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Die Herren von Winkl bis ca. 1325

Die Herren von Winkl bis ca. 1325
Günter Marian
Herkunft und Stellung
Als „Spitzenahn“ der Henen von Wink! kann der erstmals in einer um 1 1 39/43
zu datierenden Klostemeuburger Traditionsnotiz1 erwähnte Poppo de Winche/e
gelten, der etwa zeitgleich im bayerischen Kloster Niederaltaich fiir den im
Sterben liegenden Markgraf-Herzog Leopold IV. ( 1 1 36-1 1 4 1 ) als Zeuge
nachzuweisen ist.2 Die Präsenz in der engsten Umgebung des östeneichischen
Markgrafen, der zugleich bairischer Herzog war, belegt Poppos Zugehörigkeit
zum babenbergischen Gefolge. Eine vermutete Identität mit einem gleichnamigen
Ministerialen Markgraf Leopolds III. ( I 095- 1 136) ist hingegen kaum
wahrscheinlich,3 da dieser ministeria/is mm-chionis Lubo/di Bobpo nomine noch
zu Lebzeiten seines Henn in dessen Stiftung Klosterneuburg bestattet wurde.4
1 FRA IU4, Nr. 632; Heide Dienst: Regionalgeschichte und Gesellschaft im Hochmittelalter
am Beispiel 6sterreich, Wien 1 990 (Mitteilungen des Instituts für Osterreichische Geschichtsforschung
Ergbd. 27), S. 246, Nr. 22. Datierung nach Erwin Kupfer: Weinviertier
Regesten bis zum Ausgang der Babenbergerzeit. Elektronisches Manuskript, Stand März
2009, Nr. 476d.
2 N6UB TI, Nr. +206 (114 1 Mitte Oktober, Niederaltaich); zur Datierung siehe Note * ebd.,
zum Manipulationsverdacht ebd., S. 634.
3 N6UB Vorausbd., S. 162.
4 FRA ll/4, Nr. 16. Ebenso unwahrscheinlich ist auch eine vom Bearbeiter des Klosterneuburger
Urkundenbuches (vgl. FRA IU28 307) übernommene Gleichsetzung des in
Klosterneuburg bestatteten Ministerialen Poppo (FRA Il/4, Nr. 16) mit einem lediglich als
B. (FRA IU4, Nr. 463) erwälmten Mann, dessen Frau Heilka bei seinem Begräbnis in
Klosterneuburg eine Stiftung vornimmt (vgl. Günter Marian: Wink/, in: Gerhard Reichhalter,
Karin und Thomas Kühtreiber: Burgen Weinviertel, Wien 2005, S. 232). Die Personenkreise
der beiden, jeweils im Zuge des Begräbnisses vorgenommenen Traditionen,
lassen jegliche Übereinstimmung vermissen, was kaum der Fall gewesen wäre, wenn es
sich um ein und dieselbe Person gehandelt hätte. ln der Tradition des Poppo werden neben
seinen Brüdern Rupert und Rüdiger noch folgende Personen als Zeugen genannt: Hugo mit
dem Munde, Anshalm von Sittendorf, Tagino mi/es des Rupert und Rudolf von Bierbaum
(welches ?), Pero, Gerung (FRA W4, Nr. 16). Also Ministerialen und ihre niederadeligen
Gefolgsleute. Beim Begräbnis von B. hingegen waren neben seiner Frau vor allem Angehö-
20
Als Zeitgenossen Poppos von Winkl erscheinen noch weitere nach diesem 011
Genannte, deren Quellenpräsenz jedoch so marginal bleibt, dass sich kaum
Aussagen über ihre Beziehung zum „Stammvater“ der RetTen von Winkt treffen
lassen. Es handelt sich dabei um das Trio Tiemo, Rahawin und Adalbrecht5
sowie Dietmar von Winkl6.
Woher aber kamen die ersten nach Winkt Genannten und deren Vorfahren,
aus welchem Umkreis stammten sie und mit wem unterhielten sie Beziehungen?
Einen Ansatzpunkt für eine BeantwOJ1lmg derartiger Fragen nach
dem (verwandtschaftlichen) Beziehungsgeflecht von Adelssippen bietet die
zwangsläufig mit Unsicherheiten behaftete Untersuchung des fiir bestimmte
Familienverbände typischen Namensgutes. Das bedeutet zunächst die Identifizierung
von sogenannten „Leitnamen“, deren Position innerhalb der zumeist
einer gewissen Systematik unterliegenden Zeugenreihen dann zu analysieren ist:
Lassen sich bestimmte Namenskombinationen öfter nachweisen? Wenn ja, in
welchem Umfeld? Welche namengebenden Orte spielen dabei eine Rolle? Diese
und ähnliche Fragen sind dabei zu stellen. Falls datüber hinaus auch Informationen
zu Gemengelage von Besitz vorliegen, kann dies als weiterer Anhaltspunkt
für Beziehungen dienen7.
Aufgrund derartiger Fragestellungen kann eine Herkunft der Henen von
Wink! aus dem Umkreis des in enger Beziehung zur markgräflichen Residenz
Klosterneuburg stehenden babenbergischen Gefolges in Betracht gezogen
werden, da sich vor allem im Namengut jener Leute und den frühen Winklern
auffällige Übereinstimmungen gezeigt haben. Die Angehörigen dieser markgräflichen
Familia, deren Kem von der sogenannten „Opold-Pilgrim-Erchengerrige
des Grafenhauses von Poigen-Regau sowie verschiedene Edelfreie anwesend: Gebhard
Graf von Poigen und dessen Sohn Hermann, Gerold von Elsam (im Straßertal), Ono von
Machland, Hartwig von Reidling, Walter de Treisma (St. Andrä an der Traisen), Dietrich
von Pürgstetten, Ono von Mold, Heilfolk von Wetzeisdorf und schließlich lrmnold von
Dümbacb (FRA JI/4, Nr. 463).
5 FRA 11/4, Nr. 139 (um 1 130/40); Rahawin von Wink! nochmals in: BUB I, Nr. 14 (1140/41)
und gemeinsam mit einem Hartwig in FRA IU69, Nr. 338 (1141/47); Tiemo vennutlicb
nochmals in FRA IV69, r. 214 (1130/35), siehe dazu Anm. 12.
6 FRA !U4, Nrr. 169 (um 1130/40), 501 (um 1130/40).
7 Zur Bedeutung der Traditionsbücher der Stifte Göttweig w1d Klosterneuburg zur Rekonstruktion
von Adelssippen Maximilian Weltin: Probleme der millefalterliehen Geschichte
Niederösterreichs. Unter besonderer Berücksichtigung des Hollabrzmner Bezirkes, in: Maximilian
Weltin: Das Land und sein Recht. Ausgewählte Beiträge zur Vetfassungsgeschichte
Österreichs im Mille/alter, hg. von Folker Reichert und Winfried Stelzer, WienMünchen
2006 (Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung Ergbd.
49), S. 436-486, hier S. 476. Zur Problematik allgemein Wilhelm Stönner: Hochmittelalterliche
Adelsfamilien: Probleme vor die uns die Quellen stellen, in: Hochmittelalterliche
Adelsfamilien in Altbayern, Franken und Schwaben, hg. von Ferdinand Kramer Wld
Wilbelm Stönner, München 2005 (Studien zur bayerischen Verfassungs- und Sozialgeschichte
Bd. 20), S. 9-38.
21
Sippe“ gebildet wurde,8 waren in der Frühzeit der Pfalz tonangebend als
Säkularkanoniker und stellten die Grundherren der Umgebung.9 Teile dieses
Personenverbandes lassen sich wahrscheinlich auf die Gefolgschaft des in den
achtziger Jahren des 1 1 . Jahrhunderts als Antigregorianer zur Emigration
gezwungenen Grafen Watther von Kling zurückführen, dessen Vorfahren hier
bereits zur Mitte des Säkulums herrschaftsbildend aufgetreten waren.10
Zur E1innerung: die ersten gemeinsam nach Wink! Genannten hießen
Tiemo, Rahawin und Adalbrecht/-bert. Tiemo könnte mit einem gleichnamigen
Wohltäter des Klosters Göttweig identisch sein, der dem Stift sein Gut in Porz
(abgek., südl. Neustift im Felde) schenkt, mn es gegen eine geringe Zinsleistung
zum lebenslänglichen Nutzgenuss zuiückzuerhalten, zumal in der Zeugenreihe
auch ein Riwin genannt wird. 11 Mit einiger Sicherheit wird Tiemo von Winkl
aber in einer weiteren Göttweiger Tradition erwähnt, in der er die Widmung
eines Weingartens in Krems bezeugtY Zudem könnte er ein enger Ye1wandter
eines nach Wink! genannten Dietrnar gewesen sein, 13 für den die Nähe zu den
ministerialischen Sieveringem charakteristisch ist.14 Und schließlich sind noch
Poppo von Wink!, der „Spitzenahn“ des Geschlechts, sowie der ihm nahestehende
Wolfker von Winkl zu erwähnen, auf die unten noch näher einzugehen sein
wird.
8 Dienst: Regionalgeschichte (wie Anm. 1), S. 150-164.
9 Dienst: Regionalgeschichte (wie Anm. 1), S. 191; ebd., S. 204.
10 Maximilian Weltin: Landesforst und Adel – Osterreichs Werden, in: Maximilian Weltin,
Das Land und sein Recht. A usgewählte Beiträge zur Verfassungsgeschichte Osterreichs im
Mittelalter, hg. von Folker Reichert und Winfried Stelzer, Wien-München 2006 (Mifleilungen
des Instituts fiir Osterreichische Geschichtsforschung Ergbd. 49), S. 509-564, hier S.
517. 11 FRA W69, Nr. 123 (um 1108/25). 12
In der Gönweiger Tradition (FRA IU69, Nr. 214) wird in der Zeugenreihe nach Bertoldus
de Piriboum ein Tiemo de Winchilarin gena1mt. für Winklarn (VB Amstetten) wäre dies
eine singuläre Nennung als namengebender Sitz und in Winklern (Gem. Donnersbach PB
Liezen, Stmk), wo sich otakarische Ministerialen nachweisen Jassen (Belege siehe ANB:
lsolde Hausner und Elisabeth Schuster [Bearb.): Altdeutsches Namenbuch. Die Überlieferung
der Ortsnamen in Osterreich und Südtirol von den Anfängen bis 1200, hg. vom
lnslitul fiir Österreichische Dialekt- und amenlexika der ÖA W, Wien 1989-2004, S.
1143), frndet sich der Name Tiemo nicht. Für Wink! hingegen spricht neben dem passenden
Namen Tiemo auch der lokale Bezug.
13 Zu Tiemo/Dietmar siehe Förstemann: Altdeutsches Namenbuch Bd. I , Sp. 1455 zu Thiemmo:
„Die hier verzeichneten koseforrnen gehören … namentlich aber zu Thietmar, womit
sie öfters bei einer und derselben person wechseln.“
14 FRA IU4, Nr. 169 Zeugenreihe: Ditmar de Winchi/, Adelbreht de Suuveringen, .. . ; ebd., Nr.
50 I. Zeugenreihe: Heinrich und Adelram von Günselsdorf; (J’dalrich et filius eius
Adelbertus de Suueringen; Ditmarus de Winchel, Perwein von Leobendorf, . .. investiture
testis est Dicmarus predictus. Zu den Sieveringem Heide Dienst: Babenberger-Studien.
Niederösterreichische Traditionsnotizen als Quellen for die Zeit Markgraf Leopolds 111.,
Wien 1966 (Wiener D i ssertationen aus dem Gebiet der Geschichte Bd. 7), S. 13Sf.
22
Hält man sich dazu nun die genealogische Skizze1 5 der Opold-ErchengerSippe
vor Augen, so fallt der Blick sogleich auf den Kanoniker Adalbert mit
seinem Sohn Dietmar sowie auf Adalberts Bruder Pilgrim mit seinen Söhnen
Rudwin!Rahawin und Adalbert. Das 1 1 14/33 gemeinsam mit einem Leopold
von Weidling auftretende Brüderpaar Rudwin/Rahawin und Adalbert nannte
man wohl wenig später ebenfalls nach Weidling_l6 Zudem wurde Weidling auch
für einen Dietmar namengebend. 17 Das sowohl fiir die Opold-Erchenger-Sippe
als auch für die ersten nach Winkl Genannten charakteristische Namenpaar
Rahawin/Rudwin und Adalbert/-brecht begegnet ohne namengebenden Ort
zunächst I I 1 4 unter den Zeugen einer Besitzübertragung des babenbergischen
Burggrafen Otto von Mödling an Klostemeuburg18 und nur wen􀀯g sfäter in einer
Mühlbach am Manbartsberg betreffenden Schenkung an Göttwetg. 1
In der Tradition des Mödlinger Kastellans stehen Adelbertus und Rawinvs
am Schluss der Zeugenreihe, während an deren Beginn neben Vetwandten des
Wohltäters zunächst Leute aus dem Gebiet des heutigen XIX. Wiener Gemeindebezirks
(Sievering, Grinzing und Döbling) erscheinen, auf die das Trio Tiemo,
Konrad und Poppo von Kierling folgt.20 Damit werden mit Poppo und Tiemo
zwei weitere Namen der frühen Wink1er im Raum um Klosterneuburg fassbar.
Während Tiemo bis etwa 1 1 30/40 in Kierling nachweisbar ist und von einem
Rudolf als maßgeblicher Mann des Dorfes abgelöst wird/1 bleibt die Nennung
Poppos nach Kierling von 1 1 14 singulär. Damit eröffnet sich die Möglichkeit,
diesen Poppo mit einem gleichnamigen markgräflichen Güterpropst von Krems
gleich zu setzten, der wiederum als Begtünder der nahegelegenen Herrschaft
Wink! in Betracht gezogen werden kann.Z2 Immerhin ist bei der ersten urkundlichen
Erwähmmg des „Ahnherm“ der Herren von Wink! eine Beziehung zu Rudolf
von Kierling feststellbar.23 So gesehen, könnte auch Tiemo von Kierling,
dem zumindest ein einzelner Kontakt zu den Herren von Sievering nachzu-
15 16 Dienst: Regionalgeschichte (wie Anm. 1), S. 164.
FRA W4, r. 1 5 ; Dienst: Regionalgeschichte (wie Anm. 1), S. 260, Nr. 5; FRA II/4, Nr.
195; Dienst: Regionalgeschichte (wie Anm. 1), S. 246, Nr. 2 1 .
1 7 FRA II/4, Nrr. 195, 130; Dienst: Regionalgeschichte (wie Anm. 1), S . 246, Nr. 21; ebd., S.
260, Nr. 9.
18 FRA II/4, Nr. 124; Dienst: Regionalgeschichte (wie A1m1. 1), S. 244, Nr. 3.
19 FRA II/69, Nr. 160 (um 1 120).
20 Auffallig ist, dass in der Aufzählung der Quelle Tiemo und Konrad mit einem et verbunden
sind, während Poppo durch einen Beistrich von ihnen geschieden ist: .. . , Tiemo et Cv0nradus,
Poppo de Chirchelingen, … , womit angedeutet werden könnte, dass Tiemo und Konrad
Brüder waren.
2 1 Dienst: Regionalgeschichte (wie Anm. 1), S. 192f.
22 Dazu unten S. 26ff. und 31 .
23 FRA W4, Nr. 632; Dienst: Regionalgeschichte (wie Anrn. 1), S. 246, Nr. 22, Zeugenreibe:
Graf Leutold (von Plain), Poppo von Wink!, Albero von Kreuzstetten, Rudolf von Kierling,
Germunt, Sindram von Maleisdorf
23
weisen ist/4 mit Tiemo von Wink! und dem ebenfalls mit den Sieveringern in
Beziehung stehenden Dietmar von Winkl in Verbindung gebracht werden.
Das Namenpaar Poppo und Rahawin!Rudwin findet sich wiederum unter
den Zeugen einer Zensualenschenkung25 des Adelward von Kirchbach (Ober-,
Unter-, Gem. St. Andrä-Wördern)26 an Klostemeuburg, wobei freilich offenbleiben
muss, ob es sich dabei um die andernorts nach Winkl Genannten
handelt. Deutlich wird dadw-ch aber einmal mehr das gehäufte Vorkommen
dieser charakteristischen Namen im Umkreis der Babenberger Pfalz Klosterneuburg.
Dass eine signifikante Übereinstimmung bestirrunter Namen bei adeligen
Familienverbänden – wie es eben bei Angehörigen der Familia um Klosterneuburg
und den frühen Winklern der Fall ist – zu Recht auf enge verwandtschaftliche
Bindungen schließen lässt, zeigt sich auch am Umfeld des bereits
oben erwähnten Pilgrim mit seinen Söhnen Rudwin und Adalbert. Auffallend oft
wird Pilgrim neben einem Adelward genannt,27 der bisweilen von einem Tiemo
begleitet wird.28 Dass die gemeinsamen Nennungen kaum zufällig erfolgt sind,
zeigt der Vergleich der Zeugenreihen Z\veier aufeinanderfolgender Klosterneuburger
Traditionen:29 In der ersten Notiz finden sich Pilgrim, der Bruder Opolds,
mit seinem Sohn Rudwin gefolgt von Adelward und Tiemo, die sich durch die
Konjunktion „et‘ verbunden als enge Verwandte zu erkennen geben.30 In der
nächsten Tradition tritt ein anderer Pilgrim, der vielleicht mit einem gleich-
24 FRA II/4, Nr. 205; Dienst: Regionalgeschichte (wie Anm. 1), S. 245, Nr. I I.
25 FRA li/4, Nr. 48 1 (um 1 136).
26
Im HONB (Heinrich Weigl [Bearb.): Historisches Ortsnamenbuch von Niederösterreich. 8
Bde. Wien 1964-1981, K 128) sowie in ANB (wie Anm. 12) 593 nach Kirchbach, Gem.
Rapportenstein VB Zwettl, lokalisiert. Aufgrund der Umgebung und wahrscheinlicher
genealogischer Verbindungen zur Opold-Erchenger-Sippe kommt m. E. eher Kirchbach
westl. von KJostemeuburg in Betracht.
27 … Bi/egrimusfrater Opoldi etji/ius suus Rovdewinus et Ade/wardus (FRA Il/4, Nr. 25); … ,
Pilgrimfilius et Radewin, . . . , Ada/wart, . .. (ebd., Nr. 26); . . . Pilgrimus et Rovdewinusfi/ius
eius ac Ovda/ricus et Ada/vuart, … (ebd., Nr. 30); . . . , Piligrimus, Ade/vuardus, . . . (ebd.,
Nr. 30); . . . , Pi/igrimus, Ade/vuardus, . .. (ebd., Nr. 42); . . . , Pilgrinus, Adeluuartus, … (ebd.,
Nr. 52); . . . Ada/uuartus, Pi/igrinus, Adelbertus, . . . (ebd., Nr. 55); . . . Pilegrimus et fi/ius
suus Rv’devuinus, Ade/wardus (ebd .. Nr. 60); … Pilegrimus, Ada/vardus, . . . (ebd., Nr.
138); .. . Luipo/dus (von Weidling ?), . . . Pilgerimus frater Opoldi et Adelwardus (ebd., Nr.
214); . . . Adalwardus, Wiso de Cricendorf Piligrimusfrater Otpoldi . 28 . . . (ebd., Nr. 230). … , Pi/igrimus et filius suus Ro•dewinus, Ade/uuart et Tiemo, … (FRA IU4, Nr. 45); … ,
Piligrimus, … , Adeluuart, Tiemo (ebd., Nr. 53); … Pi/igrimus, Ade/uuart, Tiemo, … (ebd.,
Nr. 54).
29 FRA Il/4, Nrr. 45, 46; . . . , Pi/igrimus, … , Adeluuart, Tiemo (ebd., Nr. 53); … Pi/igrimus,
Adeluuart, Tiemo, … (ebd., Nr. 54).
30 .. . , Piligrimus etji/ius suus Rovdewinus, Adeluuart et Tiemo, … (FRA IU4, Nr. 45).
24
namigen nach Döbling (Wien XIX) Genannten identisch ist,31 als Zeuge auf und
wird dabei von seinen Söhnen Adelward, Tiemo, Wisent, Adalbert und Engelger
begleitet. 32
Damit ist unschwer zu erkennen, dass es sich bei dem in der ersten
Tradition genannten Duo Adalward und Tiemo um die beiden ältesten Söhne
des in der zweiten Notiz erwähnten Pilgrim handelt, von denen Adelward wahrscheinlich
mit dem gleichnamigen markgräflichen Kellermeister zu identifizieren
ist.33 Zieht man nun die Übereinstimmung der Namen Pilgrim und Adalbert
in beiden Personengruppen in Betracht und berücksichtigt das gemeinsame
Auftreten als Zeugen, so ist eine enge Verwandtschaft der beiden Pilgrime und
ihrer Nachkommenschaft wohl kaum mehr zu bezweifeln.
Demnach kommt auch ein unmittelbar nach Adelward genannter Namensvetter,
34 der vielleicht mit dem schon erwähnten Adelward von Kirchbach
gleichgesetzt werden kann, als dessen Verwandter in Frage. Dass bei gemeinsam
genannten Gleichnamigen aber nicht nur an Blutsverwandte zu denken ist,
belegt das Beispiel des Leopold von Weidling, der zusammen mit einem Schwager
gleichen Namens auftritt.35 Der Kellermeister Adelward wird bisweilen auch
zusammen mit einem in der Seniorität vor ihm rangierenden Hugo genannt/6
was ebenfalls kein Zufall gewesen sein dürfte. Dieser Hugo stand höchstwahrscheinlich
fiir die Namensgebung von Adelwards Sohn37 Pate und kommt
somit als dessen Verwandter in Betracht.
Diese Beispiele belegen ein Mal mehr die schon oft bemühte These, dass
von Übereinstimmungen im Namengut und gemeinsamen Auftreten in Zeugenreihen
auf verwandtschaftliche Bindungen geschlossen werden kann. Sieht
man vom Auftritt Poppos von Wink1 mit Rudolf von Kierling einmal ab/8 liegt
31 … Piligrimus de Teopilic, . .. (FRA II/4, Nr. 1 26); . . . , Adaluuardvs, Piligrimus de Topilicha
(ebd., Nr. 145).
32 … testes sunt Pilgrimus et filii eius Adelwardus, Tiemo, Wisent, Adelbertus et Engelgerus
(FRA Tf/4, Nr. 46). Neben den gemeinsamen Nennungen mit Tiemo (siehe dazu Anm. 29)
wird Adalward offenbar auch mit seinem Bruder Adalbert genannt: . . . et Adelwart et
Adelbertus (ebd., Nr. 56).
33 Bilegrimus fra/er Oboldi et filius suus Rovdevvinus et Hauuart de Uedeniche, Adeluuar
cellenarius marchionis, … (FRA ll/4, Nr. 20); . . . Liupoldus de Widenichi, Adalwardus
cellerarius, Adalwardus, . . . (cbd., Nr. !SI); .. . Adelwardus cellenarius, Hawarl de
Widnich, Diemo de Chirehlingen (ebd., Nr. 205); . . . Adelwardus cellenarius, Piligrimus, . . .
(ebd., Nr. 232); … Piligrimusfrater Otpoldi, Adeluuardus cellenarius, Poppo, . . . (ebd., Nr.
238).
34 … ,Adalwardus cellerarius, Adalwardus, . . . (FRA 1114, Nr. 151).
35 . . . , Leiudpoldvs de Widnich et alius Leiutpoldus frater uxoris sue, Adalwardus, .. . (FRA
IU4, Nr. 226).
36 FRA II/4 Nrr. 48, SO, ISS.
37 … Adelwardus el filius eius Hugo, Leupoldus de Widniche, . . . (FRA IV4, Nr. 208); …
Adalwart, Hugo, Poppo, … (ebd., Nr. 492).
38 Wie Anm. 23.
25
der Glücksfall gemeinsamer Zeugennennungen oder gar Angaben zum
Verwandtschaftsverhältnis von Angehörigen der markgräflichen Familia mit den
ftühen Winklern indes nicht vor.
Dennoch lassen sich zusammenfassend drei Argumente anführen, die für
eine enge und wahrscheinlich auch verwandtschaftliche Verbindung zwischen
Mitgliedern der um Klosterneuburg beheimateten babenbergischen Familia und
den Ministerialen von Wink! sprechen. An erster Stelle ist hier die sehr augenfällige
Übereinstimmung im Namengut der beiden Personenverbände zu nennen.
Dazu kommt die bei beiden feststellbare Beziehung zu den Ministerialen von
Sievering. Und nicht zuletzt die Möglichkeit, Poppo von Kierling mit dem
gleichnamigen Spitzenahn der Herren von Wink! zu identifizieren, der als
markgräflicher Güterpropst von Krems in den nicht weit davon entfernten
Donauauen die Herrschaft Wink! errichtet haben könnte.
Demnach kann man davon ausgehen, dass die Herren von Winkl aus
jenem Gefolgschaftsverband rund um die Babenbergerpfalz Klosterneuburg
hervorgegangen sind, von dessen Angehörigen, wie Heide Dienst39 resümiert,
„kaum Eigenbesitz etwähnt wird, die aber . . . fur konkrete Aufgaben eingesetzt
wurden, für die Rodung, in der Güterverwaltung, in der Seelsorge etc. Ihrer
Verbindungen und Kenntnisse hat sich auch der Babenberger Leopold III. mit
Erfolg bedient.“ ,,Dass diese über Generationen ihren Lebensraum nicht
verlassen haben und dementsprechend auch unbedeutend geblieben sind“,40 wird
wohl auf den Großteil dieser Leute zutreffen, jedoch könnten die Ministerialen
von Wink!, über deren Aufstieg noch zu reden sein wird, jene Ausnahme
darstellen, die diese Regel bestätigt.
Vergleichbare Verhältnisse begegnen etwa in und um das otakarische
Zentrum Steyr, wo Ministerialen von eher geringer Bedeutung die Familia des
steirischen Markgrafen bildeten.41 Wie nachgewiesen werden konnte,42 gelang
es einigen wenigen Angehörigen dieses Personenverbandes jedoch aus dem
Schatten des markgräflichen Stützpunktes herauszutreten, um andetweitig
herrschaftsbildend aufzutreten. So gelangten etwa die Gundakare von Steyr
durch eine vorteilhafte Eheschließung in den Besitz der Burg Steinbach,
wodurch sie zu den bedeutendsten lokalen Machthabern im Traungau
39 Dienst: Regionalgeschichte (wie Anm. 1), S. 164.
40 Max Weltin: Der hochmittelalterliche Österreichische und steirische Adel in alter und neuer
Sicht, in: Zweites Pöchlarner Heldenliedgespräch – die historische Dietrichepik, hg. von
Klaus Zatloukal, Wien 1 992 (Philologica Germanica Bd. 13). S. 103-124, hier S. 1 1 6. 41 Dazu Maximilian Weltin: Die steirischen Otakare und das Land zwischen Donau, Enns und
Hausruck, in: Maximilian Weltin, Das Land und sein Recht. Ausgewählte Beiträge zur
Ve1jassungsgeschichte Österreichs im Mittelalter, hg. von Folker Reichen und Winfried
Stelzer, Wien-München 2006 (Mitteilungen des Instituts for Österreichische Geschichtsforschung
Ergbd. 49), S. 1 8 8-204.
42 Weltin: Otakare (wie Anm. 4 1 ) , S. 1 96 ff.
26
aufstiegen. Die Ministerialen von Gleink wiederum legten den Grundstein zu
ihrer Machtentfaltung mit dem Bau der günstig gelegene Burg Volkensdorf
(heute: Tillysburg), von der aus sie das Umland behelTschten.
Einen älmlichen Aufstieg könnte auch Poppo von Kierling genommen
haben. Vielleicht gelang es ihm, das Amt der markgräflichen Güterverwaltung
von Krems fur die EITichhmg der nahegelegene Ren-schaft Winkl auf dem
Boden des ehemaligen Königsgutes Sigemareswerd zu nutzen. Eine günstige
Heirat dürfte dann die materiellen Voraussetzungen zu herrschaftlichen Erschließung
des Umlandes und der Errichtung weiterer Sitze geboten haben.
Poppo von Winkl – Der „Ahnherr“ (1 1 14-vor 1 1 60)
Wie bereits eingangs erwähnt wurde Poppo um 1140 erstmals nach Wink!
genannt, dürfte davor aber als Angehöriger der markgräflichen Familia in
Kierling gesessen sein. Unklar bleibt, in welchem Verhältnis der babenbergische
Ministeriale zu den ersten urkundlich belegten nach Wink! Genannten namens
Dietmar, Tiemo und Rahawin gestanden ist. Als gemeinsamer, über den
namengebenden Ort hinausgehender Nenner können die mehrfach nachweisbaren
Beziehungen der frühen Winkler zur Stadt Krems in Betracht gezogen
werden. Bereits Tiemo und Rahawin von Wink! belegen mit ihrer Zeugenfunktion
bei Krems betreffenden Rechtsgeschäften43 ein Naheverhältnis zur
Donaustadt, deren Funktion als Münzprägestätte und Zentmm des Weinbaus sie
zu einem wirtschaftlichen Mittelpunkt der Babenbergermark gemacht haben.44
Die Bedeutung von Krems fur die Österreichischen Markgrafen zeigt sich auch
darin, dass man die nach 1081 in die Hände der Babenberger übergegangene
Reichsfeste von Gefolgsleuten verwalten ließ.
Güterpropst von Krems und landesforstlicher Ministeriale
Als Burggraf von Krems kann zunächst der aus Kuenringer-Sippe statmnende
Nizo gelten, der zuvor die Burghut in dem für die nördliche Grenzsicherung
wichtigen Stützpunkt Gars ausgeübt hat und an seinem Lebensabend nach 1 1 21
als erster Genannter „von Krems“ erscheint.45 Gegen Ende der Regierungszeit
Leopolds III. ( 1 095-1136) ist als weiterer Vertreter der babenbergischen Interessen
in Krems der markgräfliche Güterpropst (prepositus marchionis) Poppo
namhaft zu machen, dessen Identität mit dem gleichnamigen Winkler bereits
von Heide Dienst46 vermutet wmde. Erwähnt wird er i n einer auf 1131 datierten
43 FRA IU69, Nr. 2 1 4 ( 1 1 30/35), siehe dazu oben S. 22, Anm. 1 2 ; BUB I, Nr. 14 ( 1 140/4 1).
44 NÖUB II, S. 67 l f.
45 Dienst: Tradition (wie Anm. 14), S. 92f.; NÖUB !l, S. 206 ote *, 633, 67 1 ; FRA IU4, Nr.
239; Weltin: Landesforst (wie Anm. 1 0), S. 526.
46 Dienst: Tradicion (wie Anm. 14), S. 93.
27
Göttweiger Tradition,47 der zu entnehmen ist, dass die gegenständliche Übertragung
eines Weingartens in Krems seiner Zustimmung bedurfte.
Für den N achweis der Gleichsetzung mit Poppo von (Kierling-)Winkl
kommt der Identität des in dieser Tradition genannten Spitzenzeugen besondere
Bedeutung zu. So ist es m. E. durchaus in Frage zu stellen, ob der als erster
Zeuge genannte Otto de Steine tatsächlich nach Stein an der Donau (Gern.
Krems) genannt wurde48 und do1t eine ähnliche Funktion ausübte wie Poppo in
Krems.49 Eher handelt es sich bei ihm um den 1141 als Otto de Stayn erwähnten
Erbauer der Burg Ottenstein/0 der gemeinsam mit Poppo von Wink! am
Sterbebett Markgraf-Herzog Leopolds IV. (t 1 14 1 ) dessen Schenkung an das
Kloster Zwettl testiert und dabei in der Zeugenreihe zwischen Poppo von Wink!
und Gerung von Pfaffstetten genannt wird.5 1 Dazu passt auch die Zeugenreihe
einer herzoglichen Bestätigung fiir die Zisterze aus 1156171, die gemeinsam mit
dem „Ahnherren“ der Ottensteiner und ihn begleitenden Verwandten52 wiederum
Angehörige der Ministerialen von Pfaffstetten und Wink! etwähnt.53 Somit
kann mit einiger Berechtigung angenommen werden, dass es sich beim Spitzenzeugen
jener Kremser Weingartenübertragung an Göttweig, in der der markgräfliche
Güterpropst Poppo eine zentrale Rolle spielt, um den mit Poppo von
Wink! in Beziehung stehenden Spitzenhahn der Ottensteiner handelt. Dies
wiedemm spricht ftir eine Gleichsetzung des babenbergischen Amtsträgers mit
dem wahrscheinlich aus Kierling stammenden „Stammvater“ der Herren von
Wink!, der – wie bereits Tiemo und Rahawin von Wink! vor ihm – vom Landesfürsten
auch als Zeu􀀮e zu einer Krems betreffenden Liegenschaftstransaktion
hinzugezogen wurde. 4 Wie gezeigt werden k01mte,55 waren die um Klosterneuburg
sitzenden Angehörigen der markgräflichen Familia unter anderem mit
konkreten Aufgaben in der Güterverwaltung betraut. So wird etwa Rudolf (II.)
von Kierling in einer Klostemeuburger Tradition 56 als prepositus ducis bezeich-
47 FRA W69, Nr. 238 ( 1 1 3 1 ).
48 Es wäre dies die einzige Erwähnung eines nach Stein an der Donau genannten Ottos (siehe
dazu ANB [wie Anm. 12) 1034f.).
49 Vgl. Dienst: Tradition (wie Anm. 14), S. 93.
50 Zu ihmN6UB Vorausbd., S. 333.
51 … , Poppo de Winchel, Otto de Stayn, Gerungus de Phafsreten, … (BUB !VII, Nr. 728 =
FRA Il/3, S. 53 ( 1 141)).
52 Dazu N6UB Vorausbd., S. 24; ebd . . S. 333.
53 .. . , Albertus de Phaphensteten, Ouo de Staine et Chunradus filius eius, Ouo de Ruheneke,
… , Ortolf de Winkel, … (BUB I, Nr. 22).
54 BUB IV/I, Nr. 801 ( 1 1 56).
55 Dienst: Regionalgeschichte (wie Anm. 1), S. 164.
56 FRA IU4, Nr. 373; Dienst: Regionalgeschichte (wie Anm. I), S. 247, Nr. 28; ebd., S. 1 92f.,
zur Genealogie ebd., S. 196.
28
net.57 In einer derartigen Funktion könnte sich Poppo Meriten erworben haben,
um vom Landesfursten in der wichtigen Donauburg Krems als Verwalter der
markgräflichen Güter eingesetzt zu werden.
Unklar bleibt, ob seine Stellung in Krems mit jener des mächtigen
Kuenringers Nizo, dessen Nennung nach Krems eine Ausübung des Burggrafenamtes
nahelegt, vergleichbar ist, oder ob Poppo auf die engere Güterverwaltung
beschränkt geblieben ist. Zwar sind in den zeitgenössischen Quellen keine konkreten
Angaben zu den Aufgabenbereichen von Güterpröpsten oder Burggrafen
überliefert, aufschlussreich ist aber immerhin, dass Leutwin von Laufen, ein
zwischen 1 139 und 1151 nachweisbarer Ministeriale des Salzburger Erzbischofs,
58 abwechselnd als prepositus oder castel/anus (von Hohensalzburg),59
einmal jedoch als castellanus et economus60 bezeiclmet wird. Diese einmalige
gleichzeitige Nennung Leutwins in beiden Funktionen lässt vermuten, dass hier
zwischen den Ämtern unterschieden wurde und sie folglich kein völlig deckungsgleiches
Aufgabenspektrum repräsentierten. Möglicherweise lag der
Tätigkeitsschwerpunkt eines prepositus bzw. economus in der Gütervetwaltung
und Rechtsprechung,61 während beim castellanus die Ausübung der militärischen
Schutzfunktion mit dem Kommando über eine entsprechende bewaffnete
Mannschaft im Vordergrund stand.
Bezüge zu Krems lassen sich auch noch bei Poppos Nachkommen
nachweisen, die dort über Besitz und Einkünfte verfugten. So konnte Ortlieb III.
(„I 1271) dem Stift Osterbofen eine Gülte auf einer Kremser Mühle widmen und
an den berühmten Gozzo von Krems einen Weingarten iuxta Chrems, que in
Weinhaus dicitur, verleihen.62 Ein Wirtschaftshof in Weinzierl bei Krems mit
umfangreichen Einkünften dürfte als Teil der Mitgift für Ortliebs Schwester (?)
Gisela in den Besitz der Herren von Hohenberg gelangt sein.63 Im Gegensatz zu
57 Dienst: Regionalgeschichte (wie Anm. !), S. 246, Nr. 26; Max Weltin: Zur Entstehung der
niederösterreichischen Landgerichte, in: Maximi/ion Weltin, Das Land und sein Recht.
Ausgewählte Beiträge zur Veifassungsgeschichte Osterreichs im Mittelalter, hg. von Folker
Reichen und Winfried Stelzer, Wien-München 2006 (Milleilungen des Insti/urs for
6srerreichische Geschichtsforschung Ergbd. 49), S. 24-59, hier S. 40.
58 Geschichte Salzburgs. Stadt und Land, hg. von Heinz Dopsch und Hans Spatzenegger, Bd.
l/1: Vorgeschichte. Altertum, Mittelalter, Salzburg 1 9 8 1 , S. 1635 (Register unter ,,Liutwin
von Laufen“).
59 So z. B. in N6 60 UB II, S. 129, 189, 207, 208, 212, 214, 224, 263, 406, 761.
SUB Il, Nr. 285 ( 1 1 5 1 IX 7-1152 XI 8).
61
Dazu Weltin: Landgerlehre (wie Anm. 57), S. 40.
62 Johann Gruber: Die Urkunden und das älteste Urbar des Stiftes Osterhofen, München 1985
(Quellen und Erörtenmgen zur Bayerischen Geschichte NF Bd. 33), Nr. 6 1 (1258 X 4,
Krems); StiA Zwettl, Urk. 1261 XI 14, Krems.
63 Günter Marian: Adelige Herrschaftsbildung zwischen Perschling und Ybbs am Beispiel von
Wasserburg, Wald, Hochstaff-Altenburg-Hohenberg und Gleiß, in: Mitteilungen aus dem
Niederösterreichischen Landesarchiv 2012 ( 15), S. 9-58, hier: 47.
