.189 Während die menschliche Seele Sinneswahrnehmungen
aufnimmt, kann der Körper nicht schlafen, selbst wenn man eine
völlig entspannte Position eingenommen hat. Im Dunkeln verschafft
sich die Seele zunächst wegen der ihr eigenen Ruhelosigkeit aus Erinnerungsstücken
Bilder, so daß die Aufmerksamkeit von den spärlich
gewordenen Außenreizen abgezogen und nach innen verschoben wird
und der Körper einschlafen kann. Während der für den Leib nötigen
Ruhezeit kombiniert die Seele die erinnerten Bilder zu verschiedenen
Neuschöpfungen oder ganzen Szenenfolgen und findet darin gewissermaßen
eine Betätigung. So wurde der Traum bei Lactantius – wie viele
natürliche Faktoren, die den Traum gewissermaßen von außen beeinflussen, wie etwa
die Jahreszeiten, die während des Schlafs eingenommene Körperlage, oder der Genuß
von bestimmten Nahrungsmitteln sowie das Fasten (cap. 48, 1-4; S. 854 f.).
187 Ebenda, cap. 43,4 u. cap. 44,1-3; S. 845 u. 848 f.
188 De anima, cap. 45,4, S. 850: Denique et bona facta gratuita 3Unt in 3omni3 et
delicta 3ecura, non magi3 enim ob 3tupri vi3ionem damnabimur quam ob martyrii
coronabimur.
189 M. DULAEY, Le reve dans Ia pensee, S. 60.
DIE TRAUMTHEORIE IN IHRER GESCHICHTLICHEN ENTWICKLUNG 97
Jahrhunderte später auch beim modernen Traumspsychologen Sigmund
FREUD190 – zum Hüter und Garant des Schlafes:
„Die Fähigkeit zum Träumen gab Gott um des Schlafes willen allen
Lebewesen.“ 191
Auch nach Lactantius Meinung behält sich Gott allerdings vor, den Menschen
gegebenenfalls durch das Mittel des Traumes über zukünftige Ereignisse
zu belehren.
Hieronymus (ca. 347-420) nahm in seinen Schriften gegenüber dem
Traum eine kritische, ja geradezu mißtrauische Haltung ein. Er betonte
die innerpsychische Entstehungsweise der meisten Träume, obwohl
er in jungen Jahren deren Offenbarungscharakter einmal an seinem eigenen
Leib drastisch zu spüren bekommen hatte. Während M. DULAEY
die berühmte nächtliche Züchtigung des Kirchenvaters wegen seiner
Liebe zur Philosophie Ciceros als literarische Fiktion zu interpretieren
versucht1921. glaubt P. ANTIN zwar an einen echten Er􀋂􀋃bnisbericht,
den er aber in Ubereinstimmung mit einer nachträglichen Außerung des
Hieronymus als Begleiterscheinung einer Krankheit erklärt, so daß sich
der Träumer die nachher sichtbaren Hautstriemen im Fieber-Delirium
durch unruhiges Herumwerfen im Bett selber zugefügt hätte.193 In einem
anderen Zusammenhang spielte Hieronymus übrigens nochmals auf
die körperlichen Faktoren der Traumentstehung an. Gewisse fromme
Leute, so bemerkte er in einem Brief sarkastisch, sähen nach einem
opulenten Mahl im Traum die AposteW94 Neben der Erwähnung von
190 S. FREUD, Die Traumdeutung (1900), Frankfurt/Main 1961, S. 471 f; N. FINK,
Lehrbuch der Schlaf- und Traumforschung (S. 129 f.), möchte diese These Freuds
durch neuere experimentelle Forschungen, in denen eine deutlich erhöhte Weckschwelle
von Schläfern sowohl in der Phase des Tiefschlafs als auch in den REM-Phasen
beobachtet wurde, untermauern. Mir scheint jedoch, daß dieses Phänomen eher einen
Nebeneffekt des Traumprozesses darstellt als dessen primären Zweck.
191 De opificio Dei, 18, Zitiert nach DULAEY, S. 59. Dormiendi ergo cau.$a tribu.ta
e$t a Deo ratio $Omniandi, et qu.idem in commu.ne u.niversü animantibu.$.
192 DULAEY, S. 61 f.
193 P. ANTIN, Autour du Songe de Saint Jeröme, in: Revue des etudes latines
41 (1963) S. 350-377; 364 f. ANTIN bietet in seinem Aufsatz vor allem reiches
Vergleichsmaterial mit antiken, aber auch späteren Traumerzählungen verwandten
Inhalts.
194 Hieronymus, Epist. 22, 16, zitiert nach DULAEY, S. 62.
98 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
physischen Ursachen kannte der Kirchenvater auch das von Tertullian
entwickelte dreiteilige Schema und bezeichnete in verschiedenen Zusammenhängen
sowohl Gott und Dämonen als auch die menschliche Seele
als Traumschöpfer .195
.
Äußerungen des Kirchenvaters Ambrosius von Mailand ( ca. 339-
397) über den Traum sind leider nur spärlich überliefert, doch läßt sich
in ihnen der Einfluß des Neuplatonismus erkennen. Deutlich wird dies
etwa in der von Ambrosius nach antiken Mustern geformten Trauerrede
am Grabe seines Bruders Satyrus. Nachdem er seinen Zuhörern
von einer ihm persönlich widerfahrenen Traumerscheinung des Verstorbenen
berichtet hatte, sprach er vom menschlichen Körper als Grab der
Seele. Im Schlaf werde die Verbindung zum Leib soweit gelockert, daß
die Seele im Traum die ewigen Wahrheit-en wenigstens teilweise erkennen
könne.196 Dieselbe Idee kommt ferner in einer von Ambrosius gedichteten
Hymne zum Ausdruck, in welcher Gott um eine gute Nacht gebeten
wird. Die zentralen Verse lauten:
„Laß den Verstand nicht ruhen,
nur die Schuld kenne den Schlummer,
der Glaube erhalte mich keusch,
indem er kühle die Dämpfe des Schlafes.
Befreit von den Täuschungen der Sinne
träumen die Tiefen des Herzens von Dir,
Und laß nicht zu, daß der neidische Feind
mir durch Schrecknisse die Ruhe raubt.“197
Während also der Schlaf mit Aristoteles als eine Konzentration von
Wärme und Dampf im Leibesinneren verstanden wird, die für sexuelle
Träume verantwortlich gemacht wird, soll der Geist bzw. die Seele wach
bleiben, damit sie Gott schauen kann.
* * *
195 DULAEY, S. 63, für die einzelnen Belegstellen vgl. dort die Anmerkungen 119-
121.
196 Ambrosius, De excessu fratris sui Satyri. PL 16, Sp. 1332 f.
197 A. S. WALPOLE, Early Latin Hymns, Bildesheim 21966, S. 44 f.: Darmire
mentem ne 4ina3/ Darmire cu.lpa naverit,/ c1uti3 fide3 refrigeron3/ 3amni u.aporem
temperet./ Ezuta 3en3u. lubrico,/ Te cardi3 alta ßamnient,/ Nec ha4ti3 inu.idi dala/
Pavar qu.ietaß 3’1.1 3citet. Übers. der Verfasserio nach Walpole.
DIE TRAUMTHEORIE IN IHRER GESCHICHTLICHEN ENTWICKLUNG 99
Von größtem Einfluß auf die Gedankenwelt des Mittelalters waren die
Werke des Augustinus (354-430). Martine DULAEY hat die Ideen dieses
Kirchenvaters über den Traum in ihrer zeitlichen Entwicklung im
Detail analysiert; die Ergebnisse ihrer Arbeit werden hier zusammenfassend
wiedergegeben.198 Für Augustinus stellte der Traum zunächst
einmal kein theoretisches Problem dar, sondern es handelte sich um ein
Alltagsphänomen, mit dem er auf verschiedene Weise immer wieder konfrontiert
wurde. Schon seine Mutter Monika pflegte ihm nämlich ihre
Träume zu erzählen, wobei sie offenbar einen sicheren Instinkt besaß,
ernstzunehmende Nachtgesichte von der Mehrheit der bedeutungslosen
Bilderfolgen zu unterscheiden. Als Beispiel für eine solche Zukunftsoffenbarung
sei hier der Traum vom Richtscheit erwähnt, in welchem Monika
versichert wurde, daß ihr Sohn sich eines Tages doch noch zum Christentum
bekehren werde.199 Diese Gewißheit seiner Mutter kam Augustinus
damals zwar überhaupt nicht gelegen, jedoch dachte er niemals daran,
an der grundsätzlichen Möglichkeit eines solchen Traumorakels zu zweifeln.
Einige Zeit später bat er sie sogar um Rat, ob er eine Ehe anstreben
solle; Monika erhielt aber in bezug auf dieses Problem im Traum keine
klare Antwort.200
Als Christ mußte sich Augustinus hauptsächlich mit der Seelenlehre
des Neuplatonismus auseinandersetzten, die ja auch von seinem Taufpriester
und Mentor Ambrosius in Mailand vertreten wurde. In den
Jahren 387-89 beschäftigte sich Augustinus mit der Frage nach dem
Wesen der inneren Schau, d. h. der Bilder, welche von der Seele wahrgenommen
werden. Diese Überlegungen sollten die Grundlage für alle seine
späteren erkenntnistheoretischen Erörterungen bilden.201 Nach dem Vorbild
des griechischen Neuplatonikers Porphyrios unterschied er dabei drei
198 M. DULAEY, Le reve dans Ia vie et Ia pense de saint Augustin, Paris 1973. Diese
verständlich und flüssig geschriebene Monographie vermittelt neben der Analyse von
Augustins umfangreichem Werk auch eine Übersicht über die Traumtheorien seiner
Vorgänger und kann deshalb als Standardwerk zum Traumverständnis der christlichen
Antike gelten.
199 Zum Inhalt und zur Interpretation dieses berühmten Traumes siehe unten, Anm.
Nr. 206.
200 Nach DULAEY, S. 71 ff.
201 Für eine ausführliche Diskussion der von Augustinus hauptsächlich in seinem
414 zu datierenden Schriftkommentar „De Genesi ad Litteram libri duodecim“ weiter
ausgearbeiteten Theorie über die Formen des menschlichen Erkennens vgl. H. J.
100 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
Klassen: zunächst einmal die in der Erinnerung gespeicherten Bilder
oder Eindrücke von körperlichen Sinneswahrnehmungen, dann die eigenständigen
Phantasien, welche die Seele aus solchem Material gestaltet
und schließlich die nur im Geiste vorhandenen, abstrakten Aussagen.
Im Kampf gegen den manichäischen Irrglauben kristallisierte sich bei
Augustinus die Überzeugung heraus, daß die Seele nicht feinstofflich sei,
wie Porphyrios geglaubt hatte, sondern unkörperlich, analog zu den von
ihr gesehenen Bildern. 202
Den Vorgang des Träumens selbst erklärte sich Augustinus so, daß
die Seele ihre Aufmerksamkeit während des Schlafs nach innen wendet,
wo sie nicht nur die Eindrücke des Vortags ( = Tagesreste), sondern
auch älteres Erinnerungsmaterial vorfindet. Dabei kann es sich um Gedanken,
Wahrnehmungen oder Taten aus schon weit zurückliegenden
Jahren handeln; demzufolge ist es dem wachen Menschen nachher kaum
mehr möglich, festzustellen, weshalb nun dieses oder jenes Bild in seinem
Traum auftauchte. Im Unterschied zu den Tieren, die ja nach Aristoteles‘
Aussagen auf ihre Art ebenfalls träumen, ist jedoch das menschliche
Gedächtnis während des Schlafs fahig, aus seinem Erinnerungsschatz
neue Bilder und Szenenfolgen zu kombinieren; die Seele ist also
mit schöpferischer Kraft begabt.203 Diese Überlegungen haben bis heute
ihre Gültigkeit nicht verloren; sie gehen weit über die von Aristoteles
gemachten Beobachtungen von Tagesresten, welche die Seele in passiver
Anschauung an sich vorüberziehen lasse, hinaus. Andererseits vermied
Augustinus auch den Fehler vieler seiner dem Neuplatonismus verhafteten
Zeitgenossen, welche die nächtliche Aktivität der Seele nur mit der
Loslösung vom Körper erklären konnten und ihre Fähigkeiten damit ins
Göttliche übersteigerten. So wurde der Weg wieder frei für eine realistische
Einschätzung der alltäglichen, normalen Traumerlebnisse. Nach
KAMPHAUSEN, Ttaum und Vision in der lateinischen Poesie der Karolingerzeit
(=Lat. Sprache u. Literatur des Mittelalters 4} Bern 1975, S. 36-44.
202 Nach M. DULAEY, S. 82 ff.
203 Nach DULAEY, S. 96 ff. Diese Formulierungen entsprechen weitgehend dem
von D. FOULKES, Dreaming: A cognitive-psychological Analysis (Hillsdale N. J .
1985), auf Grund neuerer erkenntnispsychologischer Forschungen vorgeschlagenen
ErklärungsmodelL Die im Schlaf noch arbeitenden Teile des Bewußtseins versuchen
gemäß dieser These, zufällig aktivierte Erinnerungen im Ttaumprozeß zu einem sinnvollen
Ganzen, d. h. einer in sich ziemlich logisch aufgebauten Erzählung zusammenzufügen.
DIE TRAUMTHEORIE IN IHRER GESCHICHTLICHEN ENTWICKLUNG 101
Erkenntnis des Augustinus spiegeln diese nächtlichen Erlebnisse als Produkte
des Gedächtnisses naturgemäß die Stimmungen und Gewohnheiten
sowie auch die Bedürfnisse, Wünsche und Ideale des Schläfers wieder.
Die Seele bleibt aber im Traum, wie früher schon Tertullian festgestellt
hatte, moralisch ohne Verantwortlichkeit, denn es fehlt ihr der Wille und
die Urteilskraft des wachen Tagesbewußtseins. Über den Umweg der Erinnerungsbilder
können nach Augustins Theorie auch die körperlichen
Reize und Bedürfnisse den rein geistigen Traumprozeß beeinflussen, was
die Bankettphantasie des hungrigen Schläfers genau so gut erklärt wie
Träume mit sexuellem Inhalt.204
Aus dem bei allen Völkern des Altertums fest verwurzelten Glauben,
daß die Gottheit sich den Sterblichen gelegentlich während des Schlafes
offenbare, erwuchs das Bedürfnis nach Unterscheidungskriterien für
Träume. Das dreiteilige Klassifikationsschema des Tertullian geht nachweislich
über Philo von Alexandria und Poseidonios auf die älteren Philosophen
der Stoa zurück. Ein fünfteiliges Schema war bei den heidnischen
Neuplatonikern Makrobius und Calcidius im Gebrauch, die wiederum
eine Schrift des Porphyrios benützt haben dürften.205 Auch Augustinus
übernahm die Grundaussagen dieses praktischen Ordnungssystems,
soweit es sich auf Wahrträume bezog, ohne wesentliche Änderungen. Danach
konnte der Schläfer Zukunftsszenen im Detail voraussehen oder von
einem Botschafter in Worten vermittelt bekommen. Daneben rechnete
Augustinus traditionsgemäß auch mit symbolisch verschlüsselten Bildfolgen
oder mit ebenso dunklen Andeutungen eines Traumsprechers.206
204 Nach DULAEY, S. 103 ff. – Beispiele solcher Leibreizträume aus dem Mittelalter
werden im Kapitel 4.2 und 4.3 der vorliegenden Arbeit behandelt.
205 DULAEY, S. 89 ff. – Makrobius, Commentarii in somnium Scipionis {Ed. F.
EYSSENHARDT, Leipzig 1868, S. 473 f.) kennt 1. als „somnium“ den symbolisch
verschlüsselten Wahrtraum, 2. als „visio“ die klare Schau zukünftiger Ereignisse, 3.
als „oraculum“ den Personentraum, in dem Eltern, Priester, oder Götter Künftiges
voraussagen oder Ratschläge erteilen, 4. als „insomnium“ den Traum aus Tagesresten
oder Leibreizen ohne jeden mantischen Wert sowie 5. als „visum“ die Einschlafbilder
und die Alpträume. Zum Nachwirken dieser Einteilung im Mittelalter vgl. unten
Kap. 3.3.1 dieser Arbeit.
206 Nach DULAEY, S. 89 ff. – Als Beispiel für eine symbolische Zukunftsschau kann
hier Monikas Traum angeführt werden. A’ugustinus‘ Mutter sah sich darin traurig und
äußerst niedergeschlagen auf einem Holzscheit stehen. Ein lichtstrahlender Jüngling
trat lächelnd auf sie zu und fragte sie nach dem Grund ihres Kummers. Sie beklage,
102 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
Die von Augustinus hier in Übereinstimmung mit der ID. Schrift
anerkannte Möglichkeit, daß Gott durch seine Engel dem Träumer seinen
Willen offenbare, widersprach in gewissem Sinne der von ihm selbst
entwickelten Psychologie des Traums. Obwohl er sich redlich bemühte,
die Interventionsmöglichkeit von feinstofflich, also körperlich gedachten
Engeln und Dämonen in die geistige Bilderwelt der Seele rational zu
erklären, kam er nach eigenem Eingeständnis hier nicht zu befriedigenden
Ergebnissen.207
Von wesentlich größerer Bedeutung für Theologie und praktische
Seelsorge war die Stellungnahme des Augustinus zu Erscheinungen von
Toten im Traum. Solche subjektiv eindrücklichen Erlebnisse trugen
nämlich viel zum Glauben an die Wiedergänger bei und bestärkten offensichtlich
auch Christen in der Weiterführung des römischen Ahnenkults,
was die Kirche begreiflicherweise nicht gerne sah. Diese Tendenzen
bekämpfte Augustinus als Bischof von Hippo mit dem aus eigener Erfahrung
stammenden Argument, daß ja sogar Lebende ohne ihr Wissen
im Traum ihrer Mitmenschen aufträten. Deshalb sei es wahrscheinlich
und keineswegs ungewöhnlich, daß im Traum gelegentlich auch die Erso
antwortete Monika im Traum, das Verderben ihres Sohnes. Der Jüngling aber
bedeutete und versicherte ihr, daß Augustinus dort sei, wo sie selber weile. Darauf
gewahrte sie plötzlich ihren Sohn auf dem gleichen Holzstück stehen. Confessiones.
Ed. lat. franz. P. de LABRIOLLE, Paris 101969, Bd. 1, lib. III, cap. 1 1 , S. 6 1 : Vidit
enim 1e 1tantem in quadam regula lignea et uenientem ad 1e iuuenem 1plendidum
hilarem atque aridentern 1ibi, cum illa euet maeren1 et maerore confecta. Qu.i cu.m
cau.1a1 ab ea quae1i11et mae1titiae 1uae colidianaru.mqu.e lacrimaru.m, docendi, ut
ad1olet, non di1cendi grotia, atque ille re1pon1iuet perditionem meam 1e plangere,
iuuiue illum, quo 1ecura euet, atque admonuiue, ut adtenderet et uideret, u.bi euet
illa, ibi eue me. Qu.od illa, ubi adtendit, uidit me iuzta 1e in eadem regula 1tantem.
Es fiel Monika nicht schwer, diese Symbole in eine tröstliche Botschaft aufzulösen.
In dem strahlenden, freundlichen Jüngling erkannte sie nach DULAEY (S. 160 f.)
ohne weiteres einen Engel des Himmels, während das Holzscheit sowohl allgemein
die Regeln eines sittlichen Lebens als auch durch die Anspielung auf das hölzerne
Marterkreuz Christi speziell die Glaubenslehre versinnbildlichte. Augustinus hatte
ja zu diesem Zeitpunkt mit einer Frau ein Liebesverhältnis, ohne daß von Heirat
die Rede war, was Monikas christlichem Ethos widersprach. Zusätzlich bereitete ihr
sein aktives Interesse an der Sekte der Manichäer bereifticherweise ernsthafte Sorgen.
Von diesem Traum getröstet, entschloß sie sich dann wieder zu ihrem Sohn zu ziehen,
dessen Leben sie aus moralischen Bedenken nicht mehr hatte teilen wollen.
207 Nach DULAEY, S. 121 f.
DIE TRAUMTHEORIE IN IHRER GESCHICHTLICHEN ENTWICKLUNG 103
innerungsbilder von lieben Verstorbenen gesehen würden. In bezug auf
die wesentlich selteneren Fälle, in denen die Erscheinung eines Verblichenen
konkrete Ratschläge, Bitten oder Weissagungen für die Zukunft des
Träumers äußerte, gab Augustinus zu bedenken, daß die Toten nichts
über die Ereignisse auf der Erde wüßten. Es schien ihm deshalb eher angezeigt,
in solchen Erscheinungen Engel zu sehen, die das Äußere von verstorbenen
Bekannten annahmen, um so in einer dem Träumer vertrauten
Gestalt Gottes Botschaft zu überbringen. Aus diesen Überlegungen folgerte
er schließlich, daß man Anweisungen von Toten nicht blindlings zu
erfüllen brauche, sondern solche Befehle zuerst anhand der Hl. Schrift
kritisch auf ihren Ursprung bzw. auf ihren moralischen Gehalt zu prüfen
habe.208
3.2. DIE NEGATIVE WERTUNG DES TRAUMS IM FRÜHEN MITTELALTER
Zu Beginn der Darstellung der im Mittelalter tradierten Ideen und Thesen
zum Traumphänomen erscheint es angezeigt, einen Blick auf die
aktuelle Forschungssituation zu werfen. Neben den bereits erwähnten
historischen Skizzen in einigen vorwiegend an psychologischen Fragestellungen
interessierten Publikationen209 gibt es nur vereinzelt Sekundärliteratur
zu diesem Thema. Bahnbrechend im Sinne einer ersten Erschließung
des Traumes für die Mediävistik im Rahmen der Erforschung
der Mentalitäten und der Bedeutung des Imaginären für die gesellschaftliche
Entwicklung bleibt Jaques LE GOFFs schon vor rund einem Jahrzehnt
erschienener Essay „Les reves dans la culture et la psychologie
collective de l’Occident medieval“ .210 Die von ihm angebotenen Thesen
sind anregend, gehen aber kaum über die Vorzeichnung der großen
Entwicklungslinien hinaus und vermögen in der stark komprimierten
Form nicht immer restlos zu überzeugen. Der eingeschlagene Weg der
Trauminterpretation nach dem Muster der Psychoanalyse muß heute wegen
dem dieser Richtung eigenen Hang zur Überbetonung der sexuellen
Triebkräfte und einer daraus resultierenden Dogmatik mit zunehmendem
Widerspruch auch von psychologischer Seite rechnen. Fragwürdig
erscheint ferner die unterschiedslose Verwendung biographischer Traumberichte
und Traumerzählungen mit eindeutig literarischem, also fikti-
208 Nach DULAEY, S. 144 f.
209 Siehe oben in der Einführung, Kapitel 1.1 dieser Arbeit, Anmerkung 1 .
210 In: J. LE GOFF, Pour un autre Moyen-Age, Paris 1975, S. 299-306.
104 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
vem Charakter. LE GOFF beschränkte sich auf die Betrachtung zweier
Zeitabschnitte, nämlich der merowingischen Frühzeit und des 12. Jahrhunderts.
Zweifellos bedarf diese Studie sowohl zeitlich als auch inhaltlich
der Ergänzung und Differenzierung, was nun in der vorliegenden
Untersuchung angestrebt wird.
Bei der Zusammenstellung von theoretischen Aussagen über den
Traum hat sich Dieter HARMENINGs Werk über mittelalterlichen Aberglauben
trotz des eher thematisch als chronologisch strukturierten Ansatzes
als nützliche Orientierungshilfe erwiesen.211 Die in der Untersuchung
vorgenommene Einschränkung auf theoretische Texte erscheint
aber methodisch gesehen fragwürdig. Das von HARMENING auf dieser
Grundlage erarbeitete Dreierschema von Schrift, Kirchenvätern und
Konzilien als Quellen der Aberglaubenstheorie mag für den engeren Bereich
der theologischen Kritik gültig sein, nicht aber für das in der vorliegenden
Arbeit behandelte Phänomen des Traumes und der daraus
erwachsenden Diskussion um dessen Deutung. Gerade hier lassen sich
sehr wohl konkrete Beziehungen zwischen solchen Textzeugnissen und
der gesellschaftlichen Realität aufzeigen, die HARMENING grundsätzlich
leugnet. 212 Zuletzt muß noch die ältere Studie des Medizinhistorikers
P. DIEPGEN erwähnt werden, welche einen brauchbaren Überblick gibt
über die naturwissenschaftlichen Modelle von der Traumentstehung im
Hochmittelalter und in der Scholastik.213
* * *
Bischof Isidor von Sevilla (556-636} legte seine Gedanken zum Traumphänomen
nicht etwa in seinen um 620 entstandenen „Etymologiae“,
dem antik-frühmittelalterlichen Reallexikon, nieder, sondern in den sogenannten
„Sentenzen“, worin er vorwiegend Fragen der Glaubenslehre
und der christlichen Moral behandelte.214 Während Augustinus in seinen
211 D. HARMENING, Superstitio: Überlieferungs- und theoriengeschichtliche Untersuchungen
zur kirchlich-theologischen Aberglaubensliteratur des Mittelalters, Berlin
1979, besonders S. 95 ff.
212 HARMENING, ebenda, beispielsweise S. 1 1 1 , 273 u. 318.
213 P. DIEPGEN, Traum und Traumdeutung als medizinisch-naturwissenschaftliches
Problem im Mittelalter, Berlin 1912.
214 Isidor von Sevilla, Sententiarum libri tres. PL 83, Sp. 668-671.
DIE TRAUMTHEORIE IN IHRER GESCHICHTLICHEN ENTWICKLUNG 105
Werken noch zwischen den im Wachzustand, also meistens tagsüber empfangenen
Visionen, und den Träumen der Nacht zu differenzieren gewußt
hatte, sprach Isidor nun unterschiedslos von „visiones somniaque“ .215
Von Papst Gregor dem Großen übernahm er für diese inneren Erlebnisse
ein sechsteiliges Ordnungsschema, das im Anschluß ausführlicher
besprochen werden soll. Trotz Gregors Rückgriff auf antike Erkenntnisse
betrachtete lsidor die Unterscheidung zwischen wahren Träumen
oder Visionen und den nichtssagenden Produkten menschlicher Einbildungskraft
als fast unlösbares Problem. Selbst wenn ein Nachtgesicht
einmal Offenbarungscharakter zu haben schien, war äußerste Vorsicht
geboten, damit nicht Satan in Gestalt eines Lichtengels leichtgläubige
Personen täusche und in die Irre führe.216 Nach Isidors Ansicht könnten
ferner Dämonen mit der Erlaubnis Gottes bewirken, daß schlummernde
Menschen schreckliche Szenen sähen und sogar Höllenqualen erdulden
müßten. Solche unerfreulichen Traumerlebnisse interpretierte der Bischof
dann in moralischem Sinne als Strafe für Böse und als Prüfung für
die Gerechten.217 Gute Menschen oder solche mit geringfügigen Schwächen
mochten im Schlaf zuweilen rätselhafte Dinge sehen218, während
Personen, die wirklich Schuld auf sich geladen hatten, – immer nach
Isidors Auffassung – nachts von der Furcht vor Strafe für ihre Vergehen
verfolgt würden. Dies erklärte er dadurch, daß die Angst vor Entdeckung
und Strafe die Verbrecher ja auch am Tage beunruhige und
in ihrem Gedächtnis haften bleibe; aus dem Speicher des Gedächtnisses
wiederum schöpfe der Traum dann seine Bilder.219
Weniger moralisch gefärbt als die Sentenzen Isidors wirken die Äußerungen,
die Papst Gregor der Große {590-614) zum Traum machte, obwohl
sein Dialogbuch das seelsorgerische Anliegen keineswegs verleugnet.
Mit den in diesem Sammelwerk enthaltenen Erzählungen über das Leben
von heiligen Männern in Italien wollte er den Lesern Tugendbeispiele
vor Augen führen, und mit den von verschiedenen Gewährsmännern
215 Isidor, ebenda, lib. III, cap. 6,11.
216 lsidor, lib. III, cap. 6, 6-8.
217 Ebenda, lib. III, cap. 6,1.
218 Ebenda, lib. III, cap. 6,3.
219 Ebenda, lib. III, cap. 6, 11-12. Ansätze zu dieser Einsicht gab es selbstverständlich
schon in der Antike. Eine weitere Ausarbeitung erfuhren sie dann durch
Augustinus, auf den sich Isidor hier wahrscheinlich bezog.
106 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
übernommenen Wunderberichten versuchte er, den Glauben an Gottes
Wirken in dieser Welt zu stärken.220 Vor allem im vierten Buch befaßte
sich der Papst dann mit Themen, die damals wie heute viele Menschen
beunruhigten und ängstigten. Fragen nach dem konkreten Vorgang des
Sterbens, der Unsterblichkeit der Seele und deren Schicksal nach dem
Tod wurden hier gemäß der kirchlichen Glaubenslehre beantwortet. Im
Zusammenhang mit Todesankündigungen in nächtlichen Gesichten kam
Gregor dann auch auf das Traumphänomen zu sprechen.
Der Autor klärte seinen Dialogpartner bzw. seinen Leser dahingehend
auf, daß es sechs verschiedene Arten von Träumen gebe, die er
nach der jeweiligen Ursache klassifizierte. So können nächtliche Traumbilder
zunächst von zu vollem oder zu leerem Magen herrühren. Solche
heute als Leibreizverarbeitung bezeichnete Erlebnisse kannten auch
Gregors Leser, wie er annehmen durfte, aus eigener Erfahrung.221 In
die dritte Traumkategorie gehören die täuschenden Vorspiegelungen des
bösen Feindes, in die vierte diejenigen Vorspiegelungen, welche mit Gedanken
vermischt sind, wobei Gregor mit dem biblischen Sprichwort:
‚Auf viele Sorgen folgen Träume‘ (Pred. 5,2) auf die psychischen Belastungen
des Alltags anspielte.222 Seine Skepsis gegenüber jeder Trauminterpretation
begründete der Papst mit der Einflußnahme des Bösen;
in diesem Sinne deutete er die Warnungen in der Hl. Schrift: ‚Denn
viele wurden durch Träume betrogen und in ihrem Vertrauen darauf
getäuscht‘ (Eccl. 34,7) und noch stärker: ‚Ihr sollt nicht wahrsagen und
220 Während die Form des Zwiegesprächs noch aus der Antike stammte, sollte Gregors
Werk inhaltlich zusammen mit der Vita s. Martini des Sulpicius Severus und
den Gesta Martyrum des Gregor von Tours aus dem merowingischen Raum zum
prägenden Vorbild der mittelalterlichen Hagiographie werden. – Die große Beliebtheit
des Dialogs läßt sich nach J. FUNK [Vorwort zur dt. Übersetzung (=Bibi. d.
Kirchenväter 2. Reihe, Bd. 3) München 1933, S. XVII] beispielsv.oeise allein schon
mit der weiten Verbreitung von Handschriften beweisen; die Abgegriffenheit der erhaltenen
Codices zeugen zudem von fleißiger Benützung. Lat. Ed. U. MORICCA,
Gregorii Magni DiaJogi libri quatuor (=Fonti per Ia Storia d’ltalia 57) Roma 1924.
221 Gregor der Große, Dialogi, lib. IV, S. 309.
222 Dialogi, lib. IV, S. 309. – Zu Gregors Traumkategorien vgl. H. J. KAMPHAUSEN,
Traum und Vision, S. 46 ff. Kamphausen unterliegt offensichtlich der Gefahr
einer modernen Überinterpretation, wenn er Gregor bei der vierten Kategorie an eine
nachträgliche, den Inhalt verfälschende Traumdeutung denken läßt.
DIE TRAUMTHEORIE IN IHRER GESCHICHTLICHEN ENTWICKLUNG 107
auch nicht auf Träume achten‘ (Lev. 19,26).223 Die beiden letzten Kategorien
in Gregors Dialogbuch beziehen sich auf die eigentlichen Offenbarungsträume,
deren Wesen er wiederum mit Beispielen aus der Bibel
erklärte.224 Dabei handelt es sich zunächst um eine klare Schau, beziehungsweise
um eine befehlsartige Eingebung; ein Gesicht kann aber
auch Antwort auf noch vor dem Einschlafen aufgeworfene Fragestellungen
geben. Nach Gregors Meinung hätten allerdings nur heilige Männer
die Fähigkeit, himmlische Eingebungen zuverlässig von den falschen Vorspiegelungen
des Teufels zu unterscheiden, indem sie das Geschaute nach
einem inneren Gefühl beurteilten. Die gewöhnlichen Menschen jedoch
wären gut beraten, den Träumen gar kein Vertrauen zu schenken, denn
auch wahre Voraussagen dienten dem Lügengeist dazu, die Seelen in die
Irre zu führen.
Zwischen der ablehnenden Haltung Gregors zur Traumdeutung und
seiner im selben Werk deutlich genug zu Tage tretenden Wundergläubigkeit
sowie den in ihrem Wahrheitsgehalt niemals bezweifelten Jenseitsvisionen
Sterbender besteht eine auffällige Diskrepanz. Das Mißtrauen gerade
gegenüber dem Traum wird aber aus der besonderen Situation der
Kirche im frühen Mittelalter verständlich. Einerseits hatte man nicht
allzu lange vor den Tagen Papst Gregors in der römisch-heidnischen
Welt Augurien und Traumorakeln einen großen praktischen Wert zugemessen,
andererseits spielte der Traum auch bei den aus dem Norden
ins Imperium eingedrungenen Germanen eine nicht zu unterschätzende
Rolle. Über den Umweg der literarischen Zeugnisse (Sagen und Epen)
läßt sich erahnen, wie stark Traumerlebnisse das konkrete Verhalten
beeinflußten. 225 Päpste wie Gregor der Große und seine unmittelbaren
223 In einem Kommentar zum Buch Hiob (Moralia in lob, lib. VIII, cap. 24, PL
75, Sp. 827 f.) geht Gregor nochmals auf das Traumproblem ein und macht hier
entsprechend seiner dritten Kategorie den ‚malignus spiritus‘ für das illusionäre Spiel
der nächtlichen Bilder verantwortlich. Einigen Menschen gaukelt er eitle Hoffnung
auf Glück und Erfolg vor, andere aber versetzt er durch gräßliche Szenen in Angst
und Schrecken. Selbst die Heiligen, denen der Teufel tagsüber nichts anhaben kann,
belästigt er dann umso heftiger im Traum.
224 Dialogi, lib. IV, S. 309, Träume Josephs im Alten Testament und Flucht der HJ.
Familie nach Ägypten im Neuen Testament, sowie Nebukadnezars Visionen im Buch
Daniel.
225 Eine kurze Darstellung wichtiger germanischer Traummotive bieten PONGRACZ
– SANTNER, Königreich der Träume, S. 90 ff. – Diese Hypothese findet eine gewisse
108 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
Nachfolger, die in oberster Instanz die Kirche verwalteten 􀍌d die christliche
Religion im Glauben an deren unbedingte geistige Uberlegenheit
auch zu verbreiten wünschten, sahen es daher als eine wichtige Aufgabe
an, der Superstition in all ihren Formen entgegenzutreten. Dies erwies
sich als umso notwendiger, als die Massenübertritte ganzer Volksstämme
und die gelockerten Strukturen des Christentums seit seiner Erhebung
zur Staatsreligion vielerorts zu einer Verßachung der Glaubensinhalte zu
führen drohten. 226
* * *
Einige Zeugnisse für die kirchlichen Anstrengungen zur Festigung ihrer
Lehre und zur Durchsetzung ihres Einflusses sind durch alle Wirren
des Frühmittelalters erhalten geblieben. Von Papst Gregor II. (715-
731) stammen Anweisungen für das Missionsgebiet Bayern, welche dort
durch die Bischöfe dem Volk bekannt gemacht werden sollten. Träume
und Augurien seien, so predigte der Kirchenführer in diesem Text, nach
dem göttlichen Orakel, d. h. der m. Schrift, nichtssagend und müßten
deshalb gemieden werden.227 Im seihen Kapitular verbot man konsequenterweise
auch die Beobachtung von als günstig geltenden Tagen,
alle Wahrsagekünste, die Lospraktiken sowie Beschwörungen und Zauberei.
228 Die geforderte nüchterne Einstellung ließ sich jedoch nicht einfach
befehlen; die den genannten Wahrsagepraktiken zu Grunde liegende ‚magische‘
Weltanschauung war selbst in den eigenen Reihen tief verwurzelt,
Unterstützung in den Beobachtungen moderner Ethnologen über die große Bedeutung
des Traums bei manchen fremden Völkern, die wir als ‚primitive Kulturen‘ zu
bezeichnen gewohnt sind. So L. LEVY-BRUHL, Die geistige Welt der Primitiven,
zitiert nach R. BOSSHARD, Traumpsychologie, Frankfurt/Main 11983, S. 250; ferner
Dorothy EGGAN, Hopi Dreams on Cultural Perspective, in: R. CAILLOIS –
G. E. VON GRUNEBAUM (Hg.), The Dream and Human Societies, Berkeley 1966,
S. 237-266, sowie I. HALLOWELL, The RoJe of Dreams in Ojibwa Culture, ebenda,
s. 267-292.
226 Zum Problem der von den Kirchenvätern gezwungenermaßen gemachten theologischen
Konzessionen an die Vorstellungswelt der breiten Schichten vgl. die Untersuchung
von V. SAXER, Mort, Martyrs, Reliques en Afrique chretienne aux premiers
siedes (=Theologie historique 55) Paris 1980, bes. S. 281-296.
227 Gregorii II papae decretales, cap. 8. Ed. G. PERTZ, MGH LL 2,2 Capitularia
spuria. Canones eccles. Bullae Pont. 1837, repr. 1965, S. 454.
228 Gregorii II papae decretales, cap. 9, ebenda.
DIE TRAUMTHEORIE IN IHRER GESCIDCHTLICHEN ENTWICKLUNG 109
wie einige unter dem Namen des Germanenmissionars Bonifatius tradierten
Statuten beweisen. In diesem, in das 8. oder frühe 9. Jahrhundert zu
datierenden Quellenzeugnis wurden nämlich sogar Priester und Kleriker
daran erinnert, daß sie bei Konsultation von Augurien und Wahrsagern,
aber auch bei Beachtung von Träumen und beim Loswerfen über Texte
der Hl. Schrift mit kirchlichen Strafen zu rechnen hätten.229 – In der
789 ergangenen „Admonitio generalis“, einem Erlaß Karls des Großen
(771-814), ermahnte man in bezug auf den Aberglauben ausdrücklich
das gesamte Volk, sich an die Bestimmungen der Bücher Mose zu halten,
wobei Deuteronomium 18,10-11 und Levi 19,18 in vollem Wortlaut
zitiert wurden.230 Nach des Herrschers Befehl sollten alle ‚Rechner‘, d. h .
wahrscheinlich Astrologen, alle Beschwörer, Wetterzauberer und Amuletthersteller,
wo immer sie ausfindig gemacht wurden, ergriffen und zur
Besserung gebracht oder aber in Übereinstimmung mit der alttestamentlichen
Forderung mit dem Tode bestraft werden.231
Die relative Häufigkeit solcher Verbote, seien sie nun wörtliche oder
sinngemäße Wiederholungen der einschlägigen Bibelstellen232, läßt indi-
229 Pseudo-Bonifatische Statuten, cap. 33. Ed. J. HARTZHEIM, Concilia Germaniae,
Köln 1760, Bd. 1, S. 75. – In diesem Zusammenhang kann man auch auf die von
M. A UBRUN, Characteres et portee religieuse et sociales des ‚visions‘ en Occident
du vr• au xr• siede [in: Cahiers de Civilisation Medieval 23 (1980), S. 109-130; 1 1 1
u . 129], beobachtete zwiespältige Lage mancher Jenseitsvisionäre des frühen Mittelalters
hinweisen. Sie gehörten zwar teilweise dem Klerus an, nahmen in der Hierarchie
aber meist einen niedrigen Rang ein und stießen mit ihren Schilderungen oder Mahnungen
bei ihren eher rational ausgerichteten Vorgesetzten nicht selten auf Mißtrauen
und Ablehnung.
230 Admonitio generalis, cap. 65. Ed. A. BORETIUS, MGH LL Capitularia regum
Franeorum 2,1, S. 58 f.
231 Der zuerst von PONGRACZ – SANTNER, S. 86, gegen Kar! den Großen erhobene
Vorwurf, der Herrscher habe trotz diesen harten Strafdrohungen selber einen
Traumdeuter an seinem Hof gehalten, entbehrt meines Erachtens jeder historischen
Grundlage. Der Biograph des Kaisers, Einhard, (Vita Caroli Magni. Ed. G. WAITZ,
MGH SS in usum scltol. 25, 81911) spricht weder von Karls Traumleben noch von
einem ‚Maistre‘ zur Deutung nächtlicher Visionen. Die seither in weiteren Abrissen
über den Traum im Mittelalter völlig unkritisch übernommene Behauptung schöpft
vielmehr aus dem im 12. Jahrhundert entstandenen „Chanson de Roland“, wo Kar!
als ein mit prophetischen Träumen begnadeter Herrscher gezeichnet wird, der manches
Unheil im Kampf mit den Mauren vorhergesehen habe.
232 Eine Wiederholung der Admonitio generalis 827 bei Ansegis v. Fontenelle, Ca110
ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
rekt auf deren geringe Wirkung schließen. Besondere Erwähnung verdient
hier vielleicht noch der eindringliche Appell des Konzils von Paris
im Jahre 829 in der Regierungszeit Ludwigs des Frommen (814-840).
Darin spiegelt sich vor allem die Sorge des Kaisers und sei.􀍍er geistlichen
Berater um das sittliche Niveau des Volkes. Neben Ubeltätern,
die durch widernatürliche Sexualpraktiken die Strafe des Himmels auf
das ganze Reich herabriefen, gäbe es auch Schlechtigkeiten, welche nach
Ansicht der diesen Text verfassenden Bischöfe ohne Zweifel auf heidnische
Bräuche zurückgingen. 233 Insbesondere den Hartnäckigen unter
den Magiern, Vogelschauern, Loswerfern, Giftmischern, Wahrsagern, Beschwörern
und Traumdeutern sollten inskünftig harte Strafen, d. h. bis
zu fünf Jahren Kirchenbuße, auferlegt werden. Das Konzil betonte ferner
die Wichtigkeit der Bekannt􀍎achung dieses Beschlusses, denn gerade in
dieser Region hätten solche Ubeltäter bisher ohne jede Furcht vor Strafe
gelebt. Ob die vorgesehene Kirchenbuße, die im Vergleich mit der von
Ludwigs Vater Karl angedrohten Todesstrafe doch recht mild erscheint,
im erwünschten Maße abschreckend wirkte, muß indessen bezweifelt werden.
* * *
Als Ergänzung zu diesen in ihrer Aussage ziemlich kargen Gesetzestexten
und Verboten können die ungefa.hr gleichzeitig entstandenen Thesen
einiger karolingischer Theologen zum Bilderstreit beigezogen werden. In
den als Streitschrift konzipierten „Libri carolini“, deren eigentlicher Urheber
in der Forschung noch umstritten ist234 , sah sich der Kreis der
pitularum collectio, MGH LL 2,1, cap. 62, S. 402. und gekürzt 802/3 im Capitulare
missorum speciale, cap. 40, ebenda S. 104. Hingegen ist die Traumdeutung im Indiculus
Superstitionum et paganiarum (MGH LL 2,1 S. 222 f.), einem wahrscheinlich
für Missionare erstellten Verzeichnis der verschiedenen abergläubischen Praktiken aus
dem 8. Jahrhundert, nicht direkt erwähnt, sondern es werden allgemeiner Wahrsagen
und Loswerfen aufgeführt.
233 Konzil von Paris. Ed. A. WERMINGHOFF, MGH LL Concilia 2,2, cap. 69,2,
s. 669.
234 Argumente für die Autorenschaft Theodulfs von Orleans bei W. VON DEN STEINEN,
Die Entstehungsgeschichte der Libri carolini, Quellen u. Forschungen aus ital.
Archiven u. Bibliotheken 21 ( 1 929/30) S. 1-93; ebenso A. FREEMAN, Theodulf von
Orleans and the LC, Speculum 32 (1957) S. 663-705 und dieselbe, Further Studies
in the LC, Speculum 40 (1965) S. 203-289. L. WALLACH, The Unknown Author
DIE TRAUMTHEORIE IN ffiRER GESCHICHTLICHEN ENTWICKLUNG 1 1 1
Verfasser gezwungen, auch zum Glauben an Traumoffenbarungen Stellung
zu nehmen. Nachdem man zunächst die 787 am Konzil von Nicäa
von den Byzantinern vorgebrachte Meinung über die allegorische Auslegung
der Bibel mit rational überzeugenden Argumenten widerlegt hatte,
wandte man sich auch gegen Versuche, anders nicht mehr zu haltende
Thesen mit Wundern und Träumen zu stützen. Diese Haltung wurde
als lächerlich und kindisch entlarvt und die Aussagekraft der Träume
allgemein angezweifelt. 235
Die „Libri carolini“ verleugneten keineswegs die christliche Tradition,
wonach es wahre, von Engeln herrührende Gesichte und schlechte
oder trügerische von den Dämonen stammende Träume gibt. Die nächtlichen
Bilder blieben aber naturgemäß Privaterfahrungen eines Einzelnen,
welche von keinen weiteren Personen bezeugbar seien. Sie könnten deshalb
keine Beweiskraft beanspruchen und seien für die Diskussion der
Konzilsteilnehmer irrevelant. Ferner erinnerte man die byzantinische
Gegenpartei an die warnenden Worte im Alten Testament und wies darauf
hin, daß im neuen Testament Traumbotschaften nur an ausgewählte,
heilige Personen ergangen seien. Im Unterschied zu solchen seltenen Offenbarungen,
die als „visiones“ von den gewöhnlichen Träumen deutlich
abgesetzt werden, dürfe man von letzteren nur Täuschungen erwarten,
denn sie seien von Tagesgedanken oder ähnlichem Material durchsetzt
und überdies ein Instrument des Versuchers. Der oder die Verfasser der
„Libri carolini“ schlossen ihre Traumkritik mit einer Zusammenfassung
der von Augustinus erarbeiteten Erkenntnistheorie, welche es erlaubt,
den Traum in die Klasse der Erinnerungsbilder einzuordnen. 236
Die vorherrschende Beurteilung des Traumes durch eine gebildete
Geistlichkeit als etwas, das keinerlei Wert hat und dessen Beachtung
sogar gefährlich sein kann, erklärt, weshalb uns aus der frühmittelalterlichen
Epoche nur sehr weng konkrete Traumbeispiele erhalten sind, die
of the LC, in: Didascaliae, Studies in Honor of Anselm Albareda (New York 1961,
S. 469-515), nimmt hingegen an, daß Karls geistlicher Berater Alkuin maßgeblich
beteiligt war.
235 Libri Carolini sive Caroli Magni capitulare de imaginibus. MGH LL Conc. Supplement,
Ed. H. BASTGEN, Hannover 1924 repr. 1979, lib. III, cap. 26, S. 158.
236 Die Hypothese von KAMPHAUSEN (S. 45, Anm. 111), es sei diese ausdrückliche
Zuordnung den Autoren trotz der in der Schrift vorherrschenden rationalen Denkweise
nicht mehr gelungen, läßt sich kaum beweisen.
112 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM I M MITTELALTER
nicht aus hagiographischen Texten stammen. Die Monopolisierung der
Schriftlichkeit in den Händen des Klerus darf aber nicht darüber hinwegtäuschen,
daß selbstverständlich auch einfache Menschen träumten. Die
wiederholten Ermahnungen durch Kirche und Herrscher lassen sogar darauf
schließen, daß das Volk dieser besonderen Erfahrungsform sehr große
Bedeutung beimaß. Diesen Aspekt berücksichtigt LE GOFF nach meiner
Auffassung zu wenig, wenn er schreibt, daß der gottgesandte Traum die
wichtigsten Stationen auf dem Weg des Martin von Tours zur Heiligkeit
markiere und daß die Heiligen als alleinige Empfänger von himmlischen
Botschaften die Nachfolge der antiken Herrscher und Heroen anträten. 237
Näher an die damalige Lebenswirklichkeit führen die Bibelkommentare
namhafter karolingischer Theologen. So wußte Alk􀅃1 der geistliche
Berater Karls des Großen, im Zusammenhang mit den Außerungen des
alttestamentlichen Predigers (Pred. 5, 2), daß man sich bei der Deutung
von Tagesrestträumen nur allzu leicht im Kreise dreht. Der Theologe
warnte ferner gemäß diesem Bibeltext (Pred. 5, 6) vor dem leichtfertigen
Glauben an Träume, welche er als töricht und nichtig bezeichnet. Im
Schlafe dieses Lebens begegne einem nämlich vieles (an Träumen oder
anderen scheinbar gesicherten Einsichten), was dann als Entschuldigung
für sündhaftes Verhalten diene.238 Diese mahnenden Worte können nach
meiner Ansicht neben den angeführten Verboten aus den Kapitularien
als weiterer indirekter Beweis für die im frühen Mittelalter in allen Volksschichten
verbreitete Traumgläubigkeit gewertet werden. Nicht einmal
der hochgebildete Alkuin selber machte hier eine Ausnahme, zog er doch
das Traumgesicht seines Dieners Seneca über die Aufnahme von verstorbenen
Mönchen des Klosters York ins Paradies überhaupt nicht in
Zweifel. Im Gegenteil, Alkuin freute sich über die Gewißheit, nach dem
Tode mit den Angehörigen dieses Klosters, in dem er seine Jugendjahre
verbracht hatte und dem er sich besonders verbunden fühlte, vereint zu
sein und teilte diesen tröstlichen Traum den Mönchen von York brieflich
237 J. LE GOFF, Les reves dans Ia culture, S. 305.
238 Alkuin, Commentaria super Ecclesiasten. PL 100, Sp. 665-722; 688 f. Was der
Geistliche hier mit Sünden gemeint haben könnte, zeigt ein Vergleich mit außereuropäischen
Gesellschaften, wo auf Grund von Traumanweisungen sogar getötet wurde
und eine Frau wegen einer lediglich im Traum ihres Ehemannes begangenen Untreue
mit einer Buße belegt werden konnte. L. LEVY-BRUHL, Die geistige Welt des Primitiven,
zitiert nach R. BOSSHARD, S. 250.
DIE TRAUMTHEORIE IN IHRER GESCHICHTLICHEN ENTWICKLUNG 1 1 3
mit.239 Seiner Ansicht nach durften Träume also vor allem nicht zum
Bösen anstiften; zudem warnte er den Leser eindringlich vor der lllusion,
daß Gott geheime Taten oder die tief verborgenen bösen Gedanken
nicht sähe. Ganz allgemein riet Alkuin schließlich, daß der Mensch auf
Gottes Vorsehung vertrauen solle und daß er, wenn er etwas tun wolle,
aus freiem Entschluß und nicht auf Grund von Zwang handle.240
Gegenüber Alkuin wirkt der rund hundert Jahre später entstandene
Kommentar des Mainzer Erzbischofes Hrabanus Maurus zum auch unter
dem Namen Jesus Sirach bekannten Ecclesiasticus-Text ziemlich konventionell.
Neben den bekannten Warnungen im Alten Testament gibt es in
der Bibel allerdings viele positive Beispiele von göttlichen Traumoffenbarungen.
Hrabanus erkannte den inhärenten Widerspruch und fand eine
Lösung bei Papst Gregor dem Großen, dessen Klassifizierungsschema
er ebenso unverändert übernahm wie Gregors skeptische Grundhaltung.
Zusätzlich warnte er seine Leser davor, Rat oder Wissen außerhalb der
Hl. Schrift zu suchen. Wer von dieser Richtschnur abweiche, nähere sich
unversehens den Häretikern, und zuviel Wissen schaffe jedenfalls neue
Versuchungen. 241
Auf das Thema Traumdeutung kam Hrabanus dann nochmals in
seinem Traktat über die magischen Künste zu sprechen, wo er zunächst
ebenfalls die .. üblichen Bibelwarnungen aufführte. Daran schloß er seine
persönliche Uberzeugung an, daß einer, der ohne den Heiland sein Heil
suche oder ohne die göttliche Weisheit klug sein wolle, wahrlich krank
239 MGH Epistoli Karoli aevi II. Ed. E. DÜMMELER, Berlin 1895, Nr. 42, S. 86.
240 Alkuin, Commentaria super Ecclesiasten, über Kapitel 5, 6; Sp. 689. Der Hinweis
auf den inneren Zwang zu bestimmten Taten deutet wieder auf die Traumauffassung
in ‚primitiven‘ Gesellschaften hin, in welchen Träume als himmlische Botschaften und
damit oft als bindende Befehle angesehen werden. – Der differenzierten Einstellung
Alkuins entsprechen gewisse Äußerungen des Psychologen C. G. JUNG. Er erarbeitete
ein Modell, welches dem Traum eine helfende, das Tagesbewußtsein komplementär
ergänzende Rolle zuschreibt. Auf Grund seiner langjährigen Erfahrung sah er sich
jedoch gezwungen, vor einem übermäßigen, blinden Vertrauen in diese Funktion der
unbewußten Seelenteile zu warnen. Diese könnten nämlich – wie offenbar schon Alkuin
geahnt hatte – niemandem die Verantwortung für die Gestaltung des eigenen
Lebens abnehmen. Vgl. dazu C. G. JUNG, Vom Wesen der Träume, Zürich 1945, S.
337.
241 Hrabanus Maurus, Commentariorum in Ecclesiasticum libri decem, lib. VIII,
cap. 1 über Kapitel 34, PL 109, Sp. 1005 f.
114 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
sei.242 Damit wird die Traumdeutung zwar wiederum nicht prinzipiell
verboten, aber durch die Bindung des Christen an das Evangelium doch
stark eingeschränkt. Was damit gemeint ist, zeigt die kritische Behandlung
von offensichtlich in Erfüllung gegangenen Prophezeiungen oder
Träumen. Solche Erlebnisse können, wie der Erzbischof mit Rückgriff auf
die antiken Kirchenväter feststellt, nicht in jedem Fall als Beweise für
deren göttliche Herkunft und allgemeine Vertrauenswürdigkeit dienen,
denn auch Dämonen sagen zuweilen die Wahrheit, um so die Menschen
zu versuchen.243
Aus einem etwas anderen Kontext stammt die Passage aus dem
„Canon Episcopi“ , die den Glauben an den Nachtflug von Frauen unter
Führung der Göttin Diana behandelt. Dieser von Regino von Prüm
um 906 in Synodalakten erstmals überlieferte Text wurde von Bischof
Burchard von Worms (gest. 1025)244 irrtümlich dem Konzil von Ancyra
zugeschrieben und fand schließlich durch Gratian245 Eingang ins kanonische
Recht. Wichtig für die historischen Ursprünge des Hexenwesens,
interessiert dieses Zeugnis im Rahmen der vorliegenden Untersuchung
nur in seiner allgemeinen Argumentation zum Traum. Es dokumentiert,
wie schwer es breiten Volksschichten offenbar fiel, die nächtliche Bilderwelt
von der Tageswirklichkeit zu scheiden. Im Bestreben, den Glauben
an heidnische Götter auszurotten, wurden die Priester ermahnt, in ihren
Predigten den Nachtflug als Vorspiegelung des bösen Feindes zu brandmarken.
Satan gebe sich nicht nur als Engel des Lichts aus, sondern
verwandle sich in jede beliebige Gestalt und zeige der Seele abwechselnd
Freudiges und Trauriges. Der Mensch aber glaube fälschlicherweise, daß
dies alles nicht nur geistig, sondern auch körperlich ablaufe. Dann heißt
es wörtlich in rhetorischen Fragestellungen:
242 Hrabanus Maurus, De magicis artibus. PL 110, Sp. 1097.
243 Ebenda, Sp. 1101 ff. Diese Meinung vertrat beispielsweise Tertullian (siehe oben,
Kapitel 3.1), während Hrabanus in der nachfolgenden Diskussion der Frage, wie die
Dämonen überhaupt Kenntnis von den geheimen Gedanken der Menschen oder von
zukünftigen Geschehnissen erhielten, das Traktat des Augustinus „De divinatione
daemonum“ paraphrasiert.
244 Regino von Prüm, De synodalibus causis libri duo. PL 132, Sp. 185-370 und
Burchard von Worms, Decretales X,l. PL 140, Sp. 83Q-1058.
245 Decretum Gratiani, pars II, causa 26, quaest. 5, can. 12. Ed. A. FRIEDBERG,
Corpus juris canonici, Repr. Graz 1959, S. 1030.
DIE TRAUMTHEORIE IN IHRER GESCHICHTLICHEN ENTWICKLUNG 1 1 5
„Wer hat nämlich nicht schon in Träumen und nächtlichen Gesichten
Dinge gesehen, die er im wachen Zustand nie gesehen hat? Wer
aber sollte so töricht und dumm sein, daß er glaube, all‘ dies, was
er bloß im Geiste gesehen habe, bestehe auch dem Leibe nach? ( … )
Daher ist Allen öffentlich zu verkündigen, daß, wer Solches und
Ähnliches glaubt, den Glauben verliert und daß, wer den rechten
Glauben an Gott nicht hat, nicht diesem, sondern dem gehört, an
den er glaubt, d. h. dem Teufel.“246
Mit der Erörterung des Nachtfluges läßt sich deutlich zeigen, daß die
Verdammung des Traumglaubens durch die Amtsträger der Kirche sich
generell auf Inhalte bezog, die mit ihrer Lehre unvereinbar schienen oder
direkt den Einfluß des Bösen zeigten. Darüber hinaus versuchten einige
besonders gebildete Geistliche in Anlehnung an die augustinische Erkenntnislehre
dem einfachen Volk den grundsätzlichen Unterschied zwischen
Realität und Traumphantasien bewußt zu machen.
3.3. AUSBAU DER TRAUMTHEORIE IM HOHEN MITTELALTER
3.3.1. Wiederaufnahme und Neubewertung des Traumproblems
im 12. Jahrhundert.
Die mißtrauische, ja geradezu abwehrende Haltung frühmittelalterlicher
und karolingischer Theologen gegenüber dem Traum und allfälligen Deutungsversuchen
wurde im Verlauf des 12. Jahrhunderts von einer objektiveren
Betrachtungsweise abgelöst. Die von Wilhelm von Conches (gest.
um 1 1 54} verfaßte, jedoch nicht genau datierbare naturwissenschaftliche
Abhandlung „De philosophia mundi“ reflektiert bereits aristotelisches
Gedankengut. Zunächst wird der Schlaf nüchtern als Zustand definiert,
in dem die Nervenbahnen des Gehirns von der aus dem Körper
aufsteigenden Feuchtigkeit verstopft werden, was die Übermittlung von
246 Burchard von Worms, Decretales X 1, PL 140, Sp. 832: QuiJ enim non in
􀀺omni& et nocturni& vi&ionibu􀅟 eztro 􀀺e ip􀀺um educitur, et multa videt dormiendo,
qua nunquam viderot vigilando !‘ Qui􀀺 vero turn 􀀺tult􀅞 et hebe􀀺 􀀺it, qui omnia quae
&olo in 􀀺piritu fiunt, etiam in corpore accidere arbitretur !‘ (. . .) Omnibu& itaque
publice annuntiandum e􀀺t, quod qui talia et hi􀀺 􀀺imilia credit, fidem perdit, et qui
fidem rectam in Deo non habet, hic non ei1u, &ed illiu.s in quem credit, id e&t diaboli.
Dt. Übers. von Fehr, zitiert nach HARMENING, Superstitio, S. 97.
116 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
Außenreizen durch die Sinnesorgane verunmöglicht.247 Das Phänomen
des Träumens führt Wilhelm dann auf Erinnerungsreste von Tageserlebnissen,
auf Einflüsse des Wetters sowie auf durch Speise und Trank
oder durch besondere Körperlage verursachte Innenreize zurück; all diese
Bilder sind aber grundsätzlich ohne Bedeutung. Daneben können nach
seiner Darstellung auch Engel oder Einflüsse aus dem Weltall und sogar
die Tugend einer leidenschaftslosen Seele Traumbilder erzeugen. Deren
Wahrheitsgehalt läßt sich jeweils nachträglich leicht überprüfen; leider
geht Wilhelm auf diesen interessanten Punkt nicht näher ein. 248
Ungefähr zur selben Zeit wie Wilhelm behandelte Honorius von Autun
in seinem als Katechismus konzipierten, demzufolge weit verbreiteten
und schon im 13. Jahrhundert ins Französische und ins Deutsche
übersetzten „Elucidarium“ ebenfalls kurz das Traumphänomen.249 Nach
der von Tertullian her bekannten Einteilung unterscheidet er drei Entstehungsmöglichkeiten
für Träume; die nächtlichen Bilder sind demnach von
Gott oder dem Teufel eingegeben oder sie spiegeln Gedanken und Emotionen
aus der Tagwelt des Schläfers.250 Seiner Ansicht nach erscheinen
die Heiligen nicht nur dem Träumer, sie können sich dem Menschen sogar
im Wachzustande zeigen. Die zu zeitlichen Sündenstrafen verurteilten
Seelen können beides nur mit Erlaubnis der Engel tun. Die Erscheinung
von zur ewigen Höllenpein verdammten Menschen ist nicht möglich; in
diesen Fällen handelt es sich gewöhnlich um Täuschungsmanöver von
bösen Geistern.251
Im „Liber de spiritu et anima“252, einem das psychologische Wissen
der damaligen Zeit zusammenfassenden Traktat, findet sich eine etwas
ausführlichere Diskussion des Traumphänomens. Stark von augu-
247 Wilhelm von Conches, De philosophia mundi libri quatuor, PL 172, lib. IV,
cap. 21, Sp. 3Q-102; 94.
248 Ebenda, lib. IV, cap. 22, S. 94.
249 Zur Geschichte und Verbreitung dieses Lehrtextes vgl. Y. LEFEVRE, L’elucidarium
et !es lucidaires: Contribution, par l’histoire d’un texte, a l’histoire des croyances
religieuses en France au Moyen Age (Phi!. Diss. Paris 1954). Für Frankreich allein
sind sechzig Manuskripte des lat. Textes bekannt (S. 19) sowie fünf verschiedene
Übersetzungen (S. 272 ff.).
250 Honorius von Autun, Elucidarium sive Dialogus de summa totius christianae
theologiae. Ed. Y. LEVEBRE, S. 359-477; lib. III, cap. 32, S. 452.
251 Ebenda, lib. III, cap. 30, S. 452.
252 Aleher de Clairvaux, Liber de spiritu et anima. PL 40, Sp. 669-832.
DIE TRAUMTHEORIE IN IHRER GESCHICHTLICHEN ENTWICKLUNG 117
stinischem Gedankengut geprägt wurde diese Abhandlung bis in neuere
Zeit fälschlicherweise dem berühmten Kirchenvater selbst zugeschrieben;
heute hält man allgemein Aleher von Clairvaux für den Verfasser des zwischen
1162 und 1 190 entstandenen Traktates.253 Dieser im Kloster des
hl. Bernhard lebende Mönch legte seinen Äußerungen zum Traum die
Erkenntnistheorie des Augustinus zugrunde. Der körperlichen Wahrnehmung
über die verschiedenen Sinnesorgane steht die seelische Fähigkeit
zur spirituellen Schau gegenüber, die in Traum oder Vision sowie auch
bei Krankheit und Wahnzuständen immaterielle, den körperlichen Erscheinungen
jedoch grundsätzlich ähnliche Bilder schafft. Darüber hinaus
geht dann die abstrakte Erkenntnis des Verstandes, die im Gegensatz
zu den beiden anderen Wahrnehmungsarten keinerlei Täuschungen
unterliegen kann.254 Wie hoch die Tätigkeit des Geistes in der augustinischen
Tradition eingeschätzt wurde, zeigt sich auch in einer Bemerkung
über sexuelle Vorgänge während des Schlafes. Auf entsprechende
Traumbilder reagiere der Körper natürlicherweise mit geschlechtlichen
Funktionsabläufen, weil die Kontrolle bzw. Bremsung durch den wachen
Geist fehle.255
Von Makrobius, einem spätantiken Neuplatoniker, stammt das fünfteilige
Klassifikationsschema der Träume, das Aleher praktisch unverändert
in seinen Traktat übernahm. Als „Oraculum“ wurde die Erscheinung
eines Elternteils oder sonst einer ehrwürdigen Person, eines Priesters
oder selbst Gottes angesehen, die den Träumer über kommende Ereignisse
informierte oder ihm klare Handlungsanweisungen gab. Daß hier
ein direkter Kontakt zwischen Gott und dem Träumer fraglos als möglich
dargestellt ist, zeigt, wie flüchtig der Zisterziensermönch seine antike
Quelle überarbeitet hat256 , denn gemäß der christlichen Tradition spricht
Gott praktisch immer durch Engel mit den Menschen. Johannes von
253 Für die Diskussion der Verfasserfrage und die Datierung des Textes vg!. L.
NORPOTH, Der pseudoaugustinische Traktat: De spiritu et anima. Phi!. Diss.
1924, gedruckt Köln 1971, bes. S. 63 ff. und S. 69.
254 Liber de spiritu et anima, cap. 24, Sp. 798. – In einem bei mittelalterlichen
Autoren häufigen Topos der Bestätigung des Überlieferten durch eigene Erfahrung
oder Beobachtungen drückt Aleher anschließend an diese Einsichten des Augustinus
seine persönliche Verwunderung über die Fähigkeit der Seele zu schneller und wirk·
lichkeitsgetreuer Produktion von Bildern aus.
255 Liber de spiritu, cap. 23, Sp. 795 f.
256 Zu einer ähnlich ungünstigen Beurteilung kommt L. NORPOTH, Der ps.-augusti118
ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
Salisbury hingegen, ein Zeitgenosse Alchers, auf dessen eigenständigen
Beitrag zum Traum weiter unten eingegangen werden soll257, erkannte
bei Behandlung derselben Textstelle das hier liegende Problem. Er fand
eine vertretbare Lösung, indem er die Vorlage des Makrobius in seiner
Abhandlung über den Traum dahingehend umformulierte, daß auch
Engel und selbst die Gottheit dem Menschen immer in menschlicher
Gestalt erscheinen.258 Auf derselben prophetischen Ebene wie das „Oraculum“
steht nach Aleher und seiner Vorlage die „visio“, also die Schau
von zukünftigem Geschehen. Der symbolisch verschlüsselte Traum hingegen
bedarf als „somnium“ der deutenden „interpretatio“, ohne die
er nicht verstanden werden kann. Erinnerungsreste an Tageseindrücke
und Leibreize wie Speise und Trank oder auch Krankheit verursachen
die als „insomnium“ bezeichnete vierte Art von Traumerlebnissen. Sie
sind ebenso belanglos wie die letzte Spielart, welche „Phantasma“ oder
deutsch Wachtraumbild genannt wird und aus bald fröhlichen, bald wilden
Figuren besteht, die sich dem noch beinahe wachen Menschen aufdrängen
oder einfach an ihm vorbeiziehen. In diese fünfte Gruppe gehört
– immer nach der Vorlage des Makrobius – auch der Alpdruck, der dann
von Aleher als phantasiebedingte Umdeutung der von Magen oder Herz
zum Gehirn aufsteigenden Dämpfe erklärt wird. 259
Die bisher aufgeführten Bemühungen um eine Klassifikation der
Träume mögen zwar wegen der ausschließlichen Verarbeitung antiker Autoren
wenig originell erscheinen, doch wurde gedankliche Eigenständigkeit
im Mittelalter normalerweise auch nicht angestrebt. Die paraphrasierten
Textbeispiele belegen aber meines Erachtens ein neues Interesse
für das Thema, was vielleicht mit jener Aufbruchstimmung und geistigen
Regsamkeit in Zusammenhang gebracht werden darf, die für das 1 1 .
und 1 2 . Jahrhundert charakteristisch zu sein scheint. Indem man das
nische Traktat; nach einer sorgf“altigen Analyse des ganzen Textes und dessen Quellen
(S. 72 ff.) charakterisiert er Aleher schließlich als einen zu selbständigen Gedankengängen
unfähigen Kompilatoren {S. 143).
257 Siehe unten, Kapitel 3.3.2 und Kapitel 3.6 der vorliegenden Arbeit.
258 Man kann hier auch auf die zeitlich späteren Mystiker verweisen, welche in Vision
oder Traum den Herrn meistens in der Person Jesu, also ebenfalls nur in menschlicher
Gestalt schauten. Vgl. dazu A. HAAS, Traum und Traumvision in der Deutschen
Mystik, Analeeta Cartusiana 106/1 (1983), S. 43 f.
259 Liber de spiritu, cap. 25, Sp. 798.
DIE TRAUMTHEORIE IN IHRER GESCHICHTLICHEN ENTWICKLUNG 119
Phänomen Traum und die Faktoren, die zu seiner Entstehung beitrugen,
unvoreingenommen diskutierte, schuf man indirekt die Grundlage
für eine sinnvolle Trauminterpretation. In die gleiche Richtung weist
auch die im selben Zeitraum beobachtbare Zunahme von eigentlichen
Traumberichten; sie stammen fast immer aus autobiographischen Quellenzeugnissen
und wurden vom Autor häufig mit einem Deutungsversuch
versehen.260 Trotzdem bleiben theoretische Abhandlungen, welche
die Beschäftigung mit Träumen ausdrücklich positiv bewerten, relativ
selten. Das läßt sich wahrscheinlich mit der Tatsache erklären, daß praktisch
nur die Ansichten von Klerikern überliefert sind und ein von der
Kirche ‚unabhängiger‘ Wissenschaftsbetrieb erst im Entstehen begriffen
war.
* * *
Trotz diesen einer freien Meinungsäußerung eher hinderlichen Bedingungen
gab es aber vereinzelte Stimmen, die sich vom Chor der offiziellen
kirchlichen Ansicht, welche größte Zurückhaltung gegenüber dem Traum
und dessen prophetischem Gehalt empfahl, absetzten. Kurz gestreift
wurden diese Fragen beispielsweise von Adelard von Bath in einem zu
Anfang des 12. Jahrhunderts an einen Neffen gerichteten Brieftraktat,
worin der Engländer verschiedene naturwissenschaftliche und philosophische
Probleme behandelte.261 Sich auf Platos Ideenlehre stützend,
glaubte der Gelehrte an die Existenz von Wahrträumen, denn die Seele
sei im Schlaf weniger von den Sinnen befangen. Um einen handfesten Beweis
dafür zu erbringen, zog er Aristoteles bei, indem er behauptete, daß
gerade am frühen Morgen nach Abschluß der vernebelnd wirkenden Verdauungsprozesse
um so eher wahre oder der Wahrheit nahekommende
Prophezeiungen zu erwarten seien.262
260 Ich nenne hier nur einige Namen wie Petrus Venerabilis, Wibert von Nogent,
Suger, Herman von Kappenberg und Girald von Wales. Deren Traumberichte werden
im Kapitel 4 ausführlicher vorgestellt und analysiert.
261 Adelard von Bath, De eodem et diverso. Ed. H. WILLNER (=Btrg. zur Geschichte
u. Philosophie des Mittelalters 4) Münster 1903.
262 Ebenda, S. 13. Diese Annahme Adelards findet eine Parallele in den durch
moderne Schlaf-Labor-Forschung ermöglichten Beobachtungen, daß gegen Morgen
die meßbaren Hirnaktivitäten allgemein stärker sind und die besonders traumreichen
REM-Phasen länger dauern. Vgl. dazu D. FOULKES, Dreaming: A CognitivePsychological
Analysis, Hillsdale 1985, S. 61 f.
120 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
Beim deutschen Theologen Rupert von Deutz (gest. 1 129) erscheint
der Umgang mit Träumen in einer Auslegung der Josephsgeschichte
ebenfalls in einem positiven Licht. Zwar sei, so überlegte Rupert, das
Wahrsagen durch das göttliche Gesetz als heidnisch verboten, dennoch
stelle die Einsicht in das Zukünftige eine himmlische Gabe dar. Deshalb
bestehe kein Zweifel darüber, daß Joseph mit dem Wort „augurare“
die Prophezeiung mittels aus dem Glauben gedeuteter Träume gemeint
habe.263
Diese vorsichtige Bejahung einer innerhalb der kirchlichen Glaubenslehre
betriebenen Traumauslegung scheint nun aber interessanterweise
bei Rupert nicht ausschließlich das Produkt eines theoretischen
Abwägens von sich widersprechenden Bibelzitaten gewesen zu sein. Vielmehr
dürfte sich in diesem Schriftkommentar seine ureigenste Einstellung
spiegeln. In einem an Abt Kuno von Siegburg gerichteten Widmungsbrief
zu dem bereits zitierten großen Bibelkommentar aus dem
Jahre 1 1 1 7 erzählt Rupert nämlich von einem persönlichen Traumerlebnis,
dem er im Unterschied zu den gewöhnlichen Träumen Bedeutung
beimaß, und dessen Vorgeschichte. 264 Abt Berengar von Lüttich hatte
seinen Schützling Rupert kurz vor seinem eigenen Tode an Kuno von
Siegburg empfohlen. Dieser hatte Rupert in der Folge auch bereits gegen
Leute verteidigt, die ihn wegen seiner theologischen Schriften angefeindet
hatten. Kurz vor der Veröffentlichung bzw. Auslieferung seines
neuesten Manuskriptes, in einem Moment höchster Spannung also, erinnerte
sich Rupert an ein Traumbild aus früherer Zeit. Damals sah der
Träumer, wie er in einer Kirche stand und hörte sich mit den Worten
des hl. Dionysios Areopagites den Herrn um die Krone des Martyriums
bitten. Da ertönten plötzlich laute, gegen ihn gerichtete Chöre. Abt Berengar
von Lüttich jedoch, der bis anhin neben Rupert gestanden und
dessen Hand gehalten hatte, legte diese nun wundersam in eine andere
Hand hinein wie in einen genau passenden Fingerhandschuh. Nochmals
stimmte der Träumer seinen Gesangsruf an, um dann von der ihm damals
noch völlig fremden Hand Kunos behutsam weggeführt zu werden,
womit auch die erinnerte Traumszene beendet war.
263 Rupert von Deutz, Commentariorum de operibus S . Trintatis libri 42, In genes.
lib. IX, cap. 10. Ed. R. HAACKE, CCCM 21, S. 233.
264 Rupert von Deutz, Brief an Kuno von Siegburg, CCCM 21, S. 118-123. Übers.
von W. OHL, Deutsche Mystikerbriefe, München 1931, S. 7 ff.
DIE TRAUMTHEORIE IN IHRER GESCHICHTLICHEN ENTWICKLUNG 121
Aus der aktuellen Situation zur Zeit der Abfassung des Briefes deutete
Rupert dann die Märtyrerkrone als Siegeszeichen desjenigen, der
mit ganzer Kraft für die Wahrheit eingetreten ist, wie Rupert es ja in
seinen theologischen Schriften beabsichtigte. Obwohl die Zeit der Blutzeugen
längst vorbei war, glaubte er in diesem Sinne von Christus den
gerechten Lohn erhoffen zu dürfen. Diese Deutung erscheint im Rahmen
der religiösen Anschauungen eines mittelalterlichen Mönches einleuchtend.
Es ist jedoch bezeichnend, daß sowohl Traumerinnerung als auch
Trauminterpretation erst Jahre nach dem nächtlichen Erlebnis erfolgten
und beide in der Erzählung dort, wo von der fremden Hand als derjenigen
des Abtes Kuno die Rede ist, ineinander flossen. Der behauptete
prophetische Gehalt der Szene wurde also, wie das wohl meistens der Fall
sein dürfte, erst wahrgenommen, nachdem er sich wenigstens teilweise
erfüllt hatte.
Es ist gut möglich, daß Rupert sowohl in dieser Traumprophezeiung
als auch ganz allgemein in der Idee des Martyriums für die Wahrheit
einen gewissen Trost fand. Letztlich diente diese Traumerzählung
aber wohl vor allem dazu, Abt Kuno auf seine bisherige Haltung als
Fürsprecher und Beschützer Ruperts zu verpflichten, besonders in bezug
auf die nach der Verbreitung des Traktates zu erwartenden neuen
Anfeindungen. Die Frage nach dem Grad der Authentizität des Traumberichtes,
die Frage also, wie sehr der Traum durch die erst Jahre später
erfolgte Niederschrift entstellt bzw. angereichert wurde, muß offen bleiben.
Sie erscheint jedoch weniger erheblich angesichts des hier in seltener
Klarheit dokumentierten Versuches, andere Personen konkret zu beeinflussen.
Es war damals nämlich keineswegs unüblich, nicht nur selbst auf
Traumanweisungen zu achten, sondern sich mit solchen Botschaften an
seine Mitmenschen zu wenden, um deren Verhalten in die gewünschte
Richtung zu lenken.
* * *
Von einer über die Rezeption theoretischer Erklärungsmuster ebenfalls
weit hinausgehenden Auseinandersetzung mit dem Traum zeugen einige
Passagen im Werk des Reformabtes von Cluny, Petrus Venerabilis {1094-
1156). Man verdankt Petrus u. a. eine Sammlung von wunderbaren
Begebenheiten, die er oft genau lokalisierte und anband derer er sein
Publikum, zweifellos hauptsächlich Cluniazensermönche, für aktuelle re122
ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
ligiöse Probleme seiner Zeit sensibilisierte.265 So berichtet er von einer
Schreckvision eines seiner Mönche, die den Abt, der zuvor nach eigenem
Eingeständnis Träume nicht ernst nahm, seine Skepsis überwinden
ließ.266 Der Mönch erzählte Petrus als seinem Oberen nämlich, daß er
im Traume von einem feuerspeienden Dämon, welcher ihn zu verbrennen
drohte, bedrängt wurde und nur durch den Beistand eines vor kurzem
in Cluny im Rufe größter Frömmigkeit verstorbenen Mitbruders gerettet
wurde. Diese Erscheinung riet dem Träumer, er möge, um aus aller seelischen
Not befreit zu werden, den Schneider des Klosters nach dessen
Glaubenszweifel und dessen wunderbarer Auflösung fragen. Als jener
letztgenannte Mönch nach dieser Erzählung von Petrus Venerabilis zur
Rede gestellt wurde, gestand er ähnlich schwere innere Anfechtungen
durchgestanden zu haben wie sie der Träumer erlebt hatte. Dabei ging
es um Zweifel über die Natur des eucharistischen Sakramentes, welche für
einen Mönch sündhaft waren.267 Des Schneiders flehentliche Gebete zur
Gottesmutter Maria fanden schließlich eine Antwort in einer Vision des
Jesusknaben, der ihm vom Altar herab das geweihte Brot reichte. Die erstaunliche
Übereinstimmung der Traumaussage über den Schneider mit
dessen wirklichen Glaubenskämpfen und seiner Vision verbunden mit der
Tatsache, daß die beiden Mönche zuvor nichts von den inneren Nöten
des anderen wußten und dem Abt ihre Bekenntnisse unabhängig voneinander
machten, bewiesen für Petrus die Existenz von Wahrträumen
hinlänglich. 268
Er selbst hatte auf einer Italienfahrt zu Anfang des Pontifikates
Papst Eugens III. (1 145-1153) ein ähnliches und eher noch unheimlicheres
Erlebnis.269 Auf dieser Reise übernachtete er bei den Benediktinern
von St. Maria Nova in Rom, wo ein von ihm eingesetzter Prior namens
265 Vgl. die Analyse bei J. P. PALIN – J. LE GOFF, A propos de la typologie des
miracles dans le ‚Liber miraculis‘ de Pierre Je Venerable, in: Pierre Abelard – Pierre
Le Venerable: Les courants philosophiques, litteraires et artistiques en Occident au
milieu du xn• siede ( =Actes et memoires du colloque internationale du centre nationale
de Ia recherche) Paris 1975, S. 181-187.
266 Petrus Venerabilis, De miraculis libri duo. PL 189, lib. I, cap. 8, Sp. 869 ff.
267 Zu den hier angesprochenen Streitfragen um das Abendmahl vgl. LMA, Abendmahl
Bd. 1 , Sp. 22 ff.: L. HÖDL; die schärfsten Auseinandersetzungen fanden während
des 11. Jahrhunderts auf Grund der Thesen Berengars von Tours statt.
268 Petrus Venerabilis, De miraculis, lib. I, cap. 8, Sp. 891.
269 De miraculis, lib. II, cap. 25, Sp. 937 ff.
DIE TRAUMTHEORIE IN IHRER GESCIDCHTLICHEN ENTWICKLUNG 123
Wilhelm ein vorbildliches, allerdings auch ziemlich strenges Regiment
führte. Nachdem Petrus die Stadt bereits wieder verlassen hatte, vernahm
er zu seinem Entsetzen das Gerücht, daß jener Klostervorsteher
durch Gift ermordet worden sei. Daraufhin sah Petrus im Schlaf eine Erscheinung
des verstorbenen Priors vor sich, die er umarmte und küßte,
obwohl er genau wußte, daß er träumte, und ein solcher Umgang mit
einem Toten nicht möglich ist.270 Trotz dieser Einsicht stellte er dem
Prior einige Fragen nach seinem derzeitigen Ergehen, nach der Erlangung
der Seligkeit und nach der Wahrheit des christlichen Glaubens.
Nachdem ihn der Verstorbene in dieser Hinsicht zufrieden gestellt hatte,
bestätigte jener auch die Kunde, daß er durch Gift eines unnatürlichen
Todes gestorben sei. Petrus erwachte voller Staunen, schlummerte jedoch,
weil es Winter und folglich noch dunkel war, bald wieder ein. Wie
zur Bestätigung der gemachten Aussagen wiederholte sich nun die ganze
Traumszene noch einmal. – In seiner Eigenschaft als oberster Vorsteher
aller mit Cluny verbundenen Benediktinerklöster stellte Petrus, nachdem
er nach Frankreich zurückgekehrt war, sofort genaue N achforschungen
über die Umstände des Ablebens von Prior Wilhelm an. Tatsächlich
gestand schließlich ein Klosterbruder das Verbrechen, so daß der Abt
an der Wahrheit des merkwürdigen Traumgesichtes nicht mehr zweifeln
konnte. In der Folge verurteilte er den Mörder nach dem Grundsatz, daß
die Kirche kein Blut vergießt, zu lebenslanger Verbannung.
Die Mirakelsammlung enthält weitere Erzählungen über Wahrträume,
die jedoch Petrus nicht so persönlich betrafen. Interessant sind hier
vor allem die darin geschilderten Bemühungen zur Verifikation der im
Traum empfangenen Botschaften. In einem Fall gewährte der Abt einem
in den Orden eingetretenen Ritter sogar Urlaub, um die Angaben
eines alten Gefährten zu überprüfen. Dieser erschien dem ehemaligen
Ritter nämlich im Traum, um ihn von seinem Ableben auf dem Weg
ins Hl. Land zu unterrichten. Er erzählte auch von einer auf ihm lastenden
Schuld, einem tätlichen Angriff auf einen Priester, die ihm den
Eingang in die ewige Seligkeit noch für längere Zeit verwehren werde.
Die Nachfrage an Ort und Stelle erwies nach dem Bericht des Mönchs
270 Über solches Innewerden des Träumens über seinen Zustand durch Funktionsreste
des Ich-Komplexes vgl. die Ausführungen von R. BOSSHARD, Traumpsychologie:
Wachen, Schlafen, Träumen, S. 69 ff. sowie über luzide Träume D . FOULKES,
Dreaming, S. 41.
124 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
die Wahrheit der gemachten Mitteilungen und ermöglichte eine angemessene
Sühne durch die Verwandten jenes Jerusalempilgers.271 Nicht
ausdrücklich erwähnt wird hier die Bitte um Gebetshilfe, doch darf man
gewiß annehmen, daß die Übereinstimmung von Traumbotschaft und
realem Sachverhalt in solchen Fällen die ganze Ordensgemeinschaft und
insbesondere den Träumer selber zu fleißigen Gebeten für die in Not
befindlichen Seelen anspornte.272 – Aus diesen und ähnlichen Textzeugnissen
kann man entnehmen, daß sich der Abt von Träumen zwar nicht
unmittelbar zu folgenschweren Entscheidungen motivieren ließ, inhaltlich
plausibel scheinende Botschaften aber doch einer Nachforschung unterzog
und gemäß dem Ergebnis handelte. Im Falle seines eigenen Erlebnisses
führte der Traum immerhin zur Aufdeckung eines Verbrechens,
welches sonst wohl lange Zeit ungesühnt, ja vielleicht sogar unentdeckt
geblieben wäre.
Petrus‘ grundsätzlich positive, jedoch keineswegs unkritische Einstellung
zum Traum wird noch deutlicher in einem Brief, den er seinem
jüngeren Bruder Eustachius geschrieben hatte. Leider weiß man über
die Entstehungszeit dieses persönlichen Dokuments nicht mehr, als daß
es in der Zeit vor Ostern verfaßt wurde.273 Die darin angesprochenen
Verhältnisse des Adressaten bleiben im Dunkeln, doch gehörte Eustachius
als Adliger jedenfalls dem Ritterstand an und verwaltete die Familiengüter.
274 Eustachius hatte, wie aus Petrus‘ Antwort hervorgeht,
seinen berühmten Bruder um Rat gefragt, wie er auf eine von einer
Drittperson aus dem Klerikerstand an ihn herangetragene Traumvision
reagieren sollte. In seinem Schreiben bezog sich Petrus zunächst auf
271 De miraculis, lib. ll, cap. 26, Sp. 940 f.
272 Vgl. die Statuten der Cluniazenser aus dem 11. Jahrhundert unter Abt Odilo, wo
die Traumerscheinung eines verstorbenen Mitbruders das Fürbittegebet der ganzen
Klostergemeinschaft zur Folge hatte. Liber tramitis aevi Odilonis abbatis. Ed. P.
DINTER, CCM 10, S. 177.
273 Epistolae Petri Venerabili, ed. G. CONSTABLE, The Letters of Peter the Venerable,
Cambridge, Mass. 1967, Bd. 1, S. 385 ff. Brief Nr. 160. – In Anbetracht der in
„De miraculis“ angetönten Entwicklung des Petrus vom theologisch geschulten Skeptiker
zum pragmatischen Befürworter des Traums als Medium wahrer Botschaften,
kann man diesen Brief wohl nicht viel anders als jene Anekdotensammlung datieren,
also wiederum frühestens um das Jahr 1145 oder nach Constables Vorschlag um 1150.
274 Zu den Familienverhältnissen des Abtes vgl. G. CONSTABLE, Letters, Bd. 2, S.
233 ff.
DIE TRAUMTHEORIE IN IHRER GESCHICHTLICHEN ENTWICKLUNG 125
die Bibel, die zwar einerseits vor blindem Traumglauben warne, andererseits
auch mehrere Beispiele für Traumanweisungen enthalte, welche
tatsächlich von Gott stammten. Der Abt empfahl Eustachius deshalb,
größte Vorsicht walten zu lassen und generell auf Anzeichen der Wahrheit
oder Falschheit in den ihm berichteten Träumen zu achten, ebenso wie
er auch die persönliche Vertrauenswürdigkeit des Erzählers abschätzen
müsse. Am wichtigsten sei, daß er nicht gehindert werde, den begangenen
Verstoß gegen Gottes Willen zu sühnen. Sollte der Inhalt des
von jenem Kleriker vorgetragenen Traumgesichts – Petrus braucht hier
den Begriff „visio“ – wirklich wahr sein, so sollte Eustachius sich nicht
durch seinen Unglauben als Gottesverächter erweisen. Falls der Geistliche
ihm aber aus irgendwelchen Gründen Lügen aufgetischt habe, so
könne Eustachius aus der Angelegenheit die Lehre ziehen, daß er ganz
allgemein bedachter handeln müsse. Wenn er von dem Traumgesicht in
dieser Weise Gebrauch mache, so werde ihm daraus großer Nutzen und
auf gar keinen Fall Schaden erwachsen. Mit der Ermunterung, so zu
handeln, daß er in Zukunft nicht nur in weltlichen Dingen, sondern auch
in bezug auf Gott eifrig und klug genannt werden könne, schließt Petrus
das Antwortschreiben an seinen Bruder.
Die Vertröstung auf eine bald stattfindende persönliche Begegnung,
die Petrus weitere Erörterungen überflüssig erscheinen ließ, sowie die
Tatsache, daß der Brief des Eustachius nicht erhalten ist, macht die Interpretation
des Dokumentes nicht gerade einfach. Trotzdem kann eine
Rekonstruktion des nicht überlieferten Trauminhaltes versucht werden,
so daß Anfrage und Antwort eine sinnvolle Einheit bilden. Wahrscheinlich
lag dem Briefwechsel eine gegen die Kirche oder noch konkreter
gegen Kirchengut gerichtete Handlung des Eustachius zugrunde. Ein
im Herrschaftsbereich des Ritters ansässiger und von dessen Übergriff
wohl unmittelbar betroffener Kleriker sah in einer fingierten oder vielleicht
wirklich erlebten himmlischen ‚Itaumanweisung eine Möglichkeit,
Eustachius zur Wiedergutmachung des Schadens oder zur Rückgabe entwendeten
Kirchenbesitzes zu zwingen.275 Der Ritter seinerseits hörte
diese Botschaft gewiß sehr ungern und mochte einen solchen Schritt
275 Diese Hypothese findet indirekt Unterstützung bei G. CONSTABLE, Letters,
Bd. 2, S. 241, wo berichtet wird, Petrus habe sich gezwungen gesehen, das Cluniazenser-
Priorat Sauxiilanges mittels einer Bulle Papst Hadrians IV. aus dem Jahre
1156 vor Übergriffen seines eigenen Bruders Eustachius zu schützen.
126 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
nicht tun, ohne zuvor den Rat seines gelehrten und in geistlichen Belangen
besonders bewanderten Bruders einzuholen. Eustachius hatte ja
den Traum nicht selber gehabt und konnte sich deshalb seiner Echtheit
nicht völlig sicher sein. Außerdem konnte die gewünschte Wiedergutmachung
kaum unter Ausschluß der Öffentlichkeit von statten gehen, und
der Ritter mußte bei einem offiziellen Eingeständnis seines Unrechts wohl
eine Minderung seines Ansehens befürchten. Diese begreifliche Scheu vor
Ehrverlust hatte Petrus Venerabilis wohl im Auge, als er in seiner Antwort
Eustachius ermahnte, ganz allgemein bedachter zu handeln.
Petrus versteht den Traum also in seiner privaten Mitteilung durchaus
als potentielles Medium göttlicher Botschaften, trotzdem brachte
er auch in diesen Text das Ideal der kritischen Wahrheitsfindung ein.
Für das theologische Dilemma angesichts der Widersprüchlichkeiten innerhalb
der Hl. Schrift fand er eine neue Antwort, indem er aufa.J.lif ge
Trauminhalte an der Realität überprüfte und wahre Aussagen als Anstoß
zu christlichem Handeln verstand. Nur wenige theologisch gebildete
Autoren des Mittelalters gestanden dem Traum soviel Würde zu
wie der Reformabt von Cluny. Trotzdem bewegte sich Petrus immer im
Rahmen der kirchlichen Lehre, denn er zog, wie in diesem persönlichen
Brief deutlich wird, als Maßstab die göttlichen Gebote und die kirchlichen
Vorschriften bei. – Die große Bedeutung, welche geschulte Theologen
wie Petrus und Rupert dem Traum in ihrem eigenem Leben einzuräumen
bereit waren, führt direkt zum Problem der Nutzbarmachung
dieses Phänomens auch in gesellschaftlich-politischen Angelegenheiten.
Unter Beizug weiterer sprechender Quellenzeugnisse soll dann vor allem
im letzten Teil der vorliegenden Arbeit276 der konkreten Stellenwert des
Traumes im Mittelalter diskutiert werden.
3.3.2. Zur Vorsicht mahnende Äußerungen
Obwohl gerade im hohen Mittelalter viele Theologen das Traumphänomen
mit neuem Interesse studierten, kamen längst nicht alle zu einer
positiven Bewertung. Manche der überlieferten Texte enthalten die
traditionelle Mahnung, der nächtlichen Bilderwelt keine Beachtung zu
schenken und Abstand von allen Deutungsversuchen zu nehmen. Neben
den schon im Frühmittelalter als Argumentationsbasis verwendeten
Bibelstellen bot das seit dem 9. Jahrhundert in mittelalterlichen
276 Siehe weiter unten die Kapitel 4.4 und 4.8.
DIE TRAUMTHEORIE IN IHRER GESCHICHTLICHEN ENTWICKLUNG 127
Handschriften faßbare und unter dem Titel „Disticha Catonis“ bekannte
spätantike Lehrgedicht einen weiteren Ansatzpunkt für diese skeptische
Haltung:
„Nicht achte der treüme, wen was der mut
wachende begert adir tut,
mit Hoffnungee das selbige czwar
wirt her im sloffe gewar.“277
Träume werden hier als aus Wünschen und Tageserlebnissen gebildete,
jedoch grundsätzlich wertlose Seelenprodukte ohne tiefere Bedeutung
charakterisiert. Diese Zeilen stellen einen überaus scharfen Angriff auf
den Traumglauben dar. Wenn der zitierte Text auch aus einer früheren
Epoche stammt, so fand die darin formulierte Kritik durch die Verwendung
der Verse im Lateinunterricht und durch während des Spätmittelalters
und der frühen Neuzeit erfolgte Übersetzung in zahlreiche Volkssprachen
doch bald Eingang ins Denken der gebildeten Schichten.
Entschieden negativ stufte zum Beispiel der Chronist Adam von
Bremen den Traum und dessen Interpretation ein. In der Vorrede zu
seiner Kirchengeschichte, in welcher er das Werk dem Erzbischof Liemar
von Harnburg-Bremen widmete, wies Adam den denkbaren Vorwurf
zurück, er habe seinen Bericht – genauso wie Cicero den Traum des Scipio
– erdichtet.278 Indem der Chronist diese berühmte Traumerzählung
aus der Antike nicht einfach als solche akzeptierte, sondern sie als dichterische
Fiktion erkannte, erwies er beachtliche kritische Fähigkeiten.
Adam war seit 1068 Domscholaster in Bremen und stand in dieser Funktion
im Dienste des Erzbischofs Adalbert {1045-72), den er um einige
Jahre überlebte. Das von ihm im 3. Buch seiner Diözesangeschichte
gezeichnete Lebensbild dieses hohen kirchlichen Würdenträgers schöpft
also teilweise aus persönlichen Erinnerungen Adams. Auch über die
frühen Regierungsjahre Adalberts war der Chronist durch mündliche
Auskünfte älterer Geistlicher und durch Urkunden gut unterrichtet.
Die ganze Darstellung läßt Adams große Bewunderung für den mächtigen
Kirchenfürsten erkennen, der bekanntlich in der Reichspolitik eine
277 Disticha Catonis, Zitat aus der mittelhochdeutschen Ausgabe von Köln, 1498.
Faks. ed. W. GREBE, Zürich 1982. Neuhochdeutsch: Nicht achte der Träume, denn
was der wachende Wille begehrt oder tut, nimmt er im Schlafe mit Hoffnung wahr.
278 Adam von Bremen, Gesta hammaburgensis ecclesiae pontificum. Ed. B.
SCHMEIDLER, MGH in usum schol. 2, Hannover 1917, S. 5.
128 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
wichtige, allerdings nicht unproblematische Rolle spielte.279 Hie und da
äußert der Domschalaster andererseits auch Kritik am Lebensstil seines
ehemaligen Vorgesetzten, den fälschlich zu verleumden Adam kein Interesse
haben konnte. Es muß sich also um mehr als ein bloßes Gerücht handeln,
wenn der Chronist schreibt, daß Adalbert an seinem Hof Traumdeuter,
Schmeichler, Schmarotzer und Neuigkeitsträger geduldet habe.
Diese obskuren Gestalten hätten dem ehrgeizigen Bischof unter anderem
versprochen, daß er sogar noch die Papstwürde erhalten werde. Adalbert
seinerseits habe solch abergläubische Hoffnungen durch Hinweise
auf die Hl. Schrift zu rechtfertigen gesucht. 28° Ferner berichtet Adam
in mißbilligendem Tonfall, der Erzbischof habe hie und da den normalen
Rhythmus unterbrochen und tagsüber geschlafen, um dann in der Nacht
zu tafeln und zu würfeln. 281 War der Kirchenfürst einmal ohne offizielle
Gäste, so pflegte er die Zeit mit Märchenerzählungen, Traumdeutungen
und anderen Gesprächen im Kreis seiner Hofleute zu verbringen. Seltener
und nur um sich aufzuheitern hörte der Bischof Musik, nie aber
ließ er sich durch unanständige Gauklerstücke und Pantominlen unterhalten.
282
Die hier sichtbar werdende Tendenz Adams, seinen ehemaligen Herren
nach einer vorgebrachten Kritik sogleich wieder in ein besseres Licht
zu rücken, zeigt sich auch in bezug auf dessen Traumgläubigkeit. Der
beim zeitgenössischen Leser, welcher wie Adam selber auf Grund seines
279 Zur Person des Reichsbischofs vgl. E. MASCHKE, Adalbert von Bremen, in:
Die Welt als Geschichte 9 {1943) S. 25-45 und G. GLAESKE, Die Erzbischöfe von
Harnburg-Bremen als Reichsfürsten: 937-1258 (=Quellen u. Darstellungen zur Geschichte
Niedersachsens 60) Hildesheim 1962.
280 Adam von Bremen, Gesta hammaburgensis ecclesiae pontificum, lib. III, cap. 39,
S. 181 f. – Auf <lie teilweise schon in der Wortwahl erkennbare negative Einstellung
Adams zum Tl:aumglauben hat bereits A. ÖNNERFORS hingewiesen: Über die alphabetischen
Tl:aumbücher ‚Somnialia Danielis‘, in: ders., Mediaevalia (Lat. Sprache
u. Literatur des Mittelalters 6) Frankfurt/Main 1977, S. 32-57 u. Anm. 47, S. 325 f.
Ebenso aussagekräftig ist nach Önnerfors <lie fast völlige Unterdrückung der prophetischen
Begnadung des ersten Bischofs von Harnburg-Bremen in Adams Darstellung.
Die vielen durch Rimbert beschriebenen Tl:aumvisionen des hl. Ansgar überging der
Chronist im ersten Buch mit Schweigen und die einzige Tl:aumerzählung in Adams
Werk hat sich als spätere Interpolation entpuppt.
281 Adam von Bremen, lib. III, cap. 62, S. 207.
282 Ebenda, lib. III, cap. 39, S. 182 f.
DIE TRAUMTHEORIE IN IHRER GESCHICHTLICHEN ENTWICKLUNG 129
Bildungsstandes fast notwendigerweise dem Klerus angehörte, offenbar
ganz selbstverständlich erwartete Vorwurf des Aberglaubens wird vom
Chronisten durch die Vermutung abgeschwächt, Adalbert sei auf Grund
außerordentlich schmerzlicher politischer Entwicklungen wahnsinnig geworden.
Im Machtkampf mit Anno II. von Köln unterlegen, hatte Adalbert
1066 seine glänzende Stellung als Reichskanzler König Heinrichs
IV. verloren, und verschiedene Feinde nützten die damit verbundene
Schwächung, um ungestraft Raubzüge in seine Diözesen zu unternehmen
und dem Erzbischof ganze Landstriche streitig zu machen. Die
Diagnose der geistigen Verwirrung sucht Adam dann noch durch weitere,
anders kaum entschuldbare Verhaltensaufäflligkeiten Adalberts wie
Schimpfen und Schlagen zu untermauern.283 Die mangelnde christliche
Gesinnung des Bischofs sollte sich bald noch deutlicher manifestieren.
Eine von prophetisch􀆩m Geist erfüllte Frau hielt nämlich dem Bischof
eines Tages in aller Offentlichkeit vor, daß er sich unbedingt bessern
müsse. Andernfalls werde er innerhalb von zwei Jahren vom Tod ereilt
werden. Adalbert glaubte jedoch ihren Warnungen nicht und schenkte
den beruhigenden Worten seines bisher oft bewährten Wahrsagers Notebald
mehr Vertrauen, der seinem Herrn im Gegenteil ein langes Leben
prophezeite. Auch als sich in Bremen verschiedene schlimme Vorzeichen
häuften, wollte der doch sonst so traumgläubige Adalbert diese Omen
nicht auf seine Person beziehen und schlug mit Unterstützung Notebalds
alle Warnungen, selbst die seiner Ärzte, in den Wind.284 Schließlich erkrankte
der Bischof in Goslar schwer. Da er auch jetzt sein nahes Ende
nicht wahrhaben wollte und daher Hofleute und Bediente unbekümmert
zum Mittagessen wegschickte, kam es soweit, daß er allein vom Todeskampf
überrascht wurde und völlig verlassen seinen Geist aushauchte.285
Die persönliche Verbundenheit mit dem Verstorbenen und das Mitleid,
das Adam empfand, hinderten ihn, den Würdenträger in seinem
Bericht allzu scharf zu kritisieren. Obwohl das Schwergewicht der Schilderung
auf der menschlichen Tragik Adalberts liegt, lassen die Andeutungen
Adams jedoch erkennen, daß er die abergläubische Haltung des
Erzbischofs keineswegs billigte. Indem Adalbert, der ja zeitweilig an der
Spitze des ganzen Reiches stand, in Notebald einen berufsmäßigen Wahr-
283 Lib. 111, cap. 62, S. 208.
284 Lib. III, cap. 64, S. 210.
285 Lib. III, cap. 65, S. 211 f.
130 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
sager zu Rate zog und an seinem Hof hielt, gab er dem Klerus und dem
gesamten Volk ein nach Auffassung des Chronisten eindeutig schlechtes
Beispiel.
Ein anonymer Tugendspiegel für Nonnen, in welchem jede Form
von Trauminterpretation kompromißlos abgelehnt wurde, galt lange als
Schrift des hl. Bernhard von Clairvaux, was dem in Form eines persönlichen
Briefes abgefaßten Ratgeber wohl ein größeres Beachtung verschafft
haben dürfte.286 In der Analyse der Traumentstehung folgt der Autor
zunächst Gregor dem Großen und zitiert die geläufigen Bibeltexte zu
diesem Thema. Ähnlich wie schon bei Hrabanus Maurus wird dann
aber ausdrücklich davor gewarnt, Träume, welche sich später zu verwirklichen
scheinen, als Botschaften Gottes aufzufassen. Dabei verweist
der Ratgeber auf die Schwierigkeit, die genaue Ursache dieser Produkte
der menschlichen Imaginationskraft festzustellen. Ferner muß der Christ
immer mit der Arglist der Dämonen rechnen, die manchmal im Traum
den Gang der Ereignisse richtig ankündigen, um danach ihr Opfer umso
öfters zu t􀍏􀍐schen. Gegen den Traumglauben spricht ferner nach des
Verfassers Uberzeugung auch das Verbot der Wahrsagerei in Deuteronomium
13, 2-3. Wer solchen Dingen nachhängt, verfügt nicht über
das notwendige Gottvertrauen und gleicht einem, der dem Wind nachjagt
oder einen Schatten zu erhaschen sucht (Eccles. 34,2). Wer aber
sein Hoffen auf Gott setzt, braucht sich um Träume wirklich nicht zu
kümmern.
* * *
Die erstaunlichen Beobachtungen der Abtissin Hildegard von Bingen
über Wesen und Zweck des Schlafes sind bereits oben vorgestellt worden.
287 Hier tritt uns auch die einzige Frau des Mittelalters entgegen,
die sich nachweislich auf einer theoretischen Ebene mit dem Traumphänomen
befaßte. Obwohl Hildegards Grundansichten ganz mit der traditionellen
Theologie übereinstimmen, zeugt ihre Darstellung der ver-
286 Ps.-Bernardus, Liber de modo bene vivendi, PL 184, Sp. 1199-1306, cap. 68: De
somniis, Sp. 1300 f. – Obgleich schon der Editionsvorspann der Patrologia auf die
falsche Zuordnung aufmerksam macht, ist die Urheberschaft des berühmten Predigers
des Zisterzienserordens wohl aus Unachtsamkeit doch wieder behauptet worden von
K. J. STEINMEYER, Untersuchungen zur allegorischen Bedeutung der Träume im
altfranzösischen Rolandslied (=Langue et Parole 5) München 1963, S. 13 f.
