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Category Archives: MEMO

Unsere Zeitschrift ist seit September 2023 in ERIH PLUSEuropean Reference Index for the Humanities and Social Sciences (HSS) – gelistet. ERIH PLUS ist ein Index mit bibliografischen Informationen über wissenschaftliche Zeitschriften in den Geistes- und Sozialwissenschaften, der das Ziel verfolgt, die Sichtbarkeit, Auffindbarkeit und Verfügbarkeit der HSS zu verbessern.
ERIH PLUS: “The aim of the index is to increase visibility, searchability and availability of the HSS.”



Als Mitglied von COPE – Committee on Publication Ethics – müssen neben den dort verankerten Standards noch weitere Voraussetzungen für die Aufnahme in ERIH PLUS erfüllt sein: (1) Ein externes/unabhängiges Peer-Review-Verfahren muss sichergestellt werden. (2) Die Mitglieder der akademischen Redaktion müssen unter Angabe ihrer Zugehörigkeit angeführt werden. (3) Das Journal muss einen gültigen ISSN-Code aufweisen. (4) Zusammenfassungen aller Artikel müssen in englischer Sprache zur Verfügung gestellt sein. (5) Die Zugehörigkeit aller Autor*innen der letzten zwei Veröffentlichungsjahre muss ERIH PLUS übermittelt werden. (6) Es dürfen nicht mehr als zwei Drittel der im Journal veröffentlichten Autor*innen aus derselben Einrichtung stammen. Weitere Informationen dazu finden Sie hier: ERIH PLUS criteria for inclusion.

Außerdem ist MEMO nun auch im OPAC der Paris Lodron Universität Salzburg (PLUS) zu finden: MEMO - Medieval and early modern material culture online - Universität Salzburg.




 

Elisabeth Gruber

Zum Geleit der neunten Ausgabe von MEMO


We were interested not in the materiality of the object or space itself, but in the process by which they became relevant to the community, gained symbolic meaning and a unifying character. We were interested in the ways and circumstances in which space and objects were used or in which they organised interpersonal contacts.

Monika Saczynska-Vercamer



Die Beiträge der neunten Ausgabe von MEMO greifen ausgewählte Aspekte von materieller Kultur im städtischen Raum auf und untersuchen, inwieweit städtischer Raum - beispielsweise in Form topografischer Nachbarschaften - und spezifische Objekte wie Pilgerzeichen, Gebäude oder Kapellenausstattungen gemeinschaftsbildend wirkten, symbolische Bedeutung erlangten oder gar mediatisierende Kräfte entwickelten. Anstoß dafür bot die inhaltliche Schwerpunktsetzung des International Medieval Congress Leeds 2019, die sich dem Thema "Materialities" widmete. Eine Auswahl der dort von der Forschergruppe rund um Monika Saczynska-Vercamer vom Centre for History of Medieval and Modern Material Culture in Warschau, diskutierten Beiträge liegen nun in publizierter Form vor.


Paweł Cembrzyński und Urszula Sowina nehmen in ihrem Beitrag zeigen anhand von archäologischer, architektonischer und schriftlicher Überlieferung Möglichkeiten der Entwicklung von städtischen Nachbarschaften auf. Piotr Kołpak fragt am Beispiel von Krakau nach dem Einfluss der Landespatrone auf die städtische Sakraltopografie. Maciej Radomski untersucht die Rolle von Rathäusern auf städtische Identitätskonstruktionen. Am Beispiel von Kleidungsaccessoires wie Pilgerzeichen oder Zunftzeichen stellt Jakub Sawicki materielle Ausdrucksformen städtischer Gemeinschaften vor. Monika Saczynska-Vercamer schließlich untersucht am Beispiel der Ratskapelle von Krakau die Bedeutung von Tragaltären für Prozesse von Gemeinschaftsbildung innerhalb der städtischen Ratselite.


 

[English version available here.]


MEMO geht 2022 in das fünfte Jahr seines Bestehens. Die erste Ausgabe des Jahres, MEMO#10, wird dem Thema Emotionen gewidmet sein und dieses – getreu der breiten Ausrichtung des Journals – aus verschiedenen fachlichen Blickwinkeln, auf Basis unterschiedlicher Quellen und auf vielfältige Aspekte hin untersuchen.  Wie immer richtet sich die Einladung zur Einreichung von Beiträgen ausdrücklich an alle mediävistisch arbeitenden Disziplinen, und wie stets sind sowohl Quellenanalysen als auch theoretisch-methodische Beiträge willkommen. Den zeitlichen Rahmen bilden dabei das Mittelalter und die Frühe Neuzeit, eine geografische Einschränkung besteht nicht.


Die vielfältigen Beziehungen zwischen Objekten und Akteuren und die beziehungsstiftenden Qualitäten der Objekte wurden bereits 2018 in MEMO#3 – Object Links thematisiert. Nun soll die Frage nach den Beziehungen weiter spezifiziert werden hinsichtlich deren emotionalen Qualitäten: Wie wirken sich Emotionen auf die Beziehungen zwischen Akteuren und Objekten aus, und wie wirken Objekte auf die Emotionen der Akteure ein? Dabei kann die teils umfangreiche bisherige Forschung zu Emotionen in den verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen um den Faktor materielle Kultur erweitert und damit perspektiviert werden.

Emotionen können dabei in ihrer ganzen Bandbreite von Trauer, Zorn, Schmerz, bis hin zu Mitleid, Liebe, Freude, Glück usw. thematisiert werden. Auch kurzfristige Gefühlsreaktionen und Affekte können in den Fokus rücken, auch wenn diese in den Quellen schwerer fassbar sein dürften. Ebenso können unterschiedliche gesellschaftliche Kontexte von Emotionen und Affekten beleuchtet werden: interpersonale Beziehungen wie die Liebe zwischen Mann und Frau, zwischen Eltern und Kindern oder unter Freunden, aber auch das weite Feld religiöser Gefühle, wie auch jene Gefühle und Affekte, die durch die ästhetische Erfahrung in der Rezeption von Kunstwerken ausgelöst werden.