29
den mit ihnen verschwägerten Falkenbergern64 scheinen die Winkler aber kein
Stadthaus in Krems besessen zu haben. Denn anders hätte sich Ortlieb (lll.)
wohl kaum ein Übernachtungsrecht im Kremser Stadthof des bairischen Stiftes
Osterbofen gesichert.65 Bemerkenswe1t ist zudem, dass nach Wink! genannte
Gefolgsleute 01tliebs, für die der Name Ulrich typisch war, in Krems ansässig
wurden und sich nach dessen Tod in der Fühnmgsschicht des dortigen
Bürgertums etablieren konnten.66 Die Söhne Ortliebs sind an prominenter Stelle
in der Zeugenreihe jener Urkunde vertreten, mit der Herzog Rudolf 111. den
Städten Krems und Stein ihr Stadtrecht bestätigt.67 Ortliebs Enkel wiederum
urkunden in Krems,68 wo vermutlich Weikard (I.) mit der Verteidigung der
Donaustadt während der Böhmeninvasion 1328 betraut war.69
Dass es dem vermutlich aus Kierling stammenden Poppo von Wink! gelungen
ist, aus der Enge der markgräflichen Familia herauszutreten und unter
den bedeutenderen Ministerialen des Landesfürsten Aufnahme zu finden, zeigt
sich – abgesehen von seiner Totenwache am Sterbebett Markgraf-Herzog
Leopolds IV. – vor allem beim Empfang des Privilegium minus in Regensburg
(1156), wo er im Gefolge Markgraf-Herzog Heinrichs Il. (1141-1177) unter den
ministeriales ducis anzutreffen ist.70 Die enge Bindung der Herren von Wink! an
den Landesfürsten und deren hervorragende Stellung in der babenbergischen
Klientel, für die Poppo ohne Zweifel den Grundstein gelegt hat, werden besonders
an seinen Nachkommen deutlich. So vertrat etwa sein Sohn Ortolf-Ortlieb
(1.) als nuntius ducis die Interessen Herzog Leopolds V. (1177-1194)71 und
flihrte das Aufgebot jener herzoglichen Ministerialen an, die den Babenberger
auf den Kreuzzug ins Heilige Land begleiteten.72 Offenbleiben muss hingegen,
64 NÖUB Vorausbd., S. 193f.
65 Gruber: Osterhojen (wie Arun. 62).
66 Siehe dazu Marian: Studien zum millelalterlichen Adel im Tullnerfeld. Diss. Wien (in
Vorbereitung).
67 Otto Brunner: Die Rechtsquellen der Städte Krems und Stein (FRA lll. Abt.: Fantes luris,
Bd. I ), Graz-Köln 1953, Nr. 2 1 . 68
HHStA, AUR 1327 V 26, Krems; Regesta Habsburgica. Ill. Abteilung: Die Regesten der
Herzoge von Österreich sowie Friedrichs des Schönen als deutschen Königs von 1314-
1330, bearb. von Lothar Gross, Innsbruck 1 924, Nr. 1 824.
69 Joseph Chmel: Der Österreichische Geschichtsforscher. 2 Bde. Wien 1838, Bd. 1, S. 34,
Regest: RH III (wie Arun. 68), Nr. 2009; ebd., S. 32, Regest: RH lil (wie Anm. 68), Nr.
2001.
70 BUB IV/I , Nr. 8 0 1 ; Marian: Wink/ (wie Anm. 4), S. 23 1 .
71 Johann Geier: Die Traditionen, Urkunden und Urbare des Klosters Asbach, München 1969
(Quellen und Erörtenmgen zur Bayerischen Geschichte F 23), r. 70a ( 1 1 8 1 XII 26,
Wien in domo Tokelere).
72 Quellen zur Geschichte des Kreuzzuges Kaiser Friedrichs 1., hg. von Anton Chroust, Berlin
1928 (MGH SS rer. Germ. NS 5), S. 97; Hcinz Dopsch: Die Länder und das Reich. Der
Ostalpenraum im Hochmiuelalter, Wien 1 999 (Österreichsi clze Geschichte 1122-1278)
1 56f.
30
ob die Ortolf bzw. Ortlieb genannten Nachkommen Poppos mit gleichnamigen
herzoglichen Kämmerern (camerarius)13 gleichgesetzt werden können.
Herrschaftsbildung
Während die Kuenringer ihre Stellung als markgräfliche Burggrafen von Gars
flir den mit einer eindrucksvollen Kolonisation verbundenen Ausbau ihrer
Machtposition im Waldviertel nutzen konnten,74 blieben die herrschaftsbildenden
Aktivitäten Poppos von Wink! zunächst bescheidener. Neben der
Tatsache, dass Gars aufgrund seiner geographischen Lage in der nördlichen
Grenzregion diesbezüglich ungleich günstigere Voraussetzungen bot, könnten
die Gtiinde dafur im Fehlen einer umfangreichen und potenten rittern1äßigen
Gefolgschaft zu suchen sein. Eine solche bewaffnete Mannschaft war für den
mit Rodungs- und Kolonisationstätigkeit verbundenen und letztlich auch
militärisch zu sichemden Herrschaftsausbau unabdingbar.
Die für das Geschlecht namengebende Stammburg Wink! wurde im
Gebiet des in der Einleitung bereits erwährtten75 ehemaligen königlichen
Amtsbezirkes Sigemareswerd enichtet, der sich westlich von Absdorf Z\vischen
Donau und Wagram erstreckte. Dieser Umstand belegt einmal mehr, dass das
nach dem Rückzug der königlichen Macht 1 0 8 1 entstandene Machtvakuum von
den Habenbergern und ihren Gefolgsleuten ausgefullt wurde. Hier war es dem
Ministerialen Poppo vielleicht unter Ausnutzung seiner Stellung als Kremser
Güterpropst gelungen, das dem Zugriff des Königs entzogene Gut fiir sich zu
beanspruchen. Dass sein Herrschaftsbereich dabei der Ausdehnung des
ehemaligen ministerium Sigemareswerd folgend bis an den Wagram reichte,
wird spätestens an einem nach Königsbrurm genannten Nachkommen deutlich.
Mit der Errichtung eines weiteren Stützpunktes in Gnage (abgek., nördl.
Großweikersdorf, VB Tulln) konnten die Winkler ihren Herrschaftsbereich über
den Wagram hinaus bis ins Schmidatal ausdehnen. Bedeutende geistliche
Besitznachbarn wie die Pfane St. Stephan am Wagram, die über den Marktort
Kirchberg und den Henschaftssitz Oberstockstall verfugte, oder die sich um
Absdorf ausdehnende iederaltaicher Herrschaft Absberg, stellten keine
73 BUB I, Nn·. 29, 47, 58, 86. Es handelt sich dabei um Landesministerialen, die zwar den
Titel camerarius fiihrten, aber mit der eigentlichen Kammergutsverwaltung nicht beschäftigt
waren, sondern als Inhaber eines der vier klassischen Hofamter zu betrachten sind
(N6UB Vorausbd., S. 375f.)
74 Roman Zehetmayer: Kloster und Gericht. Die Entwicklung der klösterlichen Gerichtsrechte
und Gerichtsbarkeit im 13. Jahrhundert unter besonderer Berücksichtigung der Zisterze
Zwettl, Wien-München 2001 (Mitteilungen des Instituts fiir Osterreichische Geschichtsforschung
Ergbd. 40, S. l l f.; Weltin: Landesforst (wie Anm. 10), S. 5 1 9; ebd., S. 526f.;
N6UB II, S. 633-639.
75 Siehe oben S. 27.
3 1
ernsthafte Konkurrenz dar. Im Gegenteil, auf sie konnten die Herren von Winkl
als Lokalvögte zunächst noch Einfluss nehmen und aus den damit verbundenen
Rechten und Einkünften ihren Nutzen ziehen, mussten aber seit dem ersten
Viertel des 13. Jahrhunderts auch Einbußen hinnehmen.
Heiratsverbindung und Nachkommenschaft
Bemerkenswert ist, dass Poppo bei der Suche nach einer Ehefrau aus dem
eigenen Gefolgschaftsverband heraustrat und seine Gemahlin in der Ministerialität
der Salzburgischen Grafen von Plain fand: Poppo heiratete Kunigunde,
die Schwester eines Gefolgsmannes des Grafen Leutold von Plain mit dem eher
seltenen, indes fur die plainische Ministerialität typischen Namen Ortlieb.76
Erste Kontakte Poppos zu den Herren seiner Ehefrau lassen sich bereits 1 130/40
feststellen, als der Wirtlder gemeinsam mit Graf Leutold von Plain als Zeuge
genannt wird. 77 Sofern das Grafenhaus schon damals über Grafenwörth verfügte,
wo sich 1175 ihr erster namentlich bekannter Gefolgsmann nachweisen lässt/8
waren die Plainer auch Besitznachbarn der Ministerialen von Wink.l.
Die Grafen von Plain, die seit dem Beginn des 12. Jahrhunde11s als
Zeugen w1d Teilnehmer von Landtaidingen belegt sind, konnten offenbar nach
der Niederlage von Mailberg (1 082) fiir die Sicherung der Österreichischen
Nordgrenze gegen die siegreichen Böhmen gewonnen werden.79 Für diese
Aufgabe transferierten die Plainer eine größere Anzahl ihrer Ministerialen aus
dem Salzburgischen in das nördliche Niederösterreich, wo diese im Gebiet
zwischen Horn, Eggenburg und der Thaya auch tatsächlich in der Lage waren,
sich festzusetzen und herrschaftsbildend aufzutreten.80 Die Zugehörigkeit
Kunigundes zu diesem Personenverband wird bereits durch die Anwesenheit
einer repräsentativen Zahl dieser Leute beim Begräbnis ihrer Mutter deutlich,
das etwa 1157 in Göttweig stattfand. Auskunft darüber gibt eine Traditions-
76 NÖUB Vorausbd., S. 196; Max Weltin: Böhmische Mark, Reichsgrafschaft Hardegg und
die Gnlndung der Stadt Retz, in: Maximilian Weltin, Das Land und sein Recht. Ausgewählte
Beiträge zur Verfassungsgeschichte Österreichs im Mittelalter, hg. von Folker Reichert
und Winfried Stelzer, Wien-München 2006 (Mitteilungen des Instituts für Österreichische
Geschichtsforschung Ergbd. 49), S . 233-253, hier S. 18, bes. Anm. 72.
77 FRA lfJ4, Nr. 632; Dienst: Regionalgeschichte (wie Anm. 1), S. 246, Nr. 22.
78 Gümer Marian: Grafenwörth, in: Gerhard Reichhalter, Karin und Thomas Kühtreiber: Burgen
Weinviertel, Wien 2005, S . 1 4 1 .
79 Weltin: Retz (wie Anm. 76), S . 243; Welt in: Landesfiirst (wie Anm. I 0), S . 223f. Z u den
Plainern und ihren Anfangen in Niederösterreich zuletzt NÖUB II, S. 238.
80 Zur Verteilung der Sitze siehe Weltin: Retz (wie Anm. 76), S. 246, bes. Anm. 92. Bemerkenswert
ist, dass in einigen dieser filr Plainer Gefolgsleute namengebenden Orten wie
Röschitz, Nalb oder Weitersfeld auch die Babenberger bzw. andere Adelige über nennenswerten
Grundbesitz und Einfluss verfUgten (NÖUB lii Kommentar zu Nr. 14).
32
notiz81 über das bei dieser Gelegenheit von Kunigunde gemeinsam mit ihrem
Mann gestiftete Seelgerät, in dessen Zeugenreihe82 sich folgende Vertreter der in
Niederösterreich ansässigen Plainer Gefolgsleute finden: Wernhard von Wietersfeld
(VB Horn), Rüdiger von Röschitz (VB Horn) sowie Kaihoch und
Herrand von Nalb (Gern. Retz VB Hollabrunn).
Dazu ist bekannt, dass Kunigunde einen Bruder namens Ortlieb hatte, der
zum Gefolge des Grafen Leutold von Plain zählte. Im jungen Herzogtum Österreich
ist er erstmals nachweisbar, als er in Göttweig die Stiftung seiner Schwester
nachträglich bekräftigt.83 Diesen Rechtsakt vollzieht er i n Gegenwart seines
Herren und unter der Zeugenschaft von Ministerialen des Salzburger Erzbischofs
sowie von weiteren Angehörigen der gräflichen Klientel, die teils aus der
Salzburgischen Herrschaft Saalfelden stammen und teils vom niederösterreichischen
Stützpunkt Theras (Gern. Sigmundsherberg VB Hom).84
81
FRA W69, Nr. 299 (nach 1 157 11 2). 82
Die gesamte Zeugenreihe lautet: Rudrich de Asparn, Poppo de Winche/, Hermannus de
Scala, Rudo/fus, Dierwinus, Gerhoch, Wernhardus de Widerve/d, Rudigerus de Respic,
Chadelhoch et Herrandess de Naliube, Hector, Huch, Wo/framus, Reginbertus de
Eginburch (FRA Il/69, Nr. 299). Die Präsenz des zur Diensonannschaft der peilsteinischen
Grafen von Schala zählenden Hermannus de Scala (Schallaburg bzw. Schollach), der noch
vor dem Plainer Gefolge genannt wird, ist wohl mit verwandtschaftlichen Beziehungen zu
erklären, auf deren Umstände bereits Erwin Kupfer hingewiesen hat (Erwin Kupfer: Die
Machtstellung der Sieghardinger im babenbergischen Österreich und die Anfänge von
Waidhofen/Ybbs, in: Waidhofen/Ybbs und die Eisenwurzen, St. Pölten 2004 [Studien und
Forschungen aus dem Niederösterreichischen Institut fiir Landeskunde Bd. 32], S. 32-54,
hier S. 48).
83 FRA II/69, r. 300 ( 1 1 57/64).
84 … Ortliebfrater eius [i.e. Kunigunde ] rradirionem ipsam coram domno suo Liutoldo comile
confirmavil . .. Zeugen: Liuto/dus comes er fi/ius eius Liutoldus, Wa/chun de Aiginwanc,
Woljkerus, Rapoto de Er/bach, Megingoz et Liupo/dus ministeriales Salzeburgensis
ecc/esie, Dietmarus et Bertoldus de Teraz, Fridericus de Sa/velde, Megingoz, Harlwicus,
Megingoz (FRA IV69, Nr. 300); Maximilian Weltin: Die Urkunden des Archivs der
niederösrerreichischen Stände (7), in: Mitteilungen aus dem Niederösterreichischen
Landesarchiv 1983 (9), S. 2 1-50, hier S. 33, Nr. 1 3 1 . Da das in der Formulierung Orrlieb
frater eius verwendete Pronomen keine Unterscheidung nach dem Geschlecht zulässt,
könnte sich Ortliebs Verwandtschaftsbezeichnung als Bruder sowohl auf Kunigunde von
Wink! als auch auf ihren Gemahl Poppo beziehen, die beide in der vorhergehenden
Tradition genannt werden. M. E. ist mit dem eius jedoch aus folgenden Gründen Kunigunde
gemeint: Erstens ist Kunigunde eindeutig die handelnde Person in der vorangehenden
Notiz. während ihr Gemahl Poppo zunächst in seiner Funktion als Ehemann erwähnt
und ferner als Zeuge auftritt, was fiir einen Tradenten bei der eigenen Schenkung mehr als
merkwürdig wäre ( . . . , qualiter Chunigunda de Winchel unacum viro suo Poppone dedit . . . ;
zur Zeugenreihe siehe Anm. 82). Zudem hätte der Schreiber in diesem Kontext vermutlich
eine präzisere F01mulierung gewählt wie etwa fi“ater Poppanis oder frater viri eius, um
Ortlieb als Bruder Poppos auszuweisen. Folgerichtig ist zweitens daher anzunehmen, dass
das Schenkungsgut aus dem Fundus Kunigundes stammte, was die Frage aufwirft, warum
dafiir die Bestätigung ihres Schwagers notwendig gewesen sein soll. Naheliegender wäre
33
Kunigunde eine Schwester Ortliebs von Weitersfeld?
In der Aufzeichnung der Göttweiger Mönche wird Ortlieb, in dem bereits
Kar! Lechner85 den zwischen 1 1 6 1 und I 190 melmnals genannten Ortlieb von
Weitersfeld (VB Horn) wähnte,86 ohne Herkunftsnamen lediglich als Bruder der
Wohltäterin angefuhrt.87 Für eine Gleichsetzung von Kunigundes Bruder Ottlieb
mit dem Gleichnamigen, der auf Weitersfeld die Nachfolge eines Wemhard angetreten
hat,88 sprechen neben den von Lechner angeführten Argumenten vor
allem die zahlreichen Kontakte zwischen Ortlieb von Weitersfeld und Angehörigen
der Winkler Sippe.89
der Konsens ihres Bruders. Und drittens lässt sich der Name Poppo in der Plainer Kliemel
ansonsten nicht nachweisen.
85 Karl Lechner: Geschichte der Besiedlung und der ältesten Herrschaftsvertei/ung, in:
Heimatbuch des Bezirkes Horn Bd. I, Horn 1933, S. 246-304, hier S. 292, bes. Anm. 1 .
LechDer führt hier i n Bezug auf die Seelgerätstiftung Kunigundes (FRA II/69, Nr. 299) die
Nennung zweier Zeugen ins Treffen, indem er zum einen auf einen dort nach Weitersfeld
genannten Wemhard verweist und zum anderen auf die Nennung eines Reginbert von Eggenburg
aufmerksam macht, der nach einer Stadt genannt wird, in der Ortlieb von
Weitersfeld über umfangreiche Besitzungen verfugte. 86 NOUB Vorausbd., S. 196 mit Quellennachweisen: 1 1 6 1 (FRA I!/69, Nr. 358: minisrerialis
ducis); 1 1 90 (BUB I, Nr. 77) bzw. vor 1205 (SUB I, S. 724, Nr. 2 9 1 : hier nochmals
ausdrücklich unter den Ministerialen Leutolds von Plain). Die bei Ludwig Brunner:
Eggenburg. Geschichte einer niederösterreichischen Stadt Bd. I, Eggenburg 1933, S. 48
angegebene Jahreszahl 1 1 98 fur die letztmalige Nennung Ortliebs von Weitersfeld beruht
auf der irrigen Datierung einer in MB 5 360, Nr. 7 abgedruckten Aldersbacher Urkunde,
obwohl bereits Andreas v. Meiller: Regesten zur Geschichte der Markgrafen und Herzoge
Oesterreichs aus dem Hause Babenberg, Wien 1850, S. 68, Nr. 49 unter der richtigen
Datierung 1 1 90 Vlll 25 auf diesen Irrtum hinweist. Dass Brunner beide Belegstellen
nebeneinander zitiert (vgl. Brunner: Eggenburg I 30 I, Anm. 1 1 6) ohne deren Zusammenhang
zu erke1men, dürfte wohl an einer unkritischen Übernahme der Angaben zu
Ortlieb von Weitersfeld aus den GB 8, S. 278 sein, wo die identischen Quellennachweise
augefuhrt werden (vgl. ebd. S. 278, Amn. 4). Ortliebs von Weitersfeld wird übrigens auch
im Seckauer Verbrüderungsbuch gedacht (MGH ecr II, S. 364, Sp. 45, Z. 9).
87 FRA ll/69, Nr. 300 ( I I 57 /64). 88
.. , Wernhardus de Widerve/d, .. . (FRA ll/69, Nr. 299 [nach I 157 ll 2]; HONB [wie Anm.
26] W 209). Wenig später wird bereits Ortlieb nach Weitersfeld genannt (FRA ll/69, Nr.
358 [ 1 I 61 ]). Eine Verbindung der Namen Wemhard und Ortolf lässt sich auch im Bereich
des Erzbism1ns Salzburg feststellen: . . . Wernhardus vicedomus et consanguineus eius
Ortolvus, . . . (SUB I, S. 493, Nr. 442 [ 1 I 93]).
89 1 1 7 1 : . .. , Ortliebus de Wideruelt, Marchwardus de Stainperge (abgek. HONB [wie Anm.
26] S 468, westl. Allentsteig), Ortolfus de Winchele et frater suus Poppo, … (BUB IV/ ! ,
Nr. 840); 1 1 83/88: .. . , Hugo von dem Aigen, Ortfiep de Winchele, Ortfiep de Widerve/t,
Marchwart de Hintperch, Cha/hoch de Tu/bingen, … (UbE 11, Nr. 255; Egon Boshof und
Franz-Reiner Erkens [Bearb.]: Die Regesten der B i schöfe von Passau. 3 Bde. 731-1282
München 1 992, 1999, 2007, Nr. 925); 1 1 83/88: . . ., Albertus de Pha.fef nsteten, Ortlip de
Widerve/1, Ortlip de Winche/, Ulricus de Chungesbrunne, … (BUB [V/1, Nr. 872).
34
Interessant ist dieser Mann nicht nur in genealogischer Hinsicht, sondern
ganz besonders in Hinblick auf seine wirtschaftliche und soziale Position, mit
der einen Einblick in den „Stall“ gewährt, aus dem Poppos Gemahlin Kunigunde
stammte. Wenn auch die Umstände einer wohl gegen Ende seines Lebens
erfolgten Tradition an die Zisterze Zwettt9° auf eine Krise Ortliebs schließen
lassen, fmden sich just hier Hinweise auf seine (ftiihere) wirtschaftliche Potenz.
Besonders aufschlussreich bei diesem Abkommen mit den Zwettler Mönchen,
das über Besitz und Gerechtsame Ortliebs in Eggenburg Auskunft gibt, ist die
Erwähnung von ihm botmäßigen Wirtschafts- und Verwaltungsbeamten. Der
Hinweis auf die Existenz derartiger Amtsträger in der Gefolgschaft lässt auf eine
bereits differenzierte und strukturierte Wirtschaftsflihrung schließen, die wohl
nur dann geboten war, wenn Umfang w1d Größe des Besitzes eine solche
Organisation erforderten.
Eine davon ableitbare wirtschaftliche Machtstellung Ortliebs von
Weitersfeld und seiner Familie könnte das Interesse Poppos von Wink.! geweckt
und Kunigunde fur ihn attraktiv gemacht haben, zumal Poppos vermutliche
Herkunft aus der eher unbedeutenden markgräflichen Familia seine Möglichkeiten
zur Einheirat in eine der führenden babenbergischen Ministerialensippen
wohl nicht gerade begünstigte. Für Ortlieb hingegen eröffnete die Verschwägerung
mit einem babenbergischen Gefolgsmann den Zutritt zum i llustren Kreis
der landesfürstlichen Ministerialität, wodurch er offenbar seinen Handlungsspielraum
vergrößern konnte. Denn er ist 1 1 6 1 als Ministeriale Herzog Heinrichs
Il. ausgewiesen, wird aber etvva 30 Jahre später wieder ausdrücklich unter
den Dienstmannen Leutolds von Plain genannt.91 Eine Verbindung unter derartigen
Voraussetzungen war jedoch ein zweischneidiges Schwert. Zum einen
konnte sie entscheidend flir den sozialen Aufstieg und den Ausbau der Macht-
90 Gedruckt in NÖUB III, Nr. 1 16: Presentibus scriptis cunctis katholice fidei notijicamus
hominibus, quod Zwete/enses fratres pecunia redemimus urbano iure aream, que ante
portam curie nostre in Egenburch iacet, a quodam Livpoldo cognomento Pippinch
annuente atque concedente domino Ortilibo de Widernv/de, ad quem eadem area
iurisditione proprie pertinebat. Emptione itaque facta dominus Ortlibus rogavit nos, si
quando ei necessitas incumberet, ur suum urbanum ius, sci/icet XXX nummos, ante statum
diem a nobis expeteret, sibi persolvere non negaremus cuius voluntati benigno animo
annuentes, postulavimus et nos, quia nostre professioni minime liceret forensibus placitis
interesse, quatinus et ipse pro omniforensi iure et exactione a nobis, X nummis additis ad
predictos XXX. XL accpi eret, ut ab omni exuti aream nostram cum quiete ac sine a/icuius
inpulsione habere possemus. Cui nostre peticioni et ipse assensum coram hiis veridicis
testibus prebuit, quarum nomina sunt hec: Rudegents Pirsach, Fridericus the/onearius,
Adelgems minor, Dittmams economus domini Ortlibi, Perhtoldus vil/icus eiusdem in
Windischendorf, Perhtoldus Pyrchha(m), Ebero institor, Eberge1-us msricus, Wolue/
Lemenestainere et alii promiscui sexus quam plures.
91 Wie Arun. 86; NÖUB Vorausbd., S. 196; Roman Zehetmayer: Zum Gefolge des Adels in
der Babenbergermark, in: Mitteilungen des lnstinits für Österreichische Geschichtsforschung
20 12 ( 1 20), S. 23-49, hier S. 49.
35
stellung sein, zum anderen aber konnte sie aufgn.md eines zu hohen „Eintrittspreises“
auch verantwortlich für die Krise gewesen sein.92
Für das rasch gestiegene Ansehen und vor allem auch ftir das Selbstverständnis
der Familie Ortliebs von Weitersfeld spricht wohl die über einige
Generationen feststellbare Verwendung der aus der Ministerialität der Grafen
von Plain stammenden Namen Ortlieb und Ortolf,93 die bei den Winklern stets
synonym verwendet wurden.94 Die Bedeutung der Familie Kunigundes in der
ehelichen Verbindung mit Poppo von Wink! drückt sich nicht zuletzt in der
Taufe ihres Erstgeborenen aus, der den Namen Ortolf bzw. Ortlieb erhielt. Der
Name Ortlieb, der sich in den Quellen schließlich gegenüber Ortolf durchsetzte,
blieb als Leitnamen der Herren von Wink! noch bis ins ausgehende 14.
Jalu-hundert in Gebrauch, während der Vatername mit Poppos gleichnamigen,
nach Gnage genannten Sohn aus dem Kanon der Winkler verschwand.
Mit Kunigunde hatte Poppo drei Söhne: Der älteste Ortolf-Ortlieb, der die
Stammreihe am namengebenden Ort fortsetzen sollte, trat erstmals wn 1 1 50
gemeinsam mit seinem Vater auf. In einer Seelgerätstiftung,95 die sein Vater als
Salmann durchführte, wurde er in der Zeugenreihe als Ortolf filius Poppanis
erwähnt. Die Abstammung des zweitgeborenen Sohnes, der den Vaternamen
Poppo erhalten hat, ist durch gemeinsame Auftritte mit seinem älteren Bruder
bezeugt. So erscheinen beide etwa 1 I 71 bei einer herzoglichen Gerichtsverhandlung:
96 Ortolfus de Winchele et frater suus Poppo sowie 1 1 83/88 –
Poppo bereits nach Gnage genannt – als Zeugen in einer Göttweiger Tradition:
Ortlieb de Winchel et Poppo de Gnagendorf97 Dass auch der 1 1 77 erstmals
urkundlich bezeugte Ulrich von Königsbrunn ein Sohn Poppos Wink! gewesen
ist, belegen wiederum Zeugennennungen mit seinen beiden älteren Brüdern:
Poppo de Gnage et frater eius Vlricvs de Chungesbrunne;98 Poppo de Gnage et
frater suus Vdalricus;99 Ortlip de Winchel, Ulricus de Chungesbrunne. 100
92 Als Beispiel dafür ist etwa die Dotienmg Giselas, der Tochter Hadmars 11. von KuenringWeitra,
für ihre Ehe mit dem Edelfreien Ulrich von Falkenberg anzuführen, die die
Kuenringer bedeutende Besitzungen im Waldviertel kostete (Zehetmayer: Gericht [wie
Anm. 74], S. 67).
93 Der Name Onolf war etwa fur die Saalfeld-Nonegger typisch (Weltin: NÖLA Mtg. 9 [wie
Anm. 84), S. 2 1 -50, hier S. 33, Nr. 1 3 1 ). Aufschlussreich SUB [, S. 724, Nr. 2 9 1 : .. . ; de
minsi terialibus comitis de P/eien: … Ortolfus de Nmi ekke [Nonegg, abgek. HONE (wie
Anm. 26) N 1 62a, südl. Theras, VB Horn], Ortlieb de Winersuelt [Weitersfeld, VB Horn].
94 Dazu S . 46.
95 FRA IV4 Nr 647
96 BUB 1V/1 , Nr. 840 = FRA 11/4, Nr. 349 ( 1 1 7 1 ).
91 FRA W69, Nr. 400 ( 1 1 83/94).
98 BUB l, Nr. 51 ( 1 177).
99 BUB IV/ I , Nr. 858 = FRA ll/4, Nr. 535 ( 1 1 78). 100
BUB TV/ 1 , Nr. 872 ( 1 1 83/88).
36
Kontakte und Beziehungen
Welche Schlüsse lassen sich aus den wenigen von Poppo überlieferten
Nachrichten sonst noch ziehen, welche Vermutungen können angestellt werden?
Fragen nach den Knoten im Beziehungsnetzwerk, aus deren Lage sich vielleicht
Anhaltspunkte fiir eine Orientiemng ableiten lassen, oder nach Ort und
Häufigkeit des gemeinsamen Aufn·etens mit bestimmten Personengmppen,101
sind hier einige, deren Beantwortung anband der Untersuchung von Zeugenlisten
versucht werden soll. An prominenter Stelle tritt Poppo von Winkt noch in
den Zeugenreihen zweier Klostemeuburger Traditionen auf, die zum einen fiir
die engen Beziehungen Poppos zum Umfeld der Grafen von Plain sprechen und
zum anderen Kontakte nach Großrußbach (VB Komeubmg) und Aspam an der
Zaya (VB Mistelbach) belegen.
Großmßbach
Zunächst bezeugt Poppo zwar nicht an der Spitze, aber immerhin unmittelbar
hinter dem Grafen Leutold von Plain eine in die Zeit von 1 1 3 0/40 zu datierende
Schenkung, 102 mit der sich Kunigunde von (Groß-) Rußbach durch die Übergabe
ihres gesamten Besitzes am namengebenden Ort die Altersversorgung im Stift
Klosterneuburg sicherte. Wie zu vermuten ist, verfugte Kunigunde in Großrußbach
über keinen herrschaftsfähigen Nachfolger mehr, da der erste bekannten
Pfarrer von Großmßbach mit dem typischen Namen Rupert der letzte Angehörige
ihrer Familie gewesen sein dürfte. Im Hinblick auf die Position Poppos
von Wink! als einer der Spitzenzeugen flir Kunigunde von Rußbach ist
aufschlussreich, dass Ruperts Nachfolger als Pfan·er von Großrußbach den
Namen Poppo fiihrte und über Weingartenbesitz in Krems verfügte.103 Damit ist
anzunehmen, dass weder die Funktion Poppos von Wink! als Spitzenzeuge flir
Kunigunde von Rußbach noch die Besetzung der dortigen Pfarrpfründe durch
einen mutmaßlichen Verwandten Zufall waren. Vielmehr spricht dies fur eine
enge – mitunter vetwandtschaftliche – Beziehung Poppos von Wink! zu den
Herren von (Groß-)Rußbach.
101 Siebe dazu Kar! Brunner: Vielfalt und Wende – Kultur und Gesellschaft im Hochmittelalter,
in: Die Länder und das Reich. Der Ostalpenraum im Hochmiltelalter, Wien 1999
(Österreichische Geschichte 1122-1278), S. 21-1 16, hier S. 24f.; Kar! Bnmner:
Herzogtümer und Marken. Vom Ungarnsturm bis ins 12. Jahrhundert, Wien 1994
( Ö 102 sterreichische Geschichte 907-1 15 6), S. 406.
FRA W4, Nr. 632; Dienst: Regionalgeschichte (wie Anm. 1), S. 246, Nr. 22. Die gesamte
Zeugenreihe lautet: Graf Leutold (v. Plain), Poppo von Wink!, Albero v. Kreuzenstein;
Rudolfv. Kierling; Germunt, Sindram v. Maleisdorf. 103 Marian: Studien (wie Anm. 66).
37
Asparn an der Zaya
Bereits unter den ersten nach Winkl Genannten bestanden Kontakte zu den
Edelfreien von Aspam an der Zaya, 104 die vermutlich auf engeren Beziehungen
zu deren Umkreis beruhten. Die seit I I 08 in der babenbergischen Mark nachweisbaren
Herren von Asparn teilten das Schicksal anderer edelfreier Geschlechter,
deren Nachkommen ihren ursprünglichen Status aufgaben, um in der
landesfürstlichen Ministerialität Aufnalune zu fmden.105 Daneben ist in Aspa.rn
auch eine in ihrem Ursprung ministerialische Sippe nachweisbar. Ihre Angehörigen
dürften in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts zum Teil noch zur Gefolgschaft
der hier beheimateten Edelfreien gezählt haben106 und waren
außerdem im benachbarten Eibesthal (Gern. Mistelbach) ansässig. Bereits in
einer vermutlich vor 1 120 zu datierenden Tradition107 eines nicht näher zuordenbaren
dom inus Adelgoz von Asparn108 werden in der Zeugen.reihe109 bis zum
Begriff stranei zwölf Namen ohne Herkunftsbezeichnung genannt, von denen
sich sechs später in Verbindun􀀭 mit Asparn bzw. Eibesthal nachweisen lassen:
Albero1 1 0, Arbo1 1 1 , Betthold1 1 , Ebe1man1 13, Kalhoch1 14 sowie Regenbert/brecht1
1 5. Den Nachweis fur die Stammesgleichheit der nach Aspam und
Eibesthal genannten Ministerialen liefet1 eine 1 1 56 in Barbing bei Regensburg
ausgestellte Besitzbestätigung Markgraf-Herzog Heinrichs li. ( 1 141-1 177) fur
104 Zu den Edelfreien von Asparn an der Zaya Herben Mitscha-Märheim: Zur
Besitzgeschichte der Zayagegend, in: Jahrbuch fiir Landeskunde von Niederösterreich
1 939/43 (28), S. 1 2 1-147.
105 NÖUB Vorausbd., S. 353; NÖUB ll, S. 675.
106 So wohl die nach Asparn genannten Zeugen in FRA 1U4, Nr. 3 1 2 (dazu Roman
Zeheonayer: Zur Struktur des Adels im nördlichen Wald- und Weinviertel bis um 1150, in:
Adel, Burg und Herrschaft an der “ Grenze „: Österreich und Böhmen. Beiträge der interdisziplinären
und grenzfiberschreitenden Tagung in Freistadt, Oberösterreich vom 26. bis
28. Mai 201 I, hg. von Klaus Birngmber und Christina Schmid, Linz 20 1 2 [Studien zur
Kulturgeschichte von Oberösterreich Bd. 34), S. 83-106, hier S. 94) und möglicherweise
auch jene in FRA IU4, r. 139 (dazu NÖUB Vorausbd., S. 353f.)
107 Dienst: Regionalgeschichte (wie Anm. 1), S. 139; FRA IU4, Nr. 248.
108 NÖUB II, S. 675. 109 Siehe dazu Dienst: Regionalgeschichte (wie Anm. 1 ) , S. 139, Anm. 47. 110
Zu Aspam (FRA II/4, Nr. 139). 1 1 1
Zu Eibesthal (FRA IU4, Nrr. 333, 340).
112 Zu Asparn FRA W4, Nr. 3 1 2; zu Eibesthal ebd., Nrr. 332, 333, 340 u. oft. 113
Zu Asparn FRA lU4, Nr. 309. 114
Zu Asparn FRA W4, Nr. 636 = BUB lVII, Nr. 7 1 7 ; FRA W69, Nr. 349 = BUB [V/1, Nr.
765; Joseph Moritz (Bearb.): Codex Traditionum Monasterii Ensdorf= Maximilian Frhr.
von Freyberg, Sammlung historischer Schriften und Urkunden, geschöpft aus Handschrif115
ten des Kg/. Reichsarchivs Bd. 2, Stuttgart-Tübingen 1829. Nr. 93; BUB 1 , Nr. 28.
Zu Asparn FRA IU4, Nr. 139.
38
das bairische Benediktinerkloster Ensdorf116, in deren Zeugenreihe Kadelhoch
de Aspa et frater eius Rudolfus de Ywanstal erwähnt werden. Zugleich belegt
diese Quelle die Zugehörigkeit des Brüderpaars zur babenbergischen Klientel.
Aber nicht nur das, Kaihoch von Aspam und Rudolf von Eibesthal zählten somit
zu jenen Gefolgsleuten, die den Landesftirsten zu einem politischen Ereignis
ersten Ranges, nämlich zur Übergabe des Privilegium minus, nach Regensburg
begleiteten. Zur Dienstmannschaft Herzog Heinrichs Il. zählten neben Kaihoch
auch ein mit diesem gemeinsam genannter Imfried sowie ein Rüdiger von
Aspam117, wobei unklar bleibt, ob letzterer mit dem gleichnamigen Vetter der
Brüder Selbker, Kuno und Konrad von Aspam identisch ist.1 1 8
Die ersten bekannten Winkler tauchen jedenfalls in einer Tradition der
edelfreien Mathilde von Aspam auf1 19, wo sie als Zeugen unmittelbar vor
Regenbrecht, Albero und Heinrich von Asparn erwähnt werden, 120 über deren
Verhältnis zu Mathilde sich aber keine konkreten Aussagen machen lassen. Es
ist kaum zu entscheiden, ob ihre Anwesenheit einer Besitznachbarschaft121 oder
einer gefolgschaftliehen Bindung an die Tradentin122 geschuldet ist. Bemerkenswert
ist indes, dass Ruderich, der Sohn Mathildes von Aspam, beim
Begräbnis der Schwiegermutter Poppos von Wink! zu den prominenten Trauergästen
zählte. 123 Weitere Belege ftir Kontakte lassen sich allerdings nicht finden,
zumal Ruderich wohl nicht all zulange danach selbst verstorben sein dürfte. 124
Doch bereits vor diesem Ereignis stand Poppo von Wink! in enger Beziehung
zu einem Ortlieb von Asparn, dessen charakteristischer Name auf eine
Verbindung zur Dienstmannschaft der Grafen von Plain hinweisen könnte.
Ortlieb, der erstmals 1 1 32/38 gemeinsam mit dem als babenbergischen Ministerialen
ausgewiesenen Kaihoch von Asparn genannt wird,125 könnte wie Dietmar
116
Moritz: Codex (wie Amn. 1 14), Nr. 93 ( 1 156, Barbing).
1 17 FRA 1!169, Nr. 349 = BUB IV/ I , Nr. 765; BUB I, Nr. 29 ( 1 1 59 TI 29); Boshof: Regesten
118 (wie Anm. 89), Nr. 797.