287 Siehe oben, Kapitel 2.2, 2.3 und 2.5 der vorliegenden Arbeit.
DIE TRAUMTHEORlE IN IHRER GESCHICHTLICHEN ENTWICKLUNG 131
schierlenen Triebkräfte, die den Trauminhalt beeinflussen, von der dieser
Frau in besonderem Maß eigenen Einfühlungsgabe. Ihre persönlichen
Visionen und Eingebungen, denen sie zum großen Teil ihre Berühmtheit
verdankt, empfing sie allerdings tagsüber in einem Zustand nahe dem
Wachen. 288 Trotzdem glaubte sie wie viele andere mittelalterliche Theologen
grundsätzlich auch an die Möglichkeit von Wahrträumen. Die
nicht von Sünden belastete Seele vermag die Zukunft zu schauen, wobei
diese Fähigkeit von Hildegard mit der göttlichen Abstammung der Seele
begründet wird. 289
Daneben gibt es nach ihrer Beobachtung Träume, welche aus den
Gedanken und Plänen des Tages hervorgehen und die den Menschen bis
in seine Ruhezeit beschäftigen oder gar verfolgen. Wenn diese Absichten
nun eitel oder gar böse sind, so fällt es dem Teufel leicht, die Seele eines
solchen Träumers zu ängstigen und Lügengespinste unter die Traummotive
zu mischen. Aber selbst gute und heilig zu nennende Personen
können sich im Schlaf der höllischen Einflüsse kaum erwehren. Sind sie
nämlich beim Einschlafen zufällig einmal von negativen Emotionen, wie
Übermut, Zorn, Angst, Herrschsucht oder Traurigkeit erfüllt, so hält
der böse Feind ihnen das oft im Traum wie in einem Spiegel vor. Noch
schlimmer aber werden nach Hildegards Ansicht jene getäuscht, die mit
sexuellen Phantasien oder Begierden eingeschlafen sind. Sie sehen sich
zu ihrer späteren Beunruhigung im Thaum mit alten, vielleicht längst
verstorbenen Freunden oder aber mit völlig fremden Personen in geschlechtliche
Handlungen verwickelt und zum Höhepunkt kommen. 290 –
Obwohl die Träumer von Hildegard als Opfer gezeichnet sind, scheint
die Äbtissin dem Schläfer eine gewisse Mitverantwortung für unerfreuliche
oder gar unziemende Thaumbilder aufzuladen und zwar im Sinne
einer besseren Kontrolle seiner Tagesgedanken. An anderer Stelle ihres
medizinischen Lehrbuches weist sie jedoch darauf hin, daß nächtliche
Samenergüsse auch ohne begleitende Thäume möglich seien und daß der
288 Die ausführlichste Beschreibung ihrer visionären Zustände findet sich im ersten
Brief Hildegards an ihren späteren Sekretär Wibert von Gembloux, kritische Ed. von
P. DRONKE, in: ders., Women Writers of the Middle Ages. A Critical Study of
Texts from Perpetua to Marguerite Porete, Cambridge 1984, S. 250-256.
289 Hildegard von Bingen, Causae et curae, ich paraphrasiere die dt. Übersetzung
von H. SCHIPPERGES, Heilkunde, S. 153.
290 Heilkunde, S. 153 f.
132 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
willentliche Verzicht auf den Höhepunkt einen Mann sogar krank machen
könne.291
Bestimmte körperliche Vorgänge sind ferner nach Hildegards Meinung
mit ein Grund für Angstträume. Die Phantasie bewirke dann in
einer Umdeutung der Leibreize, daß der Träumer den Teufel vor sich
zu sehen glaube, obwohl kein Mensch dessen reale Gegenwart aushalten
könnte. Andere Menschen wiederum würden im Schlaf von sturmwindähnlichen
Teufelserscheinungen gequält, aus denen sie dann voller
Schrecken erwachten, ohne sich jedoch an irgendwelche Einzelheiten der
Traumszene erinnern zu können. 292
Zu diesen eher wissenschaftlich orientierten Beschreibungen der Äbtissin
gesellen sich ihre in Briefform überlieferten Ratschläge für den
praktischen Umgang mit Träumen. Im Zusammenhang mit dem Volksglauben
über den Schlaf wurde bereits ein Gebet zitiert, welches Hildegard
für den persönlichen Gebrauch eines durch Alpträume gequälten
Klerikers gedichtet hatte. Obwohl sie dessen Leiden zunächst auf körperliche
Ursachen zurückführte, schien ihr in diesem Fall auch das Beten
von Abwehrformeln gegen böse Geister angezeigt, was heute wohlwollend
im Sinne einer ganzheitlichen Behandlungsmethode interpretiert werden
könnte.293 Ein weiterer Brief ist für unser Thema ebenfalls von Interesse.
Hildegard gab Rüdiger, einem Mönch des Zisterzienserklosters Ebrach, in
einem Antwortschreiben auf dessen Anfrage zu bedenken, daß Gott sein
Wissen keinem Menschen gänzlich kundtue; er enthülle es nur soweit,
als es im Einzelfall dienlich sei. 294 Indem Hildegard diese Einschränkung
als solche erkannte und ausdrücklich akzeptierte, fühlte sie sich auch
berechtigt, in dem dadurch gesetzten Rahmen von ihrer seherischen Begnadung
Gebrauch zu machen. Nach ihren Worten zu schließen, erfuhr
sie auf diesem Weg einiges über Rüdigers körperliche Schwäche und dessen
gute Gedanken, aber auch über dessen Ruhmsucht und Verstrickung
291 Ebenda, S. 205 f. Vgl. dazu in Kapitel 4.3.1 dieser Arbeit die Erörterung dieses
vor allem Geistliche betreffenden Problems durch mittelalterli<he Autoren und
entsprechende Traumbeispiele.
292 Heilkunde, S. 211 ff.
293 Siehe oben, Kapitel 2.3.1 dieser Arbeit. – Das ist jedenfalls die allgemeine Tendenz
bei SCHIPPERGES‘ Kommentaren ZU der deutschen Übersetzung von ucausae
et curae“.
294 Hildegard Briefwechsel, übers. von A. FUHRKÖTTER, Salzburg 1965, S. 143 f.
DIE TRAUMTHEORIE IN IHRER GESCHICHTLICHEN ENTWICKLUNG 133
in irdische Händel. Weitere Fragen, wie etwa die nach Papst Eugen295
oder nach der Lebensdauer eines nicht näher bezeichneten Mitbruders
von Rüdiger, konnte sie jedoch nicht beantworten und begnügte sich damit,
an jenen Mönch einige allgemeine Ermahnungen zu übermitteln.
An Rüdiger selbst hingegen ging die ausdrückliche Warnung, sich nicht
verwegen über die Dauer seines eigenen Lebens und dessen Endziel Gedanken
zu machen oder gar seine Träume darüber zu befragen.
Hildegards Traumdeutungsverbot steht nun allerdings in einem seltsamen
Kontrast zu ihrer andernorts geäußerten Überzeugung, daß die
Seele bei guter Gesinnung ähnlich wie der Mond am wolkenlosen Himmel
in nächtlichen Bildern die Wahrheit zu zeigen vermöge. 296 Wahrscheinlich
muß man ihre ablehnende Haltung in diesem konkreten Fall
auf eine in dem uns nicht erhaltenen Brief Rüdigers wohl erwähnte Methode
der Trauminterpretation beziehen, welche in unkritischer Weise
Erkenntnisse aus unwichtigen, auf Tagesresten beruhenden Bildern ableiten
wollte. Überdies ließ sich die Frage nach der Dauer des eigenen
Lebens ganz allgemein schlecht mit der für einen Mönch schicklichen
Demut und Ergebenheit in den Willen Gottes vereinbaren, selbst wenn
uns diese Neugier angesichts der durchschnittlich viel kürzeren Lebenserwartung
der Menschen im Mittelalter begreißich erscheinen mag. 297 –
Hildegards Standpunkt läßt sich am ehesten mit der Haltung Alkuins
vergleichen, denn beide standen dem Traumphänomen trotz ihrer theologischen
Schulung nicht grundsätzlich feindlich gegenüber. Sie betonten
jedoch, daß die den Ordensangehörigen befohlene und jedem Laien ebenfalls
gut anstehende fromme Meditation sich nicht auf die eigene Person
konzentrieren durfte. Die zentralen Aussagen der christlichen Glaubenslehre
boten ausreichend Stoff sowohl für intellektuelle Studien als auch
für religiöse Betrachtungen und kontemplative Versenkung. Solche Zielsetzungen
ließen die Hinwendung zum Traum nur in den seltenen Fällen
wirklicher Inspiration sinnvoll erscheinen und setzten der Beschäftigung
mit den Bildschöpfungen der eigenen Seele von vornherein enge Grenzen.
* * *
295 Gemeint ist hier Papst Eugen III. (1145-1153), ein ehemaliger Zisterzienserabt.
296 Hildegard, Heilkunde, S. 154.
297 Vgl. J.C. RUSSEL, Late Ancient and Medieval Population (=Transactions of
the American Philosophical Society, NS. 48,3) Philadelphia 1958, S. 31 f.
134 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
Die umfangreichste und auch auf Einzelheiten eintretende Diskussion des
Traumproblems während des Hochmittelalters findet man bei Johannes
von Salisbury (gest. 1 1 80). In seinem um 1 1 59 unter dem Titel „Policratius11
veröffentlichten Hauptwerk befaßte sich der englische Gelehrte
unter vielem anderen mit den verschiedenen Formen der Magie, wobei
er als Priester selbstverständlich alle Zaubereien und Wahrsagekünste
verurteilte. Über deren Existenz hatte Johannes aus antiken Texten
Kenntnis; er beschrieb aber auch manche sonst nirgends erwähnte Praktiken
seiner Zeitgenossen.298 In typisch mittelalterlicher Geisteshaltung
bezweifelte er freilich keinen Moment lang die Wirksamkeit solcher mit
Hilfe des Teufels zustande kommenden Praktiken. Es verwundert daher
nicht, daß auch Johannes die Existenz von Wahrträumen zunächst ganz
selbstverständlich bejaht und sie als einen der möglichen Offenbarungswege
des göttlichen Willens beschreibt. Die neuplatonische Lehre von
der wahren, nächtlichen Schau der Seele erwähnt der Gelehrte nur kurz,
um sich dann dem Problem der Unterscheidung von wahren und falschen
Träumen zuzuwenden. Dabei bezieht er sich auf die antike Dichtung; Homer
und Vergil prägten die Vorstellung, daß die nächtlichen Bilder aus
einer Doppelpforte von Horn und Elfenbein hervorgehen würden. Dem
Tor aus Horn werden gemäß der durchscheinenden Struktur dieses Stoffes
die wahren Träume zugeordnet, während das Tor aus Elfenbein keinen
Durchblick ermöglicht und demzufolge die falschen Träume aussenden
soll. 299
Vom Neuplatoniker Makrobius übernimmt der englische Gelehrte
dann die konkreten Kriterien zur Ttaumbewertung. Dieses fünfteilige
Schema hat, wie bereits geschildert wurde, in knapper Form auch bei
Aleher von Clairvaux Verwendung gefunden. Johannes hingegen weiß
die antike Vorlage durch eigene Kommentare und weiterführende Gedanken
zu bereichern. Wie bei Makrobius setzt die Diskussion bei den
mantisch wertlosen Traumarten ein; die Thematik wird dann gemäß der
298 Johannes von Salisbury, Policratius. Ed. C. WEBB, London 1909, reprint Frankfurt/
Main 1967, lib. I, cap. 1 1 , und lib. II, cap. 27 u. 28; Bd. 1 , S. 50 u. 166. Vgl.
dazu die Ausführungen von Barbara GLOOR-HELBLING, Natur und Aberglaube
im Policratius des Johannes von Salisbury (=Geist und Werk der Zeiten 1 ) Zürich
1956, bes. S. SO ff.
299 Policratius, lib. II, cap. 14, Bd. 1 , S. 88.
DIE TRAUMTHEORIE IN IHRER GESCHICHTLICHEN ENTWICKLUNG 135
scholastischen Diskussionmethode in bis zum metaphysischen Bereich
aufsteigende Stufen gegliedert.
Das „insomnium“ , d. h. der Leibreiztraum, entsteht nach allgemeiner
Erkenntnis vor allem aus körperlichen Ursachen; Johannes behandelt
hier im Sinne einer christlichen Ermahnung zur Mäßigkeit allerdings
nur den Faktor der Trunkenheit und des Rausches und läßt den
bei Makrobius erwähnten Einfluß der Speisen weg. Eine wichtige Rolle
spielen ferner auch körperliche Leidenschaften, der Aufruhr der Gefühle
sowie Reste von Tagesgedanken. Jeder Liebende, ja jeder Mensch, der
von irgendwelchen Emotionen oder Leidenschaften durchdrungen ist, erlebt
solche Träume.300 Von der Realität völlig abweichende, griechisch
als „phantasma“ bezeichnete Halluzinationen entstehen nach Meinung
der medizinisch orientierten Naturforscher aus geistiger oder körperlicher
Schwäche und sind deshalb nur von diagnostischem Interesse. Derselben
Traumkategorie gehört dann auch das schon von Makrobius mit dem
griechischen Begriff „ephialtes“ bezeichnete Alpdrücken an. Es handelt
sich dabei um einen Zustand zwischen Wachen und Schlafen, in dem man
sich von einem unbekannten Wesen höchst unangenehm bedrängt und
zusammengedrückt fühlt. Beide Phänomene gehören nach Ansicht des
Johannes in den Zuständigkeitsbereich der Ärzte und offenbaren keinerlei
höhere Wahrheiten. Wichtiger ist dann natürlich der Traum im engeren
Sinn, der einen Sachverhalt in verhüllenden Bildern zeigt und mit dessen
Auslegung sich die berufsmäßigen Deuter hauptsächlich abgeben. Solche
verschlüsselten Träume können sich auf das Leben des Träumers selbst,
auf das eines anderen Menschen, auf gemeinschaftliche Angelegenheiten
oder gar auf öffentliche bzw. staatliche Probleme beziehen. Der Gelehrte
führt dann als Beispiel für letzteres die sibyllinische Prophezeiung über
die Geburt Christi an, welche ja für das Heil nicht nur eines bestimmten
Staates, sondern der gesamten Menschheit entscheidend war.301 Neben
diesen mehr oder weniger symbolischen Träumen beschreibt J ohannes
mit Makrobius die direkte Schau oder „visio“, in welcher dem Schläfer
der eigentliche Sachverhalt bzw. das Ereignis in vollständiger und wahrer
Form gezeigt wird. Zusätzlich kennt der mittelalterliche Autor auch Visionen,
in denen neben den Hauptpersonen noch weitere Figuren ‚!Jeige-
300 Policratius, Iib. II, cap. 15, Bd. 1, S. 89 f.
301 Policratius, Iib. II, cap. 15, S. 90. – In der positiven Bewertung der legendären
römischen Prophetin folgt Johannes Augustinus, De civitate Dei, lib. XVIII, cap. 23.
136 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
mischt sind, was das Verständnis nur erschweren könne. Das Orakel, also
die durch eine Traumgestalt mündlich überbrachte göttliche Willensbekundung,
stellt die letzte Kategorie von Makrobius Ordnungsschema dar.
Nach Johannes‘ Auffassung erscheinen in solchen Träumen Engel, Gott
oder irgend ein anderes Wesen immer in menschlicher Gestalt, die dann
auf ihre Achtbarkeit und Verehrungswürdigkeit zu überprüfen ist. Ihre
Glaubwürdigkeit kann wie bei den Eltern durch die Natur bedingt sein,
beim Herrn oder Vorgesetzten durch die Stellung, beim Geistlichen durch
die Sitten, beim Würdenträger durch das Glück, bei Gott, Engel sowie
einem durch Weihen geheiligten Menschen jedoch durch die Religion.
Die Beobachtung, daß das Volk früher auch den Traumanweisungen
von schlechten Ratgebern wie Götzen und Dämonen folgte, veranlaßt
Johannes zu einer scharfen Verurteilung des heidnischen Orakelwesens
und treibt ihn zur Verdammung des Aeneas und des ganzen durch die
Christenverfolgungen befleckten Römerreiches. 302 Weil nun aber sogar
das Neue Testament in den Geschichten um Christi Geburt von einigen
himmlischen Traumanweisungen erzählt (Mt. 1,20 und 2, 12-19), erachtet
Johannes eine nähere Auseinandersetzung mit diesem Thema als
sinnvoll und notwendig.303 Er widmet dem Problem der Traumdeutung
sogar ein eigenes Kapitel, wobei die Diskussion in den weiteren Rahmen
der prophetischen Vorzeichen gestellt wird. Die Interpretation von
Traumbildern, Zeichen und Rätseln ist nach Johannes‘ Meinung gerade
deshalb so anspruchsvoll, weil sie alle sehr viel mehrdeutiger sind als
etwa die Sprache oder ein bestimmtes Wort. So übertrifft auch die Vielfältigkeit
der Natur die Möglichkeiten des sie nachahmenden Künstlers.
Je nach Menge der Ähnlichkeiten, die eine Sache mit anderen Dingen
gemeinsam hat, besitzt sie mehr oder eben weniger Bedeutungen, wobei
freilich das Kleinere stets auf das Größere hinweist. Je ausgeprägter ganz
allgemein gesagt die Ähnlichkeit ist, desto bekannter und einleuchtender
ist die Deutung des Zeichens. Die Ähnlichkeit kann entweder dem Wesen
nach in der Art oder Gattung bestehen oder in der zufälligen Eigenschaft
von Quantität oder Qualität sowie in den verschiedenen äußeren Formen
und schließlich durch Nachahmung bzw. durch ursächliche Verknüpfung.
Die Kunst des Traumdeuters zeigt sich deshalb darin, daß er trotz der
302 Policratius, lib. II, cap. 15, S. 92 f.
303 Policratius, S. 93 f.
DIE TRAUMTHEORIE IN IHRER GESCHICHTLICHEN ENTWICKLUNG 137
Gleichheit der Zeichen die Verschiedenheit der Bedeutung durch vorsichtiges
Abwägen herausschält.
LE GOFF würdigt diese originellen Überlegungen des Johannes
als frühen Versuch einer Semantik des Traumes, während HELBLINGGLOOR
sie einerseits in die zeitgenössischen Universalien-Diskussion
einordnet, andererseits darin auch eine Vorausnahme der Erkenntnis
der modernen Tiefenpsychologie sehen möchte.304 Vor allem die Schule
von C. G. JUNG betont ja die Mehrdeutigkeit aller Traumbilder und
schreibt ihnen einen vorwiegend symbolischen Charakter zu.305 Aus seiner
soeben skizzierten differenzierten Betrachtungsweise heraus kommt
Johannes zur Einsicht, daß dasselbe Zeichen, wie etwa das Berühren von
Geld im Traum, je nach der Person des Träumers sich verschieden stark
auswirkt, dem einen also Gewinn, dem anderen aber Verlust bringt. An
Beispielen aus der antiken Sage und Geschichte und aus dem Alten Testament
erläutert er auch die später bei FREUD wichtige Verkehrung eines
Motivs ins Gegenteil306, in der Johannes freilich nur eine Ausnahme der
sonst gültigen Traumdeutungsregel nach Ähnlichkeiten sieht.
Betrachtet man diese erstaunlich modernen Aussagen zum Traumproblem,
so gewinnt man den Eindruck, der englische Gelehrte habe
sich wie viele andere mittelalterliche Autoren dem Traumphänomen gegenüber
in einem Dilemma befunden. Allerdings erzählt er nirgends ein
persönliches Erlebnis, welches ihn vielleicht in besonderer Weise beeindruckt
hätte, wie uns das von Petrus Venerabilis überliefert ist. Trotzdem
zeugt die breite Behandlung des Themas und das fast in jedem
Satz spürbar werdende innere Engagement von einer echten Faszination.
Angesichts der zu seiner Zeit offenbar wenig seriösen Praktiken
von seiten berufsmäßiger Traumdeuter und der Verbreitung verschiedener
Traumbücher sah sich J ohannes jedoch als christlicher Theologe
304 J. LE GOFF, Les reves dans Ia culture, S. 306 – B. HELBLING-GLOOR, Natur
und Aberglauben, S. 86.
305 Vgl. C. G. JUNG, Über psychologische Energetik und das Wesen der Träume,
Zürich 21948; ders., Traumsymbole des Individuationsprozesses, Eranos Jahrbuch 4
{1935) S. 19-29. Zur symbolischen Struktur des Traumes zusammenfassend auch R.
BOSSHARD, Traumpsychologie, S. 120 ff. u. 244 ff.
306 S. FREUD, Die Traumdeutung {1900), Frankfurt/Main 1961, S. 272 ff. und ders.,
Der Witz (1898), Frankfurt/Main 1958, S. 142 f. u. 159.
138 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
gezwungen, den damit verknüpften Formen des Aberglaubens entgegenzutreten:
„Wenn wir aber diese Lehren der Traumdeuter untersuchen, fürchte
ich, daß wir eigentlich nicht die Traumdeutung untersuchen, die entweder
gar keine oder eine nichtige Kunst ist, sondern zu schlummern
scheinen. Wer immer nämlich der Eitelkeit der Träume folgt, der
wacht wenig in Gottes Gesetz und während er den Glauben beiseite
läßt, schläft er einen höchst verderblichen Schlaf. Die Wahrheit ist
ja weit von ihm weg geschaffen, und er vermag ihrer nicht sicherer
habhaft zu werden als einer, der mit umdunkelten Augen im
Mittagslicht tappt, eine Blase ausstechen oder mit einem Stich ein
Geschwür heilen kann.“307
Auf die Argumentation des Gelehrten bei seiner Kritik allgemein üblicher
Methoden der Traumdeutung wird noch näher einzugehen sein.308 In den
zitierten Sätzen macht der Theologe aber unmißverständlich klar, daß
solches Tun nicht nur den christlichen Geboten zuwiderläuft, sondern
häufig auch an Torheit grenzt, was er mittels eindrücklicher Metaphern
aus dem Bereich der Krankheit darstellt. Für den träumenden Menschen
selbst gelten die durch die christliche Religion gegebenen Werte. Daher
soll man einem Traum, der den Lastern Stoff zuführt, also entweder an
die Lust, oder an die Habsucht sowie an die Herrschbegier appelliert,
keine Beachtung schenken. Solche Bilder stammen ohne Zweifel aus
dem sinnlichen Begehren oder von bösen Geistern, die auf diese Weise
den Menschen bedrängen und ihn durch Vorgaukeln von phantastischen
Szenen verwirren. 309
307 Policratius, lib. II, cap. 17, S. 94: Sed dum ha& coniectorum traditione& ezequi·
mur, uereor ne merito non tamen coniectoriam ezequi, quae aut nulla aut inani&
ar& e&t, quam dormitare uideamur. Qui&quü enim &omniorum &equitur uanitatem,
parum in lege Dei uigilan& e&t, et dum fidei facit düpendium, pernicio&i&&ime dormit.
Verita& &iquidem ab eo Ionge facta e&t, nec eam faciliu& pote&t apprehendere quam
urionem ezpungere uel puncto curare carcineam qui caligantibu& oculi& in meridie
palpat. Übers. leicht verändert nach HELBLING-GLOOR, S. 87 f.
308 Siehe unten, Kapitel 3.6 der vorliegenden Arbeit.
309 Policratius, lib. II, cap. 17, S. 100 f. – Mit letzterer Äußerung spielt Johannes
auf Erzählungen von nächtlichen Hexenzusammenkünften an. Diese wurden, wie
HELBLING-GLOOR (S. 91) betont, noch im 12. Jahrhundert als subjektive Einbildung
bzw. als Traumphantasien und nicht als strafbare Realität verstanden. Ferner
DIE TRAUMTHEORIE IN IHRER GESCHICHTLICHEN ENTWICKLUNG 139
* * *
Behandelt wird das Thema der Traumgläubigkeit ferner noch bei Petrus
von Blois (gest. um 1204), einem Schüler des Johannes von Salisbury.
In einem Brief an einen persönlichen F’reund versuchte Petrus
dessen Aufregung über die scheinbare Verwirklichung böser Vorzeichen
zu besänftigen.310 Ein Magister, dessen Name vom Briefschreiber nur
mit G. angegeben wird, hatte trotz der als schlechtes Omen geltenden
Begegnung mit einem Mönch eine Reise zu seinem Dienstherrn, dem Erzbischof
von Canterbury, angetreten. Dieser Mönch hatte den Magister
aufgrund des Volksglaubens sogar ausdrücklich vor einer Fortsetzung
seines Rittes gewarnt, was der Magister allerdings als ein leeres, nicht
mit dem christlichen Glauben zu vereinbarendes Gerede abgetan hatte.
Kurz danach stürzte er aus mangelnder Vorsicht mit seinem Reittier in
einen tiefen, wasserführenden Graben, aus dem er von den herbeieilenden
bischöflichen Gefolgsleuten nur unter großer Mühe gerettet werden
konnte.311 Der einiges Aufsehen erregende Vorfall zeigt nach Petrus‘ Ansicht
die List und Verschlagenheit des Teufels, welcher den Menschen
durch Trugbilder aller Art, durch unheilkündende Angänge von Mensch
und Tier, durch Träume und ähnliche Dinge das Wissen um Zukünftiges
verspricht und sie damit unter seinen verderblichen Einfluß zu bringen
sucht.
“ … indem er auf solche Weise erfreuliche Ereignisse oder Unglück
ankündet, erschüttert er durch eitle Neugier die Ruhe des Herzens
und beschmutzt so nach und nach den aufrichtigen Glauben.“312
Aus dieser Sicht spielte es für Petrus dann keine Rolle mehr, ob jemand
an Träume glaubt, Astrologen konsultiert, irgendwelche Wahrsagekünste
bemüht, oder gar mittels Wachs und Lehmpuppen aktiven Schaden- oder
weist HELBLING-GLOOR auch auf die Eigenständigkeit des Berichtes von Johannes
gegenüber Regino von Prüm hin (siehe oben, Kapitel 3.2). Johannes erwähnt
den Hexenflug nicht, berichtet aber vom Essen zerstückelter und nachher wieder zum
Leben auferweckter Kleinkinder.
310 Petrus von Blois, Epistulum 65, PL 207, Sp. 190-95.
311 HARMENING, Superstitio (S. 94), läßt den armen Magister infolge einer falschen
Übersetzung des lateinischen Textes sogar ertrinken!
312 Petrus von Blois, Epistulum 65, Sp. 191: . .. et $iC rerum eventlu laetO$ in·
fausto$ve denuntiat, utquietem cordium vana curio$itate $Ollicitet, atque ut aliquid
paulatim de fidei $inceritate incru$tet. Übers. d. Verfasserin.
140 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
Liebeszauber ausübt. Die bereits von seinem Lehrer Johannes mit harten
Worten verurteilten heidnischen Orakel täuschten die Ratsuchenden
bekanntlich oft mit zweideutigen Antworten und für einen Christen
ziemt es sich nach Petrus Meinung erst recht, sich demütig in sein vom
allmächtigen Gott gnädig gefügtes Schicksal zu ergeben. Jedes Bemühen,
die Zukunft zu ergründen, ist deshalb für Petrus eine teuflische Versuchung
und Grund zur ewigen Verdammnis. Diese strengen Sätze stützen
sich auf die schon im Frühmittelalter zitierten Stellen aus Leviticus 19,
26 und Deuteronomium 18, 9-1 1 , welche der Autor in seinem Brief sogar
im vollen Wortlaut wiedergibt.
Ehrlicherweise leugnet Petrus gegenüber dem mit ihm befreundeten
Briefempfänger die Existenz von Wahrträumen nicht völlig, hält sie
aber für sehr selten. Soweit sie nicht als zufällige Übereinstimmungen
angesehen werden können und soweit sie in der Hl. Schrift bezeugt sind,
geschehen sie mit göttlicher Erlaubnis im Sinne von Offenbarungen mit
Ausnahmecharakter. Gott verkündet sein Wissen auf verschiedenen Wegen
und mag dabei auch in der Gegenwart das Mittel des Traumes und
der Vision benutzen. Wer jedoch seine Hoffnung auf Träume setzt, der
handelt abergläubisch und tut seinem eigenen Heil Abbruch. Petrus versichert
dem Freund, daß er für seine Person sich von keinem Traum bewegen
lasse, auf Träume zu bauen. Er wisse zwar, daß die Seele hie und da
mit Hilfe von Tagesresten oder auch mit der ihr angeborenen Fähigkeit
zum Weitblick zukünftige Bilder im Traum vorausnehme.313 Häufiger
aber sei die Täuschung, was er durch eigene bittere Erfahrung habe lernen
müssen. Einmal nämlich habe er auf Grund eines nächtlichen Gesichtes
Gutes erwartet und nachher das Gegenteil erlebt. So empfiehlt
Petrus von Blois dem Briefempfänger, nicht auf Träume zu achten, damit
er nicht in den Irrtum der abergläubischen Leute verfalle, welche
alles und jedes als schlechtes Vorzeichen betrachten und im Grunde genommen
in ständiger Angst leben. – Im Schlußteil seines Briefes formuliert
der Theologe dann seine Beurteilung des Mißgeschickes mit dem
Wassergraben. Weil zwischen Vorzeichen und Ereignis kein ursächlicher
Zusammenhang besteht, wäre dem Magister der Unfall auch ohne die
als unheilvolles Omen geltende Begegnung mit dem Mönch zugestoßen.
313 Eingehender setzten sich erst die Vertreter der Hochscholastik mit dem Wahrtraum
auseinander, vergleiche dazu Kapitel 3.4 und für konkrete Beispiele auch Kapitel
4.6 der vorliegenden Arbeit.
DIE TRAUMTHEORIE IN IHRER GESCHICHTLICHEN ENTWICKLUNG 141
Diese explizite Ablehnung einer ursächlichen Verknüpfung von Zeichen
und Unglück wird dann von Autoren des Spätmittelalters wiederholt.314
Die Theologen wollten damit wohl einer fatalistischen Haltung entgegentreten,
die aus dem weitverbreiteten Aberglauben resultierte.
Halten wir zusammenfassend fest, daß im hohen Mittelalter einige
prominente Autoren von der Fähigkeit des menschlichen Seele zur Vorausschau
im Traum überzeugt waren. Die Mehrzahl der Theologen hielt
es jedoch für notwendig, ausdrücklich vor einem naiven Vertrauen in solche
Voraussagen zu warnen. Einerseits erkannte man auf Grund einer
vertieften Auseinandersetzung mit den verschiedenen Entstehungsfaktoren
die Nichtigkeit vieler Träume, andererseits hielt man an der Vorstellung
fest, daß Träume häufig ein Einfallstor für das Böse bildeten.
Schließlich wies man auf die prinzipielle Mehrdeutigkeit der Traumsymbole
hin, welche eine sinnvolle Interpretation schwierig, wenn nicht sogar
unmöglich zu machen pflegt.
3.4. DER TRAUM IN DER HOCHSCHOLASTIK
Der berühmte jüdische Arzt Moses ben Maimon (1 135-1204), auch Maimonides
genannt, gehört zu jenen Gelehrten, die sich seit dem hohen
Mittelalter erneut mit Aristoteles befaßten und eine fruchtbare Auseinandersetzung
mit dem Werk des antiken Philosophen und Naturforschers
in Gang setzten. Ohne auf die in Aristoteles Schriften „Vom Schlafen
und Wachen“ und „Über Träume“315 wichtige Frage der Entstehung
des Traumes einzutreten – diese Texte waren ihm vielleicht gar nicht
zugänglich – versuchte Maimonides in seinem Traktat „Führer der Unschlüssigen“
die allgemeine Erkenntnisphilosophie des großen Griechen
in die hebräische Religion zu integrieren. Dabei ging es hauptsächlich
darum, die rationalen Fähigkeiten des Menschen mit den biblischen Beschreibungen
von göttlichen Offenbarungen in Übereinstimmung zu bringen.
Für Maimonides blieb Gott zwar die Quelle jeder Inspiration, doch
mit Aristoteles verstand er Gott als Schöpfer oder ersten Beweger, der
314 Siehe unten, Kapitel 3.5 dieser Arbeit.
315 Aristoteles, ‚Über Schlafen und Wachen‘ und ‚Über weissagende Träume‘ dt. Ed.
E. ROLFES, Kleine naturwissenschaftliche Schriften (=Philosophische Bibliothek 6)
Leipzig 1924.
142 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
nur indirekt durch eine Art ‚Weltvernunft‘ auf den Menschen wirkt. Prophetie
und Traum stellen dann nur verschiedene Grade der Fähigkeit
dar, mit dieser Weltvernunft Kontakt aufzunehmen. Bei gewöhnlichen
Menschen mischen sich während des Schlafes Reste von Tageserlebnissen
in die vom Verstand empfangenen und durch die Einbildungskraft
umgeformten Botschaften oder Eindrücke; aus diesem Kon􀍑􀂒omerat entstehen
dann die üblichen Traumbilder. Nach Maimonides‘ Uberzeugung
ist echte Prophetie daher nur unter besonderen Bedingungen möglich;
dazu zählte er einen hervorragenden, durch wissenschaftliche Studien
geschärften Verstand und die absolute Beherrschung der Leidenschaften.
316 Die hohe Wertschätzung des Intellekts in der griechischen Philosophie
verführte Maimonides sogar dazu, für den wahren Propheten die
völlige Unabhängigkeit von der Einbildungskraft zu postulieren. Aus
der langen Reihe der hebräischen Propheten erfüllte nach Maimonides‘
Meinung einzig Moses diese Bedingung; nur er war würdig genug, dem
auserwählten Volk die Gesetze Gottes zu übermitteln. 317 Für alle anderen
Offenbarungen an das auserwählte Volk behält die Aussage von
Numeri 12,6 ihre Gültigkeit: „Wenn unter euch ein Prophet des Herrn
ist, so offenbare ich mich ihm in Gesichten und rede in Träumen mit
ihm!“. Nach Maimonides‘ Ansicht spricht Gott zum Menschen allerdings
immer nur mittelbar, d. h. durch seine Engel. Diese Geistwesen
könne man aber ebenfalls nicht auf sinnliche Weise wahrnehmen, so daß
nur der Umweg über die Einbildungskraft in Traum und Vision übrig
bleibe.318
Auf dieser Grundlage entwickelte der Gelehrte dann ein elfstufiges
Schema, welches alle theoretisch möglichen göttlichen Einwirkungen auf
den Menschen zum Inhalt hat. Die gottgefci.llige Tat, der fühlbare himmlische
Beistand im Leben oder auch der Wahrtraum bilden die erste Stufe
dieses Kontakts. Die zweite Stufe beinhaltet das göttlich inspirierte Reden
oder Dichten sowie Traumgedanken von allgemeiner Gültigkeit. In
den nächsten fünf Graden wird dann die eigentliche Gabe der Weissa-
316 Moses ben Maimon, Führer der Unschlüssigen. Dt. Übers. A. WEISS, Leipzig
1924, Bd. 2, cap. 36, S. 238 ff.
317 Zu der Sonderstellung des Moses und die politischen Aspekte der Prophetie bei
Maimoides vgl. die Analyse des Traktates bei Catherine SIRIAT, Les theories des
visions surnaturelles dans Ia pensee juive du Moyen-Age, Leiden 1969, S. 140 ff.
318 Maimonides, Führer der Unschlüssigen, cap. 41, S. 268 f.
DIE TRAUMTHEORIE IN IHRER GESCHICHTLICHEN ENTWICKLUNG 143
gung behandelt, wobei sich Gottes Wille im Traum so deutlich kundtut,
daß der prophetisch begnadete Mensch nicht an der Wahrheit der
Botschaft zweifelt und sie deshalb auch nicht als Traum, sondern als
Offenbarung bezeichnet. Die letzten vier Stufen bilden dann die traditionsgemäß
am höchsten eingeschätzten Gesichte am Tag, welche – wie
alle anderen Formen auch – mit Textstellen aus dem Alten Testament
illustriert werden. 319
Die im „Führer der Unschlüssigen“ durchgeführte Analyse des Charakters
göttlicher Offenbarungen löste bei den gelehrten Juden des Mittelmeerraumes
eine intensive Piskussion aus, und sie fand ein Echo in der
christlichen Welt durch die Ubernahme einiger Gedanken bei Albertus
Magnus. Aber selbst unter den jüdischen Gelehrten erwuchsen der ausgesprochen
rationalen Sichtweise des Maimonides neben vielen Anhängern
auch erbitterte Gegner. Besonders die Vertreter einer mystischen Religionsauffassung,
die Kabbalisten, befürchteten, daß der von Maimonides
augewandte Ansatz, konsequent weitergedacht, fast die ganze Bibel zum
Produkt der Einbildungskraft der einzelnen Propheten degradiere.320
* * *
Albertus Magnus verfaßte als erster Gelehrter des Abendlandes einen
Kommentar zum Gesamtwerk des Aristoteles. Die beiden Abhandlungen
des griechischen Philosophen über das Traumphänomen321 sind Bestandteil
einer systematischen Naturkunde. Diese wurde den christlichen
Gelehrten wie die meisten anderen Werke des Aristoteles erst im Laufe
des 12. und 13. Jahrhunderts durch die Vermittlung der Araber bekannt,
und in dieser Zeit entstanden dann auch die ersten zwei Übersetzungen
ins Lateinische.322 In seinem Kommentar zu den „Parva Naturalia“ skizzierte
Albertus jeweils zunächst die Gedankengänge seiner Vorlage und
erläuterte, ergänzte oder korrigierte Aristoteles dann überall dort, wo er
Zugang zu weiterführendem Wissen besaß oder wo Aristoteles‘ Aussagen
mit den eigenen Beobachtungen nicht übereinstimmten.323
319 Maimonides, Führer, cap. 45, S. 293 ff.
320 Vgl. dazu SIRIAT, Les theories, S. 147.
321 Siehe Anmerkung 315.
322 LMA, Bd. 1, Stichwort Aristotelesrezeption, Sp. 939 f.: Ch. HÜNEMÖRDER.
323 Die Behandlung von Schlaf und Traum durch Albertus bildet das Hauptthema
bei P. DIEPGEN, Traum und Traumdeutung als medizinisch-naturwissenschaftliches
144 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
Im Traktat „De somno et vigilia“ beschreibt Albertus das Traumphänomen
zunächst als eine an den Schlaf gebundene Eigentümlichkeit
von Tier und Mensch. Dabei werden die Sinnesorgane durch innerhalb
des Körpers aufsteigende Feuchtigkeit von der Außenwelt abgeschnitten
und in ihrer Funktion behindert. Deshalb stellt sich die Frage, wie der
Schläfer denn überhaupt ’sehen‘ bzw. ‚hören‘ kann. Diese beiden Arten
der Wahrnehmung kommen im Traum, wie richtig beobachtet wird, am
häufigsten vor. Albertus erklärt sie in Weiterführung der aristotelischen
Wahrnehmungslehre als Eindrücke aus dem Schatz des bildlich-formalen
Gedächtnisses. Diese werden durch die im Schlaf aufsteigenden Dämpfe
in zufälliger Weise erfaßt und den im Gehirn vorhandenen sinnesspezifischen
Nervensubstraten { „spiritus sensibilis“) zugetragen und so dem
Allgemein-Sinn, d. h. dem Bewußtsein zugänglich gemacht.324 Naturgemäß
handelt es sich bei den Traumbildern also um Täuschungen; dies
nicht zuletzt auch deshalb, weil im Schlaf die im intellektuellen und im
moralischen Sinne urteilenden Instanzen weitg;􀆪hend fehlen. Damit lassen
sich nach Auffassung des Albertus und in Ubereinstimmung mit der
augustinischen Denktradition auch unkeusche Traumerlebnisse entschuldigen,
die ja so manchen mittelalterlichen Geistlichen beunruhigten. 325
Im Gegensatz zu Maimonides behandelt Albertus den Einfluß von
körperlichen Faktoren sehr ausführlich. So glaubt er mit Aristoteles, daß
kleine Kinder selten träumen326 und daß auch der Schlaf kurz nach ei-
Problem im Mittelalter, Berlin 1912, S. 13 ff. u. 26 ff., doch wirkt sich das Fehlen
einer inneren Strukturierung in dieser Studie ungünstig für das Verständnis aus.
324 Albertus Magnus, De somno et vigilia. Ed. A. BORGNET, Paris 1890, vol. IX,
lib. II, Teil 1 ; cap. 1 u. 2, S. 158 ff. – Aristoteles, dt. Ed. E. ROLFES, Leipzig 1924,
Über weissagende Träume, S. 62-78, beschreibt den Traum als Nachwirkungen von
Sinneseindrücken, ohne den Vorgang physiologisch näher zu erläutern. Er versteht
den durch ein Objekt der Außenwelt auf ein Sinnesorgan ausgeübten Reiz als eine
sich selbst fortpflanzende Bewegung, was er mit der Wellenbildung in einem Gewässer
illustriert. Im Schlaf könnten diese langsam abklingenden Bewegungen wegen des
Ausbleiheus neuerer und stärkerer Sinneseindrücke ins Bewußtsein dringen und sich
als Traumbilder bemerkbar machen. – In Umkehr der im Wachzustand gewöhnlich
von außen nach innen gerichteten Wahrnehmungsvorgänge glaubte Aristoteles sogar
an eine Wirkung der Sinnesorgane auf Objekte, was Albertus seinerseits kritiklos
übernahm (cap. 5 u. 6, S. 163 ff.).
325 Ebenda, lib. 11,1, cap. 3, S. 161. Siehe auch unten, Kapitel 4.3 dieser Arbeit.
326 Im Lichte der modernen Forschung scheint sich diese Behauptung zu erhärten. D.
DIE TRAUMTHEORIE IN IHRER GESCHICHTLICHEN ENTWICKLUNG 145
ner heißen Mahlzeit sich diesbezüglich hinderlich auswirkt. Gemäß der
antiken Vier-Säftelehre führt die übergroße Wärme und Feuchtigkeit in
beiden Fällen zu so starker Kondensation im Gehirn, daß in dieser bewegten
Flüssigkeit keine oder nur verworrene Bilder entstehen könnten.
In ähnlicher Weise würden zu reichliche oder zu heiße Körpersäfte beim
Melancholiker und beim Fieberkranken Schreckträume verursachen.327
Aristoteles beobachtete, daß alle gesunden Erwachsenen normalerweise
häufig träumen. Wer selten oder nie träumt, geht entweder vor dem
Abschluß der ersten Verdauungsphase, d. h. also mit zu vollem Magen
schlafen, oder er leidet unter einer angeborenen Schwäche der Einbildungskraft.
Das Vergessen der Träume hingegen kommt nach Albertus
eigener Überlegung von zu plötzlichen und zu heftigen Bewegungen
beim Erwachen, denn nach einem aristotelischen Grundsatz unterdrückt
die stärkere Bewegung stets die schwächere.328 Dieses Prinzip erklärt
auch, weshalb der Traum mitunter für den Arzt ein wichtiges Hilfsmittel
zur Krankheitsdiagnose sein kann. Schwache Körperempfindungen oder
Schmerzen werden am Tage durch stärkere Sinneseindrücke verdrängt
oder überlagert und kommen deshalb nur während der Nachtruhe zur
Geltung. Dabei erweckt zum Beispiel eine Entzündung der gelben Galle
im Träumer die Vorstellung von gallig-bitterem Geschmack. Das entsprechende
Bild kündet dann als Zeichen die Gefahr genau so zuverlässig
an, wie etwa eine raube Zunge auf Fieber deutet.329
FOULKES, Dreaming, S. 95 ff. sucht die Erklärung für die seltenen und sehr inhaltsarmen
Traumberichte von im Schlaflabor beobachteten Kindern unter fünf Jahren
in der in diesem Alter noch sehr rudimentär entwickelten Fähigkeit zum abstraktsymbolischen
Denken.
327 Lib. II,2, cap. 1 , S. 170. Aristoteles beobachtete ferner richtig, daß gelegentlich
Außenreize in Träume eingeflochten und wegen des Fehlens einer Urteilsinstanz meist
stark vergrößert wahrgenommen werden. Ebenso vermögen auch Schwerkranke ihre
Fieberphantasien nicht mehr von der objektiven Wirklichkeit der Außenwelt zu unterscheiden
(bei Albertus lib. 11,2, cap. 2, S. 171 f.). Außenreize sind nachweislid!
nicht die Ursache der Träume, wie man das noch im 19. Jahrhundert angenommen
hat; sie werden allenfalls in die Traumhandlung integriert. Vgl. dazu FOULKES,
Dreaming, S. 20 ff. sowie Kapitel 4.2 der vorliegenden Arbeit.
328 Lib. 11,2, cap. 5, S. 175. Zur aktuellen Forschungsdiskussion über das Vergessen
der Träume vgl. N. FINK, Lehrbuch, S . 273 ff. und FOULKES, Dreaming, S. 80 ff.
329 Lib. 111,2, cap. 1 , S. 198. Obwohl heute die der Traumdiagnose zugrunde liegende
Humoralpathologie nur noch historisches Interesse weckt, enthält die Beobachtung
146 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
Schwieriger gestaltet sich die Abklärung des Wahrheitsgehaltes von
Träumen mit seelischen Inhalten, denn nach Aristoteles haben Wünsche,
Befürchtungen, Gewohnheiten, moralische Ansichten und sogar gern gesehene
Theaterstücke auf das Traumleben einen starken Einfluß. 330 Bei
der Diskussion dieses Problems geht Albertus von der Annahme aus,
daß praktisch jedermann schon einmal im Traum ihm sonst verborgene
Sachverhalte oder zukünftige Ereignisse geschaut hat. Solche Erkenntnisse
können sowohl im Traum als auch im Entrückungszustand,
der meistens als Vision bezeichnet wird, gewonnen werden; in beiden
Bewußtseinszuständen sind grundsätzlich wahre und falsche Aussagen
möglich. Von Prophetie darf man aber nach Auffassung des Albertus
nur dann sprechen, wenn das neue Wissen wirklich nicht auf normalem
Weg erworben sein konnte.331 Wie sind nun aber derartige, hie und da
wirklich an Prophetie grenzende Einsichten zu erklären? Die von Gott
stammende Weltvernunft, welche nach der aristotelischen Philosophie im
ganzen Kosmos am Werk ist, beeinflußt nach Meinung des Albertus über
das Licht der Sterne auch den Menschen. Solche äußeren Einflüsse sind
nachts naturgemäß stärker; sie wirken auf den Schläfer ein und werden
im Traumprozeß zu Bildern verarbeitet, so daß sie wenigstens indirekt
wahrgenommen werden können.332
Ähnlich wie schon Maimollides bietet Albertus seinem Leser dann
ein mehrstufiges Schema an, welches alle möglichen Formen der auf
diese Weise enstandenen inneren Bilder umfaßt. Die Skala reicht hier
von verworrenen Traumszenen bis zur Prophetie unter teilweiser Abkehrung
der Sinneswahrnehmung und der Prophetie bei völlig wachem
Verstand.333 Interessant ist für unsere Fragestellung vor allem die dritte
Stufe, welche die metaphorisch verhüllten Träume, die zum alltäglichen
des Aristoteles einen wahren Kern; auch moderne Autoren anerkennen nämlich die
Existenz von krankheitsankündigenden Träumen noch vor Ausbruch der körperlichen
Symptome. Vgl. dazu R. BOSSHARD, Traumpsychologie, S. 151 f.
330 Lib. II,2, cap. 2, S. 171.
331 Lib. II,2, cap. 2 u. 3, S. 179 ff.
332 Über die im Hochmittelalter von Griechen und Arabern übernommene Verknüpfung
des Traumphänomens mit der Astrologie vgl. T. GREGORY, I sogni e gli astri
in: ders. (Hg.), I sogni nel Medioevo ( =Lessico lntellettuale Europeo 35) Roma 1985,
S. 1 11-148 sowie Kapitel 3.5 der vorliegenden Arbeit.
333 Lib. III,1, cap. 10, S. 190 f.
DIE TRAUMTHEORIE IN IHRER GESCHICHTLICHEN ENTWICKLUNG 147
Erfahrungsbereich gehören, beinhaltet. Nach Albertus gibt es weise Personen,
welche deren Deutung beherrschen, und im Bereich der magischen
Künste soll ein spezielles System zu ihrer Entschlüsselung existieren.
Sehr wahrscheinlich versteht der gelehrte Autor unter der „ars
interpretandi“ astrologische Methoden, die in seinem Traktat später
noch ausdrücklich erwähnt werden. Es könnte sich jedoch auch um
eine Anspielung auf andere damals gebräuchliche Hilfsmittel wie etwa
Traumbücher oder Zahlenallegorese handeln, deren Verwendung freilich
von der Amtskirche immer verurteilt wurde. 334
Den echten Wahrtraum ordnet Albertus der vierten bis sechsten
Stufe seines Schemas zu und bringt zur Erläuterung ein Beispiel aus Ciceros
„Natura deorum“ sowie seinen persönlichen Erlebnisbericht über
die paranormale Wahrnehmung eines tragischen Unfalles in der Nähe
seines Aufenthaltsortes.335 An anderer Stelle seines Traktates analysiert
der Gelehrte die Enstehungsgründe solcher Wahrträume, welche sich
nach seiner Auffassung nicht auf körperliche oder seelische Dispositionen
zurückführen lassen.336 Als Ursache sieht er – wie bereits erwähnt die
auf den Menschen einwirkenden Bewegungen der Himmelskörper an,
bestreitet aber gleichzeitig die von den arabischen Philosophen A vicenna
und Algazel als analoge Erklärungshypothese erwogene unbewußte Einflußnahme
von Lebewesen zu Lebewesen.337 Die an das Sternenlicht gebundene
Übertragung schien ihm nachts wegen der dünneren Luft besser
zu funktionieren und werde auch von gröberen Faktoren wie Wind oder
Unwetter kaum beeinftußt. – Über den Wahrträumen, die nach Ansicht
des Albertus auch öfters einen erklärenden Sprecher aufweisen, stehen
dann die Entrückungszustände und die Vision am Tag als AusnahmeLeistung
der menschlichen Seele.
Der Vorschlag des Albertus zur Feingliederung von Traum und Vi-
334 Siehe unten, Kapitel 3.6 der vorliegenden Arbeit.
335 Siehe unten, Kapitel 4.6 dieser Arbeit.
336 Lib. 111,2, cap. 6, S. 203.
337 Lib. Il1,2, cap. 6, S. 203 f. – Die einigermaßen erstaunliche Hypothese der beiden
arabischen Philosophen wird durch die moderne wissenschaftliche Erforschung der
telepathischen Effekte im Traum anscheinend bestätigt. Vgl. dazu besonders M.
ULLMANN et al., Traum-Telepathie: telepathische Experimente im Schlaf, Freiburg
i. Br. 1977, dt. Übers der amerik. Ausgabe 1973. Für die besondere Rolle der Affekte
vgl. ebenda, S. 27 ff. u. 2 1 7 ff. Für eine Diskussion mittelalterlicher Wahrträume
siehe Kapitel 4.6 der vorliegenden Arbeit.
148 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
sion bringt bei aller Durchdachtheit aber noch keinen Aufschluß über die
Frage, ob und wie Träume überhaupt zu deuten sind. Ausgangspunkt bei
der Behandlung dieses Problems ist die Feststellung des Aristoteles, daß
Träume nicht von Gott kommen können, denn sie stellen ja offensichtlich
kein Privileg von guten oder weisen Menschen dar. Die nächtlichen
Erlebnisse müssen daher auf natürliche Ursachen zurückgeführt werden.
Die Tätigkeit der menschlichen Einbildungskraft unterliegt sowohl inneren
Einflüssen, wie etwa krankheitsbedingten Körperreizen und der individuellen
psychischen Disposition, als auch äußeren Faktoren wie Wetterlagen
und Gestirnskonstellationen. Diese himmlischen oder planetarischen
Einflüsse wirken als Universalkräfte auf alle Menschen in derselben
Weise ein; weil aber deren persönliche Bedingungen wiederum sehr verschieden
sind, können die Einflüsse der Sterne – wie schon Ptolemäus
wußte – nicht zwingend sein. Um diesen individuellen Unterschieden
einigermaßen gerecht zu werden, berücksichtigen die Magier nach Darstellung
des Albertus auch noch die Stunde des Traumes, die Position
des Mondes in bezug auf die astrologischen Häuser des Geburtshoroskopes
sowie das gerade am Horizont aufsteigende Tierkreiszeichen. Dieses
Vorgehen begründet der Gelehrte mit der Tatsache, daß der Mond von
allen Himmelskörpern der Erde am nächsten steht und mit der daran
anschließenden Vermutung, daß er deshalb die auf der Erde wohnenden
Wesen doch wohl am stärksten zu beeinflussen vermöge. 338
Albertus hält die Traumdeutung auf Grund der beschriebenen astrologischen
Methoden sowie der persönlichen Erfahrung und entsprechendem
Einfühlungsvermögen also für möglich. Ja er behauptet sogar, daß
ihr schlechter Ruf nur auf fehlerhaften Anwendungen und böswilligen
Mißbräuchen beruhe339 und bezeichnet sie ausdrücklich als große Kunst:
„Ein überaus sachverständiger Deuter ist derjenige, der die Analogien
zutreffend sowohl nach seiner Begabung als auch nach der
gelernten Methode erkennen kann und der die Ähnlichkeit der Gesichter
nach den Himmelskörpern und nach dem Aufenthaltsort und
338 Lib. 111,2, cap. 1 1 , S. 193 f. Zur üblicherweise eher unterschätzten Bedeutung der
Astrologie im Denken mittelalterlicher Gelehrter vgl. N. VON SEMENTOWSKYKURILO,
Der Mensch griffnach den Sternen: Astrologie in der Geistesgeschichte des
Abendlandes, Zürich 1970, 166 ff. Zur Wertung der Astrologie durch Albertus vgl.
ebenda., S. 19 f.
339 Lib. 111,2, cap. 5 , S. 202.
DIE TRAUMTHEORIE IN IHRER GESCHICHTLICHEN ENTWICKLUNG 149
der Affektlage und Körperdisposition des Träumers beurteilt und
nach diesen Ergebnissen wahrsagt.“340
Trotz dieser für einen christlichen Theologen überraschend positiven
Bewertung der Traumdivination kannte Albertus als kritisch denkender
Wissenschafter durchaus ihre Grenzen. Astrologische Voraussagen
und damit auch die Deutung von Traumbildern sind bei der Vielfalt
der auf den Menschen wirkenden Kräfte ähnlich unsicher wie die auf
Symptombeobachtung beruhenden medizinischen Prognosen über den
weiteren Verlauf einer Krankheit. Ferner haben selbst die religiös inspirierten
Propheten ja in erster Linie die Aufgabe, die Menschen zu warnen
und möglichst zur persönlichen Umkehr zu bewegen.341 Schließlich
wird im Traum häufig das normale Tagwerk vorausgenommen, d. h. das
Nächstliegende schon getan oder Ideen zu zukünftigen Handlungen entwickelt,
was mit einem Traum Galens über die angemessene Art der
Behandlung bei einem Milzkranken illustriert wird.342 Albertus weist
auch darauf hin, daß es sich bei scheinbar vorausschauenden Träumen
sehr oft nur um zufällige Übereinstimmungen handelt, indem sich die
Traummotive aufgrund einer gewissen Ähnlichkeit mit späteren Ereignissen
plötzlich wieder in Erinnerung rufen. In solchen Fällen muß aber dem
Traum jeder Zeichencharakter abgesprochen werden und eine ursächliche
Beziehung zwischen Traum und zeitlich späterem Ereignis sei ganz allgemein
undenkbar.343
Die Aristoteles-Rezeption beschränkte sich im 13. Jahrhundert natürlich
nicht nur auf Albertus Magnus. Eine vereinfachte Traumtheorie
340 Lib. III,2, cap. 9, S. 205 f.: Artificio3Ü3imu3 autem iudez e3t 30mniorum, qui
bene JimilitudineJ pote3t ez facultate naturae et arti., in.,picere, hoc modo quod etiam
Jimilitudine3 vi&ae et ad coele3tia et ad locum et pa3Jionem 3omniantü et complezionem
comparet, et tune Jecundum hoc vaticinetur. Übers. d. Verfasserin.
341 Lib. III,2, cap. 5, S. 202.
342 Die Existenz von solchen gewissermaßen die Zukunft überdenkenden Träumen
hat hauptsächlich C. G. JUNG, Psychische Energetik (S. 180 f.) anerkannt, dabei
aber betont, daß in diesem Zusammenhang nicht von Prophetie gesprochen werden
sollte. Es handle sich eher um Pläne und Abwägen von wahrscheinlichen Entwicklungen,
wobei die Zuverlässigkeit solcher prospektiven Träume mit derjenigen der
offiziellen Wetterprognose vergleichbar sei. Diese mußte zum Zeitpunkt von Jungs
Äußerung noch ohne Satellitenbilder auskommen und besaß daher kaum sehr große
Treffsicherheit.
343 Lib. III,2, cap. 2 u. 3, S. 199 f.
150 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
nach dem griechischen Philosophen findet man zum Beispiel bei Vinzenz
von Beauvais (gest. 1264), der ebenfalls empfiehlt, bei der Traumdeutung
die Stellung der Planeten zu berücksichtigen. Zusätzlich spielen hier
die vier Grundelemente eine Rolle, so daß sich nach Ansicht von Vinzenz
zum Beispiel ein für eine agrarische Gesellschaft wichtige Wetterentwicklung
(anhaltender Regen, drohende Trockenperiode) durch entsprechende
Traumbilder (Wasser und Fische oder umgekehrt ein Fischsterben)
ankündigen könnten.344 Im Gegensatz zu Albertus verzichtet
Vinzenz aber unter Berufung auf Augustinus nicht auf die populäre Vorstellung,
wonach auch gute und böse Geistwesen, Engel und Dämonen
direkt als Traumsender wirken können. 345
* * *
Thomas von Aquin (1215-1274) übernahm ebenfalls ohne zu zögern die
neue Lehre über die Rolle der Gestirne bei der Traumentstehung. Allerdings
erfaßte er die sich daraus ergebenden theologischen und moralischen
Probleme klarer als dies sein Lehrer Albertus Magnus getan
hatte. In seinem theologischen Kompendium, der „Summa theologiae“,
sprach Thomas die Astrologie zunächst einmal ausdrücklich von dem
Vorwurf frei, mit dem Bösen in Gestalt irgendwelcher Dämonen verbunden
zu sein. Bei den von den Sternen und Planeten ausgehenden
Kräften handle es sich um natürliche Faktoren, welche manche Ereignisse
in unserer Welt verursachten. Deshalb dürfe man solche Beziehungen
auch erforschen, wobei dann diese Freiheit von Thomas mittels
einer bereits von Aristoteles in verschiedenen Schriften346 vorgenommenen
Differenzierung wieder relativiert wird. Die Gestirne könnten nur
Wesen und Sachen ohne Verstand oder Willen, wie etwa das für gute
oder schlechte Erntebedingungen ausschlaggebende Wetter beeinflussen,
die menschlichen Entscheidungen hingegen blieben frei und unvorhersagbar.
347 Ebenso wäre es Aberglaube, mehrfach determinierte Ereignisse
344 Vinzenz von Beauvais, Speculum naturale, Jib. II, cap. 59, Druck J. Mentelin,
Straßburg, 1473.
345 Vinzenz von Beauvais, Speculum, lib. II, cap. 27, zitiert nach DIEPGEN, S. 8.
346 Aristoteles, De Anima, Ill,2, 434 und Nicomachäische Ethik I,13 1102b 25-28.
347 Thomas von Aquin, Summa theologiae. Pars 11,2, lib. 40, q. 94, art. 5. Ed. lat.
engl. T. O’MEARA – M. DUFFY, London 1968, S. 50 ff. Zu Thomas grundsätzlich
positiver Wertung der Astrologie vgl. N. VON SEMENTOWSKY-KURILA, Griff
nach den Sternen, S. 192 ff.
DIE TRAUMTHEORIE IN IHRER GESCIDCHTLICHEN ENTWICKLUNG 151
oder reine Zufälle voraussagen zu wollen. Immerhin sind auch nach diesem
einflußreichen Theologen Einwirkungen auf den Menschen über die
Sinnesorgane und über körperlich bedingte Affekte denkbar. Aus diesem
Grund sind astrologische Prognosen bei einfachen Gemütern und in
bezug auf die Reaktion der Masse, also von größeren Menschengruppen
und Völkern sinnvoll; wer mehr von der Sterndeutung erwartet, begibt
sich in ein sündhaftes Abhängigkeitverhältnis.348
Die Frage der Traumdeutung ist natürlich eng mit der moralischen
Beurteilung verknüpft. Der große Scholastiker beweist hier ebenfalls erstaunliche
Nüchternheit, gesamthaft gesehen nimmt er aber einen eklektischen
Standpunkt ein, d. h. er steuert keine neuen Ideen bei. Mit
psychologischem Scharfsinn stellt er fest, daß es bei der Deutung von
Träumen oft zur Selbsterfüllung der gemachten Prophezeiungen käme,
d. h. je nach Art des Traumes unterläßt oder vollzieht man eine bestimmte
Handlung. Wie Albertus und schon Aristoteles macht er ferner
auf rein zufa.Jlige Koinzidenzen zwischen Tagrestträumen und zukünftigen
Entwicklungen aufmerksam, die nichts mit Prophetie zu tun
hätten. Leibreizträume hingegen weisen auf den gegenwärtigen Zustand
des Körpers hin, so daß ein leicht unterkühlter Schläfer sich beispielsweise
in Wasser oder Schnee getaucht sieht. Solche kausalen Zusammenhänge
sind es denn auch, die den Arzt nach Träumen seines Patienten forschen
lassen.349
Neben den von Leib und Seele herrührenden Traumursachen kennt
Thomas auch die Einwirkung äußerer Faktoren; dabei ist an die bereits
erwähnten Gestirnskonstellationen und an die den Schläfer direkt umgebende
Atmosphäre, d. h. Luft und Wetterlage, zu denken. Ein rein spiritueller
Einfluß geht nach dem Zeugnis der Hl. Schrift von Gott aus und
resultiert in Wahrträumen und Visionen. Nach der traditionellen Lehre
sind jedoch auch die Dämonen befahigt, solche übersinnlichen Wahrnehmungen
im Menschen zu erzeugen. – Nur wer bei der Traumdeutung
offen oder auch indirekt die Hilfe von bösen Mächten in Anspruch nimmt,
macht sich des Verstoßes gegen den christlichen Glauben schuldig. Im
Sinne des Kirchenvaters Augustinus denkt Thomas hier an einen eigentlichen
Beistandspakt mit den Dämonen, welche dem menschlichen Partner
nach ihrer ausdrücklichen Beschwörung die gewünschten Zukunftsoffen-
348 Thomas von Aquin, Summa theologiae, cap. 94, art. 5, S. 54.
349 Thomas, Summa, cap. 94, art. 6, S. 56 f.
152 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
barungen einflößen. Ebenso unakzeptabel ist für den Theologen eine indirekte
Beziehung zum Bösen, die in der Suche nach übermenschlichem
Wissen besteht.350 Wo im Einzelfall bei der Beschäftigung mit den eigenen
Träumen die Grenzen zwischen erlaubter Introspektion und unzulässiger,
ja sündhafter Neugier liegen, wird in diesem als Lehrtext für
Theologen konzipierten Werk nicht näher erläutert, doch würde wohl
auch Thomas das letzte Urteil nicht dem Betroffenen, sondern den kirchlichen
Instanzen überlassen.
* * *
Originelle Gedanken zum Thema des Traumes finden sich seit dem 13.
Jahrhundert gelegentlich auch bei den Medizinern, deren Theorien zum
Phänomen des Schlafs bereits behandelt wurden.351 Ein gutes Beispiel
dafür bietet der italienische Arzt Petrus Aponus oder Pietro d’Abano
(gest. ca. 1316) mit seinem nach Art der scholastischen Diskussion aufgebauten
Hauptwerk „Conciliator“ .352 In diesem Traktat bemühte sich
Petrus um eine Versöhnung medizinischer und philosophischer Anschauungen
und geht dabei unter vielem anderem auch der Frage nach, ob
Träume zur Genesung von Kranken beitragen könnten. Gemäß der in
der Scholastik geübten Methode setzte er die Argumente der Gegner
und Befürworter dieser These einander dialektisch gegenüber. Rational
denkende Gelehrte seiner Zeit betonten, wenn man Petrus‘ Darstellung
vertrauen darf, die völlige Nichtigkeit der Träume und fragten, wie denn
der Traum auf den kranken Körper wirken solle, da er doch weder ein Medikament
noch einen chirurgischen Eingriff darstelle. Heilen sei ja gleichbedeutend
mit ärztlichem Handeln, wohingegen Schlaf und Traum nach
allgemeiner Erkenntnis einen Zustand der Ruhe bildeten.353 Als erfahrener
Arzt fiel es Petrus leicht, den Gegenbeweis zu dieser allzu rationalistisch
bzw. materialistischen Anschauung zu bringen. Die Nützlichkeit
bestimmter Patiententräume zur Diagnose von Krankheiten behandelt er
350 Thomas, Summa, cap. 94, art.6, S. 56. Vgl. dazu auch HARMENING, Superstitio,
S. 1 1 0 f. u. S. 115 f.
351 Siehe oben, Kapitel 2.3.2 der vorliegenden Arbeit.
352 Petrus Aponus, Conciliator differentiarum philosophorum et precipue medicorum.
Venedig 1520.
353 Petrus Aponus, Differentia 158, Paragraph 1.
DIE TRAUMTHEORIE IN IHRER GESCHICHTLICHEN ENTWICKLUNG 153
ausführlich im Rahmen der antiken Säftelehre.354 Zudem hätten Kranke
im Traum schon oft konkrete Therapie-Anweisungen erhalten, diese befolgt
und dann tatsächlich die Genesung erlangt, was schon der berühmte
römische Arzt Galenus freimütig zugegeben habe. Petrus betont ferner,
daß jede Genesung letztlich von Gott kommt, erfolge sie nun spontan
oder mittels einer angemessenen medizinischen Behandlung.355 Wenn
dem Leidenden im Traum nicht die erforderlichen Heilmittel genannt
werden, so gewinnt er doch nach Petrus‘ Erfahrungen manchmal wenigstens
Einsicht in den tieferen Grund für seine Beschwerden, was ebenfalls
sehr hilfreich sein kann. Der italienische Arzt, der auch gegenüber Astrologie
und Wahrsagen eine gläubige Haltung einnimmt, zweifelt keinen
Moment daran, daß solche Traumhinweise vom Himmel gesandt werden.
Schließlich denkt er auch an eine Ermutigung der die körperlichen
Prozesse steuernden Seele; die aus irgendwelchen positiven Traumbildern
geschöpfte Hoffnung lasse die Seele mit natürlicher Kraft gegen die
Krankheit arbeiten, was die Gesundung überhaupt erst ermögliche und
oft stark beschleunige.356
3.5. DIE TRAUMTHEORIE IM SPÄTMITTELALTER
Die Arbeit der Scholastiker Albertus und Thomas hatte zweifellos viel
dazu beigetragen, daß der Traum als Phänomen spätestens seit dem
13. Jahrhundert auch in kirchlichen Kreisen differenzierter betrachtet
und die Beschäftigung damit nicht mehr von vornherein verdammt wurde.
Ohne Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben, möchte ich im folgenden
anhand einiger wichtiger Texte untersuchen, ob und wie sich
die Traumtheorie im 14. und 15. Jahrhundert weiterentwickelt hat. –
Neben dem Gebrauch, welchen Arzte zu diagnostischen und prognostischen
Zwecken von Träumen ihrer Patienten in Anknüpfung an die antike
Humorallehre machten, verstand man die nächtlichen Erlebnisse zunehmend
auch als Spiegelung der seelischen Stimmungslage des Schläfers,
d. h. man war nicht mehr ohne weiteres bereit, in jedem Traum entweder
eine göttliche Botschaft oder aber eine teuflische IDusion bzw.
Einflüsterung zu vermuten.
354 Differentia 158, Par. 3 propter primum.
355 Differentia 158, Par. 2 in oppositum.
356 Differentia 158, Par. 5 propter tertium.
154 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
Interessanterweise haben sogar verschiedene theologisch geschulte
Vertreter der Mystik gegenüber der nächtlichen Bilderwelt eine sehr skeptische
Haltung eingenommen und bejahten ihrerseits keineswegs fraglos
deren Offenbarungscharakter. Für den Franziskanerpater David von
Augsburg (gest. 1272), einer der frühesten deutschen Wanderprediger,
stellte der Traum geradezu eine klassische Metapher der Selbsttäuschung
dar. Der von ihm verfaßte Tugendratgeber357 war vorwiegend für ein in
klösterlichem Milieu situiertes Publikum gedacht. Von diesen Lesern forderte
David die Tugend der Demut in allen Dingen, denn wer gut sei um
der Ehre bei den Menschen willen, täusche sich wie einer, der träume,
er sei zum Festmahl eingeladen und nachher hungrig aufwache. 358 Der
Franziskanerpater verstand das bekannte Traummotiv offensichtlich als
Versuch der Wunscherfüllung, wobei der Hunger des Schläfers jedoch
durch die Traumillusion nicht gestillt werden kann; analog dazu wird
der eitle Wohltäter die Himmelspforten verschlossen finden. – In einem
anderen Traktat mit ähnlicher Thematik, dem „Spiegel der Tugenden“ ,
werden mystische Schau und Traumleben sogar ausdrücklich gegeneinander
abgesetzt. Wahre Mystik ist nach Auffassung dieses Autors die
Quelle echter, unanfechtbarer Erkenntnis. Der damit begnadete Mensch
könne sich nicht täuschen, während Traumgesichte und Wahrsagungen
nach den Worten des Franziskaners „loufent in einem döne und sint vil
dicke gelogen“359, d. h. sie führen trotz ihres harmonischen Klanges in
die Irre.
Meister Eckhard hat erstaunlich wenig über Visionen und Träume
geschrieben. Man kann zusammenfassend sagen, daß er gegenüber allen
Formen der bildliehen Offenbarungen von großem Mißtrauen erfüllt
war, denn für ihn blieb Gott immer der Unendliche, Unermeßliche und
damit auch Unsichtbare.360 – Auch Heinrich Seuse (gest. 1366), Eck-
357 David von Augsburg, Die sieben Vorreden der Tugend. Ed. F. PFEIFFER,
Deutsche Mystik des 14. Jahrhundert, Bd. I, Leipzig 1845, reprint Aalen 1962. –
Über die Frage der Echtheit dieser Schrift und weiterer David zugeschriebenen Werke
vgl. F. SCHWAB, David of Augsburg’s „Paternoster“ and the Authenticity of bis
German Works, München 1971, S. 3 ff.
358 Vorreden der Tugend, S. 322.
359 David von Augsburg, Der Spiegel der Tugend. Ed. F. PFEIFFER, S. 337.
360 Ich folge hier den Ausführungen von A. HAAS, Traum und Traumvision in der
Deutschen Mystik, Analeeta Cartusiana 106/1 (1983), S. 26 f.
DIE TRAUMTHEORIE IN IHRER GESCHICHTLICHEN ENTWICKLUNG 155
hards Schüler, dessen Biographie einige freilich stark stilisierte Traumerzählungen
enthält361 , hat sich theoretisch zum Traumproblem geäußert.
Durch nachträgliche Niederschrift in Nonnenkonventen sind vier seiner
Predigten überliefert. Darin nimmt Seuse gegenüber aller bildhaften
Frömmigkeit einen kritischen Standpunkt ein. Sich auf Boethius berufend
meint er, daß der Traum vor allem die Natur der Seele spiegle. Der
Fromme träumt von reinen Sachen, während derjenige, der sich mit N arreteien
beschäftigt, entsprechende Bilder sieht. Es gibt Menschen, die
häufiger als andere Visionen erleben; wenn solche Offenbarungen nicht
mit der Hl. Schrift und den Kirchenvätern übereinstimmen, soll man sie
als Teufelswerk verwerfen.362 Eine solche Einsicht relativiert natürlich
den Offenbarungsanspruch des Traums stark und zwingt die nach mystischer
Vollkommenheit strebende Seele zur kritischen Reflexion ihrer
Motive und Eigenschaften. Laut Seuses Predigt-Ratschlag sind auch die
Visionen am Tag auf ihre Verträglichkeit mit dem christlichen Glauben
zu prüfen. Alle angeblich himmlischen Botschaften müssen also die kritische
Urteilsinstanz des Verstandes passieren, bevor sich der Mystiker
ihres Inhalts erfreuen oder gar rühmen darf.
Daß solche Anweisungen beim angesprochenen Publikum gehört
und wenigstens im Ansatz verstanden wurden, läßt sich durch eine Bemerkung
zeigen, welche von der Mystikerin Margaretha Ebner aus dem
Dominikanerinnenkonvent Maria-Medingen stammt. Margaretha erzählte
nämlich in ihrer geistlichen Autobiographie viele nächtliche Gesichte,
doch schränkte sie gerade die Vertrauenswürdigkeit von sogenannten
Gnadenträumen ein. Nur wenn die innere Freude nach dem Aufwachen
auch eine gewisse Zeit anhielt, konnte sie an eine echte göttliche Präsenz
in diesen Schauungen glauben.363 Solche Bemühungen um Wahrheit blie-
361 Die verschiedenen Schriften Seuses, in der originalen Sprachform ediert von
K. BIHLMEYER (Stuttgart 1907, repr. Frankfurt/Main 1961), enthalten unbestreitbar
authentisches Material zu dessen Lebensgeschichte. Diese Notizen wurden
aber mit großer Wahrscheinlichkeit von fremder Hand im Sinne einer Hagiographie
überarbeitet und stilisiert; aus quellenkritismen Überlegungen werden deshalb
in der vorliegenden Arbeit die zahlreichen darin enthaltenen Traumberichte nicht
berücksichtigt.
362 Diese Predigten in franz. Übersetzung bei J. ANCELET-HUSTACHE, Henri
Suso, Oeuvres Completes, Anhang, S. 543 ff; Predigt III, S. 559.
363 Magaretha Ebner, Offenbarungen, in: Margaretha Ebner und Heinrich von Nördlingen.
Ed. Ph. STRAUCH, Freiburg i. Br. 1882, S. 130.
156 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
ben aber wohl in dem Sinne ein Ideal, als man die zur kritischen Selbsterkenntnis
notwendige geistige Anstrengung kaum in jedem Moment
durchzuhalten vermochte. Trotz dieser Anweisung zur Selbstprüfung
entwertete Seuse die Träume nicht völlig und konnte in einem Brief sogar
schreiben:
„Christi sollen wir wachend phantasieren, damit wir nachts von ihm
träumen.“364
* * *
Die im Hochrrlittelalter von den Griechen und Arabern übernommene
Vorstellung vom Einfluß der Himmelskörper auf die Traumentstehung
wurde von einer so berühmten Autorität wie Albertus Magnus ausdrücklich
bekräftigt. Einmal abgesehen von der Wirkung dieses Scholastikers
verschaffte allein schon die Verknüpfung von Astrologie und
Traumdeutung offensichtlich beiden mantischen Disziplinen neues Ansehen.
Traumdeuter konnten die Lehre von den Gestirnskonstellationen
als Legitimation ihres Thns gebrauchen, da die Astrologie nicht scharf
von der Astronomie getrennt wurde. Umgekehrt konnten Astrologen
ihre Kundschaft möglicherweise individueller beraten, wenn sie von deren
Träumen Kenntnis hatten und damit indirekt deren innerstes Fühlen
und Wollen zu erahnen vermochten. Es verwundert daher kaum, daß einzelne
Theologen an dieser Entwicklung Anstoß nahmen und sowohl den
Einfluß von solchen berufsmäßigen Deutern als auch andere ihrer Meinung
nach abergläubische Tendenzen und Vorstellungen zu bekämpfen
suchten. 365
364 Heinrich Seuse, Brief 12, ed. BIHLMEYER, S. 392. Die hier anklingende Auf·
fassung, daß· nächtliche Gesichte mitunter vom Hl. Geist eingegeben würden und vor
allem auch durch entsprechende Kontemplationsübungen eingeleitet und damit ver·
mehrt genossen werden könnten, begegnet man übrigens bereits rund ein Jahrhundert
früher bei Caesarius von Heisterbach (gest. nach 1240), Libri miraculorum, lib. VIII,
cap. 6, S. 83. Diese Traumform stellt für den Autor aus dem Zisterzienserorden die
wertvollste Traumkategorie dar; im übrigen folgt seine Aufzählung der Traumursa·
eben dem Dialogbuch Gregors des Großen und bietet keine neuen Gesid1tspunkte.
365 Diese Gegenstimmen sind als Beweis der allgemeinen Zukunftsneugier zu betrach·
ten und dürfen meines Erachtens in ihren praktisd1en Auswirkungen nid1t überhe·
wertet werden. Jedenfalls kann man daraus nicht folgern, daß die Traumdeutung
zusammen mit anderen mantischen Künsten in den Untergrund ging, wie das Jo.
landa J ACOBI, Traumbücher, Ciba-Zts. 9 (1945) S. 3577 behauptet.
DIE TRAUMTHEORIE IN IHRER GESCHICHTLICHEN ENTWICKLUNG 157
Ein gutes Beispiel für diese im Spätmittelalter einsetzende Gegenbewegung
stellt der „Tractatus contra divinatores et somniatores“ des
italienischen Augustinerpaters Augustinus von Ancona (gest. 1328) dar.
Der Autor, der auch unter dem späteren Beinamen Triumphus bekannt
ist, verfaßte diese Schrift um 1310 und widmete sie Papst Clemens V.
Sie ist in drei mittelalterlichen Handschriften überliefert und bis heute
ungedruckt geblieben.366 Triumphus, der in Paris und Padua als Lehrer
innerhalb der theologischen Fakultät wirkte, gibt in diesem Werk einen
Überblick über das Treiben von allerlei zeitgenössischen Schwärmern und
Sektierern und warnt den Papst nachdrücklich vor deren heuchlerischem
Auftreten und raffinierten Beeinflussungsversuchen.
Im zweiten Teil befaßt sich der Augustinerpater dann mit allen klassischen
Formen der Wahrsagekunst und mit der Rolle der Dämonen. In
diesem Zusammenhang diskutiert er im Kapitel 20 die mit dem Traumphänomen
verbundenen Fragen, wobei er fünf Traumarten unterscheidet
und auch einräumt, daß Zukunftsvorhersagen möglich und auch nicht
grundsätzlich verboten seien.367 Als erstes spricht er von der Bewegung
der Himmelskörper, welche nach Albertus auf das menschliche Gehirn
einwirken und damit die Einbildungskraft beeinflussen. . würden. So
erklärt sich für Triumphus die manchmal zu beobachtende Ubereinstimmung
zwischen nächtlichen Bildern und nachträglich wirklich eintreffenden
Ereignissen. Der kausale Zusammenhang bestehe jedoch nicht
zwischen Traum und Ereignis, sondern zwischen beiden Phänomenen einerseits
und der verursachenden Gestirnskonstellation andererseits. Eine
häufige und nach Triumphus‘ Meinung offenbar ernst zu nehmende zweite
Art von Traumvorzeichen geht auf verschiedene Leibreize sowie die
momentane Körperdisposition zurück, was dem Arzt Rückschlüsse auf
366 Es handelt sich zunächst um die Handschrift Vat. lat. 939, fol. 32–46, ferner um
ein Exemplar der Bayerischen Staatsbibliothek Cod. lat. mon. 23867, fol. 97-111
(15. Jahrhundert) sowie eine Handschrift in der Wiener Nationalbibliothek 4151, fol.
231-243 (15. Jahrhundert). Diese Angaben nach A. ZUMKELLER, Mss. von Werken
des Augustiner-Eremitenordens in mitteleuropäischen Bibliotheken (Würzburg 1966)
S. 71. Einige vor allem politisch interessante Auszüge wurden veröffentlicht von R.
SCHOLZ, Unbekannte Streitschriften aus der Zeit Ludwigs des Bayern 1327-1354,
Bd. 2, Rom 1913, S. 481-90. – Ich benutzte einen Mikrofilm der Handschrift Vat. lat.
939, welcher mir freundlicherweise vom Vorsteher der Biblioteca Vaticana, Kardinal
Stickler, vermittelt worden ist.
367 Cap. 20; Vat. lat. 939, fol. 44 r.
158 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
den gegenwärtigen Zustand eines Patienten oder auf künftige Krankheiten
des Träumers erlaubt. Die dritte Gruppe von Träumen umfaßt
alle im Schlaf auftauchenden Erinnerungsspuren. Mit Berufung auf Aristoteles
behauptet Triumphus, daß sich z. B. Jugenderlebnisse um ihres
Neuigkeitswertes willen besonders tief ins Gedächtnis einprägen. Alles,
was der Mensch tagsüber sehe, denke oder phantasiere, werde im
Gehirn als Eindruck aufbewahrt und erscheine manchmal in der Form
von Träumen wieder. Damit stellt sich für den geistlichen Autor sofort
auch die Frage nach der Verantwortung. Ebenso wie die Sinne ruhe der
freie Wille im Schlaf; daher könne der Träumer als solcher keine Sünde
begehen. Die Quelle eines möglichen Verschuldeos liegt für Triumphus
konsequenterweise in den Gedanken des wachen Menschen, welche ja wenigstens
teilweise das Material für Träume bilden und über die er sich
freilich Rechenschaft geben muß.
Der Glaube, daß Gott den Menschen zuweilen Wahrträume und
Handlungsanweisungen sende, stützte sich auch auf die Hl. Schrift. Erstaunlicherweise
wandte sich nun Triumphus, der ja ein versierter Theologe
war, gegen diese allgemein übliche Ansicht. Er argumentierte,
daß die Mehrzahl der Offenbarungsberichte sich im Alten Testament
befanden. Die Erzählungen des Alten Bundes hätten aber allgemein
einen figurativen Charakter und damit stimme ja auch das dunkle, unklare
Wesen der Träume überein. Nach der Erlösungstat Christi jedoch
schaue man die Herrlichkeit Gottes gewissermaßen unverhüllt und
es seien keine obskuren Gesichte mehr notwendig. Mit dieser kühnen
These ging Triumphus über den Anspruch der Kirche, oberste Urteilsinstanz
über Traum und Vision zu sein, weit hinaus und sprach solchen
Privatoffenbarungen in einem Anflug von kämpferischem Rationalismus
jeden Wert ab. Diese in ihrer Radikalität im ganzen Mittelalter seltene
Verachtung aller Möglichkeiten eines überirdischen Kontaktes findet ansatzweise
eine Erklärung in der Besprechung jener nächtlichen Bilder,
die dem Schläfer nach traditioneller Überzeugung vom Teufel eingegeben
werden. Der böse Feind macht sich nämlich den Aberglauben der Menschen
zunutze und verleitet sie durch wahre Voraussagen und Vorführung
von scheinbar guten Erscheinungen zur Häresie und Götzendienerei. Solche
bitteren Schlüsse zog Triumphus nach seinen eigenen Worten aus
dem Verhalten gewisser Zeitgenossen, was ihn dann zu einer völligen
Entwertung der traditionellen Offenbarungswege veranlaßte.
Eigenständige Gedanken zum Traumproblem entwickelte auch der
DIE TRAUMTHEORIE IN IHRER GESCHICHTLICHEN ENTWICKLUNG 159
italienische Dominikaner Jacopo Passavanti (gest. 1357). Um die Wende
zum 14. Jahrhundert in Florenz in einer vornehmen Familie geboren, studierte
und lehrte er Theologie in Paris, Siena und Rom. Danach wirkte
er als Generalvikar seines Ordens in der Lombardei und erwarb sich einen
guten Ruf als Berater in politischen Händeln und bei privaten Problemen.
Er verfaßte zunächst einen großen Beichtspiegel; daneben entstand
eine Abhandlung über den Traum. Dieses Werk übersetzte Passavanti
selbst aus dem Lateinischen als „Trattato de‘ sogni“ in die Landessprache;
meine Ausführungen folgen der italienische Version.368 Passavanti
schrieb diese teilweise schon ziemlich modern anmutende Abhandlung
nach eigenen Aussagen im Hinblick auf die in der Hl. Schrift enthaltenen
inneren Widersprüche und um allgemeine Irrtümer abbauen zu helfen.369
Die Ursachen des Traums sucht der Autor vor allem in den menschlichen
Affekten und Leidenschaften, wie Liebe, Haß, Furcht, Hoffnung,
Trauer, Freude, Zorn und Begierde. Als erfahrener Beichtvater versäumte
Passavanti nicht, darauf hinzuweisen, daß die Reflexion über die eigenen
Träume der Selbsterkenntnis dienlich sein könne; allerdings setze die
Komplexität mancher Traumerlebnisse diesen Bemühungen auch wieder
natürliche Grenzen.370 Zu den von innen wirkenden Traumursachen
zählt der Dominikaner ferner die Säftebildung bzw. die individuelle
Körperdisposition. Die darauf beruhende und bereits in der Antike
entwickelte Methode zur Krankheitsdiagnostik wurde nach Passavantis
Bericht zu seiner Zeit in mehreren europäischen Ländern praktiziert371
und galt jedenfalls nicht als Sünde.372
Zu jenen Faktoren, welche das Traumleben von außen über den
Körper zu beeinflussen pflegen, gehören Planeten und Sterne ebenso wie
die Jahreszeit und die Wetterlage. Auch Essen und Trinken sowie Hunger
und Durst oder ungeschickte Körperhaltungen werden hier erwähnt. Wer
Zwiebeln und Bohnen, also blähende Speisen, verzehre, habe ebenso mit
368 Jacopo Passavanti, Trattato de‘ Sogni, in: Lo Specchio della vera Penitenza, 2
Bde. ( =Societa tipografica de classici italiani 134) Mailand 1808, Bd. 2, S. 238-287.
Angaben zur Biographie in der Einführung Bd. 1, S. IV-IX.
369 Passava.nti, Trattato, S. 238.
370 Passavanti, S. 240 ff.
371 Zu jenem medizingeschichtlichen Forschungsproblem siehe auch Kapitel 3.6 dieser
Arbeit.
372 Passava.nti, S. 244.
160 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
schweren Träumen zu rechnen wie derjenige, der alkoholische Getränke
zu sich nehme, was alles durch entsprechend vernünftiges Verhalten leicht
behoben werden könne.373 Natürlich kennt der Dominikaner auch die
traditionelle Lehre der übernatürlichen Traumsender; nach Passavantis
Darstellung sollen sich gewisse Heilige himmlische Offenbarungen sogar
mit Erfolg erbeten haben. Der Teufel seinerseits besitzt im Traum ein
Mittel für Beeinßussungsversuche. Gerade die guten Menschen belästigt
er, indem er sie des Nachts erschreckt oder verwirrt oder durch laszive
Bilder zur Sinneslust zu verführen sucht. Magier und Hexer können den
Teufel bekanntlich dazu bringen, ihnen verborgenes Wissen im Traum
zu enthüllen. Nur bei Passavanti findet sich die Vorstellung, daß solche
Beschwörer ihren Opfern auch dadurch schaden, daß sie ihnen ungute
Träume senden. All diesen Praktiken liegt nach Augustinus und Thomas
ein Pakt mit dem Bösen zugrunde, der als verdammungswürdiges
Unrecht, als schlimme Sünde gegen Gott eingestuft wurde.374
Nach dieser einleitenden und eher konventionellen Betrachtung widmet
sich Passavanti dann der Problematik der Traumdeutung. Es gab zu
seiner Zeit viele Bücher mit aufgelisteten Deutungen für die verschiedenen
Traummotive, und einige Autoren verstiegen sich sogar zur Behauptung,
daß jeder Traum eine Bedeutung habe. Hier setzt der Dominikaner
zur Kritik an und korrigiert diese Aussage dahingehend, daß jeder Traum
seinen Entstehungsgrund besitze. Damit sei das nächtliche Erlebnis noch
lange nicht immer Anzeichen oder sogar Ursache für zukünftige Ereignisse.
Außerdem vermischten sich häufig verschiedene Entstehungsfaktoren
und daraus resultiere dann die Unklarheit und das Fragmentarische
der meisten Träume. In der biblischen Erzählung des Buches Daniel zeigt
Passavanti anhand Kapitel 4,4, daß gerade die Berufsdeuter mit ihrem
schematischen Vorgehen versagt hatten. Nach freiem Ermessen schenkte
Gott dann aber seinem Propheten Daniel Einsicht und ermöglichte ihm
so die richtige Interpretation der an den König Nebukadnezar ergangenen
Traumoffenbarung. 375
Jedes Traumbild ist also grundsätzlich mehrdeutig, was Passavanti
auch an einem psychologisch gut beobachteten Beispiel zu beweisen ver-
373 Passavanti, S. 245 ff.
374 Passavanti, S. 255 ff. – Für die Ausführungen Thomas‘ von Aquin siehe oben,
Kapitel 3.4 der vorliegenden Arbeit.
375 Passavanti, S. 261 f.
DIE TRAUMTHEORIE IN IHRER GESCHICHTLICHEN ENTWICKLUNG 161
sucht.376 Jemand, der träumt, er werde zum großen Gespött und zur
Belustigung, besitze vielleicht einen Überschuß an Blut und damit eine
innere Disposition zur Heiterkeit. Ebenso wahrscheinlich sei die Hypothese,
daß er schüchtern sei und Angst vor anderen Leuten habe. Der
Träumer könne ferner eine derartige Situation früher einmal beobachtet
oder sogar als Opfer erlebt haben. Deshalb würde auch der beste Arzt
kaum je in der Lage sein, eine derartige Traumszene ohne Mithilfe des
Kranken zu deuten. Passavanti denkt hier in erster Linie an Abklärungen
im Rahmen der medizinischen Diagnostik, doch fordert auch die moderne
Tiefenpsychologie bei der Trauminterpretation die aktive Mitarbeit
des Patienten in Form von Informationen zur Lebensgeschichte und
von freien Assoziationen zu den einzelnen Traummotiven.377
Der Dominikanerpater räumt ferner ein, daß es einem guten Astrologen
ab und zu gelingen möge, einen von Planetenbewegungen verursachten
Traum richtig zu interpretieren, doch weist er darauf hin, daß
gerade die besten Vertreter dieser Disziplin um den beschränkten Wert
ihrer Prognosen sehr wohl Bescheid wüßten. Daß nun aber jeder einfache
Bürger sich anmaße, Träume zu deuten, sei letzlieh ein teuflisches Machwerk,
denn dadurch würden die Menschen ebenso von Gott abgelenkt
wie durch magische Künste oder Nekromantie, d. h. die Beschwörung
von Toten. 378 Solche Verhaltensweisen werden von Passavanti als Abfall
vom Taufversprechen aufs schärfste getadelt. In diese strenge Verurteilung
zieht er auch die gängige Praxis der Traumdeutung ein. Dabei
dachte er wohl weniger an die Konsultation eines Astrologen als an die
Benutzung von Traumbüchern, mit deren Aussagen er sich ziemlich intensiv
auseinandersetzte. Auf seine diesbezüglichen Argumente soll an
passender Stelle noch näher eingegangen werden. 379
* * *
Auch in Frankreich gab es im Verlauf des 14. Jahrhunderts Gelehrte, die
376 Passavanti, S. 263 f.
377 Vgl. dazu BOSSHARD, Traumpsychologie, S. 260 ff.
378 Diese Praktiken leben bis heute im Spiritismus weiter; die Idee, über ein Medium
Kontakt mit verstorbenen Angehörigen aufzunehmen, ist uralt. Als Beispiel sei die
biblische Erzählung von Sau! erwähnt, der die Hexe von Endor zwang, den Geist Samuels
heraufzubeschwören (1. Samuel 28,7 ff.). Zu den theologischen Stellungnahmen
im Mittelalter vgl. HARMENING, Superstitio, S. 205 ff.
379 Passavanti, S. 273 f. – Siehe unten, Kapitel 3.6 der vorliegenden Arbeit.
162 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
sich kritisch mit der hier offenbar ebenso wie in den Mittelmeerländern
grassierenden Traumgläubigkeit auseinandersetzten. Der vor allem an
philosophischen und mathematischen Problemen interessierte Nikolaus
Oresme (gest. 1384) äußert sich in seinem Hauptwerk „De configurationibus
qualitatum et motuum“ wenigstens am Rande über das Traumproblem.
In Anlehnung an Jesaia 40,4-5 behauptet er beispielsweise,
daß nur wenige Menschen göttliche Eingebungen oder Visionen haben
könnten. Nur im Zustand völliger innerer Freiheit und Klarheit sei die
Seele überhaupt im Stande, ähnlich wie ein geglätteter Spiegel himmlische
Botschaften zu empfangen. Geistererscheinungen hingegen seien in
den meisten Fällen nur Sinnestäuschungen bzw. Effekte einer von Fasten
und asketischen Übungen oder Einnahme von Drogen überreizten
Phantasie. Schließlich seien auch nicht wenige gutgläubige Menschen
diesbezüglich durch verschiedene Tricks wie etwa Bauchrednerei arg getäuscht
worden.380
Wie vor ihm schon Petrus von Blois, Thomas oder Augustinus
Triumphus stellt er klar, daß Wahrträume und Visionen nicht kausal
mit zukünftigen Ereignissen verknüpft werden dürfen, da diese ja keine
„Strahlen“ in die Gegenwart senden können. Mit dieser Analyse stuft er
derartige Zeichen auf die Ebene des Zufalls zurück.381 Die bekannte Warnung
vor Wahrsagerei und Traumdeutung in Deuteronomium 18,9-11
sucht er schließlich wie folgt zu rechtfertigen. Aberglaube und Schicksalsneugier
sind nach seiner Auffassung deshalb verkehrt, weil der Geist darunter
leidet bzw. Schaden nimmt. Daher nehmen die Dinge dann häufig
einen schlechten Ausgang.382 Die negative Entwicklung wäre also nach
Oresme nur innerlich zu verstehen, d. h. es bestünde keine Abhängigkeit
von äußeren Fakto.􀈜en wie Gestirnskonstellationen und dergleichen. Mit
dieser nüchternen Uberlegung nähert sich der französische Gelehrte stark
an die in der modernen Psychologie geläufige Idee von der sich selbst
380 Nikolaus Oresme, De configurationibus qualitatum et motuum. Ed. M. CLA·
GETT, Madison 1968, S. 252. – Von Interesse bezüglich des Drogengebrauchs ist
auch die Erklärung für den Packtier-Traum bei Augustinus (Civitate Dei, lib. XVIII,
cap. 18). Nach Oresmes Ansicht (S. 356) könnten die den Opfern zuerst vorgesetzten
vergifteten Käse sehr wohl die Wahrnehmungsrahigkeit beeinflußt haben, wie das
etwa bei Alkohol der Fall sei, und die Menschen glauben machen, sie hätten als schwer
beladene Lasttiere zu arbeiten.
381 Oresme, S. 268.
382 Oresme, S. 380.
DIE TRAUMTHEORIE IN IHRER GESCHICHTLICHEN ENTWICKLUNG 163
erfüllenden Prophezeiung, welche auf Furcht und unbewußten Zwangsvorstellungen
beruhen dürfte.
Um differenzierte Aussagen bemühte sich schließlich auch Johannes
Gerson (1363-1429), der zeitweilig als Kanzler der Universität Paris
wirkte.383 Zusammen mit dem allzu unkritischen Gebrauch der Astrologie
verurteilte der Theologe auch die zu seiner Zeit so verbreitete Form
der Traumdeutung nach starren Regeln. Streng genommen handle es sich
bei der letzteren sogar um eine mantische, dem Christen grundsätzlich
verbotene Praktik.384 Im Jahre 1401 verfaßte Gerson dann einen Kommentar
über das Wirken Johannes des Täufers (Mk. 1,4) unter dem Titel
„De distinctione verarum revelationum a falsis“ und sandte diese Schrift
mit einem Begleitbrief an seinen Bruder, den Cölestinermönch Nikolaus.
385 In diesem Traktat erarbeitete Gerson einige Unterscheidungskriterien,
mit deren Hilfe echte Offenbarungen von Phantasieprodukten
und dreisten Fälschungen geschieden werden könnten, die zu seiner Zeit
offensichtlich ins Kraut schossen und allgemeine Verwirrung stifteten.386
Der Gelehrte ging trotz seiner skeptischen Grundhaltung nicht soweit
wie vor ihm Augustinus Triumphus, für den die Zeit der Offenbarungen
nach Christi Erdenleben endgültig abgeschlossen war. Eine derart
radikale Verneinung aller Kontaktmöglichkeiten mit dem Überirdischen
würde, so fühlte Gerson deutlich, das einfache Volk vor den Kopf stoßen.
Ein solcher Theologe sähe sich sofort der Rechtsverdrehung und der Verleugnung
angeklagt; denn der christliche Glaube beruht ja teilweise selber
auf Offenbarungen, und Gott bleibt natürlich frei, einigen Menschen
auf diesem Wege weitere Wahrheiten zu schenken. 387
383 Ein weiterer französischer Geistlicher, der Dominikaner Jacobus Magnus, behandelte
in seiner 1405 entstandenen Schrift „Sophologium“ ebenfalls den Traumglauben,
doch vermochte er neben der traditionellen Lehre keinerlei neue oder persönliche Gesichtspunkte
zu bieten. Vgl. dazu L. THORNDIKE, The History of Magie and
Experimental Science: 14th and 15th Centuries, New York 1923, Bd. 4, S. 278.
384 Johannes Gerson, Tractatus Astrologiae. Ed. P. PALEMON, Oeuvres completes,
Bd. 10, Paris 1973, Nr. 501, S. 90-109.
385 Gerson, Brief Nr. 49, Oeuvres completes, Bd. 2 (1960), S. 78.
386 Gerson, De distinctione revelationum. Oeuvres completes, Bd. 3 (1962) Nr. 90,
s. 36-56.
387 De distinctione, S. 38. – Die Frage, ob Gerson die entsprechende Passage aus
dem Werk des Augustinus Triumphus gekannt hat, muß hier offen bleiben, sie würde
aber zweifellos eine nähere Untersuchung verdienen.
164 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
Deshalb entwickelte Gerson einen eigentlichen Prüfungsraster für
die Unterscheidung von echten und vermeintlichen Visionären, indem
er den Inhalt ihrer Botschaften nach den fünf Tugenden Demut, Klugheit,
Geduld, Wahrheit und Liebe zu bewerten vorschlug. Ferner müsse
der Wahrheitsgehalt einer Vision auf die Konformität mit der Hl. Schrift
überprüft werden, wozu nicht nur Bildung gehöre, sondern auch eine Art
Intuition.388 Es sei auch keineswegs einfach, die Vision vom Traum abzugrenzen.
Dessen oftmals lebhafter und teilweise sogar reflexiver Charakter
verführe manchen dazu, daß er annehme, er denke und sei deshalb
auch wach. Umgekehrt könne man ja ebensogut im Wachzustand die
Sinnesorgane willentlich abschalten und innerlich wie träumend Bilder
an sich vorbeiziehen lassen. Die daraus resultierenden erkenntnisphilosophischen
Probleme führten den Theologen Gerson dazu, die Wichtigkeit
der Demut hervorzuheben. Ähnlich wie das Traumleben nach Gersons
Auffassung letztlich eine Täuschung darstellt, machen sich nämlich nach
seiner Beobachtung viele Menschen falschlieherweise vor, daß sie besonders
tugendhaft lebten. 389
Die Schwierigkeit der Unterscheidung zwischen Vision und Traum
wird in der während Gersons Aufenthalt am Konzil von Konstanz 1415
enstandenen Schrift „De probatione spirituum“ nochmals aufgegriffen.
Mancher, der sich selber in guten Treuen als Visionär betrachte, habe
in Wirklichkeit nur natürliche oder durch teufiischen Einfluß erzeugte
Traumbilder gesehen.390 Hier erarbeitete er ferner eine Reihe von Kriterien,
welche hohe Anforderungen an den Charakter des Visionärs beinhalten.
Unmittelbarer Anlaß für Gersons Äußerungen war die unter
den Konzilsteilnehmern heftig diskutierte Frage der Rechtgläubigkeit der
Offenbarungsschriften der Birgitta von Schweden.391
Obwohl nach Gersons Ansicht Träumen generell kein Offenbarungs-
388 De distinctione, S. 47 f.
389 Oe distinctione, S. 48 f.
390 Gerson, Oe probatione spirituum. Oeuvres completes, Bd. 9 (1973), Nr. 448, S.
177-185.
391 Oe probatione, Abschnitt 5, S. 179. Für die Prüfung von Charaktereigenschaften
und Glaubhaftigkeit der Umstände vgl. Abschnitt 7-10, S. 180 f. – Brigitta hatte sich
energisch für die Rückkehr des Papstes aus Avignon eingesetzt; sie starb 1373 in Rom
und wurde 1391 kanonisiert. Als Reaktion auf die dem überzeugten Konziliaristen
Gerson offensichtlich unsympathischen Aktivitäten Brigittas sind wohl auch einige
ausgesprochen frauenfeindliche Äußerungen im Abschnitt 11, S. 184 zu verstehen.
DIE TRAUMTHEORIE IN IHRER GESCHICHTLICHEN ENTWICKLUNG 165
charakter zukommt, wollte er sie nicht völlig verachtet wissen. Ähnlich
wie bei den Visionen glaubte Gerson, daß es hier ebenfalls auf den konkreten
Inhalt ankomme. Träume, welche zum Guten zu raten scheinen,
sollten als eine Ermahnung oder Erinnerung, etwas Gutes zu tun, aufgefaßt
werden und im umgekehrten Fall als Warnung vor dem Bösen.392
Trotz seiner Skepsis gegenüber selbsternannten Visionären und Schwärmern
ließ der Theolog􀅯. die Türe gewissermaßen einen Spalt weit offen
und akzeptierte das in Ubereinstimmung mit der Bibel und der Vernunft
als moralisch gut Anerkannte in Vision und Traum gleichermaßen. Damit
blieb die Möglichkeit eines direkten Kontaktes zwischen Gott und
Mensch in Form der Vision gewahrt, wobei deren Ausnahmecharakter
der Seltenheit von echter Heiligkeit entsprach.
* * *
Auch im deutschen Sprachbereich wurden im Spätmittelalter originelle
Gedanken zum Traumproblem entwickelt oder ältere Erkenntnisse nochmals
aufgerollt, wobei auf Grund der Quellenlage der Eindruck entsteht,
daß die Diskussion hier vergleichsweise spät, das heißt zu Anfang des
15. Jahrhunderts einsetzte.393 Magister Nicolaus de Jawor (gest. 1435)
war ein Zeitgenosse Gersons, dem er als Teilnehmer am Konzil von Konstanz
auch persönlich begegnet sein muß. Er studierte in Prag; ebenda
wirkte er dann auch als Professor und ging später nach Heidelberg,
wo er es bis zum Vizekanzler der dortigen Universität brachte. Seine
Äußerungen zum Traum stammen aus einem aufgrund mehrerer Hinweise
ins Jahr 1405 zu datierenden Traktat „De superstitionibus“ .394
Diese Abhandlung dokumentiert die Faszination, welche die verschiedenen
Formen des ‚Aberglaubens‘ auf die damalige Gesellschaft und damit
auch auf die Gelehrten ausübte. Das große Interesse für das Thema läßt
sich an den zahlreichen Abschriften des Traktates ablesen, die während
des 15. Jahrhunderts entstanden.395 Merkwürdigerweise blieb Nicolaus‘
Werk dann trotz des Aufkommens der Buchdruckerkunst ungedruckt,
392 De probatione, Abschnitt 10, S. 183.
393 Es ist aber durchaus möglich, daß in Archiven und Bibliotheken noch weitgehend
unbekannte Manuskripte mit Abhandlungen zum ‚Iraumproblem ruhen, welche die
für das 13. und 14. Jahrhundert beobachtete Lücke zu schließen vermöchten.