Folgende allgemeine Fragen erscheinen uns (neben anderen) besonders interessant:

  • Welche Emotionen können von bestimmten Objekten beim Gegenüber ausgelöst werden? Wie werden emotionale und/oder affektive Reaktionen auf Objekte fassbar? Wie werden sie beschrieben (in Schriftquellen) oder gezeigt (in visuellen Kunstwerken)?

  • Welche Unterschiede bestehen zwischen der Darstellung emotionaler Mensch-Objekt-Beziehungen auf/in Kunstwerken / Texten und den in deren Rezeption ausgelösten Emotionen?

  • Was sagen zeitgenössische Diskurse zur Verbindung von materieller Kultur und Emotionen?

  • Gibt es spezifische Objekte, die mit speziellen Emotionen verbunden werden (z.B. mit Trauer etc.)?

  • Was sind überhaupt „Gefühlsdinge“? Was kennzeichnet sie? Was müssen sie leisten können?

  • Ist es methodisch gesehen möglich, den Emotionen historischer Akteure über die Objekte und deren Kontexte auf die Spur zu kommen? Wie werden Objekte mit Emotionen „aufgeladen“?


Vertiefend könnte beispielsweise gefragt werden nach

  • religiösen Gefühlsdingen

  • ungeliebten Dingen, weggeworfenen Dingen, vernachlässigten Dingen

  • den emotionalen Qualitäten von Objekten der Memoria.


Wir laden alle interessierten Forscherinnen und Forscher ein, ihre Abstracts in deutscher oder englischer Sprache und im Umfang von maximal einer Seite bis zum 31. Jänner 2022 an memo@plus.ac.at zu senden.

Die Einladung zur Übermittlung der ausgewählten Beiträge wird 2 Wochen später erfolgen, die fertigen Beiträge erwarten wir bis zum 30. April 2022.


In den Jahren 2019 und 2020 haben wieder zahlreiche Expertinnen und Experten aus unterschiedlichen Fachgebieten Beiträge für uns begutachtet.


Alle Beiträge, die in MEMO veröffentlicht werden, durchlaufen einen externen Begutachtungsprozess (double blind peer review). Die Peer Review verstehen wir nicht nur als Moglichkeit der Qualitätssicherung, sondern auch als Impulsgeber für die Autorinnen und Autoren von MEMO. Strukturiertes Feedback aus einer facheinschlägigen, kritischen Außenperspektive heraus kann im Idealfall dabei helfen, die eigene Arbeit zu überdenken beziehungsweise weiter zu denken, Ideen und Argumentationsgänge zu vertiefen und die methodischen Tools zu schärfen.


Die Erstellung eines Gutachtens ist ein zeit- und arbeitsaufwändiger Prozess, der von Forschenden unentgeltlich zusätzlich zu ihren zahlreichen anderen Verpflichtungen durchgeführt wird. Wir nehmen dies keineswegs als selbstverständlich hin: Insbesondere das Pandemiejahr 2020 war herausfordernd und brachte für viele erschwerte Arbeitsbedingungen mit sich. Dennoch haben uns wieder zahlreiche Wissenschafter*innen ihre Zeit und ihre Expertise zur Verfügung gestellt. Wir möchten uns daher bei all jenen Gutachter*innen, die sich mit der Nennung ihres Namens einverstanden erklärt haben, öffentlich bedanken.


Folgende Forscherinnen und Forscher haben uns 2019 und 2020 als Gutachter*innen unterstützt:





Rainer Atzbach, Aarhus

Ulrich Barton, Tübingen

Klaus Gereon Beuckers, Kiel

Veronika Decker, Wien

István Feld, Budapest

Jürg Goll, Cham

Marc Grellert, Darmstadt

Jeannet Hommers, Köln

Ralph Knickmeier, Wien

Ariane Koller, Bern

Renate Leggatt-Hofer, Wien

Josef Löffler, Wien

Monika Müller, Göttingen

Michael R. Ott, Bochum

Michaela Pölzl, Bamberg

Siegrid Schmidt, Salzburg

Laura Velte, Zürich

Silvan Wagner, Bayreuth


Wir sagen DANKE!






Beitragsbild: REALonline Bild Nr. 7000490, Disputation der Heiligen Katharina mit den Philosophen (Ausschnitt). Katharinaaltar, Filialkirche St. Cäcilia in St. Lorenzen ob Murau (Steiermark, Österreich), um 1455-1460.



Während wir die Tage bis Heilig Abend zählen, läuft auch der Countdown für unsere nächste Ausgabe von MEMO, die in den letzten Tagen dieses Jahres online gehen soll.

Sie trägt den Titel Textual Thingness und basiert auf drei Sessions, die am International Medieval Congress in Leeds 2019 von dem neu gegründeten DFG-Netzwerk Dinge in der Literatur des Mittelalters organisiert wurden.



Das Netzwerk untersucht materielle Dinge in mittelalterlicher Literatur. Ziel ist eine übergreifende dingtheoretische Modellbildung, die narratologische, medientheoretische und kulturanthropologische Forschungsansätze zu vermitteln sucht.

In der Ausgabe werden sechs Beiträge in englischer und deutscher Sprache versammelt sein, die sich mit unterschiedlichen Dimensionen und Funktionen von materiellen Objekten in Texten und von Texten als materielle Objekte auseinandersetzen.
Das Jahr 2020 geht zu Ende, und es wird uns wohl allen in Erinnerung bleiben. So manche Pläne wurden auf den Kopf gestellt, viele gewohnte Abläufe und Routinen mussten neu gedacht werden. Auch an unserer Zeitschrift MEMO ist dies nicht spurlos vorüber gegangen. Unsere Ausgabe 7 mit dem Titel Textual Thingness wird Ausgabe 6 überholen und vorgezogen werden.

Ausgabe 6  Shaping Matter(s) wird aber bereits Ende Januar online gehen. Inhaltlich wird sich nichts ändern - die Ausgabe beleuchtet aus unterschiedlichen fachlichen Perspektiven den gestaltenden Umgang mit formbaren Materialien in Mittelalter und Früher Neuzeit und wird drei Forschungsbeiträge sowie ein Interview enthalten. Zusätzlich wird aber auch erstmals ein neues Format eingeführt: Im „Interdisziplinären Dialog“ werden zwei Forschende aus verschiedenen Fachdisziplinen sich, ausgehend von Ergebnissen und Beobachtungen aus ihren eigenen Arbeitsbereichen, zu konkreten Fragestellungen austauschen.