119 FRA li/4, Nr. 392.
1 1 20/30 überträgt die domina Mathi1de von Aspam. deren Zugehörigkeit zum Stand der
Edelfreien bezeugt ist (FRA W4, ‚r. 3 1 8 : nobilis domina de Asparn Mathildis nomine)
gemeinsam mit ihrer Tochter Helena dem Stift Klosterneuburg die vil/a quandam Rv’uaren
nomine (FRA IU4, Nr. 139).
12° FRA II/4, Nr. 139, Zeugenreihe: … , Tiemo, Rahwin, Adlbrecht de Winclh, Regenbreht,
Albero, Hainrich de Asparn, … (FRA IU4, Nr. I 39). 121
Zur Lage des Stiftungsgutes Dienst: Regionalgeschichte (wie Anm. 1), S. 140, bes. Anm.
48. 122
123 So NOUB Vorausbd., S. 353f.
124 FRA W69, Nr. 299 ( 1 1 57).
Der nächste urkundliche Nachweis zu Ruderich findet sich bereits in dem von seiner
Mutter für ihn gestifteten Seelgerät (FRA li/4, Nr. 3 1 8; MGH Neer V, S. 59, September
24).
125 … Ortlib, Udlrich, Chadlhoch de Asparen, Udlrich de Tu/bingen, … (FRA ll/4, r. 187).
39
von Winkl Kontakte zu den Hen·en von Sievering gepflogen haben. 126 Mit
einiger Sicherheit aber ist er zum verwandtschaftlichen Umfeld Poppos von
Wink! zu zählen. Anders hätte er wohl kaum die Durchfuhrung einer Schenkung
an das Stift Klosterneuburg in dessen Hände gelegt. 127 Dieses Heranziehen als
Salman, als Mittler in bestirrunten Fällen von Grundstücksübertragungen –
vorwiegend im Rahmen letztwilliger Verftigungen128 -, setzt naturgemäß ein
gewisses Vertrauens- und Naheverhältnis voraus. Zumeist dürfte dieses auf
verwandtschaftlichen Banden begründet gewesen sein129 oder es entsprang
einem Gefolgschaftsverhältnis, 130 was aber in diesem Fall auszuschließen ist.
Unterstrichen wird diese Annahme eines verwandtschaftlichen Verhältnisses
zwischen Ortlieb von Aspam und Poppo von Wink! durch die beinahe ausschließliche
Anwesenheit weiterer Mitglieder der Winkler Familie als Zeugen
bei diesem Ereignis. 131 Demnach lässt sich vermuten, dass die Kontakte Poppos
von Winkl sowohl ztml Edelfreien Ruderich von Aspam als auch zu dem nach
diesem Ort genannten Ministerialen Ortlieb auf deren nicht näher verifizierbarer
Verbindung zu Angehörigen der plainischen Gefolgschaft beruhten, die
wiederum zur verschwägerten Verwandtschaft Poppos von Wink! zählten.
Allhansberg
Interessant für das verwandtschaftliche Umfeld Poppos von Wink! ist vor allem
die Zeugenreihe der Tradition Ortliebs von Asparn, die Poppos Schwiegersohn
Hugo (1.) von Aigen (heute: Weyerburg, Gem. u. VB Hollabrunn) anfuhrt.132
Auf ihn folgt ein der Gefolgschaft der Grafen von Seeburg-Gleiß angehörender
Wichmann von Allhartsberg (VB Waidhafen an der Ybbs), dessen Anwesenheit
hier überrascht, da er weder mit der Sippe in direkte Verbindung gebracht
werden kann, noch aus geographischen oder besitzrechtlichen Gesichtspunkten
126 FRA 1114, 1 Nr. 189, Zcugenreihe: . . . , Adelpertus de Siueringen, Ordlieb de Asparen, … 21
FRA II/4, Nr. 647 (um 1 1 39/43); Datienmg nach Kupfer: Regesten (wie A1m1. 1), Nr. 16j;
Dienst: Tradition (wie Anm. 14), S. 80f., Anm. 149.
128 Lexikon des Mine/alters Bd. 7, München 1995, Sp. 1309f.
129 Poppo, der Ministeriale Herzog Leopolds lll., befahl am Sterbebett, zu seinem Seelenheil
diverse Liegenschaften dem Stift Klosterneuburg zu widmen, wobei er offensichtlich mit
der Durchfuhrung seine Bruder Rupert und Rüdiger beauftragt hatte, da beide bei seinem
Begräbnis die Stiftung zum Abschluss brachten (Quod totum sie completum est per manus
fratrum suorum … ) (FRA IU4, Nr. 16). 130 So z. B. überträgt Graf Heinrich li., Burggrafv. Regensburg, aus Anlass seiner Kreuzfahrt
sein Gut zu Maiersch seinem Ministerialen Meginhard (in manum Meginhardi cuiusdam
nobilis viri, sui militis), damit es dieser im Falle seines Ausbleibens dem Kloster Göttweig
stifte (FRA IU69, Nr. 56). 131 FRA IU4, Nr. 647, Zeugenreihe: Hugo de Maigen, Wieman de Adalharstperge, Wolfker de
132 Winchil, Ortolffilius Popponis, Adalrem vir Hugonis. Zur Verwandtschaft siehe unten S. 44.
40
als Zeuge in Frage kommt. Allhartsberg, sein namengebender Sitz, liegt inmitten
des Mostviertels und bleibt mit dieser Nennung im Klostemeuburger Traditionskodex
singulär. Will man nicht an eine zufällige Präsenz glauben, die allein
aufgrund der Entfernung kaum anzunehmen ist, so könnte die Zeugenschaft
Wichmanns von Allbartsberg auf ähnliche Umstände zurückgeführt werden, wie
sie aufgrund der Verschwägerung des vor ihm genannten Hugo (I.) von Aigen
vorliegen. 133 Die prominente Stellung innerhalb der Zeugenreihe könnte als
Ehrenvorrang gedeutet werden, den man der verschwägerten Verwandtschaft
vor der eigenen eingeräumt hat, etwa um Verwandtschaftsbezüge zu verdichten.
’34
Wer war Wolfker von Wink!?
Noch vor Poppos Sohn Ortolf wird in der Zeugenliste ein Wolfker von Wink!
genannt, 135 der sich allerdings mangels verwertbarer Informationen einer gesicherten
genealogischen Einordnung entzieht. In den siebziger Jahren des 12.
Jahrhunderts ist er oder ein gleichnamiger Nachkmmne als Zeuge einer Seelgerätstiftung
Leutolds II. von Plain in Gesellschaft von dessen Gefolgsleuten
anzutreffen. 136 Ob sich daraus bereits eine Zugehörigkeit zum Gefolge des
Stifters ableiten lässt, 137 ist aufgrund der singulären Nennung nicht mit Sicher-
133 Dazu Marian: Herrschaftsbildung (wie Arun. 63), S. 55-57.
134 Karl-Heinz Spieß: Familie und Verwandtschaft im deutschen Hochadel des Spätmille/
alters, Sruttgan 1993 (Vierteljahresschrifl for Sozial- und Wirtschaftsgeschichte
Beiheft I I I ), S. 499.Vgl. dazu die Position des sieghardingischen Ministerialen Hermanns
von Schala in der Zeugenreihe der Seelgerätstiftung für Poppos Schwiegermutter
Benedikta (Anm. 82), wo Hermann von Schala urunittelbar hinter Poppo von Winkel und
noch vor der gesamten Plainer Klientel genann; ist, was indes kaum mit einer bedeutenderen
Stellung zu erklären ist.
135 Siehe Arun. 1 3 1 .
136 FRA IU69, Nr. 380 ( 1 1 73/76): Graf Leutold widmet Göttweig Besitz in dem an der
Perschling gelegenen Ort Langmannersdorf (Gern. Weißenkirchen an der Perschling VB
St. Pölten), Zeugenreihe: Emst von Traun, Friedrich von Saalfelden, Heinrich von Reichcrsdorf
(Gern. Nussdorf ob der Traisen VB St. Pölten), Wolfker von Haag (am Haagbolz),
Wolfker von Wink!, Albert von (Gemein-)Lebam (Gern. Traismauer VB St. Pölten)
und sein Bruder Hartwig, Berthold Lupus, Tiemo Lupulus, Markward Suevus, Ortolf von
(Grafen-) Wörth (VB Tulln), Meginbard camerarius, Wigand von Schauhing (Gern.
Karlstetten VB St. Pölten), Heinrich von Viendorf(Gem. Göllersdorf VB Hollabrunn).
137 Während flir Heinrich von Reichcrsdorf und die Brüder Albert und Hartwig von
Gcmeinlebam eine Zugehörigkeit zur Plainer Gefolgschaft ebenfalls – wenn auch mit
größter Wahrscheinlichkeit – nur angenommen werden darf (Rudolf Büttner: Burgen und
Schlösser in Niederösterreich Dunkelsteinerwald, Wien 1973, S. 102; Rudolf Büttner:
Burgen und Schlösser in Niederösterreich Zwischen Greifenstein und SI. Pölten, Wien
2 1982, S. 1 6 1 ; Otto Heinrich Stowasser: Das Land und der Herzog. Untersuchungen zur
bayrisch-österreichischen Ve1jassungsgeschichte, Berlin 1925, S. I 02, Nr. 25; ebd., S.
104, Nr. 84; ebd., S. 1 1 8), besteht darüber bei Friedrich von Saalfelden sowie Ortolf von
41
heit zu beantworten. Unklar bleibt auch die Identität von zwei nach Winkl Genannten,
von deren Existenz allein Einträge in klösterlichen Sterbebüchern
zeugen. Ein im Nekrolg138 der Augustiner-Chorherren von St. Andrä an der
Traisen erwähnter Hugo l(aicus) de Winchel könnte aufgrw1d seines typischen
Namen eventuell mit den Ministerialen von Aigen-Weyerburg in Verbindung
gebracht werden. Zu einem bei den Zisterziensern von Lilienfeld eingetragenen
Chunradus de Winchel lassen sich nicht einmal Vermutungen äußern . 139
Aigen-Weyerburg
Zum Unterschied von anderen, meist nur anhand von Indizien vetmutbaren
Versippungen, gelingt der Nachweis einer Verschwägenmg mit den
Ministerialen von Aigen,140 die in Tulln die Funktion von Stadtministerialen
ausgeübt haben dürften,141 mittels quellenmäßig belegter Verwandtschaftsbezeichnungen:
Gleichsam als ,,Missing Link“ fungiert Poppos von Wink! nach
Königsbrunn genamlter Sohn Ulrich142, der als avunculus (hier wohl tatsächlich
„Mutterbruder“ und nicht nur unscharf „Verwandter“) einer Schwester Hugos
(II.) von Aigen namens Jutta erscheint, als sie bereits Witwe nach Otto von
Plank143 (am Kamp, Gern. Schönberg VB Krems) war. 144 Das bedeutet nun, dass
Grafenwörth kein Zweifel (Weltin: N6LA Mtg. 9 [wie Anm. 84), S. 33, Nr. 1 3 1 ; Marian:
Grafenwörth [wie Arun. 78], S. 1 4 1 . Bei dem im Göttweiger Traditonskodex oftmals nach
Schauhing genannten Wigand (FRA W69, Register S. 692) dürfte es sich wn einen
Stiftsministerialen handeln, zwnal das Kloster bereits seit der Schenkung Bischof Altmanns
an dessen namengebenden Ort über Besitz verfugte (FRA IIJ69. S. 1 5 1 , Nr. 4). 138 MGH Neer V, S. 359, September 14. 139 MGHNecr V, S. 39 1 , Mai 24. 140
Der Sitz Aigen ist vermutlich identisch mit Weyerburg (Gern. Hollabrunn) (Gerhard
Reichhalter, Karin und Thomas Kühtreiber: Burgen Weinviertel, Wien 2005, S. 221). Auf
den Zusammenhang von Aigen und Weyerburg hat erstmals Kar! Lechner aufmerksam gemacht
(Kar! Lechner: Herrschaft und Markl Weierburg – eine Studie zur Rechts- und
Sozialgeschichte des VUM (mit genealogischem Exkurs), in: Jahrbuch fiir Landeskunde
von Niederösterreich 1 955/56 [NF 32), S. 94-125, hier S. 94-97). 141
Günter Marian: Stadt und Adel. Zur Stadtministerialität von Tu/ln im 12. und 13. Jahrhundert,
in: Heimatkundlicher Arbeitskreis for die Stadt und den Bezirk Tu/ln Mitt. 25,
2010, S. 5-44, hier S. 6-1 1 . 142
Zur Abstammung Ulrichs von Königsbrunn von Poppo (I.) von Wink! siehe oben S. 36.
143 Zu den Ministerialen von Plank am Kamp N6UB Vorausbd., S. 433.
144 . . . mortuo eodem Ottone [von Plank) relicta ipsius Jvta nomine … Vlrico de
Chunigisbrunne auunculus vidue, … (FRA 11/4, Nr. 543), bZ\v . … domina Juta de B/abnich
relicta domini Ottonis cwn duobus filiis, quos ex eo habuit, … Ovlricus avunculus eorum
matris de Chunisprunne, . .. (ebd., Nr. 584); … presentibus eiusdem vidue [Jutta von Plank]
amicis precipue fratre eius Hvgone von Jmeigin .. . (ebd., Nr. 544). Die vorliegenden
42
der Vater Hugos (II.) und Juttas, der um die Mitte des 12. Jahrhunderts
Nachweise sind verschiedenen Traditionsnotizen entnommen, die aber innerlich zusammenhängen
(dazu Dienst: Regionalgeschichte [wie Anm. 1), S. I 09f.). Der Inhalt (dazu
ebd., S. 181) dreht sich um eine Stiftung des herzoglichen Ministerialen Ottos von Plank
gemeinsam mit seiner Mutter sowie seiner Frau anlässlich des Eintritts seiner Tochter in
Klostemeuburg. Es wurde dabei festgelegt, dass er dem Stift zunächst Einkünfte in
Felbring (Gern. Maria Laach am Jauerling VB Krems) als Pfand überlassen sollte, bis er in
der Lage wäre, seinen Besitz in Tulln, den er vom Herzog zu Lehen hatte, für die Kirche
als Eigen zu erwerben (FRA II/4 Nrr. 582, 543). Nach dem Tod Ottos, der wohl nicht allzu
lang danach erfolgt sein dürfte, bestätigte dessen Witwe Juua gemeinsam mit ihren Söhnen
die getroffene Vereinbarung (ebd., rr. 584, 543 [1177/85)) und wiederholte die Erklärung
feierlich in Wien bei einem Taiding in Anwesenheit des Propstes Werner, des Herzogs
sowie der maiores Austrie. Dabei legte man offenbar großen Wert. auf das Einverständnis
ihres Bruders Hugo (II.) von Aigen, dessen Einspruch man befurchtete (ebd., Nr.. 544).
Das könnte darauf hindeuten, dass der Besitz in Tulln ursprünglich von den Ministerialen
von Aigen stammte.
Vergleicht mau die Zeugenreihen beider Handlungen, so fällt auf, dass in der ersten Notiz
(ebd., Nrr. 582. 543) als Spitzenzeuge Onos Bruder Heinrich von Plauk fungiert und Augehörige
aus der Familie von Ottos Frau keine Rolle spielen. Am Ende der Zeugenreihe wird
lediglich ein Konrad von lmeigin bzw. Emegin genannt, bei dem es sich wohl um einen
nach Aigen genannten niederadeligen Gefolgsmann handelt. In der zweiten Notiz (ebd.,
Nrr. 584, 543) fuhrt Ulrich von Königsbnmn, wohl als nächster zur Verfugung stehender
Verwandter der Witwe, die Zeugenreihe an, wobei seine Bedeutung durch die Begleitung
eines Gefolgsmannes (Rahewin homo ipsius) hervorgehoben wird. Während in der
Zusammenfassung (ebd., Nr. 543) bei der ersten Notiz die Zeugen nahezu mwerändert mit
Ausnahme der beiden vom Kloster gestellten Zeugen – übernommen wurden, fehlt bei
der zweiten ein ganzer Zeugenblock zwischen Wernhard, dem Sohn des dominus Wilhelm
von Michelsterten (Gern. Asparn an der Zaya VB Mistelbach), und Konrad von Aigeu:
nämlich Ortolf von Grub (Gem. Würmla VB Tullu?), Herbord von (Groß-)Weikersdorf
und Karl von Stammcrsdorf (Wien XXI). Auf die Anfiihrung ihrer Namen in der
Sammelnotiz (ebd., Nr. 543) dürfte man wohl aufgrund einer – zumindest fiir dieses
Rechtgeschäft – minderen Bedeutung verzichtet haben. Es dürfte sich um rittermäßige
Gefolgsleute handeln, zumal ihre Nennung an dieser Stelle (ebd., Nr. 584) auch singulär
bleibt.
In Hinblick auf die Namen der Söhne Juttas mit Otto von Plank ist das Auftauchen von
Ortolf augenfällig, doch gilt es zunächst auf einige Ungereimtheiten hinzuweisen: Tritt
Jutta in der ursprünglichen Notiz (ebd., S. 582) noch .. . cum duobusfiliis, quos ex eo [Otto
von Plank) habuit, Ouone et Ortolfo . .. auf, so bestätigt sie die Stiftung in der Sammelnotiz
(ebd., Nr. 543) … cumfiliis, quos ex eo [Otto vo:1 Plank) habuit, Hainrico et Ortolfo . . . Ob
es sich beim älteren Sohn nun u m einen Otto oder einen Heinrich gehandelt hat, muss
aufgrund der Quellenlage offenbleiben (Zur Genealogie Hubert Schopf: Beiträge zur
Besitz- und Hetrschaftsgeschichre des mittleren und unteren Kamptales, Diss. Wien 1989,
S. 170- 174). Die (auch wechselseitige) Vergabe des Namens der Vaterbrüder war
durchaus üblich, während die Weitergabe des 􀍰amens von Mutterbrüdern eher seltener
vorkam (Spieß: Familie [wie Ann1. 1 34), S. 515). Wenn nun der zweitgeborene Sohn Ottos
von Plauk gar nach dem Onkel seiner Mutter, Ortolfvon Wink!, benannt wurde, dann stellt
dies sicher eine Besonderheit dar und würde flir das hohe Ansehen sprechen, das Ortolf
vou Wink! und seiner Familie innerhalb der Sippschaft genossen.
43
nachweisbare Hugo (I.) von Aigen145, mit einer namentlich nicht bekannten
Tochter Poppos von Wink! verheiratet war.
Dass nebeneinanderstehende, zumal sich wiederholende, Nennungen in
Zeugenreihen, also das gemeinsame öffentliche Auftreten von Personen, kaum
zufällig erfolgte und möglicherweise mit Bedacht gewählt wurde, um etwa eine
Zusammengehörigkeit ganz gezielt zu demonstrieren, zeigt sich einmal mehr
auch in diesem Fall. Noch bevor Hugo (1.) von Aigen als Spitzenzeuge in der
von Poppo von Wink! fur Ortlieb von Aspam durchgefuhrten Tradition
prominent auftritt, 146 ist er gemeinsam mit seinem wahrscheinlichen Schwiegervater
im Kloster Niederaltaich am Totenbett des im Sterben liegenden MarkgrafHerzog
Leopold IV. anzutreffen. 147
Die augenscheinlich auf einem guten Einvemehmen basierende Beziehung
zwischen beiden Geschlechtern wird besonders unter Hugos gleichnamigen
Sohn deutlich, in dessen nahezu gesamtem dokumentierten Lebensabschnitt148
sich Hinweise auf Präsenz in der prestigeträchtigen Gesellschaft
seiner Onkel und Vettern aus dem Hause Winkl finden. Bereits seinen ersten
nachweisbaren Auftritt absolvierte Hugo (11.) im Kreise der Verwandten seiner
Mutter149, seinen bemerkenswettesten ebenfalls: Als Begleiter seines Onkels
Ottlieb von Wink! vertrat er offenbar gemeinsam mit diesem – so beide als
nuntii ducis bezeichnet werden – die Interessen Herzog Leopolds V. im Falle
einer in Wien vereinbarten Schenkung des Grafen Gebhard von Regau-Poigen
an das bairische Kloster Asbach150. Zudem war Hugo (ll.) in der Lage, der
Zisterze Heiligenkreuz eine Hofstätte in Bierbaum am Kleebühel zu widmen,
deren Provenienz mit Sicherheit auf die Familie seiner Mutter zurückzuführen
ist. tst
145 FRA IU4, Nr. 636 ( 1 139/41); BUB fV/1, Nr. 728 = FRA ll/3, S. 5 3 (1141); FRA II/4, Nr.
647 (um l150).
146
Siehe oben S. 40.
147 … , Hvgo de Aygen, Albero de Pvrchartsdo1f, Poppo de Winchel, … (BUB !Y/1, Nr. 728 =
FRA W3, S. 53 [1 1 41]).
148
Hugo (Tl.) ist zwischen 1 1 7 7 und 1209 in Herzogsurkunden belegt (Dienst: Tradition (wie
Anm. 14), S. 80, Anm. 142), wobei er stets nach Aigen genannt wird. Als er 1210
letztmalig in Erscheinung tritt, wird er bereits nach Weyerburg genannt, das jedoch höchstwahrscheinlich
mit Aigen identisch ist (BUB I, Nr. 170; Gerhard Reichhalter, Karin und
Tbomas Kühtreiber: Burgen Weinviertel, Wien 2005, S. 221). 149
1177: … , Poppo de Gnage et ji·ater eius V/ricus de Chungesbrunne, Hugo de Aigene, …
(BUB 1, Nr. 51); 1 1 83/88: … , Hugo von dem Aigen, Ortliep de Winchele. Ortliep de
Widervelt, … (UbE II, Nr. 255; Bosbof: Regesten [wie Anm. 89], r. 925); 1183/94: … ,
Ortlieb de Winchel e/ Poppo de Gnagendorf. Hugo de Maingen, Otto de Purchartesdorf, .. .
(FRA ll/69, Nr. 400); 1203 lii 25: … , Hugo de Aigin, O“lricus de Chungesbrunnen, .. .
(BUB I, Nr. 136). 150
Geier: Asbacb (wie Anm. 71), Nr. 70a (l181 XII 26). 151
Hermann Watzl: Aus zwei verschollenen Privilegienbüchern der Cisterce Heiligenkreuz
von 1246 und 1251, in: ders. : . . . in loco qui nunc ad sanctam crucem vocatur“,
44
Als sich im Jahre 1204 Hugo (ll.) von Aigen und seine Frau Helena, eine
Schwester des Passauer Kanonikers und Propstes von Aquileja Hartneid (von
Steyr-Steinbach), mit diesem in einer erbrechtliehen Angelegenheit einigen,
geschieht dies bereits auf Weyerburg ( Wierberch), wie ihr Sitz fortan bezeichnet
wird. 152 Folgerichtig wird Hugo (II.) bei seinem letzten öffentlichen Auftritt als
Zeuge für Herzog Leopold VI., an prominenter Stelle unmittelbar nach dem
Grafen Konrad von Hardegg stehend, vom Heiligenkreuzer Schreiber als Hugo
de Wirberch verewigt. 153
Für die Bedeutung und das Selbstverständnis Hugos spricht der Umstand,
dass bei dem auf Weyerburg zugunsten seines Schwagers vorgenommenen
Erbverzicht offensichtlich auch Mitglieder seines Gefolges als Zeugen hinzugezogen
wurde, von denen neben dem Bogenschützen Alram auch noch der
Burgkaplan sowie ein ehemaliger Verwalter mit ihren Funktionen ausgewiesen
sind. 154 Allerdings gelang es Hugo nicht, sein Erbe in agnatischer Linie
weiterzugeben, da sein offenbar einziger Sohn namens Sigloch wahrscheinlich
schon vor 1204 verstorben war.155 Der Nachlass fiel daher an seine mit Otto
Heiligenkreuz 1987 (Quellen und Abhandlungen zur Geschichte des SEifies Heiligenkreuz),
S. 3-125, hier S. 1 1 8f., Nr. 83 (vor 1204; zur Datierung siehe Anm. 155). Der Sachverhalt
ist durch ein Regest des Barockhistoriographen Georg Strobl überliefert, das vem1utlich
auf einem Eintrag in einem der beiden verschollener Heiligenkreuzer Privilegienbücher aus
der Mitte des 13. Jahrhunderts basiert. Entgegen der Zuordnung Georg Strobls, der den in
der Quelle als Hugo de Aichen Genannten wohl zu Recht mit Hugo von Aigen identifiziert,
versucht ihn Watzl nach Heiligeneich zu lokalisieren. Mit dem Hinweis auf Besitz des
Klosters in Bierbaum am Kleebühel identifiziert Watzl Bierboumb zutreffend mit dem Ott
am Donauwagram (ebd.). 152
Facta est hec renunciatio Wierberch . .. (Max Heuwieser [Bearb.]: Die Traditionen des
Hochstiftes Passau, Passau 1930 [Quellen und Erläuterungen zur bayersi chen Geschichte
NF Bd. 6], Nr. 849, 1204 X I 0).
153 BUB I, Nr. I 70 ( 1 2 10), Zeugen: Ch!inradus comes de Hardekke, Hugo de Wirberch, …
154 Testes autem, quod soror sua Helena abrenunciauerit huic Predio, sunt Hugo vir eius,
Heinricus capellanus ipsius, Vlricus de Tuln, Alramus sagittarius, Rudegerus canonicus,
Otto de Echindorf, Dietricus de Stein apud Mur, Perhtoldus, Albero de Phafendorf,
Vlricus, 01/o, Perhtoldus, Hugo quondam officiarius domini Hugonis de Eigen (Heuwieser:
Traditionen [wie Anm. 152), Nr. 849 [ 1204 X 10, Weyerburg]).
155 In einer allerdings undatiert überlieferten Stiftung Hugos (II.) von Aigen, mit der er der
Zisterze Heiligenkreuz Besitz in Bierbaum am Kleebühel widmet, tut er dies noch mit
Zustimmung seines Sohnes Sigloch (Watzl: Privilegienbücher [wie Anm. 1 5 1 ] , S. 1 1 8, Nr.
83). Eine weitere Nennung Siglochs findet sich nur mehr im Seckauer Verbrüdemngsbuch,
wo Hugos Gattin als Helena von Mceigen (siehe dazu FRA W69, Nr. 400: Hugo de
Maingen) gemeinsam mit ihrem Sohn Sigloch sowie ihrer Tochter Richeza gedacht wird
(MGH Neer II, S. 364, Sp. 46, Z. 2f.). Uruninelbar vor ihnen erscheinen dort auch ihre
Verwandten Ulrich und Berta von Königsbrunn (ebd., Sp. 45 Z. 30). Für die Annahme
eines frühen Todes Siglocbs spricht, dass er weder bei der wichtigen innerfamiliären Erbeinigung
von 1 204 (Heuwieser: Traditionen [wie Anm. 152), Nr. 849 ( 1 204 X 10, Weyer-
45
Turs (I.) von Rauheneck vennählte Erbtochter,156 deren Sohn nicht nur den
Namen des mütterlichen Großvaters erhielt, sondern auch dessen Herrschaft
Weyerburg, nach der er sich fortan nannte. 157
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Ehe Poppos von Wink!
mit Kunigunde, der aus dem plainischen Gefolge stammenden, vennutlichen
Schwester Ortliebs von Weitersfeld strategisch geschickt gewählt war und fur
den Aufstieg der Winkler entscheidend gewesen sein dürfte. Tatsache ist
jedenfalls, dass die aus dieser Verbindung hervorgegangenen Nachkommen
anscheinend über genügend Ressourcen verfugten, um mit einer eigenen
bewaffneten Mannschaft selbst herrschaftsbildend auftreten zu können: Poppos
gleichnamiger Sohn wohl über die Verbindung zu den Tutbingern in Gnage und
dessen Bruder Ulrich, von dem ein Gefolgsmann gar quellenmäßig belegt ist
(Rahewin), in Königsbrunn. Für eine namentlich nicht bekannte Tochter
wiederum war offensichtlich eine entsprechende Mitgift vorhanden, um sie
standesgemäß mit dem nicht unbedeutenden babenbergischen M inisterialen
Hugo (I.) von Aigen vennählen zu können.
Besonders augenfällig tritt die Bedeutung der Verbindung zu den Plainem
und deren Gefolge zutage. Hier sind zunächst der gemeinsame Auftritt Poppos
mit Leutold von Plain als Spitzenzeugen in der Tradition der Kunigunde von
Rußbach sowie die wahrscheinliche Zugehörigkeit Wolfkers von Winkl zur
Gefolgschaft von letzterem zu nennen. Ganz besonders aber werden der Einfluss
und das Ansehen der angeheirateten Vetwandtschaft dadurch deutlich, dass
zunächst der Namen Ortolf und später Ortlieb über Generationen zum
gebräuchlichen Leitnamen der Hen·en von Winkt geworden sind.
Ortolf-Ortlieb I. von Winkt (um 1 1 50-1191 [August 26))
Zwei Namen – eine Person
Just die Verwendung dieser beiden traditionsreichen Namen sorgt gleich zu
Beginn des nun sich mit den Nachkommen Poppos am namengebenden Sitz
beschäftigenden Abschnitts fur weitere genealogische Probleme. Zunächst geht
es um die Frage, ob die Namen Ortolf und Ortlieb verschiedene Personen beburg),
noch bei der See1gerätsstiftung seines Vaters in Erscheinung getreten ist [FRA IUI 1 ,
Nr. 33), u m 1 2 1 0). 156 MGH Neer li, S. 364, Sp. 46, Z. 2f. Hugo (II.) von Aigen stiftet ein See1gerät zu
Hei1igenkreuz, Zeugen: Otto Turse gener meus et Hugo filius eius, … (FRA l l/ 1 1 , Nr. 33,
um 1 2 1 0); Erwin Kupfer: Landeswerdung und Ministerialensiedlung im wesllichen
Waldviertel unter besonderer Berücksichtigung des Raumes Groß Gerungs, in: Stadtgemeinde
Groß Gerungs. Kultur- und Lebensraum im Wandel der Zeit, hg. von Josef Prinz,
Groß Gerungs 1999, S. 22-58, hier S. 44, Anm. 149, Stanuntafe1 ebd., S. 58.
157 Wie Anm. 156; . . . , quod ego Hugo de Wejerberg .. . (FRA U/1 1 Anhang, r. 4, 1233).
46
zeichneten, oder ob sie gleichbedeutend für ein und dieselbe Person Verwendung
fanden. Dabei erschwert die Generationen übergreifende Vetwendung
dieses Leitnamens die Scheidung derselben, zumal dann, wenn Quellennennungen
dünn gesät sind und nichts über die Verwandtschaft venaten.
Um 1 1 50 tritt Ortolf im Kreise von Vetwandten gemeinsam mit seinem
Vater Poppo, als dessen Sohn er explizit ausgewiesen wird, erstmals auf.1 58
Etwa 1 0 Jahre später wird er zum ersten Mal nach seinem namengebenden S itz
genannt159 und gehört zu dieser Zeit bereits dem Gefolge Herzog Heinrichs II.
an. 160 Als Ortolf im Jahr 1 1 71 gemeinsam mit seinem jüngeren Bruder Poppo im
Umkreis des Landesfiirsten erscheint, 161 taucht ungefähr gleichzeitig (um 1 1 70)
auch ein Ortlieb von Wink! in den Quellen auf. 162
Betrachtet man die Häufigkeitsverteilung der Namen Ottolf und Ottlieb
von Winkl zwischen etwa 1 1 50 und 1 1 90, so zeichnet sich um 1 1 70 eine Zäsur
ab, die auf den ersten Blick eine Abfolge von Ortlieb auf Ortolf suggeriert und
demnach zumindest zwei verschiedene Personen vermuten lässt. So wird Ortolf
bis um 1 1 70 ftinf Mal genannt, 163 während er danach bis um 1 1 90 nur mehr zwei
Mal aufscheint.164 Ortlieb ist hingegen bis um l 170 überhaupt nicht vertreten,
danach aber bis um 1 1 90 gleich neun Mal. 165 Zieht man zu dieser Beobachtung
aber noch andere Faktoren in Betracht, kehrt sich dieser Eindruck ins Gegenteil
um: So ist etwa in Hinblick auf die Stellung in Zeugenreihen und den Umkreis
keine Abweichw1g zwischen Ortolf und Ortlieb von Winkl festzustellen. Diese
Parallelität in den Zeugennennungen wird besonders 1 1 88 deutlich, zumal in
diesem Jahr in Passau, Krems und Mautern drei Herzogsurkunden ausgestellt
werden, in deren Zeugenreihen ein Mal ein Ortolf und zweimal ein Ortlieb von
Wink! genannt werden, ohne sich in Position und Umfeld zu unterscheiden. 166
158
Es handelt sich dabei um die Seelgerätstifung Ortiebs von Aspam, die Poppo von Wink!
als Salmann durchfUhrt und die sein Sohn Ortolf neben anderen Clanmitgliedern bezeugt
(FRA W4 [wie Anm. t], Nr. 647; Zeugenreihe: Hugo de Maigen, Wieman de Adalharsrperge,
Woljker de Winchil, Orrolffilius Popponis. Adalrem vir Hugonis).
159 160 Boshof: Regesten (wie Anm. 89), Nr. 762; FRA TU3, S. 55. BUB I, Nr. 22. 161 .. . , Ortolfus de Winchele er frater suus Poppo, … (BUB IV 11, Nr. 840; FRA W4, Nr. 349). 162 FRA IV4, Nr. 565; Dienst: Regionalgeschichte (wie Anm. 1), S. 180. 163 FRA Il/3, S. 55; BUB I, r. 22; BUB IV/I, rr. 830, 840; FRA IU4, Nr. 565. 164 BUB I, Nr. 73; BUB IV/ 1 , Nr. 880. 165 FRA Il/4, Nr. 565; BUB I, Nr. 57; UbE l l , Nr. 255; Geier: Asbach (wie Anm. 71), Nr. 70a;
BUB IV/I, Nr. 872; BUB I, Nrr. 69, 70; FRA ll/69, Nr. 400; Chroust: Kreuzzug (wie Anm.
72), S. 97.
166
1 1 88 II 29, Passau: … ; die Ministerialen: Hadmar von Kuenring, Weikard von Seefeld und
dessen Bruder Kadold, Ortlieb von Winkt, Albrecht von Paffstetten, Leutwin von
Sonnberg; Guodaker von Steyr, Albero marschalchus, Adelold von Kaya, Ulrich von
Staatz (BUB I. Nr. 69); 1 1 88 Irr 6, Krems: … , lmfried von Gnadendorf, Ulrich von Staatz,
Weikard Truchseß von Seefeld, Hadmar von Kucnring, Ortl i e b von Winkt, Wiepolo
von Rietenburg (abgek. HONB [wie Anrn. 26] R 255; südl. Horn), Hartung von Kaja und
47
Ginge man jetzt nach wie vor von zwei Personen aus, müsste es auch
Verdacht erregen, dass Ortelf in den Zeugemeihen von Herzogsurkunden nach
etwa 20jähriger Absenz plötzlich an die Spitze vorgestoßen sein soll.167 Genauso
wenig ist an einen gleichnamigen Nachkommen zu denken, der bei seiner ersten
Präsenz unter den fUhrenden Männern des Landes, gleich unter deren Spitzenvertretern
genannt wird.
Ein wesentlicher Aspekt, der ftir eine Identität von Ortelf und Ortlieb
spricht, scheint mir das Fehlen gemeinsamer Auftritte zu sein. Es wäre schon
sehr unüblich, wenn zwei so nahe Verwandte, als die Ortelf und Ortlieb ja gelten
müssen, bei immerhin 1 1 nachweisbaren Gelegenheiten innerhalb von 20
Jahren (zwischen ca. 1 1 70 und 1 1 90) niemals gemeinsam ans Licht der
Öffentlichkeit treten, wie dies den sonst üblichen Gepflogenheiten entspräche.
Bemerkenswett ist zudem, dass sich bei späteren Generationen der HetTen von
Wink!, als sich der Name Ortlieb bereits durchgesetzt hatte, vereinzelte Belege
für eine gleichbedeutende Verwendung der beiden Namen finden: So etwa in
den Zeugemeihen dreier Urkunden168 aus 1 2 10, 1 260 und 1294 und ganz
besonders aufschlussreich in einer 1 292 von der Ehefrau Ortliebs (IV.) von
Winkl auf der Burg Wirrkiberg ausgestellten Urkunde169, die sie mangels
eigenen Siegels mit sigillo mariti mei dilecti Ortolfi de Winkel bekräftigt. In der
Siegelumschrift ist er freilich- so wie auch in sämtlichen anderen Quellen- als
Ortlieb ausgewiesen: S. ORTLIBI DE WINCHELBERCH. Nicht zuletzt ist
auch darauf zu verweisen, dass dieses Phänomen der walu·scheinlich wechselweisen
Verwendung der Namen Ortelf und Ortlieb für ein und dieselbe Person
auch in anderen Fällen zu beobachten ist.170
dessen Sohn Otto, Nizo von Gloggnitz, Otto von Buchberg, Hugo von Ottenstein (BUB I,
Nr. 70); 1 1 88 V 3 1 , Mautem: … , Ulrich von Staatz, Weikard von Seefeld, Hadmar von
Kuenring, Albert von Pfaffstetten, Ortolf von Wink!, Herbord von Landegg, Heinrich
von Hartenstein u. sein gleichnamiger Neffe, Otto v. Maissau mit allen Brüdern, .. . (BUB I,
167 Nr. 73).
Wie Anm. 164. Besonders in der Aufzeichnung im Codex Falkensteinensis, der zufolge
die Herzöge Leopold V. und Otakar von Steier dem Grafen Siboto von Herostein eine
Ministerialin übergeben, da Ortolfvon Wink! dort als Spitzenzeuge genannt ist (BUB !VII,
Nr. 880 [ 1 189 V; Datierung nach Erwin Kupfer]).
168 NÖUB Vorausbd., Nr. 8; Edgar Krausen (Bearb.): Die Urkunden des Klosters Raitenhaslach
1034-1350, München 1959 (Quellen und Erörterungen zur Bayerischen
Geschichte NF Bd. 17/1, Nr. 24); FRA IU3, S. 294.
169 BHStA, Kloster Aldersbach Urk. Nr. 1 1 9 ( 1292 V I 0).
170 So etwa im Falle von Onolfbzw. Ortlieb von Kranichberg (Karin und Thomas Kühtreiber,
Christina Mochty und Maximilian Weltin: Wehrbauten und Adelssitze Niederösterreichs.