394 Vgl. dazu A. FRANZ, Der Magister Nicolaus Magni de Jawor: Ein Beitrag zur
Gelehrtengeschichte des 14. und 15. Jahrhunderts, Freiburg i. Br. 1898, S. 161.
395 FRANZ führt in einem Anhang zu seiner Studie (Anhang 7, S. 255) nicht weniger
166 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
und auch heute sucht man vergebens nach einer Edition, so daß auf die
Handschriften zurückgegriffen werden muß.396
Im Abschnitt über Träume heißt es einleitend ziemlich schroff, daß
die Wahrsagerei aus Träumen abergläubisch und deshalb unerlaubt sei.
Anschließend beklagt Jawor die falschen Vorstellungen, welche bezüglich
dieses Bereiches herrschten und die notwendigerweise in die Irre führen
müßten. Auch dem deutschen Magister ist es ein wichtiges Anliegen
klarzustellen, daß der Traum nicht als Ursache für zukünftige Ereignisse
betrachtet werden dürfe. Mit dem Hinweis auf die sehr häufig augewandte
Deutung nach d􀅯!fi Gegenteil397 versucht der Gelehrte offensichtlich,
die Absurdität der Ubertragung des Ursache-Wirkungs-Prinzips auf
Träume aufzuzeigen. Wer hingegen Träume deutet aus Kenntnis ihrer
Entstehungsgründe und die Träume nicht als kausale oder übernatürliche
Faktoren betrachtet, betreibt auch keine Wahrsagerei. In diesem erlaubten
Bereich der Auslegung hatten sich nach der Meinung Jawors auch
die alttestamentlichen Propheten Daniel und Joseph bewegt.
Danach folgt eine Erläuterung der Entstehung der Träume, die gemäß
Prediger 5, 2 und 6 sowie Ecclesiasticus 34, 1-6 zunächst als nichtige
Produkte der Phantasie bzw. als Wunschbilder verstanden werden, denen
man kein Vertrauen schenken soll. In diesem Sinne zitiert Jawor auch den
bekannten Vers aus den „Disticha Catonis“ , wo es heißt: „Kümmere dich
nicht um Träume!“398 In ähnlich abwertender Weise schreibt ein gewisser
Johannes Cluniacus, also wohl ein Mönch aus Cluny, daß der blinde
Traumglaube zu tadeln sei, denn wer auf alles hereinfalle, könne kaum
ein Weiser genannt werden. Dann aber stellt Jawor unter Berufung auf
Aristoteles und Albertus Magnus die medizinische Traumdiagnose auf
als 58 Manuskripte auf, und L. THORNDIKE, A History of Magie and Experimental
Science, Bd. 4, S. 281, Anm. 38, ergänzt diese Liste um vier weitere Handschriften.
396 Die früheste sicher datierbare Handschrift (1416) befindet sich in München: Cod.
lat. mon. 27417 fol., f. 1 1 5-190. Ich benutze einen Mikrofilm des MS A. v. 19 der
Universitätsbibliothek Basel, welches von FRANZ, S. 263 gemäß Incipit ins Jahr 1415
datiert wird und somit jedenfalls zu den frühesten Abschriften überhaupt gehört.
397 Als Beispiel kann dazu aus dem in Kapitel 3.6 noch näher vorzustellenden „Somniale
Danielis“ etwa die Deutung, daß ein so freudiges Ereignis wie eine Hochzeit als
Traummotiv immer Unglück bringe, zitiert werden. Texte dazu in St. FISCHER,
The Complete Medieval Dreambook, a multilingual, alphabetical Somnia Danielis
collation, Frankfurt/Main 1982, S. 157.
398 Siehe oben, Kapitel 3.2 der vorliegenden Arbeit.
DIE TRAUMTHEORIE IN IHRER GESCHICHTLICHEN ENTWICKLUNG 167
Grund der Säftelehre vor. Denselben Autoren verdankt der Gelehrte
offensichtlich die Theorie über die Einwirkung von Himmelskörpern auf
die Phantasie des Schläfers, und er anerkennt ausdrücklich wie vor ihm
schon Passavanti, daß auf dieser Basis Zukunftsprognosen möglich sind.
Jawor führt ferner die guten und bösen Geistwesen als mögliche Traumsender
an und versäumt nicht, den auf Zukunftswissen ausgerichteten
Pakt mit den Dämonen als unerlaubt zu brandmarken, was er auch mit
geschichtlichen Beispielen illustriert. Seine Ausführungen schließt Jawor
mit der Stimme von Ecclesiasticus 34,7, welche den Menschen ermahnt,
nicht mehr von den Träumen zu erwarten als diese geben können und
sich durch sie nicht in die Irre führen zu lassen. Damit glaubt Jawor dem
Leser klar gemacht zu haben, welche Träume verboten sind und welche
nicht, wobei sich das Verbot natürlich nicht auf das willentlich kaum
beeinßußbare Traumphänomen, sondern auf dessen Deutung bezieht.
Hauptsächlich aus Jawors Traktat schöpfte der flämische Kartäusermönch
Dionysius von llijckel (gest. 1471) im entsprechenden Kapitel
seiner mit „Contra vitia superstitionum“ betitelten Schrift. llijkel hat
ein in der gedruckten Gesamtausgabe über vierzig Bände umfassendes
Werk hinterlassen, was den weitgehend kompilatorischen Charakter des
uns hier interessierenden Traktates etwas verständlicher macht. 399 Diese
Abhandlung entstand im Umfeld einer Reise durch die niederrheinischen
Gebiete während der Jahre 1451-52, als Dionysius den Kardinal Nikolaus
Cusanus begleiten durfte. Den vermutlich auf einer Station dieser
Reise studierten Traktat J awors hat Dionysius unter Benutzung derselben
Bibelzitate teilweise wörtlich abgeschrieben.400 Abgesehen von
einigen Umstellungen und Auslassungen ergänzte der Kartäuser seine
Vorlage dahingehend, daß wegen der Einflußnahme des bösen Feindes
Mäßigkeit im Umgang mit Träumen angebracht sei. Phantasten und andere
unbedachte Leute würden, da sie ihren Träumen zu viel Aufmerksamkeit
schenkten, oft vom Teufel getäuscht. So empfiehlt Dionysius
den Lesern Gott zu bitten, er möge sie vor zu vielen Träumen bewahren,
denn diese seien nach Ecclesiasticus 34, 5-6 ja meistens wertlose
399 Diese Einschätzung nach L. THORNDIKE, History of Science, Bd. 4, S. 291.
400 Dictionnaire d’histoire et geographie ecclesiastique, Paris 1960, Bd. 14, Sp. 256 f.
Vgl. die Liste der Jawor-Manuskripte bei FRANZ, S. 255 ff.; sie belegt Handschriftenbesitz
auch für Mainz, Andechs, Buxheim, Lüttich und Trier, sowie Wilhering,
was das Reisegebiet der beiden Geistlidlen einigermaßen abdeckt.
168 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
Wunschbilder des eigenen Herzens. Zudem sollen sie sich bemühen, mit
guten, d. h. erbaulichen Gedanken einzuschlafen, um nicht von Träumen
beunruhigt zu werden.401 Im Vergleich zu den eher nüchternen Analysen
der bisher vorgestellten Autoren des 14. und frühen 15. Jahrhunderts
scheint bei dem Kartäusermönch die Furcht vor dämonischen Einflüssen
Überhand zu nehmen, obwohl er die Beschäftigung mit den Träumen
nicht grundsätzlich verdammt.402
Das Traumphänomen wurde also von Rijckel als etwas Nichtiges und
Wertloses, ja zuweilen sogar Schlechtes angesehen. Im Gegensatz dazu
schätzte der Kartäuser Visionen offenbar hoch ein; er selber berief sich in
einem Schreiben an zwei in Konllikt stehenden Adlige ausdrücklich auf
eine persönliche Offenbarung im Wachzustand. 1459 hatte der mit seinem
eigenen Sohn verfeindete Herzog Arnold von Geldern den Kartäuser
Dionysius um Vermittlung gebeten. Dieser ermahnte in seinem Brief die
zerstritteneu Parteien feierlich, Gottes Willen zu befolgen und ihre kriegerischen
Auseinandersetzungen zu beenden:
„Und nun, durchlauchteste Herzöge, nehmet diese Rede unseres
Gottes an euch, diese Ermahnung unserer Wenigkeit mit geneigtem
und gütigem Sinne entgegen. ( . . . ) Schaut nicht darauf, durch
wen, sondern von wem es euch übersandt wird! In vollem Wachen
sind mir diese Dinge gezeigt und geoffenbart worden, als ich die
Nacht im Gebete durchwachte und meinen Geist auf eure Angelegenheit
richtete. Es mögen meine Worte nicht als eitel gelten, sondern
angemessen der Wichtigkeit der Sache und der Notwendigkeit
des Gemeinwohles.“403
Tatsächlich gelang es Dionysius, einen provisorischen Frieden zwischen
den beiden Blutsverwandten zu erwirken, welcher in Form eines Vertra-
401 Dionysius von Rijckel, Contra vitia superstitionum. Gesamtedition Montreuil
und Tournai 1896 ff., Bd. 34, Opera minora. Articulus 12, S. 223 f.
402 Man ist versucht, die bei Dionysius ähnlich wie bei gewissen Autoren des Frühund
Hochmittelalters spürbare Furcht bzw. Antipathie vor den damals häufig als Manifestationen
des Bösen angesehenen Kräften der unbewußten Seelenteile als Verdrängungsprozen
zu erklären, der insbesondere bei nach Heiligkeit strebenden Individuen
wie Dionysius zu beobachten wäre.
403 Zitiert nach W. OHL, Deutsche Mystikerbriefe, S. 576.
DIE TRAUMTHEORIE IN IHRER GESCHICHTLICHEN ENTWICKLUNG 169
ges am 13. Oktober 1459 abgeschlossen wurde und dem Land wenigstens
für einige Jahre Ruhe schenkte.404
Kardinal Nikolaus Cusanus (gest. 1484), den wir bereits anläßtich
der Reise des Dionysius Rijckel erwähnt haben, hat sich eher zufällig
zum Problem der magischen Praktiken geäußert. Seine Ansichten sind
in einem zwischen 1430-1441 entstandenen Predigtentwurf unter dem
Titel „lbant magi“ überliefert.405 Im ersten Teil dieser Auslegung des
Weihnachtsevangeliums erwähnt Cusanus den Warntraum der drei Magier
bezüglich der bösen Absichten des Herodes, ohne dazu irgendeinen
Kommentar abzugeben.406 Im zweiten Teil warnt der Kirchenfürst
dann allerdings in unmißverständlichen Worten vor allen Formen der
Zukunftsvorhersage und zitiert auch die harte Strafandrohung von Deuteronomium
18,13.407 Die Dämonen verstünden, die Leute abergläubisch
zu machen, indem sie hie und da die Wahrheit prophezeiten, woraus
dann nur zu leicht eine ungesunde Abhängigkeit entstehe. Der Kardinal
macht ferner die psychologisch einfühlsame Beobachtung, daß der Teufel
den Willen des Menschen nicht sofort nach Belieben wandeln könne,
sondern vielmehr die Methode der langsamen Beeinflussung anwende.408
Weil für Nikolaus die Zukunft ausschließlich in Gottes Vorsehung festgelegt
ist, muß er jede Wahrsagerei strikte verurteilen. Dazu gehören neben
der Geomantik, Hydromantik und Pyromantik auch Kräuter- oder
Steinorakel sowie die Kunst der Astrologen, Physiognomen, Handleser
und Traumdeuter.409 Die negative Einstufung der Traumdeutung wird
unter Berufung auf Thomas von Aquin mit deren Verwandtschaft zur
Totenbeschwörung begründet, wobei hier die Mitwirkung von Dämonen
für die damaligen Theologen als Tatsache feststand.410
* * *
Die mißtrauische Haltung eines Rijckels gegenüber dem Traumphänomen
404 OHL, S. 820 f., Anm.l.
405 Nikolaus Cusanus, Opera omnia. Ed. R. HAUBST, Harnburg 1970, Sermo 11, S.
20-40.
406 Sermo II, S. 28.
407 Sermo II, S. 29.
408 Sermo II, S. 31.
409 Sermo II, S. 32.
410 Sermo II, S. 21.
170 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
und die prinzipielle Verurteilung aller Deutungsansätze als verbotene
Wahrsagerei bei Nikolaus Cusanus dürfen aber meines Erachtens in ihrer
konkreten Wirkung nicht überschätzt werden. Man hat in solchen
Texten wohl Abwehrversuche gegen zunehmend irrationale Tendenzen
im 14. und 15. Jahrhundert und ganz speziell gegen ausartende Formen
des Traumglaubens zu sehen. Es gelang jedoch den gegen Superstitionen
aller Art kämpfenden Theologen keineswegs, die Vorstellung auszurotten,
daß nächtliche Gesichte möglicherweise Botschaften übernatürlicher
Mächte seien und sich manchmal auf die Zukunft des Träumers ausdeuten
ließen. So scheute sich der Humanist Aeneas Sylvius Piccolomini, der
spätere Papst Pius II., keineswegs, in seiner Geschichte des Kaisers Friedrich
III. über ein Traumgespräch dieses Herrschers mit Papst Nikolaus V.
(1447-55) zu berichten.41 1 Der Kaiser erzählte nämlich anläßtich seines
Zusammentreffens mit dem obersten Kirchenführer im Jahre 1453 – vielleicht
im Sinne einer politischen Höftichkeitsftoskel412 – einen Traum, in
welchem er sich von Nikolaus, damals noch Bischof von Bologna, gekrönt
gesehen habe. Er, Friedrich, habe dieses Gesicht erst verstanden und
auf seinen Aufstieg zum Kaiser gedeutet, als Nikolaus zum neuen Papst
gewählt worden war. Der Heilige Vater bezichtigte Friedrich nun keineswegs
des Aberglaubens, sondern wies auf ähnliche bereits aus der
Antike überlieferten Wahrträume hin. Zusätzlich erzählte er dann eine
vergleichbare Traumerfahrung aus seinem persönlichen Erleben. Papst
Eugen IV. habe ihn, Nikolaus, in der Nacht vor dessen Tod (23. Februar
1447) feierlich zu seinem Nachfolger eingekleidet. Er habe seine Handlungsweise
damit begründet, daß er selber jetzt eine Pilgerfahrt zum
411 Aeneas Sylvius Piccolomini, Gesta Frederici III – Die Geschichte Kaiser Friedrich
III. von Th. ILGEN, Geschichtsschreiber der dt. Vorzeit. 88-89, Leipzig 1890, Bd. 2,
S.86.
412 Für diese Interpretation spricht die Begegnung Karls IV., damals noch Markgraf
von Mähren, mit Pierre Roger, Abt von Fecamp, 1340 in Avignon. Hier prophe·
zeite der inzwischen zum Kardinal aufgestiegene Geistliche dem mit ihm seit langem
befreundeten jungen Fürsten, Karl werde noch römischer König werden. Darauf erwiderte
dieser, der Kardinal werde zuvor zum Papst gewählt werden, was 1342 ja
tatsächlich eintraf. Vgl. dazu den Originaltext in: Vita Caroli quarti. Lat. dt.
Ed. von E. HILLENBRAND, Die Autobiographie Karls IV., S. 84 ff. u. 172 ff.
Ebenda (S. 1 1 ) auch das abschätzige Urteil des Aeneas über Karl als Kaiser, dessen
Autobiographie er demnach wohl gekannt haben dürfte.
DIE TRAUMTHEORIE IN IHRER GESCHICHTLICHEN ENTWICKLUNG 171
hl. Petrus unternehmen müsse, was einen deutlichen Hinweis auf sein
Ableben darstellte.413
Man mag nun in Aeneas Bericht einen Versuch sehen, durch eindrückliche,
aber letztlich fingierte Wahrträume die Auserwähltheit dieser
beiden Herrschergestalten zu betonen und so ihren Taten eine gewissermaßen
göttliche Legitimation zu verschaffen. Selbst wenn es sich
hier nur um einen literarischen Topos handeln sollte, rechnete der Chronist
doch anscheinend damit, daß die Episode kein schlechtes Licht auf
die beiden Protagonisten warf. Dies, obwohl Aeneas zu Anfang seines
Berichts nicht verschwieg, daß skeptische Zeitgenossen Träume und ihre
Deutung nach Daniel oder Makrobius ablehnten.414 – Der Humanist und
Theologe Philipp Melanchton hielt es beispielsweise immerhin für nötig,
eine kurze Abhandlung über die Traumdeutung zu verfassen. Darin vertrat
er unter Referierung einiger antiker Beispiele die traditionelle Haltung
der Kirche, die in den nächtlichen Bildern vor allem ein Einfallstor
für das Böse sah.415 Das Interesse, welches die Humanisten dem Traum
entgegenbrachten, wird ferner durch die Übersetzung des griechischen
Traumtraktates des christlichen Neuplatonikers Synesius bezeugt. Sie
stammt vom Florentiner Arzt und Priester Marsilio Ficino, der seine lateinische
Textfassung 1484 dem König Matthias von Ungarn widmete.
Ebenfalls zu erwähnen wäre in diesem Zusammenhang schließlich noch
der „Liber synesiorum somniorum“ des Girolamo Cardano (gest. 1576),
in dem er ebenfalls Synesius rezipierte und zusätzlich vieles aus dem
Traumbuch des Artemidor von Daldia übernahm.416 Konsequenterweise
räumte dieser Humanist in seiner Autobiographie417 auch seinen eigenen
Träumen einen großen Stellenwert ein.
413 Zur Traumdarstellung des Todes als Reise siehe unten, Kapitel 4.7.1 der vorliegenden
Arbeit.
414 Mit der Deutung nach Daniel ist offensichtlich das unter dem Namen des alttestamentlichen
Propheten zirkulierende Traumbuch gemeint; siehe dazu ausführlicher
weiter unten, Kapitel 3.6 dieser Arbeit, zu .Makrobius Klassifikationsschema weiter
oben, Kapitel 3.1 und 3.3.1.
415 Melanchtons Traktat erscheint in einem Vorspann zu einem Druck des Traumbuchs
von Artemidor, Leizig 1753. Unveränderter Nachdruck Darmstadt 1973, S.
17-29.
416 Zu Artemidor von Daldia, siehe ebenfalls Kapitel 3.6 der vorliegenden Arbeit.
417 Girolamo Cardano, De vita propria. Dt. von H. HEFELE, Berlin 1912, repr.
München 1963.
172 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
3.6. ZUR VERBREITUNG DER TRAUMBÜCHER IM MITTELALTER
Während die Stellungnahmen von Vertretern der mittelalterlichen Amtskirche
von der historischen Forschung bisher eher wenig beachtet wurden
und Untersuchungen nur für Einzeläflle vorliegen, haben die aus derselben
Epoche überlieferten Anleitungen zur praktischen Traumdeutung
schon seit Anfang dieses Jahrhunderts das Interesse der Philologen geweckt.
Als eigentlicher Pionier muß hier M . FÖRSTER genannt werden.
Er untersuchte altenglische Glossen zu einem lateinischen Traumbuch
und konnte auch mehrere mittelenglische Übersetzungen davon ausfindig
machen und edieren.418 Neuerdings haben sich nun weitere Spezialisten
für Sprachen des Mittelalters dieser Textzeugnisse angenommen
und sie teilweise in kritischen Ausgaben herausgegeben, wohingegen die
Mediävisten deren Wert beispielsweise für die Mentalitätsgeschichte noch
kaum erkannt haben.419 Diese doch ziemlich eigentümliche Quellengattung
soll nun anband der bisherigen Forschungsergebnisse im Überblick
vorgestellt und in ihrer historischen Bedeutung diskutiert werden.
Menschen, die um ihr persönliches Schicksal besorgt waren, vor
schwierigen Entscheidungen standen oder auch einfach von Neugier getrieben
wurden, standen im Mittelalter verschiedene Möglichkeiten offen,
einen Blick in die Zukunft zu werfen. Es gab mehrere von der Kirche vor
allem im Hinblick auf ihren heidnischen Ursprung verbotene magische
418 M. FÖRSTER, Beiträge zur mittelalterlichen Volkskunde IV, 5: Das lateinischaltenglische
Pseudo-Danielsche Traumbuch in Tiberius A III, Archiv für das Studium
der neueren Sprachen und Literaturen 125 (1910), S. 39-70; ders., Beiträge zur
ma. Volkskunde III, 4, eben da 121 (1908), S. 30-46; ders., Btrg. zur ma. Volksk. V, 6:
Ein mittelenglisches Vers-Traumbuch des 13. Jahrhunderts, u. 7: Ein mittelalterl.
Prosa-Traumbuch des 14. Jahrhunderts, ebenda 127 (1911), S. 31-84.
419 Im Bereich des Mittellateins A. ÖNNERFORS, Zur Überlieferungsgeschichte
des sogenannten Somniale Danielis, Eranos 58 (1960), S. 142 ff. und L. MARTIN,
Somniale Danielis: an Edition of a Medieval Latin Dream Interpretation Handbook
(=Lateinische Sprache und Literatur des Mittelalters 10) Frankfurt/Main 1981.
Für das Altfranzösische W. SUCHIER, Altfranzösische Traumbücher, Zeitschrift für
franz. Sprache und Literatur 67 (1957), S. 129-160; für das Mittelhochdeutsche W.
SCHMITT, Das Traumbuch des Hans Lobenzweig, AKG 48 (1966), S. 181-218, und
St. FISCHER, Dreambooks and the Interpretation of Medieval Literary Dreams,
AKG 65 (1983), S. 1-20. Ferner im Sinne einer praktischen Arbeitsbasis ders.,
The Complete Medieval Dreambook, A multilingual, alphabetical „Somnia Danielis“
Collation, Frankfurt/Main 1982.
DIE TRAUMTHEORIE IN IHRER GESCHICHTLICHEN ENTWICKLUNG 173
Praktiken wie die Divination aus den vier Elementen und das mit der
Glaskugel heutiger Wahrsager verwandte Spiegelorakel sowie das ebenfalls
anrüchige Loswerfen, die sogenannten „Sortes Apostolorum“ .420
Im Mittelalter konnte man auch für die Deutung von als bedeutungsvoll
angesehenen nächtlichen Erlebnisse auf bereits im Altertum
entstandene Ideen und Anleitungen zurückgreifen. Die antike Lehre
von den vier Körpersäften enthielt unter anderem die Beobachtung,
daß viele Träume physisch bedingt sind. Die Mediziner zogen daraus
Rückschlüsse auf die allgemeine Disposition und momentane Verfassung
ihrer Patienten. Albertus Magnus widmete deshalb in seinem
Aristoteles-Kommentar dem hohen diagnostischen und prognostischen
Nutzen des Traumes ein eigenes Kapitel.421 Belege für diese Verwendung
des Traumes sind freilich, obwohl die Amtskirche nichts dagegen
einzuwenden hatte und eine Selbstzensur der medizinischen Autoren daher
nicht wahrscheinlich erscheint, eher selten.422 Immerhin findet sich
ein vereinzeltes Zeugnis in einem im 12. Jahrhundert ins Lateinische
übersetzten Werk des persischen Arztes Rasis (gest. 930). Die aus dem
späten 15. und frühen 16. Jahrhundert datierende mittelhochdeutsche
Fassung des den Traum betreffenden Abschnittes hat G. HOFFMEISTER
vorgelegt.423 Ein fälschlicherweise Arnald von Villanova zugeschriebenes
Traumbuch, das noch ausführlicher vorgestellt werden soll,
enthält eindrückliche Beispiele für die Traumankündigungen verschiedener
Erkrankungen und empfiehlt allen Ärzten, sich ernsthaft mit dieser
nützlichen Diagnosemethode zu befassen.424 Schließlich bezeugt auch
420 Vgl. zu diesen Formen der Mantik HARMENING, Superstitio, S. 103 f. u. 191
ff. sowie Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens. Hg. von H. BÄCHTOLDTSTÄUBLI
– E. HOFMANN-KRAYER, 1-9, Berlin 1927-42, Bd. 5, Losen: S. 1351
ff. (BOEHM); Bd. 9 Nachtrag, Spiegel: S. 547 ff. (BIELER).
421 Albertus, De somno et vigilia, lib. Ill,2 ca.p. 1, S. 197 f. Zu seinem Werk siehe
oben, Kapitel 3.4 dieser Arbeit.
422 Nach P. DIEPGEN, Traum und Traumdeutung als medizinisch-naturwissenschaftliches
Problem im Mittelalter (Berlin 1912, S. 38), übergehen die wichtigsten
medizinischen Lehrwerke des Mittelalters die Traumdiagnose mit Schweigen.
423 G. HOFFMEISTER, Rasis Tra.umlehre: Traumbücher des Spätmittelalters, AKG
51 (1969), s. 137-159.
424 De Prognosticatione sompniorum libellus Gulielmus de Aragonia adscriptus, ed.
R. A. PACK: ADHL 41 (1966), S. 237-297; S. 169. Eine ausführliche Besprechung
folgt an anderer Stelle in diesem Kapitel.
174 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
der bereits genannte italienische Dominikaner Jacopo Passavanti, daß zu
seiner Zeit, also Mitte des 14. Jahrhunderts, die Traumdiagnose in verschiedenen
Ländern Europas praktiziert wurde.425
An den pseudowissenschaftlichen Ruf der Astrologie knüpften die
sogenannten Traumlunare oder Mondtraumbücher an. Diese Deutungsmethode
berücksichtigte die Zeit, zu welcher der Schläfer den Traum
hatte und gab gemäß der entsprechenden Mondposition Auskunft darüber,
ob und wann das Gesehene allenfalls in Erfüllung gehen würde.426
Derartige Verzeichnisse stehen wegen ihrem prognostischen Anspruch in
einer engen Verwandtschaft mit den eigentlichen Traumbüchern, und
beide wurden wohl häufig parallel, d. h. zusammen benutzt. Diese Vermutung
bestätigt L. MARTIN, der in zahlreichen Codices neben dem
von ihm neu herausgegebenen „Somniale Danielis“ auch solche Lunarien
gefunden hat.427 Überhaupt keinen Bezug auf den Inhalt des Traumgesichts
nehmen die unter dem Titel „Somnile Josephi“ zirkulierenden
Traum-Losbücher. Deren Benutzer hatte nach einigen einleitenden Gebetsformeln
den Psalter aufzuschlagen und den ersten ihm in die Augen
fallenden oder mit Hilfe eines spitzen Werkzeuges angestochenen Buchstaben
mit der alphabetisch geordneten Interpretationsliste des Losbuches
zu vergleichen. Um zu einer passenden Traumdeutung zu gelangen,
konnte man die benötigten Anfangsbuchstaben auch mittels Würfeln
oder Kartenlegen ermitteln, was den im Grunde areligiösen und rein
zufa.lligen Charakter des Verfahrens noch stärker hervortreten läßt.428
425 Jacopo Passavanti, Trattato de‘ Sogni, S. 244.
426 Andere Speziallunare wiederum behandelten beispielsweise den Einfluß des Mondes
auf die Genesungschancen Kranker oder die zukünftige Berufstätigkeit von Neugeborenen.
Vgl. dazu etwa Ch. WEISSER, Studien zum mittelalterlidten Krankheitslunar:
Ein Beitrag zur Geschichte laienastrologischer Fachprosa ( = Würzburger
medizinhistorisdte Forschungen 21), Diss. med. Würzburg, Pattensen 1982, S. 13 ff.
427 L. MARTIN, S. 13 ff.; zusätzlich war das Somniale Danielis auch noch mit Listen
über günstige und ungünstige Tage („Dies aegyptici“), mit dem nachstehend
erläuterten Ps.-Josephischen Losbuch und den Ps.-Edras, einer Reihe von auf die
Tage des Jahres bezogenen Weissagungen, vergesellschaftet.
428 Zur Wertung der verschiedenen Formen des Losens bei den mittelalterlichen Theologen
HARMENING, Superstitio, S. 191 ff. Vgl. auch das abfällige Urteil der Tiefenpsychologin
J. JACOBI, Traumbücher (Ciba-Ztsch. 9,99 (1945), S. 3567-80; 3571),
die diese Art- Orakel als billige Ware bezeichnet und deren Schöpfer der Ausbeutung
von in seriöser Absicht geschriebenen Traumbüchern bezichtigt.
DIE TRAUMTHEORIE IN IHRER GESCHICHTLICHEN ENTWICKLUNG 175
Versuche zur differenzierten Interpretation von Träumen sind bereits
seit den Ägyptern bekannt. Jolanda JACOBI verweist diesbezüglich
auf die erstaunlichen Aussagen auf einer altägyptischen Papyrusrolle aus
der Zeit der 12. Dynastie (ca. 200ü-1750 v. Chr.). Dieses nur als Fragment
bekannte älteste Traumbuch bot bereits unterschiedliche Deutungen
für dasselbe Traummotiv an, indem es die Existenz von zwei verschiedene
Menschentypen voraussetzte.429 Die Griechen interessierten
sich ebenfalls sehr für die Traumdeutung und traten das Erbe der Babylonier
an, deren Wissen sie uns überlieferten. Eine ganze Reihe historischer
oder mythologischer Personen soll sich mit der Trauminterpretation
beschäftigt haben.430 Aristoteles unterzog als erster die überkommenen
Vorstellungen einer kritischen Analyse, ohne dem Traum allerdings
seinen mantischen Wert völlig abzusprechen.431 Im 2 . Jahrhundert nach
Chr. unternahm dann wiederum ein Grieche, Artemidoros Daldianos,
den Versuch, das damals bekannte Wissen über den Traum weiträumig
zu sammeln und zu einer systematischen Darstellung zu verarbeiten, wobei
er die Motive nach den sechs Grundbegriffen Natur, Gesetz, Sitte,
Zeit, Kunst und Namen ordnete.432
Von Artemidoros Werk sind nicht nur die im Mittelalter zirkulierenden
Traumbücher, sondern sogar die heute angebotenen Traumlexika
und Deutungsratgeber direkt oder indirekt abhängig. Dies gilt auch für
das „Somniale Danielis“, welches im Mittelalter zweifellos das wichtigste
und berühmteste Werk dieser Gattung war. Es handelt sich dabei um ein
in Prosa verfaßtes, alphabetisch geordnetes Verzeichnis von Traummotiven
mit den traditionellen Deutungen. In der Einleitung wird als Verfasser
der alttestamentliche Prophet Daniel genannt, was offensichtlich die
Autorität der dem Leser vorgelegten Interpretationen erhöhen sollte und
es wird wie schon bei Artemidor darauf hingewiesen, daß jede Deutung
auch die persönlichen Lebensumstände des Träumers berücksichtigen
müsse. Das nachfolgende Beispiel bedarf kaum eines Kommentars; es
429 JACOBI, Traumbücher, S. 3573 f.
43° FISCHER, The Complete Medieval Dreambook, S. 6.
431 Darauf verweist M. ÖNNERFORS, Überlieferungsgeschichte, S. 32. Für die diesbezüglichen
Schriften des Aristoteles siehe oben, Kapitel 3.4.
432 JACOBI, Traumbücher, S. 3547. Vgl. die psychologische Studie von C. BLUM,
Sturlies in the Dreambook of Artemidorus (Phi!. Diss. Uppsala 1936) sowie auch
S. R. F. PRICE, From Freud to Artemidor, Past and Present 1 1 3 (1986), S. 3-37.
176 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
handelt vom erhofften Gewinn, der im Traumbild von einem einfachen
Symbol, dem fruchttragenden Baum angekündigt wird:
„Arborem cum fructu viderit, lucrum exsperatum significat.“433
Auch heute unmittelbar verständlich sind etwa die Aussagen über im
Traum erscheinende Raben:
„Corvos videre significat rixas habere.
Corvum audire cantare significat planctum.
Corvum super se videre volare significat periculum.
Corvum videre tollere de domo significat mortem vel perditione.“434
Wie FISCHER klar gezeigt hat, handelt es sich in der großen Mehrzahl
der Sprüche um Traumtopoi aus der Antike, wozu noch einige speziell
christliche Symbole und Deutungsspielarten kommen. Der psychologische
Wert solcher festgefügter Interpretationsmuster bleibt deshalb sehr
fragwürdig, obwohl einige Sprüche von einfühlender Beobachtung zeugen
mögen.
Über die Entstehungszeit dieser vor allem für die mittelalterliche
Literaturgeschichte und für die Mentalitätsforschung hochinteressanten
Quelle hat sich zuletzt A. ÖNNERFORS geäußert. Seiner Meinung nach
datiert der in der Originalform nicht mehr erhaltene griechische Urtext
frühestens aus dem 4. Jahrhundert n. Chr., und die Übertragung durch
einen griechischstämmigen Gelehrten dürfte wohl nicht allzulange danach
erfolgt sein. ÖNNERFORS weist diesbezüglich auf eine frühe lateinische
Handschrift in einem medizinischen Sammetkodex in Uppsala
hin.435 Eine zweite frühe Handschrift ist neuerdings von L. MARTIN
entdeckt worden und datiert aus dem Beginn des 9. Jahrhunderts.436
433 FISCHER, Complete Medieval Dreambook, S. 148. Übersetzung: Einen Baum
mit Früchten sehen bedeutet den erhofften Gewinn.
434 FISCHER, Dreambook, S. 120: Raben sehen bedeutet Streit haben./ Raben
singen hören bedeutet Trauer./ Raben über sich fliegen sehen bedeutet Gefahr./
Raben von einem Haus wegziehen sehen bedeutet Tod oder Verlust. Übers. der
Verfasserin.
435 ÖNNERFORS, S. 35 ff. Die Entstehungszeit des Kodex ist in der 2. Hälfte des
9. Jahrhunderts anzusetzen, die verwendete Sprache deutet aber auf eine Vorlage, die
aus der Zeit von 500 bis 800 stammen muß.
436 L. MARTIN, S. 24 f. Es handelt sich um Ms. Harley 3017 des British Museum
in London.
DIE TRAUMTHEORIE IN IHRER GESCHICHTLICHEN ENTWICKLUNG 177
Das Mißtrauen, ja die teilweise schroffe Ablehnung, welche die karolingischen
Theologen dem Traumglauben entgegensetzten, konnte also
die Verbreitung und damit auch die Benutzung des „Somniale Danielis“
nicht verhindern. Die im 10., 1 1 . und 12. Jahrhundert angefertigten
Abschriften in verschiedenen Teilen Europas zeugen von der anhaltenden
Beliebtheit dieses Traumbuches. Dabei darf nicht vergessen werden,
daß diejenigen, welche die Vorlagen entziffern, abschreiben und vorlesen
konnten, ebenfalls aus kirchlichen Kreisen stammten, da die Schriftlichkeit
während des Hochmittelalters praktisch auf den Klerus beschränkt
war. Es war also keineswegs so, daß alle Vertreter der Kirche sich strikte
an die theoretische Forderung, abergläubische Praktiken zu meiden, gehalten
hätten.
Eine Aufgliederung der in der Textform und im Umfang erheblich
voneinander abweichenden Handschriften nach drei Überlieferungsgruppen
hat L. MARTIN anläßlich seiner Neuedition vorgelegt.437 Zu den von
ihm zu diesem Zweck eingehend analysierten zweiunddreißig Manuskripten
aus vorwiegend englischen und italienischen Archiven gesellen sich
noch fünfzig weitere heute bekannte Handschriften hauptsächlich aus
dem französisch-spanischen und aus dem deutschen Sprachraum und es
ist anzunehmen, daß eine gezielte Suche gerade in diesen Gebieten noch
mehrere Manuskripte oder wenigstens Textfragmente zu Tage bringen
würde.438 Eine nach den Angaben von MARTIN und ÖNNERFORS,
sowie GRUB439 erstellte tabellarische Übersicht (vgl. Tab. 1 und 2) der
insgesamt zweiundachtzig Handschriften zeigt bei Berücksichtigung der
normalen Verlustrate von mindestens neunzig Prozent, daß das Interesse
für praktisch anwendbare Deutungsregeln im ganzen Hochmittelalter
vorhanden war. Die Verbreitung erfaßte offenbar auch geographisch
weitere Kreise, um dann im Spätmittelalter (14./15. Jahrhundert) ganz
Europa zu überschwemmen. Parallel zu den lateinischen Abschriften ent-
437 MARTIN, S. 4 ff. u. 63 ff.
438 So erwähnt zum Beispiel L. DESLISLE, Inventaire des Mss. de Ia Bibliotheque
Nationale, Paris 1874, S. 372, einen Codex 557 aus dem Kloster Cluny, welcher in die
Mitte des 12. Jahrhunderts datiert und am Anfang eine „Expositionem somniorum
Nabuchodonosor“ enthält.
439 Vgl. MARTIN, S. 13 ff u. 60 f., ÖNNERFORS, S. 38 f., sowie Jutta GRUB,
Das lat. Traumbuch im Codex Upsaliensis C 664 (=Lat. Sprache und Literatur des
Mittelalters 19) Diss. phil. Köln, Frankfurt/Main 1984, S. LII f.
Zelt Italien
0. Jb. Uppsnla: Univb.
Upsaliensis C 664
10. Jb.
Vaticana:
Pal.lat. 235
11. Jh.
Vnticana:
Ms Reg.Lat. 567
.Vercelli:
Bibi.Cnpit. Ms LXII
12. Jb.
13. Jh.
Franz. Sprachgebiet England Deutsches S()raehgeblet
aus Fleury:
Brit.Mus. Harley 3017
Paris: Wien Hofbibl. Ms 271
Bibi.Nat. Ms lat. 1845 Wien Nat.bibl. Ms 2723
Brit.Mus. Sloane 475 München St.Bibl. 14377
evt. auch 10. Jb.:
Brit. Mus. Cotton Tiberius A.m
Brit.Mus. Cotton Titus 0.26
Wien Nat.bibl. Ms 1878
Cambridge: Wien Nat.bibl. Ms 14 303
Pembroke Colleg􀂮 Ms 103 Wien Nnt.bibl. Ms 2245
evt. nuch 12. Jh.:
1
Cambridge Corp.Christi Ms 466
Oxrord Bodleian Ms Digby 86
Cnmbridge Corp.Christi Ms 481
Paris: Bodleinn Ms Seiden Supra 74
Mazarine Ms 3550 Brit.Mus. Slonne 3281
Tabelle 1 : Verbreitung der lateinischen Handschriften und Fragmente
des „Somniale Danielis“ im 9.-13. Jahrhundert
Andere Gebiete
Madrid:
ßibl.nac. Ms 10063
Budapest:
Nnt.Mus. Ms 50
I
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N
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􀂌
Zelt Italien
14. Jh. Ambrosiana:
Ms T.81 sup.
Vaticana:
Ms lat.6207
15. Jh.
Florenz:
Laurenziana
A3hburn 1724
Florenz:
Riccardiana Ms 859
Venedig:
Marciana Ms Vll.33
16. Jh.
UD- Vaticana:
datiert Pal.lat. 1321
Fran1. Sprachgebiet Encland Deutsches Sprachgebiet
Brit.Mus. add. 15236 München St.Bibl. Ms 5125
Cambridge Univ. Gg.l.l
Brit.Mus. Royal l 2 C.xii Erf“urt Amploniana Ms Q.21
Brit.Mus. Royal 8. E.x Erf. Amploniana Ms Q.186
Brit.Mus. Royal 13 D.i Kassel Lb. Ms 2° iurid.25
engl. Privatbesitz B.S. Cron Ktwel Lb. Ms 4° iurid.37
Cambr. Corp.Christi Ms 301 Wien Nat.Bibl. Ms 5154
oxrord: Wien 5239 (Ö.36)
Bodleian Digby 81 St. Gallen Stiftsb. Ms 1050
Bodleian Mss. 177, 581
Paris Ars􀄆nal Ms 873 Brit.Mus. Egerton 847 􀂑 St. Gallen Stiftsb. Ms 304
Paris Bibi.Nat. Cambr. Trinity Ms 0.1. 7 Bcrlin Staatsb. Ms 70
Ms lat. 7340 Oxford All Souls MS 81 I. Vs. Vaticana Pai.Lat. 1880
Vendöme Ms 245 Bodleian Ms Lyell 35 Bern Stadtb.:
Vaticnna Reg. lat. 1420 Donga.rsiana Ms 556
Brü=l: London: Leiptig Univb. Ms 036
Bibi. royale d., Ducs Welkome Hist. ZÜrich:
de Bourgogne Ms 2367 Ms.S08 St.arch. Ms Cl01/467
München St.Bibl. Mss Ö 7746,
ö 1802114, ö 25005
Oxf. All Souls Ms 81 2. Vs. München:
Cambr. Ttinity Ms 0.8.21 St.Bibl. Ms 26639
Cambr. Univ. Ms li.VI.l7
Brit.Mus. Sloane 3542
Paris: Dertin Dt.Staatsb.:
Maznrine Ms 3642 Thcol.quelle Ms I 0
München St.Bibl. Ms 14377
München St.Bibl. Ms 15613
Wien Naüibl. Ms 5239
Tabelle 2: Verbreitung der lateinischen Handschriften und Fragmente
des „Somniale Danielis“ im 14.-16. Jahrhundert
Andere Gebiete
Budapest:
Nat.Mus. Ms 405
Uppsala:
Univb. Cod. B 48
Niederlande:
Wellcome !Iist.
Ms 517
Salamanca:
Bibi.Univ. Ms 2262
Prag:
Archivum Capituli
Metropolitani Ms 503
!
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Zeit Frnnz. Sprachgebiet Engand Dt. Sprachgebiet andere Sprachen
1. Jh. Brit.mus. cotton Tiberius All AE
2. Jh.
3. Jh. Paris Bibl.nat. Ms 1553 AF
3/14. Jh.Bibl.nat. Ms 12786 AF
4. Jh.
4/15. Jh.
5. Jh.
Brüssel Brit.Mus Harleian Ms 2253 ME irisches Ms
Bibl.Roy. 10547-85 AF Landsdowne Ms 388 ME walisisches Ms
Brit.Mus. Sloane 16CXl ME
Paris St-Genevieve 2255 AFCambridge Trinity o.g.37 isländisches Ms:
Reg.12. EJCVI ME Berlin Ms. germ.oct.101 MD Kopenhagen
Tabelle 3: Verbreitung der volkssprachlichen Handschriften des „Somniale Danielis“
(AE=Altenglisch, ME=Mittelenglis<h, AF=Altfranzösisch, MD=Mittelhochdeutsch)
AM. 764
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DIE TRAUMTHEORIE IN IHRER GESCHICHTLICHEN ENTWICKLUNG 181
standen im 1 4 . Jahrhundert in England und im 15. Jahrhundert in Frankreich,
Deutschland sowie Island auch volkssprachliche Varianten, von
denen mir vierzehn bekannt geworden sind (vgl. Tab. 3).440 Schließlich
nahm sich am Ausgang des Mittelalters die aufblühende Buchdruckerkunst
dieses beliebten Textes an und sorgte für eine Verbreitung des
„Somniale Danielis“ in noch größerem Umfang.441
* * *
Neben dem „Somniale Danielis“ gab es noch einige andere Bücher, welche
man für die Traumdeutung konsultieren konnte. In Byzanz verfaßte
Pascalis Romanus im Jahre 1165 den „Liber thesaurus occultus“ .442 Der
Autor war seinem Namen nach wahrscheinlich ein aus Italien stammender
Kleriker; von ihm sind ferner noch drei andere Schriften überliefert
worden.443 – Das byzantinische Traumbuch ist in drei Teile gegliedert,
wobei das erste Kapitel im Sinne einer allgemeinen Einführung die Phänomene
Schlaf und Traum sowie dessen Klassifikation nach Makrobius
behandelt. Die beiden anderen Teile bilden dann das eigentliche Nachschlagewerk
mit den geläufigen Traummotiven und deren Interpretationen.
Der dritte Teil gedieh allerdings kaum über den Anfang hinaus und
eine Ergänzung (III, 3-15) scheint später hinzugefügt worden zu sein.444
Dieses Material stammt aus der Übersetzung des in griechischer Sprache
verfaßten Traumbuches des Achmet durch den Italiener Leo Thscus,
welche nach den Untersuchungen von A. DONDAINE nicht vor 1 1 75/6
440 Diese Tabelle gemäß den Angaben von FISCHER, S. 13 ff. und ÖNNERFORS,
s. 43 f.
441 Eine annähernd vollständige Liste von sechsunddreißig Inkunabeln bot bereits
Maurice HEL IN, Le Clef des Songes, Paris 1925 (S. 91 ff.), während dann ÖNNERFORS
(S. 47) 38 Frühdrucke in vier unterschiedliche Text-Rezensionen aufteilen
konnte.
442 Paris, Bibi. nat. lat. 16610, Beschreibung aller Manuskripte und Diskussion der
Beziehungen durch die Editorin Sirnone COLLIN-ROSET, ADHL 38 {1963), S. 1 1 1 –
198; S. 118 ff. Die handschriftlime Überlieferung beruht auf insgesamt fünf Manuskripten
aus dem 12. bis zum 14. Jahrhundert, von denen aber nur zwei den
vollständigen Text enthalten. Collin stützt sich auf das Manuskript der Pariser Nationalbibliothek
aus dem 13. Jahrhundert, welches ihrer Ansicht nach über zwei Zwischenabschriften
vom verlorenen Original abhängig ist.
443 Vgl. dazu COLLIN-ROSET, S. 1 1 2 ff.; Textedition S. 141-198.
444 COLLIN-ROSET, S. 1 1 7 ff. 131 ff. 138 ff.
182 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
datiert.445 Paschalls Romanus hat seinen Stoff teilweise aus dem griechischen
Original des Achmet geschöpft, welches im Westen erst durch die
Übersetzung von Leo Thscus bekannt wurde. Er hielt sich zwar eng an
diese und andere heute verlorene Vorlagen, die aus dem orientalischen
und mediterranen Raum gestammt haben dürften, bemühte sich jedoch,
alle heidnischen Spuren zu eliminieren und hin und wieder eine eigene
Bemerkung oder Deutung einzufiechten.446
Auch gegen Ende des Spätmittelalters fand der „Liber thesaurus
occultus“ noch immer Beachtung, wie eine von Hans Lobenzweig um
die Mitte des 15. Jahrhunderts angefertigte Fassung in deutscher Sprache
beweist. Die Edition dieses Textes legte W. SCHMITT vor, allerdings
ohne die Identität seiner lateinischen Vorlage mit dem Werk
des Pascalis Romanus zu erkennen.447 – Lobenzweig hat Paschalls Romanus‘
Text als sein eigenes Werk ausgegeben; zudem kürzte er die
Vorlage willkürlich und brachte sie in die lockere Form eines Dialogs,
welcher in der mittelalterlichen Fachprosa ein recht häufig gebrauchtes
Kunstmittel darstellte.448 Das Büchlein ist nur in zwei Manuskripten erhalten;
SCHMITT vermutet, daß dieser karge Befund sich mit der im
Spätmittelalter erneut strengeren Verurteilung aller mantischen Praktiken
durch die Kirche erklären lasse.449 Ob allerdings nur schon der Besitz
einer solchen Handschrift den Eigentümer in der Epoche der beginnenden
Hexenverfolgungen ernsthaft gefahrdete, kann mit dem Hinweis auf
die gleichzeitig in großer Zahl existierenden Handschriften des „Somniale
Danielis“ füglieh bezweifelt werden.
445 A. DONDAINE, Hughes Etherien et Leon Thscan, ADHL 19 (1952), S. 67-134;
121 f. Diese Übersetzung wird aber von G. HOFFMEISTER, Rasis Traumlehre, AKG
51 (1969} S. 138, immer noch auf 1165 datiert, da er die französischen Forschungen
offenbar nicht zur Kenntnis genommen hat.
446 COLLIN-ROSET, S. 130 ff.
447 W. SCHMITT, Das Traumbuch des Hans Lobenzweig, AKG 48 (1966), S. 181-
218, Edition S. 201-215. Schmitt stützte sich offensichtlich ausschließlich auf ältere
Literatur, denn der von ihm als anonym angeführte Traktat „Expositio sompniorum“
Paris, Nat. Bibi. 16610 wurde ja schon 1963 von COLLIN-ROSET als Grundlage
ihrer Edition bekannt gemacht, wobei der Kodex nach ihrer Darstellung (S. 118) auch
den Namen des Autors aufführt.
448 SCHMITT, S. 195.
449 Für die Manuskriptbeschreibung vgl. SCHMITT, S. 188 ff.; die These eines
potentiellen Risikos bei Besitz von mantischen Schriften auf S. 191.
DIE TRAUMTHEORIE IN IHRER GESCHICHTLICHEN ENTWICKLUNG 183
Das jüngste der hier vorzustellenden Traumbücher stammt aus dem
spanischen Raum. Es wurde lange als Werk des berühmten katalanischen
Arztes Arnald von Villanova angesehen und in den frühen Drucken seiner
medizinischen Schriften unter dem Titel „Expositiones visionum que
fiunt in somnis ad utilitatem medicorum non modicam“ mitediert.450
Erst L. THORNDIKE und nach ihm wieder R. A. PACK haben erkannt,
daß diese Zuordnung falsch sein muß.451 Die Urheberschaft wird
in einer Pariser Handschrift des Textes einem Wilhelm von Aragon zugeschrieben.
Ein anderes Manuskript nennt Arnald als Verfasser und eine
weitere Handschrift sucht das Traumbuch einem „frater Albertus“, also
wohl Albertus Magnus zu unterschieben, während in den restlichen vier
Handschriften kein Autor aufgeführt wird.452 – Über Wilhelms Person ist
nur sehr wenig bekannt; er verfaßte höchstwahrscheinlich einen Kommentar
zu „De consolatione philosophiae“ des Boethius; in einem Colophon
dazu wird er als Magister der Medizin bezeichnet.453 Eine von PACK
vorgenommene Stil- und Inhaltsanalyse des Traumbuches und des 1335
abgeschlossenen Boethiuskommentares lassen den Schluß zu, es handle
sich bei beiden Schriften wirklich um denselben Autor.454 Der Hinweis
auf Wilhelms beruflichen Werdegang erklärt auch die häufige Verwendung
von medizinischen Fachausdrücken im Traumbuch, die dann wohl
dazu beitrugen, daß man so lange an eine Urheberschaft des Arnald von
Villanova glaubte.
Einleitend bekennt sich Wilhelm zum platonischen Glauben an die
geistige Natur der menschlichen Seele, die im Schlaf zur Erkenntnis
höherer Wahrheiten gelangen könne. In theoretischen Ausführungen
450 Erstausgabe durch B. de Gabiano, Opera Arnoldi de Villa Nova, Lyon 1504, S.
38Q-383.
451 L. THORNDIKE, The History of Magie and Experimental Science, Bd. 2, New
York 1929, S. 301; R. A. PACK, ADHL 41 {1966), S. 238 f., wo er gegen die fehlerhafte
Zuweisung an Arnald durch P. DIEPGEN Stellung nimmt.
452 Nach R. A. PACK, S. 237 f. – Sechs der sieben Handschriften bewahren den Text
vollständig, alle Mss. stammen aus dem 14. und 15. Jahrhundert und werden durch
den Herausgeber auf S. 248 ff. ausführlich besprochen.
453 Vgl. dazu W. SCHUM, Beschreibung des Verzeichnisses der Amplonianischen
Handschriften Sammlung zu Erfurt, Berlin 1937, S. 250 f. Ferner schreibt ihm L.
THORNDIKE, S. 301, einen unter dem Namen „Magistri Gwillelmi de Arragonia“
zirkulierenden Kommentar zu einem Pseudo-ptholemäischen „Centiloquium“ zu.
454 PACK, S. 239 f.
184 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
stützt sich der Autor dann auf Aristoteles‘ Lehre von der Rolle der
Gestirne, deren erleuchtender Einfluß letztlich von Gott stamme und
deren Wirkung auf den Menschen Wilhelm in sieben verschiedene Stufen
einteilt.455 Diese Wirkungen können, sofern sie nicht nur den Körper
betreffen bzw. völlig unbewußt ablaufen, im Schlaf bei Wegfall der ablenkenden
Sinneseindrücke wahrgenommen werden. Wenn es sich nicht
gerade um klare Orakel oder direkte Zukunftsschau handelt, benötigen
diese Wahrnehmungen als Träume einer Deutung.456 Die Symbole des
Traumes sind nach Wilhelms Meinung meistens dem Reich der Natur
entnommen, so daß z. B. ein wildes Tier einen schlimmen Feind darstellt.
Dennoch empfiehlt der Verfasser, daß bei der Interpretation immer die
sozialen Umstände des Träumers sowie der gute oder böse Ausgang der
geträumten Szene zu beachten sei.457 Wilhelms Medizinstudium wurde
bereits erwähnt. Deshalb verwundert es nicht weiter, daß er den Wert
der Traumdeutung für die ärztliche Diagnose und Prognose an konkreten
Beispielen erläutert, die teilweise aus seiner eigenen Berufspraxis stammten.
458 Die Überlegungen zur Frage, wie rasch sich denn Träume zu verwirklichen
pflegen, leitet über zur astrologischen Deutungsmethode, die
wir bereits bei der Vorstellung der Traumlunare kennengelernt haben.
Die weiteren Kapitel bilden dann den zweiten Teil, in dem Wilhelm die
einzelnen Traummotive und ihre Deutungen gemäß der traditionellen
Symbolik des Tierkreises bespricht.459
* * *
Der Gebrauch von Traumbüchern ist uns nicht nur durch die erhaltenen
Handschriften solcher Texte bezeugt. Mehr oder weniger deutlich
formulierte Hinweise finden sich auch in einigen der bisher vorgestellten
Polemiken gegen diesen naiven Traumglauben. Die älteste in der
Sekundärliteratur dazu zitierte Belegstelle stammt aus dem Werk des
Liutprand von Cremona (gest. nach 971}. Liutprands Bemerkung über
die am byzantinischen Kaiserhof benutzten „Visiones Danielis“ bezieht
sich jedoch, wie schon HELBLING-GLOOR zu Recht festgestellt hat,
455 PACK ediert den Text auf S. 256-283, cap. I,1, und 5-7, S. 256 u. 258 f.
456 Cap. I,8, S. 264.
457 Cap. I,9, S 264.
458 Cap. I,10, S. 269.
459 Cap. II,1-12, S. 271 ff.
DIE TRAUMTHEORIE IN IHRER GESCHICHTLICHEN ENTWICKLUNG 185
nicht auf das „Somniale Danielis“ sondern auf eine Sammlung von politischen
Prophezeiungen.460 Die Benutzung von schriftlichen Listen im
Sinne von Gedächtnisstützen darf man vielleicht schon bei jenen ‚Somniatorum
coniectores‘, also Traumdeutern, voraussetzen, deren semiprofessionelle
Tätigkeit in der Karolingerzeit nur indirekt über dagegen gerichtete
Verbote bezeugt ist. Für diese Hypothese spricht die vermutliche
Entstehungszeit der lateinischen Übertragung aus dem griechischen
Original zwischen 500 und 800 nach Chr.; dazu paßt auch die kritische
Erwähnung von Traumdeutungen unter Berufung auf den Propheten Daniel
in den Capitula des spanischen Bischofs Martin von Braga (gest.
579).461 Zweifelsfrei beschrieben wird das Wirken eines Traumdeuters
am Hofe des Erzbischofs Adalbert von Bremen sodann im 1 1 . Jahrhundert;
der Chronist Adam nennt sogar den Namen jenes Mannes, der als
Wahrsager großen Einfluß auf den Bischof ausübte. Möglicherweise bezieht
sich auch die in einem Brief Hildegards von Bingen an einen Mönch
des Zisterzienserklosters Ebrach462 formulierte Warnung vor Traumdeutungsversuchen
auf die Verwendung eines Traumschlüssels. Die Abschrift
der Traumbücher lag jedenfalls zu dieser Zeit in den Händen von
Klerikern, so daß der Besitz eines solchen mantischen Nachschlagewerkes
für das Kloster Ebrach, dem Wohnort des Adressaten, nicht von
vornherein ausgeschlossen werden kann.
Ausdrücklich erwähnt wird das unter dem Namen Daniels zirkulierende
Traumbuch dann wieder im 12. Jahrhundert und zwar bei Johannes
von Salisbury, der sich ja sehr ernsthaft mit dem Problem der
Trauminterpretation befaßte. Er räumt ein, daß bei Berücksichtigung
der Mehrdeutigkeit der Symbole durchaus sinnvolle Traumdeutungen
denkbar seien und spricht in diesem Zusammenhang sogar von einer
Kunst. Wer aber leichtgläubig Träumen vertraut, weicht nicht nur vom
rechten Glauben, sondern auch vom Pfad der Vernunft ab. Die von dem
Gelehrten herausgearbeitete grundsätzliche Mehrdeutigkeit der Symbole
460 Die These stammt von THORNDIKE, A History of Science, Bd. 2, London 1923,
S. 293, HOFFMEISTER, S. 145 übernimmt sie unbesehen, dagegen äußern sich B.
HELBLING-GLOOR, Polikratius, S. 88 u. Anm. 330 und zuletzt ÖNNERFORS, S.
35 f.
461 Identifizierung des im Decretum Gratiani überlieferten Passus nach HARMENING,
Superstitio, S. 107 und 109.
462 Siehe oben, Kapitel 3.3.2 dieser Arbeit.
186 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
kann seiner Meinung nach gar nicht genug betont werden, weil der auf
eine Deutung erpichte Mensch nur allzu leicht eine Interpretation bevorzugt
und eine andere ebenso sinnvolle unbemerkt fallenläßt. Die Mehrdeutigkeit
läßt sich nach Johannes‘ Ansicht schließlich auch als Argument
gegen den Gebrauch von Traumbüchern verwenden:
„Daraus erhellt sich, daß das Traumbuch, das den Namen Daniels
trägt, kraft der Autorität und der Wahrheit abgetan ist, da es die
einzelnen Dinge, wie vorher gesagt wurde, auf einzelne Bedeutungen
einengt; davon braucht wohl nicht ausführlicher gesprochen zu
werden, weil die ganze Überlieferung dieser Art untauglich ist und
das undeutliche Deutungsbuch in unverschämter Weise durch die
Hände der Neugierigen geht.“463
Wahre Traumdeutung kann nach Johannes‘ Auffassung im Grunde genommen
nur aus einer göttlichen Eingebung heraus entstehen. In dieser
Weise hatte der von dem Traumbuch fälschlicherweise als Autor in
Anspruch genommene Prophet Daniel vor König Nebukadnezar dessen
Traum zunächst richtig erraten und dann gedeutet. Auch Joseph, dem
Sohne Jakobs, wurde die Gabe der Traumdeutung von Gott als besondere
Gnade verliehen, um ihm den Aufstieg in die höchste Staatsstelle
Ägyptens zu ermöglichen.464 Obwohl Johannes eine göttliche Erleuchtung
in diesem Sinne auch für seine Gegenwart nicht prinzipiell ausschließen
möchte, stellt er mit seiner Aufforderung, es diesen Propheten
gleichzutun, alle selbsternannten Traumdeuter bloß.465 Einen weiteren
Beweis für die Verwerflichkeit der üblichen Traumdeutung sieht
der Gelehrte in der Tatsache, daß sie meistens gewerbsmäßig betrieben
wurde. Die Habsucht als Motiv einer solchen Tätigkeit erlaubt es ihm,
die ‚Coniectores somniorum‘, wie er die Berufsdeuter nennt, in die Liste
der von jedem Christen zu verabscheuenden Wahrsager und Magier
aufzunehmen.466 Für den träumenden Menschen selber gelten die durch
463 Lib. II, cap. 17, S. 97 f.: Unde patet conjectorium, qui nomine DanieliJ in$cribi·
tur, auctoritatiJ et veritati$ robore de$titutum, cum Te$ $ingula$ $inguliJ $ignificatio·
nibU$ arcet; de quibu3 non uidetur latiu$ ezequendum, cum tota huiu$modi $it inepta
traditio, et uagu$ coniectorum liber per curio.,orum manu$ impudenter diJcurrat.
Übers. nach B. HELBLING-GLOOR, S. 88.
464 Lib. II, cap. 17, S. 97 ff.
465 Lib. II, cap. 17, S. 97.
466 Lib. I, cap. 12, S. 52.; lib. li, cap. 27, S. 151 f.; Bd. 2, S. 49.
DIE TRAUMTHEORIE IN IHRER GESCHICHTLICHEN ENTWICKLUNG 187
die christliche Religion gegebenen Werte. Wenn Bilder diesen widersprechen,
stammen sie ohne Zweifel aus dem sinnlichen Begehren oder von
bösen Geistern, die auf diese Weise den Menschen bedrängen.467 Neben
der weise anmutenden Warnung vor unflex.iblen Deutungsmustern
operiert Johannes als Priester natürlich auch mit moralischen Kategorien.
Zusammen mit der scharf verurteilten Käuflichkeit von Wahrsagern
weist er auch die unziemliche Neugier ihrer Kunden bezüglich der
Zukunft zurück. Schließlich gibt er dem Einzelnen zur Beurteilung irgendwelcher
beunruhigender Träume mit der christlichen Religion einen
allgemein gültigen Maßstab in die Hand.
Ebenfalls noch im 12. Jahrhundert wurde das Traumdeutungsverbot
durch den Bologneser Juristen Gratian ins Dekret übernommen.
Neben der Beachtung von nach alter ägyptischer Tradition günstigen
und ungünstigen Tagen, der Vogelschau zu Wahrsagezwecken und dem
Loswerfen wird im Decretum Gratiani auch der Gebrauch von Traurnbüchern
verdammt. Die Rede ist dabei:
„( … ) von jenen, welche Traumbücher beachten, welche fälschlicherweise
den Namen Daniels tragen.“468
Diese Bestimmung geht allerdings nicht wie Gratian annahm, auf den
Kirchenvater Augustinus zurück, sondern auf die im 6. Jahrhundert entstandenen
„Capitula“ des Bischofs Martin von Braga. Der klare Einbezug
derartiger Traumdeutungsmethoden in die Liste der abergläubischen
Verhaltensweisen durch Gratian und die spätmittelalterlichen Theologen
führte dazu, daß die Traumschlüssel zusammen mit anderen mantischen
Schriften im 16. Jahrhundert auf den Index der den katholischen
Gläubigen offiziell verbotenen Bücher gelangten.469
Auch Albertus Magnus erwähnt in seinem Traktat über Schlaf und
Traum Methoden zur Traumdeutung. Seine Äußerungen sind wohl auf
die astrologisch abgestützte Interpretation mittels sogenannter Traumlunare
zu beziehen. Getreu seiner grundsätzlichen Bejahung der Möglichkeit
von astrologischen Prognosen enthält sich der große Scholastiker
hier nicht nur jeder Kritik, sondern hält eine kunstvolle Deutung der
467 Lib. II, cap. 17, S. 97.
468 Decretum Gratiani, pars II, causa 26, quaest. 7, can. 16. Ed. E. FRIEDBERG,
Corpus Iuris Canonici, Leipzig 1879, repr. Graz 1955, S. 1045: Sive qui adtendunt
3omnialia 3Cripta, et fabo in Danieli8 nomine intitulata.
469 M. HELIN, Le Clef, S. 32.
188 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
Analogien sogar für etwas Lobenswertes, wenn dabei die seelische und
körperliche Verfassung des Träumers gebührend berücksichtigt wird.470
Eine interessante Polemik findet man dann ein knappes Jahrhundert
später bei dem italienischen Dominikaner Jacopo Passavanti. Neben den
bereits im Kapitel über die spätmittelalterliche Traumdiskussion vorgestellten
theologisch begründeten Überlegungen finden sich bei diesem
Autor aber auch Argumente aus dem Bereich der persönlichen Erfahrung,
die er gegen die naive Traumgläubigkeit ins Feld führt. So ersucht
er seine Leser beispielsweise darauf zu achten, wie selten scheinbar
auf die Zukunft deutende Traumaussagen sich tatsächlich verwirklichen.
Ihre Seltenheit erlaubt dem Autor, sie als reine Koinzidenzien, also als
zufällige Übereinstimmungen ohne echten, d. h. ursächlichen Zusammenhang
zu erklären. Außerdem habe er selbst als Kind öfters sogenannte
Todesträume gehabt und sei nun, während er dies schreibe, bereits über
fünfzig Jahre alt.471 Aus dieser und ähnlichen Erfahrungen erweist sich
für Passavanti die Falschheit der Trauminterpretation nach starren Deutungsmustern
hinlänglich. Trotzdem rechnet er noch mit Widerspruch
aus dem Kreis professioneller Traumdeuter. Diese würden, auf solche
Weise in die Enge getrieben, wahrscheinlich behaupten, daß sich manche
Träume erst nach einem größeren Zeitintervall verwirklichen würden
und zwar gemäß der Stunde des nächtlichen Erlebens. Zwar ist dem
Verfasser die astrologische Theorie zur Begründung dieser Vorstellung
offensichtlich geläufig, doch macht er seine Leser nüchtern darauf aufmerksam,
daß es völlig unsinnig sei, beispielsweise zwanzig Jahre auf die
Verwirklichung eines Traumes zu warten.472 – Nach Passavantis Beobachtung
gibt es freilich Leute, die eine Veranlagung zu wahren Träumen
haben; diese Begabung wäre jedoch abhängig von der Konstitution, der
Affektlage und vom Beruf. Daneben kennt er auch Menschen, die nie
träumen, sowie solche, die immer nur zu bestimmten Zeiten träumen.
Diese Beobachtung von individuellen Unterschieden beweist nach seiner
Meinung ebenso wie die Existenz von gutem und schlechtem Erinnerungsvermögen
bei verschiedenen Träumern wiederum klar, daß die An-
47° Für das wörtliche Zitat siehe oben, Kapitel 3.4 der vorliegenden Arbeit.
471 Jacopo Passavanti, Trattato de‘ Sogni, S. 276.
472 Ebenda, S. 280.
DIE TRAUMTHEORIE IN IHRER GESCHICHTLICHEN ENTWICKLUNG 189
wendung von starren Deutungsregeln notwendigerweise in die Irre führen
muß.473
Ein letzter indirekter Hinweis auf die Verwendung von Traumbüchern
stammt schließlich von Aeneas Sylvius, der seine Erzählung vom
Traumbericht des Kaisers Friedrich 111. mit der vielsagenden Bemerkung
einleitete, es gäbe freilich auch Leute, die den Gebrauch von Deutungsschemata
nach der Art Daniels und Makrobius‘ ablehnten.474
473 Ebenda, S. 278 f.
474 Aeneas Sylvius Piccolomini, Die Geschichte Kaiser Friedrichs 111. Übers. v. Tb.
ILGEN, Geschichtsschreiber der dt. Vorzeit 88-89, Bd. 2, S. 86. Siehe auch oben,
Kapitel 3.5 der vorliegenden Arbeit.
4. DER TRAUM ALS PERSÖNLICHES ERLEBNIS
4.1. VORBEMERKUNGEN ZUR TYPOLOGIE UND DEUTUNG
Raoul MANSELLI hat in einem Aufsatz zum Traum in der mittelalterlichen
Tradition475 grundsätzlich klargestellt, daß uns aus dieser Epoche
nur ein Bruchteil der jeweils am Morgen noch erinnerten Träume
überliefert worden ist. Das erscheint auf den ersten Blick selbstverständlich,
wirft aber die Frage nach den Auswahlkriterien bzw. der Mentalität
desjenigen auf, der bestimmte Traumerlebnisse als besonders bedeutungsvoll
betrachtete und deshalb durch die Niederschrift vor dem Vergessen
zu retten versuchte. Im Gegensatz zur Antike unterschied man im
Mittelalter ja nicht nur zwischen wahren und falschen Träumen, sondern
auch nach deren Ursprung. Es gab theoretisch immer die Möglichkeit,
daß ein Traumbild von Gott stammte, und dessen Botschaft bezog sich
dann meistens in irgendeiner Weise auf die Zukunft.
MANSELLI hat es unternommen, eine dreiteilige Typologie solcher
vorausschauenden Träume herauszuarbeiten.476 In diese Kategorie lassen
sich zunächst die Aufforderungs- und Ankündigungsträume einordnen,
welche in der vorliegenden Untersuchung in ihren verschiedenen Formen
dargestellt werden sollen. In ähnlicher Weise müssen natürlich auch
die ermahnenden und oft mit direkten Drohungen verbundenen Träume
auf die nahe Zukunft bezogen werden. Als dritte Untergruppe nennt
Manselli schließlich noch das Motiv der traumimmanenten Erklärung,
welches bereits in den spätantiken Deutungsschemata477 auftauchte und
den wahren Sinn von sonst unverständlichen oder im ersten Versuch
falsch gedeuteten Träumen offenbaren soll. Diese hauptsächlich anhand
von hagiographischen Quellentexten entwickelte Typologie charakterisiert
präzis die im Mittelalter dem Traum üblicherweise entgegengebrachte
Einstellung und Erwartung. Sie vermag aber die Fülle und
475 R. MANSELLI, Il sogno come premonizione, consiglio e predizione nella tradizione
medieva.le, in: T. GREGORY (Hg.), I sogni nel Medioevo, S. 219-244; S. 222
mit Anm. 4.
476 Ebenda, S. 223 ff.
477 Vgl. dazu Kapitel 3.1 und 3.2.1 der vorliegenden Arbeit.
DER TRAUM ALS PERSÖNLICHES ERLEBNIS 191
Vielfalt der erhaltenen Traumberichte nicht annähernd wiederzugeben,
so daß es gerechtfertigt erscheint, dieses Material auch unter anderen,
mehr thematisch ausgerichteten Aspekten zu untersuchen.
Ein besonders schwieriges Problem stellt sich bei der Interpretation
der Träume. Aus der vorgestellten Typologie geht bereits hervor, daß
die Menschen im Mittelalter ihre Träume zu deuten versuchten, indem
sie überlegten, wer ihnen den Traum gesandt haben mochte und was
das Geschaute dann für die Zukunft bedeuten könnte. Auch in den
Traumbüchern ging es um die Frage, wie sich ein bestimmtes Traummotiv
im Leben des Träumers verwirklichen würde. Deshalb erscheint es eigentlich
naheliegend, die erfaßten Traumbilder bzw. die gegebenen Deutungen
wenigstens mit dem besonders weit verbreiteten „Somniale Danielis“
zu vergleichen. Anhand der berühmten Autobiographie des Abtes
Wibert von Nogent hat Jean-Claude SCHMITT jedoch gezeigt, daß die
authentischen Traumberichte auf intuitive Weise unter Einbeziehung der
konkreten Lebenssituation des Betroffenen gedeutet wurden und dies
ohne erkennbaren Beizug von irgendwelchen Traumschlüsseln.478 Was
der französische Mediävist exemplarisch an einem größeren Quellentext
für den Umgang mit Träumen festgestellt hat, gilt nach meinen eigenen
Untersuchungen fast durchgehend; deshalb soll in den folgenden
Ausführungen das „Somniale Danielis“ nur ausnahmsweise zur Interpretation
benutzt werden.479 Die große Diskrepanz zwischen der Beliebtheit
der in zahlreichen Manuskripten überlieferten Traumbücher und dem
Schweigen über die Benutzung derartiger Texte im Einzelfall bei der
anschließend an die Traumerzählung erfolgten Deutung bleibt also als
ungelöstes Forschungsproblem bestehen.
In der folgenden Untersuchung werde ich bewußt weitgehend darauf
verzichten, Träume aus dem Mittelalter mit tiefenpsychologischen Deutungsmustern
zu bearbeiten, sie also im Sinne von S. FREUD auf ver-
478 J. C. SCHMITT, Rever au XII siede, in: T. GREGORY (Hg.) I sogni nel
Medioevo, S. 291-316; 309 f.
479 Siehe dazu unten, Kapitel 4.7 der vorliegenden Arbeit, wo die Symbolik behandelt
wird. – Bei den fiktiven Träumen in literarischen Werken haben wir es mit einer
anderen Ausgangslage zu tun. Der Dichter ist um der Verständlichkeit willen eher
auf die standardisierte Bedeutung von Symbolen angewiesen und mag daher Träume
öfters nach dem Muster der gängigen Nachschlagewerke konstruiert haben. Ein erster
Versuch, solche Beziehungen nachzuweisen, stammt von St. FISCHER, Dreambooks
and the Interpretation of Medieval Literary Dreams, AKG 65 (1983), S. 1-20.
192 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
borgene Triebwünsche abzusuchen oder sie gemäß der Psychologie von
C. G. JUNG als bildliehe Darstellung von seelisch-geistigen Prozessen
zu interpretieren und ihnen damit einen archetypischen Charakter zuzusprechen.
480 Ausgehend von der moderneren These, wonach der Traumprozeß
mit der Speicherung und Integration von neuen Informationen zu
tun haben könnte, daß also frische Eindrücke jeweils nachts mit älteren
Erfahrungen und erinnertem W issensgut verglichen würden481, werde
ich die Traumberichte aus dem Mittelalter zunächst einfach als Spiegel
des damaligen psychischen Lebens auffassen. Diese allgemeine Definition
ist zwar keineswegs die einzig mögliche These, hat aber doch den Vorteil,
daß sie bekarmte Traummotive wie Wünsche, Sorgen und Konflikte
nicht ausschließt, sondern erlaubt, diese als Reaktionen auf konkrete Erlebnisse
und Empfindungen während des Tages zu betrachten und damit
als Hinweise auf schwelende Probleme ernstzunehmen.
4.2. GESUNDHEIT UND KRANKHEIT IM SPIEGEL DES TRAUMS
Seit dem 19. Jahrhundert versuchten verschiedene Forscher durch Reize,
die von außen an den Schläfer herangeführt wurden, Träume zu erzeugen.
482 Auch in modernen Schlaflaboratorien haben solche Experimente
stattgefunden. Dabei hat man bei Lärm im Zimmer, beim Besprühen
des Schläfers mit Wasser, beim Bestreichen mit Wattebäuschen oder
beim Bewegen von einzelnen Gliedmaßen durch Drittpersonen hie und
da entsprechende Traumbilder beobachten können. Solche Außenreize
oder bestimmte aus dem Körper selber stammende Empfindungen werden
jedoch in völlig unvorhersagbarer Weise in eine bereits ablaufende
Handlung eingebaut, so daß man heute von einer Traumbeeinflussung,
jedoch nicht mehr von einer Traumerzeugung durch Reize spricht.483
Auch die antiken Kirchenväter und mit ihnen die theologisch gebildeteren
Geistlichen des Mittelalters wußten bereits von der körperlichen
48° C. G. JUNG hat beispielsweise für den sexuellen Akt im Traum eine Deutung
a.ls Vereinigung von gegensätzlichen Prinzipien wie Mann und Frau sie darstellen,
vorgeschlagen und auch an die Befruchtung der Materie durch den Geist gedacht.
Vgl. dazu: Über die Energetik der Seele, Zürich 1945, S. 46 f. u. 62 f.
481 Vgl. dazu etwa. Chr. EVANS – P. EVANS, Landscapes of the Night: How a.nd
Why We Drea.m, London 1983, S. 154 ff.
482 N. FINK. Lehrbuch, S. 22 ff.
483 Vgl. R. BOSSHARD, Traumpsychologie, S. 42 ff. u. 159 f.
DER TRAUM ALS PERSÖNLICHES ERLEBNIS 193
Bedingtheit mancher Träume. Im Gegensatz zu den mehrheitlich materialistisch
orientierten Forschern des 19. Jahrhunderts betrachteten sie
die Reizverarbeitung aber nicht als die einzige Erklärung, sondern nur
als einen von vielen möglichen Entstehungsfaktoren, wie bei der Darstellung
der mittelalterlichen Traumtheorie verschiedentlich gezeigt werden
konnte. Unter Berufung auf Aristoteles machte Albertus Magnus auch
bereits auf die disproportionale Vergrößerung der Reizursachen in den
entsprechenden Traumbildern oder Szenen aufmerksam.484
Es liegt auf der Hand, daß, obwohl es an Traumberichten aus dem
Mittelalter sonst nicht mangelt, gerade solche banalen Alltagserfahrungen
kaum aufgezeichnet wurden. Deshalb muß für das, was man in gehobener
Sprache als ‚Fäkalientraum‘ bezeichnen könnte, ausnahmsweise
auf einen literarischen Text zurückgegriffen werden. Es handelt sich dabei
um ein Gedicht des Walahfrid Strabo (gest. 849), der während der
karolingischen Blütezeit des Klosters Fulda in der dortigen BenediktinerGemeinschaft
lebte und dem man unter anderem eine Versfassung der
wohl berühmtesten Jenseitsvision des Mittelalters, die „Visio Wettini“
verdankt. Walahfrid schrieb auch kleinere Gelegenheitsdichtungen wie
eben das derbe Spottlied auf einen Mönch namens Pollachar, der im
Traum vom Göttervater Jupiter durch seinen Adler zum Aufstieg in
höhere Sphären aufgefordert worden sei. Während seiner Reise durch
die Lüfte habe Pollachar aber das Bedürfnis verspürt, sich vor der Ankunft
im Himmel zuerst der leiblichen Lasten zu entledigen und diesem
Drang auch nachgegeben:
„Darauf sprach der Adler: „Es ist absurd, daß jener, welcher die hohen
Orte besudelt mit seinem Dreck, in den Thronsaal der Götter getragen
werden soll. Kehr also zurück und betrachte das beschmutzte
Lager, in das du zurückfällst und hoffe niemals mehr, dich mit deinem
Schmutz zu den Sternen zu erheben.“ Erwachend sah sich der
Betreffende heruntergeschleudert vom Himmelsgewölbe; in seinem
Bett liegend packte ihn die Erbitterung. Oh Scham und Frevel, er
wurde getäuscht durch trügerische Gesichte!“485
484 Albertus Magnus, De somno et vigilia, lib. 11,2, cap. 2, S. 171.
485 Walahfrid Strabo, De quodam somnio ad Erluinum. PL 114, Sp. 1117: Hic
aquila, ab3urdum e3t, divini& 􀂴edibu􀂴, inquit/ ln􀂴erere, a􀂴pergat qui loca ce/Ja lue.j
Ergo redi et 􀂴trati 3orde3 intende relap3u􀂴f Nec rursu3 3pere􀂴 3ordibu􀂴 a􀂴tra 3equi.j
194 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
In diesen Versen wird offensichtlich auf ein Bettzeug und Kleid in Mitleidenschaft
ziehendes Mißgeschick des schlafenden Mönches angespielt. 486
Ebenfalls aus dem klösterlichen Milieu, aber aus dem 13. Jahrhundert,
stammt die Erzählung des Salimbene de Adam über einen von
zu vielem Essen hervorgerufenen Schrecktraum. In der Provence verzehrte
ein Minorit in einem dem Ideal der Askese zuwiderlaufenden Anfall
von Freßlust eines Abend allein ein ganzes Rebhuhn. Gegen Morgen
verspürte er dann mehrmals einen heftigen Stich in der Bauchgegend, so
wie wenn er von einer Faust geschlagen worden wäre. Dadurch halb aus
dem Schlaf gerissen, glaubte der Erschrockene die Stimme eines Dämons
zu hören, welcher ihm verschiedene Verfehlungen gegen den franziskanischen
Ordensgeist vorhielt.487 Es war also auch im 13. Jahrhundert
noch möglich, ein auf natürliche Weise entstandenes körperliches Unbehagen
als Werk des bösen Feindes zu deuten bzw. in eine entsprechende
Traumszene umzusetzen.
Caesarius von Heisterbach (gest. nach 1240) griff das T hema des
Leibreiztraumes in seiner schon öfters zitierten Episodensammlung ebenfalls
auf, wobei es wieder um das Motiv der Nahrungsaufnahme ging. Er
berichtet von einem Mönch, der sich in seinem weltlichen Leben – er war
vor seinem Eintritt in den Zisterzienserorden Kanoniker der Apostelkirche
in Köln – den Genuß von viel Fleisch angewöhnt hatte. Danach
wurde er im Kloster immer wieder von Gelüsten nach dieser verbotenen
Speise geplagt. Der Teufel habe ihn sogar im Schlafe versucht, indem er
ihm einmal, als er während des Chorgebetes leicht einnickte, eine Platte
mit Fleischgerichten vorgaukelte. Der Träumer sah die Fleischstücke direkt
vor seinem Mund liegen und begann wie ein Hund davon zu essen,
schämte sich aber sogleich seines tierischen Benehmens und zog den Kopf
wieder zurück. Dabei schlug er hart an die hinter seinem Platz befindliche
Mauer und wurde so recht unsanft geweckt. Ebenfalls im Kloster
Heisterbach soll nach Caesarius‘ Bericht ein Laienbruder das ihm in einer
E11igilan& quidquid &upero &ibi vi&u& ab azef Fundere, per leeturn repperit ire &uum./
Pro pudor atque nefa&, 1!i&i& deceptu& iniqui&. Prosaübers. der Verfasserin.
486 Harnträume bei gefüllter Blase sind im Alltag wahrscheinlich häufiger, doch ist
mir dafür aus dem Mittelalter bisher kein Beispiel bekannt geworden.
487 Salimbene de Adam, Chronica, Bd. 2, S. 830 f.
DER TRAUM ALS PERSÖNLICHES ERLEBNIS 195
ähnlichen Traumsituation vorgelegte Fleisch gierig verzehrt, in Wirklichkeit
aber die hölzerne Lehne seines Kirchensitzes angenagt haben.488
* * *
Besser als für alltägliche Leibreizträume ist die Quellenlage für Träume,
die drohende Krankheiten noch vor deren Ausbruch anzeigten. Die theoretische
Diskussion über den prognostischen Nutzen der Träume für die
Medizin setzte wie wir bereits gesehen haben, im 13. Jahrhundert ein489,
obgleich das Phänomen an sich schon vorher bezeugt wurde. Betrachten
wir dazu eine Episode aus dem 10. Jahrhundert, welche der von Propst
Gerhard verfaßten Vita des Bischofs Ulrich von Augsburg entnommen
ist. Auf Grund dieser nach dem Hinschied Ulrichs (gest. 972) entstandenen
Lebensbeschreibung wurde der charismatische Bischof 983 heilig
gesprochen; der Verfasser kannte Ulrich persönlich sehr gut, war er doch
selber vom Bischof zum Priester geweiht worden und weilte später als
geistlicher Betreuer an dessen Sterbelager. Man darf Gerhards erstaunliche
Aussagen deshalb nicht sofort ins Schema der hagiographischen Topik
einordnen und ihnen damit jede Glaubwürdigkeit absprechen. Vielmehr
müssen die von damaligen Zeitgenossen als wunderbar betrachteten
prophetischen Fähigkeiten Ulrichs und anderer Heiliger mit modernen
Beobachtungen zur paranormalen Wahrnehmung verglichen werden. 490
Durchaus im Rahmen des psychologisch Erklärbaren bewegt sich
die vom Hagiographen überlieferte Episode eines Straftraumes, der von
den Zeitgenossen mit Ulrichs übernatürlichen Fähigkeiten in Zusammenhang
gebracht wurde. Nach Gerhards Bericht erschien der Bischof noch
zu seinen Lebzeiten einer Nonne im Traum und kündete ihr eine Bestrafung
an, weil sie seinen Anordnungen nicht sofort Folge geleistet hatte.
Nach dem Wunsch des Konvents hätte die Frau entsprechend ihrer Vorkenntnisse
das Amt der Kellermeisterin übernehmen sollen, und diese
Verfügung war von Ulrich bestätigt worden. Am Morgen nach diesem
488 Caesarius v. Heisterbach, Dialogus miraculorum, lib. IV, cap. 82 u. 83, S. 249 f.
489 Siehe oben, Kapitel 3.4 der vorliegenden Arbeit. Beispielsweise konnte nach
J. Passavanti (Trattato de‘ Sogni, Bd. 2, S. 263 f.) ein Traum, in dem man sich
verspottet sieht, neben vielen Rückschlüssen auf die seelische Situation des Träumers
auch ein erstes Anzeichen für den Befall innerer Organe durch Würmer enthalten.
490 Siehe meinen diesbezüglichen Versuch in Kapitel 4.5 und 4.6 der vorliegenden
Arbeit.
196 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
Gesicht konnte die Frau tatsächlich weder aufstehen noch gehen und
blieb gelähmt, bis nach einiger Zeit der anläßtich einer Kirchweihe den
Ort besuchende Bischof die Strafe aufhob. – Die Erscheinung Ulrichs
läßt sich meines Erachtens hinreichend aus den mit der Befehlsverweigerung
einhergehenden Schuldgefühlen erklären, welche sich im Traum in
der Gestalt des charismatischen Bischofs personifizierten und zur Strafdrohung
verdichteten, ohne daß der Heilige selber etwas davon zu wissen
brauchte. Die daran anschließende plötzliche Erkrankung und das ebenso
schlagartige Verschwinden des Symptoms mußten die Zeugen dieses Vorfalls
wirklich beeindrucken, und so schrieb man ihn Ulrich als Wunder
zu. Die Schilderung der Umstände lassen heute freilich in diesem Falle
eher an eine hysterische Konversion denken.491
Hysterische Konversionserscheinungen sind selbstverständlich nicht
an den Traum gebunden und können für manche der in mittelalterlichen
Mirakelberichten von Klerikern aus ihrer religiösen Sicht als Wunder
beschriebenen und oft ziemlich dramatischen Heilungserlebnissen als
Erklärungshypothese herangezogen werden.492 Der expressive Charakter
491 Zum psychologischen Begriff und zur Symptomatik vgl. Leo RANGELL, Die
Konversion, in: G. und A. OVERBECK (Hg.), Seelischer Konflikt und körperliches
Leiden: Reader zur psychoanalytischen Psychosomatik, Harnburg 1978, S. 17 ff.
492 Mit dem Konversionsbegriff arbeitete meines Wissens als erster Historiker P.
A. SIGAL, welcher der französischen Annales-Forschung nahesteht. In einer exemplarischen
Analyse ermittelte er nämlich, daß gemäß einem Mirakeltext aus Reims
50 % der Geheilten unter Lähmungen und anderen Krankheiten des Bewegungsapparates
gelitten hatten und weitere 16 % den in Reims verehrten hl. Gibrian wegen
Blindheit oder schweren Sehstörungen aufsuchten, daß also Leiden vorherrschten, die
theoretisch u.a. auch auf Hysterie zurückgeführt werden können. P. A. SIGAL, Maladie,
pe!erinage et guerison au xrr• siede: !es miracles de saint Gibrien a Reims,
Annales ESC 24,3 (1969), S. 1522-1539; 1527. Eine speziell den Strafwundern gewidmete
Untersuchung legte er vor unter dem Titel: Le chätiment divin au xr• et
xn• siede d’apres Ia Iitterature hagiographique du midi de Ia France, Cahiers de Fanjeaux
11 (1976), S. 39-59. Ebenso bezog dann R. FINUCANE die Konversion als eine
Erklärungsmöglichkeit für mittelalterli<he Mirakel in Betracht. Vgl. R. FINUCANE,
The Use and Abuse of Medieval Miracles, History 60 (1975), S. 1-10, und ders., Miracles
and Pilgrims: Popular Beliefs in Medieval England (London 1977), bes. S. 79
ff. Er ließ sich aber dadurch zu einer Überbewertung von „natürlichen“ Erklärungen
verführen und stritt die Möglichkeit von wunderbaren Heilungen ganz ab. – Diese
doch recht einseitigen Analysen zu verfeinern und andere, ebenso wichtige psychologische
Elemente des Mirakels zur Diskussion zu stellen, war das Ziel meiner LizentiatsDER
TRAUM ALS PERSÖNLICHES ERLEBNIS 197
der Konversion wird jedoch in Traumberichten oft besonders deutlich.
Die „Miracula s. Trudonis“, deren erster Teil von einem im Kloster St.
Trond (heute in Belgien) beheimateten zeitgenössischen Berichterstatter
kurz nach 1012 verfaßt wurde493, bieten hierzu ein gut bezeugtes und
sehr anschauliches Beispiel. Die Erzählung handelt von einer leibeigenen
Magd, die als Kleinkind von wohlhabenden Leuten nach damaligem
Brauch an das Kloster des hl. Trudo geschenkt worden war. Als
die ehemalige Besitzerin realisierte, welch fähige Arbeitskraft in diesem
Mädchen herangewachsen war, bereute sie ihre frühere Großzügigkeit gegenüber
dem Kloster, und sie zwang die Magd in ihren eigenen Dienst
zurück. Das Mädchen zeigte sich aber unerwartet widersetzlich und bezichtigte
ihre Herrin des sündhaften Wortbruches. Deshalb wurde sie zu
einer weiter von St. Trond entfernt wohnenden Verwandten der Besitzerfamilie
geschickt, wo sie besonders hart arbeiten mußte. Die Magd
grämte sich sehr und wurde nicht müde, den Klosterpatron Trudo um
Beistand anzuflehen. Schließlich erschien der Heilige im Traum und sicherte
ihr seine Hilfe zu. Zum sichtbaren Zeichen, daß diese Magd in
seinem und in keinem anderen Dienste stehen solle, legte er ihr eine
eiserne Kette um die Brust und den rechten Arm. Als die Träumerin
erwachte, fand sie Arm und Hand gelähmt und an die rechte Körperseite
geheftet. Weil die junge Frau nun zu keiner Arbeit mehr zu gebrauchen
war und man ihr trotz Untersuchung der Gliedmaßen keinen Betrug
nachweisen konnte, führte man sie ins Kloster zurück. Vor dem Altare
des heiligen Trudo löste sich während der Gebete aller Anwesenden die
Lähmung. Ein erneuter Versuch, die Magd aus dem Kloster zu holen,
resultierte wiederum in derselben Symptombildung. So mußte die Herrin
ihren Besitzanspruch schließlich aufgeben, und die vor dem Altare Trudos
nochmals von der Lähmung befreite Magd kehrte froh in den Kreis
des Klostergesindes zurück.
Es ist leicht nachzuempfinden, daß der abrupte Milieuwechsel bei
dieser Frau intensive Gefühle der Fremdheit und der persönlichen Ohnarbeit
an der Universität Zürich, welche in gekürzter Fassung veröffentlicht werden
konnte: M. BUTSCH, Historische und psychologische Aspekte mittelalterlicher Mirakelberichte,
Zeitschrift f. Parapsych. u. Grenzgebiete der Psychologie 27 {1985),
s. 209-233.
493 Miracula Trudonis Hasbaniensis, Liber primus BHL 8326. Ed. Acta Sanctorum
ordinis s. Benedicti Bd. VI,2, S. 85-91, Nr. 11.
198 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
macht erzeugte. Die geträumte Szene mit den Ketten stellte nicht nur
die Loyalitätsverpflichtung gegenüber dem als Herrn des Klosters angesehenen
Heiligen bildlich dar, sondern verdeutlichte vor allem auch den
Wunsch, nicht der neuen, ungeliebten Herrschaft dienen zu müssen. Die
in der gesellschaftlichen Realität der Leibeigenschaft nicht praktizierbare
aktive Verweigerung der Arbeit setzte sich schließlich als eine willentlich
nicht beeinflußbare Lähmung im körperlichen Bereich durch. – Diese
Schilderung zeigt deutlich, daß die Konversionssymptome keineswegs immer,
wie FREUD als Entdecker des Phänomens noch glauben konnte,
von sexuellen Konflikten herrühren müssen. Die Konversion dient ganz
allgemein dazu, seelische Spannungen durch Abführung in den Körper
erträglicher zu machen, wenn es aus irgendeinem Grund nicht gelingt,
sie durch überlegtes, zweckgerichtetes Handeln aufzulösen. In welcher
Weise die Entlastung dann abläuft, wird offensichtlich durch konfliktbezogene
Phantasien bestimmt, was in diesem Traum exemplarisch sichtbar
wird.494
Psychische Vorgänge dieser Art können sich auch in anderen Symptomen
als nur der Lähmung körperlich manifestieren. Die berühmte
Prügelstrafe im Traum des Kirchenvaters Hieronymus, die sich der Heilige
durch seine eifrige Cicerolektüre zuzog, soll auf der Haut deutliche
Spuren hinterlassen haben. Es gibt zahlreiche ähnliche Beispiele aus hagiographischen
Quellentexten, die von Dom P. ANTIN referiert worden
sind.495 In vielen Fällen läßt sich jedoch kaum mehr unterscheiden, ob es
sich bei einer derartigen Traumerzählung um hagiographische Topik oder
aber um echte Traumberichte handelt, welche die gängigen Vorstellungen
spiegeln. Teilweise könnten sie nach dem Muster von Hieronymus‘
Erzählung angefertigt worden sein, häufig spiegelten sie den Konflikt von
Klerikern, die im Zuge ihrer rhetorischen Ausbildung Gefallen an heidnischen
antiken Autoren fanden, deren Gedankenwelt sich kaum mit den
christlichen Idealen vereinbaren ließen.496 Ganz allgemein entsprachen
494 L. RANGELL, Die Konversion, S. 36 f. und G. CONDRAU, Medizinische Psychologie:
Psychosomatische Krankheitslehre und Therapie, Olten 1968, S. 301.
495 P. ANTIN, Autour du songe de saint Jeröme, Revue etudes latines 41 (1963), S.
350-377.
496 Zur Beurteilung der Frage von Topos oder Erfahrungsbericht vgl. Hedwig RÖKKELEIN,
Othlo, Gottschalk, Tnugdal: Individuelle und kollektive Visionsmuster
DER TRAUM ALS PERSÖNLICHES ERLEBNIS 199
sie jedoch dem Sündenbewußtsein und Vergeltungsdenken des Mittela.lters.
Ein Beispiel für letztere Variante bildet nach meiner Ansicht das
Zeugnis des Benediktiners Othlo von St. Emmeram (gest. ca. 1070).
Er sammelte eine Reihe wunderbarer Träume und Visionen und stellte
an den Anfang vier persönliche Erlebnisse, in denen er seine eigenen
Schwächen ebensowenig beschönigt wie in seinem im Zusammenhang
mit dem Schlafverhalten der Mönche bereits vorgestellten Büchlein über
seine Versuchungen.497 Othlo schilderte in der dritten Episode den unangenehmen
Vorfall wie folgt: Während seines Aufenthaltes in Regensburg
als Gast des dortigen Klosters habe er in der Fastenzeit vor Ostern den
heidnischen Schriftsteller Lucan gelesen. In der Folge sei es ihm mehrere
Tage körperlich und seelisch nicht gut gegangen; in einem großen
Schwächeanfall habe er sich von einem Monster bedroht gesehen und
mit nur in seiner Phantasie vorhandenen Personen wirre Streitgespräche
geführt. Schließlich habe er dann nachts geträumt, daß er von einem
grausamen Mann lange mit Schlägen gezüchtigt werde. Jedesmal wenn
er um Gnade gefleht habe, hätte sein Peiniger noch heftiger zugeschlagen
und ihm einige frühere Vergehen vorgehalten. Völlig zerschlagen
erwachte Othlo aus diesem schrecklichen Traum und erinnerte sich dann
verwirrt an die berühmte Bestrafung des hl. Hieronymus. Deshalb fragte
er einen in derselben Kammer schlafenden Knaben nach nächtlichem
Lärm. Dieser hatte freilich nichts gehört, und auch die Rückenhaut des
armen Othlo war nicht völlig blutig geschunden, wie er dies zunächst erwartet
hatte, aber doch mit kleinen Schwellungen oder Beulen bedeckt.
Später, bei der Niederschrift des Berichtes, bezog Othlo das Erlebnis
auf einen früheren Traum, in dem er Christus um eine Bestrafung für
seine Sünden gebeten hatte. Zunächst wollte er aber den unmittelbaren
Sinngehalt dieser nächtlichen Züchtigung nicht wahrhaben. Es bedurfte
einer nochmaligen schweren Erkrankung mit Hautausschlag an Gesicht
und Körper sowie Lähmungserscheinungen an allen Gliedern, um ihn an
der geplanten Abreise aus Regensburg zu hindern und ihn gemäß seides
Hochmittelalters, Phi!. Diss. Freiburg i. Br. (=Europäische Hochschulschriften
III/319) Frankfurt/Main 1986, S. 41-57.
497 Othlo v. St. Emmeram, Liber de visionibus turn suarum, turn aliorum. PL 146,
Sp. 341-388. Das zweitgenannte Werk: Libellus de tentationibus suis, varia fortuna
et scriptis. PL 146, Sp. 27-58.
200 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
nem kindlichen Vorsatz zum Eintritt in die Mönchsgemeinschaft von St.
Emmeram zu bewegen. 498
In der geistlichen Autobiographie der Dominikanerin Margaretha
Ebner aus dem Anfang des 14. Jahrhunderts findet sich eine späte Reminiszenz
an solche Strafträume. Sie beschreibt den Zusammenhang
zwischen seelisch-religiösem Leben und der physischen Befindlichkeit mit
folgenden Worten:
„Ich markt auch, wenne unsere herre mit mir in dem schlafe schimphet,
daz mir dann etwaz liplichs unmuotz wolt wider varn. da ward
ich dann umb betrüebet und kum dann in daz gröst laid, daz ich got
minen willen niht gab, und im niht lebte an gedanken, an worten,
an werken und an aller abgeschidenhait.“499
Margaretha fühlte sich mit Gott in mystischer Weise verbunden und
hatte auch entsprechende Gnadenträume. Wenn die ohnehin häufig
kranke und lange Jahre auf Grund ihrer allgemeinen Schwäche ans Bett
gebundene Klosterfrau aber von Gottes Tadel träumte, so mußte sie,
wie sie die Erfahrung lehrte, mit einer Verschlimmerung ihres gesundheitlichen
Zustandes rechnen, was sie dann eben als Strafe für ihr noch
unvollkommenes Verhalten ansah.
Man wird Margaretha und auch Othlo nicht einfach als hysterisch
bezeichnen dürfen, denn wenn auch Anzeichen für Konversionssymptome
in den Texten zu finden sind, so kann man dem echten religiösen Empfinden
der Menschen im Mittelalter mit dem abwertenden Schlagwort Hysterie
nicht gerecht werden.500 Die subtilen Zusammenhänge zwischen
498 Othlo von St. Emmeram, Liber de visionibus, Sp. 347 ff., Nr. 3 und Ende von 2.
Ein Othlo in frühen Jugendjahren bekanntgewordenes Beispiel für einen Prügeltraum
erzählt er im Anschluß an seine eigenen Erlebnisse in Nr. 5, Sp. 357 ff. ebenda.
499 Margarethas Offenbarungen. Ed. Ph. STRAUCH, in: Margaretha Ebner und
Heinrich von Nördlingen, Freiburg i. Br. 1882, S. 9. Neuhochdeutsche Übertragung
durch die Verfasserin: Ich merkte auch, daß wenn un3er Herr mit mir im Schlafe
3Chimpft, die3 ein körperliche3 Übel ankündigt. In 3olchen Momenten war ich 3ehr
betrübt und härmte mich, daß ich Gott meinen Willen noch nicht geben konnte und
nicht 3einen Willen lebte in Gedanken, in Worten und Werken 3owie in der völligen
Zurückgezogenheit.
500 Gegen die voreilige Verwendung des Begriffs Hysterie für die im weitesten Sinne
erotischen Motive enthaltenden Erfahrungen der Mystikerinnen und weiblicher Heiliger
wendet sich zu Recht A. HAAS, Traum und Traumvision, S. 45 ff.
DER TRAUM ALS PERSÖNLICHES ERLEBNIS 201
Körper und Seele sowie die gegenseitigen Beeinflussungsmöglichkeiten
werden heute im Rahmen der medizinischen Psychosomatik neu diskutiert,
und die Zeugnisse aus dem Mittelalter verdienen gerade aus dieser
Sicht nicht Spott, sondern vermehrte Beachtung. 501
* * *
In bezug auf die Mentalitätsforschung stellen mittelalterliche Mirakelberichte
ein reiches, noch kaum ausgeschöpftes Quellenmaterial dar.502
Der an psychologischen Fragestellungen interessierte Historiker erhält
hier Einblick in die Sorgen und Gefühle einfacher Menschen, über deren
Seelenzustände und Einzelschicksale wir sonst sehr schlecht unterrichtet
sind. Solche Texte bieten ferner eine einzigartige Gelegenheit, etwas
über das Traumleben und das Traumverständnis von Angehörigen der
unteren Gesellschaftsschichten zu erfahren, wohingegen die meisten anderen
Traumberichte von Klerikern oder von Herrschern, also von Vertretern
einer gebildeten Elite stammen. Die Wunderberichte wurden
zwar ebenfalls von Klerikern verfaßt und viele dieser Erzählungen wurden
aus älteren Vorlagen übernommen und um der Ehre willen dem eigenen
Kirchenpatron zugeschrieben oder sogar einfach erfunden. Trotzdem
finden sich auch Notizen von Klerikern, die getreulich festhielten,
was sie entweder selber beobachten konnten oder was die Geheilten ihnen
über die näheren Umstände des Mirakels bezeugten. Bei einer kritischen
Prüfung der Texte läßt sich die Zuverlässigkeit des Berichterstatters oftmals
daran ablesen, ob er Namen oder wenigstens Herkunftsorte der
Geheilten kennt und ob er auch medizinische Einzelheiten des Leidens
überliefert. Wo diese Grundbedingungen erfüllt sind, wird man eine hie
und da erkennbare Tendenz zur sprachlichen Stilisierung und theologischen
Propaganda in Kauf nehmen. Bei den für diese Untersuchung
verwendeten Texten handelt es sich gemäß der genannten Kriterien ausnahmslos
um authentische Heilungsberichte, und wir dürfen deshalb die
501 R. BOSSHARD, Traumpsychologie, anerkennt sogar ausdrücklich die Existenz
von krankheitsankündigenden Träumen (S. 152). Er interpretiert sie als Reaktion
des Bewußtseins auf organische Veränderungen, welche zunächst nur im Zustand der
völligen Ruhe – also im Schlaf – wahrgenommen werden können.
502 Vgl. dazu die Dissertation von Constanze RENDTEL, Hochmittelalterliche Mirakelberichte
als Quelle zur Sozial- und Mentalitätsgeschichte und zur Geschichte
der Heiligenverehrung (Phi!. Diss. Berlin 1982) Düsseldorf 1985, mit Angaben zur
spezielleren Sekundärliteratur.
202 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
darin gelegentlich beschriebenen Träume als konkrete Erfahrungen betrachten,
die freilich wegen der erst einige Zeit später erfolgten Niederschrift
verkürzt oder auch leicht verändert sein können.
Wenn Träume bisweilen eine Strafe Gottes ankündeten, so zeigten
sie umgekehrt nach dem Zeugnis der Mirakeltexte vielen Kranken auch
die Gnade Gottes an. Nicht selten wurde den angesichts der sehr beschränkten
medizinischen Möglichkeiten an ihren Leiden beinahe verzweifelnden
Menschen eine Wallfahrt zu einem Kultort nahegelegt und
die Heilung durch den dort verehrten Heiligen versprochen (vgl. Abb. 1).
Eine solche Anweisung erhielt beispielsweise gegen Ende des 9. Jahrhunderts
Erchanbald aus Mauren, der mit schweren Appetitstörungen
geschlagen war. Der Mann hatte nach eigenen Aussagen seit siebenundzwanzig
Wochen einzig Gemüse und Eier, aber weder Fleisch, Brot, Bier
noch Wein zu sich genommen und magerte bis auf Haut und Knochen
ab. Als er sich schließlich kaum mehr auf den Beinen halten konnte und
mit seinem baldigen Tod rechnete, machte ihm im Traum eine sanfte
Stimme gerade diese Verzagtheit zum Vorwurf:
„Weshalb verzweifelst du denn an einem Heilmittel für dein Leben,
quälst dich in törichter Niedergeschlagenheit und schiebst deine Gesundung
hinaus? Handle also wie ich dir rate und eile, deiner Genesung
gewiß, zum Kloster in Monheim, wo du auf die Fürbitten der
seligen Walpurgis, der Jungfrau Christi, wiederhergestellt werden
wirst.“503
Vielleicht hatte Erchanbold sich bereits vorgenommen, nach dem Kultzentrum
der hl. Walpurgis in Monheim (Bayern) zu pilgern und wurde
im Traum an seinen Vorsatz erinnert. Möglicherweise hatte die Krankheit
ihren Höhepunkt auch schon überschritten und der neuerwachte Lebensmut
fand in dem geschilderten Traum Ausdruck. Jedenfalls machte
sich der Mann auf den Weg nach Monheim und trank dort, wie ihm die
503 Miracula s. Walburgis Monheimensia. Ed. A. BAUCH, Ein bayerisches Mirakelbuch
aus der Karolingerzeit. Die Monheimer Walpurgis-Wunder des Priesters
Wolfhard (=Eichstätter Studien 12) Regensburg 1979, lib. I, Nr. 19. S. 182 f.: „Gur“,
inquit, „de&idia langue&ci& inepta et &aluti& cura po&tposita tua de remedio de&peras
in vita? Age ergo, quod moneo, iam de corporis reparatione &ecurus, et ad monasterium
Mowanheim vade fe&tinus, ibique benedictae Walburgi& Virgini& Christi
reparaberi& precibus“. Übersetzung leicht verändert nach A. BAUCH.