MEMO # 6 Shaping Matter(s) baut in konzeptioneller Hinsicht auf der gleichnamigen Session auf, die Thomas Kühtreiber und Gabriele Schichta 2019 am International Medieval Congress in Leeds organisierten. Inhaltlich ist sie der am IMAREAL angesiedelten Forschungsperspektive Material(i)ties zuzuordnen. Diese verfolgt das Ziel, die materielle Kultur verstärkt über die Materialien, welche als Werk-Stoffe deren Grundlage bilden, in den Blick zu nehmen.

Wir freuen uns, als Titelbild der neuen Ausgabe ein Selbstberührungsobjekt der österreichischen Künstlerin Barbara Schmid zeigen zu dürfen. Aus dem kurzen, konzentrierten Zusammendrücken eines weichen Tonklumpens mit beiden Händen entsteht die „zurückgebliebene Negativform der lebendigen Berührung“.

MEMO ist einen Schritt weiter auf dem Weg zur globalen Vernetzung und umfassenden Auffindbarkeit von Forschungsergebnissen.



Unsere Zeitschrift ist seit Juli 2020 im DOAJ - dem Directory of Open Access Journals - gelistet. Das bedeutet, dass die in MEMO publizierten Artikel nun über ihre Metadaten noch besser im globalen Netzwerk von Wissenschaft und Forschung verankert sind. MEMO-Artikel können nicht nur direkt in der DOAJ-Datenbank gesucht werden, sondern werden künftig in zahlreichen weltweiten Katalogen und Datenbanksystemen auffindbar sein, die ihre Einträge aus den Daten des DOAJ beziehen.
DOAJ's mission is to increase the visibility, accessibility, reputation, usage and impact of quality, peer-reviewed, open access scholarly research journals globally, regardless of discipline, geography or language.

Die Aufnahme ins DOAJ kommt einem Qualitätssiegel gleich: Nur solche Open-Access-Journals, die höchsten Qualitätsstandards entsprechen und deren Artikel eine peer review durchlaufen, werden in das Directory aufgenommen. Zusätzlich zur inhaltlichen Qualität der Artikel wird auch der Webauftritt der Journals insgesamt evaluiert. So muss etwa gewährleistet sein, dass Besucherinnen und Besucher wichtige Informationen zu Konzept und Ausrichtung, zum Redaktionsprozess und zu den angewendeten Standards der Qualitätssicherung leicht finden können und dass die Journal-Website laufend und zuverlässig gewartet wird. Damit erfüllt unser Journal auch die Anforderung Gold Open Access des FWF  für Publikationen, die aus geförderten Projekten hervorgegangen sind.


 

Ingrid Matschinegg

EDV-gestützte Methoden der Informationsverarbeitung ka­men am IMAREAL sehr früh zum Einsatz. Dies ist mit der Person von Gert Adamek verbunden, der als promovierter Kunsthistoriker ab Februar 1969 der erste fest angestellte Mitarbeiter des Instituts war. Er suchte zur Erstellung eines digitalen Thesaurus für die Bilddatenbank (heute REALonline) die Zusammenarbeit mit Expert*innen aus den Bereichen Medizin und Rechtswesen, die sich mit ähnlichen Systematisierungsfragen beschäftigten. Auf diesem Weg entstanden auch schon sehr früh Kontakte zur Firma IBM.

Als Speichermedium kamen anfangs Sichtlochkarten zum Einsatz:
„Zur Zeit ist die Wahl auf das System der Sichtlochkarten gefallen. Innerhalb der großen Kategorien […] wird jedes Objekt nach dem Inhalt in ein Zahlensystem eingefügt, sodann erhält es eine Reihe weiterer Zahlen zugeordnet, die sich auf Material und einige andere Kriterien beziehen. Auf gerasterten Karten werden nun die jeweils zu einem Objekt gehörigen Zahlen gelocht. Will man nun nach diesem oder jenem Kriterium zusammengehörige Objekte finden, so muss man nur die Karten auf einer Leuchtplatte übereinanderlegen und dort, wo die Löcher einander decken, einhaken.“ (Bericht über die Aktivitäten des Instituts in der Tageszeitung "Die Presse", 10. Juli 1970)

Von der Sichtlochkarte zum Datenterminal



Mit der rasch anwachsenden Anzahl der fotografisch erfassten Kunstwerke, die nach der am Institut entwickelten Systematik sehr detailliert verbal beschrieben wurden, entstand bald die Notwendigkeit von effizienteren Speicherlösungen und Auswertungsmöglichkeiten.

Mitte der 1970er Jahre wurde der Ankauf eines sogenannten intelligenten (= programmierbaren) Datenterminals ins Auge gefasst, mit dem Sortiervorgänge und einfache Abfragen auch direkt vor Ort durchgeführt werden konnten. Die Beschaffung verzögerte sich aufgrund der hohen Kosten und wegen finanzieller Engpässe der Österreichischen Akademie der Wissenschaften immer wieder; schließlich wurde um 320.000 Schilling eine Datenverarbeitungsanlage der Firma IBM (Modell 3741) angeschafft. Das damals brandaktuelle Gerät umfasste bereits zwei Diskettenlaufwerke für große 8-Zoll-Disketten (= 20cm) .

Um den gesamten damaligen Bestand von ca. 2000 Dokumenten auswerten zu können, mussten weiterhin ca. 12.000 Lochkarten gestanzt werden. Diese wurden am Institut angefertigt und im nächsten Schritt über ein Lochkartenlesegerät auf Magnetband übertragen. Da das Institut selbst keines besaß, wurden die Lochkarten zuerst in der „Hütte Krems“¹, später an der Technischen Universität Wien weiterverarbeitet. Die Lochkarte wurde in den 1980er Jahren von der Diskette abgelöst, die mittlerweile ebenfalls bereits Geschichte ist.