Das Viertel unterdem Wienerwald Bd. I, St. Pötten 1998, S . I 43).
48
Aufstieg unter Herzog Leopold V
Kein Zweifel besteht indes dariiber, dass Ottolf-Ortliebs Aufstieg unter der
Regierung Herzog Leopolds V. ( 1177-1194) seinen Höhepunkt erreichte. Der
Babenberger hatte mit finanztechnischen Erneuerungen die landesfürstliche
Herrschaft auf eine neue Gnmdlage gestellt, indem er die flir ihn zur Disposition
stehenden Einnahmequellen wie Mauten, Münzen und Gerichte an Vertreter des
Großkapitals verpachtete. Welche operativen Möglichkeiten zur Festigung und
Ausdehnung des eigenen Machtbereiches die mit dieser Generalpacht lukrierten
Bargeldeinnahmen eröffneten, zeigt sich etwa unter seinem Sohn und Nachfolger,
der dadurch in der Lage war, umfangreiche Güterankäufen zu tätigen
sowie die von ihm 1202 gegründete Zisterze Lilienfeld ansehnlich zu bestiften.
1 71 Eine derart dynamische Politik, bei der unter anderem die Nachfolgefrage
in der Steiermark oder Auseinandersetzungen mit Ungam eine wesentliche
Rolle spielten, 172 erforderte auch einen Stab an fahigen und verlässlichen
Leuten, zu dem Ortolf-Ortlieb von Winkl vermutlich gezählt werden darf. Das
Vertrauen, das er bei Herzog Leopold V. genoss, zeigt sich nicht nur in seiner
häufigen Präsenz im Gefolge des Landesfürsten, sondern ganz besonders an den
ihm übertragenen verantwortungsvollen Aufgaben. Eine derartige Mission
wurde Ottolf-Ortlieb von Wink! nachweislich zu Jahresende 1181 anvertraut, als
er gemeinsam mit seinem Neffen Hugo (II.) von Aigen im Rahmen einer
Gütertransaktion an das bairische Benediktinerstift Asbach1 73 als herzoglicher
Emissär die Interessen des Landesflirsten zu vertreten hatte. 174 Während Orto1fOrtlieb
zu dieser Zeit im Umkreis des Landesflirsten noch eher gemeinsam mit
nahen Verwandten auftritt,175 bewegt er sich gegen Ende des Dezenniums
bereits in der Spitzengruppe der babenbergischen Ministerialität. So ist er etwa
häufig in Gesellschaft der aus einem ursprünglich edelfeien Geschlecht
stammenden Brüder Wichard und Kadold von Seefeld176 sowie des Gtiinders der
Stadt Weitra, Hadmars (Tl.) von Kuenring177 anzutreffen. 178
171 Dazu Weltin: Landesforst (wie Anm. I 0), S. 251 .
172 Dazu Dopsch: Länder (wie Anm. 72), S. 298-304.
173 Geier: Asbach (wie Arun. 7 1), Nr. 70a ( I 1 8 1 Xll 26, Wien in domo Tokelere).
174 … , Ortlieb de Winkel, Hugo de Eigen, qui prefati duo nuntii fuerunt ducis (Geier: [wie
Anm. 7 1 ] , Asbach, Nr. 70a).
175 FRA II/4, Nr. 349; UbE II, Nr. 255; Geier: (wie Anm. 71), Asbach, Nr. 70a; BUB TV!l, Nr.
872.
176 Paul Herold: Die Herren von Seefeld-Feldsberg. Geschichte eines {nieder-)österreichischen
Adelsgeschlechtes ca. 1000-1270, St. Pölten 2000 (Studien und Forschungen
aus dem Niederösterreichischen Institutfiir Landeskunde Bd. 27), S. 64f.
177 Zehetmayer: Gericht (wie Anrn. 74), S . l 6f.
178 BUB I, Nrr. 69, 70, 73; BUB IV/1, Nr. 880; FRA W69, Nr. 400.
49
Teilnahme am Kreuzzug I 190/91
Der Höhepunkt und das gleichzeitige Ende seiner bemerkenswerten Karriere
unter Herzog Leopold V. dürfte die Teilnahme am Kreuzzugsunternehmen
seines Herrn im Jahre 1 190/91 gewesen sein. Das bescheidene Expeditionskorps
unter der Führung des Österreichischen Herzogs bestand aus dem auf Peilstein
residierenden Sighardinger Graf Siegfried von Mörle179, einem Edelfreien
namens Dietmar sowie einer Handvoll Ministerialen mit dem erfahrenen OrtolfOrtlieb
von Wink! an deren Spitze. Die Reihe der ihn begleitenden Standesgenossen180
eröffnet Hugo von Buchberg, der ältere Sohn Heinrichs von
Guntramsdorf-Buchberg181 . Auf ihn folgt ein Heinrich von Mödling, der
vermutlich mit einem gleichnamigen Wohltäter des Stiftes Heiligenkreuz
identisch ist.182 Da dessen Stiftung im Zusammenhang mit dem 1 1 87 vom
Kuenringer Wichard von Zöbing gegründeten Armenspital in Zusammenhang
steht, 183 könnte es sich wie bei Hugo von Buchberg ebenfalls um einen Enkel
des Mödlinger Burggrafen Heinrichs (I.) von Gutramsdorf handeln, dessen
Söhne Heinrich (II.), Rapoto und Otto nach dem Tod der Mutter durch eine
zweite Ehe ihres Vaters mit einer verwitweten Kuenringerin zu Stiefbrüdern
Alberos (III.) von Kuenring und Heinrichs von Zöbing geworden waren. 184 Für
die Zugehörigkeit Heinrichs von Mödling zu dieser Kuenringer-Guntramsdorfer-
Sippe spricht auch die Gemengelage seines für das Hospital zur
Verfu&ung gestellten Besitzes mit jenem des Spitalgründers Wichard von Zöbing18
.
179 Zu ihm Genealogische Tafeln zur mille/europäsi chen Geschichte, hg. von Wilhelm
Wegener, Göttingen 1 962-1969, S. 1 05f., r. 5 1 ; Kupfer: Machtstellung (wie anm. 82), S.
39.
180
Die Teilnehmer werden namentlich genannt bei Chroust: Kreuzzug (wie Anm. 72), S. 97. 181
Zu ihm Roman Zehetmayer: Die Babenbergerzeit, in: Garser Geschichten. Gars am Kamp
182 – Tausend Jahre Kulturlandschaji, Gars am Kamp 2014, S. 91-1 16, hier S. 1 12.
Watzl: Privilegienbücher (wie Anm. 151), S. 76, Nr. 4 1 : . . . invenitur Henricum de Medlico
ad Subsidium pauperum … tradsi se … ius montis … duorum vinearum in Sazze. Dass es
sich beim Kreuzzugsteilnehmer nicht um den gleichnamigen Bruder Herzog Leopo1ds V.
handelt, hat bereits Franz Gall: Die ,.Herzoge “ von Mödling, in: AÖG 120 ( 1 954), S. 1-44,
183 hier S. 2 1 festgestellt.
Watzl: Privilegienbücher (wie Anm. 1 5 1 ), S. 76, Nr. 4 1 ; Kar! Lechner: Zur älteren
Geschichte von Zöbing und seines Herrengeschlechtes, in: 850 Jahre Zöbing am Kamp,
Zöbing 1958, S. 13-3 1 , hier S. 1 7f.
Einschränkend ist aber darauf hinzuweisen, dass auch der gleichnamige Babenberger von
184 Mödling als Gönner des Klosterspitals belegt ist (BUB 1, Nr. 89).
Dazu Zehetmayer: Babenbergerzeit (wie Anm. 1 8 1), S. 1 1 2.
185 Nachdem Wichard von Zöbing fiir das Heiligenkreuzer Hospital bereits einen Weingarten
in Sooß (VB Baden) gestiftet hatte, widmete Heinrich von Mödling dem Klosterspital in
diesem Ort den Bergrechtsdienst zweier Weingärten (FRA II/1 1 , Nr. 19; wie Anrn. 182).
50
Weitere Begleiter Üitolf-Ortliebs waren Albert von Horn, der einem
ursprunglieh edelfreien Geschlecht angehörte, das aber spätestens seit 1 1 56 zur
landesfürstlichen Ministerialität zählte186, sowie Albero von Zemling, der als
letzter seines Geschlechts den Großteil seines irdischen Besitzes dem Heil seiner
Seele widmete. 187 Berthold von Würnitz, der im Umkreis des Herzogs kaum
belegt ist188 dagegen bei Traditionen seiner Standesgenossen an Klosterneuburg
relativ häufig,189 trat unter Propst Gottschalk ( 1 1 86/92) charakteristischerweise
nicht mehr in Erscheinung. Zu dieser Zeit werden nur mehr seine Frau sowie
sein gleichnamiger Sohn und dessen Schwester gena1mt. 190 Rudwin von Gars,
den Huben Schopf91 zur ritterlichen Dienstmannschaft der Garser Burggrafen
zählt, dürfte in deren Auftrag das von ihnen gestellte Kontingent angeführt
haben. Als letzter wird schließlich ein namentlich nicht genannter Vertreter der
Brüder von Rodaun genmmt, bei dem es sich vielleicht um Rupert, einem
ausgewiesenen Ministerialen Herzog Leopolds, handeln könnte. 192
Ortolf-Ortlieb von Wink!, der bereits in reifem Alter stehende Gefolgsmann
des Herzogs, tat es mit seiner Teilnahme am Kreuzzug ins Heilige Land
anderen Männem gleich, 193 die – im Bewusstsein einer höchstwahrscheinlich
nicht mehr zu erwartenden Wiederkehr – noch im hohen Alter ins Land des
Erlösers aufbrachen, um sich dort mit einem würdigen Abgang einen Platz im
Himmel zu sichern. Im August 1 1 90 brach das nicht gerade stattliche Aufgebot
Herzog Leopolds V. von Wien auf, um auf dem Seeweg die Reise ins Heilige
Land anzutreten. Man schiffte sich in Venedig ein und gelangte nach einem
wetterbdingt erzwungen Aufenthalt im dalmatinischen Zara (Zadar) schließlich
im Frühjalu· 1 1 9 1 ans Ziel der Reise. 194 Das Österreichische Kontingent landete
vor Akkon, um sich dem bei der Belagerung der Hafenstadt arg dezimierten
deutschen Kreuzfahrerheer anzuschließen. Eine Wende zugunsren der Belagerer
brachte erst das Einh·effen der Könige von Frankreich und England, die mit
ihren frischen Truppen schließlich die Aufgabe der Hafenfestung erzwangen.
Am 1 1 . Juli 1 1 91 musste Akkon kapitulieren und die Kreuzfahrer konnten die
Stadt in Besitz nehmen. Der bekannte Streit zwischen Richard Löwenherz und
Herzog Leopold nach dem Einzug in die besiegte Stadt drehte sich – entgegen
einer noch immer weit verbreiteten Meinung – allerdings nicht um ein vom
186 NÖUB JI (wie Anm. 2), S. 755.
187 Schopf: Kamptal (wie Anm. J 44), S. 1 96f. 188 FRA II/4, Nr. 640 = B UB IV/ 1 , Nr. 727.
1 89 FRA li/4, Nrr. 650, 327, 376, 382.
19° FRA li/4, Nrr. 388f.
191 Schopf: Kamptal (wie Anm. 144), S. 268f.
192 NÖUB Vorausbd., S. 294; BUB I, Nr. 56; FRA ll/4, Nr. 402.
193 So ist es etwa von Hadmar (II.) von Kuenring und anderen überliefert (Godfried Edmund
Friess: Die Herren von Kuenring. Ein Beitrag zur Adelsgeschichte des Erzherzogtums Gesterreich
unter der Enns, Wien 1874, S. 34.
194 Chroust: Kreuzzug (wie Arun. 72) , S. 96f.
5 1
Engländer geschändetes österreichisches Banner, sondern um den Ausschluss
der deutschen Kreuzfahrer von der Verteilung der Kriegsbeute.195
Für die Österreichische Truppe endete das Unternehmen nicht nur wegen
des vorenthaltenen irdischen Lolms verlustreich, sondern auch in personeller
Hinsicht. Wie ein zeitgenössischer Chronist glaubhaft berichtet, kehrte von den
neun Mitstreitern des Herzogs nur der von Schwäche und Krankheit gezeichnete
Graf Siegfried von Mörle in die Heimat zurück.196 Eine auf der Rückfahrt zum
Ausbruch gekomrnene Krankheit war offenbar so gravierend, dass sie den
Sighardinger zwang, seine Heimreise zu unterbrechen.197 Von den erlittenen
Strapazen dürfte sich der Graf nie mehr ganz erholt haben und starb wenige
Jahre später am 1 1 . August 1 1 94 in Jtalien.198 Von einigen Teilnehmem des
Untemehmens ist überliefert, dass sie noch vor ihrem Aufbruch ins Heilige Land
mit frommen Stiftungen für ihr Seelenheil sorgten. Hugo von Buchberg
bedachte das Stift Klosterneuburg. 199 Albero von Zemling, mit dem die Familie
im Mannesstamm ausstarb, wendete sogar sein gesamtes väterliches Erbe auf,200
um es den Zisterziensern in Wilhering zu übertragen. Deren Fürsprache und
Einschluss ins Gebet versicherte sich auch Graf S iegfried mit der Übertragung
195 Dopsch: Länder (wie Anrn. 72), S. 156; ausfuhrlieh bes. in Hinblick auf die
Auseinandersetzung mit Richard Löwenherz Heinrich Fichtenau: Akkon, Zypern und das
Lösegeld für Richard Löwenherz, in: Beiträge zur Mediävistik Bd. I, Snlttgan 1975, S.
239-258.
196 Quorum [der vorher genannten Teilnehmer] nullus secum reversus es/, sed omnes predicla
fatali necessitate dies suos clauserunt preter comitem Sifridum . . . (Chroust: Kreuzzug [wie
Anm. 72), S. 98). Wie bereits bei Hugo von Buchberg festgestellt (Schopf: Kamptal [wie
Anm. 144), S. 1 94f.), schweigen danach die Quellen auch über die anderen Ministerialen,
mit Ausnahme Alberos von Zemling, dessen Verbleib im Heiligen Land sogar im Willheringer
Stiftbuch Erwähnung gefunden hat: … , et interea cum duce Lupoldo Jerosolimam
est profectus et inde non reversus (Gebhard Rath: Das Wilheringer Stiftbuch von 1244-
1254157, in: Festschrift Leo Santifaller zum 60. Geburtstag [Mitteilungen des Österreichischen
Staatsarchivs Bd. 3) Horn 1 950, S. 228-282, hier S. 276, Nr. 1 29). Diese
genaue Aufzeichnung ist wohl mit der großzügigen Schenkung des letzten Zemlingers, der
sein gesamtes väterliches Erbe der Zisterze Wilhering stiftete, zu erklären, da man wohl zu
Recht die Anfechtung des umfangreichen Besitzes durch Verwandte des Kreuzfahrers
ftirchtete (Rath: Stiftbuch [wie Anm. 196), S. 254; Schopf: Kamptal [wie Anm. 144), S.
197).
197 . . . qui [Graf Siegfried von Mörle} fomitem infirmitatis secum reportans egrolavil et in via
demoratus sequenli anno [ 1 1 9 1 ) reversus es/ (Chroust: Kreuzzug [wie Anm. 72), S. 98).
198 MGH Necr lY, S. 445; ebd., S. 4 6 1 ; Wegener(wie Anm. 179), S. 106.
199 Schopf: Kamptal (wie Anm. 144), S. 194f. 200 Albero de Cemelub Jerosolimam iturus per manum ducis Lupoldi omne patrimonium suum
Wilheringen donavit videlicet Cimulub, ubi residentiam habebat, et .. . (Rath: Stiftbuch [wie
Anm. 196], S. 276, Nr. 12).
52
eines bei seiner Burg Peilstein gelegenen Wirtschaftshofes.201 Im Nekrolog des
Oberösterreichischen Klosters findet sich neben den beiden Letztgenarmten202
auch ein ohne nähere Hinweise vermerkter Ortolfus de Winckhel unter dem
Datum des 26. August.203 Obwohl uns keine so eindeutigen Nachweise wie bei
seinen Begleitern vorliegen, dürfte es sich vermutlich um Ortolf-Ortlieb von
Wink! handeln, den der Tod, wie das Datum seines Gedenktages vemmten lässt,
auf der Rückreise von Akkon eingeholt haben dürfte.
Nachkommenschaft
Während wir über Ortolf-Ortliebs „öffentliches“ Leben, seine Karriere und
Abenteuer relativ gut unterrichtet sind, liegen uns zu seinem „privaten“ Leben,
seiner Frau und seiner Nachkommenschaft so gut wie keine direkten
Nachrichten vor. Sieht man einmal von der Erwähnung seiner Abstammung von
Poppo von Winkl sowie von der Nennung seines Bruders Poppo (von Gnage)
ab, hüllen sich die Quellen über Vetwandtschaftsbeziehungen in Schweigen.
Vor allem, was die eigene Nachkommenschaft betrifft, liegen keine konkreten
Nachweise vor. Werm man bedenkt, dass Ortolf-Ortlieb ein Lebensalter von
etwa 60 Jahren erreicht haben muss, ist es auffallend, dass er bei seinen doch
relativ häufigen Auftritten nie in Begleitung eines Sohnes erscheint. Um so
merkwürdiger erscheint, dass der ihm nachfolgende Ortlieb von Winkl erst 1 7
Jahre nach seinem Tod ans Licht der Öffentlichkeit tritt und das wohl in noch
jungen Jahren. Werm Ortol f-Ortlieb tatsächlich der Vater Ortliebs war, so muss
er bei dessen Geburt bereits in reifem Alter gestanden sein. Wie auch immer,
Tatsache ist, dass es einen gleichnamigen Nachfolger gab, der aber nicht ganz in
die Fußstapfen seines Vorgängers zu treten vermochte.
In dieser Generation dürfte es auch eine weibliche Angehörige gegeben
haben, die mit Heinrich (1.) von Raschala verheiratet war. Auf die wahrscheinliche
Verschwägerung der BetTen von Winkl mit ihren nach Raschala,
einem Sitz südlich von Hollabrunn, genannten Standesgenossen hat bereits
201
Schopf: Kamptal (wie Anm. 144), S.I96f.; Rath: Stiftbuch (wie Anm. 196), S. 254; ebd., S.
276, Nr. 12; ebd., Nr. 14: Ad hoc vero Sifridus comes der Morle, cum in Pilsteine castro
suo mansionem haberet, curiam suam iuxia Pilsteine delegavit. 202
Albero von Zemliog, dessen Todesdanm1 mit der Einnahme von Akkon in Yerbindw1g
gebracht wird (Rath: Stiftbuch [wie Anm. 196), S. 255), ist unter dem 12. Juli vermerkt
(MGH Necr IV, S. 458). Dass er tatsächlich bei Kampfbandlungen ums Leben kam, ist ungewiss,
da die Stadt nach der Kapitulation der Verteidiger am 1 1 . Juli Tags darauf von den
Kreuzfahrern kampflos in Besitz genommen werden konnte (Fichtenau: Akkon [wie Anm.
195), S. 244f.). Graf Siegfried von Mörle, der 1 1 94 in Italien verstarb, ist unter dem 1 1 .
203 August vermerkt (s. Anm. 197).
MGH Neer rv, S. 462.
53
Erwin Kupfer204 hingewiesen. Denn 1208 treten zunächst Ortlieb (II.) von Wink!
und Heinrich (I.) von Raschala gemeinsam in Weitra auf, um eine Schenkung
Radmars Il. von Kuenring fur Zwettel zu bezeugen,205 so wie es etwa 40 Jahre
später auch ilu·e Nachkommen für Hennann von Walkersdorf tun?06 Zu dieser
Zeit (1254) sind drei Söhne Heinrichs (I.) von Raschala bekannt,207 von denen
die beiden älteren die auf die vohburgische Klientel um Hainburg verweisenden
Leitnamen Friedrich und Heinrich ftihren,208 während der jüngste wohl nach
seinem mütterlichen Großvater den Namen Ortlieb erhalten hat.
Ortlieb II. ( 1208-1225)
Ortlieb (II.) lemen wir bei einem großen gesellschaftlichen Ereignis kennen, das
am 10. November 1208 im Waldviertel stattfand, wo Hadmar (Il.) von Kuenring
in die von ihm gegründeten Stadt Weitra209 zur Doppelhochzeit seines ältesten
Sohnes Albero und dessen Schwester Giseta geladen hatte. Über einen Teil der
anwesenden Hochzeitsgäste sind wir durch die Zeugenreihe einer Urkunde210
unterrichtet, die bei dieser Gelegenheit vom Vater der Brautleute für dessen
Hauskloster Zwettl ausgestellt wurde. So erscheint etwa an der Spitze der zum
verwandtschaftlichen w1d wohl auch engeren gesellschaftlichen Umkreis zählenden
Zeugen der edelfreie Schwiegersohn des Ausstellers Ulrich von Falkenberg.
Nach den ebenfalls edelfreien Burgschleinitzern folgen 1-Iadmar (II.) und
seine drei Söhne. Als nahe Vetwandte der Gastgeber lassen sich noch Wichard
von Zöbing211 und Rapoto (II.) von Schönberg21 2 identifizieren. Am Ende der
204 Erwin Kupfer: Die Sonnherger – Ministerialen und Landherren in Österreich, in: UH
2007 (78), S. 302-337, hier S. 307.
205 FRA W3, S. 64f.
206 FRA IV3 , S. 4 1 3 ( 1241 VI I , Wolkersdorf [recte nach 1246 VI 15]). Zeugenliste,
Ausstellungsort und Datierung wurden erst später ergänzt (Joachim Rössl: Kommentar zu
Liher fundararum Zwetlensis monasterii „Bärenhaut“, Graz 1 9 8 1 [Codices selecti Bd. 73],
S. 89, Nr. 34). Die Erwähnung des Ausstellers Hermann von Wolkersdorf als ministerialis
Austrie kann als Indiz daftir gelten, dass die Handlung erst in nachbabenbergischer Zeit
stattgefunden hat (dazu Maximilian Weltin: Landesherr und Landherren Zur Herrschaft
Ottokars Ii. Premysl in Österreich, in: Maximilian Weltin, Das Land und sein Recht. Ausgewählte
Beiträge zur Ve1jassungsgeschichte Österreichs im Mittelalter, bg. von Folker
Reichert und Winfried Stelzer, Wien-München 2006 (Mitteilungen des Instituts fiir Österreichische
Geschichtsforschung Ergbd. 49), S. 1 3 0-187, hier S. 130ff.).
207 FRA !V I I , Nr. 122; Kupfer: Sonnherger (wie Anm. 204), S. 307.
208 Kupfer: Sonnherger (wie Anm. 204), S. 307f.
209 Dazu Folker Reichert: Zur Geschichte und inneren Struktur der Kuenringerstädte, in:
Jahrhuchfiir Landeskunde von Niederösterreich 1 9 80/8 1 (NF 46/47), S. 142-187, hier S.
145f.
21° FRA IV3, S. 64f. Die Urkunde wird als Insert mit Nennung der damals anwesend gewesenen
Zeugen von Hg. Leopold VI. sechs Jahre später bestätigt (BUB I, Nr. 193). 211
Lechner: Zöhing (wie Anm. 183), S. 17f.
54
illustren Reihe sind der Seniorität folgend Hartneid (IV.) von Ort (am
Traunsee)213, Ortlieb von Wink!, dessen Vorgänger- wie bereits berichtet – mit
Hadmar 11. in engem Kontakt gestanden ist, sowie der hier ebenfalls erstmals
genannte Heinrich (1.) von Raschala versammelt.
Im Gegensatz zu Ortolf-Ortlieb (1.) ist Ortlieb (TI.) kaum im Umkreis des
Landesfürsten zu finden.214 Diese Distanz zum herzoglichen Hof dürfte mit dem
Problem der sogenannten Entvogtung- der Absetzung von Adeligen als Vögte
von Klöstem bzw. der Beschneidung der adeligen Vogteirechte durch den
Landesfürsten – zusammenhängen, das zur Zeit Herzog Leopolds VI. ( 1 198-
1230) virulent wurde und für die betroffenen Adelsfamilien nicht nur einen
Eingriff in althergebrachter Rechte bedeutete, sondem zumeist auch empfindliche
Einbußen ihrer Einkünfte. Die Auswirkungen dieser landesfürstlichen
Politik, die zu einer Entfremdung des Landesadels vom Hen·scherhaus geführt
hatte, bekam aber erst Leopolds Nachfolger Friedrich II. ( 1 2 3 1 – 1 246) zu spüren,
der sich bei seinem Regienmgsantritt einem Aufstand der Landherren gegenübersah.
215 Da die als Exponenten der Adelsfronde ausgewiesenen Kuenringer
und Falkenberger in enger Beziehung zu den Winklem standen (s. u.), liegt es
nahe, dass auch Ortlieb (II.) – sofern er noch am Leben war- die Fehde gegen
den Babenberger unterstützt hat.
Heiratsverbindung, Kontakte und Nachkommenschaft
Als Gemahlin Ortliebs (IT.) kommt die 1 258 singulär als Mutter Ortliebs (III.)
erwähnte Kunigunde in Betracht,216 die, wie Indizien vermuten lassen, aus dem
Umkreis Radmars Il. von Kuenring stammen könnte. Eine Tochter des Gründers
von Weitra war sie wohl nicht, da Hadmar TI. (t 1 2 1 7 VII 2 1 ) in einer vor seiner
Pilgerfahrt ins Heilige Land getroffenen Verfügung217 über die Aufteilung seines
Besitzes lediglich die mit Ulrich von Falkenberg vermählte Gisela erwähnt.
Der enge Kontakt zwischen dem Kuenringer und Ortlieb-Ortolf (I.) sowie
die Präsenz von dessen gleichnamigen Nachfolger bei der Weitraer Doppelhochzeit
von 1208 sind ja bereits bekannt. Zwei Jahre später findet sich Ortlieb
(II.) im Umkreis Radmars 11. und anderer Waldviertier Ministerialen im Gefolge
Herzog Leopolds VI. in der Residenz zu Wien.218 Aufschlussreich sind aber vor
212 Schopf: Kamptal (wie Anm. 144), S. ! O l ff.
213 Viktor von Handel-Mazzetti: Waltenstein und Eppenberg und die Herren “ von Ort im
Traunsee“, in: 67. Jahresbericht des Museums Francisco-Carolinum, 1909, S. 1-127, hier
S. 102, Stammtafel der Herren von On am Traunsee.
214 NÖUB Yorausbd., Nr. 8 ( 1 2 10, Wien); BUB IV/ I , Nr. 967 ( 1 1 98/1230).
215 Weltin: Landesforst (wie Anm. I 0), S. 55 I .
216 StiA Zwetll, Urk. 1258, Hadersdorf am Kamp, Druck: FRA IU3, S. 1 94f.
217 FRA IV3, S. 8 1 f. ( 1 2 1 7 , Zwettl).
218 NÖUB Vorausbd., Nr. 8 ( 1 2 1 0, W ien).
5 5
allem die Zeugenreihen der beiden Vergleiche219 über die Vogtei- bzw. Mautund
Gerichtseinkünfte der Winkler, die Ortlieb mit den Niederaltaicher Benediktinern
und dem Passauer Domkapitel eingehen musste. Dass bei derart wichtigen
Streitschlichtungen Angehörige der „Freundschaft“ als Zeugen und Schiedsmänner
herangezogen wurden, liegt auf der Hand. Wie Karl-Heinz Spieß220
anhand von spätmittelalterlichen Beispielen aus dem deutschen Hochadel zeigen
konnte, spielte die Solidarität der Kognaten und der Schwägerschaft in
Krisenfallen eine besondere Rolle. Da die Eheschließungen zumeist innerhalb
einer besti111111ten Gntppe erfolgten, kam es sehr schnell zu einer engen
Verflechtung, was eine breite personelle Basis für gemeinsame Aktionen schuf.
Abgesehen davon war die dennaßen enveiterte Sippe durch Besitzverschränkungen
materiell verbunden, sodass Besitzveränderungen oder krisenhafte
Ereignisse eines einzelnen Sippenmitglieds auch die Interessen der anderen
berührten. In Hinblick auf die Einbeziehung der Schwägerschaft in die
Handlungsgemeinschaft der Blutsverwandtschaft konnte Spieß22 1 ferner zeigen,
dass im Sinne politischer Netzwerkbildung das Vewandtschaftsbewusstsein eher
horizontal ausgeprägt war und die „Freundschaft der Ehe“ der „Freundschaft des
Blutes“ als nahezu ebenbürtig galt. Eine Schwägerschaft wurde ja unter
Verfolgung gewisser Absichten bewusst eingegangen mit der Konsequenz einer
sich daraus ergebenden kognatischen Blutsverwandtschaft in der nächsten Generation.
Sieht man sich unter diesem B lickwinkel die Zeugenreihen der beiden
unten behandelten Urkunden an, so lassen sich folgende Beobachtungen machen.
Beim Ausgleich222 mit dem Domkapitel von Passau von 1222 darf Graf
Leutold von Plain, der die weltlichen Zeugen anfuhrt., als erster Parteigänger des
Winklers angenommen werden, während das Ende des Zeugenblocks der Unterstützer
Ortliebs vermutlicher Schwiegersohn Leutold von Hochstaff-Altenburg
markiert. Er war jedenfalls mit einer Angehörigen der Herren von Wink! verheiratet,
223 deren charakteristischer Name Gisela auf eine kuenringische Tradition
verweisen könnte, da sowohl Radmars (II.) Schwester als auch dessen
Tochter so hießen. Zwischen diesen beiden mutmaßlichen Exponenten der
Winkler-Par1ei werden noch Heinrich (JII.) von Kuenring, der jüngste Sohn
Radmars (II.), sowie der von Or1lieb als Schiedsmann reklamierte Or1olf (II.)
von Atzenbrugg angeführt, der wahrscheinlich mit einer Angehörigen der
Herren von Königsbrunn verheiratet und dessen Sohn Ulrich l . von Atzenbrugg
vielleicht ein Schwiegersolm Ortliebs (II.) gewesen ist.224
219 MB 28/1, S. 298ff., Nr. 70 (1222, Krems); BUB ll, S. 84f., Nr. 255 (1225 II 23, Krems).
220 Spieß: Familie (wie Anm. 134), S. 505-5 10.
221 Spieß: Familie (wie Anm. 134), S. 5 3 1 .
222 MB 28/1, S. 298ff., Nr. 70 (1222, Krems).
223 Marian: Herrschaftsbildung (wie Anm. 63), S. 43.
224 Marian: Studien (wie Arun. 66).
56
Auch in der zweiten Urkunde225, der unter herzoglichem Vorsitz
ausgehandelten Streitbeilegung mit den Niederaltaicher Mönchen von 1 225,
findet sich an prominenter Stelle stehend die engere Verwandtschaft Hadmars
(li.) von Kuenring-Weitra. Die Zeugenreihe beginnt mit seinem Schwiegersohn
Ulrich von Falkenberg gefolgt von Hadmar (III.) und Heinrich (IJI.), den Söhnen
des Kuenringers. Für die Herkunft von Ortliebs (II.) Gemahlin Kunigunde aus
dem kuenringischen Umfeld spricht zudem, dass ihr Sohn Ortlieb (III.) bei der
Übertragung226 seiner Besitzrechte in Edelbach (TÜPL Allentsteig, VB Zwettl)
an das Stift Zwettl nicht nur die Zustimmung seiner Frau Elisabeth von Falkenberg-
Mistelbach, einer Urenkelin Radmars (ll.) von Kuenring, einholte (de
consensu uxoris mee Elizabeth), sondem sich ausdrücklich auch der Erlaubnis
seiner Mutter versicherte (de bona voluntate matris mee domine Chunegundis),
aus deren Mitgift die Besitzrechte in Edelbach bzw. Teile davon ebenfalls stammen
könnten. Wie dem auch sei, steht zumindest fur Ortlieb (III.) zweifellos
fest, dass er mit einer Nachfahrirr des kuenringischen Gründers der Stadt Weitra
verheiratet gewesen ist.
Ortlieb 111. (1234-1268 ft 1271(?) Juni 151)
Eindeutige Quellenaussagen zum Vetwandtschaftsverhältnis sowie zur
chronologischen Abgrenzung zu seinem gleichnamigen Vorgänger liegen für
Ortlieb (III.) nicht vor, lediglich die Stellung in der Zeugenreihe einer in Erdberg
(Wien 111.) ausgestellten herzoglichen Besitzbestätigung227 für die Zisterze
Zwettl von 1 234 lässt eine Zäsur erahnen. Denn dort begegnet Ortlibus de
Winchel wohl nach Maßgabe der Seniorität als letzter der die Urkunde bezeugenden
herzoglichen Ministerialen. Seine Anwesenheit im Gefolge Herzog
Friedrichs ll. scheint aber weniger der Nähe zum jungen Landesfürsten als
vielmehr besitzrechtlichen Bezügen zum bestätigten Stiftungsgut, wie z. B.
Edelbach, geschuldet gewesen zu sein. Dieser Eindmck der Feme zum
herzoglichen Hof bestätigt sich auch während der Folgezeit. So ist Ortlieb zwar
noch ein Mal 1 24 1 als Zeuge in einer Urkunde228 Friedrichs des Streitbaren
nachzuweisen, doch dürfte dafür in erster Linie seine Eigenschaft als Besitznachbar
eine Rolle gespielt haben.
Nach dem Tod des letzten Babenbergers (t 1 246 Juni 1 5) gelang es
Ortlieb (Ill.), seine Herrschaft im engeren Machtbereich des Wagramgebietes zu
festigen, was sich neben dem Nachweis einer ansehnlichen rittermäßigen
Mannschaft vor allem im Bau der Bw-g Winklberg in Mitterstockstall ausdrückte,
die wahrscheinlich während der Zeit des „östeneichischen Interregnums“
225
BUB Il, Nr. 255 (1225 Il 23, Krems).
226 SriA Zwettl, Urk. 1258, Hadersdorfam Kamp, Druck: FRA II/3, S. 194f. 227
BUB Il, Nr. 3 1 8 (1234 X 23, Erdberg). 228
BUB I!, Nr. 388 (1241 1X 25, Krems).
57
(1246-1251) errichtet wurde. Von der dieser Machtstellung zugrunde liegenden
wittschaftlichen Konsolidierung zeugt nicht zuletzt sein Engagement als Wohltäter
geistlicher Kommunitäten.229 Umso mehr überrascht seine Abwesenheit im
Umkreis des neuen Landesfursten König-Herzog Ottokars, in dessen Gefolge er
sich trotz reichlich fließender Quellen nicht nachweisen lässt. In GeseJischaft
von Standesgenossen ist er hingegen bisweilen anzutreffen.230
Die Nennung eines Ortolfus de Winchel als Zeuge in einer Urkunde231
eines Otto de Walde wäre an sich nichts Ungewöhnliches, wenn man davon
ausgeht, dass es sich beim Urkundenaussteller um einen Angehörigen der auf
Wald bei Pyhra (VB St. Pölten) sitzenden Ministerialen handelt, fur die der
Leitname Otto bis ins 14. Jahrhundert charakteristisch war. Dem ist in diesem
Fall aber nicht so. Denn Jener Otto von Wald, der 1260 mit dem Kloster Raitenhaslach
bei Altötting und Laufen gelegene Güter tauscht, gehört einer aus der
Dienstmannschaft des Salzburger Erzbischofs hervorgegangenen Adelsfamilie
an, die ihren Sitz in Wald an der Alz (südl. Altötting) hatte. Zwei Beobachtungen
sind dazu aber dennoch aufschlussreich. Erstens konnte neuerdings festgestellt
werden,232 dass die Vorfahren Ottos von Wald (an der Alz) Beziehungen
zu ihren niederösterreichischen Namensvettern unterhielten und möglicherweise
über eine Verschwägerung sogar als Namengeber der Burg Wald bei Pyhra in
Betracht kommen. Zweitens taucht mit dem 1 240 erstmals erwähnten Ortlieb
von Wald, einem Bruder Ottos, bei den Herren von Wald (an der Alz) der
Winkler Leitname Ortlieb auf,233 der auch in der nächsten Generation typisch
bleibt.234 Somit erscheint es nicht ganz abwegig, in jenem Ortolfus de Winchel
vielleicht Ortlieb (III.) von Wink! zu erblicken,235 der sich bei seiner
verschwägerten Verwandtschaft in Baiern aufgehalten haben könnte.
Der 1268 letztmals urkundlich erwähnte Ortlieb verstarb vor dem 30.
Oktober 1271, da zu diesem Datum seine Gemahlin bereits als Witwe
229
Mari an: Studien (wie Arun. 66).
23° FRA II/3, S. 4 1 3 (1241 VI I, Wolkersdorf [recte nach 1246 VI 15], zur Datierung siehe
Anm. 207); UbE III, Nr. 355 ( 1 264); Herold: Seefeld (wie Anm. 176), S. 2 1 7 f., Nr. 2 1 7
(1265 V 3 1 ); NAP, RM Urk. Nr. 3 1 02 (1268 VIII, 14, Znaim), Druck: Maximilian Weltin:
Die Urkunden des Archivs der niederösterreichischen Stände (8), in: Mitteilungen aus dem
Niederösterreichischen Landesarchiv 1 986/Si ( I 0), S. 79- 1 1 5 , hier S. 85, Regest: Herold:
Seefeld (wie Anm. 176), S. 222f., Nr. 23 1 .
231 Krausen: Raitenhaslach (wie Anm. 168), Nr. 249 ( 1 260).
232 Marian: Herrschaftsbildung (wie Anm. 63), S. 23 ff.
233 Krausen: Raitenhaslach (wie Anm. 168), Nr. 126 ( 1 240, Burg Burghausen).
234 Edgar Krausen (Bearb.): Die Urkunden des Klosters Raitenhaslach 1034-1350,
Registerbd., München 1960 (Quellen und Erörterungen zur Bayerischen Geschichte NF
Bd. 1 7/2), S. 109.