DER TRAUM ALS PERSÖNLICHES ERLEBNIS 203
Traumstimme noch zusätzlich geraten hatte, vom Meßwein der Nonnen,
worauf er sofort einen gesunden Heißhunger verspürte.
Neben Träumen mit solch klaren und immer auf eine Wallfahrt abzielenden
Ratschlägen, auf die weiter unten nochmals eingegangen werden
soll504, gibt es vereinzelte Texte, in denen dieser Grundgehalt in eine
längere Szenenfolge integriert erscheint. So bezeugte ein Kleriker namens
Richard in der Grabkirche des hl. Gilbert zu Sempringham seine wunderbare
Genesung von einer schweren Halsentzündung. Als er bereits
fürchtete, an dieser Krankheit sterben zu müssen, träumte der Kleriker,
er bete in der Grabkirche Gilberts. In der nächsten Szene sah er dann
sich selbst, wie er seinen Kopf bis zu den Schultern in den sich öffnenden
steinernen Sarkophag schob. Noch im Traum nahm Richard das Nachlassen
der Schmerzen wahr. Erwachend betastete er seinen Hals und
fand nichts mehr von der krankhaften Schwellung, die ihm vorher so
große Pein verursacht hatte.505
Wahrscheinlich muß man bei diesem Traummotiv an jene manchmal
ziemlich großen Gucklöcher in den Steinsarkophagen denken, welche den
Gläubigen einen Blick auf die wunderwirkenden Gebeine der als Heilige
verehrten Verstorbenen ermöglichen sollten (vgl. Abb. 17). Im Traum
wurde diese dem kranken Kleriker sicher bekannte Einrichtung phantastisch
übersteigert, so daß er die Reliquien nicht nur sehen, sondern auch
mit dem kranken Körperteil berühren konnte. Damit verbesserten sich
nach der im Mittelalter durchaus üblichen magischen Vorstellung des
heilenden Kontaktes die Chancen einer Genesung erheblich. – Es liegt
daher nahe, auch diese Szene ähnlich wie die Traumstimme Erchanbolds
im Sinne von S. FREUD als eine Art Wunscherfüllung zu deuten.506 Die
von FREUD postulierte Traumzensur, welche den latenten Traumgedanken
zu einem manifesten Inhalt umwandelt507, wird man bei solchen
geträumten Genesungshoffnungen allerdings vergeblich suchen, denn ein
so legitimes Anliegen braucht sich kaum zu maskieren.
504 Siehe unten, Kapitel 4.3.2 der vorliegenden Arbeit.
505 De inquisitione miraculorum Gileberti de Sempringham. Ed. R. FOREVILLE,
Un proces de Canonisation a l’aube du XJJI• siecle (1201-1202): Le Iivre de Saint
Gilbert de Sempringham, Paris 1943, Alia miracula s. Gileberti. Nr. 25; S. 71 f.
506 S. FREUD, Die Traumdeutung (Wien 1900), Frankfurt/Main 1961, S. 110 ff.
507 Ebenda, S. 120 ff.
· ‚ttcd.. 􀃟• ·
􀃠u.􀃡l ftnu;WneC4‘..U’􀀒\·{ V1f
:·;::-� fr.lm..,.Wo&.tr.fußf.l..i
..-…. ‚ . .,
Abb. 17: Heiligensarkophag mit Öffnungen. Ein Gelähmter wird am Grabe Cuthberts geheilt.
Illustration einer Abschrift von Bedas „Vita s. Cuthberti“. Oxford, University College, Ms. 165.
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DER TRAUM ALS PERSÖNLICHES ERLEBNIS 205
Noch interessanter ist der Traumbericht eines seit drei Jahren an
den Beinen gelähmten Knaben namens Wilhelm, der bedingt durch den
Muskelschwund auch an allgemeiner Körperschwäche litt. Dem Heilungsbericht
zufolge hatte der Gelähmte bereits 1201 bei der ElevationsCeier
für den eben erst kanonisierten Magister und Ordensgründer Gilbert
von Sempringham versucht, die Heilung zu erlangen. Es geschah aber
zunächst nichts und nach dieser großen Enttäuschung hatte der Knabe
einen Traum, den ich im Folgenden wörtlich übersetzt wiedergebe:
„Es träumte ihm in dieser Nacht, daß er im Turm zu Sempringham
weile und zwar in jenem Gebäude, wo Ziegel hergestellt werden, und
als jenes Haus in Brand geriet, seien alle bis auf ihn, der sich nicht
bewegen konnte, geflohen. Da sei ihm ein alter Mann erschienen,
der ihn ermahnt habe, rasch aufzustehen und zur Basilika zu eilen.
Auf diesen Befehl sei er so rasch als möglich aufgesprungen und
mit hochgerecktem Hals und zum Himmel aufblickend zur Kirche
gelaufen, wo er sich vor dem Grab des Heiligen zu Boden geworfen
habe.“508
Zur Interpretation dieses Traumes kann man zwei verschiedene Wege
einschlagen: Zunächst möchte ich hier das klassische Traumbuch des
Mittelalters, das sogenannte „Somniale Danielis“ beiziehen, wo wirklich
in einer englischen Handschrift des 1 1 . Jahrhunderts das Motiv der
brennenden Behausung und dessen Deutung als Gefahr verzeichnet sind,
während zwei andere, allerdings nicht aus England stammende Fassungen
des Traumschlüssels aus dem 14. und 15. Jahrhundert die Gefahr
sogar ausdrücklich auf das Leben des Träumers beziehen. 509 Ebenso wird
in diesem Nachschlagewerk auch das Motiv des Laufens behandelt. Wer
im Traume nicht laufen kann, muß demnach mit Krankheit oder sonstigen
Behinderungen rechnen. Derjenige, welcher sich im Traum hingegen
50 8 De inquisitione miraculorum Gileberti de Sempringham. Alia miracula s. Gileberti.
Nr. 23, S. 70 f.: Nam nocte illa videbatur ei in somnü quod esset in turre
Sempringhamensi, in domo in qua tegule parabantur, et cum cepisset conburi domus
illa, et fugientibus omnibus, ille inmotus remanisset, apparuit ei senez admonens
ut surgeret velociter, et curreret versus basilicam; ad cuius imperium visum est ei
surgere et currere quantocius in ecclesiam, directo collo et facie ad ce/um erecta, et
sese ante sepulchrum sancti prosternere. Übers. der Verfasserin.
509 Vgl. die verschiedenen Fassungen bei FISCHER, Complete Medieval Dreambook,
S. 70, Stichwort: Fire und die ihnen zugrundeliegenden Manuskripte S. 13 ff.
206 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
rasch rennen sieht, hat Freude oder materiellen Gewinn zu erwarten.
Diese letztere, ins Positive gewendete Deutungsregel stammt aus kontinentaleuropäischen
Manuskripten und scheint eine späte Bearbeitung zu
sein.510 Es braucht nicht näher erläutert zu werden, daß die Deutung im
Falle des Knaben auf Gewinn der Gesundheit und nicht auf materielle
Güter gerichtet sein müßte.
Eine zweite Interpretationsmöglichkeit bestünde darin, gemäß der
modernen psychologischen Praxis die momentanen Lebensumstände des
Träumers zu erforschen, ihn nach früheren Erlebnissen zu befragen und
ihn zusätzlich um freie Assoziationen zu bitten. Das ist für den Historiker
und insbesondere den Mediävisten normalerweise unmöglich, doch in
diesem Fall erhalten wir aus dem Mirakeltext immerhin einige relevante
Hinweise auf einschneidende Ereignisse des Vortages. Die Ziegelei mit
dem Feuerschein des Brennofens hatte der gelähmte Knabe wahrscheinlich
während der Rückkehr aus Sempringham beobachtet. Als Wilhelm
aber zusammen mit seiner Mutter nach Hause kam, wurde dem Kranken
von seinem Stiefvater ein schlimmer Empfang bereitet. Der herzlose
Mann warf nämlich Wilhelms Mutter vor, sie habe mit der erfolglosen
Pilgerfahrt nur Geld und Zeit verschwendet. In der Folge sah sich die
Frau gezwungen, den von ilirem Gatten nur noch als Last empfundenen
Kranken allein in einem leerstehenden Haus unterzubringen, um dem
Kind weitere Gehässigkeiten zu ersparen. -Das im Traum in Brand geratene
Turmhaus symbolisierte demnach die auf Grund der Enttäuschung
in Sempringham bereits große und durch die Lieblosigkeit einer nahen
Bezugsperson aufs höchste gesteigerte emotionale Notlage des Knaben.
Gleichzeitig wurde die durch die Lähmung bedingte Hilflosigkeit in dem
leerstehenden Gebäude fern der Angehörigen besonders bedrohlich erfahren.
Auch im Traum konnte der Gelähmte erst dann aus der Gefahrenzone
fliehen, als ein Greis, wohl der in sehr hohem Alter verstorbene
Gilbert, das Aufsuchen der Grabkirche befahl.
Die Frage, ob Wilhelms Mutter auf irgendeine Weise das „Somniale
Danielis“ konsultierte, läßt sich leider kaum endgültig beantworten. Der
im zweiten Teil des Traumes enthaltenen unmißverständlichen Auffor-
510 Vgl. FISCHER, Dreambook, S. 124, Stichwort: Run; die negative Aussage war
in den englischen Manuskripten allgemein üblich, die positiven Fassungen gehen nach
Fischers Angaben (S. 13 ff.) handschriftlich bestenfalls ins ausgehende 15. Jahrhundert
zurück.
DER TRAUM ALS PERSÖNLICHES ERLEBNIS 207
derung zur W iederholung der Pilgerfahrt wurde aber jedenfalls Folge
geleistet. Die Mutter schaffte ihren gehunfähigen Sohn nochmals nach
Sempringham, wo er am dritten Tag am Grab des Heiligen tatsächlich
von seiner Lähmung befreit wurde und seine Geschichte dem die Aufsicht
führenden Mönch mitteilte.
Bei der für Kranke und Behinderte besonders strapaziösen Wallfahrt
und den ganz allgemein beschwerlichen Reiseverhältnissen des Mittelalters
kann es nicht verwundern, daß erschöpfte Heilungssuchende kurz
nach ihrer Ankunft im Gebet einfach einnickten. So betrat eine stumme
Frau, welche sich dem Berichterstatter später als Helena aus Auxerre
vorstellte, um die Vesperzeit die Klosterkirche des Cluniazenser-Priorats
in Savigny (Dep. Rhöne), wo man das Grab des Abtes Majolus besuchen
konnte. Kaum hatte sie sich beim Eingang hingesetzt, wurde sie
vom Schlaf überwältigt. Als sie erwachte, war der ersehnte Heilungsprozeß
bereits im Gange. Sie spuckte Blut, sie stammmelte und gewann
schließlich die normale Redefähigkeit zurück.511 Ähnliches wird auch von
einem mit einer einseitigen Beinlähmung behafteten Priester namens
Symon erzählt, der später als Kanoniker in das Gilbertinerkloster zu
Haverholm {Sempringhamshire) eintrat. Er hatte sich auf eine entsprechende
Traumaufforderung von Bekannten nach Sempringham fahren
lassen und wurde auf einer Tragbahre in die Grabkirche gebracht, wo
er sofort einschlief. Im Traum erschien die bereits früher aufgetretene
Gestalt, möglicherweise Gilbert selbst, und verkündete dem Schwerbehinderten
die Heilung mit folgenden Worten:
„Was liegst du hier noch länger? Siehe, du bist geheilt.“512
In seltenen Fällen kam es im Traum sogar zu einer phantasievollen Ausgestaltung
der erhofften himmlischen Hilfe. Eine Art medizinische Behandlung
wurde beispielsweise einem Jüngling namens Justinus aus Wycombe
(Buckinghamshire) zu teil. Justinus wurde seit über zwei Jahren
von einem kräftezehrenden Fieber gepeinigt und war auf die Kunde von
Wunderheilungen der in Oxford verehrten Jungfrau Frideswide in diese
Stadt gepilgert. In der Klosterkirche wartete er drei Wochen geduldig
auf ein Mirakel, bis ihm die Heilige schließlich im Traum erschien. Sie
511 Miracula s. Maioli abb. Cluniacensis, lib. I, Nr. 16. Ed. AASS, Mai 11, S.
69G-700.
512 Miracula s. Gileberti, Nr. 1. Ed. R. FOREVILLE, S. 42: Ut quid hic diutius
iaces !‘ Ecce JanuJ factuJ eJ.
208 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
hatte die Gestalt einer schönen Dame und zog dem Träumer kurzerhand
das Hemd am Leib herunter, um mit einem operationsähnlichen Eingriff
in seinem Körper alle Schmerzen zu beseitigen.513
Die angeführten Beispiele zeigen eine erstaunliche Verwandtschaft
zu der in antiken Tempeln gepflegten Praxis der Inkubation. Kranke
übernachteten in den Kultstätten der als himmlische Mediziner verehrten
Götter Asklepios oder Serapis und erhofften sich die unmittelbar
heilend wirkende Erscheinung des Gottes im Traum oder wenigstens einen
Hinweis auf ein Medikament oder eine andere erfolgversprechende
Therapieform. Im Lichte der Erkenntnisse der modernen Psychologie
und der psychosomatischen Medizin wird man kaum mehr bezweifeln
wollen, daß auch in nichtchristliehen Religionen an Wunder grenzende
spontane Genesungen möglich waren und sind.514
Die Übernahme der Inkubation zu Heilungszwecken in den frühchristlichen
Zentren im griechisch-orientalischen Kulturraum wird von
B. KÖTTING, dem besten Kenner des antiken Wallfahrtswesens, ohne
weiteres zugegeben. Selbstverständlich fielen bei dieser, der christlichen
Heiligenverehrung wichtige Impulse verleihenden Form der Inkubation
spezifisch heidnische Opferpraktiken und Rituale weg.515 – Für
das Abendland nördlich der Alpen fehlen hingegen entsprechende Hinweise
bis ins 11. Jahrhundert beinahe völlig. Hier blieben die Kirchen
schon aus Furcht, die Reliquien des wunderwirkenden Heiligen oder andere
wertvolle Schätze könnten gestohlen werden, nachts geschlossen.
Auch das Abhalten feierlicher Nachtwachen wurde den Pilgern nur zu
besonderen Anlässen gestattet, also vor hohen Feiertagen oder in Anlehnung
an bestimmte Klosterregeln in der Nacht auf den Samstag.516
513 Mircula s. Frideswidae, Nr. 72. Ed. AASS Oktober VIII, S. 568-89.
514 Eine eindrucksvolle Studie über die antike Inkubation aus der Sicht der Jungsehen
Tiefenpsychologie publizierte C. A. MEIER im Jahr 1949. Sie liegt nun in einer
zweiten, überarbeiteten Fassung vor unter dem Titel: Der Traum als Medizin: Antike
Inkubation und moderne Psychotherapie, Zürich 1985.
515 B. KÖTTING, Pelegrinatio Religiosa: Wallfahrten in der Antike und das Pilgerwesen
in der alten Kirche, Münster 21980, S. 394 ff. – Eine ältere, aber immer noch
lesenswerte Schilderung der frühchristlichen Mirakel auf der Grundlage griechischer
Quellentexte bietet Mary HAMILTON, Incubation or the Cure of Disease in Pagan
Temples and Christian Churches, London 1906, S. 109 ff.
516 Vgl. dazu die Belege bei C. RENDTEL, Hochmittelalterli<he Mirakelberichte, S.
40 f. und M. HAMILTON, Incubation, S. 166 ff.
DER TRAUM ALS PERSÖNLICHES ERLEBNIS 209
Man kann davon ausgehen, daß der durch Schlafentzug erreichte, besondere
Bewußtseinszustand den gläubigen Wallfahrern eine persönliche
religiöse Erfahrung ermöglichen sollte. Für den kranken Pilger ging es
vor allem um die ersehnte Heilung, die er sowohl als direkte Antwort auf
seine Gebete, Gelübde und die asketische Leistung der Vigil oder, wenn
er gegen seine Absicht einschlummerte, auch im Schlaf erleben konnte.
Der Beginn einer spontanen und oft wirklich wunderbar zu nennenden
Genesung wurde vielleicht gerade durch die Entspannung begünstigt,
welche der Schlaf mit sich bringt. Die Genesung war ja nicht vom Willen
des Hilfesuchenden abhängig. Sie erfolgte vielmehr auf Grund von
affektiven Prozessen, die sich in Schlaf und Traum unter Ausschaltung
des eher störend wirkenden W illens und der Verstandesfunktion manchmal
besonders gut entfalten konnten. 517
Die Beobachtung, daß Kranke oftmals auch im Schlaf Heilung erlangten,
wurde nördlich der Alpen höchstwahrscheinlich unabhängig von
der im Mittelmeerraum tradierten Inkubation gemacht. Im 12. Jahrhundert
bedurfte es dann nur noch eines kleinen Gedankenschrittes, um
Kranke nachts bei jenen Heiligengräbern oder Schreinen, an denen auch
tagsüber Wunder geschahen, zur Ruhe zu betten. Wenn die antike Inkubationspraxis
körperliche und seelische Grundbedürfnisse der Menschen
befriedigt hatte, so erstaunt es nicht, daß die Kirche den Tempelschlaf
in leicht modifizierter Form schließlich wieder zuließ. Sie ging damit auf
die Sehnsucht der Gläubigen nach einer persönlichen und womöglich heilenden
Begegnung mit dem Numinosen ein, stellte sie geschickt in den
Rahmen der Heiligenverehrung und behielt so die Kontrolle darüber.
Auf diese Weise hat der antike Tempelschlaf zumindest im mediterranen
Europa sogar bis ins 20. Jahrhundert überlebt.518
517 Zur entscheidenden Rolle der affektiven Erregung für die wunderbare Heilung,
welche sich auch bei den sehr viel zahlreicheren Mirakeln am Tag gut beobachten
läßt, vgl. M. BUTSCH, Historische und psychologische Aspekte, S. 217 ff. – Einen
grundsätzlich positiven Zusammenhang zwischen Schlaf und Traum und den Genesungsaussichten
von Kranken beschrieb interessanterweise bereits im 13. Jahrhundert
der italienis<he Mediziner Petrus Aponus; darauf wurde weiter oben im Kapitel 3.4
eingegangen.
518 Vgl. dazu M. HAMILTON, Incubation, S. 173 ff., wo die Autorin einen Überblick
der Inkubationspraktiken bis in die neuere Zeit gibt; sowie R. FINUCANE, Mirades
and Pilgrims, S. 187 ff.
210 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
4.3. SEXUALITÄT UND TRAUM
Der seit der frühen Kaiserzeit im römischen Reich zu beobachtende Sittenzerfall
sowie der Einfluß der neuplatonischen Philosophie können als
die wesentlichen historischen Gründe für die Abwertung alles Körperlichen
bei den frühchristlichen Kirchenvätern gelten. Die ersten Eremiten
und Mönche lebten zudem in strengster Askese und verstärkten durch
ihr Vorbild die abwehrende, ja sogar feindliche Haltung der Kirche vor
allem gegenüber der menschlichen Geschlechtlichkeit. Das Mittelalter
übernahm diese Einstellung und vermittelte sie auch den späteren Jahrhunderten.
In dieser Tradition hat die katholische Kirche die Erzeugung
von Nachwuchs als einzige Legitimation des sexuellen Lebens betrachtet,
so daß Kinder bis zur 1983 in Kraft getretenen jüngsten Gesamtrevision
des Kirchenrechts offiziell als Hauptzweck der Ehe galten.519 – Infolge
des großen Einflusses, den die Kirche im Mittelalter ausübte, mußte theoretisch
jeder unverheiratete Mensch, ob Kleriker oder Laie, versuchen,
in Übereinstimmung mit den moralischen Forderungen seine sexuellen
Bedürfnisse und Sehnsüchte zu verdrängen oder zu unterdrücken. Wie
weit nun aber dieses Ideal in die Wirklichkeit umgesetzt wurde, ist eine
naturgemäß sehr schwierig zu beantwortende Frage. 520
Nach der von S. FREUD aufgestellten These müßten gerade unterdrückte
Triebbedürfnisse und tagsüber verdrängte Wünsche in Träumen
wieder aktiv werden und in mehr oder weniger stark zensurierter
Form in Erscheinung treten. Die Anwendung dieses theoretischen Deutungsmodelles
auf mittelalterliches Traummaterial verspricht zwar interessante
Aufschlüsse, stößt aber auf methodische Schwierigkeiten und
ist jedenfalls nur sehr begrenzt durchführbar. Man darf nämlich nicht
519 Die neue Fassung hält zwar an der Wichtigkeit der ‚Creatio prolis‘ fest, sieht
aber in Anlehnung an die Ehelehre des Zweiten Vatikanischen Konzils von einer festen
Rangordnung innerhalb der Auflistung der Eheziele ab und behandelt so die gegenseitige
Liebe der Gatten neu als ein der Kinderaufzucht gleichwertiges Ideal. V gl. dazu
H. HEIMERL – H. PREE, Das Kirchenrecht: allgemeine Normen und Eherecht, Wien
1983, s. 170 f.
520 Neuere historische Untersuchungen haben sich mit diesem Problem befaßt, und
ihre Ergebnisse scheinen darauf hinzuweisen, daß man sich im Mittelalter doch viel
größere Freiheiten nahm, als die damals vertretene kirchliche Doktrin glauben machen
könnte. Vgl. dazu den instruktiven Sammelband von V. BULLOUGH – J.
BRUNDAGE (Hg.), Sexual Practices and the Medieval Church, New York 1982.
DER TRAUM ALS PERSÖNLICHES ERLEBNIS 211
vergessen, daß die Berichterstattung und generell jede Art schriftlicher
Überlieferung überwiegend in den Händen des Klerus lag. Wegen der negativen
Wertung und teilweisen Tabuisierung des Geschlechtlichen durch
die Kirche sind Angaben über Träume mit sexuellen Inhalten relativ
selten und vielfach durch die besondere Optik der Textautoren auch
noch verzerrt. – Schon deshalb wird man die begeisterte Aufnahme
des Freudschen Deutungsmodells durch J. LE GOFF521 für seine eigenen
Untersuchungen mit Skepsis betrachten müssen. Abgesehen von
der eher dürftigen Quellenbasis, die er in seinem Aufsatz kurz referiert,
unterscheidet LE GOFF meines Erachtens nicht klar genug zwischen
den Träumen von Klerikern, bei denen eine solche Interpretation auf
Grund der sexualfeindlichen Haltung der Kirche einigermaßen sinnvoll
erscheint, und den Erlebnissen von Laien – deren Berichte zumindest im
Hochmittelalter immer noch durch Geistliche redigiert wurden -, wo die
Anwendung der sexuellen Symboldeutung nach S . FREUD auch wegen
des gänzlichen Fehlens der persönlichen Reaktionen und Assoziationen
dieser Gruppe von Träumern noch weitaus zweifelhafter bleibt.522
4.3.1. Das Problem der nächtlichen Pollution
Ein Phänomen, mit dem sich geschulte Theologen genauso wie einfache
Geistliche und Mönche immer wieder konfrontiert sahen, war der
unwillkürliche Abgang von Samenflüssigkeit im Schlaf, was in der moralisierenden
Sprache des Mittelalters ‚Pollutio nocturna‘, also nächtliche
Befleckung genannt wurde. Dieser Vorgang, häufig von sexuellen Traumbildern
begleitet, brachte viele Kleriker, die davon persönlich und nicht
nur theoretisch betroffen waren, in echte Verlegenheit. Weil die Diskussion
darüber wenigstens teilweise schriftlich geführt wurde und Schreiben
und Lesen praktisch ein Privileg des dem Zölibat verpflichteten geistlichen
Standes war, bildet dieses Phänomen den am besten dokumentierten
Teilbereich der Sexualität im Mittelalter. Eines der frühesten Zeug-
521 J. LE GOFF, Les reves dans Ia culture, S. 300.
522 Vgl. dazu S. FREUD, Traumdeutung (1900) 290 ff. Die Tiefenpsychologen anderer
Richtungen und auch die experimentellen Traumforscher warnen mit Recht vor einer
derart einseitigen Sicht, die jeden Hohlraum als weibliches Sexualorgan und jeden
länglichen Gegenstand als Penis betrachtet und dazu neigt, alle weiteren Umstände
der Traumhandlung nur als verschleierndes Werk der Traumzensur anzusehen und
damit als irrelevant zu beurteilen.
212 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
nisse über die Gewissensnöte, welche solche mit Samenerguß verbundene
Träume verursachten, stammt aus der Feder des hl. Augustinus. In den
„Confessiones“ schildert er seinen sittlich fragwürdigen Lebenswandel
vor der Bekehrung zum Christentum und verheimlicht keineswegs, wie
hart er später als Geistlicher und selbst noch als Bischof von Hippo
Regius um die Beherrschung der Triebkräfte zu ringen hatte. Laszive
Vorstellungen verfolgten ihn zwar zuweilen auch bei Tag, doch erst des
Nachts steigerten sich diese Bilder zur eigentlichen Versuchung:
“ … Aber noch leben in meinem Gedächtnis, von dem ich so viel
gesprochen habe, die Bilder solcher Dinge, welche die Gewohnheit
darin eingeprägt hat; wenn ich wach bin, dann wagen sie sich zwar
auch an mich heran, sind aber kraftlos, im Schlafe jedoch verleiten
sie mich nicht nur zur Wollust, sondern sogar bis zur Einwilligung
und zum scheinbaren Vollzug des Aktes. So gewaltig ist das Trugbild
in meiner Seele und in meinem Fleische, daß mich im Schlafe
trügerische Bilder zu etwas verführen vermögen, wozu mich im wachen
Zustand wahre Bilder nicht bringen können. Bin ich dann
nicht mehr ich selbst, mein Herr und Gott? Es besteht allerdings die
größte Verschiedenheit zwischen mir und mir in dem Augenblicke,
da ich aus dem Zustand des Wachens in den des Schlafes übergehe
oder aus diesem wieder zurückkehre. Wo ist da die Vernunft, welche
es dem Wachenden ermöglicht, solchen Einflüsterungen zu widerstehen
und auch unerschütterlich bleibt, wenn sich die Versuchungen
mir körperlich aufdrängen? Schließt sich die Vernunft mit den Augen?
Schläft sie ein mit den einzelnen Sinnen? Und weshalb widerstehen
wir dann oft auch im Schlafe und bleiben unseren Vorsätzen
treu, bleiben keusch und geben den Verlockungen nicht nach? Und
doch ist der Unterschied so groß, daß, selbst wenn es anders kommt,
wir beim Erwachen die Ruhe des guten Gewissens wiederfinden und
gerade durch diesen Abstand zwischen dem Träumen und Wachen
spüren, daß wir nicht freiwillig begangen haben, was zu unserem
Bedauern doch irgendwie in uns geschehen ist.“523
523 Aurelius Augustinus, Confessiones. Ed. la.t. fra.nz. P. de LABIOLLE, Pa.ris 101969,
lib. X, cap. 30, Bd. 2, S. 270 f.: Sed adhuc uiuunt in memoria mea, de qua multa
locutu.t sum, talium rerum imagines, qua1 ibi consuetudo mea fizit, et occur1antur
mihi vigilanti quidem carentes viribus, in somnis autem non solum usque ad delectationem,
sed etiam usque ad consensionem factumque simillimum. Et tantum ualet
DER TRAUM ALS PERSÖNLICHES ERLEBNIS 213
Die sexuellen Träume und die von höchstem Ergötzen begleitete Pollution
beunruhigten Augustinus begreiflicherweise stark, und er fragte sich,
wie das überhaupt möglich sei. Obwohl der Kirchenvater klar erkannte,
daß Träume der Willenskontrolle entzogen sind und er sich deswegen
auch nicht schuldig fühlen mußte, blieb ein Rest des Unbehagens offensichtlich
bestehen. Deshalb bat der Heilige im nächsten Textabschnitt
seiner Bekenntnisschrift Gott in dringendem Tone, er möge ihn doch von
dieser stoßenden Unvollkommenheit befreien.
* * *
Im Gegensatz zu der von eigenem Ringen geprägten und psychologisch
differenzierten Bewertung des Kirchenvaters Augustinus sahen die Theologen
des Frühmittelalters in der Pollution immer eine Sünde oder ein
Vergehen, über das wenigstens Kleriker in der Beichte Rechenschaft abzulegen
hatten. Die Praxis der Ohren- oder Privatbeichte stammt ja
ursprünglich aus dem klösterlichen Leben; sie wurde von iroschottischen
Wandermönchen auf ihren Missionswegen in Europa eingeführt und verbreitet.
In den hierzu verwendeten Bußbüchern fanden die Beichtväter
für alle denkbaren Vergehen eine angemessene Bußleistung verzeichnet.
Das Ziel war eine gerechte Behandlung derselben Sünden bei verschiedenen
Beichtvätern und innerhalb einer größeren Region. 524 Die Strafbestimmungen
dieser Poenitentialien hatten je nach Inhalt für Kleriker
oder für Laien Geltung, und so lesen wir in einem der frühen irischen
Bußbücher aus dem 7. Jahrhundert den folgenden Eintrag für Geistliche:
imagini& inltuio in anima mea et in carne mea, ut dormienti fa/Ja uüa perJuadeant
quod uigilanti uera non pouunt. Numquid tune ego non Jum, domine deuJ meuJ?
Et tamen tantum intereJt inter me ip&um et me ipJum intra momentum, quo hinc
ad &oporem retranJeo uel huc inde retran&eo! Ubi eJt tune ratio, quae talibuJ Jugge·
JtionibuJ re&iJtit uigilanJ et, Ji reJ ip&ae ingerantur, inconcuJ&UJ manet? Numquid
clauditur cum oculis? Numquid Jopitur cum unJibus corpori& ? Et unde &aepe etiam
in &omni& re&i&timu& no&trique propo&iti memoreJ atque in eo ca&tiHime permanentes
nullum talibu& inlecebrü adhibemu& adsenJum? Et tarnen tantum intere&t, ut, cum
aliter accidit, euigilante& ad conJcientiae requiem redeamu& ip&aque di&tantia reperiamu&
no& non feci&&e, quod tarnen in nobü quoquo modo factum e&&e doleamus.
Übers. leicht verändert nach A. HOFFMANN, Augustins Bekenntnisse (=Bibliothek
der Kirchenväter 18) Kempten 1914, S. 246 f.
524 Zu dieser Quellengattung siehe auch oben, Kapitel 2.1.
214 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
„Der, welcher sich willentlich während des Schlafes befleckt, soll
aufstehen und kniend der Reihe nach acht Psalmen singen und am
anderen Tag soll er nur Wasser und Brot zu sich nehmen. Oder er
soll dreißig Psalmen singen und jedesmal am Ende eine Kniebeuge
machen.“525
Zu den Gelübden des Mönches gehörten und gehören neben dem Gehorsam
und der persönlichen Armut auch die Keuschheit. Dieses Versprechen
wurde zwar durch lustvolle Träume nicht bewußt gebrochen, aber
doch bedroht bzw. untergraben. Die im Mittelalter übliche Erklärung,
daß Träume entweder von übermenschlichen Mächten kommen oder aber
Wünsche und Erinnerungsreste aus dem Tagesleben darstellen, ermöglichte
sehr wohl eine Verurteilung der von Träumen begleiteten Pollution
als Effekt der mangelhaft beherrschten Begierde oder gar als Teufelswerk.
Die naheliegende Entschuldigung, daß man ja geschlafen habe,
wurde zudem auch durch die antike Säftelehre relativiert. Da die Samenflüssigkeit
als eine Art Derivat des Blutes angesehen wurde und dieses
durch die Verdauung von Speisen entstand526 , mußte jeder Geistliche,
der allzu üppig speiste, den nächtlichen Samenabgang geradezu provozieren.
Im kanonischen Recht entwickelte sich auf Grund einer Gregor dem
Großen zugeschriebenen Bestimmung über den Verzicht auf die Kommunion
und das Messe-Zelebrieren des davon betroffenen Priesters eine
den unterschiedlichen Entstehungsarten Rechnung tragende Bewertung
der Pollution. Diese galt in der Folge nur dann als Sünde, wenn sie durch
unkeusche Gedanken oder eben durch Völlerei hervorgerufen wurde, wobei
ein entsprechendes Traumerlebnis das Verschulden vergrößerte.527
Mit dem Phänomen der nächtlichen Pollution befaßten sich nicht
525 Poenitentiale Cummeani. Ed. L. BILER (=Scriptores Latini Hiberniae 5), Dublin
1963, S. 108-135; S. 114, Nr. 15: Qui in Mmni3 uoluntate pollutu3 e3t, 3urgat
canatque genua flectendo viii in ordine p3almo3, in cnutino cum pane et aqua uiuat;
uel zzz pßalmo3 flectendo genua uniu3 cuiu3que in fine canat. Übers. der Verfasserin.
526 Danielle JACQUART – C. THOMASSET: Sexualite et savoir medicale au Moyen
Age (Les ehernins de l’histoire) Paris 1985, S. 76 ff. – Bereits die Mönche der
Spätantike setzten sich mit diesem Problem auseinander und versuchten körperliche,
seelische und dämonische Ursachen zu unterscheiden. Vgl. dazu etwa Johannes Cassianus,
Collationes. Ed. lat. franz. E. PICHERY, Paris 1959, Bd. 2, coll. 22: De
nocturnis inlusionibus, cap. 3, bes. S. 1 1 6 ff. Sowie auch Institutions cenobitiques.
Ed. J. GUY, Paris 1965, lib. VI, De spiritu fornicationis, cap. 10-11, S. 274.
527 Vgl. zur kirchenrechtlichen Beurteilung des Phänomens bei den verschiedenen
DER TRAUM ALS PERSÖNLICHES ERLEBNIS 215
nur Theologen, sondern naturgemäß auch Mediziner. Von den Arabern
übernahmen die abendländischen Ärzte im Laufe des 11. und 12. Jahrhunderts
die ursprünglich von Galen stammende und für die polygam
lebenden islamischen Herrscher wie gemacht erscheinende Vorstellung,
daß die Samenflüssigkeit um der Gesundheit willen durch regelmäßigen
Geschlechtsverkehr abgeleitet werden müsse.528 Diese Lösung war aber
gerade für Mönche und andere Kleriker nicht tauglich. Deshalb versuchte
man die bei ihrer enthaltsamen Lebensweise auftretenden Stauungen und
das so im Säftehaushalt entstandene Ungleichgewicht durch Aderlaß zu
korrigieren oder durch eine leichtere Kost zu vermeiden. Diese Therapieformen
werden bei Arnald von Villanova sogar anband des konkreten
Falles eines Mönchs ausführlich erörtert.529
Auch Hildegard von Bingen beschäftigte sich mit dem Zusammenhang
von Nahrungsaufnahme und Samenabgang. Nach dem von ihr
aufgestellten physiologischen Modell regeneriert die als übergeordnete
Steuerungsinstanz wirkende Seele über Nacht mittels der tagsüber aufgenommenen
und nachher verdauten Nährsubstanzen das Mark und
das Blut. Letzteres bildete nach der zeitgenössischen Anschauung den
Grundstoff für die Samenproduktion. Dementsprechend erklärte Hildegard
die häufigen geschlechtlichen Entladungen im Schlafe ohne jede
Beteiligung des Bewußtseins. Daß ein üppiges Essen diese Vorgänge
noch fordert, war ihr ebenfalls klar, doch vermied sie es, diesbezüglich
von einem sündhaften Vergehen zu sprechen.530 In einem anderen Kapitel
desselben Werks wies die Äbtissin darauf hin, daß ein Samenab-
Autoren St. KUTTNER, Die kanonistische Schuldlehre von Gratian bis auf die Dekretalen
Gregors IX. (=Studi e Testi 64) Vatikan 1935 (repr. 1961) S. 110 ff.
528 JACQUART – THOMASSET, Sexualite, S. 109 ff. Ferner wird auf S. 95 f.
die erstaunliche Toleranz gegenüber der weiblichen Selbstbefriedigung bei einigen
mittelalterlichen Autoren erwähnt, welche auf einem aus einem Analogieschluß aufgebauten
Konzept einer weiblichen Samenflüssigkeit beruhte. – Das Werk der beiden
französischen Forscher ist ein hochwillkommener Beitrag zur Erschließung von bisher
vernachlässigten Quellen, die der Sozial- und Mentalitätsgeschichte einen neuen
Zugang zum Problem mittelalterlicher Moralvorstellungen und konkreter Verhaltensmuster
ermöglichen.
529 Arnald von Villanova, De consideratione operis medicinae. Opera, Druck Konrad
Waldkirch, Basel 1585, S. 885.
530 Hildegard von Bingen, Heilkunde, S. 152.
216 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
gang auch ohne begleitenden Traum vorkommen könne.531 Vielleicht
wollte sie auf diese Weise die Natürlichkeit des körperlichen Vorganges
betonen, denn eindeutig laszive Traumbilder wurden, wie wir schon
an anderer Stelle gezeigt haben532, auch von Hildegard als teuflisches
Machwerk aufgefaßt, vor .. dem selbst fromme Personen keineswegs verschont
blieben. Für die Abtissin stellten die eng mit der Fortpflanzung
zusammenhängenden Funktionen also eine physische Grundbedingung
menschlicher Existenz dar, die jedoch vom bösen Feind sehr leicht für
seine Zwecke mißbraucht werden konnte. Gemäß dieser an der ärztlichen
Praxis orientierten maßvollen Ethik und in Ubereinstimmung mit der
Säftelehre des Galen machte die Äbtissin die Männer sogar darauf aufmerksam,
daß ein zu häufiges willentliches Zurückhalten des Ergusses
krank machen könne.533
Hildegard schrieb ihren berühmten medizinischen Leitfaden über die
Behandlung und Vorbeugung der verschiedensten Leiden für den allgemeinen
Gebrauch und dachte dabei vor allem an Laien. Die Geltung
von verschiedenen Maßstäben für das sexuelle Verhalten bei Klerikern
und Laien dürfte aber bei vielen Menschen moralische Verwirrung hervorgerufen
haben. Bei dieser Vermutung stütze ich mich auf Jakob von
Vitry (gest. 1258), der in einer für Predigtzwecke angelegten Anekdotensammlung
ein entsprechendes Zeugnis überliefert.534 Über Drittpersonen
erfuhr Jakob nämlich von einem Geistlichen, der die nächtliche Pollution
für schlimmer hielt als die Hurerei. Etliche Männer hätten diesem unter
anderen Sünden die „Pollutio in somnis“ beichten wollen. Darauf
habe der Pfarrer seine Beichtkinder jeweils mit Vorwürfen überhäuft
und behauptet, sie wären besser in ein Bordell gegangen, um sich dort
531 Heilkunde, S. 205.
532 Heilkunde, S. 153, siehe auch oben, Kapitel 3.3.2 der vorliegenden Arbeit.
533 Heilkunde, S. 206 – Erstaunlicherweise haben JACQUART – THOMASSET in
ihrer sonst breit angelegten Textuntersuchung das Werk Hildegards völlig beiseite
gelassen. Deren Äußerungen insbesondere auch zu Formen der weiblichen Sexualität
sind aber sehr offen und überaus originell, so daß diese Lücke zu bedauern ist, denn
Hildgard beweist wie auch Albertus Magnus, daß eine unverkrampfte Einstellung zur
Geschlechtlichkeit auch bei Angehörigen des mittelalterlichen Klerus möglich war.
534 Jakob von Vitry, Exempla. Ed. J. GREVEN, Die Exempla aus den 􀂵ermone􀂴
feriale􀂵 et commune􀂶 des Jakob von Vitry (=Sammlung mittellateinischer Texte 9)
Beideiberg 1914, Nr. 24, S. 20.
DER TRAUM ALS PERSÖNLICHES ERLEBNIS 217
der schlechten Körpersäfte zu entledigen.635 Der Bischof bezeichnet den
Geistlichen ausdrücklich als „miser“ , was hier gewiß nicht auf seine materiellen
Lebensumstände, sondern abwertend im Sinne von ‚der elende
Wicht‘ verstanden werden muß. Der Mann übersteigerte offensichtlich
die für Kleriker und damit für ihn selbst geltenden rigorosen Idealvorstellungen
der kultischen Reinheit in zwangshafter Weise und projizierte
diese Ideale auf die Laien. Deshalb betrachtete er die Pollution bei den
beichtenden Männern als große Sünde, die es um jeden Preis, auch um
den der Unzucht, zu vermeiden galt.536
* * *
Auch für Kleriker war es naturgemäß unmöglich, nächtliche Pollutionen
ganz zu vermeiden. In erster Linie waren es wohl meistens Mönche
und Bischöfe, die durch dieses Phänomen in Gewissensnot gestürzt wurden.
Einfache Leutpriester und Dorfpfarrer hingegen lebten bekanntlich
noch im 12. und 13. Jahrhundert häufig mit einer Konkubine zusammen
und suchten auf diese Weise sowohl dem lOrchliehen Eheverbot
für Priester537 Rechnung zu tragen als auch den eigenen Bedürfnissen
Genüge zu tun. Welche Schwierigkeiten aber Klosterinsassen und den
nach den Idealen der Kirche lebenden höheren geistlichen Würdenträgern
aus den strengen Keuschheitsforderungen erwuchsen, läßt sich durch vereinzelt
überlieferte Traumerlebnisse von großer Eindrücklichkeit belegen.
Das erste Beispiel stammt aus der Mirakelsammlung des Caesarius
535 Zu Forschungsproblemen der käuflichen Liebe im Mittelalter vgl. die Aufsätze
von V. BULLOUGH, The Prostitution in the Early Middle Ages, S. 34-42, und The
Prostitution in the Later Middle Ages, S. 176-186 sowie J. BRUNDAGE, Prostitution
in the Medieval Canon Law, S. 149-161; alle in: BULLOUGH – BRUNDAGE (Hg.),
Sexual Practices and the Medieval Church.
536 Der Vollständigkeit halber sei hier aber noch erwähnt, daß in der Theologie seit
der Hochscholastik gelehrt wurde, daß jede sexuelle Handlung, die nicht direkt der
Erzeugung von Kindern dient, eine schändliche Verschleuderung des Samens darstelle.
Vgl. dazu JACQUART – THOMASSET, Sexualite, S. 112 mit Anmerkungen 2 und 3.
537 Den Widerstand, welche die höheren kirchlichen Stellen im Mittelalter bei der
Durchsetzung dieser Vorschrift zu überwinden hatten, schildert im Überblick und von
einem katholischen Standpunkt aus G. DENZLER: Das Papsttum und der Amtszölibat,
Bd. 1, Die Zeit bis zur Reformation (=Päpste und Papsttum 5,1) Stuttgart
1973.
218 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
von Heisterbach; erzählt wird darin die Geschichte eines Mönchs aus
Clairvaux namens Bernhard, der aber nicht mit dem Heiligen desselben
Namens identisch ist.538 Dieser junge Mann habe die Forderung der
sexuellen Enthaltsamkeit als unerträglich empfunden und deshalb den
Prior schließlich um Entlassung aus dem Orden gebeten, da er nicht
ohne eine Frau leben könne. Der über diesen Entschluß bestürzte Obere
bat ihn dringend, er möge wenigstens noch die nächste Nacht im Kloster
abwarten. Bernhard ging darauf ein und hatte dann, kaum war
er eingeschlummert, folgenden Traum: Ein großer Mann mit grimmiger
Miene und dem Äußeren eines Metzgers kam auf ihn zu; er trug
ein langes Messer in der Hand und wurde von einem riesigen schwarzen
Hund gefolgt. Kein Wunder, so lautet Caesarius‘ Zwischenkommentar,
daß der Träumer erzitterte. Jener aber griff ohne Zögern zu, schnitt
dem Mönch die Geschlechtsteile ab und warf sie dem Hund vor, der
sie sofort verschlang. Aus diesem entsetzlichen Gesicht aufschreckend,
glaubte sich Bernhard zunächst entmannt. Die Verstümmelung war jedoch
glücklicherweise nicht realiter geschehen; der Angsttraum bewirkte
nur, daß der junge Mann von diesem Moment an Ruhe von den Anfechtungen
des Fleisches hatte und deshalb auch im Kloster verbleiben
konnte.539
Eine inhaltlich ähnliche Traumerzählung finden wir in der Lebensgeschichte
des hl. Hugo, Bischof von Lincoln, der dem Kartäuserorden
angehörte. Die Herausgeber dieser in historischer und psychologischer
Hinsicht herausragenden Hagiographie, welche von einem engen Vertrauten
des Bischofs bald nach dessen Tod im Jahre 1200 verfaßt wurde,
verweisen auf Literatur der christlichen Spätantike, in welcher die wunderbare
Befreiung von den Versuchungen des Fleisches anläßtich einer
538 Caesa.rius von Heisterbach, Dialogus miraculorum, lib. IV, cap. 97, S. 265. Dieselbe
Erzählung auch bei Caesa.rius: Homilien, ed. als Nr. 19, S. 75 bei A. HILKA, Die
Wundergeschichten des Caesarius von Heisterbach, (=Publikationen der Gesellsch. f.
rheinische Geschichtskunde 43) Bonn 1933.
539 Man kann hier auf die Selbstverstümmelung des griechischen Kirchenlehrers Origenes
hinweisen, der sich auf diese radikale Art von den Versuchungen des Fleisches
befreite. Die Kirche konnte zwar ein so gewaltsames Vorgehen nicht gutheißen, schritt
jedoch erst 1587 zum offiziellen Verbot der Kastration, die in der spätantiken Gesell·
schaft oft zwangsweise bei Sklaven und in der Neuzeit noch sehr lange zur Konservierung
hoher Knabenstimmen für Gesangsdarbietungen angewandt wurde; LTHK,
Bd. 6, Kastration, Sp. 16 f.: W. LEIBBRAND.
DER TRAUM ALS PERSÖNLICHES ERLEBNIS 219
Vision bereits beschrieben wurde.540 Man darf annehmen, daß der Hagiograph,
Adam von Eynsham, diese Vorlagen kannte; daß er sie jedoch
einfach übernahm, scheint mir indessen höchst unwahrscheinlich, denn
er schildert Hugos Kampf gegen das sinnliche Begehren sehr ausführlich
und bezeichnet sich selber als Ohrenzeuge. Der Bischof und wohl auch
der vorher erwähnte Mönch Bernhard dürften aber diese frühchristlichen
Legenden ihrerseits gut gekannt haben; daher liegt die Vermutung nahe,
daß die Phantasie der beiden Männer davon beeinflußt wurde.
Doch lassen wir nun zunächst Adam von Eynsham berichten: Der
Kampf des heiligen Hugo gegen die sexuellen Triebäußerungen war dermaßen
hart, daß der tugendhafte Mann nach eigenem Geständnis es oft
vorgezogen hätte, die Qualen der Hölle auszustehen als die Gewalt seiner
eigenen Begierden. In einer durchwachten Nacht nach langem Streit
mit einem diese Gelüste anstachelnden bösen Geist und einem guten Engel,
der Hugo aber jeden aktiven Beistand versagte, kam es schließlich
zur Krise. Im Halbschlaf bat der Bischof erschöpft und verzweifelt um
göttliche Hilfe, worauf sein unlängst verstorbener Ordenslehrer, Prior
Basil von der Großen Kartause, erschien und ihm sofortige Heilung versprach.
Die Erscheinung nahm dann ein Messer und schnitt etwas, das
wie glühende Beulen aussah, aus den Eingeweiden Hugos und warf sie in
weitem Bogen aus der Zelle heraus. Dann erteilte der himmlische Arzt
dem ehemaligen Schützling noch seinen Segen und entschwand, worauf
sich der Heilige wirklich von aller Not befreit fühlte.
Auch wenn wir es heute vorziehen, in einem solchen Fall nicht
von einer übernatürlichen Vision, sondern – schon auf Grund der geschilderten
Umstände – von einem Traum zu sprechen, so waren doch
die Auswirkungen dieses seelischen Erlebnisses erstaunlich. Der Berichterstatter
Adam, der Bischof Hugo in dessen letzten Lebensjahren
in persönlicher Freundschaft verbunden war, hatte dieses Gesicht in
großen Zügen mehrfach von Hugo erzählen gehört. Auf Adams Drängen
enthüllte ihm der todkranke Bischof noch zusätzliche Einzelheiten. So
versicherte er Adam, daß er zwar auch danach gelegentlich fleischliche
Begierden verspürt habe, doch seien diese Versuchungen vergleichsweise
harmlos und durch Nichtbeachtung leicht zu besiegen gewesen. An die-
540 Decima DOUIE – Hugh FARMER, The Life ofSt. Hugh ofLincoln, (= Medieval
Texts 1) London 1961, Bd. 1, S. 52, Anm. 1: Gregor der Große, Dialogus, lib. I,
cap. 4 und Johann Cassian, collatio 7, cap. 2.
220 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
ses Geständnis schließt Adam einige persönliche Worte an, die seinen
offenen Bericht erklären und wohl auch entschuldigen sollten:
„Dieses habe ich erzählt, weil ich gehört habe, daß jemand anders
eine weitere Version davon verbreitet, in der die allerseligste Jungfrau
und Gottesmutter ihm (sc. Hugo) erschienen sei und ihn zum
Eunuchen gemacht habe, so daß er völlig geheilt worden sei und niemals
mehr eine fleischliche Begierde empfunden habe. Darauf habe
ich wahrheitsgetreu niedergeschrieben, was ich aus seinem Munde
von seiner Heilung und seinem Heiler vernommen habe.“541
Vielleicht spielt Adam mit diesen Worten auf Gerald von Wales an. Dieser
Autor hatte neben zahlreichen anderen Werken eine „Vita s. Remigü“
verfaßt und darin an passender Stelle die Episode von Hugos Kampf mit
seinen Triebregungen eingeflochten. Dort wird der Traumvorgang infolge
der sexualfeindlichen Einstellung Geraids deutlicher als Kastration
dargestellt; Gerald nennt allerdings nicht die hl. Jungfrau, sondern einen
engelhaften Mann als Retter.542 Da bis heute keine weitere schriftliche
Fassung dieser merkwürdigen V ision Hugos bekannt geworden ist, muß
man annehmen, daß sich Adam von Eynsham auf Geraids Werk bezog,
welches er nur vom Hörensagen kannte. Daß die seit dem 12. Jahrhundert
allgemein intensiver verehrte Maria in dieser mündlichen Version
als Helferin im heroischen Kampf um die einmal gelobte Keuschheit eingeführt
wird, läßt sich als eine dem herrschenden Frömmigkeitsideal angepaßte
Abwandlung erklären, die irgendwann bei der mündlichen Weitergabe
der Geschichte stattgefunden haben muß. Durch das Auftreten
der keuschen Gottesmutter gewann die Episode für ein Publikum, das
weder Bischof Hugo noch Prior Basil persönlich kannte, an Aussagekraft
und religiöser Erbaulichkeit, ohne daß man sich nach den damaligen
541 Adam von Eynsham, Magna vita s. Hugonis, Bd. 1, S. 51: Hec iccirco dizerim
quia aliter de hiu alium quemdam &crip&iue accepi, auerentem uidelicet quod be4tam
Virginem dominam no&tram Dei genitricem, &ibi apparentem uüitatu&, eunuchizatu&
et curatu& ita fuerit quod nullam deincep& carnü titillationem omnino ezpertu& &it.
Verum que ab ore illiu& de curatione et curotore eiu& audiui, uerü&ime ezpre&&i.
Übers. der Verfasserin.
542 Gerald von Wales, Opera Bd. 7, Vita s. Remigii, cap. 29, S. 76 und als Wiederholung
in: Gemma Ecclesiastica, Opera Bd. 2, S. 247. Erstaunlicherweise jedoch nicht
in der umfangreicheren Vita s. Hugonis, Opera Bd. 7, desselben Autors.
DER TRAUM ALS PERSÖNLICHES ERLEBNIS 221
Maßstäben damit einer bewußten Verfcilschung des Traumes schuldig
gemacht hätte.543
Der erste der beiden angeführten Träume, welche um die Idee der
Kastration kreisen, scheint die Bestürzung und Verängstigung eines jungen
Klosterinsassen über die totale Unterdrückung seines Sexuallebens
in der furchteinflößenden Figur eines Metzgers zu personifizieren und
dramatisch auszugestalten. Das Erlebnis des Heiligen könnte jedoch versuchsweise
auch im Sinne der Traumlehre von S. FREUD als Wunscherfüllung
gedeutet werden. Dabei drängt aber paradoxerweise nicht die
tagsüber unterdrückte Sexualität mehr oder weniger stark zensuriert
wieder ins Bewußtsein des Schläfers, sondern der Traum setzt umgekehrt
die gewünschte Erlösung von der als Hindernis für die spirituelle
Entwicklung empfundene Begierde in ziemlich handgreiflicher Form
in Szene. Trotz der von der kirchlichen Lehre konsequent betriebenen
Abwertung der natürlichen Bedürfnisse gelang die in heroischer Anstrengung
bewußt angestrebte Verdrängung kaum je vollständig. Die
möglicherweise durch entsprechende Lektüre inspirierte Traumvision Hugos
läßt sich deshalb wohl besser als Lösungsversuch des sich immer mehr
zuspitzenden Konflikts zwischen internalisiertem Reinheitsideal und den
körperlichen Spannungen interpretieren.544 – Nach Hugos eigenem und
die ursprüngliche Erzählung ergänzendem Geständnis brachte dieses eindrückliche
Traumerlebnis zwar keine absolute Befreiung von Triebregungen
mit sich, führte aber doch zu einer wesentlichen Entschärfung
und Beruhigung, was ihm erlaubte, unerwünschte körperliche Reaktionen
einfach zu ignorieren.
* * *
Zahllose Mönche und Weltgeistliche führten seit der Spätantike den gleichen
Kampf wie Bischof Hugo und Bernhard von Clairvaux, und die
wenigsten konnten sich rühmen, mit Hilfe eines himmlischen Beistands
einen endgültigen Sieg errungen zu haben. Im Normalfall mußten sich
die Kleriker wohl oder übel mit ihrer diesbezüglichen Unvollkommenheit
543 Vgl. etwa. die Literaturübersicht von B. de GAIFFIER, Mentalite de l’hagiographie
medieval d’apres quelques travaux recents, Anal. Bol!. 86 ( 1968) S. 391-99.
544 Die These, daß Träume zur Lösung psychischer Spannungen dienen könnten,
wurde vor allem durch die Arbeit von C. G. JUNG vorbereitet. Vgl. dazu die
neueren Ansichten bei Ch. EVANS, Landscapes of the Night, S. 164 ff.
222 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
abfinden und jeweils die dafür vom Beichtvater festgesetzten Bußwerke
verrichten. Das Beten einiger Psalmen war gewiß eine leichte Aufgabe;
wer es vergaß, konnte nach Caesarius‘ Bericht auch einmal durch empfindliche
Schmerzen in der Schamgegend an sein Versäumnis erinnert
werden.545
Besonders sensible Männer ließen sich freilich nicht einfach durch
wiederholte Beichte und Buße beruhigen. Schwere Gewissensnöte sind
etwa bezeugt von Petrus von Morrone, der später als Cölestin V. den
Stuhl Petri bestieg und dieses für den neunundsiebzigjährigen Greis eine
allzu große Bürde darstellende Amt schon ein halbes Jahr später mehr
oder weniger freiwillig abgab. Cölestin wurde wegen seiner Leistungen
als Gründer eines eremitisch ausgerichteten Ordens und wegen seiner
vorbildlichen Demut in Avignon 1313 siebzehn Jahre nach seinem Tod
heiliggesprochen. Über sein Leben besitzen wir insgesamt fünf Viten; als
Quelle für seine Visionen und Träume dient insbesondere eine als „Autobiographia“
bezeichnete Schrift, gegen deren durchgehende Authentizität
allerdings ernsthafte Einwände erhoben worden sind.546 Die Forschung
hält diesen Text für das Werk eines einstigen Mitbruders des
Heiligen, der sich kurz nach dessen Tod bemühte, alles Bekannte über
Petrus niederzuschreiben. Auf Grund der vielen Einzelheiten und der
Nichterwähnung seiner Wahl zum Papst konnte die Schrift leicht für ein
Selbstzeugnis vor der Abreise nach Rom ausgegeben werden. Die offensichtliche
Tendenz zur hagiographischen Überhöhung verändert aber
meines Erachtens den hohen Wert dieser Quelle nicht wesentlich, denn
viele Details aus den Jugendjahren und aus dem Seelenleben des Ordensgründers
müssen jedenfalls auf Petrus‘ eigene Erzählungen zurückgehen.
547
545 Ca.esarius von Heisterbach, Dialogus miraculorum, lib. III, cap. 4, S. 114 f.
546 Neueste Edition bei A . FRUGONI, Celestiniana ( =lstituto Storico Italiano per
il Medio Evo, Studi Storici Fase. 6-7) Rom 1954, S. 56-67. Diese Erzählung diente
weiteren Viten als stofßiche Grundlage. Für die späteren Zeugnisse vgl. die Quellensammlung
bei F. SEPPELT, Monumenta Coelestiniana: Quellen zur Geschichte des
Papstes Coelestin V., (=Quellen und Forschungen aus dem Gebiet der Geschichte
der Görres-Gesellschaft 19) Paderborn 1921 und die Gesamtdarstellung sowie weitere
Dokumente bei P. HERDE. Cölestin V. 1294: Der Engelspapst (=Päpste und
Papsttum 16) Stuttgart 1981.
547 Ich stütze mich auf die Argumentation von P. HERDE, Coelestin V. (S. 222 mit
Anm. 2-4), der es ausdrücklich ablehnt, hier von einer Fälschung zu sprechen.
DER TRAUM ALS PERSÖNLICHES ERLEBNIS 223
Für den überaus gewissenhaften Heiligen, der lange Zeit in der Abgeschiedenheit
des kalabrischen Gebirges einer kleinen Mönchsgemeinschaft
vorstand, ging es vor allem um die Frage, ob er nach einer willentlich
ja nicht zu verhindernden Pollution trotzdem am anderen Morgen
die Messe zelebrieren dürfe. Von schweren Zweifeln geplagt, fragte er
verschiedene fromme Männer um Rat. Da deren Auskünfte untereinander
nicht übereinstimmten und deshalb seine Verunsicherung nicht
behoben, bat Petrus schließlich Gott um Hilfe. In der nächsten Nacht
erhielt er eine klärende Antwort in Form eines Traumes, den ich wörtlich
wiedergeben möchte:
“ … es schien ihm, daß er zu einer in der Höhe befindlichen Burg hinaufsteige,
und als er eintrat, handelte es sich um ein großes Kloster.
In der Mitte der Anlage befand sich das Tor zu einem palastartigen
Gebäude; ringsherum schlossen sich einzelne Zellen an, die von
Brüdern in weißen Gewändern bewohnt wurden. Er wäre nun gerne
in den Palast eingetreten, doch führte er einen Esel mit sich, den er
nicht loswerden konnte. Also begann er die Stufen der Treppe hinanzusteigen,
und der Esel folgte ihm behende. Doch nach den ersten
drei oder vier Stufen blieb das schlechte Tier stehen und begann in
unziemlicher Weise seinen Kot zu verstreuen und zwar mit demselben
Behagen, wie wenn es zarte Kräuter äße. Als aber der Träumer
des Vorfalls ansichtig wurde, hielt er traurig inne und wagte nicht,
weiter hinanzusteigen. Da erblickte er oben auf dem Treppenabsatz
im Eingangstor des Palastes drei gleichartige, ja identische Personen,
die geradezu wie eine einzige erschienen und ihn betrachteten.
Einer von diesen, der wie Christus aussah, rief ihm zu: „Steig herauf,
steig herauf! Weshalb bleibst Du stehen? Wegen dem, was
der Esel nach seiner Gewohnheit verrichtet? Was geht Dich das an?
Steig herauf, steig herauf!“ In diesem Moment wachte der Träumer
auf und freute sich sehr über diese klare Antwort, für die er Gott
auch gebührend dankte.548
548 Petrus von Morrone, Autobiographia. Ed. A. FRUGONI, S. 62 f.: Et ecce eadem
nocte dormien, videbatur ei quod a&cenderet quoddam ca&trum in alto po&itum;
et ingredien& videbat magnum clau3trum, et in medio clau&tri portam ca&tri illiu&,
magnum palatium, et per circuitum clau3tri diver3a& cella&, in quibu& celli& erant
jratre& induti albi& ve&tibu&. J&te vero de3iderabat ire in palatium: ducebat autem
&ecum quemdam aullum, quem dimictere non valebat. Cepit ergo a&cendere gradu&
224 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
Wie bereits erwähnt, spiegeln viele Visionen und Wunderberichte der
„Autobiographia“ die Bemühung der Bearbeiter, den ehemaligen Papst,
der als Gefangener seines Nachfolgers Papst Bonifaz VIII. starb, zum
Heiligen zu stilisieren. Der hier zitierte Traum mutet aber in seiner einfachen
Symbolik durchaus echt an. Der spirituelle Aufstieg zu Gott, um
den Petrus sein Leben lang gerungen hat, wird im Rahmen einer den
süditalienischen Verhältnissen nachempfundenen Hügellandschaft bildlich
dargestellt. Die Himmelsburg erscheint zunächst in der Form eines
den Hügel bekrönenden Kastells und dann – noch näher an der Lebenserfahrung
Petrus‘ – in der Form einer Klosteranlage mit einem Palast
oder Prunkbau als Zentrum. Gemäß der katholischen Glaubenslehre tritt
Gott als der Dreieine auf; es ist jedoch Christus, der Menschensohn und
Erlöser, der mit dem Traum-Ich des Petrus den Kontakt aufnimmt und
ihn zu sich ruft. Der Esel aber, das in der mediterranen Welt so wichtige
Haustier, wirkt hier auf den ersten Blick reichlich absurd, was wiederum
für die Authentizität der Erzählung spricht, denn Träume enthalten ja
oftmals unrealistische, bizarre Elemente oder Szenen. Das Traum-Ich
Petrus‘ hat für diesen Lastenträger nicht nur keine Verwendung, es wäre
ihn auch gerne los, da seine Mitnahme in den Palast abstoßend wirken
müßte. Schlimmer noch, das Tier beschmutzt die Treppe. Damit erweist
es sich als Sinnbild für den menschlichen Körper, den Petrus tatsächlich
nicht nach Belieben ablegen kann.549 Christus jedoch betrachtet die
körperlichen Vorgänge als völlig nebensächlich und versichert dem bis
anhin von Skrupeln gequälten Priester, daß solche Vorkommnisse seine
seelisch-religiöse Entwicklu􀄡g nicht zu beeinträchtigen vermögen.550
&calaru.m illiu& palatii, per qua& leviter a&cendebat a&ellu&; et &ic a&cenden& tre& vel
quatuor gradu&, ille malu& a&ellu& cepit turpiter de corpore eicere &tercu&, qua&i manduca&&
et herba& tenera&. Quod viden& üte, fizit grodum trüti& dolen&, et non audebat
a&cendere. Videbat autem i&te in capite illiu& &cale, in introitu illiu& palatii, tre&
per&ona& &imile& et equale&, ita quod videbantur qua&i unu&, et omne& re&piciebant ad
i6tum. Quorum unu& qui videbatur Chrütu&, dizit i&ti: „A&cende, a&cende. Quare
non a&cendi&r Pro eo quod asellus facit consuetudinem suamr Quid tibi? Ascende,
Ascende“. Et 6tatim ezcitatus est a sompno, repletus omni gaudio et letitia, Iaudans
et benedicens Deum. Übers. der Verfasserin.
549 Zur symbolischen Bedeutung von Tieren im Traum siehe unten, Kapitel 4.7.2 der
vorliegenden Arbeit.
550 G. MISCH erwähnt diesen Traum in seiner Geschichte der Autobiographie (Bd.
4,1, Frankfurt/Main 1967, S. 55), allerdings ohne näher auf die Symbolik einzugeDER
TRAUM ALS PERSÖNLICHES ERLEBNIS 225
Der fromme Heilige fand also für das Problem, welches ihn sehr
beschäftigt hatte, schließlich im Traum eine gültige Lösung. Sein Erlebnisbericht
muß· – er wurde auch in späteren Viten tradiert – einige
Bekanntheit erreicht haben, denn rund hundert Jahre später finden wir
noch ein Echo bei Johannes Gerson. Dieser berühmte Theologe und zeitweilige
Kanzler der Pariser Universität referierte nämlich Petrus‘ Traum
in einem Traktat, in dem er sich mit der Frage der Würdigkeit des Priesters
für die Meßzelebration befaßte. 551
Gerson glaubte in Anlehnung an die aristotelische Ethik an das
Genügen einer moralisch einwandfreien Gesinnung. Jeder Christ müsse
sich deshalb für den Kommunionempfang frei wissen von bösen Absichten
und Todsünden. Wenn aber ein Priester nach nächtlicher Pollution
die Messe nicht feiere, so könne das die Dämonen in ihren Angriffen sogar
noch bestärken, da es ihnen auf diese Weise gelinge, ihr Opfer vom Guten
abzuhalten. Die Pollution stellte für Gerson schon deshalb keine schwere
Sünde dar, weil sie im Schlaf geschieht und auch beim Aufwachen meistens
nicht mehr willentlich gestoppt werden kann. Es handle sich dabei
um einen natürlichen Vorgang, dessen Häufigkeit je nach körperlicher
Disposition sehr unterschiedlich sein könne. Gersan hielt die abgehende
Flüssigkeit nicht für schmutziger als die weibliche Monatsblutung oder
den bei Aussatz entstehenden Eiter. Ja er empfahl sogar, die altjüdischen
Reinheitsvorschriften bezüglich solcher Körperabsonderungen nicht allzu
wörtlich aufzufassen, denn die darauf beruhenden Zwangsvorstellungen,
vor denen er ausdrücklich warnte, vertrügen sich schlecht mit der Befreiungstat
Christi. Letztlich vermöchten nämlich weder ein mit Heulen und
Zähneklappern verbundenes Schuldbewußtsein noch ein an sich schon
gefährlicher Stolz auf gute Werke und sonstige Verdienste den Menschen
vor Gott zu rechtfertigen. Damit befand sich Johannes Gerson schon
ziemlich nahe bei den Gedanken Martin Luthers, der nur an Rechtfertigung
durch die Gnade glauben konnte, und fand für eine alte Frage eine
hen. Ebenso findet sich ein kurzer Hinweis bei M. GOODICH, Vita perfecta: the
Ideal of Sainthood in the Thirteenth Century (=Monographien zur Geschichte des
Mittelalters 25) Stuttgart 1982, S. 113.
551 Johannes Gerson, De praeparatione ad missam. Ed. H. GLORIEUX, Oeuvres
completes, Bd. 9 (1973) Nr. 425, S. 35 ff. – Gersons Bruder Nikolaus war
Cölestinermönch, über ihn dürfte der französische Gelehrte Kenntnis von der Traumerzählung
des italienischen Heiligen erhalten haben.
226 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
menschlich überzeugende und für katholische Geistliche und Ordensleute
wohl auch heute noch gültige Antwort.
Man kann die Erwähnung von Petrus‘ Traum in Gersons Traktat
zunächst einfach als eine Art von höfticher Reverenz des der konziliaren
Idee verpftichteten Theologen an Coelestin V. betrachten. Dieser
Papst soll nämlich als erster und einziger in der Geschichte freiwillig
auf sein Amt verzichtet haben, wobei der Rücktritt eines Papstes anfangs
des 15. Jahrhunderts bei den Konzilien von Konstanz und Basel
wieder ein sehr aktuelles Problem darstellte. Die Position der Erzählung
gegen Ende seines Traktates im letzten der ingesamt zehn Abschnitte erlaubt
jedoch zusätzlich die Vermutung, der spätmittelalterliche Theologe
habe hier diesem Traum eine Art Beweisfunktion für die von ihm vertretene
Ansicht eingeräumt, obwohl Gerson sonst bekanntlich Träumen
und Visionen sehr kritisch gegenüberstand und auch den letzteren nur
in seltenen Ausnahmen zubilligte, himmlische Botschaften zu enthalten.
Träume aber, so erfuhren wir weiter oben, verdienen seiner Ansicht
nach allenfalls dann die Aufmerksamkeit der Gläubigen, wenn sie, und
sei es auch zu!cillig, gute Taten zu verlangen oder vor Bösem zu warnen
scheinen. 552 Der Traum des Heiligen verhalf ihm gemäß dieser Betrachtungsweise
dazu, Gottes Willen klarer zu erkennen; deshalb konnte er
auch zur Bekräftigung von Gersons eigenen Überlegungen dienen.
4.3.2. Sexuelles Erleben im Traum und die Rolle der Dämonen
Das Phänomen der nächtlichen Pollution ist also recht gut dokumentiert,
und die darüber geführten Diskussionen gewähren einen interessanten
· Einblick in die Mentalität des damaligen Klerus. Die Sexualfeindlichkeit
war in der kirchlichen Theologie tief verwurzelt, und hervorragende
Geister wie Augustinus, Petrus von Morrone oder Johannes
Gerson mußten sich jeweils mühsam zur Tolerierung der als natürlich
erkannten Körperfunktionen durchringen. Diese gesamthaft gesehen negative
Wertung der Geschlechtlichkeit macht es verständlich, daß genaue
Inhaltsangaben über sexuelle Träume selten sind. Deren Vorkommen
wird zwar hin und wieder zugegeben, eine nähere Beschreibung hätte
jedoch sowohl beim Autor wie beim Leser unerlaubte Phantasien provoziert
und unterblieb deshalb meistens. Was bei der vorliegenden Un-
552 Siehe oben, Kapitel 3.5 der vorliegenden Arbeit.
DER TRAUM ALS PERSÖNLICHES ERLEBNIS 227
tersuchung an diesbezüglichen Andeutungen in mittelalterlichen Texten
gefunden werden konnte, soll im Folgenden kurz referiert werden.
Der selige Johannes von Gorze, dessen asketische Leistungen in bezug
auf den Schlafverzicht bereits dargestellt wurden553, versuchte nach
Aussage des mit ihm befreundeten Biographen insbesondere den Schlaf
in der Morgenfrühe zu vermeiden und kämpfte damit gegen eine alte
Schwäche.554 Vielleicht war Johannes in seinen jungen Jahren wirklich
nur ein Langschläfer; es drängt sich aber die Vermutung auf, daß es sich
hier um eine Anspielung auf die bei vielen Männern am Morgen spontan
auftretende Erregungsphase handelt, die der Mönch als Versuchung
interpretierte und durch das Wachen umgehen wollte.
Die Echtheit der Briefe von Heloise und Abaelard ist bekanntlich
sehr umstritten, doch neigen die Forscher neuerdings wieder zur Anerkennung
ihrer Authentizität.555 Die uns hier interessierende Passage aus
einem Brief der unglücklichen Äbtissin deutet nach meiner Meinung gerade
wegen ihrer schonungslosen Aufrichtigkeit kaum auf eine Fälschung.
Einige Jahre nach dem über Abaelard und sie selbst hereingebrochenen
Schicksalsschlag der gewaltsamen Entmannung des berühmten Philosophen
schrieb sie an diesen ihren ehemaligen Liebhaber, daß sie die Härte
der erzwungenen Entbehrung sogar noch im Traum empfände:
„In Wahrheit waren mir jene Freuden der Liebenden, die wir gemeinsam
genossen haben, so süß, daß ich sie kaum auszusprechen
vermag und doch nicht vergessen kann. Wohin ich auch gehe, im-
553 Siehe oben, Kapitel 2.2 der vorliegenden Arbeit.
554 Johannes Abt von St. Arnulf, Vita Johannis de Gorze, MGH SS 4, cap. 82, S.
360.
555 P. ZERBI, Abelardo ed Eloisa: il problema di un amore e di una corrispondenza,
in: W. VAN DER HOECK, A. WELKENHUYSEN (Hg.), Love and Marriage in
the 12th century, London 1970, S. 13G-161. Gegen die Authentizität äußerte sich
engagiert J. BENTON in: Pierre Abelard – Pierre le Venerable, Actes du Colloque
de Cluny, Paris 1975, S. 469-506. Er widerrief jedoch seine Meinung in: Petrus
Abelardus 1072-1142 – Person, Werk und Wirkung, Trier 1980, S. 41-52. Vgl. ferner
auch R. MOHR, Der Gedankenaustausch zwischen Heloise und Abaelard, in: Regula
Benedicti Studia, Annuarium Internationale V (1977) S. 307-333. J. MONFRIN, Les
Jettres d’amour d’Heloise et d’Abelard, in: Le Monde XV (1979) suppl. de no. 10795;
Peggy KAMUF, Fictions of Feminine Desire: Disdosures of Heloise, Lincoln 1982,
bes. S. 1-43.
228 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
mer wieder treten mir diese Szenen vor die Augen. Nicht einmal im
Schlaf werde ich vor solchen Trugbildern verschont.“556
Da sie sich selbst keinen Rat wußte, suchte sie Trost und Hilfe bei Abaelard,
der nun nur noch ihr geistiger Freund sein konnte und der ihr auch
in manchen anderen praktischen Fragen des Klosterlebens beistand.
Caesarius von Heisterbach behandelte ebenfalls das Problem, welches
die Geschlechtlichkeit für die zur Keuschheit verpflichteten Klosterinsassen
darstellte, in einigen seiner Anekdoten. So wurde ein junger
Mönch, der vor dem Altar stehend einnickte, im Traum von der hl.
Jungfrau Maria am Ärmel gezupft und diesbezüglich ermahnt. Erwachend
glaubte er noch, ihre Stimme zu hören und einen weiblich geformten
Rücken weg gehen zu sehen557, was, wenn nicht sexuelle Träume,
so doch zumindest zweideutige Phantasien über weibliche Heilige erahnen
läßt. Ein ähnliches Phantasiebild, allerdings mit negativem Vorzeichen,
überliefert Caesarius von einem anderen Mönch, der während
der allgemeinen Mittagsruhe im Dormitorium plötzlich eine schwarzgekleidete
Nonne einen seiner schlafenden Mitbrüder küssen sah.558 Als
er nach ihrem Verschwinden Nachschau hielt, sah er den Konventualen
unziemlich entblößt auf seinem Lager liegen. Da dieser Mann noch am
selben Tag erkrankte und bald darauf starb, wurde der wohl nur in der
Phantasie des im Halbschlaf befindlichen Beobachters wahrgenommene
Besuch der Nonne nachträglich in eine Erscheinung des Teufels umgedeutet.
Dieser hätte sich sein Opfer gewissermaßen auf Grund seiner
sündhaften Unschamhaftigkeit ausgesucht und mit dem Kuß dem Tod
geweiht.
Schließlich gestand auch der uns bereits bekannte Petrus von Morrone
eine Traumversuchung ein, die ihr Material aus einer Begegnung
mit zwei jungen Frauen schöpfte, deren Weg der Abt einmal rein zufällig
556 The Personal Letters Between Abaelard and Heloise. Ed. J. T. MUCKLE, Mediaeval
Studies XV (1953) S. 47-94, Brief III, S. 81: In tantum vero illae, qua&
pariter ezercuimu&, amantium voluptate& dulce& mihi fuerunt, ut nec di&plicere mihi,
nec viz a memoria labi po&&int. Quoqunque loco me vertam, &emper &e oculi& mei&
cum &ui& ingerunt de&iderii&. Nec etiam dormienti &ui& illu&ionibu& parcunt. Übers.
der Verfasserin.
557 Caesarius v. Heisterbach, Dialogus, lib. Vl, cap. 30, S. 199; „Posteriora feminae“
könnte man wohl sogar mit ‚weibliches Hinterteil‘ übersetzen.
558 Caesarius v. Heisterbach, lib. V, cap. 33, S. 316.
DER TRAUM ALS PERSÖNLICHES ERLEBNIS 229
gekreuzt hatte. Danach hätten die Dämonen häufig die Gestalt jener
hübschen Mädchen angenommen, sich nackt von beiden Seiten an den
Körper des Träumers angeschmiegt und ihn so zum Abwehrkampf gezwungen.
559
Die Vorstellung von Geistwesen, die mit Menschen geschlechtlich
verkehren, ist uralt, wie Genesis 6, 1-4 beweist, wo von Engeln, welche
mit Menschenfrauen Kinder zeugten, die Rede ist. Aus der klassischen
Antike sind ebenfalls Berichte und literarische Anspielungen auf solch
ungebetene nächtliche Besucher überliefert. Dieser Glaube gedieh auch
im Mittelalter und hielt sich bis ins 19. Jahrhundert hinein.560 Einige
gut bezeugte Beispiele aus dem Mittelalter sollen illustrieren, um was es
in dieser Vorstellung geht. Bischof Thietmar von Merseburg berichtet
von einer merkwürdigen Versuchung eines Geistlichen namens Husward,
der seine Lagerstatt in Magdeburg eine Zeit lang unmittelbar neben
derjenigen Thietmars hatte.561 Der Teufel bat den frommen Priester
nachts nämlich des öfteren, bei ihm liegen zu dürfen, erhielt aber die
Zustimmung Huswards nicht. Der böse Geist gab aber keineswegs auf,
sondern versprach nun reiche Geschenke. Husward aber schlug auch
dieses Angebot aus und erfuhr schließlich, daß ein anderer Kleriker, der
dem Dämon zu Willen gewesen sei, schmählich am Galgen geendet habe.
Die geschilderte Situation läßt vermuten, daß der böse Feind die
beiden erwähnten Opfer in der Gestalt eines Succubus, also einer erotisch
anziehenden Frauengestalt, verführen wollte, wie das ja auch bei
Petrus von Morrone angedeutet wird. Dies war jedenfalls gewöhnlich der
Weg, um Männer zu versuchen, während Mädchen und Frauen das Opfer
559 Petrus von Morrone, Autobiographia, S. 62.
560 Eine erste nützliche Übersicht über diese Legenden und deren Interpretationen
bietet das ältere Bändchen von J. DELASSUS, Les Incubes et les Succubes (Paris
1897), der auch bereits richtig zwischen Alpdruck-Phänomenen und sexuellen Phantasiegestalten
unterschied und für letztere Variante einige Beispiele aus französischen
Nonnenklöstern der Neuzeit schilderte. – Aus der Sicht der Freudschen Psychoanalyse
schrieb E. JONES: Der Alptraum in seiner Beziehung zu gewissen Formen
des mittelalterli<hen Aberglaubens (=Schriften zur angewandten Seelenkunde 14)
Leipzig-Wien 1912, wobei er aber den Schwerpunkt auf die antiken Zeugnisse einerseits
sowie auf volkstümliches Sagengut andererseits legt und das Mittelalter nur am
Rande behandelt.
561 Thietmar von Merseburg, Chronikon. Ed. F. KURZE, MGH SS in usum schol.
54, Hannover 1889, lib. IV, cap. 67, S. 100 f.
230 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
eines lncubus werden konnten, der ihnen in der Art eines Mannes beiwohnte.
Aus dieser Verbindung konnten nach der allgemein herrschenden
Vorstellung sogar lebensfähige Kinder hervorgehen.562 Der sagenhafte
Zauberer Merlin beispielsweise soll nach dem Volksglauben Sohn
einer Tochter Karls des Großen und eines lncubus-Dämons gewesen sein,
was seine magischen Kräfte wenigstens teilweise erklärte. Eine ähnliche
Abstammung schrieb man im Mittelalter auch dem antiken Kriegshelden
Alexander dem Großen oder den sagenhaften Zwillingen Romulus
und Remus zu. Die Umdeutung heidnischer Götter zu Dämonen wurde
schon von den antiken Kirchenvätern ganz allgemein systematisch betrieben,
so daß das intime Verhältnis eines Menschen mit einer Gottheit
konsequenterweise als verabscheuungswürdiger Verkehr mit bösen
Geistern gelten mußte. Diese Sicht der historischen Entwicklung eines
Sagenmotivs möchte ich einem neulich unternommenen Interpretationsversuch
vorziehen, wonach der in einer patriarchalisch geordneten Welt
nur heimlich zu empfangende Geliebte als Urform des lncubus zu gelten
hätte.563
Gegen den normalerweise unerwünschten Besuch von solchen Buhlgeistern
halfen in erster Linie geistige Mittel wie Gebet, Kreuzzeichen,
der Empfang von Sakramenten oder in hartnäckigen Fällen auch ein
förmlicher Exorzismus, wie ihn beispielsweise Caesarius von Heisterbach
bezeugt.564 Daneben wurden zur Abwehr auch aromatische Pflanzen und
562 Prominente Theologen wie Thomas von Aquin dachten dabei jedoch an menschlichen,
einem Mann in der Truggestalt einer schöner Frau geraubten Samen; mit diesem
zeugte der Dämon dann als Incubus in einem weiblichen Opfer neues Leben. Summa
Theologiae, Pars I, lib. 9, q.51, art.2. Ed. lat. eng!. K. FOSTER, London 1968, S.
42.
563 Vgl. dazu Monika BLÖCKER-WALTER, Imago fidelis – Incubus: Die Umdeutung
eines Traumbildes im Mittelalter, in: Variorum munera florum, Festschrift Hans
Haefele, hrg. von A. REINLE – L. SCHMUGGE – P. STOTZ, Sigmaringen 1985,
S. 205-210. Die Autorin beschreibt anband frühmittelalterlidJ.er Lyrik Frauen, die
unter dem Druck der Verhältnisse sehr häufig verlassen wurden und so in langen einsamen
Nächten wachend oder schlafend nur noch das Erinnerungsbild des Geliebten
umarmen konnten. Dieses Beziehungsmuster wäre dann von den Geistlichen, welche
an der Unterdrückung des weiblichen Selbstbestimmungsrechtes teilhatten und die ja
uneheliche Beziehungen generell verurteilten, ins Teuflische transformiert worden.
564 Caesarius v. Heisterbach, Dialogus, lib. III, cap. 8, S. 120 und lib. V, cap. 46, S.
331.
DER TRAUM ALS PERSÖNLICHES ERLEBNIS 231
Gewürze oder magische Zeichen wie Pfeilspitzen angewandt. Als weitere
Möglichkeit konnte man schließlich einen Orts- und Milieuwechsel in Betracht
ziehen. 565
Die Lehre von der dämonischen Natur solcher Erscheinungen fand
ferner Eingang ins Werk des Gelehrten Wilhelm von Auvergne, der 1249
als Bischof von Paris starb. In seiner Hauptschrift „De universo“ diskutierte
er unter anderem auch das Problem der Existenz von Incubus und
Succubus in scholastischer Manier, wobei er zwischen der traditionellen
Vorstellung und rationalen Erklärungsversuchen hin und her schwankte.
Seiner Meinung nach bedienten sich die Dämonen häufig der Tiergestalt,
wenn sie eine Frau schwängern wollten. Dazu schien der Bär,
der sein Weibchen mit den Vorderpranken von Angesicht zu Angesicht,
also nach Menschenart, umarmen konnte, besonders geeignet.566 Andererseits
nahm Wilhelm keineswegs alles, was über Incubus-Geister im
Volksmund erzählt wurde, für bare Münze. So hielt er etwa allzu unkritischen
Leuten entgegen, daß der Gebrauch von aromatischen Dämpfen
die Sinneswahrnehmung stark einschränken könne, so daß eine Frau sich
leicht einbilde, sie verkehre nacheinander mit hundert Männern, während
sie doch in Wirklichkeit in der selben Zeit nur von ein- und demselben
Partner umarmt werde.567
Eine anschauliche Schilderung eines Incubus-Besuches verdankt man
dem Abt Wibert von Nogent. Es handelt sich dabei um ein Erlebnis,
welches Wiberts Mutter zur Zeit der Gefangenschaft ihres Mannes widerfahren
war. Abt Wibert, der damals noch nicht geboren war, kannte
es wohl durch ihre eigene Erzählung:
„In der Stille der Nacht, als sie voll von tiefer Sorge in ihrem Bett
lag, und weil es den Gepflogenheiten des bösen Feindes entspricht,
von Kummer geschwächte Seelen heimzusuchen, fühlte sie wachend
plötzlich den Feind auf sich liegen und glaubte durch sein Gewicht
erdrückt zu werden. Sie erstickte fast vor Angst und verlor die
Herrschaft über ihre Glieder; unfahig auch nur einen Laut von sich
zu geben, blieb allein ihr Geist frei und so hoffte sie auch nur auf
565 DELASSUS, Les incubes et !es succubes, S. 16.
566 Wilhelm von Auvergne, De universo, lib. III, cap. 25. zitiert nach JACQUART
– THOMASSET, S. 221 f.; vgl. dort auch nähere Erläuterungen über den Glauben
an die Zeugung von Nachwuchs aus der Verbindung von Tier und Mensch.
567 Wilhelm von Auvergne, De universo, lib. 111, cap. 25.
232 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
Gottes Hilfe. Dann plötzlich hörte sie die Stimme eines anderen
Geistwesens vom Kopfteil ihres Bettes her rufen: „Heilige Maria,
hilf!“ . . . und mit der Stärke Gottes schleuderte es den Dämon mit
großem Krach weg, so daß der Raum erzitterte und die schlafenden
Mägde abrupt geweckt wurden.“568
In diesem Textausschnitt begegnen wir zunächst der Vorstellung des
Alpdruckes oder Nachtmahrs, welcher auf der Brust seines Opfers sitzt
und ihn so zu ersticken droht. Dann folgt auf die gedankliche Anrufung
Gottes sofort das Eingreifen eines guten Geistes, der den Dämon
in dramatischem llingen besiegt. – Interessanterweise suchte etwa die
im 12. Jahrhundert wirkende Hildegard von Bingen eine Erklärung für
solche unangenehme Erfahrungen nicht nur in dämonischen Angriffen,
sondern dachte bereits an Symptome einer körperlichen Erkrankung.569
Nach Wiberts Darstellung scheint es sich beim Erlebnis seiner Mutter
allerdings um einen einmaligen Vorfall gehandelt zu haben, so daß die
Annahme einer körperlichen Störung wenig wahrscheinlich wirkt. Hingegen
erlauben es die Lebensumstände der noch jungen Frau durchaus,
ihr Erlebnis als Incubus-Phantasie im sexuellen Sinn oder als einen entsprechenden
Traum zu deuten. Sie lebte ja zu dieser Zeit schon eine
Weile ohne ihren Mann, der sich in englischer Gefangenschaft befand und
erst später nach einer Lösegeldzahlung zu seiner Familie zurückkehren
durfte. Ob die Gattin in dieser kummervollen Situation das eheliche Zu-
568 Wibert von Nogent, De vita sua, lib. I, cap. 13, S. 90: Cumque eju􀃆dem noctis
fieret intempe􀃆tum et illa, atroci anzietate pleniuima, proprium cubile foveret, 􀃆ic·
ut diabolo con􀃆uetudinarum e􀃆t, ut potiuimum animi􀃆 trütitia macerati􀃆 immergat,
􀃆ubito vigilanti illi ip􀃆e inimicu􀃆 incubuit, et gravi􀃆􀃆imo pene u􀃆que ad eztinctionem
pondere jacentem oppre􀃆􀃆it. Cum 􀃆ub hac eju􀃆 􀃆piritu􀃆 􀃆uffocaretur angu􀃆tia, et
omnium membrorum ez toto libertate careret, voci􀃆 autem cuju􀃆piam 􀃆onitum nullatenu
􀃆 emittere po􀃆set, 􀃆olumque Dei, muta penitu􀃆 sed ratione Iibero, prae􀃆tolaretur
auzilium, ecce a lectuli ejus capite quidam spiritus, haud procul dubioquin bonus,
sie inclamare, non minus affectuosa quam aperta voce, coepit: „Sancta Maria adjuva!“
. . . utpote ez Deo violentu􀃆 cum tanto fragore subvertit, ut, impulsu graviter
cameram quatiente, asseculas sopore depressas in􀃆o/enter nimü ezciret. Übers. der
Verfasserin nach LABANDE.
569 Hildegard, Briefe, S. 183 f., dazu siehe auch Kapitel 2.3.1 der vorliegenden Arbeit.
– Die moderne Schlafforschung nennt als Ursache des Alpdrucks die Apnoe, eine
Erschlaffung der Hals- und Rippenmuskulatur nach dem Einschlafen, was eine schwere
Störung der Atemfunktion zur Folge hat. Vgl. dazu N. FINK, Lehrbuch, S. 195 f.
DER TRAUM ALS PERSÖNLICHES ERLEBNIS 233
sammensein bewußt vermißte, darf nach einigen Andeutungen Wiberts
eher bezweifelt werden. Der Vollzug ihrer Ehe fand nämlich erst mehrere
Jahre nach der Heirat statt; während dieser Zeit begann ihr Mann
jedoch ein Verhältnis mit einer anderen Frau.570
Erstaunliche Worte finden sich auch bezüglich ihres späteren Witwentums;
Wibert beschreibt die Haltung seiner von ihm innig geliebten
Mutter einige Jahre nach dem Tod ihres Mannes folgendermaßen:
„Obschon der Allmächtige ihr große Schönheit verliehen hatte, dachte
sie doch gering über dieses ihr überall Lob verschaffende Aussehen,
wie wenn ihr ihre Schönheit gar nicht bewußt wäre, und
sie genoß ihr Witwentum, als ob sie die weiblichen Ehepflichten –
unfähig sie zu ertragen – immer gehaßt hätte“ .571
Die der Sexualität so entschieden entgegengebrachte Abneigung war gewiß
mit ein Grund, weshalb die attraktive und begüterte Witwe eine
Wiederverheiratung strikte ablehnte. Folgt man der erstmals von J.
BENTON vorgeschlagenen Interpretation dieser Äußerungen Wiberts,
so ergibt sich aus der negativen Einstellung der jungverheirateten Frau
auch eine Erklärung, weshalb Wiberts Vater die Ehe so lange nicht vollziehen
konnte.572 – Freilich darf man hier nicht außer Acht lassen, daß
der Schreiber des Berichtes ein Mönch, ja sogar ein gut geschulter Theologe
war. Deshalb neigte Wibert aus seiner religiösen Optik vielleicht
dazu, seine Mutter als besonders keusch zu zeichnen und die Phasen ihrer
unfreiwilligen Enthaltsamkeit überzubetonen. Trotz dieses quellenkritischen
Einwandes und generellen Vorbehalten gegenüber einer undifferenzierten
Anwendung des FREUD’schen Deutungsmodelles erscheint
es mir aber in diesem außergewöhnlich gut dokumentierten Fallbericht
gerechtfertigt, den Alptraum als bedrohlich empfundenen Durchbruch
der aus dem Bewußtsein verdrängten Sexualität zu verstehen.
Wenn selbst verheiratete Menschen vor solchen als Nachstellung von
Dämonen verstandenen Erlebnissen nicht sicher waren, so dürften derar-
570 Wibert von Nogent, De vita sua, lib. I, cap. 12, S. 74 ff.
571 Wibert von Nogent, lib. I, cap. 18, S. 146: Cui cum Deu& &peciem tantopere
prae&titi&&et, ita quidquid in &e laudabatur po3thabuit, ac&i &e&e nullatenu& pulekram
3Ci&&et, ita viduitatem colui, ac&i maritalia 3emper debiti cubilü impatien3 horruÜ3et.
Übers. der Verfasserin nach LABANDE.
572 J. BENTON, Self and Society: The Memoirs of Abbot Guibert of Nogent, New
York 1970, Introduction, S. 13 f. und 26.
234 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
tige Konfrontationen in Klöstern noch häufiger vorgekommen sein. Die
erzwungene Askese machte nicht nur Männern, sondern auch Frauen oft
schwer zu schaffen, wie wir hier an einem abschließenden Beispiel sehen
können. Wahrscheinlich setzten sich nicht alle Nonnen eingedenk ihres
Keuschheitsgelübdes so heldenhaft zur Wehr wie die von Gerald von
Wales beschriebene englische Klosterfrau.573 Diese hatte sich in einen
zufällig am Fenster vorübergehenden jungen Kleriker verliebt und sah
sich nachts prompt im Traum von diesem jungen Mann zum Geschlechtsverkehr
eingeladen. Die Träumerin fühlte sich hin und her gerissen im
Kampf von Geist und Fleisch, beschloß aber dann der Versuchung zu
widerstehen. Darauf schien ihr Verehrer plötzlich eine unmenschliche
Größe und Gestalt anzunehmen und sie sprang im Traum erschreckt aus
dem Bett. Mit dem Mut eines Mannes ergriff sie eine an der Wand
hängende Sichel und schnitt den Riesen in zwei Stücke. Der aus dem
Leib dringende faule Gestank weckte die Nonne schließlich und blieb ihr
zusammen mit der Erinnerung an den unangenehmen Traum noch lange
im Gedächtnis haften, was ihr wohl half, ähnliche Versuchungen später
leicht zu bestehen.
4.4. DER TRAUM ALS SPIEGEL VERSCHIEDENER EMOTIONEN
4.4.1. Bestätigung und Wunsch
Mittelalterliche Beschreibungen von Heiligenleben enthalten oft Traumerzählungen,
welche von den Heiligen selber und insbesondere von ihren
Biographen als göttliche Bestätigung ihres Handeins verstanden wurden.
Bereits die Vita des Sulpicius Severus über Bischof Martin von
Tours (gest. 397) enthält eine derartige Episode, die wahrscheinlich ihrerseits
typologische Wirkung hatte, denn Sulpicius Werk diente später
vielen Hagiographen als Gattungsmuster. Es handelt sich dabei um den
berühmten Bericht von der Mantelteilung.574 Martin war damals noch
ein Jüngling und leistete im römischen Heer Dienst, bereitete sich aber
schon auf die christliche Taufe vor. Als der Soldat in der Stadt Amiens
sein ganzes Bargeld an verschiedene während der winterlichen Jahreszeit
besonders notleidende Bedürftige verteilt hatte, begegnete ihm vor dem
573 Gerald von Wales, Gemma Ecclesiastica, Opera Bd. 2, tract. 2, cap. 11, S. 222 f.
574 Sulpicius Severus, Vita s. Martini, cap. 3.3. Ed. J. FONTAINE (=Sources
chretiennes 133) Paris 1967-69; Bd. 3, S. 255.
DER TRAUM ALS PERSÖNLICHES ERLEBNIS 235
Stadttor ein in Lumpen gekleideter Bettler. Da griff Martin rasch zum
Schwert und zerschnitt seinen warmen Militärmantel, um auch diesem
Armen etwas schenken zu können. Sulpicius bemerkt ferner noch, daß
wohl einige der Umstehenden Martins Herzensgüte verlachten, andere
hingegen sich darob ihrer eigenen Härte gegenüber den Notleidenden zu
schämen begannen. In der folgenden Nacht aber habe der junge Soldat
dann Christus mit eben diesem halben Mantel bekleidet vor sich gesehen.
Der Herr lobte Martin, der ja noch ein Chatechumene, also ein
ungetaufter Heide, war, vor den Engeln ausdrücklich für seine gute Tat.
Diese Traumerscheinung kommentiert der Hagiograph mit dem zentralen
Satz aus der Bergpredigt: ‚Was ihr einem dieser meiner geringsten
Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.‘ (Mt. 25,40)
Die Reaktion des Heiligen auf diese wunderbare Rechtfertigung und
Bestätigung der in menschlichen Augen beinahe töricht anmutenden
Handlung wird von Sulpicius ebenfalls überliefert. Martin sei durch
dieses Lob des Herrn keineswegs hochmütig geworden, er habe darin
Gottes große Güte gesehen und den ganzen Vorfall als Anlaß genommen,
sich so bald wie möglich taufen zu lassen, zumal er nun auch das dazu
notwendige Alter von achtzehn Jahren erreicht hatte. – Die barmherzige
Mantelteilung Martins darf wohl als historisch gesichert betrachtet
werden, denn Sulpicius kannte den Heiligen in dessen späteren Jahren
persönlich. Es wäre nun freilich denkbar, daß der Traum nur eine fiktive
Ausschmückung des Hagiographen darstellt, der seinen Helden als besonders
gottverbunden zeichnen wollte. Das von Martin im Schlaf erlebte
Lob Christi erscheint aus heutiger Sicht als eine Art von seelischem Ausgleich
auf den Spott der Kameraden aber durchaus plausibel. Jedenfalls
hat die Tatsache, daß Sulpicius hier einem Traumerlebnis den Charakter
einer religiösen Bekräftigung zusprach, die mittelalterliche Auffassung
stark geprägt. In einem späteren Traum wurde Martin dann auch aufgefordert,
seine Heimatregion und seine Eltern, die noch Heiden waren,
zu besuchen und sie zum wahren Glauben zu führen. Nach LE GOFFs
Ansicht bestätigt und bezeugt der gottgesandte Traum die wesentlichen
Etappen von Martins Weg zur Heiligkeit, indem er den jungen Mann
zur eigenen Bekehrung aufforderte und ihn zur missionarischen Tätigkeit
hinführte. 575
Noch deutlicher wird die verbindende Rolle des Traums zwischen
575 J. LE GOFF, Les reves dans l’Occident, S. 305.
236 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
Gott und Mensch in der Lebensbeschreibung des hl. Ansgar von Harnburg
(gest. 865). Diese Vita wurde kurz nach Ansgars Tod von seinem
Schüler und Nachfolger auf dem Bischofssitz von Hamburg-Bremen,
llimbert, verfaßt. Nach llimberts Aussagen hatte Ansgar im Laufe seines
Lebens bemerkenswert viele Visionen und Träume, von denen sich fast
alle einige Zeit später als wahr erwiesen, die er aber so lange wie möglich
zu verheimlichen suchte und nur den engsten Vertrauten unter dem Siegel
der Verschwiegenheit mitteilte. Seine seherische und intuitive Begabung
ging soweit, daß er sich auch in den alltäglichen kirchenpolitischen Fragen
und Entscheidungen darauf verließ und kaum je handelte, bevor er
nicht im Traum eine klare Antwort oder wenigstens eine Bestätigung der
von ihm in Erwägung gezogenen Lösung erhalten hatte.576
Von Kaiser Ludwig dem Frommen hatte er schon 829 den Auftrag
zur Heidenmission im Gebiet des heutigen Schweden erhalten. Dieses
Unternehmen war aber im ersten Anlauf wenig erfolgreich, und erst zur
Zeit König Ludwigs des Deutschen konnte man an einen erneuten Versuch
denken. Dieser König ermächtigte nun seinerseits Ansgar, an der
Spitze einer formellen Gesandtschaft den schwedischen Herrscher aufzusuchen
und für die Idee der christlichen Missionierung zu gewinnen. Mitten
in den Vorbereitungen für diese nicht ungefährliche Reise erinnerte
sich der zwischen Begeisterung und Sorge schwankende Heilige an eine
vor einiger Zeit geträumte Szene. Dem Träumer schien, er käme auf seinem
Weg zu einem größeren Gebäudekomplex mit vielen Wohnräumen.
Dort trat ihm ein Mann entgegen, der ihn bat, sich über die ihm gestellte
Aufgabe keine Sorgen zu machen. Dann wies er Ansgar ins Innere, wo
ihm sein einstiger Vorgesetzer, Abt Adalhard von Corbeil den guten
Ausgang prophezeien werde. Ansgars Traum-Ich ging also ins Haus hinein
und fand den Abt auf seinem Amtsstuhl sitzend, der ihn nun mit
folgenden Worten ermutigte:
„Höret Inseln, merket auf, ihr Völker in großer Entfernung. Der
Herr hat dich vom Mutterleib an berufen. Als du noch im Bauch
der Mutter weiltest, war dein Name bereits bekannt. Er hat deinen
Mund zum scharfen Schwert gemacht, und er beschützt dich im
Schatten seiner Hand und verwendet dich wie einen ausgewählten
Pfeil; in seinem Köcher hält er dich verborgen und sagt zu dir:
576 Rimbert, Vita Anskarii. Ed. G. WAITZ, MGH in usum schol. 55, Hannover 1884,
cap. 36, S. 70 f.
DER TRAUM ALS PERSÖNLICHES ERLEBNIS 237
‚Du bist mein Diener, denn durch dich werde ich verherrlicht werden“‚
.577
Nachdem der Abt diese Worte aus dem Buch Isaias 42,1-3 zitiert hatte,
streckte er den rechten Arm über Ansgar aus, wie wenn er ihn segnen
wollte, und fügte in noch deutlicherer Anspielung die anschließenden
Verse 5-7 sowie 55,4-5 hinzu:
„Und nun sagt dir Gott, der dich im Mutterleib zu seinem Diener
geformt hat: ‚Ich habe dich zum Licht der Heiden bestimmt, damit
du ihnen das Heil bringest bis zu den Grenzen der Erde. Die
Könige werden sehen und die Fürsten werden aufstehen und anbeten
den Herrn, deinen Gott und Heiligen Israels, denn er wird dich
verherrlichen.‘ „578
Daß diese geträumte Aufforderung wirklich mit seinem schwedischen
Missionsauftrag zusammenhing, leitete Ansgar offensichtlich von den
Worten „Audite Insulae“ ab, denn man konnte in karolingischer Zeit
die von Meeren umgebenene skandinavische Landmasse sehr wohl als
riesige Insel auffassen.
Anhand der autobiographischen Notizen des bereits mehrfach erwähnten
Othlo von St. Emmeram läßt sich zeigen, daß solche Bestätigungsträume
spätestens seit dem 11. Jahrhundert kein Privileg der
Heiligen mehr waren.579 Von Othlo weiß man, daß er in der äußeren
577 Rimbert, Vita Anskarii, cap. 25, S. 55: „A udite !nJulae, et attendite populi de
Ionge. DominuJ ab utero vocavit te, de ventre matriJ tuae recordatuJ eJt nominiJ
tui. Et poJuit OJ tuum quaJi gladium acutum, in umbra manuJ Juae prote:z:it te, et
poJuit te Jicut Jagittam e/ectam; in faretra Jua abJcondit, et di:z:it tibi: ‚Servu“ meus
eJ tu, quia in te gloriabor‘ „.
578 Ebenda: „Et nunc haec dicit tibi DominuJ, formanJ te e:z: utero Jervum Jibi:
‚Dedi te in lucem gentium, ut JÜ illiJ in 8alutem uJque ad e:z:tremum terrae. Rege“
videbunt, et conJurgent principe3, et adorabunt dominum Deum tuum et Sanctum
brael, quia glorificabit te ‚ „. Diese beiden Bibelzitate sind in der gekürzten Fassung
Rimberts wiedergegeben.
579 Die Behauptung von LE GOFF, Les reves (S. 305 f.), daß die Heiligen mit ihren
von Gott geschickten Wahrträumen an die Stelle der Heroen getreten seien, kann
demnach höchstens für das frühe Mittelalter Geltung haben. Die Ansicht spiegelt
eigentlich nur die karge und besonders einseitige Quellensituation dieser Zeit, aber
kaum die Alltagsrealität, in welcher gerade die einfachen Menschen ihren eigenen
Träumen als eine Art anderer Wirklichkeit gerne Glauben schenkten. Siehe dazu
auch oben, Kapitel 3.2 der vorliegenden Arbeit.