Im Zuge der Institutssanierung in den 1990er Jahren wurde das alte EDV-Equipment entsorgt. Die einzige noch übrig gebliebene Lochkarte, die  später zufällig am Institut gefunden wurde,  hatte sich über lange Jahre in einem Buch versteckt gehalten, wo sie als Lesezeichen eingelegt war.



 ¹In der Hütte Krems Ges.m.b.H. (im Konzern der Vereinigten Österreichischen Eisen- und Stahlwerke – Alpine Montan Aktiengesellschaft) befand sich in den 1970er Jahren das nächstgelegene Lochkartenlesegerät.



Elisabeth Gruber, Gabriele Schichta

Zum Geleit der fünften Ausgabe von MEMO


Alles begann mit mittelalterlichen Kunstwerken: Am 19. Mai 1967 eröffnete Harry Kühnel in der Minoritenkirche in Krems-Stein die Ausstellung „Gotik in Österreich“; der unerwartet hohe finanzielle Erfolg bildete für das bald darauf ins Leben gerufene „Institut für mittelalterliche Realienkunde Österreichs“ (IMAREAL) ein überaus hilfreiches Startkapital. Bereits in seinem Gründungsjahr 1969 wurde eine erste vom IMAREAL kuratierte Ausstellung mit dem Titel „Alltag und Fest im Mittelalter. Mittelalterliche Kunstwerke als Bilddokumente“ im Belvedere eröffnet. Mit dem Erfolg der beiden Ausstellungen war auch in inhaltlicher Hinsicht der erste Schritt des Instituts auf dem Weg zur Erforschung der materiellen Kultur gesetzt, nämlich das Interesse der Mittelalterforschung an materiellen Objekten zu wecken und diese systematisch zu betrachten. Die Methoden, die dafür zur Anwendung kamen, waren innovativ. Bereits 1970 publizierte die österreichische Tageszeitung „Die Presse“ einen Beitrag mit dem Titel „Per Lochkarte ins Mittelalter“ (Abb. 1) und hob die moderne Ausstattung des Instituts hervor: Mittels fotografischer Dokumentation und eines Sichtlochkartensystems vermochte man „in Minutenschnelle Auskunft zu geben“ über kulturhistorisch interessante Details mittelalterlicher Tafelbilder.



Seither hat eine Reihe methodischer und technologischer Entwicklungen die Forschungen am Institut geprägt. Die Einbindung unterschiedlicher historisch arbeitender Wissenschaftsdisziplinen war dabei ein wesentliches Merkmal. Von Beginn an tauschten Forschende verschiedener Fachrichtungen in unterschiedlichen Konstellationen und Intensitäten ihre Erkenntnisse aus. Die Einschätzungen der jeweils „anderen“ fachspezifischen Sicht auf die Dinge sind bis heute ein unverzichtbarer – wenn auch nicht immer konfliktfreier – Bestandteil der wissenschaftlichen Arbeit, die am IMAREAL geleistet wird.

MEMO, das als digitales Publikationsforum des Instituts für Realienkunde in den bereits publizierten Ausgaben die Impulse aus dessen Forschungsperspektiven aufgenommen hat, nimmt ebenfalls Anteil am „runden Geburtstag“ seiner Trägerinstitution. Fünfzig Jahre IMAREAL haben wir zum Anlass genommen, in der mittlerweile schon fünften Ausgabe unseres Online-Journals nach den Anfängen des Instituts zu fragen, den zugrunde liegenden Konzepten und Forschungsinteressen auf den Grund zu gehen und die Rahmenbedingungen für die Arbeit der „Gründungsgeneration“ nachzuzeichnen. Die mit Helmut Hundsbichler, Gerhard Jaritz und Elisabeth Vavra geführten Interviews skizzieren das breite Spektrum an Themen und Zugängen zur Position des IMAREAL aus den jeweils individuellen Blickwinkeln und inhaltlichen Schwerpunkten dieser drei – die Forschung am Institut gleichsam von der ersten Stunde an maßgeblich prägenden – Persönlichkeiten heraus. Zusätzlich zu diesen Perspektiven auf die Institutsgeschichte konnten wir auch zwei renommierte Personen aus den Material Culture Studies für unsere aktuelle Ausgabe gewinnen, die dem IMAREAL in wissenschaftlicher wie auch persönlich-kollegialer Weise nahe stehen. Ihre Beiträge widmen sich zum einen der Geschichte der Forschung zur materiellen Kultur im Allgemeinen, und zum anderen dem speziellen Bereich der Materialität und der Inszenierung von Materialien in Kunstwerken. Eine Darstellung und Einschätzung der Entwicklungen, Fragestellungen und Potentiale des Theoriekonzeptes „Materielle Kultur“ präsentiert Hans Peter Hahn (Frankfurt a.M.). In seinem als Forschungsüberblick angelegten Text entwirft er ein eindrucksvolles Bild des Weges, den die Auseinandersetzung mit den Dingen seit dem 19. Jahrhundert bis heute genommen hat. Aus seiner Perspektive haben die letzten 50 Jahre einen wichtigen Entwicklungsschub der Forschung hin zu einem Verständnis der Dinge als „Schlüsselelement der sozialen Kommunikation“ erlebt. Der Beitrag von Kathryn M. Rudy (St. Andrews) liefert dafür ein anschauliches Beispiel. Anhand von so genannten „Skeuomorphismen“ – Objekten also, die in ihrer Gestaltung andere Materialien und/oder Herstellungstechniken imitieren –  geht sie der Frage nach, welche Bedeutung derartigen Praktiken der Materialimitation  im Mittelalter zuzumessen ist und welche Erkenntnisse hinsichtlich der damit in Gang gesetzten sozialen Kommunikation daraus abzuleiten sind.