235 Zur synonymen Verwendung der Namen Ortelf und Ortlieb siehe S. 36.
58
bezeichnet wird.236 Möglicherweise fiel er in dem von König-Herzog Ottokar
mit ungeheurem Aufwand an Menschen und Material gegen Ungarn begonnenen,
letztlich aber doch erfolglosen Feldzug des Jahres 1 27 1 ,237 wobei als Ortliebs
Todestag der 1 5 . Juni in Betracht kommt. 238
Heiratsverbindung und Nachkommenschaft
Ortlieb (111.) war mit Elisabeth, einer Tochter Radmars von FalkenbergMistelbach
verheiratet, der einem in Falkenberg am Kamp ansässigen Zweig des
berühmten edelfreien Geschlechts der Haderiche entstammte239 und aus dem
reichen Erbe seiner kuenringischen Mutter die Herrschaft Mistelbach erhalten
hatte.240 Elisabeth gibt 1 258 und 1263 als Gattin Ortliebs ihre Zustimmung zu
Zuwendungen an geistliche Institutionen,241 1271 siegelt sie bereits als Witwe
mit der Petschaft ihres verstorbenen Gemahls242 und wird schließlich 1283
letztmals urkundlich erwähnt.243 Mit ihr hatte 01tlieb zwei Söhne, von denen der
ältere den Winkler Leitnamen Ortlieb erhielt, während der jüngere nach seinem
Falkenherger Großvater Hadmal“ genannt Willde. Daneben gab es noch zwei
Töchter. Die 1 263 erwähnte Elisabeth dürfte bereits früh verstorben sein.244
Auch über das Schicksal der 1275 urkundlich genannten Adelheid245, deren
bildliehe Darstellung sich immerhin in einem illustrierten Stemma der Zwettler
Hauschronik findet,
246 ist nichts bekannt.
236 NAP, RM Urk. Nr. 3 1 02 (1268 VIII 14, Znaim), Dmck: Max Weltin, Die Urkunden des
Archivs der niederösterreichischen Stände (8), in: Miueilungen aus dem
Niederösterreichischen Landesarchiv 10 ( 1 986/87). S. 79-1 15, hier S. 85, Regest: Herold:
Seefeld (wie Anm. 176), S. 222f., Nr. 2 3 1 ; HHStA, AUR 1271 X 30.
237 Dazu Weltin: Landesherr (wie Arun. 206), S. l 54f., bes. Anm. 143.
238 MGHNecr V, S. 394, Kloster Lilienfeld, Juni 15: Ortlibus ministerialis de Winchi/.
239 NÖUB ll, S. 377.
240 Zebetmayer: Gericht (wie Anm. 74), S. 67; Schopf: Kamptal (wie Anm. 1 44), S. 36f.
241 StiA Zwettl, Urk. 1258, Hadersdorf am Kamp, Dmck: FRA II/3, S. 1 94f.; Josef Klose
(Bearb.): Die Urkunden Abt Hermanns von Niederaltaich (I 242-1273), München 2010
(Quellen und Erörterungen zur Bayerischen Geschichte NF Bd. 43/4), Nr. 5 1 2f. (1263 XI
18, Absberg).
242 HHStA, AUR 1271 X 30.
243 MB 2912 5 5 l f., Nr. ! 5 9 (1283 VII 27, Kircherg am Wagram).
244 Klose: Urkunden (wie Anm. 241), Nr. 5 1 2f. ( 1 263 XI 18, Absberg).
245 StiA Zweit/, Urk. 1275 III 30, St. Stepban [Kirchberg) am Wagram, Druck: FRA II/3, S.
196f.
246 Joachim Rössl: Liber fundatorum Zwetlensis monasterii .,Bärenhaut“. Vollständige
Faksimile-Ausgabe und Kommentar, Graz 1 9 8 1 , fol. 52“.
59
Ortlieb IV. (1275-1321) und Hadmar I. (1275-1325)
Kontakte und Beziehungen
Die beiden Brüder traten zeitlebens zumeist gemeinsam auf. Neben der
Abwicklung von Familiengeschäften247 erscheinen sie häufig als Zeugen fur und
gemeinsam mit ihren mütterlichen Verwandten den Falkenbergem248 sowie den
Kuenringem der Dürnsteiner Linie249, von denen die Brüder Leutold und Heinrich
ebenso wie Ortlieb (IV.) Schwiegersöhne des letzten Truchsessen von
Feldsberg waren?50 Eine besondere Beziehung bestand zu den Angehörigen
einer Falkenherger Nebenlinie, den sogenalmten ,jüngeren“ Henen von
Buchberg25 1. Wechselseitige Beseigelungen von Rechtsgeschäften252, das Eintreten
Ortliebs ältesten Sohnes als Bürge bei einem Güterverkauf der Buchberger
Brüder Wulfing und Rapoto253 sowie gemeinsame Auftritte als Zeugen fur
247 BHStA, Domkapitel Passau Urk. Nr. 88 (1283 X 1 7 , St. Stephan [Kirchberg) am Wagram),
Druck: MB 29!2 55 l f., Nr. 159; FRA TI/2 1 , Nr. 45 (1288 X 28, Altenburg); FRA IV37, Nr.
1 7 ( 1 308 IV 6); HHSTA, AUR 1 3 1 0 VI 1 5 ; NÖLA StA, Urk. Nr. 47 1 1 ( 1 3 1 1 Xl 25, Wien),
Dmck: NÖUB Vorausbd., Nr. 1 14.
248 UJM, Nr. 48 = NAP, RM Urk. Nr. 1294 ( 1 276, Krems); HHStA, AUR 1293 IV 24, Dmck:
FRA II/1 , S. 255, Nr. 84; FRA Il/3, 294 ( 1 294 1Il 8, Hagenberg); StiA Klosterneuburg, Urk.
St. Dorothea 1294 V 14, Wink1berg; HHStA, AUR 1299 Vl 1 3 ; HHStA, AUR 1304 VI 1 5 ,
Krems; HHStA, AUR 1 3 0 9 V l ; HHStA, AUR 1 3 1 2 I V 24, Hadersdarf arn Kamp; HHStA,
AUR 1 3 1 2 V 2 1 , Wien; BHStA, Domkapitel Passau Urk. Nr. 143 ( 1 3 1 3 I 1 ). 249 FRA IU8 1 , Nr. 1 70 ( 1 276 UI 22); HHStA, AUR 1279 VI 1 6 , Wien, Regest: Herold: Seefeld
(wie Anm. 176), S . 229, Nr. 249; HHStA, AUR 1285 lf[ 29; HHStA, AUR 1289 IIl 20,
Seefeld, Regest: Herold: Seefeld (wie Amm. 176), S. 2 3 1 , Nr. 257; HHStA, AUR 1290 IV
5, Feldsberg; Urk. Liechtenstein Vaduz (Xerox im NÖLA) 1294 V 27, in dem haus da ze
Sternberg; HHStA, AUR 1297 I 13, Wien (2 Urkunden), Druck: FRA IT/1, S . 274f., Nr.
I 05f.; FRA IU5 1 , Nr. 207 ( 1297 VIII I, Wiesendorf); StmkLA, AUR Nrr. 1588, 1589 (1299
VI 15, Wien); HHStA, AUR 1303 VI 29, Wien; HHStA, AUR 1303 VII 25, Hausegg;
HHStA, AUR 1304 VJ 1 5, Krems; HHStA, AUR 1 3 08 V 23, Schönberg; GB 1 2 , S. 426
(1308 XJI 2 1 , Winklberg, zur Datierung ebd., Anm. 6); UbE V, Nr. 28 ( 1 3 10 II 24). 250 Herold: Seefeld (wie Anm. 176), S. 92f. 251 Zur Abstammung der ,jüngeren“ Herren von Buchberg Schopf: Kamptal (wie Anm. 144),
S. 1 98-20 1 . 252 StiA Zwettl, Urk. 1275, Ili 30, St. Stephan am Wagram, Dmck: FRA ll/3, 196f. ; BHStA,
Domkapitel Passau Urk. Nr. 1 1 2 ( 1 302 X 26), Dmck: MB 3012, 8ff., Nr. 2 1 7 ; HHStA,
AUR 1305 VII I8, Zagging; HHStA, AUR 1309 lii 9, Zelking; UJM, Nr. 104 = NAP, RM
Urk. Nr. 1334 ( 1 3 1 1 XII 16, Mailberg); StiA Zwettl, Urk. 1 3 1 3 VI 5, Stift Zwettl, Dmck:
FRA 11/3, 597f. (dort irrig zu 1 3 12); StiA Melk, Urk. 1 3 1 9 V 27, Buchberg.
253 HHStA, AUR 1325 III 3 1 , Wien. Bei der Veräußerung ihres Besitzes zu Hadersdorf am
Kamp an ihren oheim Jans (I.) von Kapellen wurde Ortlieb (V.) nicht nur von den Verkäufern
als Bürge nominiert, sondern auch von seinem oheim Jans von Kapellen als Zeuge
der Beschau und Bereitung der zum Verkauf stehenden Güter nominiert (StiA Zweit/, Urk.
1325 III 3 1 , Wien). Die gegenseitige Bezeichnung als oheim für die an diesem Rechtsgeschäft
Beteiligten ist mit der Abstammung Jans (I.) von Kapellen erklärbar, dessen Mutter
60
Dritte254 deuten bereits eine Verschwägerung der beiden Geschlechter an. Vor
allem aber die Besitznachfolge der Winkler auf der Feste Buchberg vermag
diesen Verdacht zu erhärten.255 Die bis in die Zeit Ortliebs (III.) zurückreichenden
Kontakte in erster Linie zu Konrad von Falkenberg-Buchberg und
danach zu dessen Söhnen Wulfing, Rapoto und Alber legen nahe, dass es sich
bei Konrads Gemahlin Agnes256 um eine Angehörige der RetTen von Wink!
handelt, vielleicht um eine Schwester Ortliebs (III.). Dazu fugt sich, dass bei
jenen zwei Güterverkäufen, die Konrad gemeinsam mit seiner Frau Agnes
durchfUhrt, die beiden Winkler Brüder Ortlieb und Hadmar an prominenter
Stelle als Zeugen erscheinen.257 Und damit ist auch zu erklären, warum eine
Frau Gisela von Stockstall und ihre um 1280 vetwitwete Mutter Kunigunde von
Stockstall, deren namengebender Ott eindeutig auf die Gefolgschaft der Herren
von Wink! verweist, von den Herren von Falkenberg-Buchberi mit einem Lehen
zu Hetzmannsdorf (Gern. Wullersdorf) ausgestattet waren. 25 Augenscheinlich
handelt es sich bei ihnen um Angehörige des Winkler Gefolges, die im Zuge der
Vermählung ihrer Herrin den Klientelverband gewechselt haben.
Ein ähnlicher Fall, bei dem sich eine Verschwägerung mit dem Übertritt
von Gefolgsleuten in einen anderen Klientelverband erklärt lässt, liegt bei
Dietrich (I.) von Weißenburg (Gem. Frankenfels) und dessen Gemahlin Eufemia
vor, die ebenfalls eine Schwester Ottliebs (III.) gewesen sein könnte. Aufschlussreich
ist zunächst, dass Dietrich mit ausdrücklicher Zustimmung seiner
Frau einen Hof in Laitereck (abgek., nordwestlich Rabenstein an der Pielach)
tauscht, den einst Ulrich von Wink! von ihm zu Lehen hatte. 259 Zudem verkaufen
Dietrichs gleichnamiger Sohn und Enkel dem Schottenkloster eineinhalb
Lehen zu Großebersdorf (bei Komeuburg), da weilen! aufgesezzen ist V/reich
von WincheP60. Dieser Lehensmann der Weißenburger mit dem fur die nach
Wink! genalmten Gefolgsleute charakteristischen Namen Ulrich261 stammte
zweifellos aus der Klientel der Renen von Wink! und war wohl im Zuge der
eine Falkenbergerio war (siebe dazu Heribert Raid!: Die Herren von Kapellen, Diss. Wien
2002, S. 78, Stammtafel).
254 UbE III, Nr. 355 (1264); NAP, Rl\1 Urk. Nr. 3102 (1268 VIII 14, Znaim), Druck: Weltin:
NÖLA Mtg. 10 (w i e Anm. 236), S. 85, Regest: Herold: Seefe ld (wie Anm. 176), S. 222f.,
Nr. 23 1; HHStA , AUR 1288 VII 13, Krems; FRA II/3 , S. 294 (1294 III 8, Hagenberg); StiA
K/osterneuburg, Urk. St. Dorothea 1294 V 14, Winklberg; HHSTA , AUR 1312 IV 24,
Hadersdorf am Kamp . 255
Marian: Studien (wie Anm. 66). 256
HHStA , AUR 1305 VII 18, Zagging; FRA II/3, 184ff. (1309 Il 3, Stift Zwett1); HHStA ,
AUR 1309 Ill 9, Zelking.
257 HHStA , AUR 1305 Vll 18, Zagging; HHStA , AUR 1309 lll 9, Zelk ing. 258 FRA IU6, S. 21 6f., Nr. 65 (1314 V 1, St. Bemhard) ; ebd., S. 217f., Nr. 66 (1314 IV 24). 259 StiA Me lk. Urk. 1278 I 13, Melk.
26° FRA lU18, Nr. 182 (1336 III 21, St. Pölten).
261 Marian: Studien (wie Anrn. 66).
61
Heirat Eufemias in die Mannschaft der Weißenburger übergetreten. Für eine
Verschwägerung spricht auch ein typisches Rechtsgeschäft262, wonach die
Söhne Dietrichs (I.) von Weißenburg, Dietrich (II.) und sein bisweilen in Gesellschaft
der Winkler anzutreffender Bruder Otto263, den Btüdem Ottlieb (IV.) und
Hadmar (I.) von Wink! eine zu Lehen ausgegebene Eigenschaft zu Rohrbach
(Gern. Ziersdorf VB Hollabrunn) sowie den Kirchensatz264 daselbst verkaufen.
Wie es aussieht, ist es den Weißenburger Btiider gelungen, vennutlich aus dem
Heiratsgut ihrer Mutter stammende und von ihrem Sitz entlegene Besitzungen
wieder an die ursprünglichen Besitzer los zu werden. Dass das Interesse der
Winkler an der Pfarre Rohrbach ungebrochen geblieben ist, belegt nicht zuletzt
die Mitgliedschaft von Ottliebs Sohn Weikard in einer dortigen Bruderschaft.265
Nach dem BetTschaftsantritt der Habsburger fand die schon während der
Regierungszeit des letzten Babenbergers ( 1 2 3 1 – 1 246) merkbare und unter
König-Herzog Ottokar andauernde Abwesenheit der Herren von Wink! vom
herzoglichen Hof ein augenscheinliches Ende. Unter Herzog Albrecht I. ( 1 282-
1308) lässt sich Ortlieb (IV.) mehrmals in der Wiener Residenz nachweisen/66
wo er als Zeuge landesfurstlicher Rechtsgeschäfte in Erscheinung getreten ist.
Zudem stand sein Bruder Hadmar (1.) nachweislich seit 1 3 1 0 in den Diensten
Herzog Friedrichs des Schönen267. Im Herbst 1 3 14 gehörte er dem Gefolge an,
das den Habsburger zur Königswahl nach Frankfurt am Main und zur anschließenden
Krönung in die Bonner Stiftskirche eskortierte. Für die kostspielige
Begleitung des Kronprätendenten musste der Winkler jedoch nicht zur Gänze
selbst aufkommen. Immerhin wurden ihm fur diesen sogenannten Dienst versus
Rhenum von Herzog Friedrich 1 6 Scheffel Hafer Vogtfutter im Wett von 60
Pfund Pfenning verpfandet.268 Vor diesem Hintergrund betrachtet könnte dem
262
HHStA, UR Gschwendt 9 ( 1 3 1 7 lll 4, Wien). 263 HHSrA, AUR 1305 VII 1 8 , Zagging; UbE IV, Nr. 578 (1308 T 1); HHSTA, AUR 1309 1II
9, Zelking. 264
Mitwirkungsrecht bei der Besetzung der Pfarrstelle (Deutsches Rechtswörterbuch Bd. 7,
1983, Sp. 9 1 7.).
265 Marian: Studien (wie Anm. 66).
266 Ausgewählte Urkunden zur Verfassungs-Geschichte der deutsch-österreichischen Erblande
im Mittelalter, hg. von Ernst Freiherr von Schwind und Alphons Dopsch, Innsbmck
1895, Nr. 7 7 ( 1 296 !I 12, Wien), Regest: QGW IU1, Nr. 22; UbE LV, Nr. 492 ( 1 304 H 2,
Wien); Brunner: Rechtsquellen (wie Anm. 67), S . 19, Nr. 2 1 I; ebd., S . 28; Nr. 21 lT (1305
267 VI 24, Wien); FRA IU8 1 , Nr. 277 ( 1306 V 12, Wien). AÖG Bd. 2, 1 849, S. 524, Nr. 24 ( 1 3 1 0) . 268 AÖG Bd. 2, 1849, S. 547, Nr. 79 ( 1 3 1 4 VIII 19); Christian Lackner: Die landesforstlichen
Pfandschalten in Österreich unter der Enns im 13. und 14. Jahrhundert, St. Pötten 1 999
(Studien und Forschungen aus dem Niederösterreichischen Institut for Landeskunde Bd.
26), S. 1 8 7-204, hier S. 195; Alois Niederstätter: Die Herrschaft Österreich. Fürst und
Land im Spärmittelalter, Wien 2001 ( Österreichische Geschichte 1278-14 1 1), S. 1 1 8f
62
nur bei Thomas Ebendorfe􀊨69 in einem Zeitabstand von fast 1 80 Jahren
überlieferten Hinweis zum Einmarsch König Rudolfs I . i n Östen·eich i m Herbst
1 276 dennoch eine gewisse Bedeutung zukommen. Gemäß den Ausführungen
des spätmittelalterlichen Historiographen hätten sich dem Habsburger beim
Betreten östeneichischen Bodens sogleich ftinf Vertreter bedeutender
Landhetrenfamilien angeschlossen, nämlich der Kuenringer – von denen einzig
Heinrich (IV.) von Kuenring-Weitra bei Ottokar verharrte – sowie der Herren
von Haslau, von Volkensdorf, von Wink! und vennutlich von PerchtoldsdorF70•
Demnach könnten die jungen Winkler als habsburgische Sympathisanten der
ersten Stunde gelten, deren Loyalität mit der Aufnahme in den engeren Umkreis
der Dynasten vergolten wurde.
Herrschaftsteilung
Vor der Vennählung Ortliebs mit Giseta von Feldsberg kam es zwischen ihm
und seinem Bruder Hadmar zu einer Teilung des väterlichen Erbes, wobei der
Seniorität gemäß die modernere und vemmtlich auch repräsentativere Burg
Winktberg Ortlieb zufiel, indessen sich Hadmar mit der traditionsreichen, aber
älteren Stammburg Wink! zufrieden geben musste. Dass die bevorstehende
Hochzeit Ot1liebs der unmittelbare Anlass fiir die Aufteilung auf zwei Herrschaften
gewesen sein könnte, legt die Chronologie nahe. 1 276 siegelt der in der
Ankündigung nach Wink! genannte Ortlieb noch mit dem väterlichen Rundsiegel,
während er sich 1279 als Gatte Giselas bereits nach Winklberg nennt und
ein eigenes Siegel führt, in dessen Umschrift der neue Herrschaftssitz ebenfalls
schon namengebend geworden ist.271
In gemeinsam ausgestellten Urkunden bezeichnen sich Ortlieb und Hadmar
fast ausschließlich als fratres de Winchel bzw. prueder von Winche/272, lediglich
1 3 10 treten sie als Ortlib von Winche/berch und Hadmar von Winchel
auf73. Zur besseren Unterscheidung von Hadmar und dessen Nachkommen
werden auch Ortliebs Söhne vor allem bei gemeinsamen Zeugenauftritten mit
ihren Verwandten häufig nach Winklberg genannt. Dies ist in der nächsten
Generation nicht mehr der Fall. Statt Winklberg, das für die Enkel Ortliebs (IV.)
269
Thomas Ebendorfer: Chronica regum Romanorum, in: MGH SS rer. Germ. NS 1 8 , hg. von
Harald Zimmermai111, Hannover 2003, S. 489f. 270
Siehe dazu auch Ebendorfer: Chronica regum (wie Anm. 269), S. 489, bes. Anm. 22;
Weltin: Landesherr (wie Anm. 206), S. 177f. 271 HHStA, AUR 1279 V l l 6 , Wien. 272 BHStA, Domkapitel Passau Urk. Nr. 88 ( 1283 X 17, St. Stephan [Kirchberg] am Wagram),
Druck: MB 2912 5 5 1 f., Nr. 159; FRA Il/2 1 , Nr. 45 (1288 X 28, Altenburg); FRA II/37, Nr.
1 7 (1308 lV 6); N6LA StA, Urk. Nr. 4 7 1 1 ( 1 3 l l XI 25, Wien), Druck: NÖUB Vorausbd.,
Nr. 1 14. 273 HHSTA , AUR 1 3 1 0 VI I 5 .
63
als namengebender Ort immer seltener gebraucht wird, wird fiir Radmars
einzigen Enkel Ortlieb (VIII.) der Zusatz „bei der Donau“ bzw. „auf der Donau“
oder „von der Donau“ zu Wink! üblich.
Ortlieb (IV) – Heiratsverbindung und Nachkommenschaft
Erste Ehe mit Gisela von Feldsberg
Ortlieb war in erster Ehe mit Gisela emer Tochter Alberos des letzten
Truchsessen von Feldsberg und Gründers des Dominikanerinnenklosters lmbach274
verheiratet. Den Namen hatte sie nach ilu·er Mutter Gisela von Ort (am
Traunsee), die nach dem kinderlosen Tod ihres Bruders Hartneid Erbin des
umfangreichen Orter Besitzes geworden war.275 Die im Jänner 1 277 noch als
unvermählte Tochter des verstorbenen Truchsessen in Erscheinung getretene
Gisela ist im Juni 1 279 bereits mit Ortlieb verheiratet276 und wird erstmals 1283
als seine Gattin erwähnt: Gizla uxor nostra Ortlibi videlicet dicta de Veldsperch271.
Von dem ihrer bedeutenden Herkunft geschuldeten Selbstverständnis
zeugt die Führung eines eigenen Siegels278, dessen Bild das Wappen der mit
ihrem Onkel Hartneid im Mannesstamm ausgestorbenen Herren von Ort (am
Traunsee) ziert begleitet von der Umschrift S(IGILLUM) GEISEL DE
WINCHELBERCH. Gisela, die ihrem Gemahl vier Söhne und zwei, vielleicht
auch drei Töchter schenkte, dürfte zwischen 1 3 1 0 und 1 3 14 verstorben sein.
Deru1 als Gemahlin Ortliebs wird sie letztmalig 1 3 1 0 in einer Seelgerätstiftung
für das Kloster Imbach erwähnt, erscheint aber nicht mehr bei einer vier Jahre
danach getätigten Stiftung ihres Gemahls, bei der ausdtiicklich die dort genannten
Erben zustimmen. 279 Von den vier Söhnen280 erhielt einer tradi-
274 Dazu Andreas Zajic: Vorbemerkungen zu einer Frühgeschichte des Dominikanerinnenklosters
lmbach. Mit einem Nachtrag zu CDB V/2 und 3, in: Mitteilungen des Instituts fur
Österreichische Geschichtsforschung 2007 ( 1 1 5), S . 35-75.
275 Dazu unten S 55.
276 Thomas Ried: Codex chronologico-diplomaticus episcopatus Ratisbonensis Bd. I , Regensburg
1 8 16, Nr. 573 (1277 I 10, Wien); HHStA, AUR 1279 VI 16, Wien, Regest: Herold:
Seefeld (wie Anm. 176), S. 229, Nr. 249.
277 BHStA, Domkapitel Passau Urk. Nr. 88 (1283 X 17, St. Stephan [Kircbberg] am Wagram),
Druck: MB 2912 5 5 l f., Nr. 159. Die Bezeichnung Giselas als Elisabetb von Feldsberg in
der „Bärenhaut“ könnte auf einer Verwechslung entweder mit Ortliebs zweiter Gattin oder
mit Ortliebs in einer Zwettler Urkunde von 1275 genannten Mutter beruhen, die beide Elisabeth
hießen (Rössl: ,.Bärenhaut“ [wie Anm. 246], fol. 52v; FRA II/3, S. 196f.).
278 Anhangend an BHStA, Domkapitel Passau Urk. Nr. 1 12 ( 1 302 X 26).
279 HHSLA, A UR 1 3 1 0 VI 15; BHStA, Domkapitel Passau Urk. Nr. 149 ( 1 3 14 IV 7, St. Stepban
am Wagram).
280 Erstmals 1 3 02 erwähnt in folgender, der Seniorität gehorchenden Reigenfolge Ortlieb, Albero,
Hadmar und Weikard in BHStA, Domkapitel Passau Urk. Nr. 1 1 2 ( 1 302 X 26),
Druck: MB 30/2, 8ff., Nr. 217.
64
tionsgemäß den Leitnamen Ortlieb, einer den von den Falkenhergern
herrührenden Namen Hadmar und zwei die typischen Seefeld-Feldsberger
Namen Albero und Wichard/Weikard. Die beiden älteren Töchter Elisabeth und
Adelheid wurden offenbar nach den verstorbenen Schwestern des Vaters benannt,
während die jüngste nach ihrer Mutter Gisela gerufen wurde.
Zweite Ehe mit Elisabeth
Elisabeth, Ot1liebs zweite Gattin, war vor ihrer Vermählung mit dem Winkler
bereits zwei Mal verwitwet und Mutter dreier Kinder. Neben Gottfried (li.) dem
Wirsing von Kirchstetten281 zählten auch zwei Kinder mit einem mährischen
Adeligen zu ihren Nachkommen. Über diese Familienverhältnisse gibt eine von
Ortlieb ausgestellte Verfugung Auskunft,282 deren dispositiver Teil die folgende
Bestimmung hinsichtlich der mit der Morgengabe seiner zweiten Frau Elisabeth
erworbenen Güter enthält. Für den Fall, dass sie keine gemeinsamen Erben
hinterlassen, sollen die in der Urkunde genau genannten Güter und Gülten
ledichleichen anerben herrn Bi’czken chind von Raetz, Seheharn vnd vron Katherein,
wan ich daz vorgant (sie!) gv’t, … , gechovft han umb die margengab,
die mi•r mein hovsfroue vroue Elspet, der egnanten chind Sehebars vnd vron
Katherein mueter, ze rechter margengab pracht hat vierdhalb hvndert march
silbers Wienner gewichtes. Diese in der Erklärung der Verwandtschaftsverhältnisse
nicht leicht verständliche Anordnung283 besagt demnach, dass unter oben
erwähnten Umständen die mit den Mitteln von Ot1liebs Frau Elisabeth gekauften
Güter und Gülten an die Kinder des Buzko von Raitz namens Sehebor und
Katharina fallen sollen, da der Besitz mit der Morgengabe Elisabeths erworben
wurde, die wiederum die Mutter der beiden Kinder ist.
Folglich war Elisabeth in erster Ehe mit einem Buzko von Raitz verheiratet,
mit dem sie einen Sohn namens Sehebor und eine Tochter mit dem
Namen Katharina hatte. Der charakteristische Name Buzko in Verbindung mit
Raitz weist den ersten Gemahl Elisabeths als Angehörigen einer mährischen
Adelsfamilie aus, deren Mitglieder im 1 3 . und 14. Jahrhunden nach den nördlich
von Brünn gelegenen Sitzen Raitz (Rajec) und Lelekowitz (Lelekovice) genannt
wurden und für die die Namen Buzko/Buzek sowie Schebor/Wisseborius/ Vsebor
typisch waren.284 So wird erstmals 1236/37 ein Vsebor de Rayec/Raiez
281 Zur Ehe Elisabeths mit Rudolf (!I!.) Wirsing von Kirchstetten Marian: Studien (wie Anm.
66). 282 NÖLA StA, Urk. Nr. 3803 ( 1 3 I 6 VIT 25, Wien), Druck: UbE V, Nr. I 72 mit Beschreibung
der damals noch vorhandenen Siegel. 283 Vgl. dazu das Regest zu UbE V, Nr. 172. 284
Siehe dazu auch die Registereintragungen zu „Lelekovice“ und „Rajec“ in Die Landtafel
des Markgrafthumes Mähren. Text der Brünner Cuda, hg. von Peter von Chlumecky u. a.,
65
fassbar285, dessen Nachkommen 1255 als nobiles viri Budislaus et frater ipsius
Wisseborius de Rayecz erscheinen. 1286 sind Wseborius et Zwoyse de Raicz
bezeugt286 und 1 339 lassen sich die Btilder Hetmann und Buzko von Lelekowitz
nachweisen/87 die auch nach Raitz genannt werden.288
Aus Ortliebs Ehe mit Elisabeth gingen zwei weitere Söhne hervor, die
Rudolf-Ruger und Jans genannt wurden. Da Elisabeth bereits 1 323 als Witwe
erscheint/89 dürfte der im Dezember 1 3 2 1 letztmalig genannte Ortlieb (IV.)
nicht allzu lang danach verstorben sein.290 Die enge Beziehung Ortliebs zu
König-Herzog Friedrich, die auf eine Unterstützung des Landesfürsten im
Kampf mit dem Wittelsbacher um die Königskrone schließen lässt, und das
eingrenzbare Todesdatum sprechen dafür, dass 01tlieb am 28. September 1322
in der Schlacht bei Mühldorf am lnn gefallen sein könnte. Seine Witwe Elisabeth
trat 1 327 noch gemeinsam mit ihren Stiefsöhnen auf91 und war 10 Jahre
danach ebenfalls schon tot.292
Versorgung der Töchter
Elisabeth und Albero von Schönberg
Elisabeth war mit Albero, einem seit 1297 urkundlich nachweisbaren Sohn
Hadmars (II.) von Schönberg293 verheiratet. Wie in solchen Fällen üblich lassen
sich aber schon früher intensive Kontakte der beiden verschwägetten Familien
nachweisen, wie sie etwa durch gegenseitige Beglaubigungen von Urkunden zu
belegen sind. So bezeugte Ortlieb (IV.) in Begleitung seines Bruders bereits
1289 einen vom Schwiegervater seiner Tochter Elisabeth getätigten Gültenverkauf.
294 Spätestens 1302, als Albero von Schönberg für Ortlieb (IV.) von Wink!
siegelt und bei dieser Gelegenheit als dessen Schwiegersohn bezeichnet wird, ist
E1isabeth zweifelsfrei als Gemahlin des Schönhergers belegt.295 Albero, der sich
Brünn 1856, XL, LX und Die Landtafel des Markgrafthumes Mähren. Text der Olmützer
Cuda, bg. von Peter von Chlumecky u. a., Brünn J 856, XVlll, XXVII seq.
285 286 CDM2, Nr. 275 (1236); ebd., Nr. 279 (1237 1).
CDM3, Nr. 2 1 8 (1255 VII 12, Olmütz); CDM 4, Nr. 241 (1 286 IV 16, Brünn). 287 28 CDM7, Nr. 238 (1339 VI 18). 8 Chlumecky: Landtafel Brünn (wie Anm. 284), S. 85, Nr. 295, ebd., S. 107, Nr. 120, 1 22;
ebd., S. 108, Nr. 133; Chlumecky: Landtafel 0/mütz (wie Anm. 184), S. 49, Nr. 986f. 289 NÖLA StA, HS 78 Job Hartmann Enenkels Genealogische Kollektaneen Bd. 1 , pag. 201.
290
HHStA, AUR 1321 XII 2 1 , Tulln.
291
GB 13, S. 603 f.; RH III (wie Anm. 68), Nr. 1807.
292 BHStA, Domkapitel Passau Urk. Nr. 298 ( 1 337 TII 30).
293 Zu ihm Schopf: Kamptal (wie Anm. 144), S. 1 1 1 ff. ; ebd. , S. 3 14, Stammtafel.
294 FRA TU8 1 , Nr. 170 (1289 1V 28).
295 BHStA, Domkapitel Passau Urk. Nr. 1 12 (1302 X 26), Dmck: MB 3012, 8ff., Nr. 217. Vgl.
Schopf: Kamptal (wie Anm. 1 44), S. 1 1 2, Anm. 3.
66
charakteristischerweise häufig im Umkreis seiner verschwägerten Verwandten
zeigt/96 dürfte spätestens zwischen März und Juni 1 3 1 7 verstorben sein. Die
Annahme, dass er noch bis März 1 3 1 7 am Leben gewesen sein könnte, ergibt
sich aus zwei von seiner Frau Elisabeth in diesem Jahr gestifteten Seelgeräten.
Die erste Urkunde297 für die Imbacher Dominikanerinnen vom 12. März 1 3 1 7
stellt sie als Elspet hern Albers hausfrowe von Schonnberch aus, hingegen sie
sich im zweiten Stiftbrief98 vom 26. Juni 1 3 1 7 ftir die listerze Zwettl Elspet
hern Albers witib von Schonberch dem Got genade nennt. Die sich daraus
ergebende lange Zeitspanne zwischen dem letzten öffentlichen Auftreten Alheros
1 3 1 5299 und seinem vermutlichen Ableben 1 3 1 7 könnte mit einer
Krankhei t oder einer sonstigen Beeinträchtigung erklärt werden, die ihn daran
hinderte, handelnd in Erscheinung zu treten. Für seine nicht mehr vorhandene
HandlungsHihigkeit unmittelbar nach 1 3 1 5, sei es durch sein Ableben oder eine
schwerwiegende Behinderung, spricht jedenfalls die Tatsache, dass die bereits
oben etwähnte wichtige besitzrechtliche Erklärung300 seines Schwiegervaters
vom 25. Juli 1 3 1 6 nicht selbst siegelte, sondern sein Großneffe Reinbrecht TI.
von Schönberg. Was Alberos Witwe Elisabeth betrifft, so ist sie nochmals 1344
nachweisbar und scheint den Rest ihres Lebens unvermählt geblieben zu sein.301
Adelheid und Otto von Kierling
Adelheid die zweite Tochter Ottliebs (IV.) war mit Otto von Kierling vermählt,
der seinen Namen vom mütterlichen Großvater Otto von Rastenberg, dem
letzten männlichen Vertreter seines Geschlechts, erhalten hatte. Der erste
Hinweis auf eine Heiratsverbindung Adelheids mit einem Angehörigen der
Herren von Kierling findet sich 1 3 1 4 in einer von ihrem Vater Ortlieb ausgestellten
Urkunde302. Darin bezeichnet er sie als meine tochter vron Alheiten von
Chirichling. Dass es sich bei ihrem Gemahl um Otto handelt, geht aus einem in
der „Bärenhaut“ abgebildeter Stammbaum303 hervor, der von Ottlieb (111.) von
Wink! und seiner Frau Elisabeth von Falkenberg-Mistelbach ausgehend in der
Enkelgeneration Adelheid als Ehefrau Ottos von Kierling ausweist. Dass dieses
von den Zwettler Ziserziensem angefertigte Stemma den Tatsachen entspricht,
296 Brunner: Rechtsquellen (wie Anm. 67), S. 19, Nr. 2 1 ( 1 305 VI 24, Wien); UbE IV, r. 578
(1308 I 1); HHStA, AUR 1308 V 23, Schönberg; HHStA, AUR 1309 V I; HHStA, AUR
1309 V 19; NAP, RM Urk. Nr. 2958 ( 1 3 1 0 V 12); HHSIA, AUR 1 3 1 3 Xll 21, Wien.
297 HHSTA, AUR 1 3 1 7 III 12, Druck: GB 9, S. 187.
298
StiA Zwei//, Urk. 1 3 1 7 VI 26, Schönberg auf dem haus, Regest: GB 12, S. 674.
299 So Schopf: Kamptal (wie Anm. 144), S. 3 14, Stammtafel.
300
NÖLA StA, Urk. Nr. 3803 ( 1 3 16 VII 25, Wien), Druck: UbE V, Nr. 172 mit Beschreibung
der damals noch vorhandenen Siegel.
301 UbE VI, Nr. 494 (1344 XI 25); Schopf: Kamptal (wie Anm. 144), S.1 12.
302 BHStA, Domkapitel Passau Urk. Nr. 149 ( 1 3 1 4 IV 7, St. Stephan am Wagram).
303 Rössl: .,Bärenhaut“ (wie Anm. 246), fol. 52v.
67
untermauern zudem folgende Beobachtungen über wechselseitige
Beglaubigungen von Urkunden und die dabei bisweilen gebrauchten
Verwandtschaftsbezeichnungen: An jene Urkunde304 gemäß der Otto von
Kierling gemeinsam mit seiner Frau Adelheid 1 3 1 1 ein Viertel an der Herrschaft
Rastenberg erwirbt, befestigt Ortlieb (IV.) von Wink! sein Siegel an prominenter
Stelle, nämlich unmittelbar nach dem Verkäufer Kadold von Werd und nach
Stephan von Maissau, der ebenfalls Teile Rastenbergs in seinen Händen hieit 305
Der enge Kontakt zwischen beiden Geschlechtern wird aber schon zwei Jahre
davor deutlich, als Otto von Kierling in der Zeugenreihe einer Verkaufsurkunde306
in nächster Nähe der Brüder Ortlieb (IV.) und Hadmm· von Wink!
auftritt.
Otto von Kierling wird 1 3 1 3 letztmalig urkundlich etwähnt, seine Gattin
Adelheid bereits ein Jahr später. Ihre beiden Söhne, die wohl bald danach zu
Vollwaisen geworden waren, sind ab 1 33 1 , nachdem vetmutlich auch der jüngere
die Volljährigkeit erreicht hatte, gemeinsam handelnd nachweisbar.307 Dietrich,
benannt nach dem väterlichen Großvater, und Alber, der einen typischen
Rasteoberger Namen erhalten hatte, bezeichnen den fur sie siegelnden Weikard
(!.) von Wink! als ihren oheim 308 Letzterer wiederum schließt mit seinem oheim
Albero von Kierling auf der Burg Winktberg wechselseitige besitzsichernde Abmachungen.
309 Die gegenseitige Besiegelung von Urkunden unter Anführung
der entsprechenden Verwandtschaftsbezeichnun§en ist auch noch unter den
jeweiligen achfolgern bis 1 3 68 zu beobachten.31
Gisela – Priorin in Imbach
Hinweise, die eine zweifelsfreie Einordnung Giselas in das Stemma der He1Ten
von Wink! ermöglichen würden, finden sich in den Quellen keine. Mit Sicherheit
kann lediglich ihre Herkunft aus der Familie der HetTen von Wink! und ihre
Zugehörigkeit zum Konvent des Dominikanerinnenklosters lmbach festgestellt
werden. Allein ihr Name Gisela lässt vemmten, dass Gisela von Feldsberg, die
erste Gemahlin Ortliebs (IV.) von Winkl, ihre Mutter gewesen ist. Gisela von
304 HHStA, AUR 1 3 1 1 I I, Wien.
305 Siehe dazu Marian: Studien (wie Arun. 66).
306 HHStA, AUR 1309 V 19.
307 Joseph Lampl: Regesten und Notizen zur Geschichte und Geschlechtsreihe der Herren von
Kierling, in: Jb ADLER NF 9 (Wien 1 899) S. 1-1 1 , hier S. 8f., r. 74ff.