238 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
Schule des Klosters Tegernsee erzogen wurde und gegen den Willen seines
Vaters hier auch Mönch werden wollte. Wegen eines Streites mußte
der junge Kleriker Tegernsee allerdings um 1032 verlassen und legte wenig
später im Kloster St. Emmeram in Regensburg sein Mönchsgelübde
ab. Als Knabe oder Jüngling träumte Othlo einmal, daß er in einer
Kirche stünde, die eigentlich den Himmel darstellte und in der Engel
und Menschen Gottesdienst hielten. Er, Othlos Traum-Ich, nahm an
den liturgischen Gesängen teil und psalmodierte eifrig in einer etwas
eigenwilligen Art und Weise. Während nun einige Zuhörer an Othlos
musikalischem Vortrag gefallen fanden, erregte seine neu􀄢rtige Interpretation
das Mißfallen anderer, die darin eine sträfliche Uberheblichkeit
sahen. Nur durch die Vermittlung des am Altar als Diakon fungierenden
Engels durfte Othlo überhaupt weitermachen. Trotz der allgemeinen
Unruhe sang er mit doppelter Anstrengung weiter, denn Gott schien
zu weinen, was Othlo neuen Mut einflößte. Als Othlos Traum-Ich endlich
verstummte, wischte der Herr des Himmels sich langsam die Tränen
ab. Es handelte sich nach Othlos eigenem Kommentar vielleicht weniger
um Rührung als um Mitleid mit des Sängers großer Mühe und dessen
gleichzeitiger moralischer Zerknirschung. Darauf versprach Gott Othlos
Traum-Ich kraft seiner Gnadenfülle und auch als Dank für den schönen
Gesang das ewige Heil.580 Diese Szene spiegelt trotz aller Unbeholfenheit
und Trotzigkeit die Sehnsucht des damals noch im Jünglingsalters stehenden
Autors nach Anerkennung und Akzeptanz durch Autoritätspersonen
wider, die ihm im Traum durch die allerhöchste Instanz, nämlich
Gott selber, geschenkt wurde.
Rund zwei Jahrhunderte später stoßen wir bei Salimbene de Adam
auf einen Traum, der aus einer in den Grundzügen vergleichbaren psychischen
Situation entstanden sein könnte. Wie Salimbene in seiner
Chronik berichtet, durchkreuzte er als junger Mann die Pläne seines
Vaters, indem er gegen dessen Willen in ein Franziskanerkloster eintrat.
Die Befehle und Schimpftiraden seiner nächsten Angehörigen fruchteten
nichts; selbst als der Vater seinen Sohn im Besucherraum des Klosters
vor allen Leuten verfluchte, blieb der Jüngling bei seinem Entschluß,
dem weltlichen Leben zu entsagen. In der darauf folgenden Nacht wurde
er im Traum in seiner Haltung bestätigt und reich belohnt. Der vor dem
580 Othlo von St. Emmeram, Liber de Visionibus. PL 146, Nr. 1, Sp. 345 f. Infolge
eines Lagenverlustes im Manuskript fehlt leider der Anfang dieser Vision.
DER TRAUM ALS PERSÖNLICHES ERLEBNIS 239
Altar der Jungfrau Maria betende Träumer sah nämlich plötzlich eine
Erscheinung der Gottesmutter dort sitzen, wo sonst der Tabernakel mit
dem Allerheiligsten stand. Sie winkte ihn näher zu sich heran und lobte
ihn für sein Bekenntnis zu Christus. Dann reichte sie ihm das Kind von
ihrem Schoße hinunter, damit er es umarme und küsse.581
Der Konflikt Salimbenes mit seinem Vater bzw. der radikale Bruch
mit dessen von bürgerlichem Wohlstand geprägtem Lebensstil durch die
Hinwendung zur Armut nach dem Vorbild des hl. Franziskus blieb bekanntlich
im 13. Jahrhundert kein Einzelfall.582 Der von Salimbene eingeschlagene
Weg wurde psychologisch sinnvoll duch die Traumerscheinung
der hl. Jungfrau bestätigt, welche als erhabene Himmelskönigin
und ideale Mutterfigur die Autorität des leiblichen Vaters gewissermaßen
außer Kraft setzte oder überstieg. Die Tröstung fand ihren Höhepunkt
in der Darreichung des göttlichen Kindes, das der Träumer zu seinem eigenen
Erstaunen sehr lange in den Armen behalten und liebkosen durfte,
bis schließlich in seinem Traum das Morgengrauen und damit die Zeit
des allgemeinen Matutingebetes der unaussprechlichen Seligkeit ein Ende
bereitete. Man wird kaum an der Echtheit dieses Traumberichtes zweifeln
wollen, denn die seelische Anspannung, welche durch die persönliche
Konfrontation mit dem zürnenden Vater entstanden war, verlangte ja auf
irgendeine Weise nach einem Ausgleich. Erschüttert durch den Fluch eines
ihm so nahestehenden Menschen mußte in Adam der Wunsch nach
Anerkennung von anderer Seite wachsen; diese Sehnsucht fand eine rasche
Erfüllung in der Traumszene von der frommen Liebkosung des Jesuskindes,
das später in der Mystik des Spätmittelalters und der frühen
Neuzeit zu einem häufigen Muster religiöser Beglückung werden sollte.
Das Leben im Minoritenorden, für das sich Adam in scharfer Distanzierung
von seinem Elternhaus entschieden hatte, diente wie in jedem
Kloster vor allem dazu, dem Mönch das Seelenheil sichern zu helfen.
Die Forderung nach absoluter Armut, die der hl. Franzikus seinen
Mitbrüdern gestellt hatte, war aber hart und ging weit über das in anderen
Ordensgemeinschaften geübte Maß des Verzichts auf persönlichen
Besitz hinaus. Damit wurde die Standhaftigkeit des jungen Minoriten
wohl zumindest ebenso auf die Probe gestellt wie durch die bereits
geschilderten Auseinandersetzungen mit seinem Vater, der den Sohn
581 Salimbene de Adam, Chronica. Ed. G. SCALIA, Bari 1966, Bd. 1, S. 55 f.
582 Vgl. dazu die Untersuchung von M. GOODICH, Vita perfecta, S. 146 ff.
240 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
zunächst mit Überredung und dann sogar mit Gewalt aus dem Kloster
zu holen versuchte. Als dann wiederum ein Bekannter seiner Familie an
Adam herantrat und ihn umstimmen wollte, wälzte er sich in der folgenden
Nacht lange schlaftos hin und her. Nochmals überlegte er sich ernsthaft
die Konsequenzen seines Entschlusses und kam zur Einsicht, daß
ihm bei einer wahrscheinlichen Lebensdauer von weiteren fünfzig Jahren
nicht nur ein langer Weg der spirituellen Entwicklung offen stünde, sondern
auch eine ebenso lange, wahrhaft schmachvolle tägliche Mühe, die
seine Kräfte zu übersteigen drohte. Was er mit dem Ausdruck „labor erubescibilis“
meinte, zeigt sich in der an diese Schilderung innerer Kämpfe
anschließenden Traumerzählung.583 Es schien Salimbene nämlich, daß er
sich in Pisa auf dem Bettelrundgang befand, den die Minoriten täglich
zur Erlangung des notwendigsten Lebensunterhaltes zu machen pflegten.
Dabei vermied er sorgfci.ltig alle Quartiere und Häuser, die von
Bekannten und Geschäftsfreunden seiner Familie bewohnt wurden, um
nicht wieder mit den Vorhaltungen seines Vaters konfrontiert oder einfach
durch solche Begegnungen beschämt zu werden. Als der Träumer
aber zum Quartier San Micheie hinabstrebte, sah er plötzlich, wie Christus
selber aus einem Haus trat und das erbettelte Brot in einen Beutel
legte. Auf dieselbe den Minoriten eigentümliche Art sah Salimbene auch
die Jungfrau Maria und den Ernährer des Jesusknaben, den hl. Josef,
handeln, bis der Sack mit Gaben gefüllt war, und er hörte, wie Christus
ihn tröstete und ermutigte. – Wir brauchen hier nicht näher auf die im
Originaltext anschließende seitenlange Zusammenstellung von Bibeltexten
und Verhaltensanweisungen des hl. Franziskus einzugehen; es handelt
sich dabei offensichtlich um spätere Ergänzungen des Autors. Salimbene
fühlte sich beim Abfassen seiner Chronik offensichtlich bemüßigt, die
eindrückliche Traumszene von der bettelnden hl. Familie, die in seinem
Gedächtnis haften geblieben war, rhetorisch auszuschmücken und seinen
Lesern den hohen spirituellen Wert der freiwilligen Armut im Sinne der
‚Imitatio Christi‘ zu erläutern.
Die Träume Othlos und Salimbenes zeigen, wie tief das christliche
Frömmigkeitsideal das seelische Leben im Hochmittelalter prägte und sogar
bei Personen, welche nicht als Heilige gelten, Gesichte mit religiösem
Inhalt hervorrufen konnte. Trotzdem bleiben diese Szenen mit Gott,
Christus oder Maria meines Erachtens im Bereich des gewöhnlichen
583 Salimbene de Adam, Chronica, Bd. 1, S. 61 f.
DER TRAUM ALS PERSÖNLICHES ERLEBNIS 241
Traumes, denn sie beziehen sich offensichtlich auf vorhergehende Erlebnisse
und Emotionen des Schläfers. Salimbene meinte dann in den
nächtlichen Bildern eine Antwort auf die ihn tagsüber bedrängenden
Probleme zu finden. Aus psychologischer Sicht bietet sich hier genauso
wie beim Traum des hl. Martin und bei Othlo zunächst die Deutung als
Wunschtraum im allgemeinen Sinne des Wortes an. Der nach Erfüllung
der christlichen Forderungen strebende Mensch möchte in seinen diesbezüglichen
Anfechtungen und Bemühungen getröstet bzw. bestätigt
und gelobt werden.
Nach einem etwas abstrakteren Erklärungsmodell könnte man in
solchen Träumen auch den Versuch sehen, Konflikte zu lösen, wie sie
beispielsweise aus der Bindung an eine bestimmte soziale Gruppe und
deren Ehrbegriffe einerseits und den religiösen Idealen andererseits entstanden.
Die unterschwellige Spannung zwischen gesellschaftlichen Ehrbegriffen
und christlichen Wertvorstellungen kommt unmittelbar zum
Ausdruck in einer Episode der Heisterbachsehen Mirakelsammlung. Der
Autor erzählt hier von einem Laienbruder namens Heinrich, der in einem
Armenhospital demütig seinen Dienst verrichtete. Trotz der täglich
geübten Geduld und seines echten Mitleids mit den ihm zur Pflege anbefohlenen
Kranken befürchtete Heinrich nämlich, daß er wegen seiner
unehelichen Abkunft von einem regelvergessenen Mönch bei Gott keine
Gnade finden könne. Die Angst vor der ewigen Verworfenheit quälte
den Laienbruder lange, obwohl ihn sein Beichtvater diesbezüglich immer
wieder zu beruhigen suchte. Da träumte Heinrich in einer Nacht, als
die seelische Not eben wieder einen Höhepunkt erreicht hatte, er werde
in ein großes Haus geführt, wo er eine Menge Menschen beiderlei Geschlechts
erblickte. Eine Stimme aber unterrichtete den Träumer, daß
diese Leute zwar alle von ehrbarer Geburt seien, im Vergleich mit seiner
Tugend aber lasterhaft und schimpflich erscheinen müßten.584
* * *
Wenden wir uns nun kurz denjenigen Träumen zu, die nicht tiefe seelische
Konflikte, sondern kleine Schwächen und harmlose Wünsche offenbarten.
Über die Schwierigkeiten, welche viele Klosterinsassen mit
dem Aufstehen zur Vigil kurz nach Mitternacht hatten, wurde bereits
584 Caesarius von Heisterbach, Dialogus miraculorum, lib. IV, cap. 31, S. 202.
242 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
gesprochen.585 Sie lassen sich auch durch zwei Iegendenhaft anmutende
Episoden aus der Heisterbachsehen Mirakelsammlung illustrieren. Von
einem Mönch, der zuvor dem Ritterstande angehört hatte, erzählt der
Autor, er sei in bezug auf seine Schwäche im Aufstehen, die es ihm fast
verunmöglichte, am Vigilgebet teilzunehmen, in einer nächtlichen Vision
von der hl. Jungfrau Maria getröstet und gestärkt worden. Ferner
war ein Konverse von seiner knechtliehen Arbeit auf dem klösterlichen
Gutshof einmal so übermüdet aufs Lager gesunken, daß er das übliche
Stundengebet vergaß. Darauf schien es ihm, er werde von der barmherzigen
Gottesmutter am Aufstehen gehindert und sie selber singe das Gebet
an seiner Stelle.586 Es scheint angemessen, solche nächtlichen ‚Gesichte‘
als Wunschträume im allgemeinen Sinne zu interpretieren. Die zweite
Anekdote paßt sogar erstaunlich gut zur These von FREUD, wonach
der Traum als Hüter des Schlafs zu betrachten sei. 587
Wie sich die Alltagsprobleme und Wünsche der Laien im Traum
spiegelten, läßt sich quellenmäßig nur selten erfassen; solche Berichte
erscheinen mehr zufällig in privaten Briefen aus der Spätphase des Mittelalters.
Ein sehr verständlicher Wunsch stand beispielsweise hinter
einem Traum des englischen Kaufmanns Thomas Benson. Aus den erhaltenen
Teilen seiner Korrespondenz geht hervor, daß er längere Zeit in
der damals noch englischen Stadt Calais lebte und mit einem Mädchen
namens Catherine verlobt war, das er aber wegen seines kindlichen Alters
noch nicht heiraten durfte. Einmal zeigte ihm seine Sehnsucht in einem
Traum die Braut als reife Frau von bereits dreißig Jahren. Beim Aufwachen
wünschte der Kaufmann spontan, daß die Traumerscheinung doch
besser nur zwanzig Jahre alt gewesen wäre. Danach tröstete er sich aber
mit dem Gedanken, daß jedenfalls sein Herzenswunsch – die Hochzeit –
früher in Erfüllung gehen würde als die Altersangabe im Traum, denn
zu diesem Zeitpunkt mußte er nur noch ein Jahr auf die Vermählung
warten.588
585 Siehe oben, Kapitel 2.3 der vorliegenden Arbeit.
586 Caesarius von Heisterbach, Dialogus miraculorum, lib. VII, cap. 35 und 51, S. 43
f. u. 71.
687 S. FREUD, Traumdeutung, S. 471 f.; über die entsprechenden Theorien der
antiken Theologen Tertullian und Lactantius siehe oben, Kapitel 2.1.
588 Paraphrasiert nach Majorie ROWLING, Everyday Life in Medieval Times, London
1968, S. 46.
DER TRAUM ALS PERSÖNLICHES ERLEBNIS 243
4.4.2. Der Traum als himmlische Aufforderung
Träume konnten also verschiedenartige Wünsche spiegeln oder einen
eingeschlagenen Weg bzw. eine konkrete Handlung bestätigen. Vielleicht
mit Ausnahme des letzten, zeitlich späteren Beispiels wurden die
erwähnten nächtlichen Erlebnisse, die sich so sinnvoll auf die Situation
des Träumers zu beziehen schienen, ganz selbstverständlich als überirdische
Botschaften verstanden. Die Überzeugung, daß Gott oder seine Engel
und Heiligen durch das Medium des Traumes zum Menschen sprächen
und ihm in wichtigen Entscheidungen beiständen, war also auch bei Klerikern
offenbar tief verankert. Dies umso eher, als ja selbst die gebildetsten
und am kritischsten eingestellten Geistlichen die Existenz solcher
himmlischen Eingebungen meistens nicht prinzipiell abstritten, sondern
nur eine Überprüfung des Trauminhaltes am Maßstab der christlichen
Glaubenslehre verlangten.
Es erstaunt daher nicht, daß in der von Klerikern getragenen mittelalterlichen
Geschichtsschreibung gelegentlich Traumanweisungen an
Herrscherpersönlichkeiten eingeflochten sind. Der Chronist Thietmar
von Merseburg beschreibt beispielsweise, wie Otto der Große in der
Frage der Bischofseinsetzung von Vision und Traum zum Guten beeinflußt
wurde. So habe er, nachdem sein Bruder Bruno und nachher
dessen Kaplan Volkmar das Erzbistum Köln innegehabt hatten,
dem vom Domkapitel nach kanonischen Vorschriften gewählten Gero aus
machtpolitischen Gründen das Amt nicht zugestehen wollen. Darauf sei
ihm, als er am Ostermorgen eben die Krone zum feierlichen Kirchgang
aufgesetzt hatte, ein Engel erschienen. Dieser habe ihm mit drohend
gezücktem Schwert geraten, sofort Gero in sein Amt einzusetzen, wenn
er das Gebäude noch gesund verlassen wolle. – Etwas weniger dramatisch
als diese im Wachzustand empfangene Verkündigung des göttlichen
Willens ging es dann in einem von Thietmar anschließend geschilderten
Traum des Kaisers zu. Im Februar 942 erfuhr Otto vom Hinscheiden des
Bischofs von Regensburg und trat sofort die Reise in den Süden des Reiches
an. Nach Thietmars Darstellung wurde er dann in der Nacht vor der
Ankunft im Traum aufgefordert, denjenigen Mönch zum Bischof zu erheben,
der ihm im Kloster St. Emmeram zu Regensburg zuerst entgegenkomme.
In Befolgung dieser Anweisung habe er darauf am frühen Morgen
ohne die übliche Voranmeldung selber an das Klostertor gepocht und
sei vom Pfortner Gunther, einem durchaus verehrungswürdigen Geist244
ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
liehen eingelassen worden. Genau diesen Mönch habe der Kaiser dann
wirklich zum Bischof ernannt, nachdem er die Mönchsgemeinschaft von
seinem Traumgesicht unterrichtet hatte.689
Ottos politisches Geschick in der Besetzung von Bistümern, denen
ja eine zentrale Rolle in der Organisation seiner Herrschaft zukam, erscheint
in der Schilderung Thietmars als eine dem Kaiser von oben zuteilgewordene
Führung. Er betont dies sogar noch ausdrücklich, indem
er sagt:
„Diese beiden Bischofsgeschichten habe ich deshalb erzählt, damit
du, mein Leser, wissest, wie oft die Gnade des Himmels dem
Kaiser enthüllte, was nach seinem Ratschluß auf Erden geschehen
sollte.“590
Diese durch Thietmar anhand von mehr oder weniger zuverlässigen älteren
Berichten oder Legenden konstruierte Verbindung des Kaisers mit
Gott paßt nahtlos in die gerade von den ottonischen Herrschern mit
Nachdruck vertretene Auffassung von der sakralen Bedeutung ihres Amtes.
Die mittelalterlichen Herrscher sahen sich zu dieser Zeit als Garanten
der gottgewollten Ordnung auf Erden, was allgemein im Salbungsakt
der Königsweihe und speziell bei den Ottonen in den ins Himmlische
überhöhten Darstellungen des Königs in liturgischen Büchern jener Zeit
zum Ausdruck kam.591
In einem besonderen Verhältnis zu Gott stand nach eigenem Verständnis
auch das geistliche Oberhaupt der Kirche; die Päpste nannten
sich seit der Mitte des 12. Jahrhunderts ganz offiziell ‚Vicarius Christi‘,
womit sie die höchste denkbare Souveränität auf Erden beanspruchten.
592 Man könnte deshalb auch von diesen Amtsträgern erwarten, daß
sie bedeutsame Gesichte erlebten oder zumindest von solchen Erfah-
589 Thietmar von Merseburg, Chronicon, lib. II, cap. 27, S. 34 f.
590 Ebenda, lib. II, cap. 27, S. 35: Ha& de duobu& epi&copi& &ententia& ideo protuli, ut
&cia&, lector, quod cele&ti& gratia imperatori &epe aperiret, quid &ibi in humani& fieri
placeret. Übersetzung verändert nach W. TRILLMICH, lat. dt. Ed. der Chronik,
Freiherr vom Stein-Ausgabe, Mittelalter Bd. 9, Darmstadt 51974, S. 65.
591 Vgl. zu diesen Bildzeugnissen die Spezialstudie mit weiterführender Literatur
von H. KELLER, Herrschaftsbild und Herrschaftslegitimation: Zur Deutung der ottonischen
Denkmäler, Frühmittelalterliche Studien 19 (1985) S. 290-311.
592 M. MACCARRONE, Vicarius Christi: storia del titolo papale, Lateranum, nova
series 18, Rom 1952, S. 91 ff.
DER TRAUM ALS PERSÖNLICHES ERLEBNIS 245
Abb. 18: Der Traum Papst Innozenz‘ III.
Giotto. Freskenzyklus der Oberkirche San Francesco in Assisi, 14. Jh.
246 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
rungen erzählten. Daß derartige Berichte nicht häufig sind, liegt wohl
daran, daß die Autorität des Papstes wenigstens in geistlichen Dingen
seit dem Hochmittelalter auch ohne nächtliche Offenbarungen allgemein
anerkannt wurde. Trotzdem erlangte beispielsweise der Traum des Innozenz
III. (1198-1216} eine gewisse Berühmtheit, welche vor allem der
Verknüpfung mit der Geschichte des hl. Franziskus von Assisi zuzuschreiben
ist und in dem großartigen Fresco Giottos sogar eine künstlerische
Verarbeitung gefunden hat (vgl. Abb. 18}. Die Vorgeschichte dieses
Traums besta.i:J.d darin, daß Franziskus bei der Kurie 1209 um die Billigung
seiner neuen, hauptsächlich die radikale Armutsidee betonenden
Ordensregel nachsuchte. Der Heilige hatte zwar in Kardinal Johannes
von St. Paul einen Ansprechpartner gefunden, aber die Mehrheit der
Kardinäle war in Übereinstimmung mit den späteren Beschlüssen des
Vierten Laterankonzils gegen die Gründung eines neuen Ordens, so daß
die endgültige Entscheidung beim Papst lag.
Der Minorit Salimbene de Adam berichtet davon in seiner Chronik
und schreibt, daß Innozenz seine positive Entscheidung mit dem
Christus-Wort: ‚Laßt die Kinder zu mir kommen und wehret ihnen nicht,
denn ihrer ist das Himmelreich‘ (Mt. 19,14} begründet habe, nachdem
er einen auf das Begehren des sonderbaren Mannes aus Assisi bezogenen
Traum erlebt hatte.593 In seinem nächtlichen Gesicht habe eine unscheinbare,
verächtlich wirkende Gestalt, eben der in Armut und tiefer
Demut lebende Franziskus, die wegen ihrer Altersschwäche vom Zusammenbruch
bedrohte Laterankirche mit der Hand gestützt und gehalten.
So habe der Papst deutlich gesehen, welchen Nutzen die von manchen
Krisenerscheinungen geschüttelte Kirche von dieser Neugründung ziehen
würde und habe darauf den Heiligen mit seinen Gefährten empfangen.
Nachdem lnnozenz sie zu Klerikern geweiht hatte, gab er ihnen die feierliche
Bestätigung der Ordensregel und stattete die neue Gemeinschaft
auch mit der Predigterlaubnis aus.
Natürlich kann man nicht ausschließen, daß es sich hier um eine
fromme Legende aus dem Kreis der Franziskaner handelt, wie das etwa
Raoul MANSELLI in seiner Biographie des Poverello vermutet. 594 Dennoch
gibt es in dieser Erzählung meines Erachtens einiges, was für ihre
593 Salimbene de Adam, Chronica, Bd. 1, S. 421.
594 R. MANSELLI, Franziskus: Der solidarische Bruder, Zürich 1984 (Rom 1980) S.
114 f. Zwar wird dieser ‚Iraum bereits von Thomas von Celano, dem ersten BiograDER
TRAUM ALS PERSÖNLICHES ERLEBNIS 247
Glaubwürdigkeit spricht. Salimbene behauptet ja nicht, daß der Papst
wie etwa Otto der Große eine konkrete Handlungsanweisung erhalten
habe. lnnozenz mußte seinen Entschluß nach Anhörung der Kardinäle
und sonstiger kurialer Berater ganz allein treffen. Der Papst verstand
es anscheinend, aus einem Traumbild ohne jedes gesprochene Wort den
Wert des neuen Bettelordens herauszulesen, was ihm dann als Entscheidungshilfe
diente. Auch die innere Strukur des Traumes wirkt echt.
Gemäß Salimbenes Schilderung hatte lnnozenz Franziskus zu diesem
Zeitpunkt noch nicht persönlich getroffen, und deshalb konnte dieser
im Traum auch nur als ärmliche und unauffällige Gestalt in Erscheinung
treten. Die bekannte Tendenz des Traumes zur Personifikation und bildliehen
Darstellung auch abstrakter Sachverhalte zeigt sich sehr typisch
darin, daß Franziskus stellvertretend für den ganzen Orden die Kirche
stützt, die durch die päpstliche Lateran-Basilika versinnbildlicht wird.
In der Tat hat dann das Wirken der neuen Bettelorden von Franziskus
und Dominikus die Kirche von innen her belebt und ihr Ansehen in der
Gesellschaft gehoben.
* * *
Auf den Wert der Mirakelberichte als Quellen für das Denken und die Lebensumstände
der einfachen Leute wurde bereits im Zusammenhang mit
den auf den Körper bezogenen Träumen hingewiesen.595 Nach dem Zeugnis
der geistlichen Berichterstatter nahmen Traum und Vision manchmal
auch den Charakter einer klaren Aufforderung an, d. h. kranken
oder behinderten Menschen wurde im Traum geraten, sich zwecks ihrer
Heilung an eine bestimmte Kultstätte zu begeben oder, falls sie dazu
nicht im Stande waren, wenigstens eine Dankeswallfahrt im Falle ihrer
Genesung zu versprechen. Als Beispiel diene der Traum eines angeblich
blind geborenen Mädchens namens Gundrada aus der Familia des
Klosters Kempten. Es hatte von den Wundern der heiligen Walpurgis
in Monheim vernommen und wurde vom glühenden Wunsch erfaßt,
ebenfalls zu diesem Wallfahrtszentrum zu pilgern. Im Schlaf wurde es
darauf von einer nicht näher umschriebenen Erscheinung angesprochen
und nach Monheim geschickt:
phen des Heiligen, erwähnt, doch haben ihn gleichzeitig auch die Dominikaner für die
Gründungsgeschichte ihres Ordens beansprucht.
595 Siehe oben, Kapitel 4.2 der vorliegenden Arbeit.
248 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
“ … Verjage die unpassende Trägheit, durchbrich die gewohnte Ruhe
und eile, sobald du einen Führer gefunden hast, rasch zum Kloster
Monheim. Und wenn du dort nach glücklicher Reise angekommen
sein wirst, so lege die vorher zubereiteten und gekochten Gaben
in einer Büchse auf den Altar und weihe sie dem Schöpfer aller
Dinge und der Jungfrau. Nachdem du aber diese Geschenke auf
den Altar gestellt hast, werden zwei Hühner aus der Nachbarschaft
herbei kommen und diese schmackhaften Eßwaren gierig verzehren,
denn sie pflegen am Altar Wache zu halten.“596
Mit den das Dankopfer aufpickenden Hühnern sind natürlich die von den
Pilgergaben profitierenden Nonnen von Monheim gemeint; gerade diese
eigenwillige Symbolik spricht nach meiner Auffassung für die Authentizität
des Traumberichtes. Der restliche Inhalt umfaßt Aufforderung
und konkrete Anweisungen zur Pilgerfahrt und läßt sich zwanglos als
eine Verarbeitung der schon tagsüber aufgetauchten Idee deuten, welche
dann wirklich zur Befreiung von der vielleicht nicht angeborenen aber
doch langjährigen, leidvollen Behinderung führte.
Die hier zitierte Wundersammlung des Priesters Wolfhard über die
Wallfahrt in Monheim am Ende des 9. Jahrhunderts enthält nicht nur
relativ ausführliche Mirakelschilderungen_1 sondern auch eine Reihe weiterer
unkonventioneller Traumberichte. Uberaus erstaunlich mutet beispielsweise
der Ratschlag an, der einer Frau namens Ingelswindis aus
Berge! bei Windesheim zuteil wurde. Die Bedauernswerte litt nämlich
schon zwei Jahre lang an den Folgen eines bei einem Reitunfall zugezogenen
Beinbruches und war seither auf intensive Betreuung angewiesen.
Als sie wieder einmal unter Tränen des Schmerzes und der Verzweiflung
in den Schlaf sank, erschien ihr die heilige Walpurgis und redete sie wie
folgt an:
„Geh, sagte sie, Weiblein, die du dein Heil noch nicht kennst, und
forsche nach einem Arzt, der das Schneiden versteht; und wenn
596 Miracula s. Walburgis, lib. III, cap. 1, S. 258 ff.: . . . importuni .sopori& .segnitiem
mitte, .solitae quieti.s ca.s.sam ignaviam reprime et ad mona.sterium Mouvanheim ducatu
concito perge. Et cum felici illuc greJJU .superveneri.s, priu.s acta.s et nitide
cocta.s atque in buzula ob.stru.sa.s altario oblataJ impone .sique totam rerum opifici et
Virgini trade. Cum autem ea.sdem arae locaveri.s oblatiuncula.s diva.s, binae e vicino
veniente.s gallinae ip.sa.s voraci comedent dente talique edulio pa.stae, altari.s ezcubii&
de.sudabunt. Übers. der Verfasserin, verändert nach A. BAUCH.
DER TRAUM ALS PERSÖNLICHES ERLEBNIS 249
du einen gefunden hast, so soll er die Knochensplitter aus deinem
Schienbein herausschneiden; nachher wirst du durch die Gnade
Christi deine Gesundheit wiedererlangen.“597
Ingelswindis suchte und fand tatsächlich den notwendigen chirurgischen
Beistand. Nach Wiederherstellung ihrer Gehfähigkeit besuchte die Frau
dankbar die Stätte, wo die hl. Walpurgis verehrt wurde und ließ den aus
ihrem Bein entfernten Knochensplitter als Beweis für den wunderbaren
Ratschlag in Monheim zurück.
Die Entstehung von so überraschend sinnvollen Traumaussagen läßt
sich mit der These vom Wunschtraum oder dem Modell von rein zufällig
aktivierter Erinnerungsresten kaum befriedigend erklären. Der Tiefenpsychologe
C. G. JUNG hat auf Grund ähnlich erstaunlicher Erfahrungen
seiner Patienten eine Traumtheorie entwickelt, worin er wie schon
FREUD vom Begriff des Unbewußten ausgeht, aber vor allem dessen
komplementäre, d. h. also ergänzende Funktion betont. Aus dem persönlichen
Bewußtsein abgesunkenes, verdrängtes oder allgemein ungenügend
verarbeitetes Material steigt im Traum aus den tieferen Schichten
der Seele empor und kann so unter Umständen auch eine allfällige Einseitigkeit
des Wachbewußtseins korrigieren.598 – Es leuchtet uns heute
unmittelbar ein, daß die komplizierte Beinfraktur der Ingelswindis eine
entsprechende Behandlung erforderte. Im 9. Jahrhundert waren aber
Ärzte rar und medizinisches Fachwissen für Laien fast nicht zugänglich;
daher kam die Frau wie durch ein Wunder im Traum zur Erkenntnis,
daß sie nur nach einem operativen Eingriff auf ein korrektes Zusammenwachsen
der Bruchstellen hoffen durfte.
Jedoch leistete man Träumen von geschildertem Aufforderungscharakter
nicht immer fraglos Folge. Manch einem erging es damit wie
jenem todkranken Adeligen, dem zur nächtlichen Stunde von einer verehrungswürdigen
Erscheinung geraten wurde, für seine Genesung dem
wundertätigen Erzbischof Heribert von Köln eine Wallfahrt an dessen
597 Mira.cula. s. Wa.lburgis, lib. I, ca.p. 16, S. 174: Vade, inquit, muliercula, gratae
ignorare 6aluti6, et archiatrem tuae 6tude perquirere 6ectionü; et dum eum ad huiu6
modi officium liberalem inveneri6, latentibu6 de6ectae tibiae intu6 ab6tracti3 066iculi6,
6aluti3 a Chrüto po6tmodum gratiam impetrabi6. Übers. der Verfa.sserin nach A.
BAUCH.
598 C. G. JUNG, Über psychologische Energetik und da.s Wesen der Träume, S. 174
ff.
250 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
Grab in Deutz zu versprechen. Der Adelige schenkte dem nächtlichen
Gesicht nach dem Bericht des Mirakelschreibers zunächst keine Beachtung:
“ … sei es, daß er sich von Phantasiebildern getäuscht glaubte, sei
es, daß er wegen des heftigen Leidens bereits nicht mehr klar denken
konnte.“599
Das Traumbild wiederholte sich jedoch, und beim dritten Mal erteilte
die Erscheinung nicht mehr einen wohlmeinenden Rat, sondern einen
mit Drohungen verbundenen Befehl. Kaum war jedoch das verlangte
Gelübde geleistet, trat gesundheitlich die Wende zur Besserung ein. Die
Repetition und Verschärfung der Traumanweisung an diesen in hartnäckigem
Unglauben gegenüber dem Traum bzw. der Wunderkraft des
verstorbenen Erzbischofs verharrenden Kranken entsprechen ebenfalls
den Beobachtungen von C . G. JUNG. Ein Trauminhalt gewinnt nach
Ansicht dieses Psychologen nämlich eine besondere Intensität, wenn „er
eine vitale Bedeutung für die bewußte Orientierung hat“ .600
Es ist in dem erwähnten Mirakelbericht nicht leicht zu entscheiden,
ob die letzlieh zum Wohl des Kranken gereichende Aufforderung nun
geträumt oder als Vision im Wachzustand erlebt worden war. Die Grenzen
zwischen diesen beiden Bewußtseinszuständen sind jedenfalls für das
subjektive Empfinden fließend. Gerade die unter Umständen lebenswichtige
Bedeutung solcher Botschaften führt offenbar dazu, daß sie sich
sogar im Wachzustand bemerkbar machen. So soll ein todkranker Wassersüchtiger
von Mitternacht, also von Norden her, eine Stimme gehört
haben, welche ihm riet, dem hl. Anno eine Pilgerfahrt zu geloben.601
Ebenso erging es einer Frau, die wegen ihrer schmerzhaft verstauchten
Hand während den Translationsfeierlichkeiten für den hl. Gilduin in der
Stadt Chartres zu Hause geblieben war. Sie vernahm dreimal deutlich einen
Ruf, der sie ermahnte, zwecks ihrer Genesung die Reliquien Gilduins
aufzusuchen, durch die sie dann wirklich Hilfe gefunden haben soll.602
599 Miracula s. Heriberti auctore Lantberto Tuitiensi, MGH SS XV,2, S. 1245-1260,
Nr. 26: . .. tum quia illudi fanta&me putabat, tum quia vehemen& languor &piritum
eiu& attenuabat. Übers. der Verfasserin.
60° C. G. JUNG, Energetik u. Träume, S. 174.
601 Libellus de translatione s. Annonis, lib. IV, Nr. 9.
602 Historia inventionis et miraculorum s. Gilduini una cum prologo, Nr. 17. Ed. in:
Anal. Boll. 1 (1882) S. 150-1’77.
DER TRAUM ALS PERSÖNLICHES ERLEBNIS 251
Erwähnenswert sind in diesem Zusammenhang schließlich auch diejenigen
Aufforderungen, welche wegen der Schwere der Krankheit nur
stellvertretend an Angehörige gerichtet werden konnten. In St. Goar
bei Trier erkrankte ein siebenjähriger Knabe sehr ernsthaft. Das rasch
fortschreitende Übel raubte ihm die Sehkraft, und man mußte um sein
Leben bangen. In der Nacht, als man nur noch auf seinen Tod wartete,
erschien dem neben dem Kind Wache haltenden Vater der Bischof
Anno und verlangte für die Heilung des Knaben ein Wallfahrtsgelübde.
Es wurde begreiflicherweise sofort abgelegt, und das vorher dem Tod
geweihte Kind begann zu genesen. – Der Mann war vom unmittelbar
bevorstehenden Verlust seines Söhnchens offensichtlich aufs schmerzlichste
getroffen. Im Sinne der von C. G. JUNG beschriebenen Ergänzung
aus dem Unbewußten trat der einzig mögliche Ausweg in plastischer
Weise vor die Augen des Vaters. Die Erscheinung des Heiligen könnte
wohl am besten als Halluzination erklärt werden, in der sich die aus
dem Unbewußten aufsteigende rettende Idee der Wallfahrt zur sichtbaren
Person Annos verdichtete. Der im Mittelalter noch ungebrochene
Glaube an wundertätige Heilige befähigte die Menschen offenbar zu intensiven
seelischen Grenzerfahrungen, wie Vision oder spontane Genesung
sie darstellen. Solche Begebenheiten eigneten sich natürlich zur
religiös-propagandistischen Auswertung durch die Mirakelschreiber, obwohl
derart dramatische Erlebnisse, und das muß hier unbedingt festgehalten
werden, auch damals Ausnahmeerfahrungen darstellten.
4.4.3. Angstgefühle und Befürchtungen
Das Mittelalter erscheint für das heutige Empfinden als eine Epoche, in
der die Menschen oft großer Unbill und vielfältigen Bedrohungen ausgesetzt
waren. Daher erwartet man, daß diese Grunderfahrung sich auch in
den Träumen dieser Zeit spiegelten. Eine Papst Innozenz III. zugeschriebene
Schrift über die Mühsal der menschlichen Existenz und die daraus
abzuleitende Verachtung für das irdische Leben enthält beispielsweise einen
Hinweis auf Schreckträume, welche nach den Sorgen des Tages den
Menschen noch im Schlaf heimsuchen:
„Die Zeit, welche für die Erholung eingeräumt scheint, gewährt doch
keine Ruhe: Denn nun erschrecken (den Schläfer, sc.) die Träume
und die Gesichte stiften Verwirrung. Und wenn auch in Wirklichkeit
das Traurige, das Schreckliche und das Mühsame nicht existiert, was
die Träumer träumend erleben, so ängstigen, fürchten und mühen
252 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
sie sich doch in Wahrheit und zwar so sehr, daß die Schlafenden
manchmal weinen und diejenigen, welche (aus solchen Träumen,
sc.) aufwachen, öfters besorgt und verwirrt sind.“603
An diesem pessimistischen Urteil können nach Innozenz‘ Ansicht auch
einzelne schöne, erfreuliche Träume nichts ändern, denn der Erwachende
ist dann traurig, daß sie schon vorbei sind oder das Gesehene sich eben
nicht wirklich in seinem Besitz befindet. Seine Analyse untermauert der
Papst schließlich noch mit einem Bibelzitat, worin der schicksalsgeprüfte
Hiob seufzt: „Wenn ich dachte: ‚Mein Bett soll mich trösten, meine
Ruhestatt soll meinen Jammer mittragen‘, dann ängstigtest du mich mit
Träumen und erschrecktest micht mit Wahnbildern“ (Hiob 7, 13-14).
Die Verwendung des alttestamentlichen Textes über den geduldigen
Hiob und die allgemeine Absicht von Innozenz‘ Schrift, die Welt
als Jammertal darzustellen und das Glück allein im Himmel zu suchen,
entsprechen allerdings einer bestimmten, jenseitsbezogenen christlichen
Optik und nicht unbedingt der Lebenswirklichkeit des Mittelalters.
Deshalb sollen vor allem biographische Quellen nach Zeugnissen
von Angstgefühlen und Befürchtungen im Traum untersucht werden. In
der wenigstens vom Material her autobiographischen Lebensgeschichte
des Petrus von Morrone, des späteren Papstes Cölestin V., wird auf Alpund
Schreckträume Bezug genommen, leider jedoch ohne Angaben zu
ihrem konkreten Inhalt. Es heißt darin nur, daß Petrus als Jüngling aus
Furcht vor solchen unangenehmen und offenbar ziemlich häufigen Erfahrungen
vor einem ihm sonst als erstrebenswert erscheinenden Einsiedlerleben
zurückschreckte und daher zunächst in ein Benediktinerkloster
eintrat.604 Der gemeinsame Schlafsaal der Mönche bot also nach Petrus‘
Ansicht eine Art Geborgenheitsgefühl, d. h. man konnte sich nach einem
allfä.lligen Schrecktraum der Anwesenheit der Mitbrüder versichern und
sich so leichter beruhigen.
603 Innonzenz III., De miseria humane conditionis. Ed. M. MACCARRONE (Thesaurus
mundi) Rom 1955, S. 31, cap. 24, De terrore sompniorum: Tempu& quod quieti
conce&&um e&t, non conceditur e&&e quietum, nam terrent &ompnia, vi&ione& conturbant.
Et licet non &int in veritate tri&tia, vel terribilia, &eu laborio&a, quae &ompniant
&ompniante&, tarnen in veritate tri&tantur, terrentur et fatigantur, in tantum, ut aliquando
dormiente& lacrimentur, et evigilante& &epi&&ime conturbantur. Übers. der
Verfasserin.
604 Autobiographia, S. 59.
DER TRAUM ALS PERSÖNLICHES ERLEBNIS 253
Eine ähnliche Überlegung bildete den Hintergrund für das Schreiben
des Dominikanergenerals Munio im Jahre 1289 an die Gräfin Agnes von
Orlamünde. In seinem Brief beglückwünschte er die verwitwete Adelige
für ihren Entschluß, in den Nonnenkonvent St. Lambert einzutreten und
versprach ihr, daß sie dort Ruhe vor nächtlichen Angst- und Schreckgefühlen
finden werde, welche so manche Leute in der Dunkelheit zittern
ließen.605 Nun kann man einwenden, daß die Gräfin die nach dem Ableben
ihres Gatten auftretenden Gefühle von Furcht und Einsamkeit ebensogut
durch Einquartierung einer Gesellschafterin oder Magd in ihrem
Schlafraum hätte bekämpfen können. Das Klosterleben mußte ihr daher
auch noch aus anderen Gründen attraktiv erscheinen. Das Schwergewicht
der Tätigkeit lag bekanntlich gerade bei den Dominikanerinnen
auf der religiösen Kontemplation und der Bemühung um die persönliche
spirituelle Entwicklung. Man darf Munio also wahrscheinlich so verstehen,
daß der Eintritt in den Orden die Gräfin seelisch beruhigen und
stärken würde und daß damit auch die nächtlichen Angstzustände verschwänden,
die man sich als Anfechtungen des Teufels erklärte und die
wohl oft mit schlechten Träumen verbunden waren.
Das mit dem Angsttraum verwandte Phänomen des nächtlichen
Aufschreckens bei Kindern („Pavor nocturnus“) und die mittelalterlichen
Erklärungen für den Alpdruck, der meistens auf die Einwirkung
von Dämonen zurückgeführt wurde, haben wir bereits in anderen Zusammenhängen
behandelt. 606 Wenn der Alpdruck damals bei Frauen mit der
Vorstellung einer sexuellen Belästigung im Schlaf einherging, so wurden
Männen offenbar recht häufig von Kastrationsängsten gequält.607 Diese
fanden, wie wir etwa im Falle des Zisterzienser-Novizen Bernhard bereits
gesehen haben, hie und da in Träumen einen dramatischen Ausdruck. Es
wäre aber falsch zu glauben, daß nur Priester und Mönche unter solchen
Ängsten zu leiden gehabt hätten. Beispielsweise enthält die Autobio-
605 Der Text dieses Schreibens ist ediert bei H. FINKE, Ungedruckte Dominikanerbriefe
des 13. Jahrhunderts, Paderborn 1891, Brief Nr. 27, S. 123 f.
606 Siehe oben, die Kapitel 2.4, 2.3.1 sowie 4.3.2. – Es versteht sich von selbst, daß
die allgemeine Dämonenfurcht sich auch in den Träumen niederschlug, auf eine detaillierte
Aufzählung von derartigen nächtlichen Erscheinungen von Teufeln, Ungeheuern
oder Raubtieren muß hier aber schon aus Platzgründen verzichtet werden.
607 J. BENTON, Self and Society, Introduction S. 27, bringt für Abt Wibert von
Nogent aus dessen Werken verschiedene überzeugende Belege.
254 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
graphie Kaiser Karls IV. einen Traum des zukünftigen Herrschers, in
welchem dem jungen Prinzen und seinem Vater für unerlaubte sexuelle
Abenteuer von Engeln die sexuelle Verstümmelung angedroht wurde.608
Die moderne Psychologie sieht die Ursache für Angstträume ganz
allgemein in emotionell aufwühlenden Erlebnissen während des Tages
oder in schlecht bewältigten Lebensproblemen, welche dann nachts als
Tagesreste erneut ins Bewußtsein des Schläfers treten. Dieses Wiederauftauchen
von schwierigen Situationen oder schmerzhaften Erfahrungen
wird von vielen Forschern als Versuch der Entlastung interpretiert. Einige
sehen die Aufgabe des Traumprozesses erkenntnispsychologisch analog
der Computertechnik als eine notwendige Verarbeitung des dichten
Informationsstroms am Tage, andere plädieren als Vertreter von humanistischen
oder tiefenpsychologisch orientierten llichtungen für eine Einschränkung
dieser Verarbeitung auf affektbesetzte Erlebnisse. Demnach
träumt der Mensch, um sein seelisches Gleichgewicht auszubalancieren,
d. h. neue aufregende Erfahrungen durch Vergleich mit älterem Erinnerungsmaterial
besser bewältigen zu können und diese Erlebnisse in seine
Persönlichkeit zu integrieren.609
Im Lichte der letzteren These erscheinen die aus dem Mittelalter
überlieferten Berichte über Angstträume einer näheren Betrachtung
würdig und dies umso mehr, als sie häufig nicht nur den Trauminhalt
skizzieren, sondern bereits auch einen Bezug zu furchterregenden
oder sonstwie aufwühlenden Tageserfahrungen erkennen lassen. Beispielsweise
erzählt Abt Wibert von Nogent in seinem autobiographischen
Werk, daß er als Knabe oft aus gräßlichen Träumen aufschreckte und
dann bei seinem in der seihen Kammer schlafenden Hauslehrer Trost
fand. Besonders häufig waren dabei nach Wiberts Aussage Szenen, in denen
er mit dem Anblick von toten Männern konfrontiert wurde. Der Abt
schrieb diese Kindheitserlebnisse gemäß der damaligen religiösen Vorstellungsweit
dem Einfluß des Teufels zu, setzte aber seine Angstträume
trozdem in Beziehung zu konkreten Anlässen. Wibert wurde nämlich vor
allem vom Bild solcher Toten geplagt, die durch das Schwert umgekommen
waren und deren Leiber der Knabe entweder selbst gesehen oder von
608 Für das wörtliche Zitat der in anderem Zusammenhang interpretierten Traumerzählung
siehe unten, Kapitel 4.8 der vorliegenden Arbeit.
609 Vgl. dazu etwa Chr. EVANS, The Landscape of Night, S. 166 ff.
DER TRAUM ALS PERSÖNLICHES ERLEBNIS 255
deren plötzlichem Ableben er mündlich vernommen hatte.610 – Bezeichnend
für Wiberts Situation ist in diesem Zusammenhang, daß sein Vater
aus ritterlichem Geschlecht stammte, an den Kämpfen zwischen dem
französischen König und Herzog Wilhelm dem Eroberer teilnahm und
dabei sogar in die Gefangenschaft des für seine Grausamkeit bekannten
Herzogs geriet.
Etwas weniger gut gesichert ist die Authentizität des berühmten
Schrecktraumes, den der englische König Heinrich I. im Alter von 64 Jahren
erlebte. Nach dem Bericht des Johannes von Worcester sah sich der
Herrscher im Jahre 1130 eines Nachts im Schlaf nacheinander von Bauern
und Landleuten, von Rittern sowie von geistlichen Würdenträgern
bedroht.6ll Ein Manuskript von Johannes‘ Chronik enthält sogar IDustrationen
zu dieser Episode (vgl. Abb. 19); das Bild zeigt deutlich die je
nach Standeszugehörigkeit verschiedenen Werkzeuge, Waffen und Rangabzeichen,
welche drohend gegen den schlafenden Herrscher erhoben werden.
Der Berichterstatter behauptet sogar, daß Heinrich im Traum vor
Furcht geschrien habe; danach sei er im Halbschlaf vom Lager aufgesprungen
und habe jedesmal versucht, sich mit gezücktem Schwert der
Angreifer zu erwehren, bis er die Täuschung erkannte und sich zurück
ins Bett begab. Am anderen Morgen habe er dann die unangenehme
Traumserie seinem Leibarzt Grimbald erzählt, der bereits von Dienern
über den Tumult im Schlafgemach des Königs unterrichtet worden war.
Der Arzt riet nun dem ziemlich beunruhigten Herrscher, seine Sünden
durch Almosenspenden zu sühnen. Später vertraute Grimbald diese
Traumerzählung in Anwesenheit des Chronisten dem Abt Gottfried von
Winchcombe an, und so fand das Erlebnis König Heinrichs Eingang in
eine zeitgenössische Chronik.
Georges DUBY hat diese Episode bekanntlich als Beleg für die Benutzung
der trifunktionalen Ordnung als Herrschaftsinstrument speziell
im Bereich des anglonormannischen Gebiets interpretiert und zusammen
mit anderen Zeugnissen als Indiz für die zunehmende Verfestigung
der ständischen Ordnung in der Gesellschaft des 11. Jahrhunderts ge-
610 Wibert von Nogent, De vita sua, lib. I, cap. 15, S. 114 f.
611 Johnannes von Worcester, Chronicon. Ed. J. WEAVER, in: Anectoda Oxoniensia
(=Medieval and Modern Series 13) Oxford 1908, S. 32 f.
256 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM 􀔣ITTELALTER
Abb. 19: Alptraum König Heinrichs I.
Illumination aus der „Chronik“ des John von Worcester, 12. Jh.
Oxford, Corpus Christi College, Ms. 157, fol. 382r, 383r.
DER TRAUM ALS PERSÖNLICHES ERLEBNIS 257
wertet.612 Hingegen hat sich meines Wissens noch kaum ein Historiker
gefragt, ob Heinrich I. diesen Traum wirklich erlebt hatte und was der
Anlaß dafür gewesen sein könnte. Im selben Jahr hatte der Herrscher
nämlich in Ermanglung eines direkten männlichen Erbens seine Tochter
Mathilde (Maude) zur Thronnachfolgerin erklärt und damit offenbar
breite Kreise aus allen Volksschichten gegen sich aufgebracht. Jedenfalls
kam es nach Heinrichs Tod 1135 zu langen Bürgerkriegswirren, aus denen
schließlich Stephan von Blois als Sieger hervorging, der die englische
Krone bis 1154 trug. Deshalb möchte ich Heinrichs Schrecktraum auf die
Mißstimmung nach der von ihm getroffenen und allem Herkommen widersprechenden
Nachfolgeregelung beziehen, oder sogar als eine Art der
prophetischen Schau betrachten, in der Heinrich die schlimmen Folgen
seines Entscheides ahnte und voraussah, daß ihn das ganze Volk dafür
verfluchen würde.
Eng verknüpft mit dem normannischen Königshaus in England war
das Schicksal des Gerald von Wales (1147-1223), des Erzdiakons der
Diözese von St. David in Wales. Aus den Lebenserinnerungen dieses
Klerikers und aus seinen zahlreichen anderen Schriften gewinnt man den
Eindruck eines außerordentlich selbstbewußten, ja eitlen Gelehrten. So
brachte ihn sein Ehrgeiz beispielsweise dazu, in der Universität von Oxford
eine dreitägige Lesung aus seinen Werken zu veranstalten; während
dieser Zeit ließ er die Zuhörer auf seine Kosten speisen.613 Über seine
hartnäckigen, aber trotzdem erfolglosen Bemühungen, nach dem Archidiakonat
auch noch die Bischofswürde seiner walisischen Heimat zu erhalte
􀊟1 wird noch in anderem Zusammenhang zu berichten sein.614 Geraids
Uberzeugtheit von der Wichtigkeit seiner Person führte zur Niederschrift
von Selbstzeugnissen und Traumberichten, die von bescheideneren
Autoren in dieser Ausführlichkeit nicht überliefert wurden und gerade
deshalb für das Hochmittelalter Seltenheitswert haben.
Man kann davon ausgehen, daß Geraids Traumberichte bei aller
erkennbaren Egozentrik doch auch typische Erlebnisse, Wünsche und
Befürchtungen eines gebildeten Geistlichen spiegelten. So grämte er sich
612 G. DUBY, Die drei Ordnungen: Das Weltbild des Feudalismus, Frankfurt/Main
1981, s. 417 f.
613 Gerald von Wales, De rebus a se gestis, RBSS 21. Opera Bd. 1, lib. II, cap. 16,
S. 72.
614 Siehe unten, Kapitel 4.8 der vorliegenden Arbeit.
258 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
nach eigener Aussage sehr darüber, daß bei dem von Prinz John 1185-86
unternommenen Kriegszug in Irland aus den eroberten Gebieten für die
Kirche nichts abfiel. Er hatte den Prinzen im Auftrag König Heinrichs
II. als geistlicher und politischer Berater nach Irland begleitet und verhehlte
dem Bischof von Dublin in einem Gespräch seine diesbezügliche
Enttäuschung nicht. Kurz danach träumte er, daß Prinz John ein Gotteshaus
plane und den Grundriß dafür auf dem Erdboden ausstecke. 615
Dabei legte der Fürst das für die Laien gedachte Hauptschiff der Kirche
großzügig an, während der für die Priester und Mönche reservierte
Chor, der Raum vor dem Hochaltar also, dem Träumer lächerlich klein
bemessen schien. Geraids Traum-Ich konnte nicht umhin, den Prinzen
auf diese Verzerrung im Grundriß hinzuweisen, doch führte das sich
daraus entwickelnde Streitgespräch zu keinem Erfolg. Die durch die heftige
Auseinandersetzung hochgesteigerten Affekte weckten den Schläfer
schließlich abrupt auf und ließen ihn über die Bedeutung des Geträumten
nachsinnen.
Der Erzdiakon griff nun aber keineswegs zu einem der auch unter
Klerikern zirkulierenden Traumbücher, sondern konstatierte sofort
nüchtern eine direkte Beziehung zu seiner tatsächlichen Verärgerung
über den Königssohn und seine Knausrigkeit gegenüber der Kirche. Den
unmittelbaren Anlaß für diese den abstrakten Sachverhalt in einer konkreten
Situation darstellenden Traumszene616 suchte Gerald in dem vorausgegangenen
Gespräch mit dem Bischof von Dublin. Weil aber Traumdeutung
im Mittelalter praktisch immer im Sinne der Vorhersage für die
Zukunft verstanden wurde, fiel auch die Interpretation dieser Tagreste
entsprechend aus: Gerald befürchtete für die englische Kirche Schlimmes,
wenn John, der zweitälteste Sohn König Heinrichs li., je an die
Macht kommen sollte.
Ebenfalls aus dem 12. Jahrhundert und zwar aus der zweiten Phase
des Investiturstreites stammt ein Angsttraum, den der französische Abt
Suger von St. Denis aus seinem persönlichen Erleben niederschrieb. Im
Gefolge des zwischen den deutschen Königen Heinrich IV. und dessen
Sohn Heinrich V. einerseits und den römischen Päpsten andererseits entbrannten
Machtkampf um die Investitur geistlicher Würdenträger kam es
615 Gerald von Wales, Expugnatio Hibernica. Opera 5, lib. II, cap. 35, S. 393.
616 Für weitere Beispiele der bildliehen Umsetzung von Problemen im Traum siehe
unten, Kapitel 4.7.1 dieser Arbeit.
DER TRAUM ALS PERSÖNLICHES ERLEBNIS 259
auch in Frankreich und England zwischen der Kirche und den Herrschern
zeitweilig zu schweren Spannungen. Der schwelende Konflikt prägte die
Zeit, als Suger noch Mönch und politischer Berater von Ludwig VI. war
und 1121-22 als Gesandter seines Königs zu Papst Calixt li. reiste. Auf
dem Rückweg nach Frankreich geschah es bei einem der vielen Nachtlager,
daß er sich nach dem Matutingebet in seinen Kleidern nochmals zu
Bett legte und darauf Folgendes träumte:
„Im Halbschlaf schien es mir, daß ich mich selber auf hoher See
befände, in einem kleinen Boot, das ohne Ruder dahin trieb. So
wurde ich einmal von den Wellen gehoben, einmal heruntergezogen,
was nicht ohne Gefahr war; daher begann ich aus Angst vor
einem Schiffbruch die Ohren der Gottheit mit meinem Geschrei zu
bestürmen. Plötzlich erhob sich, durch das eingreifende göttliche
Erbarmen, aus heiterem Himmel eine leichte Brise, welche das
schwankende Boot mit mir armseligem Passagier in die richtige
Richtung trieb, so daß der Kahn mit unglaublicher Geschwindigkeit
die ruhigen Gewässer des Hafens erreichte.“617
Nach Tagesanbruch machte sich Suger mit seinen Begleitern wieder auf
den Weg und rief sich dabei die angsterregende Szene ins Gedächtnis
zurück. In seinen Interpretationsbemühungen kam er dann zum Schluß,
daß ihn irgendeine noch unbekannte Gefahr bedrohe. Kurz darauf kam
der Reisegruppe einer von Sugers Vertrauten entgegen, der das Ableben
des Abtes von St. Denis und die streng nach kanonischen Vorschriften
erfogte Wahl Sugers zu seinem Nachfolger verkündete.
Nach allgemeinem Empfinden wäre diese Botschaft für Suger wohl
eher ein Grund zur Freude gewesen, doch der Diener hatte gleichzeitig
auch schlechte Nachricht zu überbringen, welche den Angsttraum
hinreichend erklärte. Der König sei nämlich über die allzu romtreuen
617 Suger von St. Denis, Vita Ludovici grossi regis. Lat. franz. Ed. von H. WAQUET
(=Les classiques de l’histoire de France au Moyen Age 11) Paris 1929 u. 1964, S. 206
ff.: Semivigi/ans videor videre me alto mari3 3patio, eziguo lembo 3olum, omni remi·
gio destitutum vagari, frequenti ftuctum motu modo a3cendo, modo descendo periculose
ftuctuare, percu33um horrido naufragii timore Divinitati3 aure3 multo clamore
30IIicitare, cum 3ubito, divina propitiatione, /eni& et placida aura, tamquam 3udo
aere 3U3Citata, tremulam et jam pericilitantem mi&ere navicule proram in directum
retorquen3, opinione citiu3 applican3, portum placidum apprehendit. Übersetzung
der Verfasseein nach H. WAQUET.
260 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
Mönche von St. Denis sehr verärgert, die seine Meinung zu dieser wichtigen
Abtwahl gar nicht eingeholt hätten. Daher habe er im Zuge des
Kräftemessens mit dem Papst kurzerhand die vornehmsten Vertreter des
Wahlkapitels gefangensetzen und in die Burg von Orleans abführen lassen.
Suger sandte nun seinerseits sofort einen Boten mit dieser schlimmen
Neuigkeit nach Rom und einen Kundschafter an den Königshof,
der dort Ludwigs weitere Absichten herausfinden sollte. Der neue Abt
von St. Denis blieb nach eigenem Eingeständnis in einem „Meer von
Ratlosigkeit“ zurück und hütete sich, dem Herrscher persönlich vor die
Augen zu treten. Der Traum hatte die Ausweglosigkeit dieser Lage und
die konkrete Gefahr, in der sich Suger durch den Zorn des Herrschers
befand, noch vor der Ankunft des Boten mit dem Bild des steuerlosen
Schiffleins auf sturmbewegtem Wasser angezeigt. Das Einlenken des
Königs, der Suger auch später als Ratgeber hoch zu schätzen wußte,
kam dann ohne Zutun des Betroffenen zustande. Genauso wie Gott im
Traum durch einen günstigen Wind den Kahn ans sichere Land steuerte,
lenkte er in Wirklichkeit alles zum Guten. Ludwigs Zorn beschwichtigte
sich schon nach wenigen Tagen wieder, er ließ die gefangenen Mönche
frei und bestätigte den neuen Abt in seinem Amt.
Bei einer aufmerksamen Analyse dieser Darstellung Sugers könnte
man zum Schluß kommen, daß er dieses Traumgesicht nach dem literarischen
Topos vom Leben als gefahrliehe Seefahrt618 modelliert und als
Beweis von Gottes Einverständnis mit seiner Wahl in die Erzählung eingebaut
habe. So weit braucht man aber bei der kritischen Untersuchung
nicht zu gehen. Es ist nach meiner Auffassung keineswegs unwahrscheinlich,
daß Suger diesen Traum wirklich gehabt hatte und inhaltlich auch
korrekt wiedergab, daß aber die prophetisch anmutende Ankündigung
in Wirklichkeit erst nach Eintreffen der Hiobsbotschaft geträumt wurde.
Die wohl ursprünglich nur Sugers Angst vor dem König und seine Ratlosigkeit
plastisch ausmalende Szene geriet bei der 1144, also rund zwanzig
Jahre nach dem Erleben erfolgten Niederschrift619 in der Erinnerung Sugers
zu einem von Gott gesandten Warntraum, ohne daß man den Abt
deshalb der bewußten Irreführung beschuldigen dürfte.
618 Nach H. QUIRIN, Einführung in das Studium der mittelalterlichen Geschichte,
Stuttgart 41985, S. 70 f.
619 Zur Datierung und zum Wert dieser Herrscherbiographie als historisches Zeugnis
vgl. die Ausführungen von H. WAQUET, S. X-XIV in der Einleitung zur Textedition.
DER TRAUM ALS PERSÖNLICHES ERLEBNIS 261
Negative Affekte wie Furcht und Angst herrschen naturgemäß auch
in denjenigen Träumen vor, welche den eigenen Tod ankündigen oder
vom Sterben eines nahen Bekannten handeln. Solche Träume waren jedoch
in der mittelalterlichen Lebenserfahrung so häufig und wichtig, daß
sie gesondert diskutiert werden sollen. Dasselbe gilt auch für die mit den
Todesträumen verwandten Wahrträume, welche sehr oft angstbesetzte
Themen wie Krieg oder Unglücksfälle zum Inhalt hatten.620
4.4.4. Vorwurf, Mahnung und Korrektur
Neben Träumen mit Wunsch- oder Bestätigungscharakter sowie verschiedenen
Schreckbildern werden in mittelalterlichen Quellentexten zuweilen
auch Träume überliefert, in denen sich die Schläfer für bestimmte Taten
getadelt sahen. In einem der frühesten Beispiele für diese nächtlichen
Erlebnisse, die ähnlich wie die geträumten Aufforderungen sehr direkt
ins Leben des Betroffenen einwirken konnten, ging es weniger um eine
schlechte Tat als um die Unterlassung einer guten Handlung. Der Bericht
entstammt der ältesten Vita der hl. Wiborada, die im Jahre 926
anläßtich des Ungarnsturms als Klausnerin freiwillig das Martyrium erlitt.
Ekkehard I., Dekan des Klosters St. Gallen, verfaßte diese Hagiographie
zwischen 960 und 970. Damit wollte man die Erinnerung an
diese bemerkenswerte Frau bewahren und schriftlich fixieren, bevor die
letzten Zeugen, die sie persönlich gekannt hatten, starben.621
Aus Ekkehards sogfältig gearbeitetem Bericht, der die Grundlage für
alle späteren Lebensbeschreibungen der Wiborada blieb, erfahren wir,
daß die Heilige schon in ihren Mädchenjahren von religiösem Eifer beseelt
war. Ein älterer Bruder namens Hitto war Priester und übernahm
in dieser Funktion den Unterricht seiner Schwester, die dann auch die
von ihm gelegentlich ins Vaterhaus mitgebrachten Kranken pflegte. Von
Hitto lernte Wiborada die Psalmen; als sie schon etliche beherrschte, kam
der Unterricht bei Psalm 49 wegen anderer Verpflichtungen des Priesters
zum Erliegen, und das Mädchen drängte vergeblich, der Bruder möge ihr
62° Für die beiden erwähnten Traummotive siehe in der vorliegenden Arbeit unten,
Kapitel 4.5 und 4.6.
621 Ekkehard, Vita s. Wiboradae. Ed. lat. dt. W. BERSCHIN (=Mitteilungen
zur vaterländischen Geschichte 51) St. Gallen 1983. Der Herausgeber stellt auch
die Notizen in den Schriften des Klosters vor, welche noch vor der Abfassung der
Lebensbeschreibung der Heiligen datieren.
262 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
doch auch Psalm 50 beibringen. Eines Nachts nun sah der Priester im
Traum eine glänzende Erscheinung mit furchterregender Miene vor sich
stehen, die ihn diesbezüglich ernsthaft ermahnte und ihm verbot, auch
nur eine Kleinigkeit zu essen, bevor er nicht seiner jüngeren Schwester
den ersehnten Psalm gelehrt habe. Hitto erschrak über diese deutliche
Warnung so sehr, daß er sofort aufstand und zu Wiborada eilte. Er teilte
ihr das Traumgesicht mit und brachte ihr das Gewünschte bei, während
die zukünftige Heilige sich bemühte, das ihr Vermittelte rasch aufzufassen
und zu memorieren, damit der Bruder an diesem Tag nicht allzu
lange nüchtern bleiben mußte.622
Bischof Thietmar von Merseburg beschreibt in seiner Chronik, wie
er selber im Traum für eine Unterlassung streng getadelt wurde. Er hatte
es nämlich im Jahre 1005 versäumt, einen todkranken Priester in Dortmund
zu besuchen. Thietmar war soeben in der Stadt angekommen
und verschob, da er sehr müde war, diese Liebesbezeugung für seinen
geistlichen Mitbruder auf den folgenden Tag, fand den Priester dann allerdings
nicht mehr lebend vor. Dazu kam noch, daß er seinen Vikar zum
nächtlichen Gebetsdienst für den in der Kirche aufgebahrten Verstorbenen
schickte, weil er selbst das Wachen nicht gut ertragen konnte und es
deshalb vorzog, zu Bett zu gehen. Kein Wunder, daß sich als Folge dieser
doppelten Vernachlässigung seiner Pflicht das schlechte Gewissen regte.
Nicht lange nach der Bestattung des Priesters erschien jener dem Thietmar
im Traum und fragte ihn, weshalb er ihm die üblichen Liebesdienste
nicht gewährt habe. Die von Thietmars Traum-Ich vorgebrachten Entschuldigungen
bezeichnete die Erscheinung des Verstorbenen als völlig
unzureichend, und Thietmar sah sein Unrecht auch sofort ein. Nach eigener
Aussage erzählte der Bischof diese ihn beschämende Episode nicht
nur, um sich selbst anzuklagen, sondern hauptsächlich als Warnung für
die in solchen Dingen meistens nachlässigen Menschen.623
Im 10. und 1 1 . Jahrhundert verdichteten sich bei denjenigen Klerikern,
deren Gewissen schon stark von christlichen Tugendidealen und
Pfiichterfüllung geprägt war, Schuldgefühle anscheinend öfter zu mahnenden
Traumerscheinungen, wobei es sich nach unserer heutigen Wertung
oft um eher geringfügige Unterlassungen handle. Dies wird beson-
622 Ebenda, cap. 6, S. 40.
623 Thietmar von Merseburg, Chronicon. Ed. F. KURZE, MGH SS in usum schol. 54,
Hannover 1889, lib. VIII, cap. 33, S. 213.
DER TRAUM ALS PERSÖNLICHES ERLEBNIS 263
ders deutlich, wenn man sie mit einem anderen Bekenntnis Thietmars
vergleicht. Er habe als Propst von Walheck auf das Drängen seines Bruders
für dessen verstorbene Frau ein Grab in seiner Kirche bewilligt und
zu diesem Zwecke eine ältere Grabstätte, welche die Gebeine eines Amtsvorgängers
narnens Willigis enthielt, ausräumen lassen. Dieses tätliche
Vergehen gegen die Grabesruhe eines Priesters lastete schwer auf Thietmars
Gewissen, und als er bald darauf ernsthaft erkrankte, verstand er
das gemäß der damaligen Anschauung als Fingerzeig Gottes. Nachdem
der Propst wieder genesen war, machte er – wohl um seine Schuld abzubüßen
– eine Pilgerfahrt nach Köln. Eines Nachts hörte er dann ein
großes Getöse in seiner Kammer und erhielt auf seine ängstliche Frage,
wer da sei, die Antwort:
„Ich bin hier, Willigis; durch Deine Schuld muß ich ruhelos umherirren.“
624
Entsetzt wachte Thietmar aus diesem Schrecktraum auf und wurde die
diesbezüglichen Schuldgefühle nach seinem eigenen Eingeständnis nie
mehr ganz los. Der viele Jahre zuvor ordnungsgemäß bestattete Willigis
wurde durch die Störung seines Grabes in Thietmars Phantasie
gemäß der älteren heidnischen, aber vom Kirchenvater Augustinus entschieden
abgelehnten Anschauung zum ruhelosen Wiedergänger.625 So
erweist sich dieses kurze Traumbild als deutliches Indiz dafür, daß die
Verchristlichung der Vorstellungswelt sogar bei Klerikern nur sehr langsam
von statten ging und zu Beginn des Hochmittelalters noch keineswegs
abgeschlossen war.
Thietmar war keineswegs der einzige kirchliche Würdenträger, der
sich selber schuldhaftes Verhalten oder schwerwiegende Unterlassungen
vorzuwerfen hatte. Anno II., der 1072 gestorbene und 1183 kanonisierte
Bischof von Köln, war zu Lebzeiten ein äußerst umstrittener Politiker
und selbst in den hagiographischen Texten des 12. Jahrhunderts werden
hie und da noch Zweifel an seiner Heiligmäßigkeit laut.626 Leider
624 Ebenda, lib. VI, cap. 45, S. 169 f.: Willigi􀅧u3, qui culpa. tui erron3 vagor. Übers.
W. TRILLMICH, Freiherr vom Stein-Ausgabe, Mittelalter 9, S. 293.
625 Zur Widerlegung des Aberglaubens von einer Rückkehr der Toten durch Augustinus
siehe unten, Kapitel 4.5.2 der vorliegenden Arbeit.
626 Zum politischen Handeln vgl. G. JENAL, Erzbischof Anno II. von Köln (1056-75)
und sein politsches Wirken, 2 Bde. (=Monographien zur Geschichte des Mittelalters
8,1-2) Stuttgart 1974. Zur Kritik an der Heiligsprechung vgl. den Prolog zur zweiten
264 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
ging die erste Vita, verfaßt von Abt Reginard von Siegburg, verloren.
Auf diesen Text, der wohl ziemlich bald nach dem Tod Annos niedergeschrieben
wurde, stützt sich die zweite, anonyme Vita von 1 1 04/5 aus
dem Kloster Siegburg, welche die Taten des Bischofs sehr ausführlich
schildert, sowie das Annolied, ein berühmtes Versepos in mittelhochdeutscher
Sprache. Die dritte Lebensbeschreibung von 1 183 faßt hingegen
den Stoff der zweiten Vita nur noch kurz zusammen und bildet
gewissermaßen die Einleitung für die vier Bücher mit posthumen Mirakelberichten.
627 Die anonyme Vita enthält neben einer Vision am hellen
Tage auch mehrere Träume Annos, von denen hier zwei als typische
Beispiele für die mahnende bzw. korrigierende Funktion der nächtlichen
Gesichte im Mittelalter herausgegriffen werden.
Im ersten Traum beklagten sich die in der Krypta der Kirche St. Gereon
beigesetzten dreihundertsechzig mauretarnsehen Soldaten, daß nicht
nur St. Gereon selber mit seinen nächsten Gefahrten, sondern auch
sie das Martyrium für den Glauben erlitten hätten, daß man aber ihr
Gedächtnis im Gegensatz zur Verehrung des Kirchenpatrons völlig vergessen
habe. Da sie der sonst so tatkräftige Anno in bezug auf die Erneuerung
ihres Kultes bisher bitter enttäuscht habe, verurteilten ihn die
finster blickenden Soldaten kurzerhand zur Geißelung. Annos Traum-Ich
sah sich entkleidet und schwer gezüchtigt, und als der Schläfer aufwachte,
fand er ähnlich wie Othlo von St. Emmeram Spuren wie von Schlägen
auf seiner Haut.628 Anders als der Benediktinermönch wußte Anno aber
den unangenehmen Traum sofort im Sinne einer konkreten Forderung zu
Vita, worin der Erzbischof durch Stimmen aus dem Volk als raffgierig und ungerecht
gescholten wurde: Vita s. Annonis. Ed. R. KÖPKE, MGH SS 1 1 , Hannover 1854,
S. 465. Die Vermutung einer einfachen Kölnerin, es handle sich bei der in feierlicher
Prozession in ihre Stadt gebrachten Armreliquie Annos wohl um einen Pferdeoder
Ochsenknochen und das nachfolgende ‚Strafmirakel‘, deutet auch nicht gerade
auf eine hohe Wertschätzung des Heiligen hin. Libellus de translatione s. Annonis
archiepiscopi et miracula s. Annonis libri quattuor. Lat. dt. Ed. M. MITTLER,
(=Siegburger Studien 3-5) Siegburg 1966-68, lib. I, Nr. 63.
627 Der Text dieser zahlreichen, teilweise dramatischen Mirakel ist zugänglich gemacht
in der vorbildlichen lat. dt. Edition von M. MITTLER, Libellus de translatione
s. Annonis archiepiscopi et miracula.
628 Siehe oben, Kapitel 4.2 der vorliegenden Arbeit. Für weitere Beispiele der
Prügelstrafe im Spiegel mittelalterlicher Träume und Visionen vgl. Hedwig RÖCKELEIN,
Othlo, Gottschalk, Tnugdal, S. 48 ff.
DER TRAUM ALS PERSÖNLICHES ERLEBNIS 265
deuten und fürchtete, daß die Märtyrer bei einer längeren Verzögerung
es nicht mehr bei einer Körperstrafe bewenden lassen würden. Daher
suchte er sofort die nötigen Handwerker zusammen und ließ an der Ostseite
von St. Gereon die Mauer einreißen und einen neuen Raum anbauen.
Schließlich fand der Erzbischof nach Grabungen in der Krypta
Überreste der Märtyrer, die ihm im Schlaf erschienen waren. Anno erhob
den Gruppenführer St. Gregorius auf den Altar des neuen Kirchenschiffes
und gab so den erwünschten Anstoß zu ihrer Verehrung.629
Bekanntlich hielt Bischof Anno nach der niedergeschlagenen Revolte
in Köln 1074 ein Blutgericht über die Rädelsführer und belegte zudem
noch viele Mitläufer mit dem Kirchenbann, bevor er sie aus der Stadt
verjagte und ihren Besitz beschlagnahmte. Wie hart das Verbot der
Meßfeier und der kirchlichen Amtshandlungen – wie etwa Taufen und
Beerdigungen – die verjagten Aufständischen wirklich traf, wissen wir
nicht; die Strenge des Spruchs drückte jedoch offensichtlich das Gewissen
des Seelenhirten. Er träumte nämlich, daß er in ein prächtiges Haus
eintrete, wo er mehrere ihm teilweise persönlich bekannte, aber bereits
verstorbene Bischöfe auf Richtersesseln sitzen sah. Sie alle trugen kostbare,
schneeweiße bischöfliche Gewänder wie auch Anno selber. Der
Träumer bemerkte jedoch auf seiner Brust einen häßlichen Schmutzflecken,
den er vergeblich mit der Hand zu verdecken suchte. Als er nun
den einzigen freien Platz einnehmen wollte, verweigerte man ihm diesen
wegen des Fleckens auf seinem Gewand und hieß ihn hinausgehen.
Einer der Bischöfe folgte dem weinenden Träumer und ermahnte ihn,
diesen Flecken so schnell wie möglich abzuwaschen, denn in wenigen Tagen
würde er in die Wohnung der Seligen gerufen und der Gesellschaft
der im Saale versammelten Kirchenfürsten teilhaftig werden. Am anderen
Morgen erzählte Anno diesen Traum einem Vertrauten, der ihn
an die harten Strafen wegen des Kölner Aufstandes erinnerte und den
Makel mit seiner mangelnden Bereitschaft zu verzeihen in Beziehung
brachte. Der Erzbischof war so beeindruckt von dieser Deutung, daß er
durch Boten die verbannten Bürger in die Stadt zurückrief und sich am
Osterfeiertag mit den Kölnern versöhnte. Christliches Verzeihen konnte
hier also gewissermaßen in letzter Stunde das Rachebedürfnis Annos
überwinden. 630
629 Vita s. Annonis, Jib. II, cap. 17, S. 490 f.
630 Vita Annonis, lib. II, cap. 25, S. 497. Gewisse Parallelen zum Motiv der Gewis266
ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
Ein erstaunlich stark differenziertes Gewissen spricht aus zwei allerdings
nicht vollständig überlieferten Traumerzählungen des Mönches
Othlo. Als dieser noch als junger Weltkleriker in verschiedenen Klöstern
als Schreiber tätig war, träumte er einmal, daß Gott selber in Gestalt
eines alten Mannes während des abendlichen Vespergesanges aus dem
Altar hervortrete und die anwesenden Kleriker wegen ihrer mangelnden
inneren Beteiligung während der Liturgie tadle. Wegen der Oberflächlichkeit
und Lasterhaftigkeit des Klerus sprach ihm die Erscheinung jeden
Vorbildcharakter ab und riet den Laien deshalb, in Zukunft lieber auf
die Stimme des eigenen Gewissens zu hören. Kein Wunder, daß derartig
revolutionäre Ideen Othlo sehr beunruhigten und verwirrten. Der junge
Kleriker wußte zunächst nicht, ob er es mit einer von Gott gesandten
Vision oder mit teuflischen Eingebungen zu tun hatte. Schließlich setzte
sich aber die Überzeugung durch, daß es sich hier um einen beherzigenswerten
Hinweis handelte, den Othlo in der Folge bei den eigenen Gebeten
und Lesungen zu beachten versuchte. 631
Ein ähnlich feines Unterscheidungsvermögen manifestiert sich auch
in Othlos viertem persönlichen Traumbericht. Einige Zeit nachdem er
im Kloster St. Emmeram das Mönchsgelübde abgelegt hatte, wurde ihm
aufgrund seiner guten Kenntnisse in den klassischen Bildungsfächern ein
Unterrichtspensum in der Klosterschule anvertraut. Als er nun einen der
ältesten Knaben wegen grober Unruhestiftung vor der ganzen Klasse in
scharfen Worten abkanzelte, reagierte der Zögling mit großer Niedergeschlagenheit.
Daher konnte auch Othlo nicht mehr zum gewohnten
Gleichmut zurückfinden, obwohl er sich als Lehrer rein rechtlich nichts
vorzuwerfen hatte. Othlos Erregung steigerte sich zur Angst, daß sich
die Erde auftun würde, um ihn, den unfähigen Schulmeister, zu ver-
Senserforschung kurz vor dem Tod zeigen sich etwa in einer von Petrus Venerabilis
geschilderten Episode (De miraculis, lib. II, cap. 32, PL 189, Sp. 951 ff.) Darin wurde
ein schwerkranker Mönch durch die Traumszene des in der Schwebe befindlichen Gerichtsverfahrens
über seine Seele dazu gebracht, seine beim Abt abgelegte Beichte in
einem wichtigen Punkt zu ergänzen, um nicht in die Hand der höllischen Geister zu
fallen. – Jenseitsvisionen von Todkranken, die meist auch Verhaltensänderungen zur
Folge hatten, sind recht typisch für die mittelalterliche Mentalität, doch grenzen sie
an die religiösen Visionen und werden deshalb, wie schon in der Einleitung erklärt
wurde, im Rahmen dieser Arbeit nicht näher berücksichtigt.
631 Othlo von St. Emmeram, Liber visionum, Nr. 2, Sp. 346. Manuskriptlücke infolge
Lagenverlustes.
DER TRAUM ALS PERSÖNLICHES ERLEBNIS 267
schlingen. Nach einigen schlaflosen Stunden auf dem Lager fand sich
schließlich in einem Traumgesicht eine Lösung: Während der Mönch im
Morgengrauen allein in der Kirche um Gottes Erbarmen flehte, erschien
dem übermüdeten Beter der am Vortag zurechtgewiesene Knabe und
warf sich vor seinem Lehrer zu Boden. Er bat zunächst demütig um
Verzeihung und wünschte sich dann, daß Othlo ihn für allfällige Fehler
in Zukunft nicht mehr vor der Klasse, sondern nur noch unter vier Augen
tadeln möge. Diese Traumkorrektur seiner Methode im Hinblick auf
Einfühlungsvermögen und Achtung der persönlichen Würde auch von
Halbwüchsigen beeindruckte Othlo sehr. Der Mönch sah darin eine Antwort
des Himmels auf seine verzweifelte Suche nach einem pädagogisch
vertretbaren Mittel der Disziplinierung und fand nun auch seine innere
Ruhe wieder. 632
Träume mit korrigierender Wirkung finden sich ferner auch in der
Erzählung von Abt Wibert von Nogent über seine Jugendjahre. Nach
dessen Bericht verfügte vor allem seine Mutter über eine besondere intuitive
Fähigkeit, ungute Gedanken oder Verhaltensweisen des Knaben
Wibert ohne andere Informationen mittels Träumen zu erahnen. Nach
einem solchen nächtlichen Erlebnis rief sie jeweils ihren Sohn zu sich
und erzählte ihm den Inhalt des sie beunruhigenden Traumes, worauf
der Knabe seine Verfehlung im Spiegel ihres Traumes erkannte und der
Mutter aufrichtig Besserung versprach.633 Ein Beispiel für diese Art der
Beeinflussung durch Träume findet sich im Bericht Wiberts über dessen
Wunsch, das Kloster St. Germer de Fly, wo er schon einige Jahre als
Mönch verbracht hatte, zu verlassen und in einen anderen Konvent zu
wechseln. Die Mutter unterstützte zunächst das Anliegen des Sohnes,
hatte dann aber folgenden lebhaften Traum: Sie sah die Mönche von St.
Germer als in Lumpen gekleideten Zwerge und ihren Sohn, der dasselbe
traurige Bild bot. Danach erschien plötzlich die hl. Jungfrau Maria in
der Gestalt einer schönen und hoheitsvollen Dame. Die Gottesmutter
bezeichnete sich als Gründerin des Klosters und mahnte die Mönche,
es nicht zu verlassen. Ausdrücklich auf den Sohn der Träumerin deutend,
verbot sie dem jungen Mönch, von St. Germer wegzugehen und
gab dann mit himmlischer Wunderkraft den zwerghaften Mönchen und
632 Othlo, Liber visionum, Nr. 3, Sp. 352 f.
633 Wibert von Nogent, De vita sua, Iib. I, cap. 16, S. 122 f.
268 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
natürlich auch dem jungen Wibert die Normalgröße zurück.634 Obwohl
Wibert diese Szene nicht selbst geträumt hatte, wurde er durch das Gesicht
seiner Mutter zu Tränen gerührt und verzichtete voller Reue auf
seine der benediktinischen Verpflichtung zur Ortstreue zuwiderlaufende
Absicht, dem Neid und der Mißgunst der Brüder von St. Germer durch
Übersiedlung in ein anderes Kloster zu entfliehen.
Wie im Mittelalter Schuldgefühle mit der Sozialisierung zusammenhingen
und öfters plastischen Ausdruck in Träumen fanden, wurde schon
zur Genüge gezeigt. Mehr von äußerem Druck als von verinnerlichten
gesellschaftlichen bzw. religiösen Normen zeugen die durch Jakob von
Vitry überlieferten Träume der islamischen Bevölkerung im Hl. Land.
Nach einem Briefbericht des Bischofs in seine französische Heimat wurden
kurz vor der Eroberung Akkons 1191 durch die Kreuzritterheere
mehrere Moslems im Schlaf von Erscheinungen wie Christus, Maria oder
anderen Heiligen aufgefordert, sich sofort zum Christentum zu bekehren.
Die hl. Jungfrau habe den Träumern sogar einen schmählichen Tod prophezeit
für den Fall, daß sie ihre Warnung nicht beachteten. Darauf kamen
wirklich einige Moslems zum französischen Bischof, um sich von ihm
taufen zu lassen. Die in diesen Träumen aufsteigenden Ahnungen von
einem christlichen Sieg waren keineswegs unbegründet, sondern könnten
durchaus als lebenserhaltende Warnungen angesehen werden. Die Stadt
Akkon mußte sich nämlich im Juli 1191 nach zweijähriger Belagerung
den durch neue Truppen verstärkten Kreuzrittern ergeben. Gegen alle
Versprechungen ließ Richard Löwenherz die dreitausend Mann starke Besatzung
schließlich hinrichten. – Ein Vorherwissen gewisser Ereignisse im
Schlaf hat der Psychologe C. G. JUNG selbst mehrfach beobachtet und
als prospektive Funktion des Traumes bezeichnet.635 Aufgrund dieses
Ahnungsvermögens schätzten einzelne Moslems offenbar die Entwicklung
in der nahen Zukunft richtig ein und der Traumprozeß gestaltete
die Erkenntnis der Gefahr zu einem dramatischen Taufaufruf durch die
auch aus dem Koran bekannten Hauptpersonen des Neuen Testamentes.
Freilich waren solche Traummahnungen nicht immer unmittelbar
verständlich, wie es sich anband der Lebensgeschichte des seligen Raimund
Lull {1232-1316) zeigen läßt. Lull selber schrieb seine Wandlung
634 Wibert, De vita sua, lib. I, cap. 16, S. 128 f.
635 C. G. JUNG, Vom Wesen der Träume, S. 180 f. Siehe dazu auch unten, Kapitel
4.6 der vorliegenden Arbeit.
DER TRAUM ALS PERSÖNLICHES ERLEBNIS 269
vom Hofpoeten und Lebemann zum tiefreligiösen Philosophen einer Erscheinung
des gekreuzigten Heilands zu. Als er nämlich eines Abends auf
seinem Bett saß und sich noch einige Notizen machte, sah er plötzlich den
Gekreuzigten neben sich hängen. Das brachte ihn so sehr aus der Fassung,
daß er die begonnene Arbeit ruhen ließ und sich schlafen legte, ohne
sich aber irgendwie mit dem merkwürdigen Phänomen zu beschäftigen.
Am nächsten Morgen hatte Lull die Erscheinung, die wir vielleicht als
Wachtraumbild beim Übergang zum Einschlafen erklären könnten, bereits
vergessen. Eine Woche später wiederholte sich das ganze, doch erst
als das Bild des gekreuzigten Heilands an einem Abend zum fünften Mal
vor seine Augen trat, begann sich Lull ernsthaft zu überlegen, was die
Erscheinung bedeuten könnte. Er verbrachte eine schlaflose Nacht und
mußte erkennen, daß Christus von ihm, dem weltgewandten Seneschall
des aragonesischen Kronprinzen, eine völlige Bekehrung forderte.636
Diese Einsicht wurde zum Ausgangspunkt für ein ganz anderes Leben,
das er schließlich als Märtyrer beenden sollte. Der Katalane sah
seine Aufgabe in der Missionierung der Mohammedaner und Juden im
Mittelmeerraum. Zu diesem Zweck verfaßte er mehrere apologetische
Schriften, welches die Vorzüge des christlichen Glaubens darstellten. Von
Weitblick und Organisationstalent zeugt Lulls Einsatz für die Gründung
von Kollegien für den Arabisch-Unterricht der angehenden Missionare.
Der Literat, Philosoph und Mystiker lehrte zeitweise in Paris und Montpellier
und schrieb über 250 theologische und naturwissenschaftliche
Werke. Wahrscheinlich seit 1295 war Lull Mitglied des franziskanischen
Drittordens und unternahm selbst mehrere Missionsreisen in den Maghreb.
Er starb schließlich 1316 im hohen Alter als Märtyrer an den
Folgen der durch fanatische Moslems erlittenen Steinigung.637
4.5. TRAUM UND ToD
Die Ankündigung des eigenen Todes oder die Nachricht vom Hinscheiden
anderer Personen sowie das Erscheinen von schon vor längerer Zeit
Verstorbenen gehören mit zu den häufigsten Motiven der aus dem Mittelalter
überlieferten Traumerzählungen. Solche Träume sind jedoch kei-
636 Vita coaetanea beati Raimundi Lulli, cap. 1-3. Ed. Mainz 1721-42, Faksimile
Bd. 1, S. 5 ff.
637 LTHK, Bd. 8, Sp. 974 ff.: E. W. PLATZECK
270 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
neswegs spezifisch für den im Rahmen dieser Arbeit untersuchten Zeitraum;
sie stellen vielmehr eine allgemein menschliche Erfahrung dar und
vermögen noch heute manche Leute tief zu beeindrucken. Nicht selten
erweist sich nämlich das ‚unheimliche Gesicht‘ schon nach kurzer Frist
als wahr, sei es, daß der Betroffene selber bald nach seinem Traum stirbt
oder sei es, daß die Ankündigung des Ablebens einer Drittperson nachher
in unzweifelhafter Form bestätigt wird. Ich möchte daher die These aufstellen,
daß gerade die Überprüfbarkeit solcher Botschaften maßgeblich
zum Glauben an Träume beigetragen hat, indem sie die Menschen immer
wieder zwang, die nächtlichen Bilder ernst zu nehmen.
4.5.1. Die Todesankündigungen
Die Toten konfrontieren die Lebenden durch ihr vielleicht qualvolles Sterben
und durch ihren danach der Auflösung anheimgegebenen Leichnam
mit der unausweichlichen Tatsache ihrer eigenen Sterblichkeit. Aus dieser
Erfahrung, die wohl jeder Mensch ein- oder sogar mehrmals durchlebt,
erwächst ein Angstgefühl, welches den Träumen mit einem Todesmotiv
einen ganz eigentümlichen Nachdruck verleiht. In solchen
Träumen kommt es zudem oft zur Begegnung mit der jenseitigen Welt,
die wir wegen ihrer Unbeka.nntheit fürchten müssen, sofern wir ihre Existenz
nicht einfach leugnen wollen.
Im Gegensatz zum weitgehend von Agnostizismus und religiösem
Skeptizismus geprägten Weltbild des 19. und 20. Jahrhunderts bedeutete
der Tod für die Menschen des Mittelalters und der Neuzeit aber
keinesfalls das Ende der psychischen und physischen Existenz.638 Das
Christentum lehrt bekanntlich die Unsterblichkeit der Seele und die Auferstehung
des Leibes nach dem Jüngsten Gericht. Der Tod ist aus dieser
Sicht nur eine Art Durchgang zu einem anderen und – so hofft man –
besseren Leben. An dieser Grundaussage zweifelte im Mittelalter kaum
638 Zum Phänomen des Todes und der historischen Wandlungen im Umgang mit
dieser zentralen menschlichen Urerfahrung gibt es bereits verschiedene Studien. Vgl.
dazu etwa die wegweisende Untersuchung von Ph. ARIES, L’homme devant la mort,
Paris 1977 und M. VOVELLE, La mort en I’Occident de 1300 a nos jours, Paris
1983. Speziell mit dem Sterben im Mittelalter befassen sich K. STÜBER, Commendatio
Animae, Bern 1976, sowie die verschiedene Aspekte des Todes untersuchenden
Beiträge eines kanadischen Forschungs-Kolloquiums: Le sentiment de Ia mort au
Moyen Age, hg. von C. SUTTO, Montreal 1979.
DER TRAUM ALS PERSÖNLICHES ERLEBNIS 271
jemand, auch wenn man sich bis zur Festigung der Vorstellung vom Fegefeuer
im 12. und 13. Jahrhundert über den Aufenthaltsort der Seelen
nach dem Tod noch nicht völlig im klaren war639 oder wenn man wie
die Sekte der Katharer die kirchliche Lehre von den zeitlich begrenzten
Sündenstrafen nach dem individuellen Tod prinzipiell ablehnte. Wahrscheinlich
war der Glaube an ein persönliches Weiterleben im Jenseits
damals fast unentbehrlich, denn sehr viele Menschen starben schon in
der Kindheit oder im frühen Erwachsenenalter.
Einen authentischen Bericht über die Traumankündigung des bevorstehenden
Todes einer jüngeren Frau findet man in der Vita der Hathumoda
von Brunshausen/Gandersheim, einer hochadeligen Äbtissin
aus dem Geschlecht der Liudolfinger. Die Biographie der im Jahre 874
im Alter von nur 34 Jahren Verstorbenen wurde von einem Mönch namens
Agius von Corvey verfaßt. Nach seinen Aussagen war er ein naher
Verwandter der Hathumoda, und so enthält dieser Text trotz der erkennbaren
Bemühung, die Frau zur Heiligen zu stilisieren, doch sehr wertvolle
Angaben zur Amtsführung und zum geistigen Streben der Äbtissin.640
Ausgangspunkt für das Verständnis der folgenden drei Träume Hathumodas
ist die im Text erwähnte Hungersnot des Jahres 874, die nach
der Anmerkung des Herausgebers auch in den Annalen des Klosters
Fulda als Katastrophe von großem Ausmaß beschrieben wurde. Schon
bald litten verschiedene der von Hunger und Entbehrung geschwächten
Kanonissen im Stift von Brunshausen an einer Infektionskrankheit, die
in der ganzen Region auftrat. In dieser Situation war es für die Äbtissin
offenbar selbstverständlich, persönlich Pflegedienste für die Kranken zu
verrichten. Nachdem dann einige andere Kanonissen in deutlicher Symbolik
vom drohenden Tod ihrer Leiterin geträumt hatten, wurde Hathumoda
schließlich selber von seltsamen Gesichten beunruhigt. Einmal sah
sie sich nämlich mit anderen Schwestern auf ein großes Mühlrad gekettet;
am Weilbaum zwischen den Speichen hängend, drohten alle Frauen
639 Zur historischen Entwicklung dieser Idee vgl. J. LE GOFF, La naissance du
purgatoire, Paris 1981. Einige berechtigte Vorbehalte macht J. MANSSAUT, La
vision de l’au-dela au Moyen Age, Le Moyen Age 91 (1985) S. 75-86.
640 Agius, Vita Hathumodae. Ed. G. PERTZ, MGH SS 9, S. 161-174. Agius von
Corvey könnte wohl am ehesten ein Bruder des Ostsachsenherzogs Liudolf, also ein
Onkel der Heiligen, gewesen sein. Diese Identifikation nach H. GOETTING, Das
Bistum Hildesheim: Die Hildesheimer Bischöfe von 815 bis 1227 (=Germania Sacra
NF 20) Berlin 1984, S. 86 ff.
272 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
bei der nächsten Drehung des Rades ins Flußwasser zu fallen und zu
ertrinken. Mitten in diesem beklemmenden Furchtgefühl fühlte sie sich
plötzlich befreit und auf das sichere Land gesetzt. Fast im seihen Augenblick
erwachte die Träumerin und lag dann lange zitternd und mit
vor Angst gelähmten Gliedern wach auf ihrem Lager.641
Mehrfach sei es der Äbtissin im Traume auch vorgekommen, als ob
sie ihren Körper verlasse und zwischen Himmel und Erde schwebe. Dabei
habe sie dann wie durch abgedeckte Dächer in alle Gebäude der Anlage
in Brunshausen hineinsehen und das Treiben und Wandeln darin beobachten
können. So habe sie auch einmal im Traum in die Kirche geschaut
und ein großes Loch im Fußboden wahrgenommen. Hathumorlas TraumIch
nahm an dieser Unregelmäßigkeit Anstoß und überlegte sich, wie sie
den Graben ausfüllen lassen könnte. Da vernahm sie eine Stimme, welche
ihr dieses Vorhaben verbot und ihr erklärte, das sei ihre zukünftige
Wohnstätte. Nun hörte sie auch einen Chor den Wallfahrtspsalm 132 rezitieren,
den sie ja vom seit den Reformen der Karolinger in den Klöstern
gepflegten Stundengebet kannte. Es schien ihr im Traum, daß sie selbst
mitsänge; dann aber erwachte sie in dem Moment, als man beim Vers 14
angelangt war: ‚Dies ist meine Ruhestätte für ewig; hier will ich wohnen,
da ich sie erkor‘. Dieser im Zusammenhang mit der offenen Erdgrube
plötzlich bedeutungsschwere Satz blieb Hathumoda verständlicherweise
im Gedächtnis haften. Daher erzählte sie das Erlebnis einem Vertrauten
– wohl Agius selber -, und beide versuchten das Gesicht gemäß der in
karolingischer Zeit vorherrschenden Skepsis gegenüber nächtlichen Offenbarungen
als nichtiges Traumbild zu verharmlosen.642
Das Bild des geöffneten Grabes entspricht in seiner entsetzlichen
Direktheit den heute bei Sterbenden gelegentlich zu beobachtenden Ankündigungen
des kommenden Endes643 und kann eigentlich kaum mißverstanden
werden. Agius war deshalb trotz seiner der Zeitströmung
entsprechenden rationalistischen Haltung sehr beeindruckt und nahm
641 Agius, Vita Hathumodae, cap. 10, S. 171.
642 Agius, Vita Hathumodae, cap. 12, S. 170 f. Zur Haltung gegenüber Träumen im
frühen Mittelalter siehe oben, Kapitel 3.2 der vorliegenden Arbeit.
643 Marie-Louise VON FRANZ, Traum und Tod: Was uns die Träume Sterbender
sagen, München 1984, bringt einige Beispiele für drastische, fast unerträgliche Bilder
von Tod und Verwesung (S. 41, 54, 73) und speziell auch das Motiv der Erdgrube (S.
89). Die Autorin interpretiert solche nächtliche Erlebnisse als Aufrüttelung der nichts
von ihrem nahen Hinschied ahnenden Menschen, während auf den Tod vorbereitete
DER TRAUM ALS PERSÖNLICHES ERLEBNIS 273
die Sache umso ernster, je länger er darüber nachdachte. Schließlich bewies,
wie er sich ausdrückt, der Gang der Ereignisse die Wahrheit der
Traumaussage. Aus Hathumorlas Versuch, den Weggang des geliebten
Onkels hinauszuzögern und aus ihrer Bitte, sofort herbeizueilen, wenn er
etwa von einer Erkrankung ihrerseits hören sollte, konnte Agius entnehmen,
daß die Äbtissin inzwischen ebenfalls ahnte, was der entsetzliche
Traum bedeutete.
Bei der Pflege der Mitschwestern steckte sich Hathumoda dann
wirklich an und kämpfte vergebens gegen die immer größer werdende
Schwäche. Bald darauf versagten ihr beim Gang ins Refektorium die
Beine den Dienst, und sie mußte sich aufs Krankenlager betten lassen. In
dieser deprimierenden Situation hatte sie wiederum einen Traum. Sie sah
sich auf einer blühenden Wiese im Kreis fast aller Kanonissen, die noch
in jugendlichem Alter standen. Plötzlich zuckten Flammen auf, versengten
die Wiese und drohten alles zu verbrennen. In ihrer großen Not
flehte Hathumoda Gott, Christus und den von ihr immer besonders verehrten
hl. Martin von Tours um Rettung an. Der letztgenannte erschien
auch alsbald und erklärte sie retten zu wollen und löschte die Flammen.
644 – Denselben Heiligen sah die schwerkranke Frau dann zu ihrem
Entzücken auch in einer Vision am hellen Tag, und sie konnte kaum
begreifen, daß die anderen in ihrer Kammer anwesenden Personen die
glanzvolle Erscheinung Martins nicht ebenfalls wahrnahmen. Schließlich
hatte die der Auflösung entgegengehende Äbtissin ein wundervolles und
überwältigendes Gesicht. Hathumoda hätte dessen Inhalt gerne ihrer
am Sterbebett wachenden Mutter und Schwester mitgeteilt, vermochte
es aber gar nicht auszudrücken oder mußte es als unerhörtes Geheimnis
verschweigen. 645
Personen andere, tröstende Szenen vom Übergang in ein jenseitiges Leben sehen
sollen.
644 Agius, Vita Hathumodae, cap. 13, S. 171. – M. L. VON FRANZ hält das Feuer für
ein wichtiges Symbol des Todes bzw. des beim Sterben des Leibes beginnenden Umwandlungsprozesses
(S. llO ff. ), welcher ja auch in der hoch- und spätmittelalterlichen
Vorstellung von der läuternden Wirkung des Fegefeuers einen Niederschlag gefunden
hat.
645 Vita Hathumodae, cap. 14, S. 171 und cap. 16, S. 172. – M. L. VON FRANZ,
referiert (S. 122) ähnliche Fälle, in denen Sterbende oder bereits an der Grenze des
Todes Gestandene den Inhalt ihrer schönen oder auch schrecklichen Erfahrungen
ihren Angehörigen oder Pflegern in Worten kaum mitzuteilen vermochten. Dem ent274
ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
Daß es sich bei diesen Gesichten der Hathumoda nicht einfach um
das bei Schwerkranken übliche Phantasieren und Halluzinieren handelte,
schloß der nüchtern argumentierende Agius aus anderen Wahrträumen
seiner Schwester.646 So erkannte sie in der Nacht vor ihrem Tod plötzlich,
daß sie den zu ihrem Troste an das Krankenlager geeilten Onkel wieder
ziehen lassen mußte und schickte ihn schweren Herzens weg. Tatsächlich
hatte sich dessen Abt zur Zeit von Hathumodas diesbezüglicher Ahnung
mit einem Mitbruder über das lange Ausbleiben des Agius gesprochen
und sein Mißfallen darüber geäußert.647 Die kurz vor ihrem Hinschied
auftretende Hellsichtigkeit der Äbtissin beeindruckte ihre Umgebung begreiflicherweise
sehr und trug wesentlich dazu bei, daß diese Frau bald
als Heilige verehrt wurde.
Die prophetische Begabung in bezug auf den eigenen Tod manifestierte
sich auch bei anderen Persönlichkeiten wie etwa Rimbert, dem
zweiten Bischof von Hamburg/Bremen. Er sah sein Ende schon rund
ein Jahr vor seinem tatsächlichen Hinschied in einem Traum voraus,
obwohl er sich zu diesem Zeitpunkt noch völlig gesund fühlte: In der
Bischofskirche von Bremen befanden sich Rimberts Traum-Ich und sein
bereits vor längerer Zeit verstorbener Lehrer und Vorgänger im Amt,
Bischof Ansgar. Sie waren durch ein Mäuerchen getrennt und beobachteten,
daß eine große Menschenmenge eifrig nach Rimberts Bischofsring
suchte. Ansgar sagte diesen Leuten, sie sollten ihre Bemühungen aufgeben,
den Ring werde jener selbst bei sich haben.648 Wirklich trafen
die Freunde, denen Rimbert diesen Traum im Vertrauen erzählt hatte,
ihren Bischof danach nicht mehr lebend an. Er selber verstand die Szene
als klare Ankündigung seines baldigen Todes und verfügte, daß man ihn
außerhalb der Kirchenmauer beisetzen solle. Darüber wurde dann eine
neue Seitenkapelle errichtet, und so wurde der Traum auch hinsiehtspricht
auch die erschütternde Vision des hl. Thomas von Aquin ein paar Tage vor
seinem Tod, über deren genauen Inhalt er niemand orientieren wollte und die ihn
dazu brachte, jede schriftliche Arbeit aufzugeben. Vgl. dazu die schon etwas ältere,
aber einfühlende und knappe Darstellung bei A. WALZ, Thomas von Aquin, Basel
1953 ‚ s. 118 ff. u. 142.
646 Vita Hathumodae, cap. 18, S. 172.
647 Vita Hathumodae, cap. 23, S. 174.
648 Anonymus, Vita Rimberti. Ed. G. WAITZ, MGH in usum schol. 55, cap. 22, S.
98.
DER TRAUM ALS PERSÖNLICHES ERLEBNIS 275
lieh der durch eine Mauer getrennten Ruhestätten der beiden Bischöfe
erfüllt.649 – Der anonyme Verfasser dieser Vita erklärt dann den Ring
Rimberts als Symbol und Siegelzeichen des Glaubens, welcher die Hand
und im übertragenen Sinn die guten Werke des Bischofs schmückte.
Wenn die Leute im Traum den Ring ihres Seelenhirten suchten, so bedeutet
das nach der Interpretation des Hagiographen das gute Beispiel,
welches ihnen Rimbert während seiner Amtszeit gab. Er mußte aber die
ihm anvertraute Gemeinde schließlich verlassen, um in die ewige Ruhe
einzugehen, wo er in der Gesellschaft Ansgars weilt.