Für das Titelbild der aktuellen Ausgabe von MEMO, die ganz im Zeichen eines halben Jahrhunderts IMAREAL steht, haben wir mit der Darstellung des Markgrafen Heinrich II. „Jasomirgott“ aus dem Geschlecht der Babenberger auf seiner Kreuzfahrt ins Heilige Land ein Reise-Motiv gewählt. Es ist Teil des so genannten „Babenberger-Stammbaums“, eines monumentalen Tafelbildes vom Ende des 15. Jahrhunderts, das sich im Stiftsmuseum Klosterneuburg befindet. Als eines der ersten Bildwerke, die Aufnahme in die Bilddatenbank des Instituts für Realienkunde gefunden hatten, vermag es in  besonderem Maße die Entwicklungen auf technisch-methodischem Gebiet – allen voran jene im Bereich der Digital Humanities – zu veranschaulichen, an denen das IMAREAL seit jeher teilhat und die es kontinuierlich vorantreibt. Zum einen hat das Institut in dieser Hinsicht Pionierleistungen vollbracht, indem die Möglichkeiten neuer Technologien bereits zu einer Zeit ausgelotet und genutzt wurden, als der Begriff „Digitale Geisteswissenschaften“ auf der wissenschaftlichen Landkarte noch nicht existierte und die IT noch in den Kinderschuhen steckte. Gleichzeitig entwickelten sich gerade Computertechnologien und webbasierte Anwendungen in den letzten Jahrzehnten in immer rasanterer Geschwindigkeit weiter, was auch an den digitalen Tools des Instituts – und hier vor allem an REALonline – nicht spurlos vorüberging. Am IMAREAL hat man jedoch auf die Erfordernisse der Zeit reagiert und das wichtigste DH-Produkt des Instituts im Zeitraum von 2013–2017 einer umfassenden Überarbeitung mit anschließendem Relaunch unterzogen. Die Datenbank hat nun zahlreiche neue Features, welche die Benutzerfreundlichkeit erhöhen und neue Möglichkeiten der wissenschaftlichen Recherche eröffnen. Der Babenberger-Stammbaum ist als erstes der in REALonline erschlossenen Werke einer aufwändigen  Neubearbeitung unterzogen worden, durch die er im Frontend der Datenbank in der so genannten „Tagged View“ betrachtet werden kann. Diese ermöglicht es, bereits mittels Mausbewegung über das Bild die zahlreichen dargestellten Elemente des Bildes zu identifizieren und die ihnen zugeordneten Bezeichnungen im hinterlegten systematischen Thesaurus der Bildbeschreibungen sichtbar zu machen. Die außergewöhnlich dichte und komplexe inhaltliche Erschließung der Bilder, die das Ergebnis langjähriger Arbeiten darstellt und REALonline maßgeblich von anderen Bilddatenbanken unterscheidet, wird auf diese Weise bereits an der Oberfläche für die Besucher*innen nutzbar und erleichtert ihnen den Einstieg wie auch die weitere Navigation.

Als „Gesamtheit der Maßnahmen zur Bestimmung des Standorts und zur Einhaltung des gewählten Kurses“ wird der Begriff „Navigation“ im Duden definiert. Am IMAREAL war man insbesondere in der Anfangszeit, aber auch danach stets bestrebt, sich durch klare Zielsetzungen und Aufgaben in der nationalen wie internationalen Forschungslandschaft zu positionieren. Der gewählte Kurs blieb trotz unterschiedlicher wissenschaftlicher, politischer und wissenschaftspolitischer Entwicklungen sowie  zahlreicher „turns“ relativ konstant – und zwar auf die Erforschung materieller Kultur und auf die Beziehungen zwischen Menschen und Dingen ausgerichtet –, gleichzeitig aber immer flexibel genug, um Anregungen und Denkanstöße aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Entwicklungen aufnehmen zu können, und um sich auch Umwege und Abstecher von der vorgegebenen Route erlauben zu können.

Die bereits zu Anfang gesetzten und immer wieder den aktuellen Entwicklungen angepassten Ziele des IMAREAL erforderten eine systematische Erschließung von Quellen. Originalobjekte, Schriftquellen und Bildquellen sollten gleichermaßen für kulturhistorische Interpretationen herangezogen werden. Die aus pragmatischen Gesichtspunkten gewählte Einschränkung auf den Raum der Republik Österreich wurde kontinuierlich ausgeweitet auf jene Territorien, die im Spätmittelalter das Herzogtum Österreich und seine benachbarten Herrschaftsgebiete umfassten. Die politische Wende des Jahres 1989 ermöglichte länderübergreifende Kooperationen, wie etwa das Erschließungsprojekt „Alltag im donaueuropäischen Raum“, das Objekte aus Tschechien, der Slowakei, Ungarn, Rumänien und Slowenien erfasste. Mit der Öffnung des räumlichen Konzepts ging auch eine Ausweitung des Untersuchungszeitraums bis ins 17. Jahrhundert einher. Ebenfalls 1989 wurde die bis heute verwendete Bezeichnung als „Institut für Realienkunde des Mittelalters und der frühen Neuzeit“ (bei gleichzeitiger Beibehaltung des „alten“ Akronyms IMAREAL) eingeführt. Mit dem Jahr 1997 schließlich hatte sich das bis heute beibehaltene Spektrum der am Institut vertretenen Wissenschaftsdisziplinen etabliert: Neben Historiker*innen, Kunsthistoriker*innen und Germanist*innen zählten nun auch Archäolog*innen kontinuierlich zum Personalstand des IMAREAL.
Seine Offenheit gegenüber unterschiedlichen Positionen und Herangehensweisen im breiten Forschungsfeld der material culture studies manifestierte sich nicht nur in der internen personellen Aufstellung des Instituts, sondern von Beginn an auch in seiner Vernetzung mit in- und ausländischen Forscher*innen und Institutionen und in seiner Anschlussfähigkeit an international rezipierte Theoriekonzepte.  In theoretisch-methodischer Hinsicht übte das Institut dabei schon früh eine Brückenfunktion zwischen unterschiedlichen Zugängen zu materieller Kultur aus: Das stärker aus dem osteuropäischen Raum kommende Denken von Materialität als Grundbedingung von Gesellschaft und Ökonomie und die westeuropäische, insbesondere von der französischen Annales-Schule wesentlich beeinflusste, sozialgeschichtlich orientierte Geschichtsschreibung verbanden sich mit der deutschsprachigen Tradition der Quellennähe, einem besonderen Fokus auf  Quellenerschließung und dem Bestreben, zu systematisieren und zu kategorisieren.