308 FRA IUIO, Nr. 244 ( 1 3 3 1 I 6, Wien); HHSTA, AUR 1332 XI I, Wien, Regest: QGW U3,
Nr. 300 I.
309 HHSIA, AUR 1338 VIII 10, Winklberg; NÖLA StA. Urk. Nr. 3 8 1 5 ( 1 3 3 8 VIII 10,
Winklberg).
310 NÖLA StA, Urk, Nr. 280 ( 1 340 I 25); NÖLA StA, Urk, Nr. 284 (1341 V 1 , Wien); HHSIA,
AUR 1341 VI 24; HHStA, AUR 1347 X 2; FRA IUIO, Nr. 434 ( 1 367 I 2 1 ) ; NÖLA StA,
Urk. Nr. 708 (1367 V 14, Wien); HHStA, AUR 1368 I 12, Wien.
68
Winkl wirkte zwischen 1 33 2 tmd 1 345 als Priorin des von ihrem mütterlichen
Großvater Albero von Feldsberg gegründeten Damenstifts31 1 , in das 1 3 1 8 auch
ihre Nichte Anna von Schönberg, die Tochter ihrer Schwester Elisabeth, eingetreten
war.312 In der Leitung des Klosters folgte ihr eine weitere Nichte nach,
nämlich Elisabeth die Tochter ihres Bruders Weikard, die 1 354 als Mitglied des
Konvents und 1366 als dessen Priorin belegt ist.313 Unklar ist, ob es sich bei
einer zwischen 1 393 und 1396 nachweisbaren Priorin gleichen Ruf- und
Herkunftsnamens noch immer um die Tochter Weikards (1.) handelt oder bereits
um eine jüngere Verwandte unbekannter Abstammung.314
Hadmar (I.) – Heiratsverbindung und Nachkommenschaft
Hadmar (l.) war mit Reichgard vermählt, einer Tochter Hadmars (II.) von
Sonnberg315 mit dessen zweiten Gemahlin Katharina von Volkensdorf316. Die
Kontakte fiir diese Eheschließung könnten über eine bereits bestehende Verschwägerung
geknüpft worden sein. Denn Hadmars mütterlicher Großvater
Hadmar von Falkenberg-Mistelbach war auch der Schwiegervater Ottos (III.)
von Volkensdorf317, dessen Schwester Katharina die Mutter Reichgarcis von
Sonnberg war. Als Gemahlin Hadmars (1.) von Wink! erscheint Reichgard
erstmals 1 3 1 0 bei einem gemeinsamen Besitzerwerb, den auch vier Vertreter
ihrer Sonnherger Verwandtschaft bezeugen.318
Reichgard schenkte ihrem Gatten vier Kinder. Es waren dies die Söhne
Hadmar (III.) tmd Ortlieb (VI.) sowie zwei Töchter, von denen eine nach der
Schwester des Vaters Adelheid und die andere nach ihrer mütterlichen Groß
311 GB 9, S. 1 4 1 f. (1332 XI 19); UbE VI, Nr. 168 (1335 VIII !8), Regest: GB 9, S . 265; GB
1 1 , S . 292, GB 12, S. 428 (1336 I! 2); UbE VI 25 lf. , Nr. 245f. (1337 IX 29), Regest: GB
I I , S. 265; GB 9, S . 142 ( 1 3 3 8 XII 29); UbE VI, Nr. 3 1 8 ( 1340 III 1 6), Regest: GB 1 1 , S .
265; GB 9 , S . 187 ( 1 340 X 1 3 ) ; GB 9 , S . 142 (1340 X H 2 1 ) ; GB 9 , S . 1 4 2 ( 1 345 I V 24). 312 HHSTA, AUR 1 3 1 8 XH 8, lmbach.
313 HHStA, UR Gschwendt 1 1 1 (1354 1II 25), Druck: UbE VII, Nr. 348; GB 9, S. 143 (1366
IV24).
314 StiA Herzogenburg, Dürnstein Klarissen Urk. Nr. 205 (1393 X 19); NAP, RM Urk. Nr.
3002 (1393 Xll 15); GB 9, S. 143 (1396 I 10).
315 Zu ihm Kupfer: Sonnherger (wie Anm. 204), S . 308-3 1 J . 316 OÖLA, HA Greinburg Urk. Nr. 52 ( 1 302 III 30): Ich Hadmar von Svn•nberch vnd mein
swester Reichkart von Winchel, heren Ollen swester chind von Volchenstorfvre Katrein, . . .
Beim Aussteller handelt es sich u m Hadmar (IV.) von Sonnberg (siehe dazu Stammtafel
bei Kupfer: Sonnherger [wie Anm. 204], S. 336), dessen Mutter Katharina von Volkensdorf
war (vgl. Kupfer: Sonnherger [wie Anm. 204], S. 3 1 0, S. 3 1 6).
317 Zu ihm Alois Frh. Weiß von Starkenfels: Johann Evang. Kirnbauer von Erzstätt (Bearb.):
Die Wappen des Adels in Oberösterreich, Nürnberg 1 904, Nachdr. Neustadt an der Aisch
1984 (J. Siebmacher ’s 318 großes Wappenbuch IV/5), S. 537.
NAP, RM Urk. Nr. 2958 ( 1 3 1 0 V 12).
69
Katharina genannt wurde.319 Die Ende Dezember 1 3 1 6 letztmalig urkundlich
belegte Reichgard war zu Jahresbeginn 1 3 1 8 bereits verstorben.320 Hadmar (1.),
der danach vermutlich unvermählt gebelieben war, stiftete 1325 ein Seelgerät in
Imbach321 und trat im November dieses Jahres zum letzten Mal öffentlich auf.322
Eine der Töchter, welche verraten die Quellen nicht, war die Gemahlin
Dietrichs von Gerlos (abgek. bei Marchegg)323, dessen Familie wiederum eng
mit den Sonnbergern versippt war.324 Dietrich war der Sohn Wulfings (1.) von
Gerlos, der es als herzoglicher Kämmerer unter den ersten Habsburgern zu
einem ansehnlichen Vermögen gebracht hatte. Im Umkreis der Brüder Ortlieb
(IV.) und Hadmar (L) von Wink! begegnet Wulfing (1.) von Gerlos erstmals
1292.325 Danach stellen sich Hadmar (1.) und dessen Sohn Ortlieb (VI.) fiir
Dietrich von Gerlos als Bürgen zur Verfügung und besiegeln dessen Rechtsgeschäfte.
326 Spätestens 1 324 war Dietrichs Gemahlin, die ihn1 eine Tochter
Gertrud hinterlassen hatte, verstorben.327
Zusammenfassung
Die ersten gemeinsam nach Wink! Genannten hießen Tiemo, Rahawin und
Adalbrecht (um 1 1 30/40), dazu kam noch ein Dietmar von Wink! ( 1 1 3 0/40)
sowie der als „Spitzenahn“ des Geschlechts ausgewiesene Poppo, der um 1 140
erstmals nach Wink! genarmt wurde. Bemerkenswert ist, dass sich genau diese
charakteristischen Namen gehäuft in der um die markgräfliche Residenz
Klosterneuburg sitzende babenbergischen Familia nachweisen lassen. Was
319 BHStA, Domkapitel Passau Urk. Nr. 159 ( 1 3 1 6 Xll 27, St. Stepban [Kirchberg) am
Wagram).
320 Wie Anm. 3 1 9; UB Schlägt, Nr. I 0 I ( 1 3 1 8 I I , Winchel pei der Tuenaw).
321 GB 12, S. 427; Rudolf Zinnhobler: Die Passauer Bistumsmatrikeln Bd. fV/ 1 : Die Dekanate
nördlich der Donau, Passau 1991, S. 173, bes. Anm. 4.
322
HHStA, AUR 1325 XI L I , Würmla.
323 NÖLA StA, Urk. Nr. 143 (1324 I 25, Wien), Druck: Weltin: Weltin: NÖLA Mtg. 10 (wie
Anm. 236), S. 1 1 0, Nr. 146; OÖLA, HA Starhemberg Urk. Nr. 1 2 1 (1 324 IX 29).
324 Weltin: NÖLA Mtg. 9 [wie Anm. 84). S. 47; Kupfer: Sonnherger (wie Anm. 204), S. 321 f.
325 Weltin: NÖLA Mtg. 9 (wie Anm. 84], S. 47; NÖUB Vorausbd., S. 400f.; DOZA, Urk. Nr.
1027 (1292 V 1 3, Wien), Regest: Die Urkunden des Deursch-Ordens-Cenrralarchives zu
Wien, hg. von Eduard Gaston Graf von Peuenegg, Prag-Leipzig 1887, Nr. 705, QGW U9,
Nr. 12237.
326 OÖLA, HA Starhemberg Urk. Nr. 97 (1320 V 22, Wien), Regest: Regesten des
Herzogtums Steiermark I: 1308-1319, bearb. von Annelies Redik, Graz 1976 (Quellen zur
geschichtlichen Landeskunde der Steiermark Bd. 6); Regesten des Herzogtums Steiermark
II: 1320-1330, Graz 2008 (Quellen zur geschichtlichen Landeskunde der Steiermark Bd.
8), Nr. 1209; NÖLA StA, Urk. Nr. 143 (1324 I 25, Wien), Druck: Weltin: NÖLA Mtg. 1 0
(wie Anm. 236), S . 1 1 0, Nr. 146; OÖLA, HA Starhemberg Urk. Nr. 1 2 1 ( 1 324 IX 29).
327 NÖLA StA, Urk. Nr. 143 (1324 I 25, Wien), Druck: Weltin: NÖLA Mtg. 10 (wie Anm.
236), S. 1 1 0, Nr. 146; OÖLA, HA Starbernberg Urk. Nr. 1 2 1 (1324 IX 29).
70
Poppo von Winkl betrifft, so ist er höchstwahrscheinlich mit einem 1 1 14 singulär
nach Kierling genannten Poppo identisch, der vermutlich das Amt eines
markgräflichen Burggrafen von Krems ( 1 1 3 1 ) ausübte und diese Position zur
Errichtung der Herrschaft Wink! auf dem Gebiet des ehemaligen königlichen
Amtsbezirkes Sigemareswerd genützt haben dürfte. Zumal bei Poppos erster
urkundlicher Erwähnung mit dem namengebenden Sitz Winkl eine Beziehtmg
zu Rudolf von Kierling feststellbar ist, der ihm in Kierling nachgefolgt ist.
Nun wird aber den Angehörigen der markgräflichen Familia um Klosterneuburg
nachgesagt, dass sie ihren Lebensraum nie verlassen hätten und
demnach unbedeutend geblieben wären. Dies trifft wohl auf den Großteil dieser
Leute zu, jedoch dürften Poppo von Kierling und seine Sippe eine Ausnahme
darstellen. Vergleichbare Verhältnisse begegnen etwa in und wn das otakarische
Zentrum Steyr, wo Ministerialen von eher geringer Bedeutung die Familia des
steirischen Markgrafen bildeten. Dort konnte aber nachgewiesen werden, dass
einige wenige Angehörigen dieses Personenverbandes es vermochten, aus dem
Schatten des markgräflichen Stützpunktes herauszutreten, um anderweitig
herrschaftsbildend aufzutreten.
Dass es dem ursprünglich aus Kierling stammenden Poppo von Wink!
gelungen ist, die Enge der markgräflichen Familia hinter sich zu lassen und
unter den bedeutenden Gefolgsleuten des Landesfürsten Aufnahme zu finden,
zeigt sich vor allem beim Empfang des Privilegium minus in Regensburg
( 1 1 56), wo er im Gefolge Markgraf-Herzog Heinrichs li. ( 1 1 4 1 – 1 1 77) unter den
ministeriales ducis anzutreffen ist. Entscheidend fiir den Aufstieg dürfte nicht
zuletzt die Vermählung mit einer Angehörigen aus der Gefolgschaft der Grafen
von Plain gewesen sein, die eine enge Verwandte – wahrscheinlich die Schwester
– des wohlhabenden Ortlieb von Weitersfeld gewesen ist. Die enge Bindung
der Herren von Wink! an den Landesfürsten und deren hervorragende Stellung
in der babenbergischen Klientel werden besonders an den Nachkommen Poppos
deutlich. So vertritt erwa sein Sohn Ortolf-Ortlieb (!.) (um 1 1 50-1 1 9 1 ) als
nuntius ducis die Interessen Herzog Leopolds V. ( 1 1 77-1 194), in dessen
Umkreis er häufig in Gesellschaft bedeutender Standesgenossen (Seefelder,
Kuenringer) anzutreffen ist. I 1 90/9 1 führte er sogar das Aufgebot der herzoglichen
Ministerialen an, das den Babenberger auf den Kreuzzug ins Heilige Land
begleitete. Wie die meisten anderen Teilnehmer dürfte er bei der Rückfahrt
erkrankt sein und ist vermutlich am 26. August I 1 9 1 verstorben.
Den beiden B1üdem Ortolf-Ortliebs (1.) gelang zudem die Erschließung
des Hinterlandes von Wink!. Mit der Errichtung von Stützpunkten in
Königsbrunn durch Ulrich (I.) ( 1 1 77-1203) und in Gnage (abgek., nördl.
Großweikersdorf, VB Tulln) durch Poppo {Il.) ( 1 1 77-1 1 90) beherrschte die
Sippe wesentliche Teile des Wagramgebiets. Bedeutende geistliche Besitznachbarn
wie die dem Passauer Domkapitel gehörende Pfarre St. Stephan am
Wagram, die über den Marktort Kirchberg und den Herrschaftssitz
7 1
Oberstockstall vetftigte, oder das Kloster Niederaltaich, dessen Besitzungen sich
um Absdorf ausdehnten, stellten keine Konkurrenz dar. Im Gegenteil, auf sie
konnten die Herren von Wink! als Lokalvögte Einfluss nehmen und aus den
damit verbundenen Rechten und Einkünften ihren Nutzen ziehen.
Die Konsolidierung ihrer BetTschaft unter dem mit einer Tochter Radmars
von Falkenberg-Mistelbach verheirateten Ortlieb (III.) ( 1234-1268 [t 1 27 1 ?])
drückt sich vor allem im Bau der Burg Winklberg aus, die in Mitterstockstall
wahrscheinlich während der Zeit des „österreichischen Interregnums“ ( 1 248-
1 2 5 1 ) errichtet worden ist. Einige Jahrzehnte nach dem Tod Ortliebs (lll.), der
bei einem der verlustreichen Feldzüge König-Herzog Ottokars gegen die Ungarn
1271 gefallen sein dürfte, kam es unter seinen Söhnen um 1 290 zur Aufteilung
des Besitzes. Ortlieb (IV.) erhielt Winklberg und sein jüngerer, nach seinem
Falkenherger Großvater Hadmar genannter, Bruder verblieb indes auf Winkl.
Den beiden Brüdern gelang es auch, den Markt Großweikersdorf mit dem einträglichen
Landgericht als herzogliches Pfand zu erwerben.
Die Filialkirche St. Nikolaus zu Winkt im Spiegel der Urkunden
Die am namengebenden Ort als Eigenkirche der Herren von Winkl erbaute
Filialkirche St. Nikolaus liegt am südlichen Ortseingang in unmittelbarer
Nachbarschaft der abgekommenen Burganlage. Die einzelnen Bauphasen der
über einen ungewöhnlichen Grundriss verfügenden Kirche konnten erst 2005
durch die Bauforschung geklärt werden.328 Aufgrund der vorgeschlagenen
Zeitspanne für die Errichtung des Kirchenbaues zwischen um 1 1 60 und 1 200
bleibt unklar, ob das Bauvorhaben bereits auf die Initiative des vor 1 1 60
verstorbenen Poppo von Wink! zutückgeht, oder es erst unter dessen Nachkommen
Ortolf-Ortlieb (I.) (t 1 1 9 1 ) bzw. Ortlieb (II.) (urk. bis 1 225) begonnen
wurde. Der gotische Ausbau der Kirche ist wohl als Folge der um 1 290 erfolgten
Herrschaftsteilung unter den Söhnen Ortliebs (III.) zu sehen. Da dem auf
Winklberg residierenden Ortlieb (IV.) als spirituelles Zentrum und Grablege die
repräsentative Kirche St. Stephan in Kirchberg am Wagram zur Verfügung
stand, wollte der aufWinkt verbliebene Hadmar (T.) vennutlich nicht nachstehen
und initiierte den Ausbau des Gotteshauses in Wink!.
Dazu passt, dass 1 303 erstmals ein Pfarrer von Wink! genannt wird.329
Der bis 1 3 1 9 urkundlich belegbare Geistliche hieß Gerung und entstammte einer
niederadeligen Familie aus Trübensee.330 Ein bemerkenswertes Dokument aus
328 Ronald Woldron: Filialkirche Wink/ – D1e Bauphasen des nördlichen Seitenschiffs,
(masch. Manuskript) 2005.
329 NOUB Vorausbd., Nr. 40 (1303 V 22 od. 23, St. Stephan).
330 HHSrA, AUR 1 3 1 5 I 6; VB Schlägt, r. 1 0 1 ( 1 3 1 8 I 1 , Wink!); MB 3012 78ff., r. 265
( 13 1 8 1 1 3 , Passau); UB Schlägl, Nr. l07 ( 1 3 1 9 X 21).
72
seiner Amtszeit ist ein von ihm für das Stift Schlägt ausgestellter Revers,331 mit
dem er fur einen ihm zu Wink! auf Lebenszeit überlassenen Hof verschiedene,
genau genarulte Verpflichtungen garantiert. Es handelt sich dabei nicht nur wie
üblich um pauschal etwähnte Abgaben und Leistungen, sondern darüber hinausgehend
um gerraue Bestimmungen und Anweisungen zur Führung des Wirtschaftshofes,
wie sie in dieser F01m ansonsten in Urkunden kaum überliefe1t
sind. Dies gewährt einen seltenen Einblick in die Größe, in die Produktionsweise
und in den Viehbestand eines derartigen landwirtschaftlichen Gutes.
Demgemäß verpflichtete sich der Pfarrer von Winkt, dem Kloster, das in
Wink! und Neustift über mehrere Höfe verfügte und Beziehungen zu Hadrnar
(I.) unterhielt,332 jährlich jeweils fünf Scheffel Weizen w1d Roggen, drei
Scheffel Gerste sowie vier Scheffel Hafer abzuliefern. Zu dieser Getreideabgabe
wurde in einem Nachtrag nach der Roboratio noch einschränkend festgehalten,
dass im Falle von schweren Hagelschäden nur die Hälfte davon zu liefern sei.
An Vieh wurden ihm drei Schweine übergeben mit der Auflage, von diesen
jährlich zwei Ferkel bis zum Erreichen eines entsprechenden Gewichtes aufzuziehen.
Dazu erhielt er sechs Gänse und 20 Hühner sowie ein Zugtier im Wert
von zwei Pfund Pfennig, dessen Nachwuchs zw· Hälfte dem Stift zufallen sollte.
Zudem verpflichtete sich Pfarrer Gerung, dem Kloster jährlich zur Weinlese 1 0
Gänse sowie ebenso viele Hühner und Tauben abzuliefern. Den anfallenden
Mist sollte er nur zur Düngung der Äcker des Klosters sowie seiner eigenen
ausbtingen. Die Aufwendungen der ihm mit Wintergetreide angewiesenen
Äcker sollten zu Lasten des Klosters gehen. Zu seinem Seelenheil verpflichtete
er sich zudem, für das Kloster drei oder vier Kühe zur Gewinnung von Butter
und Käse zu halten und deren Nachwuchs sorgsam aufzuziehen.
Den bis 1 3 1 9 belegbaren Pfarrer Gerung löste ein Sighard ab, der 1 3 25 als
Seelsorger von Wink! bezeugt ist.333 Zur Unterstützung stand dem Pfarrer ein
Kaplan zur Verfügung, dem die Betreuung des dem heiligen Johann geweihten
Altars oblag.334 Einer dieser Kapläne namens Jans, der dem St. Johann-Altar
einen Hof und einen Baumgarten zu Winkt gelegen in der Zagelhaw gestiftet
hat, könnte mit einem 1 384 erwähnten Pfan·er Hans von Winkt identisch sein
und aus der Familie der Rittermäßigen von B ierbaum (am Kleebühel)
starnmen.335 Als letzter Seelsorger der Kirche von Winkt unter dem Patronat des
Gründergeschlechts erscheint schließlich ein Pratl“er Jakob, der 1423 das
331 UB Schlägl, r. 107 ( 1 3 1 9 X 2 1 ).
332 UB Schlägl, Nr. 1 0 1 ( 1 3 1 8 I 1, Winkt).
333 N6LA StA, Hardegger Urk. Nr. 247 (1325 in einem Vidimus von 1435 VI 27).
334 BHStA, Domkapitel Passau Urk. Nr. 316 (1340 Il 5); N6LA StA, Urk. Nr. 47 1 8 (1354 VI
14, Wien).
335 NAP, RM Urk. Nr. 2973 ( 1 3 6 1 Il 6); BHStA, Domkapitel Passau Urk. Nr. 783 (1384 VI I ) .
7 3
Vennächtnis336 des letzten Hem1 von Wink! siegelt, mit dem dieser seiner
Kirche noch 60 Pfund Pfennig für einen ewigen Jahrtag verma·.::ht.
Wie bereits eingangs erwähnt, wurde der älteste nachweisbare Teil der
Kirche in der Zeit von um 1 1 60 bis 1 200 errichtet. Circa 1200 bis 1230 wurde
der Ostabschluss zu einem Chorquadrat mit mutmaßlicher Rundapsis umgebaut,
wofür als Bauhen· der zwischen 1208 und 1225 nachweisbare Ortlieb (11.) in
Frage kommt. Der um 1 250 bis 1 330 datierte Anbau einer Stifterkapelle oder
Sakristei könnte noch zu Lebzeiten des vennutlich 1 2 7 1 verstorbenen Ortlieb
(III.) begonnen worden sein. Die zweite gotische Ausbaustufe J 300/30, während
der schließlich der gotische Kastenchor errichtet worden ist, fallt aber eindeutig
in die Zeit Radmars (I.) und dessen Sohnes Ortlieb (VI.).
Im Dachraum des nördlichen Seitenschiffs, wo sich die ältesten Bauphasen
nachweisen ließen, konnten im September 2003 kunstgeschichtlich bedeutende
monumentale Wandmalereien gefunden werden, die sich in die Jahre
1200/30 datieren lassen und sich ursprünglich an der Langhausaußenseite
befunden haben.337 Dargestellt sind zwei unabhängige Szenen. Eindeutig zu
identifizieren ist die vom Betrachter aus gesehen linke Malerei, die den
Sündenfall mit Adam und Eva zeigt. Die rechte Darstellung präsentiert einen mit
seinen Händen eine Art Bündel an seine Brust drückenden Reiter, in dessen
Ferse ein Pfeil steckt. Dieser Umstand gibt zur Vermutung Anlass, es könne sich
bei dieser Szene um den Raub der Chryseis durch den griechischen Helden
Achi lies handeln. 338
Dass zu jener Zeit in der Wagramgegend eine tragfähige adelige Bildungsschicht
existiert hat, belegt auch ein Zeitgenosse Ortliebs (11.), der einer
herzoglichen Ministerialensippe angehörte, die mit den Maissauem verwandt
war und ihre namengebenden Herrschaftsmittelpunkte neben Pfaffstetten (Gern.
Ravelsbach) und Ravelsbach auch in Feuersbrunn am Wagram hatte.339 Es
handelt sich dabei um den in die Literaturgeschichte als Konrad von
Fußesbmnnen eingegangenen Dichter des Werkes „Die Kindheit Jesu“, das um
1 200 entstandenen sein dürfte.340 Der Literat kann zweifellos mit Konrad dem
1 1 77/85 erwähnten Sohn Gerungs (I.) von Feuersbrunn gleichgesetzt werden/41
336 HHStA, AUR 1423 VII 4.
337 Ronald Woldron, Günter Marian u. a.: Die neu entdeckten romanischen Wandmalereien in
der Filialkirche Hl. Nikolaus in Wink/, in: UH 75 (2004}, S . 63-65. Datienmg nach Elga
Lanc (Woldron: Filialkirche [wie Anm. 329], S. 4).
338 Freundliche Mitteilung von Wolfgang Hilger.
339 Weltin: Probleme (wie Anm. 7), S. 485.
34° Fritz Peter Knapp: Die Literarur des Früh- und Hochmittelalters in den Bistümern Passau,
Salzburg, Brixen und Trient von den Anfängen bis zum Jahre 1273, in: Geschichte der Literatur
in Österreich von den Anfängen bis zur Gegenwart Bd. 1 , hg. von Herben Zeman.
Graz 1 994, S. 242-245; Anita Lehner: Konrad von Fussesbrunnen: ., Die Kindheit Jesu „.
Darstellung konstruierter Lebenswelt im Werk. Diplarb. Wien 2000.
341 FRA II/4, Nrr. 344, 550.
74
der 1 1 85/90 gemeinsam mit seinem Bruder Gerung (II.) eine Dotation seines
Onkels Albert von Pfaffstetten an das Stift Klosterneuburg bezeugt. 342 In
Konrads Werk über die Kindheit Jesu schlüpfen die Protagonisten nicht nur, wie
damals üblich, in ein mittelalterliches Gewand, sondern auch in die Rolle von
Angehörigen dieser Adelsschicht, deren Sprache und Verhalten nach den damals
üblichen Normen sie verkörpern. Der damit vermittelte Eindruck dieser Adelsgesellschaft
wird vor allem in jenem Teil des Werkes deutlich, i n dem die
Heilige Familie auf der Flucht nach Ägypten in Gefangenschaft eines Räubers
gerät, der sich aber nach einem Sinneswandel als äußerst zuvorkommend und
gastfreundlich erweist und sie auf ihrer Rückreise wieder bereitwillig aufnimmt
und versorgt. Denn mit der mehr oder weniger gerrauen Schilderung der
Behausung des Räubers und deren Inneneinrichtung, vor allem aber mit der
Beschreibung des Gartens als locus amoenus sowie des in untertriebener
Bescheidenheit als petitmangir titulierten opulenten Festmahls und der
höfischen Sitten343 bietet der Autor einen kaum zu überschätzenden Einblick in
die Lebenswelt seiner Standesgenossen. Besonders bemerkenswert sind die
Hinweise, die zum einen eine Übernahme edler Gebräuche aus Frankreich
belegen,344 und zum anderen eine Verarbeitung von Kreuzzugserlebnissen
nahelegen.345 Unter den teilnehmenden Ministerialen des Kreuzzuges von
1 190/9 1 wird Konrad namentlich zwar nicht erwähnt, könnte sich aber eventuell
in Begleitung Ortolf-Ortliebs (I.) von Wink! auf diesem Unternehmen befunden
haben oder zumindest von den zutückgekehrten Gefolgsleuten des Winklers
Kenntnis der Ereignisse erlangt haben. Vor diesem kulturellen Hintergrund
erscheint es durchaus vorstellbar, dass Überlieferungen der Ilias bekannt waren
und die Darstellung an der Außenmauer der Kirche auf eine Begebenheit aus
dem Heldenepos Bezug nimmt. Möglicherweise sollte damit das Engagement
Ortolf-Ortliebs (I.) bei der Befreiung des Heiligen Landes gewürdigt werden.
342 FRA IU4, Nr. 382.
343 Dazu Lebner: Konrad (wie Amn. 340), S. 128-145.
344 Lehner: Konrad (wie Anm. 340), S. 142, ebd., S. 144; Knapp: Literatur (wie Amn. 340),
S. 244.
345 Lehner: Konrad (wie Arun. 340), S. 1 5 3 .
75
0\,
r-
1 .,
N.
–,–
Agma
Stammtafel der Herren von Winkl I
T􀉯<mo, Rahawin, Adalbrccht, Diclmar ( 1 130/40)
, – – – –,
Poppo (I.} „‚
1 1 14 v. Kicr1ing I
Kunigun􀄭c Ortli<b „· Wollcrsfeld
I 1 3 1 prepmJtus \‘. Krems
um 1 140 · vor 1 160 v. Wtnkl
•) T l
Ortolf-Ortheb (1.1 Poppo (ll )v. *G11<1g <
1 1 7 1 . 1 190
t>i Kumguode v. ‚fulbing. Ulrich (I.) v. Königsbrunn N. m Hugo (I.) •- Aigen
um 1150. 1191 (t Vl1126 7)
I
Ortlieb (II.) ro Kunigundc
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lladmar – J…mu!
Verzeichnis der Abkürzungen und abgekürzt zitierten gedruckten Quellen
und Literatur
A ÖG = Archiv for Kunde österreichischer Geschichts-Quellen, hg. von der zur
Pflege vaterländischer Geschichte aufgestellten Cornmission der
kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, 1 849ff.
BHStA = Bayerisches Hauptstaatsarchiv München.
BUB I = Urkundenbuch zur Geschichte der Babenberger in Österreich, bearb.
von Oskar Mitis, Heinrich Fichtenau und Erich Zöllner, Bd. I: Die
Siegelurkunden der Babenberger bis 1215, Wien 1950.
BUB 11 = Urkundenbuch zur Geschichte der Babenberger in Österreich, bearb.
von Oskar Mitis, Heinrich Fichtenau und Erich Zöllner, Bd. II: Die
Siegelurkunden der Babenberger und ihrer Nachkommen von 1216-1279,
Wien 1954.
B UB IV/1 = Urkundenbuch zur Geschichte der Babenberger in Östen·eich,
bearb. von Heinrich Fichtenau und Heide Dienst, Bd. IV/ 1 : Ergänzende
Quellen 976-1194, Wien 1 968.
BUB IV/2 = Urkundenbuch zur Geschichte der Babenberger in Österreich,
bearb. von Heide Dienst tmd Christian Lackner, Bd. IV/2: Ergänzende
Quellen 1 1 95-1287, Wien-München 1997.
CDB = Codex diplomaticus et epistolaris regni Bohemiae, condidit Gustavus
Friedrich, continuavertmt J indi’ich Sebanek et Sasa Duskova, 1 904 ff.
CDM = Codex diplomaticus et epistolaris Moraviae 1 5 Bde., 1 836-1903.
DOZA = Deutschordenszentralarchiv Wien.
FRA II/1 = Joseph Chmel (Bearb.): Urkunden zur Geschichte von Österreich,
Steiermark, Kärnten, Krain, Görz, Triest , Istrien, Tirol. Aus den Jahren
1246-1300. Aus den Originalen des kais. kön. Haus-, Hof und StaatsArchives,
Wien 1 849 (Fontes rerum Austriacarum II: Diplomataria et Acta
Bd. 1 ) .
FRA IU3 = Johann von Frast (Bearb.): Das “ Stiftungen-Buch “ des
Cistercienser-Klosters Zwetl [Liber Fundationum Monasterii Zwetlensis},
Wien 1 85 1 (Fantes rerum Austriacarum II: Diplomataria et Acta Bd. 3).
FRA IU4 = Maximilian Fischer (Bearb.): Liber fundationum ecclesiae
collegiatae Claustroneoburgensis, Wien 1 8 5 1 (Fontes rerum Austriacarum
II: Diplomataria et Acta Bd. 4).
FRA IV6 = Hartmann Zeibig (Beru·b.): Das Stiftungs-Buch des Klosters St.
Bernhard, Wien 1853, S. 1 25-328 (Fantes rerum Austriacarum II:
Diplomataria et Acta Bd. 6, Teil 2).
FRA II/10 = Hartmann Zeibig (Beru·b.): Urkundenbuch des Stiftes
Klosterneuburg bis zum Ende des vierzehnten Jahrhunderts Teil 1 , Wien
1 857 (Fontes rerum Austriacarum II: Diplomataria et Acta Bd. 1 0) .
77
FRA Il/1 1 = Johann Nepomuk Weis (Bearb.): Urkunden des CistercienserStiftes
Heiligenkreuz im Wiener Walde Teil I , Wien 1 856 (Fantes rerum
Austriacarum li: Diplomataria et Acta Bd. 1 1).
FRA II/ 1 8 = Emest Hauswirth (Bearb.): Urkunden der Benedictiner-Abtei
Unserer Lieben Frau zu den Schotten in Wien vom Jahre 1 1 58 bis 1418,
Wien 1 859 (Fantes rerum Austriacarum II: Diplomataria et Acta Bd. 1 8).
FRA ll/21 = Honorius Burger (Bearb.): Urkunden der Benedictiner-Abtei zum
Heiligen Lambert in Altenburg, Nieder-Österreich K. 0. M B. vom Jahre
1144 bis 1522, Wien 1 865 (Fantes rerum Austriacarum l l : Diplomataria et
Acta Bd. 2 1 ).
FRA Il/28 = Hattmann Zeibig (Bearb.): Urkundenbuch des Stiftes
Klosterneuburg bis zum Ende des vierzehnten Jahrhunderts Teil 2, Wien
1 868 (Fantes rerum Austriacarum Il: Diplomataria et Acta Bd. 28).
FRA ll/37 = Mathias Pangerl (Bearb.): Urkundenbuch des ehemaligen
Cistercienserstiftes Goldenkron in Böhmen, Wien 1 872 (Fantes rerum
Austriacarum l l : Diplomataria et Acta Bd. 37).
FRA ll/5 1 = Adalbert Fuchs (Bearb.): Urkunden und Regesten zur Geschichte
des Benedictinerstiftes Göttweig 1, 1 058-1400, Wien 1901 (Fantes rerum
Austriacarum II: Diplomataria et Acta Bd. 5 1 ).
FRA II/69 Adalbert Fuchs (Bearb.): Die Traditionsbücher des
Benediktinerstiftes Göttweig, Wien 193 1 (Fantes rerum Austriacarum II:
Diplomataria et Acta Bd. 69).
FRA ll/81 = Gerhard Witmer (Bearb.): Die Urkunden des Zisterzienserstiftes
Lilienfeld 1 1 1 1-1892 in Regestenform, Wien 1 974 (Fantes rerum
Austriacarum II: Diplomataria et Acta Bd. 8 1 ) .
GB = Geschichtliche Beilagen zu den Consistorial-Currenden der Diözese St.
Pölten 1 7 Bde., St. Pölten 1 878-200 1 .
Gern. = Gemeinde
HA = Herrschaftsarchiv
HHStA , AUR = Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien, Allgemeine Urkundenreihe.
MB = Monumenta Boica 54 Bde., 1 763ff.
MGH Neer. ll = Monumenta Germaniae Historica Necrologia Germaniae 2
Diocesis Salisburgensis, ed. Sigismundus Herzberg-Fränkl, Ber1in 1904.
MGH Neer. IV = Monumenta Germaniae Historica Necro1ogia Germaniae 4
Diocesis Pataviensis 1 , ed. Maximilian Fasslinger, Josef Sturm, Berlin
1 920.
MGH Neer. V = Monumenta Germaniae Historica Necrologia Germaniae 5
Diocesis Pataviensis 2, ed. Adalbertus Fuchs, Berlin 1 9 1 3 .
MGH S S rer. Germ. NS = Monumenta Germaniae Historica Scriptores rerum
Germanicarum Nova Series.
NAP, RM = Narodni archiv Praha, Maltezsti rytifi.
78
NÖLA StA = Niederösterreichisches Landesarchiv, Abteilung Ständisches
Archiv.
NÖUB II = Roman Zehetmayer, Dagmar Weltin und Maximilian Weltin
(Bearb.), Günter Marian und Christina Mochty-Weltin (Mitarb.):
Niederösterreichisches Urkundenbuch Bd. 2, 1 076-1056, St. Pölten 2 0 1 3
(Publikationen des Instituts for Österreichische Geschichtsforschung Bd.
8/2).
NÖUB III = Roman Zehetmayer (Bearb.), Markus Gneiss, Sonja Lessacher,
Günter Marian, Christina Mochty-Weltin u. Dagmar Weltin (Mitarb.):
Niederösterreichisches Urkundenbuch Bd. 3, 1 1 56-1 1 82, im Druck
(Publikationen des Instituts for Österreichische Geschichtsforschung Bd.
8/3).
NÖUB Vorausbd. = Maximilian Weltin (Bearb.), Dagmar Weltin, Günter
Marian und Christina Mochty-We1tin (Mitarb.): Urkunde und Geschichte.
Niederösterreichs Landesgeschichte im Spiegel der Urkunden seines
Landesarchivs, St. Pölten 2004 (Niederösterreichisches Urkundenbuch
[Vorausbd.]. Die Urkunden des Niederösterreichischen Landesarchivs
1 1 09-1314).
OÖLA = Oberösterreichisches Landesarchiv
PB = Politischer Bezirk
QGW = Quellen zur Geschichte der Stadt Wien, Wien 1 895ff. I = 1 . Abteilung:
Regesten aus in- und ausländischen Archiven. TI = 2. Abteilung: Regesten
aus dem Archiv der Stadt Wien. III = 3. Abteilung: Grundbücher der Stadt
Wien.
StiA = Stiftarchiv
StmkLA = Steiermärkisches Landesarchiv.
SUB = Salzburger Urkundenbuch, 4 Bde., Salzburg 1 898ff.
UB Schlägl = Urkundenbuch des Stiftes Schlägl. Die Rechts- und
Geschichtsquellen der Cisterce Slage und des
Prämonstratenserchorherrenstiftes Schlägl von den Anfängen bis zum Jahr
1600, hg. von lsfried H. Pichler, Schlägl 2003.
UbE = Urkundenbuch des Landes ob der Enns, 1 1 Bde., 1 852ff.
UJM = Urkunden der Johanniterkommende Mai/berg (Xerox im NÖLA) mit
Regesten, in: Fritz Eheim (Bearb.): Die Urkunden der Johanniterkommende
Mai/berg (NÖLA StA, ungedr. V erz. Nr. 6 1 . , 1958/59).