Ohne symbolische Bilder, aber deshalb nicht weniger glaubwürdig
als die Beispiele aus der Karolingerzeit, präsentiert sich ein Traumbericht
aus dem hohen Mittelalter. Petrus Venerabilis, der berühmte Reformabt
von Cluny, mußte im Sommer des Jahres 1 135 seinen Brüdern den Hinschied
ihrer betagten und seit ihrer Verwitwung im Kloster von Marcigny
(Dep. Saöne-et-Loire) lebenden Mutter anzeigen. In seinem Brief mit der
traurigen Nachricht entwarf er ein ausführliches Lebensbild der Verstorbenen
und beschrieb darin auch, wie sie auf ihren nahen Tod hingewiesen
wurde und sich dann würdig darauf vorbereitete.650 Als Petrus‘ Mutter
nämlich eines Nachts von der täglichen Arbeit ausruhte und schlief, sah
sie eine schöne Frau an ihr Lager treten, welche sie durch Kopfbewegung
und Handzeichen aufforderte, ihr zu folgen. Darauf erwachte sie und
dachte, sie sei wohl eben von einer Mitschwester zum frühmorgentlichen
Laudes-Gebet gerufen worden. Sie erhob sich über ihre eigene Trägheit
verärgert und wollte nun rasch zur Kirche hinübereilen. Da sich aber im
ganzen Schlafsaal niemand zum Aufstehen rührte, erkannte sie ihren Irrtum
und legte sich wieder zur Ruhe. Kaum war sie wieder in den Schlaf
gesunken, so sah sie sich erneut von derselben Person wie vorher zum
Mitgehen aufgefordert. Aus dem Traum aufschreckend überlegte sie wieder,
ob dies das Laudes-Wecken gewesen sein könnte. Nochmals schlummerte
sie ein und wurde zum dritten Mal von der schönen Besucherin
aufgefordert, ihr nachzufolgen. Nun wurde ihr jedoch zusätzlich bedeutet,
daß sie rasch machen müsse und nicht länger verweilen dürfe. Als
die Träumerin erwachte, fühlte sie, wie Petrus Venerabilis es ausdrückt,
„in sich das Zeichen des Rufes und sagte – von plötzlicher Krankheit
649 Ebenda, cap. 24, S. 99.
650 Petrus Venerabilis, Epistolae – Letters. Ed. G. CONSTABLE, Cambridge/Mass.
1967, Nr. 53: Ad germanos suos eiusdem matris epitaphium. Bd. 1, S. 153-73.
276 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
ergriffen – den Schwestern, daß sie nun sterben müsse.“651 Dank dieser
durch die doppelte Wiederholung noch eindringlicheren Traumbotschaft
erkannte sie die Ernsthaftigkeit ihrer Lage und hatte noch genug Zeit,
sich christlich auf den Tod vorzubereiten und von allen Mitgliedern des
Konventes persönlich Abschied zu nehmen.
* * *
Neben Ahnungen über den eigenen Tod findet man in den mittelalterlichen
Quellentexten aber auch häufig Berichte über das hellsichtige Wahrnehmen
vom Ableben anderer Personen. Während der hl. Ansgar in Corvey
als Magister die Klosterschule leitete, wurde einer seiner Zöglinge
in einem rauhen Spiel von einem Kameraden schwer verletzt. Ansgar
grämte sich begreiflicherweise sehr, daß sich in seinem Verantwortlichkeitshereich
ein solches Unglück ereignet hatte. Kurze Zeit dannach
sah er sich im Schlaf aus seinem Körper austreten und in den Himmel
gehoben, wo er der Seele des verletzten Knaben begegnete. Dieser
wurde feierlich in den Himmel aufgenommen und dort wegen seiner
so geduldig ertragenen Schmerzen und seines christlichen Willens zur
Vergebung zu den Ehrenplätzen der Märtyrer geführt. Bald nach diesem
merkwürdigen Gesicht wurde der Magister von einem Mitbruder geweckt,
der ihm erzählte, daß der Knabe soeben verschieden sei und bis zu
seinem Tode für seinen unabsichtlich zum Mörder gewordenen Gefa.hrten
um Gnade gebeten habe. 652 So erklärt sich Ansgars Traumgesicht teilweise
als Wunsch, das bedauernswerte Kind möge im Jenseits für seine
christliche Gesinnung belohnt werden, bestätigte sich aber bezüglich des
zeitlichen Eintreffens des Todes als Wahrtraum. – Eine Parallele zu
dieser Mischung von Todeswahrnehmung und religiösen Vorstellungen
findet man in der Vita des hl. Martin. Hier trat der Teufel dem Heiligen
einst sogar tagsüber triumphierend mit einem blutigen Stierhorn entgegen,
und Martin nahm diese dämonische Erscheinung ernst genug, um
daraus den Unfall eines mit einem Holztransport beauftragten Knechtes
abzuleiten. Er ließ nach dem Ochsengespann suchen, und wirklich
651 Ebenda, S. 169: Inde cum demum tertio euigila&&et, &en&it iam in &e ip&a &ignum
uocationi&, et ilico morbo correpta, .Jororibu.J u defungi mandauit. Übers. der
Verfasserin.
652 Rimbert, Vita Anscarii, cap. 5, S. 25.
DER TRAUM ALS PERSÖNLICHES ERLEBNIS 277
fand man den Wagerurihrer von einem der Zugtiere tödlich verwundet
im Wald liegen.653
Man könnte nun vermuten, daß Bischof llimbert in der Lebensbeschreibung
des von ihm hochverehrten Ansgar die Begebenheit mit dem
verwundeten Knaben auf Grundlage des Severus-Textes einfügt hat, um
die hellsichtige Begabung seines Lehrers an einem weiteren Beispiel zu
veranschaulichen und ihn auf eine Stufe mit dem berühmten Martin von
Tours zu stellen. Das Argument von der typologischen Wirkung der Martinsvita
erscheint mir in diesem Falle aber zuweit hergeholt und wenig
überzeugend. Einerseits würde eine solche Kritik an llimberts Berichterstattung
den Wert der direkten mündlichen Überlieferung von Ansgars
Erlebnissen an seinen Schüler sowie die namentliche Berufung auf einen
weiteren Zeugen dieses Schulunfalls grundlos unterschätzen. Andererseits
ließe man damit auch außer acht, daß llimbert ja nicht nur diesen
einen Bericht über Ansgars besondere intuitive Fähigkeiten verfaßte. Die
von ihm beigebrachten Beispiele wirken allein schon durch ihre Vielfalt
glaubwürdig; mit anderen Worten, llimbert hatte es wirklich nicht nötig,
den Severus-Text als Muster für eine fiktive Traumerzählung zu benutzen,
wie das freilich in anderen hagiographischen Schriften manchmal
bedenkenlos praktiziert wurde.
Das Motiv der Todesankündigung erscheint auch in der Lebensgeschichte
des hl. Ulrich von Augsburg. Dieser Bischof hatte im Alter nach
langer ereignisreicher Amtszeit seinen Neffen nicht nur zum engen Mitarbeiter
bestimmt, sondern auch zum Nachfolger designiert. Das war
nach dem Kirchenrecht eigentlich nicht zulässig, und so mußte der Bischof
von diesem Plan schließlich Abstand nehmen. Als ein Diener dann
eines Tages dem Heiligen das überraschende Ableben dieses geliebten
Neffens melden wollte, trat Ulrich gerade aus der Schlafkammer; der
alte Mann zeigte sich moralisch zerknirscht und ließ erkennen, daß er
auf geheimnisvolle Weise bereits über den Todesfall seines Verwandten
unterrichtet war.654 Obwohl in der Quelle nicht ausdrücklich von einem
Traum die Rede ist, erscheint dieser als das wahrscheinlichste Medium
für die Übermittlung der Nachricht, denn die Offenbarung im Schlaf
spielte bei Ulrich eine große Rolle. So erhielt der Bischof etwas später,
als er schon ernstlich krank war, im Halbschlaf einen deutlichen Hinweis
653 Sulpicius Severus, Vita s. Martini, cap. 21, 1-5, S. 286.
654 Gerhard, Vita s. Oudalrici, cap. 24, S. 409.
278 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
auf seinen eigenen Tod. Zwei von Glanz umgebene Jünglinge forderten
ihn nämlich auf, am nächsten Sonntag selber nochmals das Hochamt
zu zelebrieren. Der Heilige verstand den Wink und raffte sich zu dieser
letzten Anstrengung auf. Trotzdem ließ das Ende noch einige Tage
länger auf sich warten, als er wohl auf Grund dieses Traumbildes geglaubt
hatte; er starb nicht am Vigiltag vor Peter und Paul, sondern
einige Tage später, am 4. Juli 973.655
Unklar bleibt auch in der Hagiographie von Bischof Otto von Barnberg
(gest. 1139) , auf welche Weise dieser vom unerwarteten Tod seines
Bruders Friedrich erfuhr. Jedenfalls stand der Bischof plötzlich mitten
in der Nacht auf und griff nach dem Psalterium. Den bei ihm weilenden
Geistlichen, die sich über dieses seltsames Verhalten sehr wunderten,
erklärte er lediglich, daß man für seinen soeben verstorbenen Bruder die
entsprechenden Psalmen singen müsse. Otto äußerte sich jedoch nicht
darüber, ob er die traurige Kunde nun geträumt hatte, was ja nachts
natürlich erscheinen würde, oder ob er den Hinschied mit wachem Geist
wahrgenommen hatte. Der Hagiograph mußte diese Frage offenlassen
und bemerkte, daß es sich letztlich um zwei verschiedene Formen derselben
prophetischen Gabe handle, die er dann als Hinweis auf Ottos
Gottverbundenheit deutete. 656
Auch aus psychologischer Sicht ist die Zuordnung des geschilderten
außersinnlichen Wissens zum Wahrtraum oder zur Ahnung nicht von entscheidender
Bedeutung. Wichtig erscheint hingegen die enge Beziehung
des Bischofs zu Friedrich, der ja Ottos leiblicher Bruder war. Ähnlich
nahe stand Bischof Ulrich von Augsburg sein Neffe, den er wie einen
eigenen Sohn liebte und deshalb mit der Designation zu seinem Nachfolger
sogar in ungebührlicher Weise bevorzugen wollte. Umgekehrt war
der beim Spiel tödlich verletzte Knabe mit Ansgar nicht verwandt, und
auch der Knecht aus Martins Gesinde stand nur in einer losen Beziehung
zu seinem Herrn und Bischof. Beide Träumer fühlten sich jedoch für das
Wohl ihrer Untergebenen persönlich verantwortlich. Der Schrecken, den
ein solcher Unfall bei Betroffenen und Augenzeugen verursachte, trug
vielleicht noch zusätzlich zur genauen Traum-Wahrnehmung durch Beziehungspersonen
bei.
655 Ebenda, cap. 26 u. 27, S. 413.
656 Wolfger von Prüfening, Vita s. Ottonis ep. Babenbergis. Ed. J. WIKARJAK,
Warschau 1966, S. 59.
DER TRAUM ALS PERSÖNLICHES ERLEBNIS 279
Freilich genügten die beeindruckenden Beispiele der Hellsichtigkeit
Ansgars oder Martins nicht, um deren Heiligkeit kirchlich anzuerkennen.
Schon der antike Kirchenschriftsteller Origenes warnte nämlich davor,
Wahrträume oder andere wunderbare Begebenheiten unkritisch als
himmlische Auszeichnung des betreffenden Menschen anzusehen. Mit
übersinnlichen Kräften ausgestattete Personen mußten nach seinem von
der Kirche durchaus befolgten Rat zusätzlich ein von Tugend und christlichem
Geist besonders erfülltes Leben führen, um als Heilige anerkannt
zu werden.657
Sowohl mit dieser Einsicht in die allgemein menschliche Fähigkeit
zur außersinnlichen Wahrnehmung als auch mit den bereits gemachten
Beobachtungen von entsetzlichen Todesarten stimmt ein Bericht des
Chronisten Salimbene de Adam aus dem 13. Jahrhundert überein. Er
befand sich zur Zeit seines Erlebnisses im Franziskanerkloster von Fano
und behauptet von sich selber, daß er den Mord an einem Mönch in einer
anderen Stadt im Traum mitangesehen, dieses Gesicht seinem Bruder
schriftlich mitgeteilt und wenige Tage später durch einen durchreisenden
Freund die Bestätigung erhalten habe.658 – Es bleibt offen, wie nahe
Salimbene mit dem Opfer des Mordanschlages bekannt war, wahrscheinlich
aber hatte er den Betroffenen schon einmal gesehen, und ferner
kannte er nach seiner Aussage auch den Mörder. Das Entsetzen und die
Todesangst des Opfers übertrug sich auf unerklärliche Weise auf den zu
dieser Zeit gerade schlafenden Minoriten, der die grauenhafte Tat daher
als Traumbild miterlebte.
Ähnlich scheint auch der Wahrtraum eines anderen spätmittelalterlichen
Erzählers zustande gekommen zu sein. Kaiser Karl IV. beschreibt
in seiner autobiographischen Schrift, wie er als junger Prinz in Oberitalien
mit einer Heeresabteilung seines Vaters Krieg führte und dabei ein
höchst merkwürdiges Traumerlebnis hatte.659 Als er in der Nähe von
Terenzo bei Parma im Feldlager übernachtete, wurde er von einem Engel
auf ein Schlachtfeld geführt, wo er mitansehen mußte, wie ein anderer
657 Vgl. dazu LTHK, Origenes Bd. 10, Sp. 1261: A. KOLPING. Ferner zu den
Heilungsmirakeln: E. DEMM, Zur Rolle des Wunders in der Heiligenkonzeption des
Mittelalters, AKG 57 (1975) S. 300-344.
658 Salimbene de Adam, Chronica. Ed. G. SCALIA, Bari 1966, Bd. 1, S. 382.
659 Vita Caroli quarti, lat. dt. Ed. E. HILLENBRAND, Stuttgart 1979, cap. 7, S.
110 f. Der Text der Vision wird im Kapitel 4.8 der vorliegenden Arbeit zitiert.
280 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
Engel dem Dauphin von Vienne, der ein entfernter Vetter von Karl war,
die Geschlechtsteile abschlug. Diese dramatische und angsterregende
Szene wurde dem Träumer dann von seinem himmlischen Begleiter als
Strafe für die sexuellen Ausschweifungen jenes jungen Fürsten erklärt.
Zur Beruhigung erfuhr Karl dann noch, daß der tödlich verwundete Vetter
noch genügend lange leben würde, um seine letzte Beichte abzulegen
und christlich zu sterben. Der politische Gehalt dieser Traumerzählung
soll in anderem Zusammenhang noch ausführlich diskutiert werden660,
doch lassen sich an diesem Beispiel wieder das Motiv der nahen Beziehung
oder Verwandtschaft mit dem Sterbenden sowie der möglicherweise
oft als eine Art Auslöser wirkende gewaltsame Tod aufzeigen. Die Verwundung
in der Schlacht war ein Schicksal, mit dem Prinz Karl auf
seinem italienischen Feldzug ebenfalls rechnen mußte, und die Furcht
vor einem solchen Ende machte ihn im Schlaf für das Bild der Verletzung
und des qualvollen Sterbens des jungen Verwandten empfanglich.
Die Traumvision Karls wurde zweifellos nach dem Muster biblischer Offenbarungen
(vgl. bes. Daniel l0,4-11) stilistisch bearbeitet, doch halte
ich die Kernaussage seiner Schilderung auf Grund der zahllosen gut bezeugten
Parallelbeispiele aus der heutigen Zeit für echt.
Die moderne parapsychologische Forschung beschäftigt sich unter
anderem gerade mit derartigen Wahrträumen. Besonders Hans BENDER
hat sich mit diesem spontan auftretenden und relativ häufigen
Phänomen befaßt und sieht darin eine Unterform der Telepathie. Dabei
handelt es sich um die auch in Experimenten nachgewiesene außersinnliche
Wahrnehmung von Ereignissen, die sich fast gleichzeitig anderswo,
bisweilen sogar sehr weit entfernt, abspielen. In der Mehrzahl
der von Bender untersuchten spontanen Fallberichte bestand dabei eine
persönliche Bekanntschaft mit dem Sterbenden und öfters sogar eine
tiefe emotionale Verbundenheit, wie sie zwischen nahen Verwandten oder
Ehepartnern üblich ist. In einem solchen, durch seelische Affekte gewissermaßen
geladenen oder gespannten seelischen Kraftfeld werden dann
telepathische Verbindungen möglich. Diese manifestieren sich bevorzugt
im Schlaf bzw. im Traum, weil der Empfanger der Botschaft zu dieser
Zeit weniger stark mit anderen Problemen oder mit äußeren Eindrücken
660 Siehe unten, Kapitel 4.8.
DER TRAUM ALS PERSÖNLICHES ERLEBNIS 281
beschäftigt ist als am Tag, oder vielleicht auch darum, weil dieser Bewußtseinszustand
solche Phänomene eher zuläßt.661
Es soll hier aber nicht der falsche Eindruck erweckt werden, daß
Träume mit solchen Botschaften im Mittelalter die Regel darstellten.
Zwar wurden beigreifticherweise vor allem Beispiele mit zutreffenden Todesankündigungen
schriftlich festgehalten, dennoch gibt es auch gegenteilige
Belege. Die schon mehrfach erwähnte Mystikerin Margaretha Ebner
sah im Traum einmal ihren Seelenführer und Freund, Heinrich von
Nördlingen, unter den armen Seelen im Fegefeuer weilen. Nachdem der
Priester schon längere Zeit abwesend war und Margaretha auch sonst
nicht mehr von ihm gehört hatte, interpretierte sie dieses unverhoffte
Gesicht als Ankündigung seines Todes. Erst etwas später merkte die
Mystikerin, daß sie sich glücklicherweise getäuscht hatte. Margaretha
mußte also ihre Deutung nachträglich korrigieren; gemäß dieser zweiten
Interpretation hatte das Traumbild sie nur Heinrichs Meßfeiern zugunsten
der Verstorbenen miterleben lassen.662 – Ferner ist uns die tragische
Unklarheit einer Todesankündigung bezüglich Philipp von Schwaben
überliefert, den die Stauferpartei in der Doppelwahl von 1197 zum
deutschen König erkoren hatte. Ein Geistlicher aus Ratzeburg erfuhr
in einem leider nicht näher beschriebenen Traum, daß im Jahre 1208
alles zu Ende sein würde. Der betroffene Kleriker und die Anhänger des
Staufers bezogen diese Botschaft auf die zermürbenden Auseinandersetzungen
um die Herrschaft im Reich und faßten den Traum wohl eher
als gutes Omen auf. Philipps Konkurrent Otto von Braunschweig gab
jedoch keineswegs klein bei, und der Stauferkönig wurde im Juni 1208
überraschend von einem persönlichen Gegner ermordet. 663
Der Haupteinwand, der auch gegen moderne Spontanberichte von
Todesankündigungen im Traum immer wieder erhoben wird, betrifft die
Vertrauenswürdigkeit der Erzählung. Es ist nämlich nur schwer feststellbar,
ob es sich dabei nicht etwa nur um ein – unter dem traurigen
Eindruck des Sterbens eines Bekannten – nachträglich uminterpretiertes
Traumbild handelt, das ursprünglich gar keinen vorausschauenden
661 H. BENDER, Verborgene Wirklichkeit, hrsg. von E. BAUER, Olten 1973, S. 29
ff.
662 Margaretha Ebner, Offenbarungen, S. 45.
663 Arnold von Lübeck, Chronica Slavorum, lib. VII, cap. 12. Ed. G. PERTZ, MGH
in usum schol. 14, Hannover 1886, S. 281 ff.
282 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
Charakter gehabt hatte. Zudem ist bei solchen Erzählungen bewußter
Betrug nie völlig auszuschließen; manch einer präsentiert sich als angeblicher
Empfanger von Wahrträumen, nur um sich auf diese Weise
wichtig zu machen. Eine Todesankündigung bezüglich einer Drittperson
müßte daher noch vor dem Eintreffen der Bestätigung des geträumten
Ereignisses entweder im Wortlaut aufgeschrieben oder mehreren Zeugen
erzählt worden sein. Nur so ließen sich Zweifel an der Echtheit
des nächtlichen Traumgesichts – einmal abgesehen vom Problem der
zufälligen Übereinstimmungen – weitgehend ausräumen.
Aus dem Mittelalter wird man eine so sorgfa.ltig abgesicherte Aussage
kaum erwarten wollen. Als Beispiel läßt sich aber immerhin der autobiographische
Bericht des Minoritenbruders Salimbene anführen, der
nach dem nächtlichen Miterleben eines Mordes sofort seinen Bruder benachrichtigte
und die Bestätigung des entsetzlichen Gesichtes kurz danach
durch einen unbeteiligten Reisenden erhielt. Auch Prinz Karl teilte
den im Traum wahrgenommenen Hinschied des verbündeten Fürsten unmittelbar
nach dem Erwachen dem Kammerherrn mit, erntete dafür jedoch
zunächst nur Gelächter. Die im Spätmittelalter wachsende Bemühung
um Genauigkeit und kritische Wahrheitstindung spiegelt sich auch
in den Akten von Heiligsprechungen, welche bekanntlich seit der Wende
zum 13. Jahrhundert nur noch mit Erlaubnis des Papstes stattfinden
konnten. Aus dieser Zeit und aus diesem Umfeld stammt denn auch das
dritte gut bezeugte Beispiel für einen echten Wahrtraum. Es geht dabei
um den Tod des englischen Ordensgründers Gilbert von Sempringham
am 4. Februar 1 189. Das Ableben dieses allseitig geachteten und verehrten
Greises wurde anscheinend von der Priorin des Nonnenkonvents
in Appleton (Yorkshire) rund fünfunddreißig Kilometer vom Sterbeort
des Heiligen entfernt in einem eindrücklichen Traum wahrgenommen.
Sie erzählte ihr Gesicht am Morgen sofort ihren Mitschwestern, also vor
mehreren Zeugen, und am nächsten Tag traf durch Boten die offizielle
Meldung vom Hinschied des greisen Ordensgründers im Konvent von
Appleton ein.664 Solche Vorfci.lle mußten den Menschen im Mittelalter
als Wunder erscheinen, und daher wurde der Traum auch in die Serie
664 Der ‚ITaumtext, welcher noch vor den posthumen Heilungsmirakeln den ersten
Hinweis auf die besondere Stellung des verstorbenen Gilbert und damit seine Heiligkeit
enthielt, ist gedruckt bei W. DUGDALE, Monasticum anglicanum, VI2• Erweiterte
Ed. von J. CALEY – H. ELLIS, London 1864, S. XVI.
DER TRAUM ALS PERSÖNLICHES ERLEBNIS 283
von Mirakelberichten aufgenommen, die bald darauf als Grundlage für
die 1201 erfolgte Kanonisation des Magisters Gilbert dienten.
Die seltsamen Erfahrungen von Bischof Ulrich, Salimbene de Adam
oder von Prinz Karl werden heute von Parapsychologen losgelöst von
der Frage nach der Heiligkeit und damit der religiösen Relevanz diskutiert.
Aber auch der moderne Begriff der Telepathie ist letztlich
nur eine Bezeichnung und kann das Phänomen als solches nicht wirklich
erklären, d. h. auf Bekanntes zurückführen. Diese Feststellung soll
uns vor Überheblichkeit gegenüber der damaligen Art des Denkens warnen.
Der Historiker darf Träume und Mirakelberichte, sogar wenn sie
zunächst phantastisch klingen mögen, nicht von vornherein als hagiographische
Topik oder literarische Fiktion disqualifizieren.665 Gerade der
Bericht der englischen Nonne demonstriert nach meiner Auffassung klar
die Möglichkeit eines wahren Gehaltes von manchen mittelalterlichen
Traumerzählungen, die man bis anhin kaum ernst genommen hat.
4.5.2. Traumgespräche mit Verstorbenen
Der Glaube, daß verstorbene Personen lebenden Menschen im Traum
erscheinen können, wurde vom Kirchenvater Augustinus scharf kritisiert,
weil er darin einen Rest der in der römischen Welt gepflegten
Ahnenverehrung sah. Mit dieser Art von Religion setzte er sich in
einer eigenen Schrift unter dem Titel „De cura pro mortuis gerenda“
gründlich auseinander und versuchte solche ältere Anschauungen zugunsten
des monotheistischen Christentums zu widerlegen. In seiner Beweisführung
machte er auf die häufige Erscheinung von lebenden Personen
im Traum aufmerksam, die ja ebenfalls nicht wirklich ans Lager
des Schläfers träten und von ihrer Rolle in der nächtlichen Schau des
Träumenden überhaupt keine Ahnung hätten.666 Die Auffassung des
Augustinus wurde bis ins Hochmittelalter von den Theologen vertreten.
Der feilschlicherweise unter dem Namen des Kirchenvaters kursierende
„Liber de Spiritu et Anima“ des Aleher von Clairvaux lehrte in
665 Als Vertreter einer stark rationalistischen Anschauung erwähne ich den englischen
Historiker R. FINUCANE, The Use and Abuse of Medieval Miracles, History 60
(1975) S. 1-10 und ders. Mirades and Pilgrims: Popular Beliefs in Medieval England,
London 1977.
666 M. DULAEY, Le reve, S. 144 ff.
284 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
Übereinstimmung mit dem Traktat des Augustinus, daß die Totenerscheinungen
im Traum in Wirklichkeit mahnende Engel seien, die in dieser
Gestalt den Schläfer zum Guten führen wollten. Die Toten ihrerseits
wüßten nichts von dem, was nach ihrem Hinschied auf der Erde geschieht
und könnten deshalb ihren Anverwandten und Freunden gar nicht beistehen.
Umgekehrt sollte jedoch das Fürbitte-Gebet der Lebenden den
Verstorbenen nützen.667 Ähnlich äußerte sich auch Honorius von Autun
in seinem Katechismus, der allerdings das Erscheinen von Armen Seelen
mit Hilfe der Engel als möglich ansah.668
Direkt auf Augustinus bezieht sich auch der Zisterzienser-Abt Aelred
von llivaulx (gest. 1 167) in seinem letzten Werk, in dem er die
menschliche Seele behandelt. Dieser englische Theologe fand es einleuchtend,
daß schlechte Menschen oft unter Schreck- und Strafträumen
leiden, denn solche Szenen reflektieren nach seiner Meinung einfach den
unguten Lebenswandel der Betroffenen.669 Die Erscheinung von Toten
im Traum ist für Aelred völlig unwirklich, selbst wenn ihre Botschaft sich
als wahr erweisen sollte. Nur die Heiligen und die Engel haben nach dem
Willen Gottes mit ihm zusammen Kenntnis über die Ereignisse auf der
Erde und die Macht, diese willentlich zu beeinflussen. In dieser Weise
erhielt nach Aelreds Meinung auch Joseph, der Nährvater Jesu, die Warnung
des Engels vor Herodes‘ Mordplänen (Mt. 2,13). Die Botschaft
wurde freilich nur mit dem ‚inneren Ohr‘ wahrgenommen, also durch die
von Gottes Engel beeinflußte Einbildungskraft. So erhielt Joseph von einer
sehr realen Gefahr Kenntnis und konnte dementsprechend handeln.
In dieser relativ abstrakten Form stellte sich Aelred übrigens dann auch
das Hören und Fühlen der Seele nach dem Tod des organischen Körpers
vor.67o
667 Aleher von Clairvaux, Liber de spiritu et anima. PL 40, cap. 29, Sp. 72.
668 Zum Elucidarium des Honorius siehe weiter oben Kapitel 3.3 der vorliegenden
Arbeit, wo diese Stelle über den Traum referiert wird.
669 Aelred, De anima. Ed. A. HOLSTE – Ch. TALBOT, CCCM 1, lib. III, cap. 10,
s. 735.
670 De anima, lib. III, cap. 27, S. 742 f. – Interessant ist auch die kurze Traumdiskussion
in der „Vita Edwardis Regis“ desselben Autors (PL 195, Sp. 762 f.), wo
Aelred als Hagiograph eine solche von Gott gesandte Aufforderung zu beschreiben
hatte. Ein Blinder sollte gemäß seinem Traum das Waschwasser des Königs Edward
zu seiner Heilung gebrauchen. Das Ansinnen wurde vom frommen Monarchen
zunächst mit dem Argument abgelehnt, daß er nicht wie die Apostel mit wunderbaDER
TRAUM ALS PERSÖNLICHES ERLEBNIS 285
Die von Augustinus geprägte offizielle Lehre der Kirche verneinte
also lange die Möglichkeit der Traumerscheinung von Toten und tat sie
als Produkte der Phantasie des Schläfers ab. Nur in Ausnahmefällen
billigte man zu, daß es sich um die Botschaft eines Engel gehandelt haben
könnte. Das Volk jedoch und erstaunlicherweise auch viele Kleriker
glaubten fest an die Identität der Traumfiguren mit den verstorbenen
Personen aus dem Bekanntenkreis des Träumers. Das geht etwa aus den
Klosterstatuten von Cluny aus dem 1 1 . Jahrhundert hervor, wo allein
schon das stumme Auftreten eines bereits verstorbenen Mitbruders im
Traum eines Mönches als Bitte des Toten um vermehrte Gebetshilfe aufgefaßt
wurde und man sich dann eifrig bemühte, diesem Ersuchen mit
zusätzlich gelesenen Messen nachzukommen.671
* * *
Offensichtlich war das Erscheinen von Toten ein ziemlich häufiges und
ernst genommenes Traummotiv, welches sowohl in den Quellenzeugnissen
der Karolingerzeit als auch in Texten aus dem Hoch- und Spätmittelalter
immer wieder vorkommt. In der Vita des hl. Rimbert heißt es
beispielsweise, daß er ähnlich wie sein Vorgänger, Bischof Ansgar, auf
Träume und Visionen geachtet habe. In allen Entscheidungen habe er
seinen hochverehrten Lehrer Ansgar um Hilfe angerufen. Darauf sei
ihm dieser jeweils im Traum erschienen, und Rimbert habe aus Ansgars
Mimik Zustimmung oder Ablehnung des geplanten Vorhabens ablesen
können. Obwohl es sich hier nicht um ein Gespräch im engeren Sinne
des Wortes handelt, zeigt sich auch darin, welch große Bedeutung dem
Rat eines lieben Verstorbenen zukam.
Agius, der Onkel der Äbtissin Hathumoda von Gandersheim, beschreibt
in einem Gedicht, wie er mit der teuren Verblichenen sieben
Tage nach ihrem Ableben im Traum ein wichtiges Gespräch geführt habe.
Darin ging es um die Sicherung der wirtschaftlichen Zukunft des noch
jungen Kanonissenstiftes mittels eines königlichen Immunitätsprivilegs
und noch konkreter um die Nachfolge im Äbtissinnen-Amt. Hathumoda
ren Kräften begabt sei und daß man Träumen bekanntlich keinen Glauben schenken
dürfe. Schließlich ließ der König sich aber durch das Drängen des Blinden rühren,
erlaubte den Gebrauch des Wassers, so daß der Behinderte doch noch Heilung fand,
wie ihm im Traum verheißen worden war.
671 Liber tramitis aevi Odilonis abbatis. Ed. P. DINTER, CCM X, S. 177.
286 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
wünschte im Traum des Agius, daß ihre jüngere Schwester Gerberga, die
bisher einfache Kanonisse gewesen war, zur neuen Vorsteherin des Stiftes
gewählt werde.672
Die Interpretation eines solchen Traumes bereitet dem Historiker einige
Schwierigkeiten. Es macht dem modernen Menschen Mühe 􀈇u glauben,
daß sich im Gesicht des Agius der Geist der verstorbenen Abtissin
manifestiert habe. Zwar neigen Psychologen aus der Schule von C. G .
JUNG dazu, d as Erscheinen von Toten als objektive Möglichkeit ernst
zu nehmen und für manche seltsame Träume als die beste Erklärung zu
akzeptieren, doch kann diese Hypothese wohl niemals schlüssig bewiesen
werden.673 – Gewiß spielen hier aber auch die persönlichen Wünsche
des schlafenden Menschen eine große Rolle. Nur zu gern möchte man ja
mit dem verstorbenen Angehörigen oder Freund nochmals wie zu seinen
Lebzeiten sprechen können, und so entstehen dann vielleicht die entsprechenden
Traumbilder. Im Falle des Agius kommen zu dieser allgemein
menschlichen Sehnsucht freilich noch andere Motive hinzu. Für ihn als
Angehörigen des sächsischen Hochadels mußte es aus familienpolitischen
Gründen wichtig sein, den Einfluß über das Stift von Brunshausen nicht
zu verlieren. Daher war es wünschenswert, wenn wieder eine Frau aus
der Familie des Sachsenherzogs Liudolfs an die Spitze der Gemeinschaft
trat. Da im Stift noch eine leibliche Schwester der Hathumoda lebte, lag
es nahe, bei der Frage der Nachfolge der Verstorbenen an diese Nonne
mit Namen Gerberga zu denken. Daß Hathumoda in Agius‘ Traum ihre
gemeinsame Verwandte vorschlug, kam diesem deshalb zweifellos äußerst
gelegen. So muß man sich fragen, ob dieses Anliegen sich in Form eines
Wunschtraumes manifestierte oder ob Agius aus den oben angeführten
politischen Beweggründen diesen Traum vielleicht sogar erfand, um damit
die Meinungsbildung der Kanonissen des Konventes zugunsten seiner
Familieninteressen zu beeinflussen. Jedenfalls regierten danach in
Brunshausen/Gandersheim tatsächlich die beiden jüngeren Schwestern
der !Jathumoda, nämlich Gerberga (gest. 896) und Christina (gest. 919)
als Abtissinnen. 674
Im Falle der Klausnerin Wiborada. verstecken sich hinter den Wahr-
672 Agius, Obitus Hathumodae. Ed. G. PERTZ, MGH SS IV, S. 175-190; 189.
673 M. L. VON FRANZ, Traum und Tod, S. 148 ff.
674 Zu der 877 erfolgten Übergabe des Familienstiftes an den König bzw. ans Reich
vgl. GOETTING, Bistum Hildesheim, S. 119 f.
DER TRAUM ALS PERSÖNLICHES ERLEBNIS 287
träumen keine dynastischen Machtansprüche, doch mag der St. Galler
Mönch, der diese Lebensgeschichte rund fünfzig Jahre nach Wiboradas
Tod {926) aufzeichnete, die außersinnlichen Fähigkeiten seiner Heidin um
ihres Ruhmes willen etwas übertrieben dargestellt haben. So behauptet
er, daß die in ihrer Klause eingeschlossene Wiborada eines Nachts
ihre kürzlich verstorbene Dienerin geschaut habe. Die Traumerscheinung
habe ihrer Herrin dringend empfohlen, besser über die Reinhaltung der
von Wiborada benutzten liturgischen Geräte zu wachen. Diese Arbeit
war nämlich zusammen mit dem Backen der Hostien für die Meßfeier
nach dem Ableben der Dienerin einer anderen Magd übertragen worden.
Begreiflicherweise befragte Wiborada die Erscheinung auch nach ihrem
Ergehen im Jenseits und erhielt eine beruhigende Antwort. Am Morgen
stellte sie dann sofort die mit den erwähnten Arbeiten betraute Magd
zur Rede, die sich ertappt fühlte und ihre Nachlässigkeit sofort gestand.
Wiborada fand ihren Traum bestätigt und sorgte für die Beseitigung des
Mißstandes. 675 – Übrigens erschien Wiborada nach ihrem Märtyrertod
den für ihre Beisetzung zuständigen Personen selber im Traum und verlangte,
daß man ihr die zum Sterben abgezogene Bußkette mit ins Grab
lege.676 Die beiden Beispiele aus der insgesamt sehr realistisch wirkenden
Berichterstattung Ekkehards zeigen deutlich, wie ernst man schon in der
ausgehenden Karolingerzeit die Traumerscheinungen von Toten nahm
und sich auch in kleinen Dingen bemühte, ihren Anweisungen Folge zu
leisten.
Eine beeindruckende Schilderung eines Gespräches mit einem verstorbenen
Angehörigen verdankt man Wibert, dem schon mehrfach erwähnten
Abt von Nogent. In seiner Autobiographie erzählt er, wie seine
Mutter in einem dramatischen Traumerlebnis Everhard, ihrem schon in
jüngeren Jahren verstorbenen Gatten, begegnete.677 Am frühen Sonntagmorgen
hatte sie im Schlaf den Eindruck, daß sie ihren Körper verlasse,
um durch eine Art Thnnel zu einem von schrecklichen Geistern
umschwirrten Loch zu gelangen. Ein gutes Geistwesen beschützte sie vor
den Angriffen der Dämonen und schließlich erschien aus dem Loch, das
wohl den Eingang zu einer Art Hölle oder Unterwelt darstellte, der Geist
675 Ekkehard, Vita s. Wiboradae, cap. 23, S. 64 f.
676 Ekkehard, cap. 36, S. 88.
677 Wibert von Nogent, De vita sua, lib. I, cap. 18, S. 148 ff.
288 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
ihres verstorbenen Mannes.678 Als sie ihn ansprach, zeigte es sich, daß er
sich nach Art der Geistwesen nicht mit seinem alten Namen identifizieren
konnte. Auf die Frage der Gattin nach seinem aktuellen Befinden, hob er
nur stumm den Arm und die Träumerin sah voller Schrecken, daß Arm
und Körperseite mit häßlichen Wunden bedeckt waren. Wibert erklärt
seinem Leser diese Wunden als Symbol für die von seinem Vater einst
verletzte eheliche Treue. Für diese wohl von der Traumerzählerin selbst
stammende Interpretation sprach auch das gräßlich plärrende Kleinkind,
das nahe bei Everhard sichtbar wurde. Dieser Säugling war die Frucht
jenes außerehelichen Verhältnisses, welches der Ritter leichtsinnig eingegangen
war. Das Kind war allerdings sofort nach der Geburt verstorben;
weil es nicht mehr getauft werden konnte, ging es – wenigstens nach
damaliger Anschauung – der ewigen Seligkeit verlustig. In der Jenseitsdarstellung
des Traumes wurde es durch sein anklagendes Geschrei zur
Qual und Strafe für seinen Erzeuger. Schließlich fragte Wiberts Mutter
den Geist ihres Ehemannes, ob denn ihre Almosen und Messestipendien
seine traurige Lage überhaupt erleichtern könnten und erhielt darauf
eine bejahende Antwort.
Aus der Vision, die zusätzlich noch Angaben über weitere Verstorbene
oder kurz vor dem Tod stehende Menschen ihres Bekanntenkreises
enthielt, zog Wiberts Mutter für sich persönlich einschneidende Konsequenzen.
Da sie das ständige Schreien des ungetauft verstorbenen Bastards
als besondere Qual für ihren Gatten empfand, beschloß sie, sein
Schicksal durch freiwilliges Erleiden einer ähnlichen Pein zu erleichtern
bzw. einen Teil dieser Strafe auf sich zu nehmen. Die Witwe nahm deshalb,
nachdem ihre eigenen Kinder zu diesem Zeitpunkt schon erwachsen
waren, ein armes Waisenkind auf und ließ diesem Säugling in ihren eigenen
Gemächern alle notwendige Betreuung zukommen. Es stellte sich
dann heraus, daß das Kleinkind besonders nachts dazu neigte, heftig und
anhaltend zu schreien. Obwohl die Witwe und ihre Dienerinnen deshalb
kaum mehr ungestörten Schlaf fanden, blieb Wiberts Mutter immer geduldig
und liebevoll. Sie sah nämlich in diesem seltsamen Schreien über
das normale Maß hinaus einen Versuch des Teufels, ihre Anstrengun-
678 Vgl. zu den Träumen bei Wibert auch den Aufsatz von J. C. SCHMITT, Rever
au Xlle siede, in: T. GREGORY, I Sogni nel Medioevo, Rom 1985, S. 291-316;
314. Schmitt spricht hier sogar von einer Inkubationsübung, wofür aber die Indizien
meines Erachtens nicht ausreichen.
DER TRAUM ALS PERSÖNLICHES ERLEBNIS 289
gen zugunsten des verstorbenen Gatten zu durchkreuzen bzw. sie zum
Aufgeben zu verleiten und widerstand dieser Anfechtung geduldig.679
Man kann diese Erzählung wohl nicht lesen, ohne sich menschlich
berührt zu fühlen, auch wenn wir heute die streng moralische Wertung
des Autors nicht zu teilen brauchen. Als Abt und Kleriker mußte Wibert
den Ehebruch seines Vaters gemäß den christlichen Geboten als schlimme
Sünde verurteilen; er konnte sich offenbar keinerlei Milderungsgründe für
Everhards Untreue vorstellen, welche uns wegen der im Text680 angedeuteten
sexuellen Kälte oder sogar Verweigerung der angetrauten Frau psychologisch
verständlich erscheint. Everhards Gattin machte dann aber
bereits zu Lebzeiten ihres Mannes einen erstaunlichen Reifungsprozeß
durch. Sie gebar Everhard nach dessen Versuch, aus der ehelichen Beziehung
auszubrechen, doch noch mehrere Kinder, und sie bemühte sich
nach seinem frühen Ableben, sein Los im Jenseits durch Almosen und
Gebet zu lindern. Im Anschluß an die eindrückliche Traumbegegnung
mit Everhard und dessen Bastard nahm sie dann sogar einen Teil der
Bußleistung des Gatten auf sich. Damit erwies sie sich nach meiner
Auffassung als fähig, den alten Haß auf die einstige Nebenbuhlerin und
deren Kind in eine positive Haltung zu verwandeln und dem Gatten
seinen moralischen Fehltritt zu verzeihen.
Weiter oben wurde schon gezeigt, wie ernst Petrus Venerabilis, der
Abt von Cluny, auf Grund eigener und fremder Erfahrungen681 sowie im
Einklang mit der besonderen Tradition der Cluniazenser die Traumbegegnungen
mit Toten nahm. Die Angaben des vor den Schläfer tretenden
Toten pflegte er sorgsam nachzuprüfen und wenn sie sich als richtig erwiesen,
so erfüllte er auch die Bitten der Verstorbenen. Das ging so weit,
daß er sogar einen ihm persönlich geoffenbarten Mord aufdecken und bestrafen
konnte. Wer aber die nächtliche Erscheinung von Verstorbenen
gering achtete und im Grunde konform der kirchlichen Lehre nicht auf
ihre Worte hörte, hatte dies unter Umständen zu bereuen. Besonders
drastisch zeigt sich dies bei Gerald von Wales, der den Todestraum seines
Bruders überliefert, so daß wir es auch hier mit einem gut bezeugten
Erfahrungsbericht zu tun haben. Diesem Bruder erschien nämlich in
der Nacht vor einer offenen Schlacht im Schlafe seine bereits verstorbene
679 Wibert von Nogent, De vita sua, lib. I, cap. 18, S. 156.
680 Siehe dazu oben, Kapitel 4.3.2 der vorliegenden Arbeit.
681 Siehe oben, Kapitel 3.3.1 der vorliegenden Arbeit.
290 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
Stiefmutter und warnte ihn vor der Teilnahme am Gefecht, da er darin
fallen würde. 682 Der walisische Ritter dachte aber mehr an seine Ehre
als an die Gefahr, schlug den Rat der Traumerscheinung in den Wind
und wurde dann wirklich im Kampfe getötet. – Moderne Psychologen
würden die Traumgestalt zwar nicht unbedingt als reale Manifestation
des Geistes der Verstorbenen auffassen, aber in der Stiefmutter als Stellvertreterin
der Mutterfigur doch das Symbol eines lebenserhaltenden Instinktes
vermuten und deshalb in einer derart exponierten Situation der
Traumwarnung großes Gewicht zugestehen.
* * *
Mehr noch als um das physische Weiterleben sorgte sich der Mensch im
Mittelalter um das Heil seiner Seele, also um das ewige Leben. Von
daher erklären sich die zahlreichen Jenseitsgesichte, in denen sich der
Visionär oder Träumer bereits vor den himmlischen Richter zitiert sah
und nach der Rückkehr bzw. dem Erwachen aus diesem unangenehmen
Erlebnis sein Verhalten besserte und begangenes Unrecht zu tilgen versuchte.
Texte wie die „Visio Wettini“ oder die „Visio Tungdali“ spiegeln
nach meiner Ansicht im Kern echte Erfahrungsberichte von todkranken,
oft aus tagelanger tiefster Ohnmacht erwachten Personen wider. M. AUBRUN
hat als erster darauf hingewiesen, daß es vielleicht nützlich wäre,
diese Quellentexte mit den Nah-Tod-Erlebnissen von medizinisch reanimierten
Patienten zu vergleichen.683 Solche Erzählungen gehen aber weit
über die Traumerlebnisse des Alltags hinaus oder bilden zumindest einen
Spezialfall dieses psychologischen Phänomens und können im Rahmen
der vorliegenden Arbeit nicht weiter verfolgt werden.
Fast ebenso wichtig wie das eigene Seelenheil nahm man jenes der
nächsten Verwandten und Freunde. Um den Ehebruch ihres verstorbenen
Gatten sühnen zu helfen und seine Qual an einem fegefeuerartigen
Ort zu verringern, nahm die Mutter Wiberts, wie erwähnt, ein Waisenkind
bei sich auf. Schon vor diesem Entschluß von einiger persönlicher
Tragweite hatte sie für denselben Zweck Geld für Meßfeiern gestiftet und
682 Gerald von Wales, Expugnatio Hibernica, Opera Bd. 5, lib. I, cap. 42, S. 295.
683 Vgl. M. AUBRUN, Caracteres et portee religieuse et sociale des „Visiones“ en
Occident du Vr au XI‘ siede, Cahiers de Civilisation Medievale 23 ( 1980) S. 109-130;
112-114 mit Anm. 55.
DER TRAUM ALS PERSÖNLICHES ERLEBNIS 291
Almosen an die Armen gegeben. Das stellvertretende Gebet der Priester
und Mönche sollte die Sünden-Strafen der Verstorbenen abkürzen
und so ihre Pein lindern. – Seit Papst Gregor dem Großen bestand die
Vorstellung von einer von der Hölle unterschiedenen Aufenthaltsstätte
für die nur mit kleineren Vergehen beladenen Verstorbenen, wo sie auf
den jüngsten Tag und das Endgericht zu warten hatten. Dieser Ideenkomplex
entwickelte sich im Hochmittelalter zur Lehre vom läuternden
Fegefeuer weiter und gehörte fortan zu den Grundlagen des katholischen
Glaubens.684 Das Gebet für die Armen Seelen, wie man die Insassen
des Fegefeuers nannte, wurde besonders von den Dominikanerinnen des
14. Jahrhunderts gepflegt. Aus der autobiographischen Schrift der Margaretha
Ebner aus dem Konvent von Maria-Medingen erfährt man nicht
nur, daß sie oft und intensiv für die Verstorbenen aus ihrem Bekanntenkreis
betete, sondern daß sie durch die Traumerscheinung bestimmter
Personen über deren Zustand im Jenseits, also über ihre Seligkeit oder
ihre Fegefeuerpein unterrichtet wurde und dann je nach Bedarf für diese
Individuen persönliche Fürbitte leistete.685 Ganz ähnlich verhielt es sich
mit den mystische Frömmigkeit pflegenden Nonnen in anderen Klöstern.
Erwähnt sei hier nur das Zeugnis der Adelheid Langmann, welche von
sich selber behauptete, daß sie viele Arme Seelen im Fegefeuer geschaut
und sich dann für sie im Gebet eingesetzt habe.686
Wie erschütternd diese Traumbegegnungen mit einem lieben Verstorbenen
manchmal abliefen und wie solche Erfahrungen wiederum auf
die eigene Lebensführung zurückwirken konnten, sei abschließend anhand
eines Traumbeispiels vom Ende der uns interessierenden Epoche
dargestellt. Der Bericht, den ich wegen seiner Ausführlichkeit nicht
vollständig zitieren kann, stammt von einem italienischen Kaufmann
namens Giovanni Pagolo di Morelli, der von 1371 bis 1444 in Florenz
lebte und seine persönlichen Erlebnisse in einer Art Tagebuch schriftlich
niederlegte.687 Die Eintragungen enthalten sowohl private Erfahrungen
684 Vgl. J. LE GOFF, Le purgatoire, 133 ff.
685 Margaretha Ebner, Offenbarungen, S. 49 f. u. 158.
686 Adelheid Langmann, Offenbarungen. Ed. Ph. STRAUCH, Die Offenbarungen
der A. L. Klosterfrau zu Engelthai (=Quellen u. Forschungen zur Sprache u. Kultur
der germanischen Völker 26) Straßburg 1878, S. 78.
687 Giovanni di Pagolo Morelli, 11 Libro di Ricordi. Ed. V. BRANCA, Firenze 1956.
292 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
wie auch politische Beobachtungen und Reflexionen, die Giovanni allerdings
nicht in regelmäßigen Abständen, sondern jeweils phasenweise
verfaßte. Der vermutlich im Jahr 1407 niedergeschriebene Traum nahm
Bezug auf den Tod seines ältesten Sohnes namens Alberto, der Alter
von neun Jahren gestorben war.688 Giovanni machte sich nach diesem
traurigen Ereignis bittere Vorwürfe, denn es schien ihm, daß er diesen
Verlust durch den Mangel an väterlicher Liebe und Zuneigung sowie
durch übertriebene Strenge mitverschuldet habe.
Nach dem ersten Jahrestag des Todesfalles hing der Kaufmann diesen
trüben Gedanken verstärkt nach und klagte sich selber der seelischen
Grausamkeit und der Vernachlässigung von Kind und Mutter an.
Schließlich schlief Giovanni von Gebeten und Gewissensbissen erschöpft
ein und sah sich im Traum aus der Stadt gehen und gedankenverloren
in Richtung des ihm vertrauten Monte Morello wandern. 689 Dabei
bemühte sich der Träumer, die Erinnerungen an den verstorbenen Sohn
zu verdrängen, was aber nicht gelang und ihn nur noch trauriger stimmte.
Die erste Schwangerschaft seiner Ehefrau, Jubel und Freude über die Geburt
eines gesunden männlichen Erben, das Aufwachsen und Spielen des
Kindes und die schmerzerfüllten Tage seiner Krankheit und seines Sterbens,
das alles sah er im Traum auf seinem Spaziergang nochmals vor
sich. Dann kam dem Träumer die Idee, statt angesichts der hereinbrechenden
Abenddämmerung in die Stadt zurückzueilen, im nahen Pilgerhospiz
zu übernachten, wobei er sich von dieser religiös geprägten Stätte
einen gewissen Trost erhoffte. Auf dem Weg dorthin begegnete er einem
Zaubervogel, der ihm süße Paradiesesmelodien vorsang. Als jedoch
ein Rudel Schweine auftauchte, verfiel der Vogel in einen melancholischbitteren
Gesang und begann sich mit dem Schnabel die Krallen blutig
zu reißen. Der Träumer wollte nun den gefiederten Sänger einfangen,
um ihn an seinem Selbstzerstörerischen Verhalten zu hindern, ereichte
aber nur, daß das Tier entfloh. Auf der Suche nach dem Vogel wurde er
von der in Wut geratenen Muttersau angegriffen und über den Haufen
gerannt.
Inzwischen war es in diesem seltsamen Traum Nacht geworden und
Giovanni nahm zwei Lichter wie Sterne wahr. Auf sein Gebet hin fiel es
ihm wie Schuppen von den Augen, und er sah eine weiß gekleidete Jung-
688 Giovanni Morelli, Il Libro di Ricordi, S. 455 f.
689 Die Traumerzählung paraphrasiert nach Morelli, 11 libro di Ricordi, S. 503 ff.
DER TRAUM ALS PERSÖNLICHES ERLEBNIS 293
frau vor sich mit einem Palmwedel und einem Rad690 , mit dem sie – so
erschien es dem Träumer – soeben der wütenden Muttersau den Garaus
gemacht hatte. Hinter dieser Erscheinung erblickte Giovanni eine große
Menge von Vögeln, wie er vorher einen getroffen hatte. Auf den Wink
der Jungfrau verwandelte sich einer der Vögel in einen glänzenden engelgleichen
Geist mit dem Antlitz des verstorbenen Knaben. Giovanni
durfte diese Erscheinung seines Kindes zwar nicht umarmen, aber der
kleine Alberto tröstete den Träumer trotzdem, indem er ihm erklärte,
daß Gott wegen Giovannis kummervollen Gebeten diese Begegnung erlaubt
habe und ihm auch weiterhin Gnade und Frieden schenken werde.
Darauf erwiderte der Träumer:
„Mein lieber Sohn, ich danke Gott und auch dieser heiligen und
frommen Jungfrau und Königin, die mir in Jesu Auftrag diese höchste
Gnade geschenkt hat, daß mir der Trost gegeben wurde, Dich an
diesem Ort des ewigen Heiles Deiner Seele erblicken zu dürfen. Ich
bitte sie beide, daß sie Dir erlauben, mir Fragen zu beantworten und
mich über meine Sünden zu belehren. Sag mir, ob ich in dieser Welt
durch Deine Brüder getröstet werde oder ob ich noch mehr Söhne
haben werde. Weiter frage ich Dich, indem ich auf Gott hoffe und
seinen Geboten nicht zuwiderhandle, ob Du, wenn ich damals nicht
so gehandelt hätte, dann nicht von uns gegangen wärest und ob ich
hoffen darf, meinen gegenwärtigen Besitzstand und mein Ansehen
in meiner Heimatstadt bewahren zu können, und zuletzt, ob ich in
jungen Jahren oder im Alter aus diesem Leben scheiden werde.“691
Nachdem sich der Knabe der Einwilligung der Heiligen versichert hatte,
gab er seinem Vater lächelnd folgende Antwort:
690 Die Beschreibung weist auf die hl. Katharioa von Alexandria, wobei der Palmwedel
den Besuch Jerusalems, das Rad aber das Instrument ihres Martyriums bedeuten.
Vgl. dazu 0. WIMMER, Die Attribute der Heiligen, Innsbruck •1976, S. 84 u. 90.
691 Giovanni Morelli, Libro di Ricordo, S. 516: „igliuolo mio, io ringrozio Idio ehe
m ‚ha con&olato di vederti e in luogo di salute eterna della tua anima, e la &anta e divota
vergine e reina ehe da Ge&u que&ta somma grozia m ‚ha impetrota; e loro priego
ti dieno licencia mi rüponda e ammae&tri alla mia domanda e a ‚ miei peccati, e
dimmi &e de ‚tuoi fratelli &aro al mondo consolato, o &e i&pero di piu averne. A ncora
ti domando, i&perondo nella virtu di Dio e non contraffacendo ai &uoi conmandamenti,
&e non come die poi ti parti&ti da me ho fatto, se po&&o i&perare mi pre&ti
buono ütato al mondo nell‘ avere e nell’onore del mio Commune; e utimamente, &e
si questa vita mi debbo partire giovane o vecchio. “
294 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
„Vater meines Leibes, Ihr verlangt reichlich viel zu wissen, und der
gnädige und menschenfreundliche Gott wird Euch diesen Wissensdurst
teilweise stillen. Es hat Gott gefallen, mich zu sich zu rufen
um Eures und Eurer Familie Seelenheiles willen: Die Art und Weise
dieses Abschieds war bitter für alle und dies geschah wegen unserer
Sündhaftigkeit. Es wird aber in Zukunft Euch und Eurer Familie
Heil bringen. Bittet Gott, daß er Euch die Kinder, die Euch bereits
geschenkt sind, erhalte und habt sie lieb! Von Gott habt Ihr schon
viel Gnade empfangen und werdet noch weitere genießen, wenn Ihr
anerkennt, daß sie ihm zu verdanken sind. Wenn Ihr es daran fehlen
laßt, wird er sich als gerechter Herr erweisen. Glaubt, daß Ihr mehr
Gnade erhaltet als Ihr nach Euren Verdiensten erwarten dürftet.
Ihr fragt ferner, ob Ihr jung oder alt von der Welt scheiden werdet;
ich rate Euch, bemüht Euch alt zu werden, das gereicht Euch und
Eurer Familie zum Guten und ist auch Gott wohlgefa.Jlig: Vor dessen
Thron werde ich immer Euer Fürsprecher bleiben und auch der
meiner treuen leiblichen Mutter.“692
Dieser Traum enthält offensichtlich einige Anklänge an die ‚Divina Commedia‘
von Dante, wie etwa den einsamen Spaziergang, die Besteigung
des Berges, der den Namen der eigenen Familie trägt, sowie den Höhepunkt,
das entscheidende Zwiegespräch mit einem lieben Verstorbenen.
693 Die Symbolik der Tiergestalten des Vogels und der Schweine soll
uns in anderem Zusammenhang noch eingehender beschäftigen. 694 Interessant
erscheint mir hier vor allem das wörtlich wiedergegebene Traum-
692 Ebenda, S. 516: „Padre del mio corpo, voi domandate auai co.fe, e Idio umile e
grazio.fo vi dara in parte contentamento al vo.ftro cono.fcere. E‘ piaciuto a Dio, per
.falute dell’anima vo.ftra e dalla vo.ftra famiglia, chiamarmi a .fe: il modo e Ia forma
e .futa amara a tutti, e que.fto per lo no.ftro peccato. Sara .falute della vo.ftra famiglia
e ancora di voi; pregherete Idio vi guardi quelli avete acqui.,tati, e voi abbiategli cari.
Da Dio avete avuto a.f.fai grazie e ancora arete, 1e da lui le ricone.fcerete: ,e farete
il contradio, egli e giu.,to Signore; e tenete ricevere piu grazia non meritano i vo.ftri
meriti. Domandate &e partirete dal mondo giovane o vecchio: con.figliovi v’ingegnate
partire vecchio; e que.fto fia .falute a voi e alla vo&tra famiglia, e fia piacere di Dio,
dinanzi alla quale Mae.fta .fempre .faro favorevole ai vo&tri büogni e della mia fedele
e carnale madre „. Übers. der Verfasser in.
693 F. CARDINI, Sognare a Firenze fra Trecento e Quattrocento, Quaderni medievali
9 (1980), s. 86-120; 113.
694 Siehe unten, Kapitel 4.7 der vorliegenden Arbeit.
DER TRAUM ALS PERSÖNLICHES ERLEBNIS 295
gespräch von Vater und Sohn. Die Vorwürfe, die sich Giovanni im Nachhinein
über die lieblose Behandlung seines Erstgeborenen machte, steigerten
sich bis zur Anklage, mit seiner Herzenshärte den Tod des Kindes
verschuldet zu haben. So betrachtet, könnte man die Traumerscheinung
des kleinen Alberto im Sinne eines Erlösungswunsches interpretieren.
Es geht aber in der Antwort des Knaben nicht einfach um Abbau der
väterlichen Schuldgefühle, sondern eher um die Frage ‚Warum mußte
das passieren?‘, also um den Sinn des Leides. Der vorzeitige und zudem
mit großen physischen Schmerzen verbundene Tod des Kindes war
zwar in gewisser Weise die Strafe für Giovannis Sündhaftigkeit, enthielt
aber zugleich auch die Chance, sich durch Einsicht zu bessern. Da Giovanni
aber tagsüber in seinen Grübeleien nicht zur Erkenntnis dieser
spirituellen Zusammenhänge gelangte, gab ihm im Traum der Sohn die
notwendige Erklärung. Auch die Vorstellung der Verdienstgerechtigkeit
bedurfte der Korrektur, denn was Giovanni im Leben erreicht hatte,
war nicht nur Folge seiner kaufmännischen Tüchtigkeit oder bürgerlichkorrekten
Lebensführung, sondern größtenteils ein Geschenk Gottes, für
das er sich dankbar erweisen sollte. Auf Giovannis Fragen nach weiterem
Nachwuchs und der eigenen Lebenszeit erhielt er jedoch nur ausweichende
Antworten, die ihn auf seine persönliche Verantwortung für
das Wohlergehen der ihm bisher geschenkten Kinder und für seine eigene
Gesundheit verwiesen.
Der Traum des Giovanni Morelli enthält also ein reiches Spektrum
an Motiven, welche auch in anderen Traumberichten bereits vorkamen,
wie die Sorge um das eigene Seelenheil und das der nächsten Verwandten
sowie die Korrektur von unrichtigen Ansichten bzw. moralisch eindeutig
falschen Verhaltensweisen. Während die Erscheinung des verstorbenen
Knaben und seine Belehrung über ein christliches Verständnis des Geschehenen
dem Vater große seelische Erleichterung brachte, wurde dessen
unziemliche Neugier in bezug auf die Zukunft nicht gestillt. – Zwar
machten wohl viele Menschen im Spätmittelalter und der Renaissance
ähnliche seelische Krisen wie dieser Florentiner Kaufmann durch, doch
gibt es abgesehen von hagiographischen Texten meines Wissens nur wenige
derart gut bezeugte Beispiele. Letztlich schildert Giovanni nicht
nur ausführlich seine innersten Emotionen und Schuldgefühle, sondern
auch, wie er sie mit Hilfe eines Traumes, also durch eine Antwort aus
einem Bereich jenseits des bewußten Verstandes zu bewältigen lernte.
296 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
4.6. WAHRTRAUM UND ZUKUNFTSSCHAU
Im Mittelalter las man aus Träumen viel heraus, was für das persönliche
Leben von Bedeutung schien, sei es nun eine Aufforderung zu einer bestimmten
Handlung, eine Warnung oder aber die Ankündigung vom
Sterben eines Angehörigen oder Bekannten. Hie und da vermittelte der
Traum sogar Wissen über unbekannte Sachverhalte in der Gegenwart
oder gab Ausblick auf die Entwicklungen in der näheren Zukunft. Diesen
Informationen konnte unter Umständen jeder Bezug zum persönlichen
Verbalten des Schläfers fehlen und doch war das Geschaute häufig von
großer Eindeutigkeit und Klarheit, welche von anderen Wahrsagemethoden
wie etwa dem zufalligen Aufschlagen eines Bibelverses, dem Buchstaben-
oder Psalmenorakel oder von der astrologischen Prognose kaum
erreicht wurden.
Im frühen und hohen Mittelalter konnten praktisch nur Kleriker lesen
und schreiben. An diesem einseitigen Zugang zur Schriftlichkeit liegt
es wahrscheinlich, daß Wahrträume sowie die erst später verifizierbare
Zukunftsschau beinahe ausschließlich als besondere Gabe der Heiligen
dargestellt wird. So heißt es etwa bei Bischof Ulrich von Augsburg, daß
er schon früh in seinem Leben Visionen gehabt habe, die er aber ebenso
wie auch spätere Wunder aus Demut zu verheimlichen suchte. Die wichtigste
dieser Traumvisionen hatte einen politischen Inhalt, welcher weit
über Ulrichs persönliches Interesse und Beziehungsnetz hinausging.
Der Bischof träumte nämlich im Jahre 937 eines Nachts, die in Augsburg
verehrte römische Märtyrerin Afra hole ihn von seinem Lager und
führe ihn hinaus auf das nahe der Stadt gelegene Lechfeld. Dort erblickte
er den hl. Petrus inmitten einer großen Schar von Bischöfen, die
dem Träumer teilweise bekannt und teilweise unbekannt waren, wie sie
eine Synode abhielten. Dabei wurde der Bayernherzog Arnulf formell
angeklagt wegen der von ihm betriebenen Politik der wirtschaftlichen
Schädigung und Unterhöhlung von Klöstern durch Verleihung der dazugehörigen
Güter an Laien. Zuhanden des damals herrschenden Königs
Heinrich I. teilte der Apostelfürst dem Träumer mit, daß Heinrich zwischen
zwei Arten der Herrschaft frei wählen könne, symbolisiert durch
zwei Schwerter, wobei das Schwert ohne Handgriff die Gewalt ohne den
kirchlichen Segen und das Schwert mit Griff die Reichsführung mit dem
Beistand Gottes bedeute. Es handelte sich dabei um eine sinnbildliche
Darstellung von politischen Problemen, welche Ulrich als ReichsDER
TRAUM ALS PERSÖNLICHES ERLEBNIS 297
bischof in der Gegenwart beschäftigten, denn der Sachse Heinrich verweigerte
sich bekanntlich zeitlebens der karolingischen Herrschersalbung
und wurde daher ‚Schwert ohne Knauf‘ genannt. Dann offenbarte die
hl. Afra dem Schläfer aber auch zwei noch in ferner Zukunft liegende
Ereignisse. So zeigte sie Ulrich den Ort, wo später Otto der Große die
Huldigung des Langobardenkönigs Berengar und dessen Sohn empfangen
sollte, wie sie dann 952 tatsächlich stattfand. Zum Schluß sagte
die Märtyrerin dem Visionär noch den Ungarneinfall von 955 voraus
und versprach, daß die Christen nach schwerem Kampf auf dem Lechfeld
den Sieg erringen würden. Danach schien es Ulrich, daß Afra ihn
wieder zur seiner Lagerstätte zurückführe und ihn dann verlasse.695 Der
Bischof war über dieses nächtliche Gesicht begreiflicherweise sehr erstaunt
und er überlegte sich wie Paulus in der berühmten Paradiesesvision
(2. Kor. 12,3), ob er dies wohl inner- oder außerhalb seines Körpers
erlebt habe. Den Inhalt dieser der Gegenwart immerhin um fünfzehn
bzw. achtzehn Jahre vorauseilenden Vision teilte der Heilige nur wenigen
klugen Männern aus seiner nächsten Umgebung mit. Man darf annehmen,
daß Gerhard, der Autor der ältesten Vita, zu diesem auserwählten
Kreis von Vertrauenspersonen gehörte und deshalb auch direkte Kenntnis
von dem außerordentlichen Vorfall hatte. Seine Berichterstattung
gilt zwar im allgemeinen als sehr zuverlässig; da der Text aber erst in
den Jahren nach Ulrichs Tod (973) verfaßt wurde, ist die Authentizität
dieses Zukunftsgesichtes nicht gesichert.
Mit der Person des Bischofs von Augsburg lose verbunden war die hl.
Wiborada, welche, wie bereits erwähnt, als Klausnerirr beim Kloster St.
Gallen lebte. Sie soll Ulrich, der hier in seiner Jugend bei den Mönchen
Schulunterricht genossen hatte, seine Ernennung zum Bischof, jahrelange
Kriegswirren während seiner Amtszeit und schließlich einen ruhigen
Lebensabend vorausgesagt haben. 696 Der Herausgeber der ältesten
Vita Wiboradas, W. BERSCHIN, bezeichnet dies zwar als fromme Legende,
hält aber andererseits die Mitteilung für glaubwürdig, daß der
Heilige später den Dekan Ekkehard I. zur Aufzeichnung der Lebensgeschichte
dieser bemerkenswerten Frau anregte, solange noch Zeugen mit
persönlichen Erinnerungen an sie vorhanden waren. 697
695 Gerhard, Vita s. Oudalrici. Ed. G. WAITZ, MGH SS IV, cap. 3, S. 388 f.
696 Ekkehard I., Vita s. Wiboradae, cap. 20, S. 58 ff.
697 Ekkehard I., Vita s. Wiboradae, Einleitung, S. 4.
298 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
Wiborada hatte ihre visionären Erlebnisse offenbar vorwiegend, aber
nicht ausschließlich im Traum. So sah sie im Schlaf zur Zeit der ersten
Morgenröte am Fest Johannes des Täufers {24. Juni) den Klostergründer
Gallus mit einer Schar weißgekleideter Seliger im großen Lichterglanz
zum Altar treten und dort die Messe feiern. Dabei ertönten die diesem
Tag entsprechenden liturgischen Gesänge, wobei die Seligen die Antworten
des Mönchschores übernahmen. Danach aber trat Gallus zum
Fenster von Wiboradas Klause und offenbarte der Schläferin unter anderem,
daß wegen der allgemeinen Sündhaftigkeit viele Menschen aus der
Klosterfamilia und einige andere Leute noch im selben Jahr während
einer Schiffahrt auf dem Bodensee ertrinken würden. Nach Ekkehards
Angaben trug sich dann das Unglück wirklich so zu.698
Das Vorausahnen des tragischen Schiffbruches und des Todes mehrerer
der Träumerin zumindest entfernt bekannter Personen mag zunächst
unglaubwürdig erscheinen, weil es für ein derart an zufci.llige Faktoren gebundenes
Ereignis im voraus kaum irgendwelche erfaßbaren Anzeichen
gibt. Demgegenüber besitzt mancher im Traum angekündigte Todesfall
eines einzelnen Menschen wenigstens einige Wahrscheinlichkeit für sich.
Hier spielen Alter, Gesundheitszustand oder Schlachtenglück mit eine
Rolle, welche auch für den abwägenden Verstand zugängliche Größen
darstellen und damit vielleicht die Grundlage für einige auf den ersten
Blick prophetisch wirkende Träume bilden könnten. – Die Hellsichtigkeit699
der hl. Wiborada scheint sich aber solchen rationalen Argumenten
zu entziehen. Nach meiner Meinung lassen sich ihre intuitive Begabung
und ebenso diejenige der beiden Reichsbischöfe Ansgar und Ulrich
nicht einfach als eine Art Zufallstreffer des die Tagesbeobachtungen und
Affektreste kombinierenden Traumprozesses erklären. In allen drei Lebensbeschreibungen
werden nämlich nicht einmalige Vorkommnisse, sondern
das wiederholte Auftreten von Wahrträumen und Ahnungen berichtet.
700 Lebensrettend für die ganze Klostergemeinschaft von St. Gallen
698 Ebenda, cap. 18, S. 57 ff.
699 Unter Hellsichtigkeit versteht man das intuitive Wahrnehmen von Sachverhalten,
die keinem anderen lebenden Menschen bekannt sind, während durch den Begriff der
Telepathie der außersinnliche Informationsfluß von Menschen untereinander bezeichnet
wird.
700 Von Wiborada heißt es beispielsweise in cap. 21, S. 62 zusätzlich noch, daß sie
einmal sogar mitten am Tage den siegreichen Überlebenskampf ihres Hahns mit einem
DER TRAUM ALS PERSÖNLICHES ERLEBNIS 299
erwies sich schließlich die von Wiborada vor dem Fest der hl. Apostel
Petrus und Paulus (29. Juni) spontan empfangene Prophetie über den
Ungarneinfall des Jahres 926:
„Eines Tages saß die Selige nach der Feier der Messe des seligen
Johannes des Täufers und vor dem Fest der heiligen Apostel Petrus
und Paulus am frühen Nachmittag im Psalmengesang in gewohnter
Weise da, und da faltete sich der aufgeschlagene Psalter, der vor
ihr lag, plötzlich von selbst zusammen, und ihr Haupt sank etwas
vornüber und sie schlief ein. In diesem leichten Schlaf wurde ihr im
Traum offenbart, daß das grimmige Volk der Ungarn am ersten Mai
des folgenden Jahres zum Kloster des hl. Gallus gelangen werde,
nachdem es andere Länder durchzogen und verwüstet habe. Und in
derselben Offenbarung wurde ihr gezeigt, daß sie, da diese Heiden sie
tödlich verwunden würden, den Lohn ihrer Mühe und ihres Kampfes
durch den Ruhm des Martyriums in der Seligkeit des himmlischen
Reiches erhalten werde.“701
Gemäß der an dieser Stelle vielleicht hagiographisch überhöhten Erzählung
Ekkehards freute sich die Klausnerin sehr über das ihr im Zusammenhang
mit dem Ungarnsturm versprochene Martyrium und der sicheren
Aufnahme in den Himmel. Jedenfalls betrachtete Wiborada es als
ihre Pflicht, die Menschen der Region vor der drohenden Gefahr zu warnen.
So sah sich der Abt von St. Gallen in die Lage versetzt, rechtzeitig
eine nahe Burg zu befestigen und sich und seinen Mönchen einen Zufluchtsort
zu sichern. Wiborada selbst jedoch ließ sich beim Herannahen
der Ungarn nicht zum Verlassen ihrer ungeschützten Klause bewegen.
Fuchs wahrgenommen habe und deshalb ihre Dienerin zur Bergung des zu weit von
seinem Stall abgekommenen Vogels schickte.
701 Ekkehard, Vita s. Wiboradae, cap. 29, S. 74 f.: Quadam die po􀁜t celebratam
􀁜o/emnitatem beati Johanni􀁜 bapti􀁜te ante fe􀁜tiv.itatem 􀁜anctorum apo􀁜tolorum Petri
et Pav.li, inter meridianv.m tempv.􀁜 nonam, 􀁜olito 􀁜edili in p􀁜almodia beata re􀁜idente
iacen􀁜 ante eam paten􀁜 p􀁜alterium 􀁜v.bito 􀁜e ultra complicv.it, in quod pav.li􀁜per capv.t
reclinan􀁜 obdormiuit. Hoc tenui 􀁜omno per v.üv.m ei rev.elatum e􀁜t 􀁜ev.am gentem
v.ngariorum anno futuro in kalendi􀁜 maii aliis terri􀁜 perv.agati􀁜 et deua.!tatü ad mo·
na􀁜terium 􀁜ancti Ga/li perv.enturam, et in eadem rev.elatione o􀁜ten􀁜um e􀁜t illi quod
per martyrii gloriam ip􀁜i􀁜 pagani􀁜 eam v.ulnerantibu􀁜 􀁜ui labori􀁜 et certaminü prae·
mia in cele􀁜ti.! regni beatitudine percipere deberet. Übers. leicht verändert nach W.
BERSCHIN, S. 75.
300 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
Sie verharrte am Ort gemäß dem bei ihrer feierlichen Einschließung abgelegten
Gelübde und fiel am 1 . oder 2. Mai 926 unter den Axthieben
der in ihre Zelle eingedrungenen Heiden. Entsprechend der lokalen Verehrung
wurde sie 1047 als Märtyrerin offiziell heilig gesprochen.702
Interessant an dieser Beschreibung einer Zukunftsschau ist meines
Erachtens vor allem die Formulierung über das unwillkürliche Zuschlagen
des Buches und das Einnicken der Frau mitten am Tage. Es scheint, daß
Wiboradas intuitives Ahnungsvermögen sich am leichtesten im Schlaf
bzw. Traum manifestierte, ja beinahe an diesen Zustand des veränderten
Bewußtseinszustandes gebunden war. Es ist jedoch nicht auszuschließen,
daß es sich dabei um eine Interpolation des Verfassers Ekkehard handelte,
der eine derartige Vorbedingung für selbstverständlich hielt und
daher das Detail vom Einschlafen in seinen Bericht über die berühmte
Ungarnprophetie einfügte.
Mit dem Problem der außersinnlichen Wahrnehmung ( = ASW) von
dem betreffenden Menschen unbekannten Sachverhalten in Gegenwart
oder Zukunft hat sich in moderner Zeit die parapsychologische Forschung
gründlich auseinandergesetzt und das Phänomen darf daher als wissenschaftlich
diskutierbar angesehen werden. 703 Man hat versucht, die Rolle,
welche der Traum dabei spielt, mittels geschickt angelegter Experimente
zu erfassen und zu durchleuchten, doch sind die erstaunlichen Resultate
dieser Untersuchungen wegen des späteren Scheiterns von Wiederholungen
nicht unbestritten geblieben.704 Immerhin dürfte der Hinweis
der amerikanischen Forscher auf die überzufcillige Häufung von ASW
im Traum seine Gültigkeit bewahren, denn je nach Fallsammlung sollen
zwischen 50 und 70 % der Spontanberichte über behauptete paranormale
Wahrnehmungen ebenfalls auf Träume zurückgehen. 705 Erklären läßt
702 Ekkehard, Vita Wiboradae, Einleitung, S. 5.
703 V gl. dazu etwa die Darstellung von Telepathie und Hellsehen als wissenschaftliche
Grenzfragen durch H. BENDER, Verborgene Wirklichkeit. Hg. E. BAUER, Olten
1973, s. 2()–44.
704 Zu den Experimenten im amerikanischen Maimonideshospital vgl. die ausführliche
Darstellung von M. ULLMAN et al., Traumtelepathie, 1973. Ich benutzte die deutsche
Übersetzung, erschienen unter dem Titel: Traumtelepathie, Freiburg im Br. 1979,
dort vor allem S. 107 ff. Eine Zusammenfassung der gegen diese Forschungen erhobenen
wissenschaftlichen Kritik bei Ch. EVANS – P. EVANS, The Landscape of Night,
s. 65 ff.
705 M. ULLMAN et al., S. 35 f.
DER TRAUM ALS PERSÖNLICHES ERLEBNIS 301
sich das Phänomen möglicherweise als eine Art archaisches Warnsystem
aus einer Zeit, in welcher der Mensch im Tierreich noch zahlreiche Feinde
hatte und diesen besonders im Schlaf ungeschützt ausgesetzt war.706
Die durch ULLMAN vertretene Auffassung von ASW als Schutzmechanismus
in der Art eines Instinktes findet jedenfalls in der Weissagung
der Wiborada eine aufäfllige Bestätigung. Ebensogut könnte man den
Grund in der in Schlaf und Traum herabgesetzten Bewußtseinstätigkeit
sehen, welche paranormalen ‚Botschaften‘ den Zugang zum Schläfer erleichtert,
sei es nun, daß der wache und rational geschulte Verstand die
Möglichkeit von ASW prinzipiell ablehnt oder daß einfach die Aufmerksamkeit
des Betroffenen tagsüber von allzu vielen anderen Eindrücken
und Überlegungen beansprucht und abgelenkt wird. 707
* * *
Die Vorausschau von Ereignissen, die sich erst Monate oder gar Jahre danach
verwirklichten, war freilich sogar im an Visionen und Traumgesichten
so reichen Mittelalter selten. Man kann deshalb den Verdacht, daß
es sich hier um Übertreibungen oder gar Erfindungen von eifrig um den
Ruhm eines Heiligen bemühten Hagiographen handle, nicht mit letzter
Gewißheit ausräumen, zumal dann nicht, wenn sie ihr Werk wie Gerhard
oder Ekkehard I. erst nach dem Eintritt der prophezeiten Vorkommnisse
verfaßt haben. Was jedoch seit dem 12. Jahrhundert ziemlich oft bezeugt
wird, sind Träume mit kurzfristigen Vorwegnahmen von Ereignissen der
nächsten Tage oder Wochen. Als Beispiel dafür dienen wiederum die
Lebensbeschreibungen einer Frau, der in England als Heiligen verehrten
Christina von Markyate (ca. 1096-1 155). Ihre Vita wurde von einem
Mönch aus dem Kloster St. Alban verfaßt, der ihr offensichtlich nahestand
und vielleicht ihr Beichtvater war.708 Christina wurde als eines von
706 M. ULLMAN et al., S. 223 und 234.
707 Auch J. MISCHO sieht in der herabgesetzten Bewußtseinstätigkeit eine Hauptbedingung
für das Aufreten von ASW [Paranormale Erfahrungen im Traum, Zeitschrift
für Parapsychologie und Grenzgebiete der Psychologie 27 (1985) S. 116-141; 125].
708 Vita s. Theodora. Lat. engl. Ed. C.H. TALBOT, Oxford 1959, lntroduction,
S. 6. Die Namensänderung von Theodora in Christina wird vom anonymen Autor
der außerordentlich realistisch wirkenden, aber leider nur unvollständig überlieferten
Hagiographie auf die besonderen Umstände im Leben der Heiligen zurückgeführt, die
sie lange zwangen, ihre wahre Identität zu verheimlichen (cap. 1, S. 34).
302 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
mehreren Kindern eines reichen angelsächsischen Adeligen namens Autti
in Huntingdon geboren. Der in Christina schon früh erwachte Wunsch
nach einem Leben im Kloster wurde von den Eltern nicht akzeptiert,
sie erzwangen mit Gewalt die kirchliche Vermählung ihrer Tochter mit
einem der Familie genehmen Mann. Das Mädchen widersetzte sich aber
dem Vollzug der Ehe hartnäckig und entkam mehrmals nur mit knapper
Not den groben Annäherungsversuchen des Bräutigams. So sprang sie
eines Tages in letzter Sekunde über einen Zaun mit oben zugespitzten
Eisenstäben und floh auf diese Weise aus der körperlichen Reichweite des
Verfolgers. Dieser Vorfall entsprach nun ihren Angaben zufolge genau
der Szene, welche sie in der Nacht zuvor geträumt hatte. In der Vita
heißt es wörtlich:
“ ‚Wahrhaftig, indem ich diesem entkam, floh ich vor dem Teufel,
den ich letzte Nacht sah.‘ Denn in ihrem Schlaf hatte es ihr geschienen,
daß ein Teufel von schrecklichem Aussehen mit gefletschten
Zähnen sie vergeblich zu erhaschen versuchte, nachdem sie im Fliehen
mit einem Satz über einen hohen Zaun gesprungen war.“709
Christina empfand ihre Situation als derart verzweifelt, daß sie das Elternhaus
mit Hilfe einer Drittperson bei Nacht und Nebel verließ. Nach
dieser dramatischen Flucht lebte sie einige Jahre in aller Heimlichkeit
als fromme Eremitin in Flamstead und Markyate in der Nähe des Benediktinerklosters
St. Alban. Von dort aus bemühte sie sich um die
kirchliche Erklärung der Ungültigkeit ihres Eheversprechens, welches sie
ja nur unter größtem Druck abgegeben hatte. Als Christina wegen einer
klosterpolitischen Angelegenheit – übrigens motiviert durch einen Traum
– in St. Alban intervenierte, lernte sie dort Abt Geoffrey persönlich kennen.
Zwischen diesem Würdenträger und der Eremitin entwickelte sich
allmählich eine tiefe geistige Freundschaft. Christina, um 1122 endlich
von ihrem Ehegelöbnis entbunden, legte ca. 1131 die Profeß als Klosterfrau
ab und verharrte in ihrer Einsiedelei in Markyate, wo sie dann mit
Geoffreys Hilfe einen kleinen Nonnenkonvent gründen konnte.710
709 Vita s. Theodorae, cap. 1 2 , S. 52 f.: ‚Vere nunc in i􀃃to demonem eva􀃃i, quem
nocte preterita vidi‘; viderat namque per 􀃃ompnum qua􀃃i demonem horribilem a·
.spectu atriJ dentibu.s .se volui􀃃.se comprehendere, .sed nequivi.s.se; eo quod illa fugiendo
.sepem ezceuam 􀃃altu tran.svolauet. Übers. der Verfasserin.
71° Für die Rekonstruktion der Lebensdaten vgl. Vita s. Theodorae. Ed. TALBOT,
Introduction, S. 14 f.
DER TRAUM ALS PERSÖNLICHES ERLEBNIS 303
Im Verlauf der Jahre wurde Christina nach der Schilderung ihres
Biographen immer feinfühliger und zwar vor allem in bezug auf Abt
Geoffrey, dessen Pläne und Entscheidungen sie meistens kannte, bevor
er ihr anläßtich eines Besuches davon Mitteilung machen konnte. Als der
Abt beispielsweise im Auftrag des Königs nach Rom an die Kurie reisen
sollte, vermischten sich in Christinas Träumen persönliche Wünsche mit
echtem Vorauswissen. Begreiflicherweise wollte sie den teuren Freund
nicht so weit weg ziehen lassen und entsprechend dieser innersten Haltung
sah sie Geoffrey in einem ersten Traumgesicht in eine Wand eingemauert
und erhielt den klaren Auftrag, die für ihn bereiteten Reisekleider
an die Armen zu verschenken. Zwei Jahre später sah sie den Abt,
der als Teilnehmer eines allgemeinen Konzils nach Rom reisen sollte,
im Traum wie unter einer durchsichtigen Kuppel in einem unwirklich
grünen Klostergarten eingeschlossen. Wider alle Erwartungen wurde
der Reiseauftrag vom apostolischen Legaten zurückgenommen, worum
Christina nach ihrem eigenen Geständnis auch fleißig gebetet hatte.711
Eigentlich hätte Geoffrey eine solche Reise nicht ungern unternommen,
denn er besaß gute Freunde an der Kurie, die er bei dieser Gelegenheit
besuchen wollte. Christina aber dachte offenbar nur mit Unbehagen an
eine längere Trennung und an die Gefahren der Alpenüberquerung und
letztlich scheint sie dank der Macht ihrer Persönlichkeit bzw. ihres Gebetes
den Sieg über Geoffreys Reiselust davon getragen zu haben. – Als
der Abt dann kurz darauf bei einem Streit der englischen Kirchenfürsten
mit König Stephan den heiklen Auftrag erhielt, für den Episkopat an den
Papst zu appellieren, träumte Christina, Jesus selber helfe ihr, Geoffrey
an ihrer Brust festzuhalten. Tatsächlich zerschlug sich auch dieser letzte
Reiseplan, obwohl Geoffrey sich durch sein Gewissen verpflichtet glaubte,
die schwierige Botschafterrolle zu übernehmen, die ihm den Zorn des
Königs hätte eintragen können. 712
Was die vom Hagiographen behauptete ‚telepathische Begabung‘
der Eremitin aus dem hohen Mittelalter {Christina) von derjenigen der
Klausnerin der Karolingerzeit (Wiborada) unterscheidet, ist offensichtlich
der stärkere Bezug auf die eigene Person bei der Vertreterin der
späteren Epoche. Das hängt wahrscheinlich mit dem allgemein schwächeren
Ich-Bewußtsein der Menschen im Frühmittelalter zusammen bzw.
711 Ebenda, cap. 71, S. 160 ff.
712 Ebenda, cap. 73, S. 167 f.
304 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
mit der diesbezüglich eingeschränkten Optik der damaligen Vitenschreiber,
welche mehr Gewicht auf Visionen mit Bezug auf das Wohl von
Mitmenschen bzw. von ganzen Gruppen wie Klosterfamilia {Wiborada) ,
Königsdynastie (Ulrich) oder Diözese ( Ansgar) legten. 713
Die neue Wichtigkeit des Schicksals einzelner Personen tritt uns
im 12. Jahrhundert auch in dem bereits unter dem Aspekt von Angst
und Furchtgefühlen analysierten Traum Sugers von St. Denis entgegen.
Dieser französische Abt {1080-1 151) war ein Zeitgenosse der Christina,
wurde aber im Gegensatz zu der englischen Klosterfrau nie als Heiliger714
verehrt, obgleich er sehr wichtige Positionen bekleidete und eine bemerkenswerte
Persönlichkeit war. Trotzdem durfte er von sich behaupten,
einen Wahrtraum über den Zornausbruch König Ludwigs VI. erlebt und
auch die friedliche Beilegung des Streites vorausgeahnt zu haben. 715 Es
ist nicht sicher, ob Suger die Szene von seiner gefahrvollen Schiffahrt
auf stürmischer See tatsächlich vor dem Eintreffen des Boten aus seinem
Kloster geträumt hatte oder ob dies nicht ein späterer Erinnerungsfehler
war. Die Ahnung vom guten Ausgang dürfte ihm aber jedenfalls geholfen
haben, sich in einer schwierigen Situation richtig zu verhalten. Suger
wartete nach dem Zusammentreffen mit dem Boten nämlich außerhalb
des Herrschaftsbereichs des Königs, bis sich dessen Zorn über die unter
Ausschließung des Thrones erfolgte kanonische Wahl Sugers zum Abt von
St. Denis gelegt hatte und Ludwig sich bereit erklärte, seinen bewährten
Berater auch als Vorsteher des Hausklosters der kapetingischen Dynastie
zu akzeptieren.
Noch deutlicher läßt sich die warnende Funktion von Wahrträumen
in den Schriften des Gerald von Wales aufzeigen. Im Verlauf des Irlandfeldzuges
des Prinzen John, den Gerald als Begleiter des Fürsten
mitmachte, ereignete sich folgender Zwischenfall. In der Nacht vor den
anberaumten Verhandlungen des irischen Stammeskönigs Ua Ruairc und
dem Vertreter der Engländer, Hugh de Lacy, träumte ein Ritter aus des-
713 Vgl. dazu die Ausführungen von G. MISCH, Geschichte der Autobiographie, der
auf Grund seiner umfassenden Studien von einer morphologischen, gewissermaßen
zentrifugalen Individuation der Menschen im Mittelalter spricht (Bd. 11,1, S. 22 und
Bd. 111,1, S. 387).
714 Zur außersinnlichen Wahrnehmung als Kriterium der Heiligkeit siehe oben, Kapitel
4.5.1.
715 Siehe oben, Kapitel 4.4.3.
DER TRAUM ALS PERSÖNLICHES ERLEBNIS 305
sen Gefolge etwas sehr Unangenehmes. Griffin, so hieß der Träumer,
sah nämlich eine Horde wilder Schweine und einen riesigen Eber mit
gefährlichen Hauern auf seinen Lehensherrn Hugh de Lacy losgehen.
Im letzten Moment zückte er das Schwert, um seinen Herrn zu retten
und konnte den rasenden Keiler erschlagen. – Am Morgen erzählte er
das dramatische Gesicht seinem Onkel Maurice Fitzgerald und einigen
anderen Verwandten und begleitete darauf Hugh in die Nähe des Verhandlungsplatzes.
Es kam wie Griffin geträumt hatte, die Verhandlungen
endeten in einer Sackgasse und Ua Ruairc machte heimlich Anstalt,
seine Leute zum Angriff auf die Abgesandten der Engländer herbeizuwinken.
Maurice Fitzgerald, der am Gespräch teilnahm, rechnete aber,
gewarnt durch den Traum seines Neffen, mit einer Hinterlist des Gegners
und es gelang ihm deshalb, Ua Ruaircs überraschende Axthiebe
mit dem Schwert abzuwehren. Während der Dolmetscher der Engländer
schwer verwundet wurde und Hugh de Lacy als Hauptziel des Angriffs
sein Heil in der Flucht suchte, gelang es dem mit seiner Truppe zu Hilfe
eilenden Griffin mit der Lanze Ua Ruairc zu durchbohren und die Iren
zurückzuschlagen. 716
Zur Bestätigung der Möglichkeit solcher Wahrträume fügt Gerald
seinem Bericht dann noch die Erzählung über ein ähnliches Vorkommnis
aus seiner engeren Familie an, welches bereits als Beispiel für das
Gespräch mit Verstorbenen besprochen worden ist. 717 Damit wollte er
wahrscheinlich der in kirchlichen Kreisen auch während des Hochmittelalters
noch weit verbreiteten Skepsis gegenüber dem Traum entgegentreten.
Mehr als alle Erzählungen von den Erfahrungen irgendwelcher
Drittpersonen vermag jedoch gewöhnlich das eigene Zeugnis zu beeindrucken,
und Gerald war in der glücklichen Lage, seinen Lesern, die
ja wie er dem Klerus angehörten, ein solches Erlebnis beschreiben zu
können. Um der seltenen Anschaulichkeit dieses Traumberichtes willen
sei der Text hier wörtlich zitiert:
„Am 10. Mai (1189) zur Zeit des ersten Hahnenschreis, als ich noch
schlief, schien es mir, ich sähe eine große Menge von Leuten, die alle
in den Himmel hinauf blickten voller Erstaunen über ein merkwürdiges
neues Schauspiel. So wandte ich meinen Blick himmelwärts,
um zu sehen, was es wäre, und erblickte ein helles Licht, das aus
716 Gerald von Wales, Expugnatio Hiberniae, Opera 5, lib. I, cap. 41, S. 292 f.
717 Siehe oben, Kapitel 4.5.2 dieser Arbeit.
306 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
einer dichten Wolkendecke hervorbrach. Plötzlich teilten sich die
Wolken, und als die unteren Teile des Himmels teilweise entschleiert
waren, konnte mein Blick durch dieses Fenster bis zum entferntesten
Bereich dringen. Dort erschien der himmlische Hof umgeben von
unzähligen Gestalten, und es erfolgte ein Angriff darauf mit Waffen
aller Art aus allen Richtungen. Der himmlische Hof wurde der
Plünderung und Zerstörung durch seine Feinde preisgegeben und
seine Heerscharen der Schlachtung. Du konntest sehen, wie einem
Mann der Kopf mit dem Schwert abgeschlagen und einem anderen
der Arm abgetrennt wurde, während weitere durch Pfeilhagel aus
Distanz angegriffen wurden und wieder andere aus Stellungen in der
Nähe mit Lanzen beworfen oder mit dem Messer durchbohrt wurden.
Viele, welche von unten diese Szene betrachteten, fielen auf
ihr Gesicht nieder, sei es wegen des blendenden Lichtstrahls oder
auch aus Gefühlen des Entsetzens oder Mitleids, die ihnen das, was
sie sahen, einflößte. Aber ich schien jeden Vorgang viel länger und
aufmerksamer zu beobachten, um zu sehen, wie die Sache enden
würde. In kurzer Zeit hatten diese blutbefleckten Mörder alle Gegner
besiegt und warfen sich mit vereinten Kräften auf den Fürsten
des himmlischen Heeres, der majestätisch inmitten seines Volkes gethront
hatte, genau wie er in Gemälden gezeigt wird. Sie zerrten
ihn mit bis zum Nabel entblößter Brust vom Throne und durchstachen
seine rechte Seite mit einem Speer. Darauf ertönte sofort eine
schreckliche Stimme, welche ausrief: „Woch, Woch, Vater und Sohn!
Woch, Woch, Heiliger Geist!“ Aber ob dieser Schrei von oben kam
oder ob er aus dem Mund der herumstehenden Beobachter ertönte,
konnte ich nicht in Erfahrung bringen. Der Schreck, der mich beim
Hören dieser Worte und Sehen dieser Vision erfaßte, weckte mich
auf und setzte dem Traum ein Ende. – Ich rufe Ihn als Zeugen
an, in dessen Schau alle Dinge offenbart und enthüllt sind, daß ich,
während ich anschließend auf meinem Bett saß und all dies ängstlich
in meinem Kopf wälzte, eine halbe Stunde oder länger an meinem
ganzen Körper zitterte und in meinem Geiste von einer solchen Aufregung
ergriffen war, daß ich völlig außer mir war und um meinen
Verstand fürchtete.“ 718
718 Gerald of Wales, Expugnatio Hibernica, Opera Bd. 5, lib. II, cap. 30, S. 369 ff.:
Sezto (ante) idu& Maii, nocte in &omni&, et nocti& hora qua&i circa gallicantum, vi&u&
DER TRAUM ALS PERSÖNLICHES ERLEBNIS 307
Durch intensives Gebet gewann Gerald dann allmählich seine Fassung
wieder, doch konnte er sich auch später beim Erinnern an die gräßliche
Szene, in welcher der Herr der Welt niedergemacht wurde, eines Schauders
nie erwehren.
Aufgewühlt, wie er begreiflicherweise war, versuchte Gerald den
Traum zu deuten und legte die von ihm erwogenen Interpretationsmöglichkeiten
auch seinen Lesern vor. Eine erste Idee des über eine
gründliche Bildung verfügenden Autors ging dahin, daß Christus einst
die Menschen am Kreuz erlöst und mit seinem Blut die Kirche der
Gläubigen freigekauft hatte. Diese Kirche sah der walisische Erzdiakon
im Zuge der Auseinandersetzungen um die Investitur von machtgierigen
Herrschern bedroht. Indem diese Feinde die Kirche bekämpften,
griffen sie Christus an, der nach seiner Auferstehung in göttlicher Majestät
neben dem Vater im Himmel thront. Wahrscheinlicher schien dem
Autor jedoch eine andere Erklärung, welche die Leiden der Christen in
Palästina, dem durch Christi Leben und Sterben geheiligten Land, ins
3um mihi videre turbam hominum multam in coelum intuentem et tamquam novum
aliquid admirantem. Elevan3 igitur oculo3, et 3U3picien.f quidnam e.f.fet, vidi intra
nubium quarundam den.fitatem clari33imae luci.f &plendorem erumpere. Et .ftatim,
.feparati.f ab invicem nubibu.f, tamquam inferiore hoc coelo ibidem ez parte re.ferato,
oculorum acie per fene.ftram il/am ad empireum u.fque tran.fpenetrante, in multitudine
multa curia illa coele3ti3 apparuit, intentati.f ei undique armorum omnium generibu“,
in direptionem data et tamquam ho3tibu.f ad mactandum e;cpo“ita. Videa.f
huic gladio caput, illi brachium amputari; illo.f .fagitti& eminu.f peti, illo.f /ancei&
comminu.f, illo.f &ici.f tran.fpenetrari. Et cum intuentium multi, vel propter fu/gorem
nimium vel propter rerum vi.farum .feu terrorem .feu pietatem, proni in facie.f .fUa.f
cecidiu ent, ad ezitum rei videndum vi.fu.f &um mihi .fingula Ionge diuciu.f alii.f et
diligenciu.f intueri. Completa igitur in brevi qua.fi de alii.f cuncti.f victoria, principem
ip.fum milicie coele.fti.f, tamquam in medio .fUorum et maie.ftate .fedentem .ficut
depingi .folet, carnifice.f cruenti communiter invadunt, et umbilico tenu.f a de;ctri.f
il/um a throno eztrahente.f nudato pectore, deztrum ei latu.f lancea confodiunt. Et
.ftatim voz terribili.f valde .fecuta e.ft in hunc modum: ‚Woch, Woch, Pater et Filiu.f!
Woch, Woch, Spiritu.f Sanctum!‘ Sed utrum de.fuper demi.f.fa, an a circum.ftanti populo
prolata fuerit, hoc mihi datum e.ft ignorare. Et .fic mihi dem um tam voci.f huiu.f
quam vi“ioni.f terror ezperrecto .fomnum e;ccu.f.fit. – 11/um itaque te.ftem invoco, cui
nuda et aperta .funt omnia, quoniam me .ftatim in .ftrato re.fidentem et haec mecum
anzie recolentem, tantu.f per dimidiam vel ampliu.f horam et tarn vehemen.f carni.f
et .fpiritu.f horror inva.fit, quod fere eztro me factu.f, a mente tran.fire et dementire
timebam. Übers. der Verfasserin.
308 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
Zentrum stellte. In diesen der Wut der Heiden preisgegebenen Opfern
litt Jesus erneut einen grausamen Tod und mit ihm alle Bewohner des
Himmels. So gesehen bedeutete der Traum, in dem das Martyrium vieler
so brutal gezeigt wurde, ein Aufruf zur Rache. Bei der Erläuterung
des deutsch-lateinischen Ausrufes ‚Woch, woch, Pater et Filius!‘ verwies
Gerald auf die wichtige Rolle der Völkerschaften des deutschen Reiches
beim dritten Kreuzzug, die besonderen Eifer zeigten, das Hl. Land aus
der Gewalt des Islams zu befreien. Damit gelangte er zu einer dritten
Deutungsmöglichkeit, nach welcher sich das Wehgeschrei auf das
zukünftige Leid der Christen bezog und daher speziell für die sich am
Kreuzzug von 1 189 beteiligenden Völker nichts Gutes verhieß.
Gerald schrieb diese letzte Interpretation nur zögernd und unter Anrufung
von Gottes Gnade nieder. Tatsächlich endete die so hoffnungsvoll
begonnenen Expedition mit dem Tod des deutschen Kaisers Barbarossa
1 190 in Kleinasien und dem Zwist zwischen den christlichen Fürsten
sowie der Gefangennahme des englischen Königs Richard auf dem Heimweg
trotz einiger militärischer Erfolge insgesamt unbefriedigend. Der
enttäuschende Ausgang zeigte die Richtigkeit der dritten Deutung, d. h.
das erschütternde Gesicht erwies sich als echte Zukunftsschau, wie Geraid
selber in der späteren, um 1200 geschriebenen Fassung des Traumes
feststellte. 719 – In diesem Zusammenhang muß erwähnt werden, daß Geraid
seinerzeit im Auftrag des Erzbischofs Balduin von Canterbury nach
eigenen Angaben mit großem Erfolg diesen Kreuzzug gepredigt hatte.
Er plante ursprünglich, den Zug in eigener Person mitzumachen, doch
war er zu arm, um sich selber standesgemäß auszurüsten. König Heinrich
II. sicherte seinem Hofkaplan und weiteren Geistlichen mündlich zu,
ihnen diesbezüglich mit Geld auszuhelfen. Mit dem Tod des Herrschers
1 1 89 fiel auch dessen finanzielles Versprechen dahin und Gerald ließ sich
daher von seinem Kreuzzugsgelübde entbinden. 720 Es ist allerdings unwahrscheinlich,
daß der ehemalige Hofkaplan nicht auch anderswo die
nötigen Mittel hätte ausleihen können. So drängt sich die Vermutung
auf, daß die Erinnerung an das schreckliche Traumbild zu Geraids Ent-
719 Gerald von Wales, De principis instructione. Opera Bd. 8, dist. 3, cap. 16, S. 264
ff.
720 Brief des Kardinallegaten in: De rebus a se gestis, cap. 22, zitiert bei H. E.
BUTLER, De rebus a se gestis, eng!. Übers., London 1937, S. 1 16.
DER TRAUM ALS PERSÖNLICHES ERLEBNIS 309
schluß beitrug, sich nicht persönlich an dem gefahrvollen Kriegsunternehmen
gegen die Sarazenen zu beteiligen.
* * *
Kriege werfen ihre Schatten – zumindest was Einzelschicksale angeht –
in Traum und Tagesvision hie und da deutlich voraus, wie der Parapsychologe
BENDER in bezug auf den Zweiten Weltkrieg anhand von
eindrücklichen Spontanberichten gezeigt hat. 721 Daher erscheint Geraids
düstere Ahnung vom Ausgang des dritten Kreuzzuges keineswegs unglaubwürdig,
doch zog er anders als Wiborada anscheinend daraus Konsequenzen
für seine persönliche Sicherheit. Der Abt von St. Gallen nahm
in ähnlicher Weise die Prophetie der frommen Klausnerin vom Ansturm
eines feindlichen Volksstammes sehr ernst, ohne sich jedoch von einem
fatalistischen Glauben an die Verwirklichung der Zukunftsschau in seiner
Tatkraft lähmen zu lassen. Ganz im Gegenteil sorgte Abt Engilbert für
militärische Vorbereitung und den Ausbau einer Fluchtburg und konnte
so zusammen mit seinen Mönchen und der ganzen Klosterfamilia dem
drohenden Massaker entgehen. 722 Dem hier beobachteten praktischen
Umgang mit der Weissagung von schlimmen Ereignissen entsprach die
theoretische Äußerung des Albertus Magnus im 13. Jahrhundert. In seiner
Aristoteles-Bearbeitung „De somno et vigilia“ betonte der scholastische
Gelehrte, daß sogar klar auf die Zukunft bezogene Träume sich nicht
immer verwirklichen müßten. Ähnlich wie in der medizinischen Prognose
oder in der astrologischen Voraussage könnten entweder unvorhergesehene
Kräfte den Gang der Dinge beeinflussen, oder der Mensch ändere
aufgrund kluger Einsicht sein Verhalten und damit auch die zukünftige
Entwicklung. Diese These illustrierte der Theologe mit dem Beispiel der
Propheten des Alten Testamentes. Die von ihnen für die Zukunft des
auserwählten Volkes geschauten Katastrophen waren ja hauptsächlich
als Warnung gedacht, die man aber oft nicht genügend beachtete.723
Neben solchen zukunftsbezogenen Träumen, welche manchmal bemerkenswerte
Rückwirkungen auf die Handlungsweisen der Betroffenen
hatten, gab und gibt es selbstverständlich auch die unmittelbar auf die
Gegenwart bezogene Hellsichtigkeit bzw. vor allem die telepathischen
721 H. BENDER, Verborgene Wirklichkeiten, Freiburg im Br. 1973, S. 53-63.
722 Ekkehart IV, Casus sancti Galli. Ed. P. BÜTLER, Leipzig 1925, S. 90 ff.
723 Albertus, De somno et vigilia, Jib. III, tract. II, cap. 5, S. 202 f.
310 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
Kontakte. Diese Form der ASW ist unserem Vorstellungsvermögen etwas
weniger fremd, da man sich hier am Modell einer Gedankenübertragung
durch ‚Radiowellen‘ orientieren kann. Als Beispiele für derartige Traumerlebnisse
wurden die Ankündigungen vom Sterben einer dem Träumer
nahestehenden Person aufgeführt. Die große Häufigkeit von solchen Todeswahrnehmungen
in den mittelalterlichen Quellentexten ist kein Zufall,
sondern entspricht durchaus modernen Untersuchungen. Eine statistische
Auswertung von tausend spontanen Erfahrungsberichten ergab, daß
vierzig Prozent der Fälle von ASW direkt mit einer Todessituation zu
tun haben, wobei Studien anderer Forschergruppen ähnliche Zahlenwerte
aufweisen. 724
Aufgrund seiner langjährigen Forschungen vertritt H. BENDER die
These, daß sich alle paranormalen Phänomene in einem Feld von starken
Affekten abspielen. In diese Richtung deuten nicht nur die Todesankündigungen
im Traum als Extremfall einer existenziellen Krisensituation,
sondern auch die fast ausnahmslos bestehende persönliche Beziehung
zwischen dem Visionär und dem Sterbenden. Die Intensität
solcher Kontakte reicht von der zufaJligen, losen Bekanntschaft bis zur
Freundschaft, Liebe und nahen Verwandschaft.725 – Es scheint, daß diese
Vorbedingung des telepathischen Traums bereits von Albertus Magnus
intuitiv erkannt worden ist. Der Scholastiker beschäftigte sich auf der
724 H. BENDER, S. 27 mit Anmerkung 3.
725 Diese These kann sich auch auf die von J. MISCHO, Paranormale Erfahrungen
im Traum, S. 124 f. angegebenen Prozentwerte stützen: Über 80 % der in drei wissenschaftlichen
Sammlungen von Spontanberichten auftretenden Fälle von ASW bezogen
sich auf Personen, mit denen sich der Betroffene gefühlsmäßig verbunden fühlte und
weit über 80 % dieser Erlebnisse enthielten eine negative Thematik wie Tod, Unfall,
Gefahr, Verletzung und Eifersucht. – Umgekehrt gibt es aus dem Mittelalter ganz
vereinzelt Beispiele dafür, daß auch positive Erlebnisse, welche mit starken Affekten
verbunden sind, Anlaß zur Traumtelepathie geben können. So schildert Margaretha
Ebner in ihren Offenbarungen (S. 90 f.), wie sie öfters eine jener in manchen Frauenklöstern
vorhandenen Holzpuppen, welche das kleine Jesuskind darstellten, zu sich
ins Bett nahm. Die Mystikerin legte dieses Hilfsmittel für die Versenkung in die
Kindheit des Erlösers sogar wie zum Stillen an die Brust und gewann mehrfach den
Eindruck, die Holzfigur sei lebendig. Einmal hatte Margaretha sogar die Empfindung,
das Kindlein sauge an ihrer Brust. Dabei wurden ihre Gefühle so intensiv, daß ihre
Mitschwester Elsbeth von Schepach die Szene im Traum miterlebte. Sie wunderte
sich so sehr über diese Meditationsmethode, daß sie Margaretha darauf ansprach und
fragte, wie sie denn das mit ihrem Schamgefühl vereinbaren könne.