Jede Reise birgt auch ihre Herausforderungen und Risiken; Heinrichs II. Kreuzfahrt ins Heilige Land hätte beinahe ein schlimmes Ende genommen, wäre ihm nicht am Fluss Tembris in der heutigen Türkei gemeinsam mit dem späteren Kaiser Friedrich Barbarossa die Flucht gelungen. Ohne seine heile Wiederkehr hätte wohl die Geschichte der Erhebung der Mark Österreich zum Herzogtum einen völlig anderen Verlauf genommen. Dazu, dass das Institut für Realienkunde während seiner nunmehr 50 Jahre dauernden Reise trotz so mancher Turbulenzen beständig seinen eingeschlagenen Kurs halten und schließlich im Jahr 2012 in den „sicheren Hafen“ der Universität Salzburg einfahren konnte, haben sowohl seine Alleinstellungsmerkmale als auch seine Vielseitigkeit und sein integratives Potenzial wesentlich beigetragen. Die Eingliederung des IMAREAL in das Salzburger Interdisziplinäre Zentrum für Mittelalter und Frühneuzeit ermöglichte seine Weiterentwicklung von einer reinen Forschungseinrichtung zu einer auch in den universitären Lehrbetrieb eingebundenen Institution, die als Sprachrohr für zentrale Fragestellungen und aktuelle Trends in der Erforschung materieller Kultur agieren kann.



Die jüngste Etappe der  gemeinsamen Reise hat das derzeitige Team am IMAREAL zu einer Publikation geführt, die in der Geschichte des Instituts in dieser Form ein Novum ist und dafür steht, dass nicht nur die inhaltlichen Schwerpunktsetzungen, sondern auch die Formen interdisziplinären Zusammenarbeitens hier immer wieder neu reflektiert und erprobt werden. Wohl ist das IMAREAL bereits seit den achtziger Jahren für seine Publikationsreihen sowie seit den siebziger Jahren für die Herausgabe interdisziplinär ausgerichteter Tagungsbände bekannt¹; aber zum 50jährigen Bestehen ist nun erstmals ein Buch erschienen, zu dem alle Mitglieder des wissenschaftlichen Teams einen Beitrag im Rahmen eines gemeinsam erarbeiteten methodischen Zugangs beisteuerten.² Die Forschungsperspektive „Object Links“ wurde von den wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen am IMAREAL gemeinsam als ein Zugang entwickelt, der den Blick auf die Beziehungen zwischen Objekten und zwischen Objekten und Personen lenkt und davon ausgeht, dass den Dingen nicht a priori feste Bedeutungen eingeschrieben sind, sondern dass Dinge erst durch die Verbindungen, die sie eingehen, Bedeutung(en) erlangen. In dem gleichnamigen Band Object Links - Dinge in Beziehung wird daher nicht ein gemeinsames Thema oder gar ein gemeinsames Untersuchungsobjekt erforscht, sondern es werden jeweils höchst unterschiedliche Gegenstände aus der gewählten Forschungsperspektive heraus mit gemeinsam entwickelten und auf alle Fallbeispiele anwendbaren Fragestellungen untersucht. Das Ziel war, das Interesse von der (ohnehin schwierigen) Vergleichbarkeit der Quellen und Gegenstände wegzulenken, hin zu einer Vergleichbarkeit der Ansätze. Die in der Diskussion gewonnenen Impulse und neuen Sichtweisen auf die eigenen Themen stellten eine Bereicherung für jedes Teammitglied dar.

Indem wir der Jubiläumsausgabe unserer Zeitschrift MEMO den Titel „Perspektiven auf Materielle Kultur“ gegeben haben, möchten wir das Augenmerk auf die Vielfalt möglicher Zugänge und Theoriekonzepte legen, welche die wissenschaftliche Beschäftigung mit materiellen Objekten stets kennzeichnete – eine Vielfalt, der auch am Institut für Realienkunde des Mittelalters und der Frühen Neuzeit immer Rechnung getragen wurde. Das gleichberechtigte Neben- und Miteinander verschiedener Wissenschaftsdisziplinen und die konstruktive Diskussion prägte während der vergangenen fünfzig Jahre die Arbeit am IMAREAL. Wir wünschen dem Institut, dass diese produktive und wertschätzende Art der Zusammenarbeit auch die nächsten fünfzig Jahre kennzeichnen wird.




¹ Im Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften erschienen von 1976 bis 1990 die Veröffentlichungen des Instituts für mittelalterliche Realienkunde Österreichs.

² Zwar waren mit den Sammelbänden „Die Funktion der schriftlichen Quelle in der Sachkulturforschung“ (1976) und „Alltag im Spätmittelalter“ (1984) bereits Werke publiziert worden, die ausschließlich Beiträge von Mitarbeiter*innen des IMAREAL enthielten, doch unterscheiden sich diese konzeptuell wie auch methodisch von „Object Links – Dinge in Beziehung“ (2019).
Elisabeth Gruber, Gabriele Schichta:

Zum Geleit der vierten Ausgabe von MEMO


Eine mit Streublumenmuster dekorierte Kaffeetasse aus Porzellan, deren Henkel abgebrochen ist, ein Spielstein mit dem Konterfei Kaiser Maximilians I, eine Muschel und ein Fotoalbum. Was haben diese Gegenstände gemeinsam? Auf den ersten Blick vielleicht nicht viel, bei genauerem Hinsehen möglicherweise doch Einiges, im thematischen Kontext der aktuellen Ausgabe von MEMO jedoch etwas ganz Bestimmtes: Sie alle sind Objekte der Erinnerung – materielle Gegenstände, durch die Erinnerung(en) bewahrt, vermittelt und dauerhaft verfügbar gemacht werden sollen. Präzisierend müsste man hinzufügen, dass diesen Gegenständen in bestimmten Zusammenhängen, von bestimmten Personen und zu bestimmten Zeiten diese Funktion zugeschrieben wird. Bisherige Funktionen und Bedeutungen der Gegenstände können dadurch ergänzt oder verändert werden, aber auch völlig verschwinden. Jedes Objekt kann daher prinzipiell zum Erinnerungsobjekt werden: Entscheidend sind die Konstellationen, in die es eingebettet ist, und seine Eignung als solches aus Sicht derer, die mit ihm umgehen. Die eingangs genannte kaputte, geblümte Kaffeetasse vermag dies gut zu veranschaulichen: Während ihre Beschädigung ihre Funktionalität als Trinkgeschirr beeinträchtigt und es daher gerechtfertigt erscheinen könnte, die Tasse zu entsorgen, verbleibt sie dennoch im Haus, weil sie von der verstorbenen Großmutter stammt, die über Jahrzehnte hinweg daraus ihren Frühstückskaffee getrunken hat. In diesem einen Haushalt und in dieser einen familiären Konstellation hat die Tasse also die Funktion eines Erinnerungsobjektes angenommen. Vielleicht wird trotz ihrer Beschädigung noch aus ihr getrunken, vielleicht wird sie aber auch nicht mehr benutzt, sondern nur noch – dekorativ oder gar „quasi-museal“ – an gut sichtbarer Stelle aufgestellt; womöglich auch aus Angst, sie aus Unachtsamkeit gänzlich zu zerstören. Vielleicht sieht man gar, wenn der Blick auf sie fällt, im Geiste die Großmutter am Frühstückstisch sitzen. Gegenstände vermögen die mit ihnen verbundenen Personen ebenso im Gedächtnis der Rezipienten zu visualisieren wie die mit jenen verknüpften vergangenen Szenarien und Erzählungen – und zwar durchaus nicht nur dann, wenn sie tatsächliche Bildträger sind, wie der bereits genannte Maximilian-Spielstein.



Ein guter Teil der vielbeschworenen „Aura“ der Dinge resultiert darüber hinaus aus ihrem Potenzial, große Zeitspannen zu überdauern, sowie aus ihrer Langlebigkeit im Vergleich zu einem Menschenleben: Viele Objekte scheinen in besonderem Maße noch die Spuren ihrer längst vergangenen Nutzerinnen und Nutzer in sich zu tragen. Ein Gegenstand aus dem Besitz einer berühmten Person etwa, die vor langer Zeit – vielleicht vor Jahrhunderten – gelebt hat und von dem man mit einiger Sicherheit weiß, dass er von dieser Person berührt wurde, kann eine beträchtliche Faszination ausüben. Hierbei können einerseits die Grenzen zum Fetischismus fließend sein, andererseits Erinnerungsobjekte zu Luxusgütern werden, deren Preise von Auktionshäusern in astronomische Höhen getrieben werden, was wiederum bei vielen Menschen zu Abwehr führt. Gerade in Zeiten, in denen Konsum und Besitz zunehmend kritisch hinterfragt werden und wir uns mehr und mehr von der schieren Menge an Dingen in unserem Besitz überfordert fühlen, weil wir sie horten, pflegen, lagern, organisieren und ordnen müssen, fragen sich viele: Brauchen wir überhaupt die Dinge für unsere Erinnerungen? Bleibt denn die Erinnerung nicht auch ohne das Objekt bestehen? Ganz so einfach scheint es nicht zu sein. Denn auch wenn Erinnerung jenseits von materiellen Objekten existieren kann, so vermögen diese doch immaterielle, mentale Vorstellungen sinnlich fassbar und begreifbar (im wörtlichen Sinne) zu machen und in der jeweiligen Gegenwart zu verorten. Der vermeintlichen Flüchtigkeit der Erinnerung wird so etwas Gegenständliches (ebenfalls im wörtlichen Sinne) entgegengestellt. Was materielle Objekte auszeichnet und wodurch sie sich besonders gut als Erinnerungsobjekte eignen, ist – neben ihrer Omnipräsenz – ihr Potenzial, uns sinnlich und emotional auf direktem Weg anzusprechen und Verbindungen vielfältigster Art zu stiften. Dabei ist es zunächst gar nicht so wichtig, ob es sich um Artefakte – also von Menschen gemachte Objekte – handelt, wie etwa die Tasse oder den Spielstein, oder um „Naturobjekte“: So kann die Muschel, die als Souvenir vom Strand mitgenommen wird, die Erinnerung an diesen wie auch an eine ganze Urlaubsreise samt einzelnen Episoden, Akteuren und Begegnungen noch Jahre später reaktivieren. Die gefundene Muschel wurde zufällig zum Medium der Erinnerung, ähnlich wie die Porzellantasse, die womöglich nur wegen ihrer handlichen Größe aufbewahrt wurde, und weil sie als einziges Objekt aus dem Besitz der Verstorbenen übrig geblieben ist. Erinnerungsobjekte können aber auch absichtsvoll als solche deklariert oder überhaupt erst als solche geschaffen werden, so wie der Spielstein mit dem Porträt Kaiser Maximilians I., der erst einundzwanzig Jahre nach dessen Tod in Gedenken an ihn hergestellt wurde. Sie können gleichsam „organisch“ wachsen, wie das Familien-Fotoalbum, das sich ähnlich einer Erzählung entwickelt und sich mit seiner eigenen „Objektbiographie“ zu den Biographien der in ihm abgebildeten Personen in Beziehung setzt. Sie können aber auch retrospektiv in einem geplanten Akt geschaffen werden: Paradebeispiele dafür sind mittelalterliche und frühneuzeitliche Stammbäume, die das Gedenken an die Herkunft und das Werden einer Adelsfamilie bewahren und deren Genealogie generationenübergreifend dauerhaft visuell verfügbar machen sollen.



Das (virtuelle) Titelblatt der vierten Ausgabe von MEMO ziert ein solcher Stammbaum: Er stammt aus der Khevenhüller-Chronik von 1624/25. Die Familie Khevenhüller, die vom 15. bis 17. Jahrhundert zu den führenden Adelsgeschlechtern Kärntens sowie ganz Österreichs gehörte, setzte sich selbst mit diesem monumentalen Werk ein bleibendes Denkmal. Sie dokumentierte damit aber nicht nur ihre eigene Geschichte im engeren Sinne, indem die einzelnen Familienmitglieder porträtiert wurden, sondern sie zeigt auch auf eindrucksvolle Weise die verschiedenen Objekte der Erinnerung, durch die sich diese Familie in die Topographie einschrieb und ihre Memoria verstetigte. So fungieren die zahlreichen dargestellten Burgen und Schlösser wie beispielsweise die Burg Hochosterwitz in Kärnten als materielle Zeugen für Macht und Einfluss der Khevenhüller und zeigen, wie sich diese als die physische und materielle Umwelt gestaltende Faktoren dauerhaft in Erinnerung gehalten haben.