VB = Verwaltungsbezirk
79
Adelssitze im Tullnerfeld – Eine Spurensuche
Thomas Kühlreiber
Die hier vorliegende Betrachtung versteht sich ausdrücklich als „dienender
Beitrag“ in Bezug auf jene Fragen, die in diesem Band im Mittelpunkt stehen:
Welche Aussagen erlauben die Hinterlassenschaften adeliger und geistlicher Eliten
im Gebiet des heutigen Tullnerfeldes über ihren kulturellen Horizont? Zweifelsohne
sind Burgen und andere Sitze ideale Quellen, um derartigen Fragen nachzugehen
– sofern sie erhalten sind. Genau dies ist aber das Problem: Für den hier
im Fokus stehende Region und den vorgegebenen Zeitraum – das 1 2. bis 14.
Jahrhundert – ist die Überlieferungslage außerordentlich dünn. Da der „Erfahrungshorizont“
der in diesem Raum wirkenden Akteure adeliger und geistlicher Eliten
aber nachgewiesener Maßen weit über diese Region hinausreichte,1 werden einzelne
Aspekte auch an Beispielen aus angrenzenden Gebieten des heutigen Niederösterreich
behandelt.
Das Tullnerfeld als Kleinregion
Das Tullncrfeld verdankt seine Entstehung dem Zusammenspiel von tektonischen
Senkungsbewegungen im nördlichen Vorfeld des Alpenbogens und den sedimentären
Ablagerungen der Donau; letztere sind für die hohe Fruchtbarkeit der Böden
verantwortlich, wobei gerade in historischer Dimension diese immer mit den
Gefahren von Hochwässern für die hier lebenden Menschen zusammen zu denken
sind. Die bis heute bestimmende Leitlinie dieser Beckenlandschaft ist somit die
Donau, die nach dem Verlassen des Durchbruchtales der Wachau im Bereich der
mittelalterlichen Städte Mautem, Krems und Stein erstmals wieder in Altarme
auffächern konnte, die im Laufe der Jahrtausende durch Hochwässerfluten ihren
Lauf veränderte. Flussabwärts, d.h. nach Osten hin, bildet das „Donauknie“ bei
1 Vgl. dazu beispielhaft die Ausführungen zu den Herren von Wink! von Günter Marian in diesem
Band.
80
Greifenstein, wo der Fluss die Fließrichtung von West-Ost nach Süden ändert und
den Ostrand der Alpen umströmt, die natürliche Grenze.
Abb. I : Im Text genannte Städte/Orte (Kreise) und Burgen/Sitze (Rechtecke):
I Mautern 2 Stein an der Donau, 3 Krems an der Donau, 4 Kirchberg am Wagram, 5 Stockerau,
6 Trübensee, 7 Traismauer, 8 Tulln, 9 Zeiselmauer, 10 Komeuburg, I I Klostemeuburg.
A Grafenwörth B Oberstockstall, C Winklberg, D Gaismck, E Wink!, F St. Michael*,
G euaigen, H Zwentendorf, I Greifenstein J Judenau, K Ried.
Entwurf: Thomas Kühtreiber; digitale Umsetzung: Julia Klammer
Dass das Tullnerfeld überhaupt als mehr oder weniger geschlossener Landschaftsraum
aufgefasst werden kann, verdankt es aber vor allem seiner relativ
klaren Umrandung an der Nord- und Südseite: Während die sildliehe Grenze durch
die Ausläufer des Wienerwaldes gebildet wird, ist nördlich der Donau der „Wagram“,
eine Geländestufe hin zu den quanären Schotter-, Kies- und Lössablagerungen,
ein gut wahrnehmbares GeländemerkmaL Der Name „Wagram“, mittelhochdeutsch
wiigrein, bedeutet wörtlich übersetzt „Rand des wogenden Wassers“2
und ist ein geläufiges Toponym fur Hochterrassenkanten entlang von Flusstälern,
2 Vgl. Elisabeth Schuster: Etymologie der niederöstetnichischen Ortsnamen 3. Teil: N bis Z.
Wien 1994 (Historsi ches Ortsnamenbuch von Niederösterreich, Reihe B), S. 368, Kat.Nr. W
1 8.
8 1
das in Niederästeneich beispielsweise auch im Traisental, bei Baden oder auch
entlang der Donau bei St. Pantaleon im Westen oder im Marchfeld (Wagram an der
Donau, Deutsch Wagram) zu fmden ist.3
Die Tatsache, dass der Tullnerfelder Wagram das Ergebnis der Erosionskraft
der Donau in den letzten Jahrtausenden darstellt, zeigt gleichzeitig an, dass weite
Teile der Beckenlandschaft vor der Regulierung der Donau ab dem 18. Jahrhundert
regelmäßig durch Überschwemmungen bedroht war. Es verwundert daher nicht,
dass sich speziell auf der nördlichen Donauseile die Dörfer vor allem am oder auf
dem Wagram befinden und zum heutigen Donaulauf hin die Dichte an Siedlungen,
wie Trübensee, Neuaigen, Utzenlaa oder Wink! deutlich abnimmt. Siedlungsnamen
wie Altenwörth oder Seeharn weisen bereits auf die (halb-)inselartige Lagen an
oder zweitweise auch innerhalb von Donauarmen. Südlich des heutigen Donaulaufs
indizieren hingegen Orte, die auf ehemals römischen Limesbefestigungen situiert
sind, wie Traismauer, Zwentendorf, Tulln oder Zeiselmauer, dass hier der immanenten
Hochwasserbedrohung mit dauerhafteren Siedlungsbemühungen begegnet
wurde. Das bedeutet jedoch nicht, dass nach derzeitigem Forschungsstand von
einer Siedlungskontinuität im engeren Sinn ausgegangen werden kann: Alle römischen
Militärlage und Kastelle wurden noch im 5. Jahrhundert aufgegeben und erst
im Laufe des Frühmittelalters wieder besiedelt, wobei insbesondere Mautern und
Tulln sowohl in der historischen Überlieferung als auch nach der archäologischen
Evidenz eine Vonangstellung als frühe Zentralorte innehatten.4 Dass hingegen sehr
wohl das Umfeld der römjsche Limesorte auch im 6./7. Jahrhundert siedlungsmäßig
erschlossen waren, zeigen vor allem Gräberfelder dieser Zeit an,5 auch die
Identifizierung des Tullnerfeldes mit jenem feld, das nach Paulus Diaconus im
frühen 6. Jahrhunden als zeitweiliger Siedlungsraum der Langobarden diente, kann
3 Siehe u.a. Mathias Jw1gwirth et al.: Die Donau. Landschaft – Fisch – Geschichte (Wien 2014),
s. 120-123.
4 Zum Forschungsstand allgemein siehe: Heike Krause und Thomas Kühtreiber: Hochmittelalterliche
Transformationsprozesse und illre Wirkung auf das Siedlungsbild Ostösterreichs, in:
Tradition – Umgestaltung – Innovation. Transformationsprozesse im hohen Mille/alter, hg.
von Eike Gringmuth-Dallmer und Jan K.läp􀚈te, Praha 2014 (Praehistorica Bd. XXXI/2), S.
22 1-268, hier: S. 227 f. u. 2 5 1 ; Helga Sedl.mayer: Transformation von Zentrum und Peripherie.
Vom römischen Favianis zur fi“ühmittelalterlichen civitas Mutarensis (Mau/ern an der
Donau/6sterreich), in: Zentrale Orte und zentrale Räume des Friihmillelalters in Süddeutschland.
Tagung des Römisch-Germanischen Zentralmuseums Mainz und der Friedrich-SchillerUniversitäl
Jena vom 7. – 9.10.201 I in Bad Neustadt an der Saale, hg. von Peter Ette1 Wld
Lukas Werther. Mainz 2013 (RGZM-Tagungen Bd. 18), S. 1 93-216.
5 Ebda.; zu Tulln siehe Nikolaus Hofer: Von Comagenis zu Tu/ln. Neue archäologische Erkenntnisse
zur Stadtwerdung Tullns, in: Beiträge zur Mittelalterarchäologie in Osterreich 2001 ( 17),
s. 195-204.
82
dafür als Beleg herangezogen werden.6 Jedenfalls konnte sich, nicht zuletzt dank
der erhaltenen antiken Baureste, entlang des südlichen Donauufers im Laufe des
Mittelalters eine dichtere Siedlungskette etablieren als nördlich davon, wo nicht
zuletzt durch Hochwässer das Wüstfallen von Dörfern und auch einem frühen
Zentralort mit wohl stadtähnlicher (Sozial-)Struktur – Trübensee7 – beobachtet
werden karm.
Adelssitze im Tullnerfeld topographisch betrachtet
Betrachtet man nun das Verteihmgsmuster bekarmter und überlieferter Standorte
mittelalterlicher Adelssitze im Tullnerfeld, so entspricht ihre Verteilung ziemlich
genau dem mittelalterlichen Siedlungsmuster, womit einmal mehr deutlich wird,
wie sehr die ökonomische Grundlage von Grundherrschaft in Form bewirtschafteter
Gemarkungen sich auch in die Standortwahl im Burgenbau – zumindest in kleinmaßstäblicher
Betrachtung – widerspiegelt. Auffällig ist aber auch, dass sich die
Burgenstandorte in annähernd vier Reihen in West-Ost-Richtung gruppieren:
Entlang des Tullnerfelder Wagram, nördlich und südlich des Hauptverlaufs der
Donau seit dem Mittelalter sowie am Nordrand des Wienerwaldes. Alle vier „Burgenketten“
sind keinesfalls als „Wehrlinien“ zu verstehen, wie dies die frühere
Burgenforschung gerne tat,8 sondern zeichnen neben dem Siedlungsmuster auch
das mittelalterliche Verkehrsnetz nach: Entlang des Wagram ist seit dem späten 1 1 .
Jahrhundert der „Plekete Weg“ in den Schriftquellen, aber auch in Flurnamen
fassbar,9 dem entlang der Niederterrasse zum Donauufer die „Nördliche Donaustraße“
südlich vorgelagert war. 10 Beiden Straßenzügen können als regionale Bezugspunkte
im Westen Krems und im Osten des Tullnerfelds Stockerau und
Korneuburg zugeordnet werden. Die „Südliche Donaustraße“ war über weite Züge
mit der ehemaligen Limesstraße identisch und verband demnach die ehemaligen
Limeskastelle und mittelalterlichen Zentralorte Favianis!Mautem, Traismauer,
6 Paulus Diaconus: Historia Langobardorum, hg. von Georg Waitz, I 878 (MGH SS rerum
Langobardorum) Bd. l , S. 1 9 f., zitiert nach: Herwig Wolfram: Die Geburt Mitteleuropas. Geschichte
Österreichs vor seiner Entstehung 378-907 (Wien 1 987), S. 70 u. Anm. 7.
7 Vgl. Kurt Bors: Die Entdeckung der „Stadt“ Trebensee bei Tu/ln und anderer verschwundener
Orte zwischen Absdorf und Haus leiten. Ergebnisse der Ortswüstungsforschung im Gelände,
hg. von der Dorfgemeinschaft Trübensee (Tulln 2003); Gerhard Reichhalter, Karin Kühlreiber
und Thomas Kühtreiber: Trübensee, in: Gerhard Reichhalter, Karin Kühtreiber und Thomas
Kühtreiber: Burgen Weinviertel (Wien 2005), S. 387-389.
8 Vgl. dazu für den Untersuchungsraum Felix Halmer: Der Wiener Wald als wehrpolitischer
Raum im Mittelalter, in: Niederdonau I Natur und Kultur 1942, S. 3-5 1 , hier: S. 4-6.
9 Peter Csendes: Die Straßen Niederösterreichs im Früh- und Hochmittelalter. Wien 1 969 (Dissertationen
der Universität Wien Bd. 33), S. 1 76-178. 10
Ebda., S. 142 f.
83
Zwentendorf, Comagenis/Tulln, Zeiselmauer, um südlich des Donauknies Klosterneuburg
zu erreichen. 1 1 Dass die historische Bedeutung dieser Straße auch im
Mittelalter bekannt war, hat durchaus auch seinen Niederschlag in der zeitgenössischen
Literatur gefunden.12 Dabei darf nicht vergessen werden, dass beide
„Donauuferstraßen“ mit der Donau selbst als „Wasserstraße“ ein symbiotisches
Ganzes bilden und je nach Wegverhältnissen, Wasserstand, zu transpo1tierendem
Gut und verfügbaren Verkehrsmitteln oftmals situativ entweder der Land- oder der
Wasserweg gewählt wurde.13 Am schlechtesten untersucht bzw. quellenmäßig
fassbar ist der entlang des nördlichen Wienerwaldrandes verlaufenden Weges, der
von St. Andrä!Wördem im Osten von der Limesstraße/südlichen Donaustraße abzweigend
über Königstetten und Tulbing Richtung Judenau fiihrte und von dort
zum einen den Raum Alt- und Neulengbach erschloss, wohl ein Abzweigung
Richtung St. Pölten besaß und in einer dritten Trasse bei Traismauer wieder auf die
Limesstraße traf.14 Da Siedlungen nun einmal über ein Wege- und Straßennetz mit
einander verbunden sind respektive sein müssen, um Kommunikation aller Art zu
ermöglichen, darf es auch nicht verwundern, dass es eine Koinzidenz zwischen
Burg und Weg/Straße fibt, ohne damit sofort auf militärische Kontrolle auf selbige
schließen zu müssen. ‚ Wenn man allerdings auch die möglichen Nord-Süd-Verbindungen
der Untersuchungsregion in diese Fragestellung mit einbezieht, wird
dieser Befund noch klarer: Mit dem Wienerwaldkamm, der Donau und dem Wagram
stellen sich einem Nord-Süd-orientierten Verkehr drei mehr oder weniger
ausgeprägte Verkehrshindernisse dar, die je nach örtlicher Topographie leichter
oder weniger leicht zu überwinden waren. Während Donauübergänge mit
geregeltem Überfuhrdienst, später z.T. auch mit Brücken, bei Mautern!Stein,
1 1 Ebda., 229 f. 12
Gertrud Blaschitz: Von der Via publica zur mittelalterlichen Heeresstraße. Zur Kontinuität der
Römerstraßen in literarischen Quellen, in: Der umkämpfte Ort – von der Antike zum Mittelalter,
hg. von Olaf Wagencr. Frankfurt am Main 2009 (Beihefte zur Mediaevistik Bd. 10), S.
85-104.
13 Vgl. dazu am Beispiel der Kreuzzüge entlang der Donau Alan V. Murray: Roads, Bridges and
Shipping in the Passage of Crusade Armies by Over/and Routes to the Bosporus I 096-1190,
in: Die Vielschichtigkeil der Straße. Kontinuität und Wandel in Minelalter und früher Neuzeit,
hg. von Komelia Holzner-Tobisch, Thomas Kühtreiber und Gertrud Blaschitz. Wien 2012
(Veröffentlichungen des lnstitutsfiir Realienkunde des Mille/alters und der frühen Neuzeit Bd.
22 = Osterreichische Akademie der Wissenschaften. philosophisch-historische Klasse, Sitzungsberichte
Bd. 826), S . 1 8 3-208.
14 Zumindest Abschnitte dieses Weges könnten im Mittelalter und der Frühen euzeit als .,Ungamstraße“
bezeichnet worden sein, worauf Toponyme in den Weistümern zu Königsletten
und Katzelsdorfhindeuten, vgl. Csende, Straßen (wie Anm. 9), S. 177 u. Anm. 7.
15 Siehe dazu Thomas Kühtreiber: Straße und Burg. Anmerkungen zu einem vielschichtigen
Verhältnis, in: Holzner-Tobisch, Kühtreiber und Blaschitz: Vielschichtigkeil (wie Anm. 13), S.
263-302, hier: S. 269-273.
84
Tulln/Trübensee und Klostemeuburg/Komeuburg nicht zuletzt durch die ,,Doppelung“
der Zet1tral01te relativ leicht nachvollziehbar ist, sind andere kleinere oder
nur zeitweilig – j e nach Donauverlauf – nutzbare Donauquerungen nur auf Grund
weniger Quellen tmd mündlicher Überlieferung einigennaßen erschließbar. 16 Im
Flysch-Sandstein des Wienerwaldes haben sich die Altwegtrassen bisweilen sehr
tief in den relativ weichen Untergrund eingeschnitten und bilden beeindruckende
Hohlwegbündel und -facher insbesondere in den Steilpassagen. Neben den Talübergängen
von St. Andrä Wördem über Kierling nach Klosterneuburg sowie über
den Riederberg vom Tullner Raum nach Purkersdorf und in weiterer Folge nach
Wien wurden nahezu alle breiteren Höhenrücken genutzt, wobei insbesondere die
Altwege von Tulbing und Königstetten über den Scheiblingstein bzw. den „Passauer
Zipf‘ in den Wiener Raum bzw. nach Mauerbach, von Katzelsdorf über den
Passauerhof nach Mauerbach sowie – parallel zur heutigen Bundesstraße I über
den „Rieder Berg“ von Ried nach Purkersdorf ein Höhenweg von Ried am
Riederberg über die Höhenrücken beim Troppberg nach Purkersdorf. Bezeichnendeiweise
befinden sich an einigen neuralgischen Stellen Reste von Sperrwällen,
deren Datierung noch tmklar ist, aber die strategische Bedeutung der Wege zwischen
dem Tullner und dem Wiener Raum herausstreichen.17 Archäologische Streu-
16 Nachweise für historisch genutzte Schiffsübergänge an der Donau im Tullnerfeld,
beispielsweise für den Wechsel der donauaufwärts getreidelten Schiffszüge, finden sich für
den Raum Zwentendorf – Altenwörtb: Otto Meißinger: Die historische Donauschifaf hrt –
Holzschifef und Flöße. Melk 1975 (Schriftenreihe des Schifal hrtsmuseums Spitz a.d. Donau),
S. 34 f., zitiert nach: Stefan Wunder!: Die Geschichte der Schiffswerft Korneuburg unter
Berücksichtigung der Situation der Arbeiterschaft. unpublizierte Diplomarbeit Universität
Wien 2008, S. 12; im Rahmen der Erhebung von Schifffahrtspersonal im Kontext der
Türkenkriege 1566 wurden Schiffsleute im Tullnerfeld in Hollenburg, Grafenwörth, St.
Johann, Seebam, Altenwörth, Winkl, Utzenlaa, Maria Ponsce, Neuaigen, Trübensee, Tulln und
Langenieharn erfasst. Wenngleich es hier um den Schiffsverkehr entlang der Donau ging,
lassen diese Orte mit Vorsicht auch auf mögliche Überfuhren schließen: HK.A Fasz. Nr. 442
(rot), siehe: Hans-Heinrich Vangerow: Schiffsleute und Schiffsbestand an der Donau von
Passau bis Wien Anno 1566, in: Hi storisches Jahrbuch der Stadt Linz 1985 ( 1986), S. 481-
504, hier: S. 487; zum Schiffsbestand in den Orten der Region S. 493 f. Für die Hilfe bei der
Literarurrecherche möchte ich mich bei Maria Knapp (Wink!) und Andreas Noworny
(Neustift) herzlich bedanken.
17 Die früheren Versuche, diese Befestigungen mit den ,.Awarenhagen“ oder den ungarischen
Feldzügen des 1 0 . Jahrhunderts in Verbindung zu bringen, erscheint wenig überzeugend, vgl.
Rudolf Büttner: Befestigungsanlagen im Wienerwa/d um die Jahrtausendwende. Wien 1957
(Mitteilungen der Kommission fiir Burgenforschung 7 = Anzeiger der Osterreichischen Akademie
der Wissenschaften. Phil.-hist. Klasse 25), Hermann Schwarnmenhöfer: Archäologie im
Ostreich (ohne On 2011), S. 23-25 (Troppberg, Rauchbuchberg); wahrscheinlicher ist eine
Datierung in die Türkenzeit, wie dies beispielsweise auch für die Sperranlagen in der Wachau
in Anspruch genommen werden kann: Anton Dachler: Verschanzungen in Niederösterreich
85
funde sowie die römischen Meilensteine in Nitzing und am „Scheiblingstein“ (sie! )
belegen die Begehung dieser Höhenwege zumindest seit antiker Zeit, eine
Weiternutzung in Mittelalter und Neuzeit ist nicht nur durch die an diesen Wegen
gelegenen Siedlungen, sondern u.a. auch durch den Fund eines St Anna-Pilgerzeichens
angezeigt. 18 Bezeichnenderweise befinden sich sowohl an den nördlichen
als auch an den südlichen Ausläufern dieser Höhenwege jeweils Burganlagen: Ein
namenloser Burgstall am Exelberg bei Wien, dem die ehemalige Burg in Tulbing
am „Schloßberg“19 sowie ein historisch überlieferter zweiter Sitz20 am Höhenweg
über den Scheiblingstein zugeordnet werden können.21 Der Höhenweg über den
Troppberg mündet südseitig in Purkersdorf, wo in der Nähe des Hauptplatzes sich
die baulichen Reste der Burg befinden/2 während am nördlichen Wienerwaldabhang
die Wegtrasse unmittelbar durch die Vorbefestigungen von Burg Ried
fiihren.23
Entlang des Wagrarn bieten die tief eingeschnittenen Hohlwegkerben gute
topographische Hinweise auf die wichtigsten Aufstiege in das Hinterland. ln
unmittelbarer Yerlängemng des Donauübergangs Tulln-Trübensee nach Norden
liegt das Dorf Gaisruck. An der unmittelbaren Geländekante oberhalb des Grabeneinschnitts,
durch den bis heute die Straße fiihrt, befindet sich ein künstlicher Hügel,
der aufgrund von Fundmaterial der unmittelbaren Umgebung als hallstattzeitJiches
Hügelgrab gedeutet wird. Allerdings ist eine Sekundärnutzung als Burghügel
aufgrund von Analogiefällen und eines 1220 genannten „Rudolfus de Geizmkke“
und in den Nachbarländern, in: Berichte und Mitteilungen des Alterthums-Vereines 1 9 1 1 (44),
S. 45-64, hier: S SO (Wachau) und S. 52 f. (Wienerwald).
18 Autopsie der Funde durch den Verfasser in Privatsammlungen der Region.
19 Literatur in Auswahl: Hans P. Schad’n, Die Hausberge und verwandten Wehranlagen in Niederästerreich
Ein Beitrag zur Geschichte des Befestigungswesens und seiner Entwicklung
vom Ringwall bis zur Mauerburg und Stadtumwehrung. Horn-Wien 1953 (Prähistorische Forschungen
Bd. 3), S. 241 f.; RudolfBüttner: Burgen und Schlösser zwischen Greifenstein und
St. ?ölten. Wien 1969 (Burgen und Schlösser in Niederösterreich Bd. II/1), S. 59-61 ; ders.:
Burgen und Schlösser zwischen Greifenstein und St. Pölten. Wien 21982 (Burgen und Schlösser
in Niederösterreich Bd. 5), S. 72.
2° Freundliche Mitteilung Günter Marian, NÖ Landesarchiv St. Pölten.
21 Der Trasse nach Königstetten kann hingegen keine Wehranlage gesichert nachgewiesen werden,
der Hinweis von Büttner ist zu vage: Büttner: Burgen und Schlösser 5 (wie Anm. 19), S.
20 f.
22 Literaturauswahl: Rudolf Büttner: Burgen und Schlösser zwischen Wienerwald und Leitha.
Wien 1 966 (Niederösterreichs Burgen und Schlösser Bd. UL), S. 1 20-123; Rudolf Büttner und
Brigitte Faßbinder: Burgen und Schlösser zwischen Mödling, Purkersdorf und Klosrerneuburg.
St. Pölten-Wien 1988 (Burgen und Schlösser in Niederösterreich Bd. 2), S . 122-125.
23 Den besten Überblick zum Forschungsstand und zur historischen ÜberliefeJung bietet die
Hornepage des Vereins zur Erhaltung und Erforschung der Burg Ried am Riederberg:
http://www.burgried.at/ (Zugriff vom 1 0 . 1 .2016).
86
nicht auszuschließen.24 Die mehrteilige Hausberganlage von Hippersdorf nützt eine
Geländezunge am Ausgang des Schmidales, wobei die örtliche Wegverbindung
sowohl den Talboden als auch über einen nordwestlich der Burganlage liegenden
Hohlweg durch westlich des Schmidatals befindliche Hochfläche nutzen konnte?5
Zu den raumtaktischen Kontrollpunkten zählten letztendlich auch die Donauübergänge
selbst, sodass auch die Wiederbesetzung der Donallkastelle mit mittelalterlichen
Befestigungen weltlicher und geistlicher Grundherren, wie in Mautem/6
Traismauer,27 Zwentendorf, Tulln und Zeiselmauer, auch tmter diesem Gesichtspunkt
betrachtet werden kann. Am nördlichen Donauufer gegenüber von Mautern
befand sich die Überfuhr als landesfiirstliches Lehen spätestens seit 1220 sogar
unter der Kontrolle eines Ministerialengeschlechts „de Urfar“?8 Auch wenn mit
diesen wenigen Beispielen keinesfalls ein geschlossenes „Wegkontrollsystem“
durch Burgen am Rand des Tullnerfeldes konstruiert werden kann, so zeigt sich
doch, dass insbesondere Übergänge als strategisch wichtige Punkte eine hohe
Anziehungskraft fiir den Standortwahl im Burgenbau besaßen. Abgesehen von
raumtaktischen und ökonomischen Überlegungen darf ein Aspekt nicht außer Acht
gelassen werden, wenngleich dieser am schwierigsten zu erschließen ist: Die
„verkehrsgünstige“ Lage erhöht die Chance, in den Informationsaustausch
eingebunden zu sein – durch fahrende Händler, Gäste und alle möglichen anderen
Reisenden, die an diesen Adelssitzen vorbei kamen bzw. ihnen gar nicht
„entgehen“ konnten. Manchmal mag manche Erzählung wertvoller gewesen sein
als der bezahlte Brückenzoll oder Wegemaut
Zur Baugestalt der Adelssitze im Tullnerfeld
Wie eingangs ausgefiihrt, sind kaum aufrechtstehende Baureste des 12. bis 14.
Jahrhunderts von Adelssitzen im Tullnerfeld erhalten geblieben. Um daher Vorstellungen
entwickeln zu können, wie Wohnverhältnisse adeliger und geistlicher
24 Vgl. Gerhard Reichhalter, Karin Kühtreiber und Thomas Kühtreiber – euaigcn, in: Reichhalter,
Kühlreiber und Kühtreiber: Burgen Weinviertel (wie Anm. 7), 1 9 1 (mit weiterfUhrender
Literatur).
25 Ebd., 234 f.
26 Gerhard Reichhalter, Patrick Schicht und Andreas Hermengild Zajic: Mautern – Lage, Baubeschreibung,
in: Burgen Waldviertel – Wachau – Mährisches Thayata!, hg. von Falko Daim,
Karin KUhtreiber und Thomas KUhtreiber (Wien 2009), S. 324-326.
27 Literaturauswahl : Johann Offenberger: Burg und Schloß Traismauer. in: Museum for Frühgeschichte
Traismauer, Katalog des Niederösterreichischen Landesmuseums, hg. von der
Kulturabteilung der Niederösterreichischen Landesregierung (Wien 1 990) 1 59- 169.
28 Vgl. Zusammenfassend Gerhard Reichhalter und Helga-Schönfellner-Lechner: Förthof, in:
Daim, Kühtreiber und Kühtreiber: Burgen Wa!dvierte!- Wachau – Mährisches Thayatal (wie
Anm. 26), S. 261-263.
87
Eliten in dieser Region ausgesehen haben könnten, bedarf es dreier Herangehensweisen:
• Das Berücksichtigen der ehemals bebauten Fläche als „Rahmen“
• Das Einbeziehen von Adelssitzen aus der näheren Umgebung des
Tullnerfelds, insbesondere entlang der Donau
• Das Erweitern der herkömmlichen Gleichsetzung von „Adelssitz=Burg“ auf
Adels- und Stifts-/Vogteihöfe
Die bebaute Fläche: Auch we1m insbesondere ehemalige Niederungsburgen, wie
beispielsweise Judenau29 oder Neuaigen30, des Öfteren in neuzeitlichen Schlossbauten
aufgegangen sind, können in Fällen, wo die Anlagen abgekommen sind,
über die erhaltenen Erdwerke Aussagen über die ehemalige Größe getroffen
werden. Der vor wenigen Jahren zumindest teilweise überbaute ehemalige Standort
von Schloss Grafenwöt1h zeigt mit einer Grundfläche von 1 80 x 1 00 Metern eher
die Ausmaße des neuzeitlichen Schlosses einschließlich der Außenanlagen als jene
der mittelalterlichen Burg an. Anders ist dies im Fall über ein Luftbild wieder
entdeckte ehemalige Wasserburg der abgekommenen Siedlung St. Michael,
Katastralgemeinde Mollcrsdorr:J1 Als Bewuchsmerkmal zeichnete sich im Frühjahr
2012 in der Flur „Michaelergrund“ eine von einem mmähemd ovalen Wassergraben
umgebene Fläche ab, die in der Mitte nochmals durch einen schmäleren
Graben wohl in ein Haupt- und Vorbw·gareal unterteilt war (Abb. 2). Der Zugang
erfolgte von Süden wohl über eine Erdbrücke, die sich als heller Streifen im
dunklen Graben abzeichnet, wobei der Graben genau an der Stelle des Zugangs den
Scheitelpunkt bildet. Die Anlage erreichte beeindntckende Außenmaße von 75 x 68
Meter, abzüglich des ca. sieben bis zehn Meter breiten Grabens stand immer noch
eine Innenfläche von ca. 55 x 48 Meter zur Verfügung. Die Kernburg befand sich
wahrscheinlich in der nördlichen, annähernd rechteckigen Fläche, in deren Mitte
sich mittig ein annähernd Ost-West-orientiertes, rechteckiges Gebäude abzeichnet.
Mit Vorsiebt kann also von einem, zentralen Hauptgebäude als Wohn- und
Repräsentationsobjekt als „Festes Haus“ ausgegangen werden, das seine Breitseite
dem Ankommenden präsentierte. Im Analogieschluss könnten sich in der Vorburg
weitere Wohn- und Wirtschaftsbauten, aber auch kleinere Gärten befunden haben.
Eine Idee, wie derartige Wasserburgen mit einem zentralen, palasartigen Wohnbau
ausgesehen haben könnten, liefert die Darstellung der im bayerischen Chierngau
29 Literamrauswahl: Büttner: Burgen und Schlösser Il!l (wie Anm. 19), S. 33-35; Büttner:
Burgen und Schlösser 5 (wie Anm. 19), S. 15-18; Roderich Geyer: Die Baugeschichte des
Schlosses Judenau. Tulln 2008 (Milleilungen des heimatkundliehen Arbeitskreises .fiir die
Stadt und den Bezirk Tulln Bd. 22), S. 4-37.
30 Reicbhalter, Kühlreiber und Kühtreiber: Burgen Weinviertel (wie Anm. 7), S. 386 f. (mit
weiterfiihrender Literatur).
31 Für die Überlassung des Luftbilds sei Andreas Ziegler herzlich gedankt.
88
gelegenen Burg Hartmannsberg im „Codex Falkensteinsis“ der Grafen von
Falkenstein am ltm von 1 1 65, wo aus den romanischen Arkaden des zinnenbekrönten
Gebäudes eine Person im Wasser der in (Halb-)Insellage en·ichten Burg
angelt.32 Ein räumlich und mutmaßlich auch zeitlich näheres Beispiel ist die Burg
„Neubau“, Stadtgemeinde Gföhl.33 Die Nutzungsdauer der Burg im „Dörfl“ bei St.
Michael ist derzeit noch w1klar: 1 550 als öde vesstn Sand Michel bezeichnet und
somit bereits aufgelassen, sind Dorf und Kirche seit 1 200 w-kwldlich fassbar,
explizite Nennungen von Burg und Burgbesitzern sind nicht bekannt. Oberflächenfunde
aus dem Umfeld der Burg zeigen derzeit nur eine Besiedlung des Areals im
15. Jahrhundert an.34
Abb. 2: St. Michael*, KG Mollersdorf: Luftbild der Burgstelle, Ansicht von Osten.
Foto: Andreas Ziegler (20 12)
32 Bayerisches Hauptstaatsarchiv Kl. Weyam I, fol. 1 1 r; zum Bild siehe http://tethys.imareal.
sbg.ac.at/realonline/, Bildnr. 003057, Zugriff vom 14.1 .20 1 6 ; die Darstellung zeigt
wahrscheinlich nicht das heutige Schloss Hartmannsberg, sondern eine wenige hundert Meter
südlich gelegene Vorgängeranlage am Langbürgner See, siehe: http://palafitte.eu/file/nau8/
Brennpunkt.pdf und http://www.bgfu.de/kundenlbgfu/bgfu.nsf/O/
598b7836c2 l f5d98c I 257247004 l 3a99?opendocument (Zugriff vom 14.1 .20 16).
33 Gerhard Reichhalter: Neubau – Lage, Baubeschreibung, in: Daim, Kühtreiber und Kühtreiber:
Burgen Waldviertel- Wachau – Mährisches Thayatal (wie Anm. 26), S. 163-165.
34 Reichhalter, Kühlreiber und Kühtreiber: Burgen Weinviertel (wie Anm. 7), S. 385 f; die
Umrisse der ehemaligen Burg sind heute noch als eigenständige Parzelle Grundstücknummer
.303 im Kataster fassbar.
89
Abb. 3 : Winkl, MG Kirchberg am Wagram sowie digitales Geländemodell mit Schattierung
des Reliefs von NW (Hillshade). Aus: NOE Atlas 4.0 (2016).
Ebenfalls als ehemalige Wasserburg ansprechbar, wenngleich mit einem ca.
zwei Meter erhöhten Kemwerk, ist die Burg Winkl am südlichen Ende der gleichnamigen
Katastralgemeinde (Abb. 3). Der heute von der Pfarrkirche mit
90
KirchEriedhof geprägte Burghügel ist rechteckig bis queroval und heute noch von
einem ca. ein- bis zwei Meter tiefen Sohlgraben umgeben. Aussagen über die ehemalige
Baustruktm der Burg sind nur sehr eingeschränkt möglich, da durch die
Nutzung der östlichen Hälfte des Burghügels als Friedhof das ehemalige Terrain
gleichmäßig eingeebnet wurde. Allerdings indiziert der in der Kirche erhaltene
romanische Kembau, der nach Ronald Woldron bauhistorisch in den Zeitraum von
1 160-1200 datiert wird/5 dass möglicherweise das Areal von Beginn an als BurgKirchenanlage
mit Kirchenareal im Osten und adeligem Wohnsitz im Westbereich
strukturiert wmde.36 Der Westteil ist um 60 bis 80 Zentimeter höher als der
Kirchenbereich und bildet heute ein annähernd quadratisches Plateau von ca. 20 x
20 Meter aus, das mittig in Ost-West-Richtung von einem dmchstichartigen Graben
durchzogen ist. In Verbindung mit einer Erdbrücke im Westen deutet sich hier der
ehemalige Zugang zur Bmg an, während der heutige Weg von Norden rezent ist.
Die doch relativ kleine Kernfläche könnte ein Hinweis sein, dass auch in Wink! ein
zentraler Wehr- und Wohnbau im Sinne eines Wohnturms oder Festen Hauses das
Hauptgebäude bildete. Dies ist allerdings reine Spekulation, da auch im Bereich der
Kirche weitere Gebäude existiert haben kölUlen. Die frühe Nennung von Herren
von Wink! ab den l l 20cr Jahren lässt sich jedenfalls gut mit der Baugestalt eines
mäßigen hohen Burghügels am Übergang zwischen Niederungsburg und sogenannten
„Hausbergen“ in Übereinstimmung bringen 37
Als „Hausberg“ wird die Österreichische Variante der „Motte“, künstlicher
Burghügel mit zumeist geometrischem Grundriss, bezeichnet. Im Unterschied zu
den klassischen „Motten“, die in ihrem Kerngebiet – den Flachlandzonen Nordfrankreichs,
der BENELUX-Länder und Norddeutschlands, zumeist komplett aus
aufgeschüttetem Erdmaterial, eventuellen Holzeinbauten und Rasensoden als
Erosionsschutz der Außenoberfläche aufgebaut wurden, sind die „Hausberge“ im
Hügelland des Wcinvie1tels, aber auch im Mostviertel oder im steirischen
Voralpengebiet, zumeist wohl aus dem Gelände herausgearbeitet und nur partiell
künstlich durch Aufschütten überhöht.38 Während die ftiihesten Motten im oben
35 Wolfgang Baatz, Günter Marian, Claudia Riff-Podgorschek und Ronald Woldron: Die neu
entdecklen romanischen Wandmalereien in der Filialkirche Hl. Nikolaus in Wink/, in: Unsere
Heimat 2004 (75/1), S. 63-65
36 Zu Burg-Kirchenaulagen im heutigen Weinviertel vgl. Gerhard Reichhalter: Burgenbau im
Weinviertel, in: Reichhalter, Kühtreiber und Kühtreiber: Burgen Weinviertel (wie Anm. 7),
20-35, hier: S. 25-27.
37 Zur Geschichte der Herren von Wink! vgl. den Beitrag von Günter Marian in diesem Band; zur
Bw·g im Allgemeinen Gerhard Reichhalter, Karin Kühtreiber und Themas Kühtreiber: Winki Lage,
Baubeschreibung, in: Reichhalter, Kühlreiber und Kühtreiber: Burgen Weinviertel (wie
Anm. 7), S. 232 f.
38 Sicherheit über den konkreten Aufbau können allerdings nur archäologische Grabungen
bringen, diese sind allerdings an hausbergartigen Anlagen noch rar gesät; vgl. dazu: Sabine
9 1
erwähnten Ursprungsgebiet schon um die Jahrtausendwende archäologisch belegt
sind, sind sichere Nachweise von Hausbergen in Ostösterreich vor 1200 noch sehr
selten. Oberflächenfunde des 12., vielleicht sogar des 1 1 . Jahrhunderts vom oder
aus dem Umfeld von Hausbergen können auch von sekundären Aufschüttungen des
Burghügels stammen und datieren somit noch nicht zwangsläufig diesen Burgentyp
l9
Abb. 4: Winklberg, KG Mitterstockstall: Luftbild des Hausbergs von Westen. Foto:
Luftbildarchiv des lnstiruts fur Urgeschichte und Historische Archäologie (2004).