DER TRAUM ALS PERSÖNLICHES ERLEBNIS 311
Basis des Aristoteles und gestützt auf die Skala des jüdischen Philosophen
Maimonides ja auch mit der Frage der Zuverlässigkeit der inneren
Bilderwelt des Menschen für prophetische Zwecke. 726 Dabei unterschied
Albertus dreizehn Stufen der seelischen Wahrnehmung und ordnete bei
Stufe vier auch den Wahrtraum ein. Gemäß seinem Bemühen, die antike
Wissenschaft und Tradition durch eigene Forschungen zu überprüfen, referierte
der Gelehrte nebst einem Beispiel aus Ciceros „Natura Deorum“
auch einen persönlichen Erfahrungsbericht. Er selbst habe einmal frühmorgens
geträumt, er befinde sich am Ufer eines Flusses und in der Nähe
habe sich ein Mühlrad gedreht. Albertus‘ Traum-Ich glaubte nun, einen
Knaben zu sehen, der ins Wasser fiel, sogleich vom Mühlrad ergriffen und
getötet wurde. Nach dem Aufwachen habe er seinen Mitbrüdern von
dieser unangenehmen Szene berichten wollen, doch bevor er noch seine
Erzählung beenden konnte, wurde bereits die Ankunft einer schreienden
Frau gemeldet. Es handelte sich um die verzweifelte Mutter des Knaben;
sie berichtete den staunenden Männern den Hergang des Unglücks genau
so, wie es Albertus kurz vorher im Traum wahrgenommen hatte. Der
Nachsatz zu dieser tragischen Episode drückt die große Verwunderung
des Gelehrten über die Tatsache aus, daß ausgerechnet er das Unglück
im Traume mitansehen mußte:
“ . . . und das, obschon sowohl die Mutter als auch der Knabe mir vorher
gänzlich unbekannt waren, und ich diese Personen weder jemals
gesehen noch kennengelernt hatte.“727
Die überaus nüchterne Schilderung des ganzen Vorfalls und die persönliche
Glaubwürdigkeit des Albertus lassen meines Erachtens keinen Zweifel
an der Realität der Traumwahrnehmung des Unglücks zu. Dieses Zeugnis
wirft aber auch die im Rahmen der vorliegenden Untersuchung nicht
beantwortbare Frage auf, ob es vielleicht doch Menschen gibt, die für
außersinnliche Wahrnehmungen besonders begabt sind. Mittelalterliche
Heilige wie Wiborada oder Albertus zeichneten sich ja gerade auch dadurch
aus, daß sie im Traum Todesfa.J.le oder kommendes Unheil sogar
für Leute voraussahen, mit denen sie persönlich nie etwas zu tun gehabt
hatten.
726 Siehe oben, Kapitel 3.4 der vorliegenden Arbeit.
727 Albertus, lib. III, tract. 1 , cap. 10, S. 191: . .. cum tamen. et mater et puer om·
nino fuiJJen.t an.te hoc mihi incogniti, neque umquam noveram vel videram easdem
perJonaJ. Übers. der Verfasserin.
312 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
4.7. SYMB()LI SCHE TRÄUME UND IHRE INTERPRETAT I ON
4.7.1. Die Deutung der Bildsprache und Szenenfolgen
Bisher sind Traumberichte vorgelegt worden, die sich ohne Schwierigkeiten
einem thematischen Bereich zuordnen lassen und deren klare Erzählstruktur
meistens sofort den Sinngehalt verrät, den ihnen die mittelalterlichen
Menschen zugelegt hatten. Was aber dachte man sich bei jenen
Träumen, in deren Handlungsablauf ein nicht unmittelbar verständliches
Symbol auftauchte oder an die man sich überhaupt nur als lose Folge von
Bildern erinnern konnte? Anders als in den meisten modernen psychologischen
Beratungen bezog man sich im Mittelalter bei der Traumdeutung
nicht auf Gegenwart oder Vergangenheit des Schläfers, sondern auf seine
Zukunft. Entsprechend dieser Orientierung sah man im Traum eine Art
Orakel und erwartete von ihm Hinweise und Ratschläge in allen Lebenslagen
oder auch Warnungen, wenn eine unbekannte Gefahr drohen sollte.
So gesehen konnte die Fähigkeit zur EntschlüsseJung von rätselhaften
nächtlichen Szenen und Bildern unter Umständen lebenswichtig sein.
In der Praxis gab es zwei Möglichkeiten, diese Aufgabe zu lösen. Der
eine Weg führte zum berufsmäßigen Traumdeuter bzw. zur selbständigen
Benutzung eines Traumbuches, falls man Zugang zu einem solchen Manuskript
hatte und lesen konnte. Diese Methode war aber offiziell verboten
oder zumindest mit dem Odium des Aberglaubens behaftet. Daher
läßt sich die Anwendung von Nachschlagewerken eigentlich nur indirekt
über die Verbreitung von Handschriften von Traumbüchern erschließen.
Auch gelegentliche lose Übereinstimmungen zwischen geträumtem Bildmotiv
und lexikalischem Deutungsvorschlag einerseits sowie individueller
Interpretation andererseits können bei der allgemeinen Bekanntheit vieler
Symbole kaum als sicherer Beweis für die Benutzung des Traumschlüssels
gelten. Ferner sind aufgrund der handschriftlichen Textüberlieferung
zu einem einzigen Bildmotiv oft mehrere, sich teilweise direkt widersprechende
Interpretationen überliefert. Schließlich ist sogar eine Beeinflussung
durch die eifrige Lektüre solcher Nachschlagewerke denkbar, so daß
die Motive und ihre gängigen Interpretationen dann wieder zu Faktoren
der Traumgestaltung werden. Trotz diesen Schwierigkeiten sollen im
folgenden Kapitel wenigstens besonders auffällige Übereinstimmungen
erwähnt werden. – Die zweite Methode, der intuitive Deutungsversuch,
wurde nach dem Zeugnis der erzählenden Quellen hingegen erstaunlich
häufig beschritten und meistens konnte der Sinn bzw. die Aussage des
DER TRAUM ALS PERSÖNLICHES ERLEBNIS 313
Traumes nach einigem Nachdenken oder allenfalls im Gespräch mit einer
Vertrauensperson gefunden werden.
Die Tendenz des Traumprozesses, abstrakte Sachverhalte zu verbildlichen,
machte es den Betroffenen in vielen Fällen leicht, die Botschaft
zu verstehen. Zur Illustration sei an das nächtliche Erlebnis des Bischofs
Anno II. von Köln erinnert, der sich im Traum auf einen noch unbesetzt
gebliebenen Thronsessel im Himmelssaal niederlassen wollte. Anno sah
sich dann aber von den anderen im Saal sitzenden Kirchenfürsten wegen
eines häßlichen Fleckens auf seinem weißen Gewand daran gehindert; der
Fleck symbolisierte in einfacher Bildsprache seine Sünde, konkret sein
Verharren in unchristlichem Zorn gegenüber der Kölner Bürgerschaft.
Der mißglückte Versuch, sich unter die anderen Seligen einzureihen, war
zudem ein klarer Hinweis auf seinen baldigen Tod. Anno verstand den
Traum nach einem Gespräch mit einer nahestehenden Person wirklich
als Warnung; er entlastete sein Gewissen durch die Rückrufung der aus
Köln Vertriebenen, hob das als Strafe über diese Männer ausgesprochene
kirchliche Interdikt auf und suchte so die Versöhnung mit der Stadt.728
Die Ankündigung des eigenen Todes oder des Sterbens eines anderen
Menschen war, wie schon gezeigt wurde, ein häufiges Traummotiv. Solche
Botschaften waren in der Regel klar und unmißverständlich, wobei
sich ihr ernster Charakter oft in einer abrupten Kürze oder erschreckenden
Drastik der Bildersprache manifestierte, wie etwa die im Traum der
Äbtissin Hathumoda für sie im Boden der Klosterkirche geöffnete Gruft
zeigt.729 Im Gegensatz dazu herrschte in einer bei Gerald von Wales
überlieferten Traumerzählung eine eher erwartungsvolle, freudige Stimmung,
obgleich sie, wie sich später herausstellen sollte, offenbar dennoch
mit dem Tod zu tun hatte. Ein reicher Mann in Wales träumte
in drei verschiedenen Nächten, er könne bei einer Quelle in der Nähe
seines Wohnorts unter einem Stein ein goldenes Halsband finden. Der
trotz seines Reichtums offenbar unersättliche Mann ging laut dem Bericht
Geraids zum bezeichneten Ort hin und suchte die Quelle nach dem
728 Siehe oben, Kapitel 4.4.4 der vorliegenden Arbeit.
729 F. DOUCET weist in seinem auf der Lehre von C. G. JUNG basierenden, jedoch
für den psychologischen Laien geschriebenen Handbuch (So deuten Sie Ihre Träume
richtig, Wien 1979, S. 110 ff.) ausdrücklich auf die Kürze und Motivarmut in echten
Todesankündigungen hin, was er mit der Unabänderlichkeit des Bevorstehenden zu
erklären versucht.
314 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
versprochenen Schatz ab. Als er aber die Steinbrocken einzeln umdrehte,
biß ihn eine aufgeschreckte Schlange in die Hand und so mußte der
traumgläubige Mann elend am Gift einer Viper sterben. 730
In seinem Kommentar zu diesem seltsamen Vorfall aus seiner Heimat
meint Gerald, daß er nicht bestreiten wolle, daß es auch echte
Schatzträume geben könne. Es sei aber mit den Träumen ähnlich wie
mit den Gerüchten bestellt; der mögliche Wahrheitsgehalt müsse immer
mit dem gesunden Menschenverstand geprüft werden. Der gelehrte
Autor verdammt also keineswegs die Beschäftigung mit dem Traum an
sich, sondern warnt nur vor einem blinden Vertrauen in irgendwelche
nächtliche Bilder oder Handlungsanweisungen. Man könnte hinzufügen,
daß diese Aufforderung aus der Sicht der mittelalterlichen Theologie die
Habgier eines bereits wohlhabenden Menschen anstachelte und daher
eine Einflüsterung des Teufels darstellte. Daß der Träumer dann bei der
Suche nach dem Schatz den Tod fand, konnte man als logische Folge seiner
Verführbarkeit durch dämonische Mächte verstehen oder allenfalls
auch als eine vom Himmel verfügte Strafe.
In einer modernen psychologischen Analyse würde man das ringförmige,
goldene Halsband wohl als Symbol der Ganzheit interpretieren,
wenn die individuellen Assoziationen des Träumers eine solche Deutung
erlaubten. Zudem unterstreicht die mehrfache Wiederholung des Traumes
– Gerald erwähnt die magische Zahl drei – nach einer These von
C. G. JUNG die große Wichtigkeit dieser Botschaft.731 Man könnte die
Szene daher als letzten Anruf einer inneren Instanz verstehen, welche
dem Träumer die ungesunde Einseitigkeit seiner ausschließlich materiellen
Orientierung bewußt machen wollte. Auch im Mittelalter galten ja
die Christusworte: ‚Denn was nützt es dem Menschen, die ganze Welt
zu gewinnen und sein künftiges Leben einzubüßen?‘ (Mk. 8,36) und
‚Wo Ihr Eure Schätze habt, da ist auch Euer Herz!‘ (Mt. 6,19-21 ) . Da
dieser Mann aber unentwegt nach irdischem Reichtum trachtete, dachte
er nur an eine ihm vielleicht aus dem „Somniale Danielis“ geläufige Deutung
von Gold als Gewinnmöglichkeit. Ein weiteres Manuskript dieses
Traumschlüssels versteht Armbänder und Ringe immerhin als Symbole
730 Gerald von Wales, Expugnatio Hibernica, Opera 5, lib. I, cap. 42, S. 296.
731 C. G. JUNG, Vom Wesen der Träume, S. 188.
DER TRAUM ALS PERSÖNLICHES ERLEBNIS 315
für Ehre und Sicherheit. 732 Der Träumer aber erwies sich als unfähig, das
Bild des Schatzes auf der symbolischen Ebene als Hinweis auf geistige
Werte zu verstehen. 733 So gesehen war sein Tod letztlich die traurige
Folge seiner falschen Einstellung.
Die Ankündigung vom Sterben einer Drittperson wurde im allgemeinen
sofort verstanden, selbst wenn diese Nachricht den Träumer nur
in symbolisch verschleierter Form erreichte. Sehr typisch für eine solche
Umsetzung erscheint mir das Motiv des Abschieds von einem guten Bekannten.
So träumte der Dichter Francesco Petrarca in Parma 1341, er
sähe einen mit ihm befreundeten Bischof im Garten seines Hauses stehen.
Dieser Geistliche, Bischof Jakob Colonna der Jüngere, befand sich
zu jener Zeit in der Gascogne im heutigen Frankreich in seiner Diözese
Lombez. Kurz vor der Traumnacht hatte Petrarca von dort die schriftliche
Botschaft erhalten, daß der Bischof erkrankt sei. Im Traum nun ging
der Dichter dem Freund in seinem Garten entgegen und wollte ihn über
seine unverhoffte Ankunft in Parma und seinen Gesundheitszustand befragen.
Colonna antwortete nicht direkt darauf, sondern erinnerte den
Dichter in heiterem To􀇰fall an eine früher in den Pyrenäen gemeinsam
erlebte Stimmung des Uberdrusses und teilte ihm mit, daß er sogleich
und ohne Rückkehr nach Rom reisen werde. Der Träumer aber, der dem
Freund auf die Straße folgen wollte, fühlte sich beim Gartentor sanft
zurückgeschoben und hörte den Bischof sagen, daß er seine Begleitung
nun nicht mehr wünsche. Darauf schaute Petrarca seinem Gegenüber
genauer ins Gesicht, erkannte noch im Traum die Totenblässe auf des
Bischofs Antlitz und schrie bestürzt auf. Im Erwachen hörte der Dichter
seinen eigenen Schrei und er beeilte sich, die schlimme Nachricht vom
Tod Colonnas seinen Bekannten weiterzugeben. Zwei Wochen später
erhielt er dann zuverlässige Nachricht über den Inhalt seines Traumgesichtes.
Der erkrankte Bischof war nämlich am 9. September 1341
gestorben, genau am Tage von Petrarcas merkwürdigem Erlebnis.734
732 Vgl. die beiden Versionen in St. FISCHER, The Complete Medieval Dreambook,
S. 79 bzw. 120.
733 Zur geistigen Bedeutung solcher Traumsymbole siehe auch bei F. DOUCET,
Stichworte Gold (S. 242) und Schatz (S. 290), sowie E. AEPPLI, Der Traum und
seine Deutung, Zürich 1943 (Nachdr. 1980) S. 120 u. 340 f.
734 Francesco Petrarca, Le Familiari 7. Ed. Lat. Ital. U. DOTTI, Urbino 1974,
Bd. 1, S. 540 ff. Der ursprüngliche Text war als Brief an Johannes d’Andrea, der
316 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
Die Darstellung des Todes als Abschied eines persönlichen Freundes
vor Antritt einer längeren Reise ist vom emotionalen Gehalt her unmittelbar
einsichtig. Daß als Ziel der Fahrt Rom genannt wird, zeugt
einerseits von der Wichtigkeit der Ewigen Stadt für den Bischof als Zentrum
seiner religiösen Weltanschauung, andererseits war Rom einfach
seine Heimatstadt, denn Jakob stammte ja aus dem Adelsgeschlecht der
Colonna. Die Reise in die Geburtsstadt wäre demnach als Symbol für das
Sterben im Sinne des Eingehens in die ewige Heimat bei Gott zu deuten.
Für eine derartige Interpretation sprechen nicht zuletzt auch Parallelen
in Traumbeispielen aus modernen Fallsammlungen, wonach Menschen
häufig einige Tage oder Wochen vor ihrem Tod von einer großen Reise
geträumt haben sollen. 735
Dasselbe Motiv findet sich mit sehr ähnlichen Worten nochmals im
Traum des Papstes Nikolaus V., der gegenüber dem Kaiser Friedrich
111. erwähnte, er sei von seinem Vorgänger auf dem Stuhle Petri, Papst
Eugen IV., auf seine Wahl zum Papst vorbereitet worden. In der Nacht
vor Eugens Tod sei ihm dieser nämlich im Schlaf erschienen und habe
ihm die Insignien der Papstwürde, Tiara und Mantel, übergeben. Eugen
habe die Bedeutung dieser Gesten dem Träumer auch erklärt, indem er
sagte, er selbst pilgere jetzt zum hl. Petrus.736 – Wenn das irgendein
Mensch, sei er nun Kleriker oder Laie, erzählt hätte, so müßte man es
auf eine Wallfahrt zum Grab des Apostelfürsten in Rom beziehen. Da
aber Eugen als Papst nicht nach Rom zu pilgern brauchte, konnte dies
nur als Hinweis auf seinen Gang in die Ewigkeit gemeint sein. Nach der
traditionellen Vorstellung bewacht ja Petrus die Himmelstüren, gemäß
einer naiv-wörtlichen Auslegung des Christuswortes: ‚Ich will Dir die
Schlüssel zum Himmelreich geben, und was Du auf Erden binden wirst,
das wird auch im Himmel gebunden sein‘ (Mt. 16,19).
in Bologna kanonisches Recht lehrte, konzipiert und wurde im Winter 1343/44, also
gut zwei Jahre nach dem Erlebnis, verfaßt. Der Rechtsprofessor hatte den mit ihm
befreundeten Dichter um dessen Meinung über Wahrträume gebeten. In der Antwort
beschrieb Petrarca den referierten Traum sowie ein weiteres Beispiel aus seinem
persönlichen Erleben; am Schluß seines Briefes reduziert er allerdings diese beiden
eindrücklichen Berichte unter Berufung auf die skeptische Haltung von Cicero auf
eine rein zufällige Übereinstimmung zwischen Realität und Traumepisode.
735 M. L. VON FRANZ, Traum und Tod, S. 351. F. DOUCET bezieht das Motiv
der Reise S. 287 allerdings auf das ganze Leben, ebenso AEPPLI, S. 257 ff.
736 Siehe oben, Kapitel 3.5 dieser Arbeit.
DER TRAUM ALS PERSÖNLICHES ERLEBNIS 317
Wer wie Bischof Colonna oder Papst Eugen aufgrund seiner rechtschaffenen
Lebensführung hoffen durfte, Gnade vor Gott zu finden, konnte
unter Umständen die Todesankündigung auch gemäß dem Gleichnis
vom Gastmahl beim König (Mt. 22,1-10) in Form einer Einladung zum
himmlischen Fest wahrnehmen. Das jedenfalls erlebte eine Dominikanerin
im Kloster Engelthai bei Nürnberg im 14. Jahrhundert. Die Ordensschwester
Gertraud von Hapurch sah sich nämlich eines Nachts im
Traum durch einen schönen Jüngling zum Hofe eines mächtigen Königs
aufgeboten. Die Nonne äußerte aber Bedenken – ganz analog zum Evangelientext
(Mt. 22,11-14) -, daß sie wegen ihrer wenig prächtigen Ordenskleidung
und ihres wohl doch unpassenden Benehmens am Hofe unangenehm
auffallen würde. Der Bote aber beruhigte sie diesbezüglich
sofort, denn der König werde ihr alles geben, was sie dort benötige.
Darauf erwachte Gertraud und erkannte, daß der Hof in ihrem Traum
der Himmel und der Herrscher der allmächtige Gott sein müsse. Voller
Freude über das baldige Ende ihrer Erdenzeit begann sie mitten in der
Nacht laut zu singen. Die erstaunten Mitschwestern fragten nach dem
Grund ihres seltsamen Benehmens und erhielten von Gertraud die Antwort:
„Do frewet sich mein sei, daz ir die ewig freud nahet.“737
Schon bald darauf verschlechterte sich ihr gesundheitlicher Zustand; Gertraud
erzählte nun ihren Mitschwestern den Inhalt ihres Traumgesichts
und ließ sich ins lnfirmitorium bringen. Hier bereitete sich die Nonne
nach christlicher Art – also wahrscheinlich durch Beichte, Krankensalbung
und Kommunionempfang – auf den Tod vor und durfte dann friedlich
verscheiden.
* * *
Nachdem die Rolle des Todes im Traum ausführlich untersucht und einige
Formen der symbolischen Verschleierung solcher Ankündigungen
beschrieben worden sind738, erscheint es sinnvoll, danach zu fragen, ob
sich vielleicht der Beginn des Lebens ebenfalls in der nächtlichen Erlebniswelt
spiegelt. Man kann jedenfalls vermuten, daß Frauen, die
737 Der Nonnen von Engelthai Büchlein von der Gnaden Überlast. Ed. C. SCHRÖDER
(=Bibliothek des literarischen Vereins Stuttgarts 108) Tübingen 1871, S. 20
f.
738 Siehe oben, Kapitel 4.5 sowie Kapitel 4.6 dieser Arbeit.
318 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
ein Kind erwarten, entsprechend ihres neuen Körperempfindens und
der veränderten Gefühlslage besonders aufäfllige Träume haben. Diese
Möglichkeit hat schon P. SAINTYVES erkannt und eine Reihe solcher
Schwangerschaftsträume auf ihren Realitätsgehalt hin untersucht.739
Nach seiner Auffassung neigt eine Mutter, deren Sohn sich wie Dante
zu einem berühmten Dichter oder wie Bernhard von Clairvaux oder Dominikus
zum allgemein anerkannten Prediger entwickelte, später begreiflicherweise
zum Glauben, sie hätte das immer vorausgeahnt. Angesichts
des hohen Prestiges, welches der Traum in der mittelalterlichen Gesellschaft
besaß, verwundert es nicht, daß diese Ahnungen häufig in die
Form eines nächtlichen Gesichtes gekleidet wurden, das man noch vor
der Geburt des begabten Sprößlings gehabt haben wollte. Neben einer
bewußten Verfälschung ist auch eine spätere subjektive Täuschung der
Mutter, welche einen solchen Traum bei Freunden und Bekannten oder
während eines Heiligsprechungsprozesses erzählte, durchaus möglich und
sogar die wahrscheinlichste Erklärung für die zahlreichen Beispiele in Hagiographien.
Die prophetische Ankündigung der Geburt eines Heroen ist aber
auch ein uraltes Legendenmotiv, man denke dabei an die der Mutter
Octavians gemachte Prophezeiung über den Aufstieg ihres Söhnchens
zum römischen Kaiser. Für die christliche Tradition viel wichtiger wurden
die fast zeitgleichen biblischen Erzählungen von der Erscheinung
des Engels Gabriel vor Zacharias im Tempel, der ihm einen Sohn verhieß
(Lk. 1,11-20), und von Gabriels Verkündigung an Maria über die
Geburt des Erlösers (Lk. 1 ,26-38).740 Deshalb fügten manche Verfasser
einer mittelalterlichen Vita eine Traumankündigung über den besonders
charismatischen Charakter des erwarteten Kindes sogar dann in ihre
Erzählung ein, wenn sie von dessen Verwandten überhaupt nichts derartiges
in Erfahrung bringen konnten. Je nach Zeitgeschmack wurde also
beispielsweise in der Vita des hl. Switbert (gest. 713), des Missionars der
739 P. SAINTYVES, En marge de la Legende doree: Songes, miracles et survivances,
Paris 1930, S. 53 ff. Schon früher hatte P. LANZONI zu diesem Thema einen Aufsatz
vorgelegt: ll sogno presago della madre incita nella letteratura medievale e antica,
Anal. Boll. 45 (1927) S. 227-261. Es gelang ihm darin, typische Symbole wie etwa
den vom Himmel herunterfallenden Stern herauszuarbeiten; jedoch kamen die bei
hagiographischen Texten zu berücksichtigenden quellenkritisdlen Probleme bei ihm
noch nicht zur Sprache.
740 P. SAINTYVES, S. 54.
DER TRAUM ALS PERSÖNLICHES ERLEBNIS 319
Friesen, ein Traum von einem auf das Bett der Mutter fallenden Stern
eingeflochten, während wir im Falle berühmter Prediger wie Bernhard
von Clairvaux in den Viten lesen, die Mutter habe im Traum gesehen,
daß sie einen eifrig bellenden Hund gebäre. 741
Als Beispiel eines prophetischen Schwangerschaftstraums diene ein
Ausschnitt aus der neununddreißig Jahre nach dem Tode Dante Alighieris
(gest. 1321) verfaßten Biographie über den berühmten Dichter.
Der Autor Giovanni Boccacio beschreibt darin das nächtliche Gesicht
von Dantes Mutter, das sie kurz vor ihrer Niederkunft gehabt haben
soll. Die Träumerio sah sich unter dem Schatten eines Lorbeerbaumes
bei einer Quelle einen Sohn gebären. Dieses Kind wuchs vor ihren Augen
rasch heran, trank Wasser aus der Quelle und nährte sich von den Beeren
des Baumes. Darauf sah die Träumerio den Jüngling als Hirten in derselben
Landschaft und nach einem schlimmen Sturz vom Lorbeerbaum
verwandelte sich der Sohn schließlich in einen prächtigen Pfau.742
Der selbst als Literat tätige Boccacio bemühte sich, diese doch ziemlich
ausgefallenen Traumszenen743 zu deuten. Nach der von ihm vorgeschlagenen
Interpretation handelt es sich hier um eine allegorisch zu
verstehende Darstellung der verschiedenen Stationen von Dantes Lebenslauf.
Der Lorbeerbaum, welcher schon bei der Geburt Dantes Schatten
spendet, ist als Emblem des Gottes Apollo ein Zeichen für die dichterische
Begabung des Kindes. Beeren symbolisieren die während des
Lebens geernteten Früchte aus Dantes Dichtkunst. Die Poesie benötigt
zu ihrem Gedeihen auch das reine Wasser des Lebens; zum Hirten wurde
er als Vorbild der Dichter Italiens und vor allem durch die theologischen
Aussagen in seinem Hauptwerk, der „Divina Commedia“ . Im Traume
klettert Dante auf den Lorbeer und stürzte in die Tiefe, in Wirklichkeit
muß er, den Lorbeerkranz des dichterischen Ruhmes erstrebend, wie jeder
andere Mensch irgendwann dem Tod zum Opfer fallen.744 Der Tod
741 Zu den Quellenbelegen vgl. die Angaben bei P. LANZONI, S. 237 und S. 239;
zur Herleitung des Motivs vom bellenden Hund vgl. auch P. SAINTYVES, S. 60.
742 Giovanni Boccacio, Vita di Dante. Ed. C. MUSETTA, Rom 1963, cap. 2, S. 7 f.
Der Traum wird inhaltlich fast identisch wiederholt in cap. 28, S. 50 f.
743 Märchenartig erscheinen hier die Szene vom Sturz und von der Verwandlung in
ein Tier, während die idyllische Traumlandschaft mit den Motiven von Baum, Quelle
und Hirt an antike Vorstellungen vom Paradies, an den klassischen Topos des „loecus
amoenus“ erinnert.
744 Vergleiche dazu die Parallelen im „Somniale Danielis“, St. FISCHER, Dream320
ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
entzieht ihn den Blicken der weit in die Zukunft sehenden Mutter. Der
Pfau, den sie als Resultat einer phantastischen Verwandlung an seiner
Stelle wahrnimmt, erscheint als Symbol für das Lebenswerk des Dichters.
Dieser prächtige Vogel745 wird von Boccacio in vierfacher Weise als Sinnbild
für die „Divina Commedia“ interpretiert. Die engelhaften Federn
mit hundert Augen stehen für die hundert Gesänge und die wunderbar
farbige Handlung. Die schmutzigen und leisen Füße des Schreitvogels
sind eine bildliehe Umsetzung der von Dante in revolutionärer Art erstmals
benutzten Volkssprache und des einfachen Stils. Die schreckliche
Stimme des Pfaus gleicht der herben Gesellschaftskritik, die in dieses
Epos eingewoben ist. Das duftende und ähnlich wie beim unsterblichen
Vogel Phoenix als unzerstörbar gedachte Fleisch des Pfaus weist auf den
geistigen Gehalt der „Divina Commedia“ und das Aufscheinen von letzten
religiösen Wahrheiten in dieser Dichtung hin.146
Zu Beginn dieses Abschnittes wurde die Vermutung geäußert, daß
die Geburt eines Kindes mit großer Zukunft sich im Traum der Mutter
bemerkbar machen könnte, bzw. daß deren persönliche Hoffnungen und
Ambitionen zu scheinbar prophetischen Bildern führen würden. Diese
auf den ersten Blick so selbstverständliche Rolle der Mutter ergibt sich
aus ihrer zentralen Rolle bei der Geburt und bei der Betreuung des Kinbook,
S. 149. Hier wird das Klettern auf den Baum ebenfalls mit Ehre sowie mit guten
Nachrichten gleichgesetzt, während das Fallen vom Baum Traurigkeit ankündigt.
745 Das Traumbuch kennt für den Pfau nur eine negative Deutung als Schaden, vgl.
FISCHER, Dreambook, S. 114.
746 Boccacio, Vita di Dante, cap. 29, S. 53 ff. – Interessant ist ferner die Rechtfertigung
der Traumerzählung, die Boccacio zu Anfang der Deutung bringt. Der Schrift.
steiler hält fest, daß Gott allwissend sei und daher auch die Zukunft kenne; manchmal
gewähre der Himmel sogar einem Sterblichen einen Einblick in die künftigen Ent·
wicklungen. Wenn es um ein menschliches Schicksal gehe, richte sich eine derartige
Offenbarung natürlicherweise an die Mutter. Astrologen und die scholastisch geschulten
Philosophen würden mit den Einflüssen der Gestirnskonstellationen auf die Erde
rechnen. Das in der Geburtsstunde am Horizont aufgehende Sternzeichen, in der
Fachsprache Aszendent genannt, bestimme die Anlagen und den Charakter des zu
dieser Zeit geborenen Menschen. Die dichterische Begabung, welche sich im Traum
in einem dem Dichtergott Apollo geweihten Lorbeerbaum versinnbildlicht, sei Dante
demzufolge bereits in die Wiege gelegt worden. – Diese astrologische Begründung
für die Möglichkeit der Vorausschau einer Laufbahn im Traum fehlt in der zweiten
Fassung der Lebensbeschreibung (cap. 25, S. 93 ff.), welche gegenüber der früheren
noch andere Kürzungen aufweist.
DER TRAUM ALS PERSÖNLICHES ERLEBNIS 321
des. In hagiographischen Schriften scheinen sich in Einzeleilf el u aber
auch Spuren eines patrilinearen Familienverständnisses erhalten zu haben.
Dieses läßt sich etwa in der Vita des Gerhard von Aurilliac, eines
856 verstorbenen und als Heiligen verehrten französischen Grafen nachweisen.
Verfaßt wurde dieser Text zu Anfang des 10. Jahrhunderts von
Abt Odo von Cluny, der sich dabei auf die mündliche Überlieferung von
älteren Gewährsleuten stützte.747 Nach seiner Beschreibung führte schon
Gerhards Vater ein frommes Leben und pflegte wie die Apostel häufig
nachts aufzustehen, um zu beten. Wegen dieser Gewohnheit schlief er
auch – von seiner Ehefrau getrennt – in einer eigenen Kammer. Eines
Nachts träumte der Adelige, er erhalte von Gott den Befehl aufzustehen
und sich zu seiner Frau zu begeben. Nach des Himmels Willen solle
nun ein Sohn mit dem Namen Gerhard gezeugt werden, der sich in seinem
Leben große Verdienste schaffen würde. Voller Staunen erwachte
der Mann und konnte sich selber zu diesem wunderbaren Traum nur
beglückwünschen. Er war jedoch zu müde, um dem himmlischen Wink
sofort nachzukommen und schlief schon bald wieder ein. Das Thema
vom göttlich auserwählten Nachwuchs erhielt nach Abt Odos Erzählung
eine Fortsetzung im nächsten Traum. Der Schläfer sah nämlich, wie ihm
aus der großen Zehe ein Sproß wuchs. Daraus entwickelte sich ein stattlicher
Baum; da befahl der Träumer seinen Knechten diese Pflanze zu
hegen und auf jede Art in ihrem Gedeihen zu unterstützen.748
Die erste Traumankündigung läßt sich am besten als natürlichen
Wunsch des Adeligen nach einem Nachkommen deuten. In der räumlichen
Trennung von seiner Gattin manifestiert sich vielleicht neben der
angeführten Gebetsfrömmigkeit auch eine im 9. Jahrhundert bei Laien
gewiß äußerst seltene Verinnerlichung des christlich-monastischen Ideals
der sexuellen Askese. Es ist daher zu vermuten, daß die übersteigerte
Reinheitsforderung in geschlechtlichen Dingen über längere Zeit die Zeugung
eines Stammhalters verhindert hatte und gewissermaßen durch einen
Gegenbefehl der höchsten Instanz aufgehoben werden mußte. Versteht
man die in der Tradition des Neuen Testaments stehende Traumanweisung
als Durchbruch der lange unterdrückten Sexualität oder auch
des Kinder-Wunsches, so erscheint das Motiv der Lebenssituation angemessen
und beruht im Kern möglicherweise auf einem echten Traumer-
747 Odo von Cluny, Vita Giraldi Auriliacensis. PL 133, Sp. 639-700.
748 Odo von Cluny, Vita Giraldi, Sp. 643.
322 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
lebnis. Die in Worte gefaßte Verheißung über die Zukunft des Sohnes,
welche bis hin zur im Traum festgelegten Namensgebung dem Muster
der Geschichte Johannes des Täufers (Lk. 1,1 1-20) nachgebildet ist, entspricht
hingegen hagiographischen Usancen und hat hier zusätzlich die
Funktion, den Bruch der Enthaltsamkeit für eine vorwiegend monastische
Leserschaft moralisch zu rechtfertigen.
Die Botschaft über die Geburt eines Kindes, dessen Lebenswandel
Gottes besonderes Wohlgefallen finden würde, wird nun im zweiten
Traum bildhaft ausgeweitet. Die Vorstellung vom Baum als Symbol des
menschlichen Lebens im allgemeinen und als Stammbaum von mehreren
Generationen einer Familie im besonderen ist uralt. Auch in der Bibel
bezeichnet der Prophet Isaias den Messias als Sproß des Isai, des Vaters
von König David (Is. 11,1); schon deshalb war dieses Motiv den Menschen
im Mittelalter gut vertraut wie etwa die Miniatur des Evangeliars
von St. Martin in Köln (vgl. Abb. 20) belegt. Schon der griechische
Historiker Herodot überlieferte einen Traum des Königs Astyages mit
demselben Motiv. Nach seinem Bericht soll dieser medische Herrscher
geträumt haben, aus dem Schoß seiner Tochter wachse ein Weinstock,
dessen Laubwerk und Traubenbehang alles überschatte. Das bezog sich
auf seine Tocher Mandane, die zu diesem Zeitpunkt noch nicht verheiratet
war. Später gebar sie aber tatsächlich den Großkönig Kyros, der
den persisch-mediseben Machtbereich bekanntlich gewaltig ausdehnen
konnte.749 Das Abschreiben antiker Texte in mittelalterlichen Klöstern
könnte die Kenntnis von Herodots Werk in monastisch-klerikalen Kreisen
erklären. Die Rezeption des Motivs vom Weinstock aus dem Schoß
einer Frau kann zudem mit einer Darstellung aus der im 15. Jahrhundert
entstandenen Abschrift des „Speculum humanae salvationis“ , eines
749 In einem zweiten Traum bzw. einer anderen Version sah König Astyages einen
Fluß, der die ganze Erde bedeckte, aus dem Schoß seiner Tochter hervorgehen. Zur
Rolle dieser Herrscherträ-ume in der antiken Historiographie vgl. die Studie von R.
BICHLER, Die ‚Reichsträ.ume‘ bei Herodot, Chiron 15 (1985) S. 1 25-147. SAINTYVES,
S. 56, bezieht das Bild der Wasserflut auf die Träume von schwangeren Frauen,
denen das Kind im Leib in der Zeit kurz vor der Geburt durch seine Größe und sein
Gewicht auf die Blase drückt. In einer Gesellschaft mit einem vorwiegend patrilinearen
Familien-Verständnis wurde also möglicherweise der Traum der Tochter auf
ihren Vater übertragen. Das gilt auch für das Motiv der aus dem Schoß wachsenden
Pflanze, die nach SAINTYVES, S. 60, sonst von den zukünftigen Müttern selber
geträumt wurde.
DER TRAUM ALS PERSÖNLICHES ERLEBNIS 323
Abb. 20: Die Wurzel Jesse: Christus und Maria im Lebensbaum.
Illumination des Evangeliars von St. Martin in Köln, 13. Jh.
-;r: “ \U.lt“(‚ \)’t““‚·‘!Jt“l‘ l,111 Nl’l \)1\'“ lH’\.lJo“􀁥C
·- „‚ …
Abb. 21: König Astyages‘ Traum: Seine Tochter gebiert einen Weinstock.
„Speculum Humanae Salvationis“ , um 1324. Ms. 243 von Kremsmünster.
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DER TRAUM ALS PERSÖNLICHES ERLEBNIS 325
religiösen Erbauungstraktates, dokumentiert werden (vgl. Abb. 21 ). –
Wie aber hat man sich das Wachsen einer Pflanze als Symbol für das
Kind ausgerechnet aus der Zehe des Vaters zu erklären? Nach der Theorie
von Siegmund FREUD wäre die große Zehe als Penis-Symbol zu
verstehen; dieser etwas schematische Deutungsvorschlag der klassischen
Psychoanalyse vermag hier zu überzeugen, weil er genau auf die konkrete
Situation des Träumers paßt, der ein Kind zeugen sollte. Die Umsetzung
des sexuellen Aktes in ein vegetatives Bild darf dann als Werk
einer im Schläfer wirksamen inneren Zensur verstanden werden, die dem
christlich-asketischen Ideal des Mittelalters verpflichtet war. Es ist daher
wohl anzunehmen, daß es sich auch hier um eine echte Traumerfahrung
des Adeligen handelt, wobei die Phantasie des Schläfers durch die Verse
des Isaias und vielleicht auch durch das Baumsymbol bei Herodot beeinflußt
wurde.
Bemerkenswert ist ferner noch, wie weit die während der karolingischen
Epoche von Theologen gepredigte Traumskepsis auch im 10. Jahrhundert
nachwirkte. Abt Odo empfand es nämlich entgegen den Gepflogenheiten
anderer Hagiographen als notwendig, die für seine Leser
naheliegende Schlußfolgerung über die zuverlässige Erfüllung der beiden
Gesichte zu relativieren. Träume allein konnten gemäß Odos Ansicht
als sicheres Vorzeichen nicht genügen, und deshalb führte er in der
Vita Gerhards noch weitere wunderbare Begebenheiten als Zeugnisse für
die besondere Tugend und göttliche Auserwähltheit des kleinen Adelssprößlings
an.
* * *
Inhaltlich verwandt mit diesen zum Teil eher legendären Schwangerschaftsträumen
sind auch die Berufungsträume, welche der Held selbst
oder auch andere Leute seines Bekanntenkreises am Anfang seines durch
besondere Begnadung oder Tugenden ausgezeichneten Wirkens erlebte.
Als Beispiel für nächtliche Gesichte, welche den Heiligen in seinem Bestreben
bestärkten und zu öffentlichem Wirken aufforderten, wurden bereits
die Träume des Bischofs Martin von Tours erwähnt.750 Nach dem
Zeugnis des anonymen Verfassers der Vita des hl. Rimbert, wußte Ansgar
aus Eingebung, daß Rimbert einmal sein Nachfolger auf dem Bischofssitz
von Harnburg/Bremen würde. Bei der nun schon hinlänglich
750 Siehe oben, Kapitel 4.4.1 der vorliegenden Arbeit.
326 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
bekannten hellsichtigen Veranlagung Ansgars vermag das auch nicht
weiter zu erstaunen; andererseits war aber diese Ahnung oder Einsicht
für den Bischof mit ein Grund, den in die Kapitelschule eingetretenen
Jüngling nach Möglichkeit zu fordern und ihm so indirekt den Weg zum
Bischofsstuhl zu ebnen. Ergiebiger für die Diskussion des mittelalterlichen
Symbolverständnisses erscheint mir ein Traum des bischöflichen
Prokurators. Dieser hatte in der Nacht nach Rimberts Ankunft am Bischofshof
in Harnburg eine Art Zukunftsvision über diesen damals noch
sehr jungen Mann. Er sah nämlich Rimbert auf dem Kirchengiebel sitzen
und an einem Streifen aus Leinenstoff ziehen, wodurch eine frei am Himmel
schwebende Glocke zum Klingen gebracht wurde, was den Jüngling
sehr zu ergötzen schien. 751
Der anonyme Verfasser deutet dieses gerade durch seine bizarren
Züge authentisch wirkende Traumbild ausführlich gemäß Bibelzitaten
aus dem 2 . Buch Mose 28,33 als Vorschau auf die Priesterwürde, die
einst bei den Hebräern durch bestimmte Stoffarten und Schellen an den
Kleidern kenntlich gemacht worden wa.r. Das Sitzen auf dem Dach der
Kirche wirkt als sinngemäße Darstellung der hierarchisch hohen Stellung
Rimberts als Bischof und das Ziehen am Glockenstrang zeigt den
Jüngling als berufenen Verkünder und Prediger des Evangeliums, zu dem
die Gemeinde auf das Glockenzeichen hin herbeiströmt. In der Beschreibung
des Priestergewandes in 2. Mose 39, 24 finden sich noch zusätzliche
Symbole für den besonders tugendhaften, heiligen Charakter Rimberts.
– Der Sitz in luftiger Höhe und das Spiel mit der Glocke entspricht
durchaus der bekannten Tendenz des Traumprozesses, abstrakte Sachverhalte
in Bilder oder Szenen zu kleiden. Hingegen erstaunt der Beizug
des alttestamentlichen Textes einigermaßen und erlaubt meines Erachtens
die Vermutung, daß der Hagiograph sich damit vor dem Vorwurf
schützen wollte, er interpretiere verbotenerweise Träume. Solche Bedenken
wurden in Rimberts Lebensbeschreibung des hl. Ansgar mit ihren
prophetischen Träumen nie laut, hier aber handelt es sich um ein verschlüsseltes
Bild. Solche Szenen lassen einen Sinngehalt nicht sofort
erkennen, und damit ergibt sich überhaupt erst das Bedürfnis nach der
in der Karolingerzeit besonders verrufenen Deutungskunst.
Als typisches Beispiel für einen bildhaft-symbolisch strukturierten
751 Vita Rimberti. Ed. G. WAITZ, MGH SS in usum scol. 55, Hannover 1884,
cap. 7, S. 85 f.
DER TRAUM ALS PERSÖNLICHES ERLEBNIS 327
Berufungstraum kann ferner der Traum der Mutter in der Vita des Petrus
von Morrone gelten. Diese Frau stammte aus einfachsten Verhältnissen,
hegte aber den ausdrücklichen Wunsch , daß Petrus die geistliche Laufbahn
einschlagen möge. Zwar war ein älterer Sohn bereits zum Kleriker
bestimmt worden, doch enttäuschte er offenbar die Erwartungen seiner
Familie. Als Petrus ungefahr zwölf Jahre alt war, deutete manches
in seinem Verhalten darauf hin, daß nun dieser Knabe echte religiöse
Neigungen entwickelte. Da träumte die Frau eines Nachts, sie sähe Petrus
als Hirten in der Mitte von vielen weißen Schafen. Ein Leben als
kümmerlich entlohnter Betreuer fremder Tierherden entsprach freilich
eher den realen Zukunftsperspektiven für den Sohn einer armen Witwe
auf dem Lande, die zudem noch für weitere Kinder zu sorgen hatte. Die
Frau war daher über die Aussage dieses Traumes sehr betrübt. Vielleicht
waren ihr auch Deutungsmuster aus dem ((Somniale Danielis“ bekannt,
die das Weiden von Schafen als Mühe und Qual oder etwas allgemeiner
als enttäuschende Zukunftsperspektive deuten. 752 Der Knabe selber
aber interpretierte das Gesicht seiner Mutter auf einer metaphorischen
Ebene, d. h. er sah sich ähnlich wie Christus in der Rolle des Seelenhirten,
also letzlieh als Priester.753 Die Richtigkeit der von ihm vorgeschlagenen
Deutung bestätigte Petrus einige Jahre später durch konkrete Entscheidungen
über die zukünftige Ausrichtung seines Lebens. Der junge Mann
versuchte sich zunächst als Eremit und wurde schließlich auch Priester.
Jahrzehntelang stand er in den Abruzzen einer monastischen Gemeinschaft
vor und wurde 1294 auf Grund seines hohen Ansehens noch im
Alter von neunundsiebzig Jahren zum Papst gewählt. Damit erfüllte sich
das Traumbild auf das Genaueste im Sinne der Hl. Schrift, wo Christus
zum Apostel Petrus sagte: ‚Liebst du mich, Petrus, dann weide meine
Lämmer‘ (Joh. 21,1 5-17).754
Rund ein Jahrhundert früher datiert der berühmte Berufungstraum
des Hermann von Cappenberg. Dieser Geistliche, der kurz nach 1 1 81
starb und längere Zeit im Kloster Cappenberg bei Köln lebte, war ur-
752 Vgl. FISCHER, Dreambook, S. 74 u. 97.
753 Autobiographia, S. 58. – Nach C. G. JUNG sind die meisten Träume auf der Subjektstufe
und nicht auf der Objektstufe zu deuten, was eine allegorische Interpretation
jedenfalls begünstigen würde.
754 Zum Lebensweg des Petrus von Morrone vgl. P. HERDE, Cölestin V. (=Päpste
und Papsttum 16) Stuttgart 1981.
328 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
sprünglich Jude und trug den Namen Juda ben David Ha-Levi. Als
dreizehnjähriger Knabe hatte er folgenden Traum, den ich wegen seines
ungewöhnlichen Detailreichtums wörtlich zitieren möchte:
„Ich sah den damaligen römischen Kaiser Heinrich, den Vorgänger
des ruhmreichen Lothars, der einen Vasallen, einen mächtigen Fürsten,
durch plötzlichen Tod verlor. Der König trat auf mich zu mit
einem wunderbaren, stattlichen Schimmel sowie einem goldgewirkten
Gurt mit angehängter Börse und sieben kostbaren Münzen und
schenkte mir alles. ‚Wisse‘, sagte er, ‚daß zwar die Fürsten erzürnt
sind über meine Verleihung an Dich, trotzdem gebe ich Dir noch viel
Größeres; alles, was der Verstorbene hatte, gebe ich Dir als Erben
zu ewigem, rechtmäßigem Besitz.‘ Nachdem ich diese königlichen
Gaben gebührend verdankt hatte, hängte ich mir den Geldbeutel
an den Gürtel, stieg auf und ritt an der Seite des Königs zu seinem
Palast. Hier ließ ich mich mit seinen Freunden ganz nahe bei ihm
an der glänzenden Tafel nieder, als ob ich sein bester Freund wäre
und aß mit ihm aus derselben Schüssel Gemüse aus Kräutern und
verschiedenen Wurzeln.“755
Tatsächlich weilte Kaiser Heinrich V. im Jahre 1 1 1 9 für einige Zeit
in der Stadt Köln; der Traum läßt sich daher teilweise auf Tagesreste
zurückführen, d. h. die feierlichen Ereignisse rund um diesen Be-
755 Hermann von Cappenberg, Opusculum de conversione sua. Ed. Gerlinde NIEMEYER,
MGH Abt. VI (=Quellen zur Geistesgeschichte des Mittelalters 4) Weimar
1963, cap. 1, S. 71: Tertia decimo etatis mee anno vidi per somnium, tamquam Romanus
imperator Heinricus, qui gloriosi regü Lutharii antecessor tempore illo regnabat,
prepotentem ·quendam haberet principem, quo subitanea morte defuncto omnes il/ius
ipse posuderit facultates. Ad me itaque, ut videbatur, idem rez veniens nivei mihi
candoris mireque corpulentie equum obtulit cingu/umque ez auro summa operositate
contezto cum uriceo in ipso dependente marsupio, in quo septem gravissime monete
nummi habebantur inc/usi. Quibus omnibus mihi traditis, ‚Scito, ait, quia duces et
principes mei graviter pro collato tibi a me beneficio indignantur; attamen ego tibi
multo maiora his adiciam, omnemque tibi defuncti huius principis dabo hereditatem
perpetuo iure possidendam. ‚ Turn ego regali munificentie debitas rependens gratias
nobili illo balteo accingor ascensoque equo et regio iunctus lateri ad suum usque palatium
illum proJequor. Ubi ei Jplendide cum amicis JUÜ epulanti prozimus ego
velut amicüsimus eius accumbo et ez eadem secum scutella olus ez multigenis herbis
radicibusque confectum manduco. Übers. der Verfasserin.
DER TRAUM ALS PERSÖNLICHES ERLEBNIS 329
such machten dem Knaben tiefen Eindruck und wurden deshalb auch
im Traum bearbeitet.
Der Leser dieser Erzählung fühlt sich vielleicht entfernt an die Todesankündigung
der Gertraud von Harpuch erinnert, die ebenfalls eine
Einladung zum Hof eines Herrschers beinhaltete. Schon wegen seines
jugendlichen Alters dachte Juda ben David Ha-Levi aber nicht daran,
diese Traumszene auf seinen Tod zu beziehen, wobei er die spezifisch
christliche Symbolik des himmlischen Festmahls wohl überhaupt nicht
kannte. 756 Das Gesehene stimmte ihn freudig, und er hatte den Eindruck,
daß dies kein leerer Traum, sondern eine Art Vorzeichen von großartigen
Ereignissen in der Zukunft sein müsse. Daher bat er einen Verwandten
namens lsaac, der in der jüdischen Gemeinde in Köln großes Ansehen
genoß, um Hilfe bei der Interpretation. Der Verwandte interpretierte
nach seinem Wissen, also wohl gemäß traditionellen Deutungsregeln 757,
das stattliche weiße Pferd als edle und schöne Gemahlin, den Münzbeutel
im Gürtel als Aussicht auf Reichtum und das Essen an der kaiserlichen
Tafel als große Ehrenstellung innerhalb der jüdischen Gemeinden. – Ein
Blick in das ursprünglich in der orientalisch-griechischen Welt entstandene
„Somniale Danielis“ zeigt wiederum erstaunliche Parallelen. Ein
weißes Pferd besitzen oder reiten gilt hier als Zeichen für Freude und
Heiterkeit oder ein positives Ereignis. 758 Sich gürten wird mit Ehre und
Gewinn gleichgesetzt, aber auch als Schutzhandlung verstanden.759 Mit
einem Herrscher zu sprechen kündigt logischerweise ebenfalls Würde und
Ehren an, während das Gastmahl beim König oder Kaiser allgemein als
großes Zeichen gilt. Auf christliche Bearbeitungen im Verlauf der Jahrhunderte
langen Textüberlieferung schließen lassen dann Manuskripte
des „Somniale Danielis“ , welche den König Sehen als Todesankündigung
756 C. G. JUNG betonte in seinem letzten Aufsatz [Zugang zum Unbewußten (In:
Der Mensch und seine Symbole. Ed. C. G. JUNG et al.) Olten 1968, S. 20-101;
65], die grundsätzliche Verschiedenheit der Bedeutung ein- und desselben Motivs bei
Träumern in unterschiedlichen Lebenssituationen oder Altersphasen.
757 Allgemein zum erstaunlich modernen Traumverständnis im jüdischen Talmud,
siehe etwa GOTTSCHALK, Die Wissenschaft vom Traum, München 21981, S. 234-
42 sowie PONGRACZ – SANTNER, Das Königreich der Träume, Wien 1963, S.
64-75.
758 Vgl. FISCHER, Dreambook, S. 89 ff.
759 Vgl. FISCHER, Dreambook, S. 76 f.
330 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
für den Träumer verstehen, das Gespräch verbunden mit dem Empfang
von Geschenken als Begnadung durch Jesus deuten.760
Rund sieben Jahre später erfolgte dann eine Konstellation von Ereignissen,
die dem Leben des Juda ben David eine völlig neue Richtung
gaben. Am Hof des Bischofs Ekbert von Münster, wo der Jüngling
als Vertreter seiner Familie auf die Rückzahlung einer geliehenen Geldsumme
zu warten hatte, kam er erstmals mit der christlichen Religion in
Berührung und lernte dort auch den bedeutenden Theologen Rupert von
Deutz kennen.761 Mit Erlaubnis des Bischofs durfte Juda ben David diesen
gelehrte Benediktinermönch sogar zu einer theologischen Disputation
auffordern. Eine von Rupert verfaßte Schrift über die Unterschiede zwischen
jüdischem und christlichem Glauben762 zeugt von dessen Engagement
für die Bekehrung der Hebräer, die er mit Argumenten überzeugen
wollte und nicht mit roher Gewalt, wie das dann nach der Mitte des
12. Jahrhunderts im Gefolge der Kreuzzugsidee oft genug der Fall sein
sollte.
Der Aufenthalt des Juda ben David beim Bischof von Münster dauerte
über zwanzig Wochen und hinterließ einen unauslöschlichen Eindruck
im Gemüt des jungen Mannes. Nach seiner Rückkehr nach Köln
versuchte er, Klarheit über seine religiöse Situation zu bekommen. Gemäß
der jüdischen Tradition bat der Jüngling Gott mittels dreitägigem
Fasten um eine Entscheidungshilfe zwischen Christentum und Judentum,
aber vergebens. Weder wurde er einer Vision gewürdigt, noch
erhielt er im Traum den geringsten Hinweis auf die Überlegenheit des
einen oder des anderen Glaubenssystems.763 Dafür wurde die Familie
auf seine religiösen Grübeleien aufmerksam und erzwang, um ihn davon
abzulenken, seine Heirat mit einem jüdischen Mädchen. Obwohl das
neue Erlebnis des Ehestands den jungen Mann anfänglich faszinierte,
fand er auf die Dauer doch keine innere Ruhe. In heimlichen Disputationen
mit christlichen Theologen überzeugte er sich schließlich von dem
höheren Wert dieser Religion. Juda ben David verließ seine Gattin, floh
760 Vgl. FISCHER, Dreambook, S. 64 f.
761 Hermann von Cappenberg, De conversione sua, cap. 3 und 4, S. 76 ff.
762 Rupert von Deutz, Annulus sive dialogus inter Christianum et Judaeum. Nach
NIEMEYER, Einleitung zur Edition, S. 4, wo auch Zweifel an der Historizität dieser
Disputation widerlegt werden.
763 Hermann von Cappenberg, De conversione sua, cap. 8, S. 94.
DER TRAUM ALS PERSÖNLICHES ERLEBNIS 331
aus dem Kreis der Angehörigen, nahm Taufunterricht und erlebte kurz
vor seinem Taufsonntag einen Bestätigungstraum. In einem Anklang an
die Apostelgeschichte (Apg. 7,55) sah er den Himmel offen stehen und
Christus in der Majestät des Vaters thronen, wobei er als Zepter ein
Kreuz im Arm hielt. Plötzlich gewahrte der Träumer hinter sich zwei
seiner jüdischen Vettern, Isaac und Nathan, die er früher einmal im vertraulichen
Gespäch auf die klar auf den gekreuzigten Jesus bezogenen
Messias-Weissagungen des Propheten Isaias (Is. 9,6) hingewiesen hatte.
Die Verwandten konnten den Glanz der Erscheinung Christi nicht ertragen;
beide bekannten, daß sie verdammt seien und verschwanden. 764 Bei
allem Bedauern über das tragische Schicksal seiner Vettern fühlte sich
Juda ben David beim Aufwachen in seiner Entscheidung bestärkt, denn
es schien ihm, daß Gott ihm nun endlich eindeutig auf seine Glaubensfragen
geantwortet habe. Auf den deutschen Namen Hermann getauft,
trat er als Laienbruder ins Kloster Cappenberg ein, wo er während fünf
Jahren Lateinunterricht erhielt und sich schließlich sogar zum Priester
weihen ließ. Später wurde er dann Propst in Scheda, einem von Cappenberg
abhängigen Stift, und zwischen 1172 und 1181 ist Hermann als
Kanoniker der Kirche „Maria zu den Stufen“ in seiner Heimatstadt Köln
nachweisbar. 765
Die Tatsache, daß aus dem Judenkind ein Christ und später sogar
ein Priester des neu angenommenen Glaubens werden konnte, erlaubte
Hermann nun eine völlig neue Interpretation des aufregenden Traumgesichts,
welches er einst als Knabe in Köln erlebt hatte. Seine Symbolerklärungen
wichen in der formalen Art der Umsetzung einzelner Motive
kaum von der Deutung seines Verwandten ab, sie erhielten jedoch andere,
spezifisch christliche Inhalte. Den irdischen Herrscher deutete Hermann
nun als den allmächtigen Himmelskönig, den verstorbenen Lehensträger
setzte er mit Luzifer gleich, der ja durch seinen Hochmut der ihm ursprünglich
verliehenen Würde verlustig gegangen war. Die weiße Farbe
des vom Herrscher geschenkten Pferdes sollte die reinigende Taufe im
Schneewasser darstellen. Den Gurt erklärte Hermann als Sinnbild für
die Zügelung des Geschlechtstriebes. Die wertvollen Münzen erschienen
in der neuen Interpretation als die sieben geistigen Tugenden, welche nur
auf den ersten Blick nach Reichtum aussehen, dann aber das Ewige Le-
764 Hermann, De conversione sua, cap. 18, S. 116.
765 Nach G. NIEMEYER, Vorwort zur Textedition, S. 10.
332 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
ben verheißen. Der kostbare Geldbeutel, in dem die Münzen aufbewahrt
werden, konnte konsequenterweise als Sicherung der Tugenden durch den
Hl. Geist verstanden werden. Im Unwillen der Fürsten über die Schenkung
an den Knaben spiegelte sich die Gesinnung der bösen Geister und
der Juden, die Hermann die Gnade Christi nicht gönnen wollten. Der
Palast wurde zum Kanonikerstift, wo Hermann zur Zeit der Abfassung
des Textes lebte. Der Tisch mit den Speisen deutet auf die von Christus
eingesetzte Eucharistiefeier. Das Gemüse aus verschiedenen Wurzeln
gleicht dem Evangelium des Erlösers, wobei die Vielzahl der Wurzeln die
verschiedenen Wege zum Heil versinnbildlichen. Hermann kostete von
diesem Gemüse und später durfte er sogar als Priester selbst die Messe
zelebrieren. Daß der Träumer aus derselben Schüssel wie der Herrscher
aß, wies schließlich auf die Einheit im Glauben hin. 766
Diese Reihe der Gleichsetzungen ist erstaunlich lang und kann sich
teilweise wiederum auf das „Somniale Danielis“ stützen. Eines der Manuskripte
bezieht nämlich Geschenke aus der Hand des Königs auf den
Träumer, der durch die Gnade Christi reich an Körper und Seele werde.
767 Traumsequenzen, welche die besondere Gunst des Herrschers zeigten,
konnten also später ohne Schwierigkeiten auf die Priesterwürde umgedeutet
werden. Neben sehr einleuchtenden Interpretationen verfiel
Hermann aber auch auf einige weniger überzeugende Erklärungen wie
etwa beim Motiv des Pferdes, wo er eine beinahe gewaltsame Anpassung
an sein neues Gesamtverständnis des Traumes vornahm. Zu betonen ist
schließlich die wichtige Position, die der Priester Hermann dieser Traumdeutung
in seiner Schrift einräumt. Die referierten Sätze stehen ganz am
Ende seines Werks, das ja die Geschichte seiner Konversion zum Inhalt
hat. Nachdem er bereits zum Priester geweiht worden war, sah Hermann
im Rückblick auf das eindrückliche Traumerlebnis seiner Jugendzeit diese
Bilder als eine Art Beweis für seine persönliche Berufung. Der Himmel
hatte ihn dazu veranlaßt, Christ zu werden und ihm damit den Weg zur
Priesterweihe und zum ewigen Heil geöffnet.
4.7.2. Tiersymbolik und andere Traummotive aus dem Alltag
In etlichen der bisher behandelten Traumberichte traten Tiere auf, und
es stellt sich die Frage, ob diese Figuren nur im Sinne von Tagesresten
766 Hermann, De conversione sua, cap. 21, S. 122 f.
767 Vgl. FISCHER, Dreambook, S. 65.
DER TRAUM ALS PERSÖNLICHES ERLEBNIS 333
zu verstehen sind oder ob nicht gerade Tiere im Traum eine zusätzliche,
symbolische Funktion besaßen. Auch heute noch kann ein Tier im Traum
eine bestimmte charakterliche Eigenheit des Schläfers selbst oder auch
eines anderen Menschen verkörpern, und im Mittelalter war die Neigung,
menschliche Eigenschaften auf Tiere zu projizieren, noch stärker
verbreitet. Bei Caesarius von Heisterbach erscheint sogar der Böse Feind
in Tiergestalt; er tritt in mehreren Träumen dieser Anekdotensammlung
als Bär auf. 768
Als Symbol für negatives Verhalten begegnet man auffallend häufig
dem Schwein. Beispielsweise erfuhr Caesarius von einigen Personen, daß
sie im Chor der Klosterkirche von Hemmenrode öfters Schweine gesehen
und grunzen gehört hätten. Das Borstenvieh drängte sich nach Aussage
der Zeugen um einen bestimmten, als schläfrig und gebetsfaul bekannten
Mönch. Nach Caesarius‘ Interpretation stürzten sich die Tiere
auf die Silben, welche jenem trägen Religiosen aus dem Mund kamen.
Dabei handelte es sich um die Wörter der ohne innere Andacht heruntergeleierten
Psalmen, während die Schweine eine Erscheinungsform der
gierig nach solchen Fehlern der Mönche Ausschau haltenden Dämonen
waren.769 Der Verrat des irischen Stammeskönigs Ua Ruairc wurde im
Traum eines englischen Ritters mit dem Bilde eines frontal angreifenden
Ebers angekündigt und ohne jede Schwierigkeit als konkrete Warnung
verstanden.77° Ferner wurde der italienische Kaufmann Giovanni Morelli
in seinem Traum mit einer ihre Ferkel führenden Muttersau konfrontiert,
die ihn in voller Wut zu Boden warf und überrannte. Damit ist wohl
die Trauer seiner Ehefrau über den Verlust ihres erstgeborenen Sohnes
angesprochen, an dem sich Morelli schuldig fühlte. Das tierische Element
könnte sich allerdings auch auf den Träumer selbst beziehen und
dann seine primitiven, ungebändigten Affekte, welche ihn an einem echt
väterlichen Verhalten gegenüber seinem Sohn gehindert hatten, symbolisieren.
Sowohl Caesarius‘ Episodensammlung als auch Giovannis Traumbe-
768 Caesarius von Heisterbach, Dialogus miraculorum, lib. IV, cap. 91, S. 257; lib. V,
cap. 49, S. 333 f. Vgl. dazu die Deutung des angreifenden Bären als Feind im
Traumbuch, FISCHER, Dreambook, S. 30.
769 Ebenda, lib. IV, cap. 35, S. 204 und damit nahe verwandt die Episode in lib. V,
cap. 48, S. 333.
770 Siehe oben, Kapitel 4.6 dieser Arbeit.
334 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
richt enthalten ferner das Symbol des Seelenvogels. Giovanni begegnete
seinem verstorbenen Sohn zunächst in der Form eines wunderschönen
Paradiesvogels, der ihn mit himmlischem Gesang ergötzte und ihn dazu
verlockte, den Berg hinauf zu steigen. Danach verwandelte sich der Vogel
in eine glänzende Geisterscheinung des kleinen Albert, was auch die
Bezeichnung des bunten Tieres als Seelenvogel rechtfertigt. 771 Caesarius
hingegen erzählt von einem Mönch, der die Seele eines sterbenden Mitbruders
im Traum als Taube sah. Der Vogel wurde von einer Katze und
dann sogar von einem Löwen verfolgt und rettete sich, indem er in den
Altarraum der Klosterkirche flatterte. Dort ließ der Vogel sich auf dem
hoch über dem Boden angebrachten hölzernen Kruzifix nieder, wo er sich
vor seinen Feinden in Sicherheit wußte. 772
Während in diesen beiden Beispielen vom Vogel als einem Symbol
eines sterbenden oder bereits toten Menschen die Rede ist, erscheint bei
Petrus Venerabilis, dem Reformabt von Cluny, das Motiv der weißen
Taube auch als Traummetapher für eine lebende Person. Petrus berichtet
in dem während der Sommermonate von 1035 für seine Brüder
verfaßten Nachruf auf ihre verstorbene Mutter Raingard unter anderem
von deren Eintritt ins Kloster Marcigny. Raingard faßte diesen Entschluß
nach dem Tod ihres Gatten und als ihre Kinder bereits erwachsen waren.
Im Nonnenkloster von Marcigny war die begüterte Adelige hochwillkommen,
da damit territoriale Besitzrechte sowie ein Teil des persönlichen
Eigentums der Witwe nun an den Konvent übergingen. Dort herrschte
nämlich gerade eine Mangelsituation, und der Klosterpropst machte sich
deshalb Sorgen. Nach der Bekanntmachung von Raingards Entschluß
behauptete er dann, er habe im Traum eine weiße Taube gesehen, die
sich ihm handzahm zum Fang angeboten habe. Er habe sie gepackt und
dem für das Nonnenkloster zuständigen Prior geschenkt. Der aber habe
dem zahmen Vogel die Schwungfedern im Flügel gebrochen und in einen
hölzernen Käfig gesetzt. 773 – Ob dies nun wirklich einen authentischen
Traumbericht darstellt, läßt sich bezweifeln. Das Einfangen bzw. Ergreifen
eines Vogels im nächtlichen Gesicht galt nämlich bereits nach
dem „Somniale Danielis“ als tröstliches oder sogar gewinnbringendes
771 Giovanni Pagolo di Morelli, 11 Libro di Ricordi, S. 514 ff.
772 Caesarius von Heisterbach, lib. VI, cap. 36, S. 388.
773 Petrus Venerabilis, Epistula ad germanos suos. Ed. G. CONSTABLE, Nr. 53, S.
153-173; 162.
DER TRAUM ALS PERSÖNLICHES ERLEBNIS 335
Zeichen774 und könnte als Vorbild für diese Erzählung gedient haben.
Immerhin erscheint die Symbolik des Käfigs bei einem Klostereintritt
sehr naheliegend und entspricht der Tendenz des Traumes, sich in Form
von Bildern auszudrücken. Schlecht überprüfbar ist die Behauptung des
Propstes, es habe sich dabei um einen vorausschauenden Wahrtraum
gehandelt. So könnte der Bericht des Priors allenfalls als Verarbeitung
der erfreulichen Nachricht von Raingards Entscheidung gelten, die dann
nachträglich zur Prophetie aufgewertet wurde.
Das weiße Pferd, welches dem jüdischen Knaben Juda ben David
Ha-Levi im Traum vom Kaiser geschenkt wurde, erhielt in der Interpretation
des Verwandten die Bedeutung einer edlen, schönen Frau. Dieses
Symbolverständnis vermag auch heute noch einigermaßen zu überzeugen,
weil man in dem schönen Reittier die Versinnbildlichung der
biologischen Triebkraft und damit einen Hinweis auf glückliche Sexualbeziehungen
sehen kann.775 Die von Hermann Jahrzehnte nach seinem
Traumerlebnis und nach seiner Konversion zum Christentum vorgenommene
Gleichsetzung des Pferdes mit der reinigenden Taufe im Schneewasser
erscheint hingegen sehr künstlich. Im Mittelalter war der Schimmel
bei festlichen Anlässen traditionell das Reittier des Herrschers, also des
Kaisers oder auch des Papstes, was der Knabe beim feierlichen Einzug
König Heinrichs V. in die Stadt Köln wohl wirklich beobachtet haben
dürfte. Die Szene mit der Übergabe eines wertvollen weißen Pferdes bildete
nach meiner Auffassung deshalb nur ein einzelnes Element der in
diesem Traum verheißenen zukünftigen Ehrenstellung im Diesseits oder
im christlichen Jenseits und sollte daher nicht isoliert interpretiert werden.
Das Gegenstück zum elegant tänzelnden Schimmel ist das graue
Lasttier des Mittelmeerraumes. Im Traum vom Aufstieg zum Himmelspalast
stellte der ungeniert kotende Esel ein Sinnbild für den Körper des
Petrus von Morrone dar, von welchem dieser sich nicht nach persönlichem
Belieben befreien konnte. Bezeichnenderweise galt der Esel schon in
der Antike als träge, dumm, störrisch und sexuell lüstern.776 Derartig
774 Vgl. FISCHER, Dreambook, S. 33 f.
775 E. AEPPLI, S. 361 ff.
776 Lexikon der christlichen Ikonographie, Freiburg im Br. 1968, Bd. 1 , Esel S. 682 f.:
L. WEHRHAHN-STAUCH. – Für die wörtlich zitierte Traumerzählung siehe oben,
Kapitel 4.3.
336 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
negative Eigenschaften passen gut zur Geringschätzung, welche man als
Christ und erst recht als Mönch seinem Leib entgegenzubringen hatte.
Der menschliche Körper ist nach der Aussage dieses Traums nur der
Träger der Seele, und die nächtlichen Pollutionen, die Petrus Gewissen
so beunruhigten, verdienten deshalb gar keine besondere Beachtung.
Im Zusammenhang mit der Einstellung des Klerus zur Sexualität im
allgemeinen und im besonderen zu den Frauen interessiert auch die Darstellung
von Frauen im Traum. Frauen erscheinen in Männerträumen
des Mittelalters aufäfllig selten und dann meist nur als Heilige oder allenfalls
noch als Mutterfigur. Wenn es sich aber um eine erotische Situation
handelte, so deutete man attraktive Mädchenfiguren bekanntlich
als „Succubi“, also als Dämonen in menschlicher Gestalt.777 Wir können
uns nun auch nach Symbolen für die Fra.u im Traum von Männern fragen
und stellen fest, daß sogar ein Tier für die weibliche Versuchung stehen
konnte. Nach Gerald von Wales‘ Bericht träumte ein Mann, nachdem er
sich mit einer Frau zu einem erotischen Abenteuer verabredet hatte, von
einer häßlichen Kröte, die er nicht abschütteln konnte. In Wirklichkeit
war die Frau heimlich an sein Lager geschlichen und hatte den Schläfer
bei der Hand gefaßt. Verstört wachte der Mann auf und verjagte von
Ekel geschüttelt diejenige, die er selber für Liebesfreuden zu sich bestellt
hatte.778 Aus dem Charakter einer kirchlichen Exemplasammlung und
aus der geschilderten Situation heraus darf man schließen, daß der verhinderte
Liebhaber ein Kleriker war. Deshalb konnte er wohl im Traum
die Partnerin in einer Art verinnerlichter Zensur nur als häßliches, abschreckendes
Tier wahrnehmen.
Schließlich gab es in der mittelalterlichen Vorstellungswelt ein Tier,
das die Tugend der Keuschheit besonders symbolisierte. Bienen pflanzten
sich nämlich nach Meinung des Aristoteles ohne Geschlechtsverkehr
fort und so fanden diese auch sonst überaus nützlichen Insekten als
Symbol der Jungfrauengeburt auch bei christlichen Theologen wie Ambrosius
große Beachtung.779 Im 1 1 . Jahrhundert lehnten bogomilitische
bzw. frühkatbarische Sektenprediger die Ehe prinzipiell ab und predigten
das Ideal der Enthaltsamkeit auch für Laien. Darauf soll ein Bauer
namens Leutard in Vertu bei Chä.lons-sur-Marne geträumt haben, ein
777 Siehe oben, Kapitel 3.2 der vorliegenden Arbeit.
778 Gerald von Wales, Gemma ecclesiastica, Opera Bd. 2, RBSS 21, cap. 1 1, S. 222.
779 – . – –
LMA, Bd. 2, Zunch 1983, Sp. 134 f.: Ch. HUNEMORDER.
DER TRAUM ALS PERSÖNLICHES ERLEBNIS 337
Schwarm Bienen dringe ihm durchs Geschlechtsteil in den Körper ein
und quäle ihn mit Stichen, um schließlich durch den Mund wieder auszufahren.
Diese geträumte Attacke beeindruckte ihn so, daß er seine Frau
verstieß und selbst zum überzeugten, kämpferischen Ketzer wurde.780
* * *
Wenn Tiere in Träumen relativ oft vorkamen und meistens eine menschliche
Eigenschaft oder ein aktuelle Situation verkörperten, so heißt das
nicht, daß es im Mittelalter nicht auch andere Möglichkeiten der bildliehen
Darstellung von affektiven Problemen oder abstrakten Sachverhalten
gegeben hätte. So träumte der englische Abt Geoffrey bezüglich des
ihm rätselhaften Ahnungsvermögens von Christina von einer heilkräftigen
Blume, deren Saft er nur durch sanftes Melken erhalten konnte.
Dieser Traum konnte er sich zunächst überhaupt nicht erklären, und so
zog er einen Mönch bei, der ihm diese Szene auf Christina und ihre seltsame
Begabung deutete. 781 Weitere typische Beispiele für eine derartige
Umsetzung bieten die Träume von deutschen Dominikanerinnen im 13.
und 14. Jahrhundert. Anna von Munzingen erzählt in ihrer Chronik über
das Leben im Konvent von Adelshausen bei Freiburg im Breisgau von einer
frommen Nonne, die in einer engen seelischen Verbindung mit ihrem
Beichtvater stand. Das galt weder als etwas Ungewöhnliches noch etwas
Schlechtes, aber es stand anscheinend ihrem Streben nach religiöser
Vollkommenheit im Wege. Eines Nachts schien ihr dann im Traum, daß
ihr ein Edelstein aus der mit Laub gefüllten Schlafkiste gezogen werde.
Noch während sie schlief, vernahm sie als eine Art Erklärung:
Dieses Juwel sei ihres Herzens Minne.782
Leider geht aus der Beschreibung der Chronistin und Mitschwester nicht
hervor, ob und auf welche Weise die Nonne nach diesem nächtlichen
Hinweis ihre seelische Abhängigkeit vom Priester zu verringern suchte.
In diesem Fall scheint wiederum eine Konsultation des Traumschlüssels
denkbar, denn der Verlust eines Edelsteins wird im „Somniale Danie-
780 Vgl. dazu M. D. LAMBERT, Medieval Heresy – Popular Movements from Bogomil
to Hus, London 1977, S. 26.
781 Vita s. Theodorae, cap. 29, S. 153.
782 Anna von Munzingen, Chronik. Ed. J. KÖNIG, in: Freiburger Diözesan-Archiv
13 (1880), s. 129-236.
338 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
lis“ als Trauer und Schaden gedeutet und zwar im Sinne des LoslassenMüssens.
783
Margaretha Ebner, die Mystikerirr des Dominikanerinnen-Klosters
Maria Medingen, hatte neben den bei ihr häufigen Verzückungen im
Wachzustand einige Visionen, die sie ausdrücklich als Erfahrungen im
Schlafzustand, also als Träume beschreibt. Ihre Gedanken, die fast
ständig um Vervollkommnung und um Erlösung kreisten, spiegelten sich
im Jahre 1333 in folgendem Traumbild:
„In der selben zit sach ich ain gesiht in dem schlauf: ich stuond under
ainem fenster und kom der aller süest wint mit als starker craft.
von der seihen craft wurden ßiezzen driu aller lutersten wasser, und
lag daz ertrich voller hufen und solten daz menschen sünd sin. nun
fiuzzen diu wasser uf die huffen und warn diu wasser als creftig, daz
ain wunder was, daz sie niht alle zerßussen. aber ez lag mener der
sich nie veregt het. alle die in dem tale lagen, die ersmulczen gar
und wart ain schöniu grüenin dar uz. da wart mir inwendig geben:
die in dem tal lagen, daz waren die demüetigen. da stuond vnser
seligen frawen ainniu, diu bi got ist, und sprach zuo mir: ‚wie gern
du sihest, daz din herre als wol ain herre kan gesin!‘ „784
In dieser schlichten Landschaftsschilderung schmilzt der warme Frühlingswind
die Sündenberge wie schmutzige Schneehaufen. Von dieser
wohltätigen Wirkung werden aber nur die Sündenlasten der demütigen
Menschen betroffen, während andere Haufen wie Erdschollen auf einem
nicht geeggten Acker uneingeebnet liegen bleiben. Stolze, uneinsichtige
Menschen werden also durch ihren Charakterfehler automatisch vom allgemeinen
Grünen und Sprossen ausgeschlossen. Das langsame Erwachen
783 Vgl. FISCHER, Dreambook, S. 75.
784 Margaretha Ebner, Offenbarungen, S. 18. Neuhochdt. Übertragung der Verfasserin:
„Zur seihen Zeit sah ich im Schlaf folgendes Gesicht: Ich stand an einem Fenster
und ein sehr milder Wind blies mit großer Kraft. Von dieser Kraft entstanden drei
klare Wasserläufe, und das Erdreich war bedeckt mit Haufen, welche der Menschen
Sünden darstellten. Nun flossen die Wasser auf die Haufen und diese Bäche waren
so kräftig, daß es ein Wunder war, daß die Haufen nicht alle zerflossen. Aber es lag
manch einer, der sich nicht verteilen ließ. Diejenigen, welche im Tale lagen, zerschmolzen
völlig und es wuchs schönes Grün daraus. Da wurde mir inwendig bedeutet: Die,
welche im Tale lagen, das waren die Demütigen. Da stand eine unserer verstorbenen
Nonnen bei mir, die bei Gott weilt und sprach zu mir: ‚Wie gerne du ansiehst, daß
dein Herr (gerecht?) wie ein Herrscher sein kann!“‚
DER TRAUM ALS PERSÖNLICHES ERLEBNIS 339
der Pflanzenwelt im Frühjahr symbolisiert hier Gottes Gnade im Diesseits
und im Leben nach dem Tode, welche aber nur den demütigen
und reuigen Seelen zugute kommen kann. Interessant ist dabei noch das
Auftreten einer verstorbenen Mitschwester ganz am Ende des Traumberichts.
Diese Figur deutet meines Erachtens darauf hin, daß die Verstandesfunktion
Margarethas kurz vor oder gerade im Moment des Erwachens
die geschaute Szene im Sinne der Gerechtigkeit Gottes zu interpretieren
begann. – Im Zusammenhang mit der Vorstellung vom ewigen
Leben könnte man vielleicht ein Bild des Paradieses im Sinne des
klassische Topos vom ‚locus amoenus‘ erwarten. Bei dieser einfachen
Klosterfrau wurde aber im Traum offenbar ein Erinnerungsbild an eine
durchs Zellenfenster beobachtete Landschaft aktiv. Diese Szene spielt
zur Zeit der Schneeschmelze und spiegelt die hoffnungsvolle Stimmung im
Vorfrühling, wenn der Bauer den Ackerboden durch Pflügen und Eggen
auf die Ausaat vorbereitet. Die ländliche Gegend rund um das Kloster
und die landwirtschaftliche Arbeit beeinßußte Margarethas Phantasie
also stärker als alle literarischen Vorbilder.
Dieser allegorisch auf die Thematik von Sünde und Gnade bezogene
Blick in eine Frühlingslandschaft war aber nur ein Traum in einer
Serie von mehreren Träumen, in denen sich die religiösen Gedanken
und Sehnsüchte der Dominikanerin akzentuierten. So träumte Margaretha
um Ostern des Jahres 1334, daß Christus und sein Lieblingsjünger
Johannes im Chor des Klosters schwebten, wobei Johannes den Herrn
um seinen Segen für das von ihm verfaßte Evangelium bat. U m diese
Bestätigung seines Werkes zu empfangen, ließ der Evangelist sich am
Boden aufs Knie nieder und zwar an jener Stelle, wo sonst Margaretha
ihren Platz im Chor einzunehmen pflegte. Diese kleine Einzelheit deutete
sie dann nach dem Erwachen als großen persönlichen Gnadenerweis.785
Ihre emphatische Formulierung „und stuond für mich“ läßt erahnen, wie
weitgehend sie sich mit dem Evangelisten Johannes identifizierte. So
darf man diesen Traum wohl als Wunsch verstehen, daß der Herr an ihrer
Schrift Gefallen finden möge. Dabei handelte es sich um das Büchlein
ihrer Offenbarungen, worin sie ihre Bemühungen um eine mystische Beziehung
zu Christus durch mündliches Diktat festhielt und in dem sie
auch ihre bedeutungsvolleren Träume notieren ließ.
Wie sich Glaubensvorstellungen in Bildern ausdrückten, die eigent-
785 Ebner, Offenbarungen, S. 22.
340 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
lieh der profanen Welt angehörten, zeigt ferner der den diplomatischen
Gepflogenheiten mittelalterlicher Politik verhaftete Urkundentraum. Darin
wurde Margaretha durch würdige Boten eines großen Herrn eine große
„Handfest“ mit vier „guldiniu insigel“ überreicht. In dieser Urkunde
wurde ihr zugesichert, daß sie gewisse Rechte empfangen solle und daß
diese für einige von ihr durch freie Wahl bestimmbare lebende oder im
Fegefeuer befindliche Menschen gelten würden. Die Träumerin wünschte
die ihr in der Art eines kollektiven Freipasses versprochene ewige Seligkeit
mit ihren Mitschwestern von Maria Medingen zu teilen. Dieses
Begehren wurde von den Boten zwar unter gewissen Bedingungen akzeptiert,
der im Traum herbeigekommene Konvent aber lehnte das Angebot
törichterweise ab. Trotz dieser eher betrüblichen Schlußsequenz
wachte Margaretha auch aus diesem Traum sehr beglückt auf. 786 Offenbar
vermochte der in der Traumhandlung deutlich genug zu Tage tretende
Zweifel an der echten Gesinnung und christlichen Vollkommenheit
der Mitschwestern, mit denen die in ihrem Krankenzimmer ziemlich isolierte
Margaretha übrigens sehr oft in einem Zustand der unterschwelligen
Spannung lebte, nicht das Hochgefühl ihrer persönlichen Erwähltheit
zu stören.
Das Gefühl, daß sie der Gnade Gottes gewiß sein dürfe, leitete
Margaretha beispielsweise auch aus einem Traum ab, den sie in ihrem
Büchlein auf den 10. November 1348 datierte. In der Anfangsszene
besuchte der Bischof mit großem Gefolge Margarethas Kloster. Die
Träumerin fühlte sich sehr zu dem kirchlichen Würdenträger und zu
seinen Dienern hingezogen, wobei ihr einer aus dem Gefolge besonders
gut gefiel. Sie setzte sich also zu den Gästen in die unmittelbare Nähe
des Bischofs, der gerade aus einem Pokal eine trübe Flüssigkeit trank.
Dann aber befahl er jenem Diener, den die Träumerin so sympathisch
fand, ihr ebenfalls einzuschenken. Dieser gehorchte und bot ihr einen
klaren Trank. Nachdem sie davon genossen hatte, wollte sie das Glas
zurückgeben; nun wurde ihr vom Diener erklärt, daß sie dieses Glas
nach dem Willen des Bischofs behalten solle. Denn wie Margaretha {in
ihren meditativen Betrachtungen der Passion Christi) mit ihm in seiner
Todesstunde ausgeharrt habe, wolle auch der Herr ihr bei ihrem Sterben
beistehen. 787
786 Ebner, Offenbarungen, S. 18 f.
787 Ebner, Offenbarungen, S. 159 f.
DER TRAUM ALS PERSÖNLICHES ERLEBNIS 341
Analog zu der an Gertraud von Hapurch ergangenen Einladung
an den Königshof wurde Margaretha also von einem hohen geistlichen
Würdenträger im Traum besucht. Auch die Rede des Dieners deutet
in die Richtung einer Todesankündigung, denn aus seinen Worten läßt
sich unschwer die Identität des Bischofs mit Christus, dessen Leiden und
Sterben die Mystikerin nach eigenem Zeugnis oft miterlebt hatte, erschließen.
Die Bitte Christi am Olberg, daß der Kelch des Leides an ihm
vorübergehen möge (Mt. 26,39) beeinßußte anscheinend auch einige Fassungen
des „Somniale Danielis“. Einen Kelch zu tragen oder aus ihm zu
trinken bedeutete hier Traurigkeit bzw. Krankheit. 788 Tatsächlich wurde
die Mystikerin fast ununterbrochen von Krankheiten und Schwäche gepeinigt,
so daß sie nach diesem eindrücklichen Traum wohl nur noch den
Tod erwartete. Der Text ihrer „Offenbarungen“ endet mit einer Eintragung
vom 28. November desselben Jahres. Allerdings starb sie nach
Auskunft des Totenbuches von Maria Mediogen erst am 20. Juni 1451,
also rund zweieinhalb Jahre später, im Alter von sechzig Jahren.
4.8. D IE PRAKTI SCHE NUTZBARM ACHUNG DES TRAUMS
Eine große Anzahl von Erfahrungsberichten bezeugt die Wichtigkeit,
welche dem Phänomen des Traums als einer Art Orakel oder individueller
Beratungsinstanz im Leben des Einzelnen zukam. Das Vertrauen
in diese innere Stimme blieb trotz der Skepsis der Amtskirche offenbar
ungebrochen; in Situationen der Anfechtung fanden manche Menschen
darin Trost und Ermutigung, und manch einer wurde sogar auf
noch unbekannte Gefahren aufmerksam gemacht. Aus der Sicht des
20. Jahrhunderts erscheint die mangelhafte Abgrenzung zwischen Traum
und der kausal geordneten physischen Realität seltsam und problematisch.
Tatsächlich barg der im Mittelalter übliche Traumglaube den
Keim der Superstition in sich, vor allem aber gab die ‚unkritische‘ Haltung
br􀅞iter Volksschichten die Möglichkeit, diese Menschen zu manipulieren.
Ahnlieh wie in der Hagiographie sowie dem mit weltlichen Besitzverhältnissen
befaßten Urkundenwesen stößt man bei Traumerzählungen
und Visionen öfters auf Fiktionen und Fälschungen, die allerdings in der
damaligen Epoche nicht von vornherein als moralisch verurteilenswert
angesehen wurden. Wieweit nun der Begriff der Manipulation mit seiner
788 Vgl. FISCHER, Dreambook, S. 43.
342 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
negativen Konnotation für das Mittelalter überhaupt angemessen ist,
müßte in jedem Fall gesondert untersucht werden.
Beispiele für Träume, welche weniger der persönlichen Orientierung
dienten und daf ür eine deutlich erkennbare gesellschaftspolitische Funktion
hatten, lassen sich sowohl aus dem kirchlich-monastischen Milieu als
auch aus dem Feld der Machtpolitik in beträchtlicher Menge anführen.
Diese beiden Kreise überschneiden sich jedoch häufig, denn der Traum
eines Herrschers erhob, wenn dieser ihn von Gott herleitete, ebenfalls
Anspruch auf religiöse Gültigkeit und drang damit in einen Bereich vor,
der sonst der der Kirche vorbehalten war.
Als exemplarischer Beleg für eine Traumfiktion aus der monastischen
Lebensform diene hier ein Bericht der Kartäuser von Mont-Dieu
bei Sedan (Dep. Ardennes) aus dem 14. Jahrhundert über die Gründung
ihres Hauses im Jahre 1 132. Diese Niederlassung von Kartäusern war
nur möglich dank des großen Einsatzes des Benediktinerabtes Odon von
St. Remy zu Reims. Er war es, der den Vorsteher der Kartäuser zur
Filialgründung bewegte, ihm ein Grundstück aus dem Landbesitz seines
eigenen Klosters zur Verfügung stellte und für die materielle Sicherung
der neuen Kartause noch weitere Gönner suchte. 789 Die Erzählung aus
dem 14. Jahrhundert behauptet nun, daß Odon durch eine sich mehrfach
wiederholende Traumvision zu seiner Handlung inspiriert worden
sei. Er habe während seiner Reise nach Rom im Schlaf oft weißgekleidete
Mönche gemeinsam Psalmen singen und miteinander essen gesehen. Die
Zwischenzeit verbrachten diese Religiosen in Einzelzellen, wo sie bestimmte
Übungen nach einer dem Abte Odon unbekannten Regel befolgten.
Auf der Rückreise nach Frankreich habe sich der Abt dann bei dichtem
Nebel in den Alpen verirrt. So sei er gegen alle Absicht schließlich in
der Großen Kartause bei Grenoble angelangt und habe in Prior Wigo und
seinen Mönchen die weißen Gestalten seiner Träume erkannt.790 Die Unterstellung,
daß Odon von St. Remy den schon bei der Synode von Reims
kurz vor 1 13 1 zur Sprache gekommenen Kartäuserorden nicht gekannt
789 V gl. dazu etwas ausführlicher J. DECHANET, Einleitung zur lat. franz. Edition,
Guillaume de Saint-Thierry: Lettre aux Freres du Mont-Dieu ( = Sources Chretiennes
223) Paris 1975, S. 18 f.
790 Historia fundationis domus Montis Dei, regulae cartusiensi addictae. Ed. in:
Catalogue general des manuscripts des bibliotheques publiques des departements,
serie IV, Paris 1879, S. 561-55.
DER TRAUM ALS PERSÖNLICHES ERLEBNIS 343
haben sollte, beweist nach der Meinung von DECHANET hinlänglich
die Unwahrheit der ganzen Traumerzählung. 791 Im Gegensatz dazu ist
die positive Einstellung Odons zum Kartäuserorden durch seine in der
Gründungsurkunde von Mont-Dieu festgehaltenen großzügigen Schenkungen
sowie die finanziellen Zuwendungen aus den Einnahmen der im
Sommer des Jahres 1 145 in der Klosterkirche von St. Remy organisierten
Gibrians-Wallfahrt zweifelsfrei belegt. 792 Das alles genügte aber im
14. Jahrhundert den anonymen Verfassern der Klostergeschichte offensichtlich
nicht, und sie versuchten gemäß der spätmittelalterlichen Mentalität,
die Gründung der Kartause Mont-Dieu mittels einer Traumeingebung
auf eine direkte göttliche Intervention zurückzuführen.
In den christlichen Legenden wurden Kirchen und Klöster häufig
gemäß einer direkten Anweisung des Himmels gegründet. Entsprechend
der wunderträchtigen Atmosphäre von hagiographischen Texten geschah
dies meistens in Form eines auffälligen Lichtstrahls oder einer Flammenerscheinung
mitten am Tag, womit dann auch der Bauplatz einwandfrei
festgelegt war. 793 Neben derartigen Mirakelerzählungen gibt es in den
Quellen aber auch Hinweise auf authentisch wirkende Traumberichte, in
denen sich Motive der Legende in der Phantasie des Schläfers zu spiegeln
scheinen. Ein solches Weiterwirken der Vorstellungen von einer
direkten himmlischen Einflußnahme läßt sich exemplarisch anhand der
Erzählung über die Translation der Reliquien der hl. Frideswide in Oxford
verfolgen. Die Quellensituation gestattet es hier, die Vermischung
von Legendenmotiven mit den konkreten Interessen und Wünschen der
beteiligten Klostergemeinschaft in seltener Klarheit aufzuzeigen.
Die hl. Frideswide lebte zu Beginn des 8. Jahrhunderts als Tochter
eines Stammeskönigs, der ihre fromme Gesinnung durch die Errichtung
eines kleinen Nonnenkonvents am Ort der späteren Stadt Oxford unterstützte.
Nach dem Tod ihres Vaters konnte sich Frideswide nur mit
größter Mühe des Ansturms adeliger Freier erwehren, die aus machtpoli-
791 J. DECHANET, Einleitung zur Textedition, S. 17, Anm. 12.
792 Vgl. dazu die Analyse des Kultes dieses schottischen Missionars und der Vorgeschichte
bei P. A. SIGAL, Maladie, pelerinage et guerison au XIIe siede: Les mircales
de saint Gibrien a Reims, Annales ESC 24 ( 1969) S. 1522-39; 1532 f.
793 Vgl. dazu die Beispielsammlung von H. GÜNTER, Psychologie der Legende,
Studien zu einer wissenschaftlichen Heiligen-Geschichte, Freiburg i. Br. 1949, S. 270
f.
344 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
tischen Gründen die Verbindung mit der Königstochter erstrebten. Um
735 gestorben, fand die Äbtissin ihre letzte Ruhestätte in der Kirche
ihres Nonnenkonvents zu Oxford, wo sie im lokalen Umkreis bald die
Verehrung einer Heiligen genoß.794 – Die mit der am 13. Februar 1180
erfolgten Umbettung der Klosterpatronin innerhalb der Kirche verbundene
Popularisierung hing zweifellos mit dem Wunsch der seit 1125 im
Kloster residierenden regulierten Augustinerchorherren zusammen, ihrer
Gemeinschaft besonderes Profil zu verleihen. Es existierten nämlich in
der weiteren Region von Oxford bereits die altehrwürdigen Benediktinerabteien
von Abhingdon und Eynsham. Direkt außerhalb der Stadtmauern
lag das Augustinerkloster Oseney, das geistig und wirtschaftlich
die unmittelbare Konkurrenz von St. Frideswide darstellte. Ferner gab
es noch den Nonnenkonvent Godstow, dem das Grab einer Geliebten
König Heinrichs II. eine gewisse Anziehungskraft für Gäste und fremde
Besucher verlieh.795 Bischof Hugo von Lincoln sah darin allerdings ein
religiöses Ärgernis und ließ 1 191 die Grabstätte von ‚Faire Rosamund‘
vor dem Hochaltar entfernen. 796 In dieser Wettbewerbssituation ging
es für die Chorherren von St. Frideswide vor allem um Prestigegewinn,
während die materiellen Interessen dabei eher im Hintergrund standen.
Wie ein Blick auf die Bestätigungsurkunde des Papstes Hadrian IV.
für Prior Cricklade im Jahre 1 1 58 zeigt, war das Kloster zu dieser Zeit
nämlich bereits ziemlich wohlhabend.797 In dem wahrscheinlich von Prior
Philipp von St. Frideswide verfaßten Mirakelbericht wird auch ganz offen
gesagt, daß Wallfahrer mit ihren Opferkerzen den Chorherren sehr
willkommen waren. Die gespendeten Wachslichter erlaubten ja nicht nur
konkret eine reichere Beleuchtung der Kirche, sondern ein Zustrom von
794 Bibliotheca Sanctorum, Bd. 5, Vatikan 1964, S. 1273 f.: J. STEPHAN.
795 L. F. SALZMANN (Ed.), The Victoria History of the County of Oxford, Bd. 1,
London 1939, S. 439 f.
796 D. M. SMITH, Hugh’s Administration of the Diocese of Lincoln, in: H. MAYR·
HARTING (Ed.), St Hugh of Lincoln, Lectures to celebrate the eighth centenary of
St Hugh’s consecration as Bishop of Lincoln, Oxford 1987, S. 19-48; 33.
797 Im Privileg des Papstes figurieren als Besitz des Klosters rund zwanzig Kirchen
und Kapellen, vier Mühlen, diverse Ländereien in der unmittelbaren Umgebung Oxfords,
sowie das in Berkshire gelegene Dorf Edington. Der Originaltext der Urkunde
ist ediert bei S. R. WIGRAM, Oxford Chartularies (=Publications of the Oxford
Historical Society 28 u. 31) 1895-96, Bd. 2, S. 27.
DER TRAUM ALS PERSÖNLICHES ERLEBNIS 345
auswärtigen Besuchern stellte offensichtlich einen Zuwachs an Ehre für
die Klosterpatronin und ihre Kleriker dar:
Und wenn auch der Glanz der Sonne durch die kleinen Wachslichter
der Pilger nicht vergrößert wird, so schiene doch der Raum, von
dem sie ausgeschlossen würden, weniger strahlend erhellt. 798
Obschon das Wallfahrtswesen im Mittelalter weit verbreitet war, kann
man sich fragen, weshalb die Chorherren gerade auf die Idee einer Reliquientranslation
kamen, um das Ansehen ihrer Gemeinschaft zu vergrößern.
Eine naheliegende Erklärung für die Handlungsweise der Oxforder
Chorherren bietet die enge Verbindung des Konvents zum Kult
des 1170 aus politischen Gründen ermordeten Erzbischofs von Canterbury,
Thomas Becket. Der hochgelehrte Robert Cricklade, Prior Philipps
Vorgänger im Amt, hatte persönlich nach Anrufung des Märtyrers Becket
eine wunderbare Heilung erfahren dürfen, und auch ein Kämmerer von
St. Frideswide war nach dem Schlucken einiger Tropfen des wundertätigen
Thomaswassers von scheinbar lebensbedrohlichen Verdauungsstörungen
befreit worden. 799 Das Grab des als Bewahrer der kirchlichen
Freiheiten zum Märtyrer gewordenen Becket wurde bald zu einem Wallfahrtszentrum,
das neben zahllosen Engländern auch Pilger aus ganz
Europa anzog.
Was sich in Canterbury abspielte, gab nicht nur dem allgemeinen
Glauben an wundertätige Heilige neuen Auftrieb, sondern trug auch wesentlich
dazu bei, daß sich die Chorherren zu Oxford vermehrt auf den
Wert der eigenen, altehrwürdigen Patronin zu besinnen begannen. Es ist
anzunehmen, daß sie die Verehrung der hl. Frideswide auch außerhalb
798 Miracula s. Frideswidae, Ed. AASS Octobris VIII, S. 568-589, Nr. 4: Et licet
peregrinü luminum adminiculü .so/arü .splendor non illu.stretur, locum tarnen a quo
ezcluditur minu.s irradiat. Übers. der Verfasserin.
799 Diese beiden Wunder werden in der Mirakelsammlung des Wilhelm von Canterbury
beschrieben, der sich seinerseits auf das mündliche Zeugnis des Robert Cricklade
berief. Sein Bericht ist nachzulesen in der Edition von J. C. ROBERTSSON, Materials
for the History of Thomas Becket, RBSS 67, Bd. 2, S. 96 ff. Der persönlichen
Betroffenheit durch diese beiden Erlebnisse ist es wahrscheinlich zuzuschreiben, daß
Cricklade es sogar unternahm, selber eine Vita des hl. Thomas zu verfassen. Diese
Schrift ist jedoch leider nur in Fragmenten erhalten. Vgl. dazu Margaret ORNE, A
Reconstruction of Robert of Cricklade’s Vita et miracula S. Thomae Cantuariensis,
Anal. Bol!. 85 ( 1966) S. 379-98.
346 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
ihres eigenen Kreises in Form von Predigten und Gebetsanrufung propagierten.
In einer Zeit, in der in schriftlichen Zeugnissen erstmals die
‚Heimatliebe‘ der einfachen Menschen und auch frühe Formen eines ’nationalen‘
Bewußtseins faßbar werden, fi.􀈑len die Aufrufe zur gebührenden
Verehrung der Gründerin und ersten Abtissin des städtischen Klosters
offenbar auf fruchtbaren Boden. Die fromme Königstochter konnte von
den Menschen in Oxford durchaus als eine Art Schutzherrin der ganzen
Stadt angesehen werden. Schon 1172 behauptete eine als ehrbar bekannte
Frau, sie habe im Traum eine riesige goldene Säule aus dem
schlichten Bodengrab der Heiligen emporwachsen sehen, und von der
Spitze der Säule habe ein sonnenartiges Spinnrad einen unvergleichlichen
Glanz über das Land ausgebreitet.800 Das Spinnrad ist ein wichtiges
Werkzeug der Frauen im Mittelalter; es steht daher als Zeichen
für das weibliche Geschlecht und damit offenbar auch für die Person der
Heiligen. Die Erhebung dieses Sonnenrades auf eine goldene Säule ist ein
Hinweis, daß schon zu Prior Cricklades Zeit die Translation bzw. Elevation
der Reliquien ernsthaft erwogen wurde. Obwohl dieser Traum sowie
der von einem Mann eines Abends direkt über der Klosterkirche wahrgenommene
seltsame Feuerschein801 die positive Resonanz im Volk erahnen
lassen, kam es zunächst nicht zur Ausftihrung des Planes. 1 174 nämlich
starb Prior Cricklade in hohem Alter und nach der Wahl Philipps zum
Nachfolger mußte der neue Amtsinhaber wahrscheinlich zunächst dringendere
Aufgaben in Angriff nehmen.802 Schließlich träumte jedoch Phitipps
persönlicher Diener, die Heilige käme aus ihrem Grab hervor und
mache dem Prior heftige Vorwürfe wegen der Verzögerung ihrer Translation.
803 Damit war ein neuer Anstoß gegeben, und nach der Einholung
der königlichen Zustimmung fand am 13. Februar 1180 die Umbettung
der Reliquien in einen erhöhten Schrein statt.
Betrachtet man die chronologische Stellung dieser beiden Träume
bei der Wiederbelebung des alten Kultes, so zeigt sich sofort, daß sie kei-
800 Miracula s. Frideswidae, Nr. 6.
801 Miracula s. Frideswidae, Nr. 7.
802 Die Reihe der Zeugenunterschriften von Robert Cricklade in lokalen Dokumenten
bricht 1174 ab. Sein Nachfolger Philipp tritt erstmals 1175 und letztmals 1191 als
Zeuge auf. Diese Angaben nach D. KNOWLES et al. (Eds. ), The Heads of Religious
Houses in England and Wales 940 – 1216, Cambridge 1972, S. 180.