Die vierte Ausgabe von MEMO erscheint in einem Jahr, das im Zeichen eines ganz besonderen Gedenkens steht: Der Todestag des Habsburger Kaisers Maximilians I. jährt sich 2019 zum fünfhundertsten Mal, was naturgemäß seinen Niederschlag in zahlreichen Ausstellungen, Veranstaltungen und Publikationen findet. Maximilian ist der Nachwelt als eine Person in Erinnerung geblieben, die schon zu Lebzeiten auf vielfältige Weise und mit Nachdruck für die Sicherung ihres Andenkens bei späteren Generationen gesorgt hat und dieses Andenken in den unterschiedlichsten medialen Formen realisierte. „Wer ime [= sich selbst] im leben kain gedechtnus macht, der hat nach seinem tod kain gedechtnus, und demselben menschen wird mit dem glockendon vergessen“, formuliert Maximilian selbst am Ende seines autobiographisch angelegten Romans Weißkunig. In die Materialisierung dieses Gedechtnus investierte der Kaiser beträchtliche Geldsummen und hat so Erinnerungsobjekte geschaffen, die noch heute sichtbar und erfahrbar sind. Es nimmt daher nicht Wunder, dass drei Beiträge in der aktuellen Ausgabe dem Habsburger gewidmet sind, der sich selbst gerne als „letzten Ritter“ inszenierte und damit seine Person gleichsam zum Brennglas der Erinnerung an eine ganze Epoche stilisierte. Die vorliegenden Beiträge gehen nun aus unterschiedlichen Perspektiven der Frage nach, wie einzelne Objekte und Artefakte zu Zeichen für bestimmte Bedeutungen und Bedeutungszuschreibungen und insbesondere zu Objekten der Erinnerung werden. Wie entstehen solche Zuschreibungen und wie verändern sie sich im Laufe von Objektbiographien? Was leistet ein Objekt, wenn es zum Erinnerungsobjekt wird? Wie verhalten sich Objekte im Spannungsfeld zwischen individueller und kollektiver Erinnerung? Und welche Rolle nehmen dabei Sammlungen und die an ihnen beteiligten Akteure im Laufe der Zeit ein?

Den chronologischen Anfang macht Jochen H. Vennebusch (Hamburg) in seinem Beitrag zu einem der bedeutendsten Werke ottonischer Buchmalerei, dem so genannten „Hillinus-Codex“, den er als liturgisches Instrument der Memoria seines Stifters beschreibt. Beim Selbstbild und den Medien dieser Selbstinszenierung Maximilians I. setzt der Beitrag von Chassica Kirchhoff (New York) an: Sie untersucht verschiedene bildliche Darstellungen von eigens für den jungen Maximilian angefertigten Prunkrüstungen und deren Teilhabe an der Erinnerungskultur im Heiligen Römischen Reich. Eine andere Art, wie Erinnerungsobjekte im Nachhinein geschaffen werden können, nimmt der Beitrag von Heidrun Lange-Krach, Christoph Emmendörffer, Christoph Hauptmann und Ilja Sallacz (Augsburg) in den Blick. Sie beschäftigen sich mit dem sogenannten „Alten Einlass“, einem ganz besonderen Augsburger Stadttor, das in der städtischen Überlieferung nachträglich mit Maximilian I. in Verbindung gebracht wurde und seit Kurzem für Museumsbesucher mittels einer Virtual Reality-Rekonstruktion wieder erlebbar ist. Eine ähnliche nachträgliche Verknüpfung von Objekt und Person erfolgte im obersteirischen Schloss Hanfelden bei Zeiring, wo eine bauarchäologische Befundung neues Licht auf eine langjährige Erinnerungsgeschichte wirft. Claudia Theune und Iris Winkelbauer (Wien) zeigen, dass die etwa 100 Jahre nach einem Besuch Kaiser Maximilians angebrachte Inschrift gezielt eine Verbindung zwischen dem Schlossbesitzer Maximilian Rauchenberger und Maximilian I. herstellen sollte. Im letzten Beitrag dieser Ausgabe schließlich, der den chronologischen Bogen ins 17. Jahrhundert hinauf spannt, geht Nina Stainer (Wien) der Frage nach, welche Bedeutungen Handzeichnungen als Medien der Kommunikation und Selbstzeugnisse frühneuzeitlicher Bildhauer annehmen können. Handelte es sich dabei zunächst um Arbeitszeichnungen, die in erster Linie der Dokumentation von Formlösungen dienten, so wurden einige davon durch Widmungen und Inschriften in persönliche Erinnerungsobjekte verwandelt und an befreundete Künstler weitergegeben.

Objekte und Erinnerung werden uns im Übrigen auch in der nächsten Ausgabe von MEMO begleiten, in der das Gedenken fortgesetzt wird: Das Institut für Realienkunde des Mittelalters und der frühen Neuzeit feiert 2019 zwar nicht sein 500-jähriges Bestehen, aber es kann immerhin auf eine Geschichte von 50 Jahren zurückblicken. In diesen fünfzig Jahren hat sich auf dem Gebiet der Forschung zur Materiellen Kultur viel getan, und das Institut hat seinen nicht unwesentlichen Beitrag zu diesen Entwicklungen geleistet. Was liegt daher näher, als auch dieses Jubiläum dafür zu nutzen, sich gemeinsam an fünfzig spannende, wechselvolle Jahre des Instituts für Realienkunde zu erinnern: Dass dabei die Objekte nicht fehlen dürfen, liegt auf der Hand. Mit diesem Ausblick – der immer auch den Erinnerungsobjekten eingeschrieben ist, sollen diese doch dezidiert in die Zukunft hineinwirken – schließen wir unsere Geleitworte zu MEMO 4 (2019) und hoffen, dass unsere Zeitschrift allen Leserinnen und Lesern spätestens mit dieser Ausgabe dauerhaft in Erinnerung bleibt.