803 Miracula s. Frideswidae, Nr. 7.
DER TRAUM ALS PERSÖNLICHES ERLEBNIS 347
neswegs am Anfang der Entwicklung standen. Die Träume reflektierten
vielmehr die Ideen und Wunschvorstellungen einer bestimmten, am Kult
aus Prestigegründen interessierten Gruppe von Klerikern. Man ist daher
versucht, solche Erzählungen als Legenden oder gar als Fälschungen zu
betrachten, obwohl sich das nicht stichhaltig beweisen läßt. Bemerkenswert
ist aber jedenfalls die Fähigkeit der Kleriker, sogar Träume von
Laien für ihre eigenen Anliegen nutzbar zu machen. Die Schelte, die der
Prior im Traum seines Dieners von der Heiligen einstecken mußte, bot
die erwünschte Legitimation, wenn jemand sich nach dem Grund für die
geplante Umbettung erkundigen sollte. So gewappnet konnte Philipp
daran gehen, die Reliquientranslation im denkbar feierlichsten Rahmen
zu organisieren. Ganz bewußt setzte er das Datum für den kirchlichen
Festakt mit dem 13. Februar auf jene Zeit, in welcher Heinrich Il. die
Großen seines Königreiches zu Regierungsgeschäften nach Oxford berufen
hatte. In Gegenwart zahlreicher Adeliger und Kirchenfürsten nahm
Erzbischof Richard von Canterbury die Translationszeremonie innerhalb
der Kirche vor. Die Heilige schien zufrieden mit der ihr erwiesenen Verehrung,
denn der Eifer der Chorherren wurde bald durch eine große
Zahl von Wunderheilungen belohnt, welche zur Erinnerung an diese Gnadenerweise
sorgfältig in einem Mirakelbericht aufgezeichnet wurden. 804
Bereits vor den mehr oder weniger spektakulären Heilungen am neuen
Schrein vergrößerte allein schon die Versammlung von so illustren Gästen
anläßtich der Translationsfeier das Ansehen des Klosters. Zudem aber
verhalf die Anwesenheit der englischen Fürsten und Bischöfe mit ihrem
jeweiligen Anhang dem neu aktivierten Kult der hl. Frideswide und ihren
Mirakeln einer weit über den lokalen Bereich Oxfords hinausstrahlenden
Bekanntheit.
Wie gerne man selbst einfachste, alltägliche Traumbilder als göttliche
Orakel interpretierte, zeigt etwa der Bericht von der Ansiedlung der
Dominikanerinnen in Zürich. Nach ärmlichen und schwierigen Anfängen
in Privathäusern in der Stadt versuchten es die Nonnen vorübergehend
mit einer Niederlassung außerhalb der Mauern im Sihlfeld. Ihre nächste
Wohnsitznahme in einem bescheidenen Gebäude an der Mündung des
Oetenbachs oder Hornbachs beim Zürichhorn wurde durch einen Traum
eines Mannes aus Zollikon angekündigt, der eine große Schar Geflügel
auf dem Inselchen an der Bachmündung sich versammeln und dann wie-
804 Miracula s. Frideswidae, bes. Nr. 4.
348 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
der fortfliegen sah. 805 Tatsächlich blieben die Dominikanerinnen nicht
am Oetenbach wohnen; das eigentliche Kloster entstand dann innerhalb
der Stadtmauer auf dem Sihlbühl am Ort der heutigen Amtshäuser und
konnte unter dem Namen Neu-Oetenbach 1285 bezogen werden.806
* * *
Eine Betrachtung der gesellschaftlichen Funktionen des Traumes muß
selbstverständlich auch die Welt der hohen Politik einbeziehen. Darunter
verstehe ich sinngemäß die Handlungen der Mächtigen an der
Spitze von Herrschaftssystemen. Im Falle der Kirche handelt es sich
um Bischöfe und Päpste, im weltlichen Bereich um Könige und Kaiser.
Ihre Entscheidungen und Aktionen hatten Konsequenzen, die weit
über das seelische und körperliche Wohl ihrer eigenen Person oder ihrer
Angehörigen und Schutzbefohlenen hinausgingen. Dementsprechend
folgenreich erwies sich unter Umständen auch das, was die Machtträger
träumten. Eine Erzählung des merowingischen Geschichtsschreibers und
Bischofs Gregor von Tours illustriert eindrücklich, wie man mit einem
Traum beispielsweise den Zorn eines Herrschers beschwichtigen konnte.
Ausgangspunkt für die Diskussion Gregors mit seinem König Gunthram
waren dessen Rachedrohungen gegen Bischof Theodor von Marseille, der
in die Ermordung von König Chilperich (gest. 584) verwickelt war.807
Chilperich I. war ein Bruder König Gunthrams und mit diesem gegen
einen anderen Bruder verbündet. Nach großen Erfolgen dieser Allianz
805 Die Stiftung des Klosters Oetenbach und das Leben der seligen Schwestern daselbst.
Ed. H. ZELLER-WERDMÜLLER – J. BÄCHTOLD, in: Zürcher Taschenbuch
auf das Jahr 1889, NF 12, S. 213-276; ca.p. 2, S. 221. Hervorzuheben ist hier die
Darstellung von Nonnen als Geflügel, nachdem schon in den Mirakelberichten der hl.
Walburga aus dem späten 9. Jahrhundert ein Traum Opfergaben aufpickende Hühner
gezeigt hatte, womit offensichtlich Nonnen gemeint waren; siehe dazu weiter oben,
Kapitel 4.4.2 der vorliegenden Arbeit.
806 Zu den Anfängen dieses frühen Dominikanerinnenkonvents als freie Sammlung
von Beginen und zur Integration dieser Frauengruppe in den Predigerorden sowie
allgemein zur seelsorgerischen Betreuung der Nonnenkonvente im weiteren Gebiet
um Zürich durch die Dominikanerbrüder vgl. Martina WEHRLI-JOHNS, Geschichte
des Zürcher Predigerkonvents 123Q-1554: Mendikantenturn zwischen Kirche, Adel
und Stadt, Phi!. Diss., Zürich 1980, S. 94 ff.
807 Gregor von Tours, Historia libri decem. Ed. B. KRUSCH, MGH (Repr. 1965),
lib. VIII, cap. 5, S. 349 f.
DER TRAUM ALS PERSÖNLICHES ERLEBNIS 349
wandte er sich aber nach Gregors Darstellung heimlich und offen auch gegen
Gunthram selber und wurde schließlich Opfer seines gewagten Spiels.
An anderer Stelle bezeichnet der Chronist Chilperich sogar als „Nero und
Herodes unserer Zeit“808 und er hielt dessen gewaltsamen Tod schon
aus Gründen der ‚Staatsraison‘ für gerechtfertigt. Daher versuchte er
dem als Anstifter für den Mord verantwortlich gemachten Bischof von
Marseille zu helfen. Zunächst rief Gregor König Gunthram das illoyale
Betragen seines Bruders ins Gedächnis zurück. Dann erzählte er dem
Herrscher einen Traum, in welchem er, Gregor, den Tod Chilperichs in
einem deutlichen Bild vorausgesehen habe. Man habe jenem König die
Haare in Tonsurform geschnitten und ihn dann gewissermaßen zum Bischof
geweiht. In der Sänfte des neuen kirchlichen Würdenträgers hätten
die üblichen Sitzpolster gefehlt; dem mit schwarzem Tuch ausgeschlagenen
Tragsessel seien Leute mit Öllichtern und Wachskerzen vorangezogen.
Erstaunlicherweise reagierte Gunthram keineswegs unwillig auf
diese Erzählung; er berichtete im Gegenteil seinem Berater nun ebenfalls
einen persönlichen Traum. In diesem nächtlichen Gesicht wurde
die Entscheidung über Chilperichs Schicksal von drei Bischöfen, die ihn
gefesselt vor seinen Bruder führten, gefällt. Während zwei Bischöfe für
eine milde Bestrafung plädierten, bestand der dritte auf dem Todesurteil.
Darauf ergriffen sie den Gefangenen, brachen seine Glieder und warfen
ihn in einen riesigen Kessel, der im Hintergrund über dem Feuer stand.
Gunthram weinte im Traum laut, während die sterblichen Überreste des
Missetäters im siedenden Wasser kochten, bis nichts mehr von ihm übrig
blieb.
Einige Historiker mögen wie P. SAINTYVES versucht sein, in dieser
Traumepisode der merowingischen Chronik eine Fälschung zu sehen.
809 Nach meiner Auffassung enthalten aber sowohl Gregors als auch
Gunthrams Traum Elemente, die als Belege für die Echtheit der beiden
Erzählungen dienen können: Gregors Gesicht entspricht mit der
seltsamen Vermischung des bischöflichen Zeremonientragstuhls mit der
schwarz verkleideten Totenbahre der Tendenz des Traumes zur Verdichtung
und zur visuellen Umsetzung abstrakter Sachverhalte. Unklar
bleibt freilich, weshalb der merowingische Herrscher, der nach Gregors
Darstellung wenig Affinität zur Kirche zeigte, die Bischofsweihe erhielt.
808 Gregor von Tours, Historiarum libri decem, lib. VI, cap. 46.
809 P. SAINTYVES, En marge de Ia Legende doree, S. 77.
350 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
Die Ankündigung des Todes anderer Personen im Traum wurde bereits
ausführlich diskutiert und ist keineswegs unglaubwürdig; es dürfte sich
dabei um eine annähernd zeitgleiche Wahrnehmung des Mordkomplottes
bzw. des erfolgten Attentats handeln. Das Motiv des Kessels mit siedendem
Wasser geht zweifellos auf eine in der Spätantike übliche drastische
Form der Todesstrafe für Falschmünzer zurück.810 Das rätselhafte Verschwinden
der Gebeine Chilperichs in diesem Kochkessel erscheint mir
sehr typisch für die irreale Phantastik des Traumes. Der unbewußte
Wunsch König Gunthrams, der allzu mächtig gewordene Bruder möge
doch ohne sein Zutun aus der Welt geschafft werden, wird in einer entsprechenden
Szene dargestellt. So gesehen mutet es absurd an, wenn
der Träumer über die Hinrichtung Chilperichs weint. Eigentlich verdeutlicht
dieser Trauerausbruch aber gerade den emotionellen Konflikt
des Königs, der mit seinem leiblichen Bruder gefühlsmässig verbunden
war und sich nur allmählich in die machtpolitische Notwendigkeit der
Beseitigung Chilperichs fügen konnte.
Die Analyse der beiden Träume ergibt also einige Argumente für ihre
Echtheit. Wir müssen aber auch nach der Funktion dieses Einschubs in
Gregors Chronik der politischen Ereignisse fragen. Ob nun die beiden
Berichte echte Todesahnungen oder verborgene Wünsche spiegeln oder
ob sie im schlimmsten Falle eine reine Erfindung Gregors darstellen, klar
ist, daß ihnen die Aufgabe zufällt, den Mord am Bruder des Königs zu
rechtfertigen. In Gregors Darstellung erscheint Chilperichs Tod als eine
vom Himmel verhängte oder zumindest gebilligte Strafe für sein ruchloses
Verhalten. Damit entfiel Gunthrams Pflicht, seinen leiblichen Bruder
zu rächen, was er in jeder anderen Situation als Herrscher und als Chilperichs
nächster männlicher Verwandter hätte tun müssen. Diese Traumerzählungen
hatten also wahrscheinlich einen echten Kern und wurden
vom Machthaber bzw. seinem Chronisten jedenfalls als Rechtfertigung
benutzt.
Aufgewühlte Affekte und eine Unterlassung von einiger politischer
Tragweite spielen auch eine wichtige Rolle in jenem Traum, der Bischof
Hugo von Lincoln die tödliche Verwundung von Richard Löwenherz ahnen
ließ. Mit diesem englischen Monarchen befand sich der Heilige einige
Zeit vor dessen Ableben in einem schweren Konflikt über die neuen, vom
810 Vgl. etwa H. BISCHOFBERGER, Das Sieden als Todesstrafe in der Schweiz,
Schweizer Münzblätter 37, Heft 147 {1987) S. 59-64.
DER TRAUM ALS PERSÖNLICHES ERLEBNIS 351
König der Kirche auferlegten Abgaben. Sie hätten der Finanzierung des
Krieges in Frankreich dienen sollen, und Hugo wollte diese neuen Forderungen
unter keinen Umständen akzeptieren. In den Auseinandersetzungen
des Investiturstreites stand aber die englische Geistlichkeit im
machtpolitischen Kräftespiel nicht so gut da, daß man die Krone ohne
weiteres brüskieren konnte. Des Bischofs Freunde und seine politischen
Ratgeber sahen deshalb keinen anderen Ausweg, als nachzugeben. Hugo
seinerseits zögerte, denn ein Eingehen auf die königliche Forderung hätte
nicht nur ein großes Loch in die Kasse seiner Diözese gerissen, sondern
vor allem auch einen gefährlichen Präzedenzfall für die Zukunft geschaffen.
Schließlich brach der Heilige die Beratungen erschöpft ab und verschob
den endgültigen Entscheid auf den nächsten Morgen in der Hoffnung,
daß Gott ihm während der Nacht die richtige Handlungsweise zu
erkennen geben werde:
Die Nacht bringt nämlich Rat, wie wir es schon häufig durch Erfahrung
gelernt haben.811
Nach längerem ernsthaften Gebet um Inspiration schlief der Bischof ein
und erlebte tatsächlich ein nicht näher beschriebenes wunderbares Gesicht.
Kurz vor dem Aufwachen vernahm Hugo noch eine himmlische
Stimme, welche Psalm 17,36 rezitierte und ihn auf diese Weise zum Ausharren
im Widerstand gegen die Königsgewalt ermutigte:
Gott verherrlicht sich in seinen Heiligen,
Gott gibt Israel selber Thgend und Stärke seinem Volk.
Gelobt sei der Herr.812
Mit diesen geträumten Bibelversen war für Hugo die Sache hinreichend
geklärt, und er bereute, daß er gegenteilige Ratschläge überhaupt je
ernsthaft in Erwägung gezogen hatte. Einige Tage später erhielt er
durch die Äbtissin des Klosters Fontevrault den zuverlässigen Bericht,
daß König Richard Löwenherz in der Schlacht durch einen Pfeilschuß verletzt
worden war und im Sterben lag. – Der Traum bestärkte den Bischof,
wenn man dem Berichterstatter Adam Glauben schenken darf, genau in
jener Nacht in seiner ablehnenden Haltung, als Richard eine tödliche
811 Adam von Eynsham, Magna Vita Hugonis, Bd. 2, S. 133: Noz enim habet con-
3ilium, ut frequentiu3 ezperimento docti 3Umu3. Übers. der Verfasserin.
812 Ebenda, S. 134 f.: Mira.bili3 Deu3 in 3ancti.! 3Ui3 I Deu3 brae/ ip3e dabit ‚Virtutum
et I fortitudinem plebi ne. I Bendedictu$ Deu$. Übers. der Verfasserin.
352 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
Verwundung erlitt und von da an keine Bedrohung mehr darstellte. Die
Berater, die davon keine Kenntnis hatten, bedrängten Hugo vergeblich,
dem politischen Druck nachzugeben. So wurde das Vertrauen des Heiligen
auf die göttliche Lenkung bestätigt und der Klerus der Diözese
Lincoln von einer weiteren wirtschaftlich belastenden Abgabe verschont.
* * *
Obwohl längst nicht alle Menschen nächtliche Gesichte so ernst nahmen
wie Hugo von Lincoln, wurden immer wieder Versuche gemacht,
Träume direkt als politisches Druckmittel einzusetzen. In diesem Zusammenhang
kann an die von Petrus Venerabilis in einem Brief an seinen
Bruder Eustachius erwähnte Traumerzählung erinnert werden. Diese
diente nach der von mir vorgeschlagenen Interpretation der eher unklaren
Äußerungen dazu, den Adeligen zur Rückgabe von materiellen
Gütern an einen Kleriker zu bewegen. 813 Eine weitere Möglichkeit der
politischen Nutzbarmachung von Träumen gab es bei Wahlen und Ernennungen.
Der Spielraum für willkürliche Entscheidungen war gerade in
diesem Bereich im Mittelalter groß, weil demokratische Wahlprozeduren
in der heutigen Form unbekannt oder erst im Entstehen begriffen waren,
und auch das Kriterium der persönlichen und fachlichen Eignung keineswegs
immer den Anschlag gab. So entstand die Vorstellung, daß Gottes
Wille sich gewissermaßen im Traum manifestiere oder daß man eine Entscheidung
für einen bestimmten Kandidaten wenigstens auf diese Weise
begründen könne. Es sei zum Beispiel an den Bericht von Thietmar von
Merseburg erinnert, wonach der Herrscher, also Otto der Große, nach
einem entsprechenden Traumbefehl den ersten ihm im Kloster St. Emmeram
in Regensburg begegnenden Kleriker zum Bischof dieser Stadt
erhob.814
Etwas anders strukturiert sind die Traumerzählungen, in denen der
Gewählte selber angesprochen wird. Abt Suger von St. Denis erwähnt in
seiner Biographie Ludwigs VI. beiläufig, daß Gui, Erzbischof von Vienne,
in der Nacht vor dem Begräbnis des Papstes Gelasius II. im Jahre 1 1 19
symbolisch von seiner Wahl zum neuen Oberhaupt der Kirche träumte.
Er sah im Schlaf ein allmächtiges Wesen, das ihm einen Mond übergab,
813 Siehe oben, Kapitel 3.3.1 der vorliegenden Arbeit.
814 Siehe oben, Kapitel 4.4.2 dieser Arbeit.
DER TRAUM ALS PERSÖNLICHES ERLEBNIS 353
den es unter seinem Mantel getragen hatte.815 Einige Tage später erfolgte
durch die in Cluny versammelten Kardinäle wirklich die Wahl Guis zum
neuen Papst. Nun verstand er das nächtliche Gesicht mit der feierlichen
Übergabe eines Mondes und teilte das Vorzeichen den Klerikern
seiner Umgebung mit, wodurch sich auch die Kenntnis Sugers erklärt.
– Bei seiner Wahl nahm Gui den Namen Calixt li. an. Wegen des Investiturstreites
mußte er in Mauritius Burdinus, Erzbischof von Braga,
einen Konkurrenten bekämpfen, der vom deutschen Kaiser schon gegen
Gelasius li. aufgestellt worden war. Dieser als Gregor VIII. anfangs erfolgreiche
Gegenpapst vermochte aber Calixts Einzug in Rom nicht zu
verhindern. Schließlich wurde Burdinus ergriffen, seiner Würde entsetzt
und in Anspielung auf seinen Namen als Esel verspottet und bis an sein
Lebensende in einem apulischen Kloster eingekerkert.816
Vergleicht man nun diese Episode mit dem von Papst Nikolaus V. im
Gespräch mit Kaiser Friedrich III. als Wahrtraum mitgeteilten Erlebnis,
so ergeben sich trotz des Abstandes von über dreihundert Jahren frappante
Ähnlichkeiten. In der Nacht vor Papst Bugen IV. Tod (1147} sah
Nikolaus, damals noch Kardinal, den ffi. Vater auf sich zukommen und
ihm die Insignien der Papstwürde, Tiara und Mantel, überreichen.817
Hervorzuheben ist zunächst, daß die Wahl zum Oberhaupt der Christenheit
den beiden Männern nicht direkt, sondern bildlich in Form
der Übergabe bestimmter Insignien angekündigt wurde. Wenn es sich
dabei um echte Erlebnisberichte handeln sollte, könnte man diese einfache
Art von Symbolverwendung mit der Tendenz des Traumprozesses
zur Verbildlichung abstrakter Sachverhalte erklären. Die beiden
Erzählungen enthalten aber noch eine weitere interessante Gemeinsamkeit:
auch Papst Nikolaus V. hatte in dem vom Basler Konzil gewählten
Felix V. einen Rivalen in seinem Anspruch auf die Papstwürde, den er
jedoch durch kluge Diplomatie allmählich auszuschalten wußte. Von daher
entsteht der Verdacht, daß beide Träume nur fingiert sein könnten.
Diese Erfindungen wären dann in der Absicht entstanden, die Wahl eines
bestimmten Papstes durch die Vorausschau in einem nächtlichen
Gesicht als himmlischen Willen zu deklarieren und so nachträglich zu
legitimieren. In ähnlicher Weise hatte auch Suger seine dem König Lud-
815 Suger von St. Denis, Vita Ludovici grossi regis, cap. 27, S. 202.
816 Ebenda, S. 204 f.
817 Siehe oben, Kapitel 4. 7 dieser Arbeit.
354 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
wig zunächst gar nicht genehme Wahl zum Abt von St. Denis mit einem
als Wahrtraum dargestellten Erlebnis in Verbindung gebracht.818
Neben der Legitimation eines Amtsinhabers konnte der Traum auch
dazu dienen, einen Anspruch auf ein bestimmtes Amt zu erheben. Deutlich
faßbar wird diese Funktion im Falle der Nachfolge Hathumodas, als
die Erscheinung der Verstorbenen im Traum des Onkels die Wahl ihrer
Schwester Gerberga zur neuen Äbtissin von Brunhausen wünschte.819
Ein erstaunlicher Versuch einer Beeinflussung der zuständigen Ernennungsorgane
ist dann am Ende des 12. Jahrhunderts in den Schriften
des Gerald von Wales dokumentiert. Es ist bekannt, daß dieser Gelehrte
nach längerem Dienst als Erzdiakon von St. Davids nach dem Tod seines
Vorgesetzten nach der Bischofswürde strebte. Den Sitz von St. Davids
in Wales hatte zuvor schon einmal einer von Geraids Onkeln mütterlicherseits
eingenommen, und Gerald selber besaß gute Voraussetzungen
für dieses Amt, das ihm mehrfach greifbar nahe schien. König Heinrich
II. und seine Nachfolger scheuten sich aber – vielleicht auch nach den
Schwierigkeiten mit Thomas Becket – die energische Person Geraids in
einem so wichtigen Bistum am Rande ihres Herrschaftsbereichs einzusetzen,
und so wurde schließlich nichts aus dessen Ambitionen. Nach
dieser Skizze der Situation Geraids versteht man bereits, warum er sich
in einer seiner autobiographischen Schriften selbst für den Bischofsstuhl
anpreist. Er zählte alle Faktoren, die seine Hoffnungen auf eine Ernennung
begründen sollten, einzeln auf: Seine grundsätzlich lauteren, guten
Absichten, die Sympathie seiner walisischen Landsleute, seine klerikale
Integrität {Einhaltung des Zölibats, eheliche Geburt usw.), die Gunst,
die er bei einem Aufenthalt in Rom an der Kurie genossen hatte und endlich
dann die offenbar schon im 12. Jahrhundert bekannte Gleichsetzung
von ‚Vox populi‘ und ‚Vox Dei‘.820
Was Gerald mit diesem letzten Argument meinte, zeigt sich in der
Traumsammlung, die den Hauptinhalt des ganzen Kapitels bildet. In
episodenhafter Form reiht Gerald hier eigene und fremde Traumerlebnisse
aneinander, die sich alle in irgendeiner Weise auf ihn zu beziehen
scheinen. So sah ein Priester den Erzdiakon als Sonne über dem Westen
der Stadt St. Davids aufsteigen, womit nach Gerald entweder seine
818 Siehe oben, Kapitel 4.4.3 dieser Arbeit.
819 Siehe oben, Kapitel 4.5.2 dieser Arbeit.
820 Gerald von Wales, De invectionibus, Opera 1 , lib. VI, cap. 2, S. 155 f.
DER TRAUM ALS PERSÖNLICHES ERLEBNIS 355
zukünftige Stellung als Bischof in dieser Stadt oder aber sein Ruhm
als Schriftsteller gemeint sein konnte.821 Ein Kaplan sah einen feurigen
Löwen die Kathedrale von St. Davids umkreisen und schließlich in
die Kirche eintreten, und eine Witwe hatte einen Traum, in welchem
ein Drache nach St. Davids flog.822 Es ist hier leider nicht möglich,
alle 31 Erzählungen zu referieren oder in ihren einzelnen Bezügen zu
analysieren. Das Verhältnis des Klerikers Gerald zum Traum könnte
durchaus Objekt einer interessanten Spezialstudie sein. Wesentlich für
die Frage der politischen Nutzbarmachung des Traums im Mittelalter ist
meines Erachtens vor allem die Tatsache, daß Gerald solche Erzählungen
überhaupt sammelte. Allerdings schrieb er „De invectionibus“ als Rückblick
auf seine Laufbahn als Geistlicher und mußte zu diesem Zeitpunkt
das Scheitern seiner Ambitionen bereits geahnt haben. Daher versuchte
er mehrmals, die Träume auf etwas Größeres als die Bischofswürde, also
wahrscheinlich auf eine hohe Stellung im Jenseits zu beziehen. Aussagekräftig
ist ferner die soziale Zusammensetzung der Träumer: zehn
Kleriker stehen drei Mönchen und einer Nonne gegenüber, während sich
der Laienstand mit insgesamt siebzehn Vertretern sogar in der Mehrheit
befindet. Von diesen siebzehn Träumern sind nur zwei als Adelige
gekennzeichnet und immerhin zwei weiblichen Geschlechts. So wird erkennbar,
daß bei ‚Vox populi – Vox Dei‘ gegen Ende des 12. Jahrhunderts
wirklich ein beinahe repräsentativer Querschnitt durch die Bevölkerung
gemeint war, daß aber diese Leute nicht direkt um ihre persönliche Meinung
gefragt wurden, sondern daß das Medium des Traumes und damit
eben wieder die Stimme Gottes als ausschlaggebend betrachtet wurde.
Wenn sich seit dem 12. Jahrhundert sogar Vertreter des einfachen
Volkes auf Träume berufen konnten, um ihrem Willen Ausdruck zu geben
oder wenigsten gewisse personelle Präferenzen kundzutun, so hinderte
nichts die Herrscher, dasselbe zu tun. Als typisches Beispiel für die
Nutzbarmachung des Traumphänomens auf höchster politischer Stufe
möchte ich hier den Wahrtraum des späteren Kaisers Karl IV. vom 15.
August 1333 bei Terenzo zitieren, den er während eines Feldzuges in
Italien erlebte:
„In jener Nacht aber, als uns der Schlaf übermannte, hatten wir
eine Erscheinung. Denn ein Engel des Herrn trat zur Linken unse-
821 Ebenda, lib. VI, cap. 6, S. 158 ff.
822 Lib. VI, cap. 10, S. 162.
356 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
res Lagers, stieß uns in die Seite und sprach: ‚Steh auf und folge
uns!‘ Wir antworteten im Geiste: ‚Herr, ich weiß weder wohin, noch
wie ich mit Euch gehen soll.‘ Und er nahm uns von vorn an den
Haaren und trug uns mit sich durch die Lüfte, bis wir uns über einem
großen Reiterheere befanden, das kampfbereit vor einer Burg
stand. Er hielt uns über dem Heere in der Luft und sprach: ‚Gib
acht und schau hin!‘ Und siehe, ein anderer Engel kam vom Himmel
herab mit einem feurigen Schwert in der Hand. Damit durchbohrte
er einen Menschen, der sich inmitten des Heeres befand und schlug
ihm das Geschlechtsteil ab. Schwer verletzt rang dieser, noch auf
dem Pferde sitzend, mit dem Tode. Da ergriff uns der Engel wieder
bei den Haaren und sprach: ‚Kennst du jenen, der von dem Engel
durchbohrt und tödlich verwundet wurde?‘ Darauf antworteten
wir: ‚Herr, ich kenne ihn nicht, auch der Ort ist mir unbekannt‘.
Er sprach: ‚Wisse, dies ist der Dauphin von Vienne, der wegen der
Sünde der Ausschweifung so von Gott durchbohrt wurde. Nun also
nehmt Euch in acht! Auch Eurem Vater könnt Ihr sagen, er solle
sich vor solchen Sünden hüten, sonst widerfahrt Euch noch Schlimmeres.‘
Es erfaßte uns Mitleid mit Wigo, dem Dauphin von Vienne,
dessen Großmutter die Schwester unserer Großmutter war. Er selbst
war der Sohn der Schwester König Karls I. von Ungarn.
Von Mitleid ergriffen fragten wir den Engel, ob Wigo vor seinem
Tode noch beichten könne. Der Engel aber antwortete und sprach:
‚Er wird noch beichten und einige Tage leben.‘ Da sahen wir auf
dem linken Flügel des Heeres viele Leute stehen, in weiße Gewänder
gekleidet, als seien es Männer von großer Würde und Heiligkeit. Sie
sprachen miteinander und richteten ihre Aufmerksamkeit auf das
Heer und das, was geschehen war. Wir beobachteten sie genau. Wer
aber diese ehrwürdigen Männer waren, wurde uns nicht zu fragen
erlaubt, noch von dem Engel erklärt. Plötzlich waren wir wieder
an unseren alten Ort zurückversetzt, während der Morgen schon
graute.823
823 Vita Caroli quarti. Ed. lat. dt. E. HILLENBRAND, cap. 7, S. 110 f.: Illa vero
nocte cum no$ $Opor invaderet, apparuit nobi& quendam vi&io, quoniam ange/us Do·
mini a$titit no$ in /atere dicen$: ‚Surge et veni nobi$CUm. ‚ Nos autem respondimus
in spiritu: ‚Domine, nec scio quo nec quomodo vobiscum eam. ‚ Et accipiens nos per
capi//o$ anterioris partis capitis ezportavit no$ $ecum in aerem usque $Uper magnam
DER TRAUM ALS PERSÖNLICHES ERLEBNIS 357
Der erschütterte Prinz schenkte dem dramatischen Gesicht vollen Glauben
und erzählte es dem ihn weckenden Kammerherrn. Zu diesem
Zeitpunkt plante man militärische Unterstützung für den Dauphin von
Vienne und Karl beendete seinen Bericht über das Ableben des Verwandten
daher mit den Worten: „Unsere Hilfe nützt ihm nichts, denn er ist
tot!“ . Der Prinz wurde nur ausgelacht, er versuchte danach seinen Vater,
König Johann von Böhmen, von der Sinnlosigkeit der geplanten Hilfe zu
überzeugen. Karl fand dabei allerdings kein Gehör und wurde vom Vater
wegen seines Traumglaubens getadelt. Nach einigen Tagen traf zum
Erstaunen aller die Todesnachricht ein. Der mit dem Haus Luxemburg
entfernt verwandte Thronfolger von Vienne war am 28. Juli 1333 bei der
Belagerung von Schloß La Perriere in Savoyen gestorben. Der Dauphin
erlag den Folgen einer Verwundung, die er am Vortag durch einen Armbrustschuß
erlitten hatte.824 Die Erzählung des Traumes vor Zeugen beaciem
armatorum equitum, qui 3tabant ante unum ca3trum parati ad proelium. Et
tenebat no3 in aere 3uper aciem et dizit nobi3: ‚Re3pice et vide. ‚ Et ecce alter angelus
de3cenden3 de celo, haben3 igneum g/adium in manu percu33it unum in media acie
et abscidit sibi membrum genitale eodem gladio, et ille tamquam Zetaliter vulneratus
agonizabat equo insiden3. Tune tenen3 no3 per capillo3 angelu3 dizit: ‚Cogno3CÜ i/.
/um, qui percussus est ab angelo et vulneratum ad mortem􀅨‘ Tune dizimu3: ‚Domine,
ne3cio, nec locum cogno3co. ‚ Dizit: ‚Scire debe3, quod hic est Delphinu3 Viennensü,
qui propter peccatum luzurie 3ic a deo est percussus; nunc ergo cavete et patri vestro
potestis dicere, quod sibi caveat de similibus peccatis, vel peiora accident vobi3. ‚ Nos
autem compa3si illi Delphino Viennensi, nomine Bigoni3, cuiu3 avia fuerat soror
avie nostre, et ipse erat filius sororis regis Ungarie K aroli primi. – Interrogavimus
angelum, utrum posset confiteri ante mortem, et contristatus eram valde. Re3pondit
autem angelu3 dicen3: ‚Habebit confeuionem Et vivet aliquot diebu3. ‚ Tune vidimus
inparte sinistra aciei multos viros stante3 amictos pallis albis, quasi essent viri magne
reverencie at sanctitatis, loquebanturque ad invicem respicientes super aciem et
super ea, que gesta erant, et bene ip3os notavimus. Nec tarnen graciam interrogandi
habuimu3 nec per se angeles (retulit), qui vel qua/es e33ent viri illi tante reverencie.
Et subito restituti fuimus ad locum no3trum aurora iam clare3cente. Übers. von
HILLENBRAND, S. 111-113.
824 Eine mögliche Interpretation dieser Traumerzählung wäre im politisch-diplomatischen
Bereich anzusiedeln: Die brutale Verwundung eines Fürsten, die Karl so
ausführlich und schonungslos darstellt, könnte auch eine Abwendung von seinen
Verwandten in der Dauphine signalisieren, welche ursprünglich als Reichslehen galt
und dessen Oberherrschaft widerrechtlich gegen Geldzahlungen an den französischen
König übertragen worden war. Damit wäre eine klare Stellungnahme für das deut358
ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
reits vor dem Eintreffen der Nachricht gilt heute als wichtiges Kriterium
fü r die Zuverlässigkeit von Berichten über behauptete außersinnliche
Wahrnehmung. Aufgrund der Übereinstimmung von Karls Erzählung
mit ähnlichen Berichten aus der Gegenwart kann dieses Gesicht trotz der
Stilisierung nach biblischem Muster {Dan. 10,4-11) und der moralisierenden
Te ndenz, welche die sexuelle Ausschweifung der Fürsten mit dem
Tode bedroht, im Kern als echte Traumwahrnehmung des Unglücks eines
Bekannten angesehen werden. Eine zeitliche Verzögerung bei telepathischen
Todesankündigungen wird heute von Parapsychologen ebenfalls
beobachtet und ändert nichts an der Glaubwürdigkeit der Traumerzählung.
Auch die kritische Analyse des Textes selbst weist auf einen Erfahr
ungsbericht und nicht auf eine zweckgericht ete Fiktion des Autors
hin. In einer fingierten Traumerzählung würde wohl kaum von einer Verwundung
durch das Schwert die Rede sein, wenn der Dauphin in Wirklichkeit
durch einen Pfeil umkam. Das Schwert als symbolisches Werkzeug
einer Bestrafung durch Kastration entspricht dem Traum zweifellos
besser. Ebenso typisch im Sinne einer unklaren Traumszene wirkt das
völlig unmotivierte Auftreten von würdigen, weißgekleideten Männern,
das Karl zwar erwähnte, sich aber nach eigenem Eingeständnis nicht
erklären konnte. – Diese Fe ststellung erübrigt aber nicht die Frage nach
der Funktion der so ausführlich beschriebenen Traumepisode in der Autobiographie
eines deutschen Herrschers. Über die Abfassungszeit und
die mit diesem Werk verfolgte Absicht haben die Historiker schon seit
längerem diskutiert. Heute neigt man zu der Auffassung, daß die Erhebung
Karls zum deutschen König den politischen Zielpunkt des Werkes
ausmacht , der Text des Werks also nicht zufällig mit dem 11. Juli 1346,
dem Datum der Wahl durch die Mehrheit der Kurfürsten abbricht. 825
Freilich war diese Krönung alles andere als unbestritten, und Karl blieb
bis zum Unfalltod Kaiser Ludwigs des Bayern im Oktober 1348 ein Gesehe
Reich seitens des Luxemburgers erfolgt. Diese These stammt von E. RILLENBRAND,
Die Autobiographie Karls IV. – Entstehung und Funktion, Blätter für dt.
Landesgeschichte 114 (1978), S. 39-72; 62 f.
825 Bei HILLENBRAND, Vorwort zur Textedition S. 18 ff.; S. 31 f. wird das Werk mit
einleuchtenden Argumenten ins Jahr 1350 datiert, in dem der Kaiser von bedrohlichen
Lähmungssymptomen befallen war und daher Anlaß und Muße zum Diktat dieser
persönlichen Rückschau gegeben waren.
DER TRAUM ALS PERSÖNLICHES ERLEBNIS 359
genkönig von Papstes Gnaden. Allgemeine Anerkennung gewann er erst,
als er sich nach längeren Verhandlungen mit den Söhnen Ludwigs über
Zugeständnisse einigen konnte und als er nach dem Tod des von der Partei
der Wittelsbacher zum Herrscher gewählten Günther von Schwarzburg
am 17. Juni 1349 von allen Kurfürsten seine Wahl zum König
nochmals bestätigen ließ.
Die Autobiographie des Kaisers ist in der Tradition des Fürstenspiegels
gehalten und seinen Nachfolgern gewidmet. Sie enthält neben handlungsbezogenen
Schilderungen auch philosophische und theologische Betrachtungen
sowie eine regelrechte Predigt über das Evangelium vom im
Acker verborgenen Schatz {Mt. 13,44-52), über deren Grundzüge Karl
nach eigener Aussage einmal im Traum nachgedacht haben will.826 Die
religiösen Bezüge der Schrift können aber nicht die allgemeine Grundtendenz
verschleiern, Karls Anspruch auf die deutsche Krone zu rechtfertigen
und sich als christlicher Herrscher nach Vorbild biblischer Könige
wie David und Salomon zu präsentieren. RILLENBRAND drückt dies
prägnant aus, wenn er sagt: „Seine Selbstdarstellung ( … ) zielt auf den
Nachweis, daß er von Anfang an für das höchste Amt prädestiniert war.
Karl erzählt nicht die Geschichte seiner Jugendzeit, sondern die Geschichte
seiner Berufung.“827
Dieser Tendenz entspricht nach meiner Auffassung genau die Funktion
der Erzählung über die Vision von Terenzo. Mit einem derart
eindrücklichen Wahrtraum konnte Karl beweisen, daß er schon in jungen
Jahren von Gott einer direkten Botschaft gewürdigt worden war und sich
daher für die Herrscherwürde als sehr geeignet ansehen durfte. Die Konkurrenzsituation,
in der sich Karl gegenüber Ludwig dem Bayern und
später Günther von Schwarzburg zu behaupten hatte, erinnert stark an
die ähnlichen Ausgangslagen bei den Wahlen der Päpste Calixt Il. und
Nikolaus V., die ja beide einen Gegenpapst ausmanövrieren mußten.
Aufgrund dieser Ubereinstimmungen und der weiteren Belege möchte
ich die These wagen, daß der Traum im Mittelalter in der Praxis häufig
als Legitimationsinstrument für umstrittene Ansprüche auf Herrschaft
oder ein ganz bestimmtes Amt benutzt wurde.
Zum Schluß soll noch kurz auf ein lateinisches Gedicht aus dem
Umkreis des französischen Königs Karl V. (gest. 1380) hingewiesen wer-
826 Ebenda, cap. 11, S. 144 ff.
827 HILLENBRAND, Einleitung zur Textedition, S. 38.
360 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
den. Es trägt den Titel „Somnium viridiarü“ , wurde kurz darauf in die
Volkssprache übersetzt und hat als Vorlage für viele ähnliche Schriften
gedient.828 Darin werden der Gegensatz zwischen den politischen Institutionen
Frankreichs und den Vertretern der Kirche bzw. dem Papsttum
thematisiert und die Argumente beider Seiten aufgeführt. Der gesamte
Dialog, in dem sich viele polemische Äußerungen gegenüber dem Klerus
finden, spielt sich jedoch im Rahmen einer Traumerzählung ab. Dadurch
machte der anonyme Dichter sein Werk in doppelter Weise unangreifbar,
denn für Träume konnte man ja kaum zur Verantwortung gezogen werden.
Zudem erhielt die Kritik an manchen konkreten Mißständen und
allgemein am Machtstreben der Kirche den Rang einer göttlichen Botschaft
und gewann so noch an Gewicht. – In ähnlicher Weise kleidet
der Ritter Hans von Herrnansgrün sein Mißfallen an den Zuständen im
deutschen Reich unter Kaiser Maximilian I. in eine Traumerzählung.829
Darin erscheint kein geringerer als Kaiser Friedrich Barbarossa, dem die
scharfe Kritik des Autors an der wenig energischen politischen Führung
des Reichs in den Mund gelegt wird. Der Traum gipfelt in der Forderung,
daß Kaiser Maximilian auf die Alleinherrschaft verzichten sollte und die
Reichsfürsten zum Wohle aller sich mehr an der Regierung zu beteiligen
hätten. Derartige Propagandatexte bezeugen neben dem angestrebten
politischen Nutzen wiederum das hohe Prestige, daß der Traum als
Träger himmlischer Botschaften trotz aller theologischen Bemühungen
um Differenzierung und Relativierung noch bis weit in die frühe Neuzeit
hinein genoß.
4.9. ZUR FUNKTION DE S TRAUMS IN DER MITTELALTERLICHEN
GE SELLSCHAFT
Eine Gesellschaft, welche sich in irgendeiner Form der Schriftlichkeit bedient,
hinterläßt Texte, welche ihrem Wesen weitgehend entsprechen.
Diese sowohl auf absichtlichen, aber auch auf unbewußten Tendenzen
jeder tradierenden Quelle anspielende Regel gilt ebenso für das Untersuchungsobjekt
des vierten Teils, nämlich die Traumberichte, welche
828 Le Songe du vergier. Ed. des mittelfranzös. Textes von Marion SCHNERBLIEVRE,
2. Bde. Paris 1982.
829 Nähere Angaben bei Claudia MÄRTL, Zum ‚Traum‘ des Hans von Hermansgrün,
Zeitschrift für historische Forschung 14,3 ( 1987) S. 257-264.
DER TRAUM ALS PERSÖNLICHES ERLEBNIS 361
persönliche Erfahrungen spiegeln. Wir können von der wissenschaftlich
erhärteten Beobachtung ausgehen, daß der Mensch normalerweise
jede Nacht träumt, sich aber am Morgen jeweils nur an einen Bruchteil
des im Schlaf Erlebten erinnern kann. Im Verlauf eines ganzen Menschenlebens
treten viele Träume ins Bewußtsein, welche jedoch höchstens
ausnahmsweise schriftlich fixiert werden. Deshalb stellt sich hier wie
bei allen autobiographischen Texten die Frage nach den Auswahlkriterien,
welche bewirken, daß einige Erfahrungen den Mitmenschen erzählt
oder sogar in irgendeiner Form dokumentiert werden. Heute werden
Träume häufig im Rahmen einer psychologischen Therapie oder auch zu
Forschungszwecken mitgeteilt und niedergeschrieben. Im privaten Kreis
mag ein Traum auch wegen seiner großen Eindrücklichkeit oder wegen
stark angsterregender Inhalte zum Gesprächsthema werden.
Die Menschen des Mittelalters erlebten in ähnlicher Weise aufwühlende
Träume und verspürten ebenfalls mitunter das Bedürfnis, mit einer
anderen Person über solche Erfahrungen zu sprechen. Das Gespräch Annos
Il. von Köln mit einem Vertrauten über einen beunruhigenden Traum
hatte zur Folge, daß der Erzbischof die Verbannung von Kölner Bürgern
aufhob. König Heinrich I. von England vertraute den Alptraum vom drohenden
Angriff aller drei gesellschaftlichen Stände auf seine Person dem
Leibarzt an und erhielt den Rat, sein Gewissen durch Almosenspenden
zu beruhigen. Die Mutter des Abtes Wibert von Nogent beeinflußte ihren
Sohn als Kind und noch als jungen Erwachsenen durch die Erzählung
von Träumen, welche sich auf seine Lebensführung zu beziehen schienen.
Abt Geoffrey von St. Alban besprach mit einem Mönch einen symbolischen
Traum, den er nicht verstand, und der sich auf seine geistige
Freundin Christina von Markyate bezog. Die Mystikerin Margaretha
Ebner wiederum wurde von ihrem Seelenführer Heinrich von Nördlingen
aufgefordert, ihm näheres über jenen Traum mitzuteilen, in dem ihr
befohlen worden war, sich Heinrich unterzuordnen.830 In solchen Dialogen
– sie werden in den schriftlich überlieferten Traumerzählungen eher
zufällig erwähnt – stand oft die konkrete Handlungsanweisung, die aus
den nächtlichen Erlebnissen abgeleitet wurde, im Vordergrund. Manchmal
ging es aber zunächst nur um das Bemühen, einen weniger klaren,
aber doch eindrücklichen Traum richtig zu deuten.
Aufgeschrieben wurden im Mittelalter natürlich nur solche Träume,
830 Ma.rgaretha Ebner, Offenbarungen, Brief Nr. 13, S. 189.
362 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
die einer Deutung zugänglich erschienen. Im Unterschied zu heute bezog
man diese Traumbilder dabei auf die Zukunft oder allenfalls noch
auf die unmittelbare Gegenwart desjenigen, dem sie widerfahren waren.
Das rührt daher, daß man gemäß der in manchen Bereichen den sogenannten
‚primitiven Gesellschaften‘ vergleichbaren Mentalität Träume
häufig als höhere Ebene der Wirklichkeit erfuhr und demzufolge in Übereinstimmung
mit vielen biblischen Texten leicht als Einflußsphäre von
überirdischen Mächten verstehen konnte. In einer erst vor kurzem christianisierten
Welt traten in der Traumhandlung an Stelle der heidnischen
Götter und Geister dann eben Engel, Heilige oder höllische Dämonen
auf. Selbst da, wo keine überirdischen Figuren im Spiel waren, zeigte
sich der Betroffene oft gerne bereit, in der Traumhandlung eine Botschaft
Gottes zu sehen oder wenigsten aus dem allgemeinen Sinngehalt
eine prophetische Andeutung abzulesen. Es liegt auf der Hand, daß
gerade Traumgesichte, die von einer höheren Instanz herzurühren schienen,
auch als besonders wertvoll betrachtet wurden. Solche Träume
wurden zugunsten eines größeren Personenkreises bzw. der Nachwelt zur
Belehrung überliefert und ganz bewußt im Rahmen von biographischen
Werken oder autobiographischen Notizen in Chroniken schriftlich festgehalten.
Daraus resultiert nach meiner Auffassung bereits das wichtigste
Auswahlkriterium für die schriftliche Überlieferung.
* * *
Helfende, bestätigende, warnende und ermahnende Träume bilden also
einen beachtlichen Teil des aus dem Mittelalter überlieferten Materials.
Obwohl diese Erzählungen fast ausnahmslos von Vertretern des Klerus
stammen, und eine belehrende Funktion im Sinne der religiösen Propaganda
in vielen Fällen deutlich erkennbar ist, kann man diesen Autoren
die ehrliche Absicht, Erfahrungsberichte aus eigenem oder fremdem
Erleben wiederzugeben, jedoch nicht generell absprechen. – Eine
moralisierende Tendenz wird hauptsächlich faßbar im Bereich der Sexualität.
Die Abwertung des menschlichen Geschlechtstriebes durch die
offizielle kirchliche Lehre zwang die einzelnen Kleriker und unter ihnen
vor allem die Ordensangehörigen zu einem harten Kampf gegen die
eigene Natur. Dieser Konflikt spiegelte sich auch in ihren Träumen:
Während einzelne um das Motiv der Kastration kreisende Szenen mit
erstaunlicher Offenheit geschildert wurden, beschrieb man Bilder von
DER TRAUM ALS PERSÖNLICHES ERLEBNIS 363
verführerischen Annäherungen oder eindeutig sexuellen Handlungen wegen
ihrer Anstößigkeit nur sehr allgemein und brandmarkte sie häufig
als Einflußversuche von bösen Geistern. Die hier erkennbare Zensur der
Kleriker wirkte auf zwei verschiedene Arten, nämlich auf der ideologischen
und der mehr praktischen Ebene. Die von der Kirche vertretene
Sexualfeindlichkeit führte offenbar dazu, daß im Spätmittelalter auch
Laien ihre sexuellen Träume gemäß der offiziellen Lehre als reale Einwirkung
von Dämonen, der „incubi“ oder der „succubi“, verstanden. Die
monopolartige Stellung, welche der Klerus in der Schriftlichkeit bis ins
Hochmittelalter behauptete, bewirkte zudem in der Praxis, daß die entsprechenden
Träume in den Quellen dieser Epoche nicht näher geschildert,
sondern höchstens als Beispiel für die dämonische Einflußnahme
kurz erwähnt wurden.
In den spätmittelalterlichen Frauenklöstern entstanden Aufzeichnungen
über das mystische Leben, in dem Träume und Visionen eine
wichtige Rolle spielten. Diese der hagiographischen Quellengattung nahestehenden
Schriften waren von der Absicht geprägt, jüngere Nonnen
durch den vorbildlichen Lebenswandel und die mystischen Erfahrungen
älterer Klosterfrauen zu belehren und zu ermutigen. So erstaunt es nicht,
daß in den hier geschilderten Träumen besonders häufig Engel, Heilige
und geistliche Würdenträger auftraten, und daß die Nonnen – ähnlich wie
in den Visionen – sogar Christus zu sehen und zu hören glaubten. Durch
solche Traumerscheinungen fühlte sich die betroffene Frau und indirekt
auch der ganze Konvent bestätigt in ihren spirituellen Anstrengungen
auf dem mystischen Weg zur Heiligkeit. Dennoch sind derartige Texte
keineswegs ausschließlich als hagiographische Topoi oder als literarische
Fiktionen einzustufen. Man muß im Gegenteil an die intensive Konditionierung
denken, der alle Klosterinsassen, ganz besonders aber die sehr
abgeschlossen lebenden Dominikanerinnen ausgesetzt waren. Bei einer
ständigen Beeinflussung durch das fromme Milieu spiegelten sich neben
den mehr alltäglichen Verrichtungen natürlich manchmal auch religiöse
Wünsche und biblische Meditationen in den Träumen der Nonnen, wobei
dann bei der Niederschrift selektiv verfahren wurde. Erstaunlicherweise
drangen die männlichen Vertreter der Mystik mit ihrer Forderung nach
Verzicht auf innere Bilder bei den weiblichen Angehörigen des Dominikanerordens
nicht durch831 , was wiederum die Grenzen der kirchlichen
831 A. HAAS, Traum und Traumvision in der Deutschen Mystik, S. 47 f.
364 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
Disziplinierungsversuche im Bereich des Traums sehr deutlich sichtbar
macht.
* * *
Obwohl das gesammelte Traummaterial zeitlich und regional viel zu heterogen
ist, um eine Auszählung der Themen oder gar eine statistische
Analyse zu rechtfertigen, fällt bei der groben Durchsicht der Quellentexte
immerhin der große Anteil von Todesträumen auf. Eine Erklärung, weshalb
gerade diese Thematik so häufig überliefert wurde, liegt gewiß in
ihrem besonders eindrücklichen, affektbesetzten Charakter. Die mehr
oder weniger deutliche Ankündigung, daß der Träumer bald sterben
müsse oder die Mitteilung vom Hinscheiden eines mit ihm in enger emotionaler
Beziehung stehenden Bekannten, mußte den Schläfer sehr erschrecken.
In einigen Fällen verstand man eine solche Botschaft auch als
Ermahnung, sich noch in letzter Stunde zu bessern oder sein Gewissen
durch Beichte und Buße zu entlasten, denn der Tod wurde im Mittelalter
ja nicht als unvermeidliches Ende, sondern als Übergang zu einer
neuen Lebensform betrachtet. Ebenfalls einen appellativen Charakter
hatten oft die Gespräche mit Verstorbenen, wobei hier die warnende
bzw. korrigierende Funktion des Traumes durch das Eindrückliche einer
Totenerscheinung noch verstärkt wurde. Andererseits galt der Traum
traditionell als das geeignete Medium, in dem sich die Verstorbenen an
Angehörige oder andere nahestehende Personen wandten, um sich deren
Gebete für ihre Seelenruhe und weitere Formen des Beistandes zu erbitten.
Diese Funktion des Traumes hat J. C. SCHMITT in einer Studie
hauptsächlich anband der Memoiren Wiberts von Nogent herausgearbeitet;
seine Schlußfolgerungen sind jedoch in bezug auf die zentrale Bedeutung
dieser Totenerscheinungen für die mittelalterliche Volkskultur wegen
der Vernachlässigung aller anderen aus dieser Epoche überlieferten
Traummotive nur mit großem Vorbehalt zu akzeptieren.832
Traumwahrnehmungen vom Sterben einer Drittperson sind in mittelalterlichen
Quellen sowohl für Heilige als auch für durchschnittliche
Menschen mehrfach und in glaubhafter Weise bezeugt. Dieses an Telepathie
grenzende Ahnungsvermögen konnte unter Umständen zeitlich weit
832 J. C. SCHMITT, Rever au xn• siede, in: T. GREGORY (Hg.), I sogni nel
Medioevo, S. 291-316.
DER TRAUM ALS PERSÖNLICHES ERLEBNIS 365
vorausgreifen und auch ganze Gruppen von Menschen, also ein Kollektivschicksal
betreffen. Wenn solche Voraussagen dann wirklich eintrafen,
so halfen sie natürlich mit, den Traumseher oder prophetischen Warner
in den Ruf der Heiligkeit zu bringen bzw. sein Ansehen noch zu vermehren,
obwohl diese charismatische Begabung von der Kirche nie isoliert
von anderen Charaktereigenschaften betrachtet wurde.
* * *
Die Kirche nahm gegenüber dem naiven Traumglauben im allgemeinen
eine kritische Haltung ein; seit dem hohen Mittelalter bemühten sich
die Theologen gemäß der antiken Tradition immer wieder um eine differenzierte
Betrachtungsweise des Traumphänomens. Die Kirche neigte
aber dazu, jede eingehendere Beschäftigung mit den Träumen abzulehnen
und verbot ferner ausdrücklich alle Praktiken und Nachschlagewerke,
welche auf eine fixe Deutung von einzelnen Traummotiven hinausliefen.
Trotzdem blieb der Traum während des ganzen Mittelalters das
Medium, in dem der einzelne Mensch den Boten Gottes zu begegnen
hoffte, und wo er in Anlehnung an antike Orakelbräuche einen Blick in
die Zukunft werfen oder sogar konkrete Handlungsanweisungen erhalten
konnte. Weil diese Vorstellungen mit der Hl. Schrift wenigstens teilweise
übereinstimmten, zögerten die Kleriker nicht, eigene oder fremde
Träume zusammen mit den Interpretationsversuchen der Betroffenen in
ihren Werken zu überliefern. Selbst die verrufenen Traumbücher wurden
in Klöstern abgeschrieben und der Nachwelt in mehreren Dutzenden
von Manuskripten erhalten, so daß man die Auswirkung des kirchlichen
Deutungsverbots gewiß nicht überschätzen darf.
Es gelang der mittelalterlichen Kirche offensichtlich nicht, das hohe
mantische Prestige des Traumes völlig abzubauen, obwohl die scholastische
Diskussion zu einer allmählichen Differenzierung beitrug. Besonders
klar manifestiert sich die Ambivalenz der Kirche gegenüber dem
Traum im Bereich der Heiligenverehrung und des Wallfahrtswesens. Es
geschah oft, daß Kranke oder Behinderte zu einem Pilgerort kamen und
den dort ansässigen Klerikern nach ihrer als wunderbar betrachteten Genesung
von einer nächtlichen Aufforderung des Heiligen erzählten, seine
Kultstätte zu besuchen. Konkrete Handlungen wie etwa eine Wallfahrt
wurden also mit Träumen motiviert; dort, wo diese Aktionen die Kirche
nicht schädigten, sondern wie im Falle der Heiligenverehrung ihre Interessen
zu stützen und zu fördern schienen, hatte der Klerus auch nichts
366 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
dagegen einzuwenden. Indem die Kirche die Hl. Schrift zum Maßstab
des sittlichen Wertes eines Traumes erklärte, behielt sie – ähnlich wie
bei den Visionen am Tag – die oberste Kontrolle über die Auswirkungen
dieses Phänomens. In diesem Rahmen durften auch ihre eigenen Vertreter
von Träumen propagandistischen Gebrauch machen. So ist es nur
allzu begreiflich, daß auch weltliche Machthaber nächtliche Gesichte zur
Legitimierung und Stabilisierung ihrer Herrschaft benutzten, ohne daß
sie damit erkennbar Anstoß oder Widerspruch erregten.
Fragen wir nun nach der konkreten Funktion des Traumes in der
Gesellschaft, so zeichnen sich zwei Wirkungsbereiche ab: In der persönlichen
Begegnung mit dem Göttlichen suchte der Einzelne Trost, Rat und
Führung in konkreten Problemen und Entscheidungen. Träumen und
Wachen standen in Wechselwirkung zueinander mit manchmal dramatischen
Auswirkungen auf den weiteren Lebensweg des Träumers. Nicht
selten sprachen die nächtlichen Gesichte gerade bei Klerikern für das
beunruhigte Gewissen und deckten deren Abweichungen vom christlichen
Verhaltenskodex unerbittlich auf. Diese aus vielen Einzelberichten
gewonnenen Beobachtungen lassen auch bereits die Bedeutung des
Traumes für die Gesellschaft erahnen. Die seelische Stabilisierung durch
nächtliche Eingebungen erwies sich für die Allgemeinheit oft von Nutzen,
denn das Gewissen und die Traumideen waren ja wiederum vom kollektiven
Wertsystem geprägt, wobei jedoch im vorgelegten Material, das fast
ausschließlich von Klerikern stammt, allfällige Konflikte zwischen weltlichen
Ansprüchen und kirchlichen Idealen jeweils zugunsten von letzteren
gelöst wurden. Die potentiell überirdische Genese von Träumen
prädestinierte dieses Phänomen zum Instrument für die Erhöhung des
persönlichen Ansehens, sowie zur Durchsetzung von konkreten Interessen,
seien sie nun eher materieller oder auch politischer Art. Dabei kam
es mitunter wohl auch zu eigentlichen Fälschungen, die jedoch in ihrer
Häufigkeit nicht überschätzt werden sollten. – In einer unreflektierten
Voreingenommenheit ließen sich Träume sehr leicht als Aufforderung zu
einer bestimmten Handlung deuten und wurden dementsprechend zur
Motivierung von Drittpersonen verwendet. Diese Instrumentalisierung
des Traumes mag uns heute irrational und wegen ihres manipulierenden
Effektes zutiefst unsympathisch erscheinen. Dennoch akzeptieren
wir als Vertreter des 20. Jahrhunderts wohl ebenso unkritisch manche
‚Sachzwänge‘ und geraten nur zu oft in den Sog einer rationalistischen
DER TRAUM ALS PERSÖNLICHES ERLEBNIS 367
bzw. einseitig kausal-mechanischen Orientierung, welche durch manche
negativen Auswirkungen heute zumindest fragwürdig geworden ist.
* * *
Abschließend möchte ich nochmals aus psychologischer Sicht auf die
Strukturelemente des Traumes eingehen, denn eine der Zielsetzungen der
vorliegenden Untersuchung war ja die Frage nach dem geschichtlichen
Wandel eines seelischen Phänomens. Eine mögliche Antwort auf dieses
Problem kann in Anbetracht des fragmentarischen Charakters des mittelalterlichen
Quellenmaterials und bei der Unvollständigkeit der vorgelegten
Materialsammlung nur vorsichtig skizziert werden. Peter BURKE,
der anhand autobiographischer Notizen aus dem englischen Sprachraum
eine Inhaltsanalyse von Traumserien von vier Männern aus dem 17. Jahrhundert
durchführen konnte, glaubt in diesen individuellen Phantasieprodukten
prägende Elemente der in der frühen Neuzeit herrschenden
Gesellschaftsform und Kultur zu erkennen. Darüber hinaus versucht er,
religiöse Visionen und den Traum vom Hexensabbat als kollektive Mythen
zu deuten.833 Wenngleich diese Aussagen für das Mittelalter nicht
unbesehen übernommen werden dürfen, zeichnen sich bemerkenswerte
Übereinstimmungen mit den Ergebnissen dieser Forschungen ab. Auch
in der von mir untersuchten Epoche liefern die sozialen und kulturellen
Bedingungen zweifellos das Grundgerüst der individuellen Traumhandlungen.
Die uns fremden Lebensformen und die andersartigen politischen
Institutionen lassen deshalb vielleicht beim Leser den Eindruck entstehen,
daß die damaligen Träume kaum etwas mit dem nächtlichen Erleben
des modernen Menschen gemeinsam hätten. Sieht man aber einmal von
diesen äußeren Lebensumständen ab und läßt auch das kulturell bedingte
hohe Prestige des Traums als göttliches Orakel beiseite, so erweisen sich
auch jene nächtlichen Bilder als Spiegel der alltäglichen Erfahrungen
und Emotionen. Die Affekte der damaligen Menschen entzündeten sich
zwar teilweise an anders gearteten Anlässen, der Traum aber reflektierte
ähnlich wie heute Freud und Leid, Wünsche und Ängste und er tat dies
in manchmal absurd wirkenden Szenen, die sich mit den Bildsequenzen
eines Films vergleichen lassen. Neben der Visualisierung von abstrakten
833 P. BURKE, L’histoire sociale des reves, Annales E.S.C. 28 (1973) S. 329-342;
339.
368 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
Sachverhalten und Begriffen in Bildfolgen und Tierfiguren von symbolischer
Bedeutung schien die Symbolik manchmal auch im Dienste einer
inneren Zensur zu stehen, welche dem Schläfer unangenehme oder durch
die christliche Lehre tabuisierte Themen wie Tod oder Sexualität in verharmlosender
Form präsentierte. Schließlich beeindruckten damals wie
heute spontane Todesankündigungen und andere Wahrträume den Betroffenen
wie auch seine Umgebung. Solche telepathischen Erlebnisse
sind inzwischen auf die Zuverlässigkeit der Zeugen hin überprüft und
sogar wissenschaftlich untersucht worden, sie entziehen sich aber selbst
im ausgehenden 20. Jahrhundert jedem kausalen Erklärungsversuch.
ZUSAMMENFASSUNG UND AUSBLICK
Im Mittelalter entwickelte sich schon bald eine starke soziale Gliederung,
die sich beim Schlafen in der Verwendung des aus der Antike
übernommenen Bettmöbels und dessen mehr oder weniger luxuriösen
Ausstattung manifestierte. In religiösen Orden wurde beim Bettzeug
auf Bescheidenheit geachtet, aber im Unterschied zu den Laien verfügte
hier jeder Mönch über ein eigenes Lager, auch wenn es sich wie bei einem
Bauern häufig nur um eine mit Stroh gefüllte Kiste oder einen Laubsack
handelte. Der Rhythmus von Wachen und Schlafen entsprach, abgesehen
von bei Festen gemachten Ausnahmen, dem natürlichen Wechsel von
Tag und Nacht, wobei sich die Zeitmessung bis zum 14. Jahrhundert
den Schwankungen der Jahreszeit anpassen mußte. Wenige Stunden
nach Mitternacht und früher als alle anderen Menschen erhoben sich
die Mönche und Nonnen, um im Chor der Klosterkirche die Vigil oder
Mette, das erste gemeinsame Tagesgebet, zu verrichten; danach pflegten
sie zu meditieren oder in Zeiten nachlassender Disziplin nochmals zu
schlafen.
Der Schlaf galt sowohl im Kloster als auch bei den Laien als etwas,
das man fliehen oder dem man sich nicht übermäßig hingeben sollte.
Während das Grundideal der Askese das Verhalten der Ordensleute
motivierte, erschien für viele einfache Menschen die Nacht und damit
auch der Schlaf als gefährliche Zeitspanne besonders unheimlich. Naturkunde
und Medizin erklärten seit dem 12. Jahrhundert das Phänomen
des Schlafs und auch des Traums im Rahmen der antiken Viersäftelehre
als Folge der Verdauung, woraus die Ärzte dann konkrete Verhaltensregeln
ableiteten. Beobachtungen von Schlafgewohnheiten reichten vom
zufällig bemerkten Sprechen oder Schnarchen im Schlaf und Nachtwandeln
bis zur exakten Schilderung des nächtlichen Aufschreckens von kleineren
Kindern sowie der Schlaflosigkeit, welche von den davon Betroffenen
selber häufig in einen Zusammenhang mit starken Affekten gebracht
wurde.
Die Haltung der christlichen Kirche gegenüber dem Traum als Phänomen
war selbstverständlich untrennbar mit den Aussagen der Bibel
370 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
verbunden. Die der Hl. Schrift diesbezüglich innewohnenden Widersprüche
riefen nach einer Klärung. Die beiden antiken Kirchenväter Aurelius
Augustinus und Papst Gregor der Große prägten kraft ihrer Autorität
die abendländische Traumlehre entscheidend. Neben den schlechten,
vom Teufel stammenden nächtlichen Einflüsterungen und den seltenen-
Botschaften der Engel und Heiligen kannten diese Gelehrten auch
den Einfluß der Tagesgedanken und Emotionen sowie der vom Körper
ausgehenden Reize auf das menschliche Traumleben. In der Karolingerzeit
wurde diese differenzierte Haltung zurückgedrängt zugunsten eines
strikten Traumdeutungsverbotes, welches sich auf Gesetze in den
Büchern Mose stützte. Zudem bemühten sich Gelehrte auch, dem Volk
den fundamentalen Unterschied von Traumphantasien und der realen
Welt des Wachbewußtseins klarzumachen.
Im hohen Mittelalter gab es neben Klerikern, die in der traditionellen
Skepsis verharrten, auch vereinzelt Theologen, die dem Traum auf
Grund eigener Erlebnisse eine hohe Würde zusprachen und beispielsweise
bereit waren, die Angaben von Totenerscheinungen nachprüfen zu
lassen bzw. deren Bitten zu erfüllen. In der Scholastik wurde die Lehre
vom Traum weiterentwickelt, der Traum für die medizinische Diagnose
nutzbar gemacht und der voraussagende Charakter einzelner nächtlicher
Bilder mit den auf den Schläfer einwirkenden Gestirnskonstellationen
erklärt. Durch die Verknüpfung mit der Astrologie verlor der Traum
zwar etwas von seinem ursprünglich numinosen Charakter, doch war
damit dem Aberglauben noch keineswegs Abbruch getan. Im Verlaufe
des Spätmittelalters bekämpften namhafte Gelehrte den Traumglauben
bzw. das blinde Vertrauen auf die sogar in klerikalen Kreisen weitverbreiteten
Traumbücher mit festgeschriebenen Motivdeutungen. Nur vereinzelte
Theologen gingen so weit, die Möglichkeit einer himmlischen
Botschaft an einen schlafenden Menschen grundsätzlich zu verneinen;
ähnlich wie bei Visionen am Tag und Mirakeln behielt sich aber die Kirche
immer die letzte Kontrolle über solche nächtliche Eingebungen vor.
Die konkreten Träume aus dem Mittelalter spiegeln die Lebensumstände
der damaligen Menschen und wirken daher manchmal trotz der
strukturellen Übereinstimmung mit modernen Berichten ziemlich fremdartig.
Da damals fast nur Kleriker schriftkundig waren, geben die tradierten
Traumtexte vor allem die Sorgen und Nöte, die Freuden und
Wünsche der Mönche und Nonnen sowie von Weltgeistlichen wieder. So
erstaunt es kaum, daß dann religiöse Figuren oder Heilige häufig mit dem
ZUSAMMENFASSUNG UND AUSBLICK 371
Träumer in direkten Konta;􀈩t treten und ihm Befehle oder Handlungsanweisungen
übermitteln. Ahnliehe Erfahrungen machten auch Kranke,
die zu einer Pilgerfahrt aufgefordert wurden oder ausnahmsweise sogar
im Traum selber geheilt wurden. Umgekehrt war es auch möglich,
daß jemand im Traum seinen eigenen Tod vorausgesagt bekam oder
vom Sterben einer ihm nahestehenden Person erfuhr. Traten tote Angehörige
oder Freunde im Traum auf, so erbaten sie sich meist Gebetsunterstützung,
oder sie überbrachten dem Schläfer eine wichtige Nachricht.
Allgemein kann man feststellen, daß Träume für den Einzelnen und für
die Gesellschaft eine sehr große Bedeutung hatten; richtete man doch im
Zweifelsfall sein Verhalten nach einem ‚Traumbefehl‘ aus. Dieser hohe
Stellenwert schloß mehr oder weniger bewußte Manipulationen, ja sogar
Fälschungen zugunsten politischer oder materieller Interessen nicht
aus. Es sind Fälle bekannt, wo man mittels Träumen auf die öffentliche
Meinung einzuwirken trachtete, um beispielsweise die Wahl eines geistlichen
oder weltlichen Würdenträgers zu befördern oder nachträglich zu
legitimieren.
Der Traum hatte während des gesamten Mittelalters einen erheblichen
Einfluß auf alle Lebensbereiche. Dies änderte sich offenbar auch in
der frühen Neuzeit nicht wesentlich. Berufsmäßige Deuter verknüpften
die Trauminterpretation mit der astrologischen Prognose, welche sich
besonders an den Herrscherhöfen einer großen Wertschätzung erfreute.
Durch den Buchdruck fanden auch Traumlexika, vor allem das sogenannte
„Somniale Danielis“ , noch stärkere Verbreitung. Die im 12. und
13. Jahrhundert differenzierte Betrachtungsweise des Traumphänomens
drohte nun wieder im Aberglauben zu versinken. Ein neuer Zugang zu
Schlaf und Traum eröffnete sich erst in der bewußt den Nachtseiten des
Lebens zugewandten Romantik – für die stellvertretend der Arzt Carl
Gustav Carus (1789-1869) genannt sei -, sowie in den naturwissenschaftlichen
Untersuchungen des späteren 19. Jahrhunderts.
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Annales ESC
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BHL
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lat.
Lib., lib.
Ms.
repr.
s.
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Rerum Britannicarum Scriptores
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archiepiscopus, Erzbischof
Beitrag, Beiträge
capitulum
Departement
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englisch
episcopus, Bischof
folio
französisch
lateinisch
liber
Manuskript
reprint
sanctus, heilig
Quellenverzeichnis
Ungedruckte Quellen:
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Ab bildungsnachweis
Allen angeführten Institutionen sei für die Photo- und Publikationserlaubnis
herzlich gedankt. Wo nicht anders vermerkt, stammen die Aufnahmen
von der Verfasserin.
Abtei Kremsmünster, Ms. 243, Faks.ed. F. Unterkireher
Biblioteca Medicea Laurenziana, Florenz
Bibliotheque nationale, Paris
Corpus Christi College, Oxford, Photo: Bodleian Library
Herder Verlag, Freiburg im Breisgau, Bildarchiv
Umschlag, Abb. 21
Abb. 1 1
Abb. 7 , 15, 16
Abb. 19
Abb. 20
Institut für Realienkunde des Mittelalters und der frühen Neuzeit
der Österreichischen Akademie der Wissenschaften,
Photo: Tarcsay
<Euvre Notre-Dame de Strasbourg, Bureau de l’Architecture
Österreichische Nationalbibliothek, Wien
Sacro Convento, Assisi, Photo: Archivio Fotografico
Stadtbibliothek Trier
Stadtverwaltung Frankfurt am Main, Photo: Stadtarchiv
Stocker-Schmid Verlag, Zürich Dietikon
University College, Oxford, Photo: Bodleian Library
Württembergisches Landesmuseum, Stuttgart
Abb. 1
Abb. 14
Abb. 2, 12, 13
Abb. 18
Abb. 5
Abb. 3
Abb. 10
Abb. 17
Abb. 4, 6
Namens- und Ortsregister
Dieser Index enthält die historischen Personennamen sowie die geographischen
Orte in Text und Anmerkungen. Im Unterschied zu Personen
aus dem Mittelalter werden die im Text erwähnten modernen Autoren
nach dem Geschlechtsnamen eingeordnet, ebenso die römischen Schriftsteller.
(arab. = arabisch; dt. = deutsch gricch. = griechisch; hl. = heilig; röm. = römisch;
O.S.A. = Ordo sancti Augustini; O.S.B. = Ordo sancti Benedicti; O.Cart. = Ordo
Carthusianum; O.Cist. = Ordo Cisterciensis; O.M. = Ordo fratrum minorum; O.P.
= Ordo fratrum predicatorum; * = in Anmerkung]
Abaelard, siehe Petrus A.
Abbingdon, Benediktinerkloster
Abruzzen
Achmet
Adalbert, Erzbischof von Harnburg/Bremen
Adalhard I., O.S.B. Abt von Corbei
344
223,327
181
127 ff., 185
236 f.
127 ff., 185
58 f., 83 f.
Adam von Bremen
Adam von Cremona
Adam von Eynsham, O.S.B.
Adelard von Bath
Adelheid Langmann, Mystikerin
Adeldshausen, Dominikanerinnenkloster
Ägypten, ägyptisch
Aelred von Rievaulx, O.Cist.
Aeneas, antiker Sagenheld
15, 65 f., 219 f., 351
119
291
337
Aeneas Sylvius Piccolomini = Pius II., Papst
Afra (hl.), Märtyrerin
28, 91, 107* I 174* I 175, 186 f.
75 f., 284
136
170*, 170 !., 189
296 f.
271 ff., 285 f., 354
253
268
Agius von Corvey, O.S.B.
Agnes, Gräfin von Orlarnünde
Akkon, Stadt im Hl. Land, Palästina
Alberto, Sohn Giovanni Morellis
Albertus Magnus (h!.), O.P.
Aleher von Clairvaux, O.Cist.
Alemannen
Alexander der Große
Algazel, arab. Philosoph
Alger, O.S.B, Mönch in Cluny
292 ff. I 333 f.
54 f., 59 ff., 67 f., 70, 85, 144 ff., 153,
156 f., 166, 173, 183, 187 I 193, 216* 1 309 ff.
117 f., 134, 283
28
230
147
46
388 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
Ali ibn al Abbas, arab. Arzt
Alkuin (hl.)
Alpen
Ambrosius (h!.), Bischof von Mailand
Amiens
Ancyra, Konzil von
Anna von Munzingen, O.P.
Annapes
Anno II. (h!.), Erzbischof von Köln
Ansegis von Fontenelle
56
1 1 1″‚, 112 f., 133
28, 33, 41, 208 f., 303
65, 98 f., 336
234
114
337
29″‚
Ansgar (h!.), Bischof von Harnburg/Bremen
129, 250 f., 263 ff., 313, 361
109*
128*‘ 236 f., 274 f.,
276 ff., 285, 298, 304, 325 f.
97, 198
319, 320*
194
282
ANTIN, P., Dom
Apollo, griech. Gott
Apostelkirche zu Köln
Appleton (Yorkshire), Nonnenkloster
Araber, arabisch
Aragon
Aristoteles
37*, 38*, 56, 72, 146″‚, 147, 156, 215, 269
38, 61, 78, 183″‚, 269
59 f., 67 f., 73, 85, 98, 100, 115, 119, 141,
143 ff., 149 ff., 166, 173, 175, 184, 193, 309, 336
Arnald von Villanova, Arzt 38, 61 f., 173, 183, 215
Arnold, Herzog von Geldern 168
Arnulf, Herzog von Bayern 296
Artemidor von Daldia 90*, 171, 175
Arthur, legendärer König 48
Asklepios, griech. Heilgott 208
Assisi 246
Astyages, König der Meder 322 f.
AUBRUN, Michel 10, 290
Augsburg 71 f., 296
Augustinerorden 77*, 157*, 344
Augustinus von Ancona (Triumphus), O.S.A. 157 f., 162 f.
Augustinus, Aurelius (h!.), Bischof von Hippo Regius 98 ff., 104, 105*, 114″‚,
115 f., 135*, 150 f., 160, 162*, 187, 212 f., 226, 263, 283 ff., 370
Augustus Octavianus, röm. Kaiser 318
Aulne (Belgien) 74
Autti, Vater der Christina von Markyate 302
Avicenna, arab. Philosoph 147
Avignon (als Sitz der Päpste) 164″‚, 170*, 222
Babylon(ier) 175
Balduin, Erzbischof von Canterbury 308
Basel, Konzil von 226, 353
Basil, O.Cart. Prior der großen Kartause 219 f.
Bartholomäus Anglicus O.M. 66
Bartholomäus, Bischof von Exeter 20
Bartholomäus Mettlinger, Arzt 72 f.
Bayern 108, 202
NAMENS- UND ORTSREGISTER 389
BENDER, Hans
„Benedictiana, Constitutio“
Benedikt von Nursia (hl.)
Benedikt XII., Papst
Benediktinerorden
BENTON, John
Berengar, König der Langobarden
Berengar von Lüttich
Berengar von Tours
Berge) bei Windesheim
Bernhard von Clairvaux (hl.), O.Cist.
Bernardus, Pseudo-
Bernhard, O.Cist., Mönch in Clairvaux
BERSCHIN, Walter
Boethius, röm. Philosoph
Bodensee
Bogomil, bogomilitisch
Boito, Benediktinermönch
Bologna, Diözese
-, Dominikanerkloster in
-, Universität
Bonifatius (hl.), Missionar
Bonifaz VIII., Papst
Bremen
Brigitta von Schweden (hl.)
Bruno (hl.), Erzbischof von Köln
Brunshausen, Kanonissenstift
Burchhard, Bischof von Worms
BURKE, Peter
Byzanz
Caesarius von Heisterbach, O.Cist.
Calais
Calcidius, Neuplatoniker
Calixt II., Papst
Canterbury
Cappenberg, Prämonstratenserkloster
„Carolini, Libri“
CARUS, Carl Gustav, Arzt
Catherine, Verlobte des Thomas Benson
Cato der Ältere, röm. Politiker
„Catonis, Disticha“
Chartres
Chilperich 1., merowingischer König
280, 309 f.
36*
33 ff., 41, 46, 75, 268
36
33*‘ 41
233
297
120
122*
248
35, 49, 117′ 130, 318 f.
35, 130
218, 221′ 253
297
155, 183
298
336
74 f.
170
66 f.
187, 316*
108
38, 224
127 ff.
164
44 f., 243
272, 286, 354
114
367
111, 181, 184
29, 30*, 41*, 48, 68 f., 156*, 194,
217 f., 222, 228, 230, 241 r., 333 f.
242
101
259, 353, 359
139, 345
327, 331
110 f.
Christina von Markyate (hl.) siehe auch Theodora
Christina, Schwester Hathumodas
371
242
39
39 f., 126 f., 166
250
348 ff.
301 ff., 337′ 361
286
390 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
Christus ( Jesus) 49, 51, 77, 102*, 113, 118*, 120 f., 135 f., 156,
158, 163, 199, 202, 223 ff., 235, 239 f., 244, 268 f.,
273, 303, 307 f., 314, 316, 327, 330 ff., 339 ff., 363
Cicero, Marcus Thllius, röm. Philosoph 97, 127, 147, 198, 311, 316*
Clemens V., Papst 157
Cluny, Cluniazenser 33, 41, 121 ff., 166, 177, 275, 285, 289
Cölestin V., Papst siehe auch Petrus von Morrone 222, 226, 252
Constantinus Africanus 56, 69 f., 72, 80 ff.
Corvey, Benediktinerkloster 271*, 276
Daniel, biblischer Prophet 91, 160, 166, 171, 175, 185 f., 189
„Danielis, Somniale“ 129*, 171*, 174 ff., 182, 184 f., 191,
Dante Alighieri
David, biblischer König
David von Augsburg O.M.
DECHANET, Jean
Deutsches Reich, Deutschland, deutsch
Deutz (bei Köln)
Dhuoda
Diana, röm. Göttin
DIEPGEN, Paul
DINZELBACHER, Peter
Dionysios Areopagites (hl.)
Dionysius von Rijchel, O.Cart.
Dominikanerorden
Dominikus (hl.)
DONDAINE, Antoine
Dortmund
Dublin, Stadt und Diözese
DUBY, Georges
DULAEY, Martine
Ebrach, Zisterzienserkloster
Eckhard, Meister, dt. Mystiker, O.P.
Edington (Berkshire)
Edras, Pseudo-
Edward, König von England
Egberti, Kodex von der Reichenau
Einhard
Ekbert, Bischof von Münster
Ekkehard I., von St. Gallen, Hagiograph
Elbochasin de Baldach, arabischer Arzt
Elisabeth von Thüringen (hl.)
Elsbeth von Schepach, O.P.
Elvira, Konzil von
205 f., 314, 327, 329, 332, 333*, 337, 371
294, 318 f.
322, 359
154
343
116, 120*, 165 f., 177, 180, 258, 357*
250
49 ff.
114
104
1 1
120
167 ff.
34*, 247*, 253, 291, 347, 390
247, 318
181
262
258
255
97 f.
132, 185
154 f.
344*
174*
284*
29
64, 109*
330
15, 261, 287, 297 ff.
37
22
Engelthal, Dominikanerkloster bei Nürnberg
Engilbert, Abt von St. Gallen O.S.B.
310*
20*
317
309
NAMENS- UND ORTSREGISTER 391
England, englisch
Erchanbold, Geheilter aus Mauren
Erluinus
Eugen III., Papst
Eugen IV., Papst
20, 37, 119, 134, 172, 177, 180, 196*,
205, 232, 234, 242, 259, 283 f., 301, 304, 367
202 f.
Eustachius, Bruder des Petrus Venerabilis
Everhard, Vater des Wibert von Nogent
Eynsharn, Benediktinerkloster
193*
122, 133
170 f., 316, 353
124 ff., 352
75, 232 f., 287 ff.
65, 344
279
76*
353
176
302
Fano, Franziskanerkloster
Farfa, Cluniazenserpriorat
Felix V., Gegenpapst
FISCHER, Stephen
Flamstead
Florenz
FÖRSTER, Max
171, 291, 295
172
Fontevrault, Kloster 351
Francesco Petrarca, Dichter 315
Frankfurt-Sachsenhausen, Deutschordenskirche 22
Frankreich, französisch 29, 85, 116, 161 f., 163*, 177, 180, 191,
Franziskanerorden, Minoriten
Franziskus (hl.)
Freiburg i. Brsg.
FREUD, Siegmund
196*‘ 259, 268, 304, 315, 342, 357*‘ 360
194, 239, 246, 269
239, 246 f.
337
10, 15, 90*, 96, 137, 191, 198, 203,
210 L, 221, 229*, 233, 242, 249, 325
Frideswide (hl.) 207 f., 343 ff.
Friedrich, Bruder Ottos von Harnberg 278
Friedrich I., Barbarossa, dt. Kaiser 308, 360
Friedrich II., dt. Kaiser 58, 60 f., 83 f.
Friedrich 111., dt. Kaiser 170, 189, 316, 353
Friesen 319
Fulda, Benediktinerkloster 193, 271
Gabriel, Erzengel 318
Galen, röm. Arzt 55, 70, 72, 149, 153, 215 f.
Gallus (hl.) 298 f.
Gascogne 315
Gelasius II., Papst 352 f.
Geoffrey, Abt von St. Alban 302 f., 337, 361
Gerald von Wales 15, 119*, 220, 234, 257 f., 289, 304 ff., 313 f., 336, 354 f.
Gerberga, Schwester Hathumodas 286, 364
Gerhard, Abt von Heisterbach, O.Cist. 48
Gerhard, Propst, Hagiograph 195, 297, 301
Gerhard von Aurilliac (hl.) 321 ff.
Germanen 107
Gero, Erzbischof von Köln 243
Gertraud von Hapurch, O.P. 317, 329, 341
392 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
„Ghomorrianus, Liber“
Gibrian (hl.)
Gilbert (hl.), Magister und Ordensgründer
Gilduin (hl.)
Giotto, Maler
Giovanni Bocaccio, Dichter
Giovanni, Pagolo di Morelli
Girolamo Cardano, Arzt
Godstow, Nonnenkloster
Goslar
Gottfried, Abt von Winchcombe, O.S.B.
Gottschalk, Visionär
35*
196*, 343
203, 205 f., 282 f.
250
246
319 f.
291 ff., 333 f.
19, 70, 171
344
129
255
198*
Gratian
Gregor I. der Große, Papst
Gregor II., Papst
Gregor VIII., Gegenpapst
21*‘ 114, 187
74, lOS ff., 113, 130, 156*, 214, 219*, 291, 370
108
353
Gregor IX., Papst
Gregor, Bischof von Tours, Chronist
Gregorius, Märtyrer
Griechen, griechisch
Griffin, Ritter
Grimbald, Arzt
GRUB, Jutta
Günther von Schwarzburg, dt. König
Gui, Erzbischof von Vienne
Gundrada, geheilte Magd
Gunther, Bischof von Regensburg
Gunthram, merowingischer König
Guy de Chauliac, Arzt
HAAS, Alois
Hadrian IV., Papst
Hamburg-Bremen, Bischofssitz
Hans von Gersdorff, Arzt
Hans von Hermansgrün, Ritter
Hans Lobenzweig
HARMENING, Dieter
21*
106*‘ 348 ff.
265
28, 56, 90, 92, 99, 135, 141 f., 146*‘
156, 171, 175 f., 181 f., 185, 208, 329
305
255
177
359
352 f.
247
243 f.
348 ff.
86
12
125*, 344
236, 274, 325 f.
86
360
182
104
Hathumoda, (hl.) Äbtissin des Stiftes Brunshausen
Heidelberg, Universität
271 ff., 285 f., 313, 354
165
51, 156, 306, 332
58, 84, 268, 307 f.
296 f.
255 ff., 361
75, 255
258, 308, 344, 347′ 354
129, 258
258, 328, 335
Hl. Geist
Hl. Land
Heinrich I. dt. König
Heinrich I. Beauclerc, König von England
Heinrich I., König von Frankreich
Heinrich II. Plantagenet, König von England
Heinrich IV., dt. König
Heinrich V., dt. König
NAMENS- UND ORTSREGISTER 393
Heinrich, Markgraf von Mähren 21
Heinrich Bullinger, Reformator 39*
Heinrich Seuse, O.P. 154 ff.
Heinrich von Nördlingen 77*, 281, 361
Heinrich, Laienbruder, O.Cist. 241
Heisterbach, Zisterzienserkloster 194
HELBLING-GLOOR, Barbara 137, 184
Helena, Geheilte aus Auxerre 207
Heleise 227 f.
Hemmenrode, Zisterzienserkloster 333
Heribert, Erzbischof von Köln 249
Hermann von Cappenberg, O.Cist., siehe auch Juda ben David Ha-Levi 119*,
Herodes, biblischer König
Herodot, griech. Historiker
Hexe von Endor, biblische Figur
Hieronymus (hl.)
Hildegard von Bingen (hl.), Ärztin und Äbtissin O.S.B.
Hitdesheim
HILLENBRAND, Eugen
Hiob, biblische Figur
Hippe Regius (Nordafrika)
Hippokrates, griech. Arzt
Hirsau, Benediktinerkloster
Hitto, Priester, Bruder der Wiborada
HOFFMEISTER, Gerd
Horn er, griech. Dichter
Honorius von Autun
Hrabanus Maurus, Erzbischof von Mainz
Hugh de Lacy
Hugo (hl.), O.Cart., Bischof von Lincoln
Hugo Atherius
Husward, Priester
Huntingdon
lngelswindis aus Berge!
lnnozenz 111., Papst
Irland, irisch
lsaac, Jude in Köln
Isai, Vater König Davids
lsaias, biblischer Prophet
Isidor, Bischof von Sevilla
Islam, s. auch Moslems
Island
327 ff., 331, 335
169, 284, 349
322, 325
161*
97, 198 f.
36 f., 52, 57, 81 *‘
130 ff., 185, 215 f., 232
271*
359
106* ‚ 252, 260
102, 212
55
34
261 f.
173
134
116, 284
113 f., 130
304 f.
15, 64 f., 218 ff., 344, 350 ff.
182*
229
302
248 f.
246 f., 251 f.
213, 258, 304 ff., 333
329, 331
322
322, 325, 331
104 f.
55, 59, 215, 308
180
Italien, italienisch
Ivo von Chartres
19, 30, 34, 36, 38, 60, 66, 76*‘ 84, 105, 122,
157′ 159, 174, 177′ 181, 188, 209*‘ 224, 279 f., 291
20*
394 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
Jakob, biblischer Patriarch
Jakob I., König von Aragon
Jakob von Vitry, O.P.
JACOBI, Jolanda
Jacobus Magnus, O.P.
Jakobus (hl.), Apostel
Jacopo Colonna der Jüngere, Bischof von Lombez
Jacopo Passavanti, O.P.
51, 91, 186
78 f.
216, 268
175
163*
74
315 f.
159 ff., 167, 174, 188, 195*
38*, 293*, 124
78, 122, 239 f., 310*, 318
Jerusalem
Jesuskind, siehe auch Christus
Jesus, siehe Christus
Jesus Sirach, biblischer Prophet
Johannes der Evangelist
Johannes der Täufer
Johannes, Abt von Gorze, O.S.B.
Johannes, Abt von St. Arnulf, O.S.B.
Johannes, Kardinal von St. Paul
Johannes, König von Böhmen
Johannes von Salisbury
Johannes von Worcester, O.S.B.
Johannes Busch, O.S.A.
Johannes Cassian
Johannes Cluniacus
113
52, 339
163, 298 f., 318, 322
45, 49, 227
45*, 49
246
356 f.
118, 134 ff., 139 f., 185 ff.
255
79 f.
214*, 219*
166
Johannes d’Andrea 315*
Johannes Gerson 163 ff., 225 f.
John, englischer Prinz = König Johann ohne Land 258, 304
Joseph, Sohn Jakobs, biblische Figur 91, 107*, 119 f., 166, 186
„Josephi, Somnile -“ 174
Joseph (hl.), Nährvater Jesu 91, 240, 284
Juda ben David Ha-Levi, siehe auch Hermann von Cappenberg 328 ff.
Juden, jüdisch (hebräisch) 38*, 58*, 141 ff., 225, 289, 326, 329
JUNG, Carl Gustav 113*, 137, 149*, 192, 249 f.,
268, 286, 313*, 314, 327*, 329*, 335
Jupiter, röm. Gott 193
Justinus, Geheilter aus Wycombe (Buckinghamshire)
Kabbalisten, jüdische Gruppe
207 f.
143
11
304
KAMPHAUSEN, H . J .
Kapetinger
Kar! der Große, Kaiser
Kar! I., König von Ungarn
Kar! IV., dt. Kaiser
Kar! V. von Frankreich
29, 34, 64, 109 u.*, 111*, 112, 230
356
15, 170*, 254, 279 f., 282 f., 355 ff.
359
Karolinger, karolingisch 1 1, 110, 115, 185, 193, 237, 272, 275, 285, 287, 303, 370
Kartause, die Große (Grenoble) 342
Kartäuserorden 41, 65*, 342 f.
Katalonien, katalanisch 61 f., 78, 183, 269
Katharer, Sekte 271, 336
NAMENS- UND ORTSREGISTER 395
Katharina von Alexandria {hl.)
Kempten, Benediktinerkloster
Kleinasien
Köln
KÖTTING, Bernhard
Konstanz, Konzil
KUHLEN, Franz Joseph
Kuno, Abt von Siegburg, O.S.B
Kyros, persischer König
Lactantius, Firminianus
Lantbert von Deutz, Hagiograph
Lateran, Konzil
Lateran, Kirche
Lechfeld {Augsburg)
LE GOFF, Jacques
Leo Tuscus
LERNER, Robert
Leutard, Bauer aus Vertu
LEVISON, Wilhelm
Lincoln, Diözese
Liudolf, Herzog von Sachsen
Liutprand von Cremona
Lombardei
Lombez, Diözese
Lothar von Supplinburg, dt. König
Lucan, röm. Schriftsteller
Ludwig VI., König von Frankreich
Ludwig der Bayer, dt. Kaiser
Ludwig der Deutsche, dt. König
Ludwig der Fromme, Kaiser
Lüttich
Mähren, Markgrafschaft
Magdeburg
Maghreb
Magier, die drei
Mailand
293*
247
308
194, 263 ff., 313, 322, 327 ff., 335, 361
208
164 f., 226
81
120 f.
322
96 f., 242*
250
246
246
296
10, 103 f., 112, 137, 211, 235, 237*
181 f.
1 1
336 f.
10
21, 351 f.
271*, 286
184
159
315
328
199
259, 304, 352
157*‘ 358 f.
236
110, 236, 357
74
21, 170*
229
269
91, 169
99
Maimonides, Kurzform für Mosche ben Maimon, jüdischer Arzt 37 f., 58*‘
84*‘ 141 ff., 146
20
207
101, 117 f., 134 ff., 171, 181, 189
322
Mainz, Synode von
Majolus {hl.), Abt von Cluny O.S.B.
Makrobius, Neuplatoniker
Mandane, Mutter des Kyros
Marüchäer, Sekte
MANSELLI, Raoul
Marbach, Kanonikerstift (Elsaß)
Marbod, Bischof von Rennes
Marcigny, Benediktinerinnenkloster
102*
1 1 , 190, 246
77
53*
275, 334
396 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
Margaretha Ebner, O.P.
Marguerite Porete
Maria (hl.)
Maria Zell, Wunderaltar in
Markyate
15, 77 f., 155, 200, 281, 291, 310*, 338 ff., 361
52*
21, 79, 122, 220, 228, 232, 239 f., 242, 267 f., 318
21
302
Marsilio Ficino, Arzt
Martin, Bischof von Braga
Martin (hl.), Bischof von Tours
MARTIN, Lawrence
Martin Luther, Reformator
Mathilde, Tochter Heinrichs I. von England
Matthias, König von Ungarn
Mauren, Bayern
Maurice Fitzgerald
Mauritius Burdinus, Erzbischof von Braga
Maximilian I., dt. Kaiser
Merlin, legendärer Zauberer
Merowinger, merowingisch
Mittelmeer, Mittelmeergebiet
Monheim, Benediktinerinnenkloster
Monika (hl.), Mutter des Augustinus
Mont-Dieu, Kartäuserkloster
Montanisten, Sekte
Montecassino, Benediktinerkloster
Montpellier, Universität
Mortemer-sur-Eaulne (Dep. Oise)
Moses, biblischer Prophet
Moslems, Mohammmedaner
Munio, Ordensgeneral O.P.
Nathan, Jude in Köln
Nebukadnezar, biblischer König
Nicäa, Konzil von
Niederrhein, Gebiete am
Nikolaus V., Papst
Nikolaus Cusanus der Ältere
Nikolaus Gerson, O.Coel.
Nikolaus Magni de Jawor
Nikolaus Oresme, Bischof von Lisieux
Notebald, Wahrsager
Oberflacht, Württemberg
Odilo, Abt von Cluny, O.S.B.
Odo, Abt von Cluny, O.S.B.
Odon, Abt von St. Remy, O.S.B.
ÖNNERFORS, Alf
Oetenbach (=Hornbach in Zürich)
Oetenbach, Dominikanerinnenkloster
Origenes (hl.), griech. Kirchenlehrer
38 f., 171
185, 187
106*‘ 112, 234 f., 241, 273, 276 ff., 325
174 f.
225
257
171
202
305
353
360
230
20, 348 f.
28, 41, 143, 182, 209, 224, 269, 335
202, 247 f.
99, 101* f.
342 f.
92
35*, 56
38, 269
75
109, 142, 370
268 f.
253
331
107*, 160, 177*, 186
111
167
170, 316, 353, 359
167, 169 f.
163, 225*
165 ff.
162 f.
129 f., 185
28
76*, 124*
321, 325
342 f.
176 f.
347
347 f.
218*, 279
NAMENS- UND ORTSREGISTER 397
Orleans
Ortolf von Baierland, Arzt
Oseney, Augustinerkloster
Otto (hi.), Bischof von Bamberg
Otto von Braunschweig, dt. König
Othlo von St. Emmeram, O.S.B.
Otto I., der Große, dt. Kaiser
Ottonen
Oxford
PACK, Roger A.
Padua, Universität
Paolo Bagellardo, Arzt
Pardulfi, Vita sancti
Paris, Diözese
-, Konzil von
-, Universität
Parma, Minoritenkloster
-, Stadt
Paschalis Romanus
Paulus (h1.), Apostel
Perpetua (hl.), Märtyrerin
Petrus Abaelard, O.S.B.
260
63
344
278
281
15, 46 f., 198*. 199 f., 237 f., 240 f., 264, 266 f.
44, 64, 243 f., 247, 297, 352
243
257, 343 ff.
183
72, 157, 207
72
20*
231
110
157, 159, 163, 269
67
279, 315
181 f.
Petrus Aponus = Pietro d’Abano, Arzt
Petrus (hl.), Apostel
91, 278, 297, 299
52*
122*. 227 f.
59*‘ 152f., 209*
50, 171, 222, 278, 296, 299, 316, 327
Petrus Damiani (hl.) 35*
Petrus von Blois
Petrus von Morrone (hl.), siehe auch Coelestin V.
139 f., 162
222 ff., 226,
228 f., 252, 327, 335 f.
327
15, 33, 46 f., 119*, 121 ff.,
137, 266*, 275, 289, 334, 352
Petrus von Morrone, Mutter des
Petrus Venerabilis, Abt von Cluny, O.S.B.
Petrus Venerabilis, Mutter des, siehe Raingard
Philipp August, König von Frankreich
Philipp Melanchten
Philipp, Prior von St. Frideswide, O.S.A.
Philipp von Schwaben, dt. König
Philippus (hl.), Apostel
Philo von Alexandria, Stoiker
Pierre Roger, Abt von Fecamp, O.S.B = Clemens VI., Papst
Pilatus, Frau des
44*
171
344 ff.
281
74
101
170*
91
Pisa 240
Plato, Platonismus, NeuPlinius
der Jüngere
Pollachar
Porphyrios, Neuplatoniker
Poseidonios, Stoiker
Prag, Universität
50, 92, 99, 117, 119, 134, 171, 210
85
193
99 ff.
101
165
398 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
Provence (Frankreich) 194
Ptolemäus, Pseudo- 148, 183*
Pyrenäen 315
Radulfus Niger 50
Raimund Lull 62, 268 f.
Raingard 15, 275 f., 334
Rasis (Razhes), persischer Arzt 173
Rather, Abt O.S.B., Bischof von Verona 74 f., 78
Ratzeburg 281
Regensburg 199, 243
Reginard, Abt von Siegburg O.S.B. 264
Regino von Prüm 139*
Reichenau, Kloster 29
Reims 196*, 342 f.
Richard, geheilter Kleriker 203
Richard I. Löwenherz, König von England 268, 308, 350 f.
Richard, Erzbischof von Canterbury 347
Richard Langlois 85
Rimbert (hl.), Bischof von Hamburg/Bremen 128*, 274 f., 277, 285, 325 f.
Robert Cricklade, Prior von St. Frideswide 344 ff.
„Roland, Chanson de“ 109*, 130*
Robert Grosseteste, Bischof von Lincoln 21
Rosamund, Faire 344
Rom (Antiker Staat), Römer, römisch 28, 37, 90, 92, 107, 136, 170, 210, 234, 318
Rom (Stadt), siehe auch Lateran 12, 22, 122, 159, 164*, 258, 259, 303, 315 f., 354
Romulus und Remus 230
Rüdiger, O.Cist. 132 f., 185
Ruotger, Hagiograph 44 f.
Rupert von Deutz, O.S.B. 119 ff., 126, 330
Rupertsberg, Benediktinerinnenkloster 83
Sachsen 64, 79
SAINTYVES, Pierre 10, 318, 349
Saladin, Sultan 38*
Salerno 56
Salimbene de Adam, O.M.
Salomon, biblischer König
Samuel, biblischer Prophet
San Michele, Quartier in Pisa
St. Alban, Kloster O.S.B.
St. Emmeram, O.S.B. in Regensburg
St. Davids, Ort und Diözese in Wales
St. Denis, O.S.B. bei Paris
St. Frideswide, O.S.A. Oxford
St. Gallen, O.S.B.
St. Gereon, Kirche in Köln
St. Germer de Fly, O.S.B.
St. Goar (Ort bei Trier)
15, 30, 60 f., 66 f., 194, 238 ff., 279, 282 f.
359
161*
240
301 f.
46, 238, 243, 266, 352
257, 354 f.
259 f., 304
344 ff.
261, 287, 297 ff., 309
264
40, 267
251
NAMENS- UND ORTSREGISTER
St. Lambert, O.P. in Orlamünde
St. Maria, O.P. in Medingen
St. Maria Nova, Cluniazenserpriorat in Rom
St. Maria ‚zu den Stufen‘, Kirche in Köln
St. Martin, Kirche in Köln
St. Trond, Ort und Benediktinerkloster in Belgien
Sarazenen
Satyrus, Bruder des hl. Ambrosius
Sau!, biblischer König
Sauxillanges, Cluniazenserpriorat
Savigny, Cluniazenserpriorat
Scheda, Zisterzienser-Propstei
SCHMITT, Jean-Claude
SCHMITT, Wolfgang
Schweden
Scipio Africanus, der Jüngere
Sempringham, Gilbertinerkloster
Seneca, Diener Alkuins
Serapis, ägyptischer Heilgott
Severus, Sulpicius, Hagiograph
Sibylla, legendäre Prophetin
Siegburg, Kloster bei Köln
Siena, Universität
Sizilien
Spanien, spanisch, iberisch
Stephan von Blois, König von England
Stoiker
Suger, Abt von St. Denis, O.S.B.
Switbert (hl.)
399
253
77*, 155, 291, 338, 340 f.
122
331
322
197
79, 309
98
161*
125*
207
331
191, 364
182
236 f.
101*, 127
203, 205 ff.
112
208
106*‘ 234 f., 277
135
264
159
37
78, 177
257, 303
101
119*‘ 258 ff., 304, 352 ff.
318
Symon, geheilter Kanoniker zu Haverholm (Sempringhamshire)
Synesius, Neuplatoniker
207
171
Tegernsee, Benediktinerkloster 238
Terenzo (bei Parma) 279, 355
92 ff., 97, 101, 114*‘ 116, 242*
46, 52, 74, 106, 107, 114 f., 116, 131 f.,
134, 139 f., 153, 155, 158, 160 f., 164, 167, 169,
Tertullianus, Quintus Septimius Florens
Teufel (Satan)
194, 214, 216, 228 f., 266, 276, 302, 314, 331, 333, 370
Theodor, Bischof von Marseille 348 f.
Theodora (h!.), siehe auch Christina von Markyate 301 ff.
Theodulf, Bischof von Orleans 110*
Thietmar, Bischof von Merseburg 15, 229, 243 f., 262 f., 352
Thomas von Aquin (h!.), O.P. 150 ff., 153, 160, 162, 169, 230*, 274*
Thomas Becket (h!.), Märtyrer, Erzbischof von Canterbury 345, 354
Thomas Benson, Kaufmann 242
Thomas von Cantimpre, O.P. 85
Thomas von Celano, O.M. 246
THORNDIYKE, Lynn 183
400 ZUR BEDEUTUNG VON SCHLAF UND TRAUM IM MITTELALTER
„Tnugdali, Visio“
Triel
Tri er
Trudo (hl.)
Ua Ruairc, irischer Fürst
ULLMAN, Montague
Ulrich (hl.), Bischof von Augsburg
Ungarn, Reitervolk
Uppsala
Varro, röm. Schriftsteller
Vatikanisches Konzil, II.
Vergil, römischer Dichter
Vinzenz von Beauvais, O.P.
Volkmar, Erzbischof von Köln
Walahfrid Strabo, O.S.B.
Wales, walisisch
Walpurgis (hl.), Äbtissin
Wenzel (hl.)
„Wetthini, Visio“
Wibert von Gembloux, O.S.B.
Wibert von Nogent, Abt, O.S.B.
Wiberts Mutter
Wiberts Vater, siehe Everhard
Wiborada (hl.), Märtyrerin
Widukind von Corvey, Chronist
Wigo, Dauphin von Vienne
Wigo I., Prior, O.Cart.
Wilhelm, geheilter Knabe
198*, 290
29*
251
197 f.
304 f., 333
301
195, 277 f., 283, 296, 298, 304
261, 297, 299
176
96
210*
134
48, 150
243
193
257, 290, 313, 354
202, 247 ff., 348*
21
193, 290
131*
15, 20, 40 f., 70, 75, 119*, 191,
231 f., 253*, 254 f., 267 f., 287 ff., 361, 364
15, 75, 78, 231 f., 267 f., 287 ff., 290, 361
15, 261 f., 286 f., 297 ff., 303, 309, 311
64
Wilhelm I., Herzog der Normandie und König von England
Wilhelm von Aragon, Arzt
280, 356 f.
342
205 ff.
75
183 f.
231
115
122 f.
49, 56, 58
263
359
202*, 248
Wilhelm von Auvergne, Bischof von Paris
Wilhelm von Conches
Wilhelm, Prior von St. Maria Nova, O.S.B.
Wilhelm, Abt von St. Thierry, O.Cist.
Willigis, Priester in Walheck
Wittelsbach, Wittelsbacher, Dynastie
Wolfhard, Hagiograph
York, Kloster
Zacharia.s, biblische Figur
Zisterzienserorden
ZÖPF, Ludwig
Zollikon (bei Zürich)
Zürich
112
318
33*, 34, 36*, 41, 44, 132 f., 156, 194, 218
45
347
347 f.

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