Bezeiclmendetweise ist der zweite Hauptsitz der Herren von Winkt
Winktberg -, nach welchem sich eine Seitenlinie der Winkler nach der Mitte des
Felgenhauer-Schmied!: Hausberge im niederösterreichsi chen Weinviertel, in: Molle – Turmhügelburg
– Hausberg. Zum europäischen Forschungsstand eines mittelalterlichen Burgentypus,
hg. von Sabine Felgenhauer-Schmied!, Peter Csendes und Alexandrine Eibner. Wien
2007 (Beiträge zur Millefalterarchäologie in Österreich Bd. 23), S. 163-1 80, hier: 163; siehe
auch: Thomas Kühtreiber und Gerhard Reichhalter: Hausberge, Motten und Burgställe.
Terminologische und siedlungsarchäologische Überlegungen zum Burgenbau im MelkErlaufgebiet
(Niederösterreich), in: ebda., S. 225-249, hier: S. 225-228; Nikolaus Hofer, Martin
Krenn und Christoph Blesl: Hausberge und verwandte Wehranlagen. Zum aktuellen
Forschungsstand in Niederösterreich, in: ebda., S. 249-262, hier: S. 254-258.
39 Zur Datierungsproblematik vgl. Felgenhauer-Schmied!: Hausberge (wie Anm. 38), S. 1 75-
178; Kühtreiber und Reichhalter: Hausberge (wie Anm. 38), S. 236 f.
92
13. Jahrhunderts zu nennen beginnt,40 eines der besterhaltenen Beispiele des Typus
„Hausberg“ (Abb. 4). In Mitterstockstall, knapp hinter der Wagramkante an einem
grabenartigen Einschnitt gelegen, bildet der Hausberg einen klassischen Kegelstumpf
mit acht Meter Höhe und einer nutzbaren Grundfläche von 40 Metern im
Durchmesser.41 Damit besaß Winklberg eine durchaus zeitübliche Innenfläche, die
zumindest eine mehrteilige Bebauung ermöglicht hätte. Mangels archäologischer
Untersuchungen und aufgrund fehlender aufgehender Mauerteile gestalten sich
Aussagen zur möglichen Bebauung im 1 3 . und 14. Jahrhundert sehr schwierig.
Georg Matthäus Vischer zeigt die Anlage 1672 als Burg-Schloss mit geschlossener
Randbebauung, einem Torturm mit barbarkanenartigem Vorbau und einem wieteren
Turm an der dem Zugang gegenüberliegenden Seite (Abb. 5).
WINCIBELPER.G

Abb. 5: Winklberg, KG Mitterstockstall: Vedute der Burg von Georg Matthäus Vischer (1672)
Das kleine Gebäude am aus Betrachterinnenseite rechten Bildrand könnte eine
Kapelle an der Zuwegung der Burg darstellen. Dass ein umlaufender Steinhering
mit Wohngebäude, eventuell auch Turm, auf einem Hausberg des 1 3 ./14.
40 Vgl. den Beitrag von Güntcr Marian in diesem Band.
41 Vgl. Gerhard Reichhalter, Karin Kühlreiber und Thomas Kühtreiber: Wink/berg – Lage,
Baubeschreibung, in: Burgen Weinviertel (wie Anm. 7), S. 226 (mit weiterfUhrender Literatur).
93
Jahrhunderts in der weiteren Umgebung denkbar ist, zeigen die Überreste auf dem
Hausberg von Klement, wo aufgehende Mauerreste in zeittypischen Kompartimentmauerwerk
auf eine entsprechende Bebauung im Zeitraum zwischen 1 250 und
1350 schließen lassen.42
Abb. 6: Burg Ried, KG Ried am Riederberg: Digitales Geländemodell mit Auszeichnung der
Hangneigung (Slope). Aus: NOE Atlas 4.0 (2016)
Allein darauf aufbauend können freilich keine gesicherten Aussagen
getroffen werden, ob die Hausberge der Region in ihrer Entstehungsphase eher
Holz- oder Steinbebauung aufgewiesen haben. Eine hausbergartige Burganlage, die
jedoch entsprechend den aktuellen archäologischen Forschungsergebnissen nach
von Anfang an eine Massivbebauung besaß, ist die Burg Ried, Katastralgemeinde
Ried am Riederberg. Der Burghügel und die massiven Außenwälle samt bergseiligem
Schildwall wurden aus dem Gelände des Höhenrückens herausgeschnitten,
wobei insbesondere die kegelstumpfförmige Gestaltung des Burghügels eine
42 Zu Klement vgl. Gerhard Reichhalter, Karin Kührreiber und Thomas Kühtreiber: Klement –
Lage, Baubeschreibung, in: Reichhalter, Kührreiber und Kühtreiber: Burgen Weinviertel (wie
Anm. 7). S. 91 f., die Neudatierung der Ausbauten beruht auf einer Autopsie des Verfassers
von 2014.
94
Zuordnung zu den Hausbergen rechtfertigt (Abb. 6).43 Auch wenn die bisherigen
Ausgrabungen nur eine kleine Fläche des Burghügels betrafen, zeigen die bisherigen
Ergebnisse, dass ähnlich wie in Winklberg Burg Ried eine Randbebauung um
einen offenen Innenhof aufwies. Der älteste, bislang freigelegte Teil ist die Ringmauer,
an die an der besonders gefalu·deten Bergseite innen ein Rundturm angestellt
wmde. Dieser wird aufgnmd der partiell erhaltenen Quadetmauer mit Pietra
Rasa-Putz in die Zeit um 1 200 gestellt, der Bering muss dementsprechend noch in
das 12. Jahrhundert gestellt werden, was mit Nennungen Genannter von Ried im
gleichen Zeitraum übereinstimrnt.44 Ab dem frühen 1 3 . Jahrhundert in kuenringischem
Besitz, dürfte die Burg um 1300 unter den „Schenken von Ried“ ihre Blütezeit
en·eicht haben.45 In diesen Zeitraum fallt auch der noch nachvollziehbare
Ausbau mit einem Zwinger sowie vermutlich auch der über den Schildwall laufende
Außenbering. Ob die nur oberflächlich erkennbaren Baureste von an den
Bering innen angebauten Gebäuden, damnter auch ein möglicher Palas, zu den
Baumaßnahmen des 1 2. bis 14. Jahrhunderts gehören, können erst zukünftige
Untersuchungen zeigen. Überregionale Querbeziehungen Jassen sich aus diesem
geringen Bauresten nur schwer ziehen; einzig der runde Tunn ist im hochmittelalterlichen
Burgenbau Ostösterreichs selten anzutreffen, Analogien dafur sind Bmg
Klamm im Semmeringgebiet, die sekundär zum Turm ausgebaute Rundkapelle auf
Burg Starbernberg im südlichen iederösterreich oder der Hauptturm auf Burg
Rabenstein im PielachtaL Weitere Beispiele außerhalb der Landesgrenzen ließen
sich anfiilu·en, ohne dass sich daraus ein zwingendes Muster in Bezug auf Verwandtschaftsverhältnisse
etc. ergäbe.
Die einzige Höhenburg, die im Untersuchungsgebiet mit beträchtlichen
Teilen ilu·er mittelalterlichen Bausubstanz erhalten geblieben ist und somit etwas
tiefergehende Überlegungen erlaubt, ist Burg Greifenstein in der gleichnamigen
Katastralgemeinde. Am südlichen Donauufer gelegen, üben·agt sie den schmalen
und überschwemmungsgefahrdeten Geländestreifen zwischen Donau w1d steilem
Nordabfall des Wienerwaldes knapp vor dem „Donauknie“. Die Burg liegt innerhalb
eines geschlossenen Passauer Bistumbesitzes und ist seit dem 1 2. Jahrhundert
urkundlich in Passauischem Eigentum, aber in der Verwaltung durch Ministeriale,
43 Siehe dazu und zu den Grabungsergebnissen http://www.burgried.at/burgruinel
baubeschreibung/, Zugriff vom 1 5 . 1 .2016; Oliver Fries, Gerald Fuchs und Alois Poycr: KG
Ried am Riederberg, Marktgemeinde Siegharrskirchen, in: Fundberichte aus Österreich 20 I I
(50), S. 290; Bemhard Arnold, Oliver Fries, Gerald Fuchs und Lukasz Grzywacz: KG Ried am
Riederberg, Marktgemeinde Sieghartskirchen, in: Fundberichte aus Österreich 2012 (51), S.
225 f.;
44 Markus Jeitler: Ried- Geschichte, in: NÖ Burgendatenbank (unpubliziert; Institut fur Realienkunde
des Mittelalters und der frühen Neuzeit).
45 V gl. dazu auch: http://www.burgried.at/burgruine/geschichte/ (Zugriff vom 1 5 . 1 .20 16).
95
später durch Pfleger, fassbar.46 Die Kemburg, bestehend aus Ringmauer, keilförmig
zur Angriffsseite gestelltem viereckigem Turm und talseitigern Wohnbau, besitzt
die „Standardausstattung“ einer hochmittelalterlichen Burg (Abb. 7).
Abb. 7: Greifenstein. Luftbild von Süden.
Foto: Luftbildarchiv des Instituts für Urgeschichte und Historische Archäologie (2009)
Insbesondere der Turm kann über die Eckquaderung, die oberhalb des
ehemaligen Anschlusses zur Ringmauer Buckelquader mit breitem Randschlag
aufweist, in das 13. Jahrhundert eingeordnet werden, wobei eine EtTichtung zur
„Blütezeit“ der Buckelquadermode im 2. Viertel des 1 3 . Jahrhunderts wahrscheinlich
ist.47 Buckelquadermauerwerk lässt sich auf dem Gebiet des heutigen
Ostösterreichs insbesondere in der späten Babenbergerzeit, also im Zeitraum der
Regentschaft von Leopold VI. und Friedrich Il. als Landesfürsten fassen; inwieweit
46 Patrick Schicht und Envin Kupfer: Greifenstein – Geschichte, in: NO Burgendatenbank (unpubliziert;
Institut für Realienkunde des Mittelalters und der frühen Neuzeit).
47 Patrick Schicht und Gcrhard Reichhalter: Greifenstein – Lage, Baubeschreibung, in: NO Burgendatenbank
(unpubliziert; Institut flir Realienkunde des Mittelalters und der frühen Neuzeit);
Patrick Schicht: Osrerreichs Kastellburgen des 13. und 14. Jahrhunderts. Wien 2003 (Beiträge
zur Millefalterarchäologie in Oste“eich, Beiheft 5), S. 2 1 7 ; 2. Auflage (Wien 2007), S. 22;
Patrick Schicht: Buckelquader in Osrerreich. Mittelalterliches Mauerwerk als Bedeurungsträger
(Petersberg 2011 ), S. 35 f.
96
die vor allem an Stadtbefestigungen, wie Wien, Hainburg, Wiener Neustadt und
Enns und auf kastellartigen Stadtburgen auftretenden Quader auf die herzogliche
Initiative zurückgeht oder komplexere Entstehungshinterg1iinde besitzt, wird
kontroversiell diskutiert. Weitgehend unbestritten ist aber, dass eine Antikenrezeption
eine wesentliche Motivationsgrundlage fur dieses Phänomen darstellt,
wobei Aspekte der Herrschaftslegitimation hier eine nicht unwesentliche Rolle
spielen dürften.48 Auffällig ist, dass es entlang der Donau eine Reihe von Burgen,
aber auch Kirchenbauten des 1 3 . Jahrhunderts im Passauischen Kontext gibt, die
Buckelquader aufweisen. Gerade im Fall des im Sockelbereich mit Buckelquadem
ausgestatteten Kirchturms der Pfarrkirche von Lorch, Stadtgemeinde Enns, erscheint
angesichts der Bemühungen des Bistums Passau seit dem I 0. Jahrhundert,
über eine fiktive Bischofsreihe von Lorch eine diözesane Kontinuität seit der
Spätantike zu konstruieren, die Deutung als „bauliche Konstruktion von Alteh.rwürdigkeit“
beinahe handgreiflich, sodass ähnliche Motivationen im Fall von Burg
Greifenstein im unmittelbaren Vorfeld des babenbergischen Herrschaftsmittelpunktes
des 1 2./1 3 . Jahrhunderts mit Wien und Klosterneuburg durchaus denkbar
erscheint. 49
Die Bezugnahme auf die Antike bildet die Brücke zu einem weiteren Aspekt
des Burgenbaus im Tullnerfeld: Die Adaption römischer Baureste fur mittelalterliche
Sitze. Sowohl in Mautern an der Donau50 als auch in Zwentendorf51 konnte
archäologisch der Ausbau von Türmen der ehemals spätantiken Kastellmauern zu
Kleinburgen nachgewiesen werden. In Mauern wurde im nahen Umfeld des
späteren Passauischen Verwaltungssitzes und somit als möglicher Vorgängerbau
ein Hufeisenturm durch einen Anbau an der Innenseite und einem vorgelagerten
Graben im (frühen) 1 3 . Jahrhundert von der Siedlung abgesetzt. Die Befunde aus
dem Kastelllager von Zwentendorfstammen von Ausgrabungen der Jahre 1 953 und
1957 und sind dementsprechend mit Vorsicht zu interpretieren. Gesichert ist, dass
ein Fächterturm an der ehemaligen Südostecke des Lagers im Hochmittelalter von
48 Siehe Schicht: Kastellburgen (wie Anm. 47), 8.21 7-222; Schicht: Buckelquader (wie Anm.
47), S. !89-!99; Thomas Kühtreiber: The Medieva/ Town Wall: Sign of Communication and
Demarcation, in: Medium Aevum Quotidianum 2003 (47), S. 50-68.
49 Siehe dazu auch mit ähnlicher Argumentation Schicht: Buckelquader (wie Anm. 47), S. 1 93 .
50 Martin Krenn, Martina Hinterwallner und Doris Schön: KG Mautern, SG Mautern an der Donau,
VB Krems, in: Fundberichte aus Österreich 2005 (44), S. 26 f.; Martin Krenn und Martina
Hinterwallner: KG Maurern, SG Mautern an der Donau, VB Krems, in: Fundberichte aus
Österreich 2006 (45), S. 28 f.
51 Erik Szameit: Der Krollenturm bei Zwentendorf. Über die Weiterverwendung zweier spätantiker
Wehrbauten des Österreichischen Donau/imes im Mittelalter: Zwentendorf und Tu/ln, in:
Burgen der Salierzeit Bd. 2: In den südlichen Landschaften des Reiches, hg. von Horst-Wolfgang
Böhme. Sigmaringen 1 99 1 (Monographien des Römisch-Germanischen Zentralmuseums
Bd. 26/2), S. 377-388.
97
einem ovalen Sohlgraben umgeben, wobei die zeitliche Einordnung an Keramikscherben
aus der Grabensohle, die von Erik Szameit in das I I . bis 1 3 . Jahrhundert
datiert wurden, hängt (Abb. 8 u. 9). Der Autor verweist auf einen weiteren, Befund
aus Tulln, der aber mangels Vorlage an dieser Stelle nur erwähnt werden soll.52
Tulln könnte in der Frage der Adaptierung antiker Limesbefestigungen eine
zentrale Rolle spielen, da dieser 01t seit der Karolingerzeit zentralörtliche Funktion
besaß. Allerdings ist das Areal, an dem sich die landesfurstliche Burg mit hoher
Wahrscheinlichkeit befand, schon im späten 13. Jahrhundert zugunsten eines Doppelklosters
fur Dominikaner und Dominikanerirmen aufgegeben wurde; heute
befindet sich in diesem Bereich das Landeskrankenhaus.53 Die Befunde aus Maulern
und Zwentendorfzeigen aber, dass im Hochmittelalter im Tullnerfeld auch mit
kleinräumigen Turmburgen zu rechnen ist, die über ein multifunktionales Hauptgebäude
nur wenig Platz fur weitere Wohn- und Wirtschaftsbauten innerhalb der
Außenbefestigung boten. Zuletzt soll in diesem Zusammenhang auf einen weiteren
antiken Baukörper mit mittelalterlicher Nachnutzung verwiesen werden, nämlich
auf das antike Kastentor von Zeiselmauer. leiseimauer war spätestens seit dem
späten 1 0. Jahrhundert Mittelpunkt der Passauischen Besitzungen im östlichen
Tullnerfeld, 1 1 84 wird hier ein bischöfliches Palatium genannt, 1 5 10 ist von einem
zerbrochenen schloß die Rede. 54 Das heute noch bis unter die Dachtraufe erhaltene
antike Lagertor wurde den Fensteröffnungen nach zu schließen im 14./15.
Jahrhundert baulich adaptiert, wobei die kleinen Fensteröffnungen auf eine
Nutzung als (Zehent-)Speicher schließen lassen. Dies karm, aber muss kein Beweis
auf die Lage des Bischöflich-Passauischen Verwaltungssitzes sein, zeigt aber, wie
auch fur derartige Zwecke antike Bauten grundherrschaftlich genutzt werden
konnten.
52 Ebda., S. 387 f.
53 Barbara Schedl.· Der König und seine Klosterstiftung in der Stadt Tu/ln. Eine Selbstinszenierung
Rudolfs I. im Herzogtum Österreich. St. Pölten 2004 (Geschichtliche Beilagen zum St.
Pöltner Diözesanb/a/1 Bd. 3 1 = Beiträge zur Kirchengeschichte Österreichs Bd. 14 = Mitleilungen
des heimatkundliehen A rbeitskreises fiir die Stadt und den Bezirk Tu/ln Bd. 20);
Norbert Hirsch und Nikolaus Hofer, Archäologische Untersuchungen auf dem Areal des
ehemaligen Landeskrankenhauses Tulln, NÖ, in: Bericht zu den Ausgrabungen des Vereins
AS!NOE im Projektjahr 2000. Fundberichte aus Österreich 2000 (39), S. 255-273.
54 Markus Jeitler: Zeisebnauer – Geschichte, in: NÖBurgendatenbank (unpubliziert, Institut für
Realienkunde des Mittelalters und der frühen euzeit); Rudolf Büttner: Burgen und Schlösser
an der Donau (Wien ‚ 1 977), S. 1 3 1 f.; Büttner: Burgen und Schlösser 5 (wie Anm. 19), S. 66
u. s. 86 f.
98
Abb. 8: Krottenrurm, KG Zwentendorf. Schematischer Grundriss des Grabungsbefundes.
Aus: Szameit: Krattenturm (wie A.nm. S I ), S. 381, Abb. 02.
Abb. 9: Krottennmn, KG Zwentendorf. Grafischer Rekonstntktionsvorschlag. Aus: Szameit:
Krattenturm (wie Anm. 51), S. 3 8 1 , Abb. 02
Zeiselmauer ve1mittelt zur letzten Gruppe von Herrschafts- und Verwaltungssitzen,
die an dieser Stelle besprochen werden sollen: Baukomplexe, die tmter
99
den Begriffen „Hof‘, „curia“ oder „curtis“ fungieren und in der Regel in Siedlungen
zentralörtlicher Funktion anzutreffen sind. Im Gegensatz zu den klassischen
Burgen sind die Adels- und Klösterhöfe zwar auch durch Mauem oder andere Umhegungen
vom Umfeld abgegrenzt, aber besitzen in der Regel keine ausgeprägten
Befestigungen. Dennoch können diese Anlagen als gleichrangige Objekte neben
den klassischen Bur􀀬en angesehen werden, worauf nicb􀊵. nur frühmittelalterliche
Befunde hinweisen, 5 sondem auch die schriftliche Uberlieferung zur Rolle
derartiger Höfe auch für hochrangige Adelsversamrnlungen.56 Bezeichnenderweise
ist es ja der „Hof‘ der zur Metapher der Residenzbildung und der ,,höfischen
Kultur“ wird, und nicht die Burg. Dem gegenüber fristet die Erforschung dieser
Höfe ein stiefmütterliches Dasein, obgleich gerade in der Region hervorragende
Vertreter dieser Baugattung vorliegen.57 Dazu zählen der „Herzogshof‘ und der
„Passauerhof‘ in Krems an der Donau, das Schloss Oberstockstall (Abb. 1 0) sowie
der ehemalige „Passauerhof‘ in Klostemeuburg. Insbesondere die beiden
„Passauerhöfe“ in Krems und Klostemeuburg zeigen frappante Ähnlichkeiten in
der Baugestalt, wobei das Bauensemble in Krems noch weitgehend erhalten
geblieben ist,58 jenes in Klosterneuburg Dank archäologischer Untersuchungen
weitgehend rekonstruierbar ist (Abb. 1 1 -12):59 Das Hauptgebäude bildet in beiden
Fällen ein zweigeschossiger Saalbau, wobei diese im Gegensatz zu den Saalbauten
auf Burgen über eine große primäre Einfahrt in das Erd- bzw. Kellergeschoß
verfugen. Diese verweisen auf die Doppelfunktion dieser Gebäude als Wirtschaftund
Repräsentationsgebäude, wobei im Fall von Klosterneuburg die Nutzung als
Weinkeller mit Weinpresse und ehemaligen Standspuren von Fässem archäolo-
55 Vgl. aus dem Gebiet der angrenzenden Slowakischen Republik: Alexander Ruttkay: Feudalsitze
und die Struktur der Besiedlung. Beiträge zur Typologie der Beziehungen im Gebiet der
Slowakei, in: Burgen und Siedlungsstntktur. Nitra 2004 ( Castrum Bene Bd. 7), S. 203-241 .
56 Als Beispiel aus dem Gebiet des heutigen Niederösterreich sei auf die curia der Herren von
Sulz (KG Altenburg) verwiesen, wo 1290 Stephan von Maissau urkundend fassbar wird: Thomas
Kühtreiber und Gerhard Reichhalter: Sulz• – Geschichte, in: Daim, Kühlreiber und Kühtreiber:
Burgen Waldviertel- Wachau – Mährisches Thayatal (wie Anm. 26), S. 59 f.
51 Eine Ausnahme stellen die Würdigungen des Forschungsstandes in folgenden Beiträgen dar:
Heike Krause, Gerhard Reichhalter: Der „Perchhof‘ zu Heiligenstadt. Ein klösterlicher Profanbau
und Kleinadelssitz, in: Fundort Wien. Berichte zur Archäologie 2009 ( 12), S. 124-175;
Heike Krause, Gerhard Reich.halter: Der Berghof zu Hei/igenstadt. Ein klösterlicher Profanbau
und Kleinadelssitz, in: Jahrbuch für Landeskunde von Niederösterreich 2001/12 (NF
77/78), S. 95-l 52.
58 Hans Tietze: Österreichsi che Kunsttopographie Bd. 1 : Die Denkmale des politischen Bezirkes
Krems (Wien 1908), S. 232-240; Dehio-Handbuch. Die Kunstdenkmäler Österreichs: Niederösterreich
nördlich der Donau (Wien 1990), S. 559 f.
59 Von der Herren Hof zu Passau. Vom römischen Lagerdorfzum mittelalterlichen Leseho/, hg.
von Johannes-Wolfgang Neugebauer (Klostemeuburg 1 998).
100
gisch zumindest wahrscheinlich gemacht werden konnte.60 An die Saalbauten wurde
in beiden Fällen jeweils ein kleinräumiger Turm angestellt, die wohl zum einen
als herrschaftliche „Marke“ in den jeweiligen Stadttopographien angesehen werden
können, im Kremser Passauerhof auch als privater Rückzugsraum mit Ausblick im
Sinne der sich etablierenden Stubenkulturen gedeutet werden kann. Den Saalbauten
benachbart befinden sich in Krems und Klostemeuburg jeweils ein rechteckiges
und mit Stützpfeilern versehenes Gebäude, das im Kremser Passauerhof als Hofkapelle
(St. Ursula) eindeutig zu identifizieren ist.61 Daran schließen weitere
Wohnbauten an, die in Krems ehemals eine prachtvolle Fassade mit gleichartig
gestalteten Fenstern (zweilichtigen Sprossenfenstem) aut\vies. Sowohl die Ursulakapelle
als auch der Wohnbau im Kremser Passauerhof können kunst- und bauhistorisch
in die Zeit um 1 300 datiert werden, was gut mit der archäologischen Einordnung
der älteren Bauteile in Klosterneuburg in die 2. Hälfte des 1 3 . Bis in das
erste Drittel des 14. Jahrhunderts übereinstimmt.62 Einzig die Datierung des Kremser
Saalbaus nach Dehio „wahrsch. um M. 12. Jh.“ weicht davon deutlich ab, ist
aber nach Autopsie von kurzzeitig freiliegendem Mauerwerk durch den Verf. in
Frage zu stellen.63 Die hier genannten Bauelemente sind auch am „Herzogshof‘ im
Krems erhalten: Der Baukomplex, nach archäologischer und bauhistorischer
Befundung im Zeitraum 1 220/30 geg1ündet, war landesfurstlicher Ve1waltungssitz
in Krems, bevor dieser 1379 an das Stift Lilienfeld verkauft wurde.64 Auch dieser
Hof war, obgleich ursprünglich außerhalb der älteren Stadtbefestigung situiert,
nicht befestigt bzw. der Saalbau durch eine große Toreinfahrt ebenerdig
erschlossen, während hofseilig ein ehemals prachtvolles Stufenportal in den Saal
im Obergeschoß fuhrte. Die stark überprägte Andreaskapelle besitzt im Inneren des
Polygonchores bedeutende Reste des frühgotischen Gewölbes, das ebenfalls eine
60 Johannes Wolfgang Neugebauer, Christine Neugebauer-Maresch und Fritz Preinfalk.: Die
archäologischen Ausgrabungen am Kardinal-Piffl -Platz Nr. 8, in: Neugebauer: Herren Hof
61 (wie Anm. 59), S. 23-32, hier S. 24 f. Für eine Deutung des Klostemeuburger Gebäudes als Kapelle in Analogie zu Krems sprechen
sich bereits Heike Krause und Gerhard Reichhalter aus: Krause und Reichhalter: „Perchhof‘
(wie Arun. 57) S. 170, A.nm. J 1 3 . 62
Siehe dazu: Rudolf Koch: Baugeschichte und Rekonstruktion des spätmittelalterlichen
Lesehojkomplexes, in: Neugebauer: Herren Hof(wie A.nm. 59), S. 65-78.
63 Ausgeprägtes Opus Spicatum-Mauerwerk im Westteil des Saalbaus könnte auch auf eine
zeitliche Einordnung in das frühe 1 3 . Jahrhunder: hindeuten. Auch die Datierung der kleinen
Turmannexe differiert zwischen Krems – 15. Ja.b·hundert, siehe Dehio NÖ Nord (wie Anm.
58, S. 559) und Klosterneuburg – 1 . Drittel 14. Jahrhundert, siehe Koch: Baugeschichte (wie
A.nm. 62), S. 70.
64 Hclga Schönfellner-Lecher: Herzogshof- Geschichte, in: Daim, Kühlreiber und Kühtreiber:
Burgen Waldviertel – Wachau – Mährisches Thayatal (wie A.nm. 26), S. 254; Gerbard
Reichhalter, Patrick Schicht und Thomas Kühtreiber: Herzogshof- Lage, Baubeschreibung,
in: ebda., S. 254-257.
1 0 1
zeitliche Einordnung in das 1 3 . Jahrhundert rechtfertigt, weitere frühe Bauteile
wurden in spätere Wohnbauten entlang der Stadtmauer der 2. Hälfte des 1 3 .
Jahrhunderts integriert. Die Bedeutung von repräsentativen Kapellenbauten der Zeit
um 1300 lassen weitere Verwaltungshöfe der Region erschließen, die in der
Neuzeit z.T. schlossartig ausgebaut wurden, wie das ab dem frühen 14. Jahrhundert
in Passauischem Besitz befindliche Gut Oberstockstall (Abb. I 0), 65 der ebenfalls
Passauische Verwaltungssitz in Mautem66 sowie der mit prachtvollen Wandmalereien
der Zeit um 1 305/10 ausgestaltete Kapelle des Stiftshofs von Göttweig in
Stein an der Donau.67 Auffallig ist an all diesen Kapellen die annähernd gleiche
Baugestalt mit geradem Ostabschluss, dessen Altarbereich nur durch die Gewölbelösung
und – zumindest im Fall der Göttweigerhof-Kapelle – durch entsprechende
Berücksichtigung in der Wandmalerei akzentuiert wird.
Abb. 10: Gut Oberstockstall, MG Kirchberg am Wagram. Luftbild von Osten. Foto:
Luftbildarchiv des Instituts für Urgeschichte und Historische Archäologie (2004).
65 Gerhard Reichhalter, Karin Kühlreiber und Thomas Kühtreiber: Stockstall – Lage, Baubeschreibung,
in: Reichhalter, Kühlreiber und Kühtreiber: Burgen Weinviertel (wie Anm. 7). S.
229-23 1 .
66 Patrick Schicht, Andreas Hermengild Zajic: Mautern – Lage, Baubeschreibung, in: Daim,
Kühlreiber und Kilhtreiber: Burgen Waldviertel- Wachau – Miihrisches Thayatal (wie Anm .
26), s. 324 f.
67 Literaturauswahl: Renate Wagner-Rieger: Die Architektur von Krems und Stein, in: 1000 Jahre
Kunst in Krems, hg. von Harry Kühne! (Krems a. d. Donau 1971), S. 88-130, hier: S. 93 f.;
Elga Lanc: Die minelalterlichen Wandmalereien in Wien und Niederösterreich. Wien 1983
(Corpus der miuelalterlichen Wandmalereien Osteireichs Bd. 1), S. 293-308.
102
Lesehofkomplex des Dom- oder Hochsliftes Possou
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Abb. 1 1 : Klostemeuburg, Passauerhof Gnmdriss der ergrabenen Gebäude. Aus: Koch:
Baugeschich1e (wie Anm. 62), S. 73. A : Saalbau („Chorhof“/“Stainhaus“), B: Kapelle (bei Koch:
Kellergebäude), C: Turm, D: Begrenzungsmauer, E: Arkadenbau, F: Quertrakt
Abb. 1 2 : Klostemeuburg, Passauerhof Grafischer Rekonstruktionsvorschlag.
Aus: Koch: Baugeschichte (wie Anm. 62), S. 72.
103
Dieser Befund findet seine Verstärkung durch ein weiteres Ausstattungsmerkmal,
dass den Großen Passauerhof von Stein an der Donau mit jenem von
Klosterneuburg verbindet: Aus beiden Komplexen stammen figural reliefierte
Bodenfliesen, die im Fall von Klosterneuburg ehemals den Boden des Saalbaus
bedeckten 68 Einige der Motive beider Passauerhöfe stammen eindeutig aus
derselben Modelprägung, sodass fur die Zeit um 1300 mit einer gemeinsamen
Belieferung dieser Höfe ausgegangen werden kann.69 Die überwiegend zoomorphen,
bisweilen als Fabelwesen gestalteten Motive zeigen starke Übereinstimmungen
mit zeitgenössischen Physiologus-Handschriften bzw. aus diesen abgeleiteten
bildliehen Darstellungen und kötmen als christlich ausgedeuteter Kampf von Gut
und Böse interpretiert werden.70 Möglicherweise bildeten diese gemeinsam mit
anderen Ausstattungselementen, wie Wandmalereien, Teppichen und anderen
Wandtextilien multimediale Programme; darauf deuten die schlecht erhaltenen
Wandmedaillons an der ehemaligen Westwand des Erdgeschoßes im Kremser
Passauerhof hin, die ebenfalls in das frühe 14. Jahrhundert datiert werden und ausgewählte
Äsopfabeln thematisieren, d.h. wiederum moralisierende Inhalte über
Tiere transportieren. 71
Aus diesen Betrachtungen wird bewusst die so genannte „Gozzoburg“ ausgeklammert,
da nach derzeitigem Forschungsstand weder klar ist, ob es sich im 1 3 .
Jahrhundert um einen zusanunengehörenden Baukomplex handelt, noch, wer denn
tatsächlich als Bauherr fur die einzelnen Bauteile und deren Ausstattung verantwottlich
zeichnet.72 Es sei nur darauf verwiesen, dass es sich bei diesem Bauen-
68 Johannes-Wolfgang Neugebauer und Christine Neugebauer-Maresch: Zum figuralverzierten
Fliesenboden der Kapelle des Lesehofes, in: Neugebauer: Herren Hof (wie Anm. 59), S. 93-
1 3 1 .
69 Ebda., S . 105 f.; zu den Bodenfliesen aus dem Großen Passauerhof i n Stein an der Donau
siehe: Gertrud Blaschitz: Figural verzierte Bodenfliesen aus der Zeit um 1300, in: Archäologie
Österreichs Sonderausgabe 1995, S. 57-63; Gertrud Blasehitz und Martin Krenn: Bodenfliesen
als Ornament und Symbol. Ein interdisziplinärer Versuch zur millelalter/ichen Bedeutungsforschung,
in: Fundberichte aus Österreich 1994 (33), S. 81-108; dies.: Millelalterliche
Bodenfliesen als Ornament und Symbol. Ein Beitrag zum Themenbereich Alltag und materielle
Kultur des Spätmittelalters, in: 1000 Jahre Krems, hg. von Willibald Rosner. St. Pötten 2004
(Studien und Forschungen aus dem NÖ lnstitutfor Landeskunde Bd. 24), S. 270-323.
70 Ebda.
71 Der Bildzyklus fand an der Südseite bezeichnenderweise in Physiologus-Motiven seine Fortsetzung
(nicht mehr erhalten), vgl. Tietze: Kunst/opagraphie (wie Anm. 58); Elisabeth Vavra:
Ein früher Beleg for die Darstellung von Tierfabeln in der mittelalterlichen Monumentalmalerei
Österreichs. Der Freskenzyklus im Passauer Hof zu Krems, in: Mitleilungen des
Kremser Stadtarchivs 1 9 8 1/82 (21/22), S. 1-20; Lanc: Wandmalereien (wie Anm. 67), S. 138
f.
72 Zur kontroversen Bewerrung siehe als Auswahl mit Fokus auf die Bau- und Besitzgeschichte:
Günter Buchinger et al.: Gozzoburg – Stand der Dinge (Horn-Wien 2007); Günther
104
semble auf keinen Fall um eine „Burg“ handelt, sondern am ehesten um einen
Stadthof oder eine Stadtvogtei – eine Bezeichnung, die bislang nur in der deutschen
Forschung Eingang gefunden hat.73 Unabhängig von dieser Frage spielt die
„Gozzoburg“ in ihrer Baugestalt und ihrer herausragenden Ausstattung eine zentrale
Rolle für den hier besprochenen Raum, der in diesem Band an anderer Stelle
gewürdigt wird 74 Damit wird aber einmal mehr auf die Bedeutung der herrschaftlichen
„Höfe“ und Häuser“ als Orte des kulturellen Austausches deutlich: Gerade
entlang der Donau häufen sich nicht zufallig klösterliche und adelige Sitze und
Höfe, die nicht als Befestigungsanlagen anzusehen sind, sondern als Stützpunkte
dieser Eliten in einem sowohl wirtschaftlich als auch flir den kulturellen Austausch
zentralen Raum Mitteleuropas. Dass diese nicht nur auf Städte beschränkt sind,
zeigt das Beispiel von Oberstockstall, weitere sind im unmittelbaren Hinterland der
Wachau zu finden.75 Mit der Kombination aus Saalbau flir semi-öffentliche
Begegnungsstätten, Kapellen und Wohnräumen verfügten viele dieser Höfe über all
jene Infrastmktur, auf die adelige und geistliche Eliten wohl auf ihren Reisen
zurückgreifen wollten und die genau dadurch den Austausch zwischen regionaler
und überregionalen Kulturträgem ermöglichten. Im Gegensatz zu den Höhenburgen
lagen sie oftmals verkehrsgünstiger, wenngleich, wie oben ausgeführt, auch Erstere
klare topographische Bezüge zum regionalen Verkehrsnetz erkennen lassen.
Jedenfalls kann erst unter Berücksichtigtmg beider Phänomene von „Sitzen“ ein
dem Facettenreichtun1 mittelalterlicher „Begegnungsorte“ angenähertes Bild
entworfen werden. Dafür möge dieser Text einen kleinen Beitrag leisten.
Buchinger, Paul Mitchell, Doris Schön, Helga Schönfellner-Lechner: Die Baugeschichte der
domus Gozzonis zu Krems an der Donau. Das Haus eines Stadtrichters aus dem I 3.
Jahrhundert, in: Burgen und Schlösser. Zeitschrift fiir Burgenforschung und Denkmalpflege
2008 (49/4), S. 228-235; Ernst Englisch: Gozzo und die “ Gozzoburg „. Fragen auf eine
Antwort (Krems 2009); Thomas Kühtreiber, Gerhard Reichhalter und Patrick Schicht:
Gozzoburg – Lage, Baubeschreibung, in: Burgen Waldviertel – Wachau – Mährisches
Thayatal (wie Anm. 26), S. 249-254.
73 Vgl. Mathias Untermann: Handbuch der mittelallerliehen Architektur (Darmstadt 2009), S.
199-201 .
74 Siehe den Beitrag von Kar! Brunner in diesem Band.
75 Als gut erhaltene Beispiele des 13./14. Jahrhunderts sei pars pro toto auf den Hof Altrehberg
Nr. 4 (Thomas Kühtreiber und Gerhard Reichhalter, Rehberg 1/, in: Daim, Kühlreiber und
Kühtreiber: Burgen Waldviertel – Wachau – Mährisches Thayatal (wie Anm. 26), S. 260 f.)
und auf den Sitz „Gießhübl“ am Jauerling (Gerhard Reichhalter: Gießhübl, in: ebda., S. 3 1 8 f.)
verwiesen.
105
Die mittelalterlichen Wandmalereien in der
Kirche von Winkl, Gemeinde Kirchberg am Wagram:
Zusammenfassung eines Restaurationsberichtes
Josef Voithofer
Die Filialkirche St. Nikolaus in Wink!, Gemeinde Kirchberg am Wagram (NÖ)
befindet sich am südlichen Ottsausgang des Dorfes und ist von einem Graben
umgeben. Die heutige äußere Erscheinung wird vom klassizistischen Turm und
anderen Umbauten des 1 9. Jahrhunderts bestimmt, der Hauptbestand ist jedoch
mittelalterlich.
Aufgnmd ihres unüblichen Grundrisses gab die Kirche Anlass zu
verschiedenen Vermutungen. Unter anderem schien möglich, dass Teile der
verfallenen Burg der Herren von Wink!, einem im Mittelalter dort ansässigen
Adelsgeschlecht, noch in der Kirche enthalten sind. Zur Klämng dieser Frage
führten Fachleute im September 2003 eine Besichtigung der Kirche durch. Bei
der Begehung des Dachraumes des nördlichen Seitenschiffes wurde auf der
ehemaligen Langhausaußenwand eine Malerei mit fast lebensgroßen Figuren
entdeckt‘ . Diese waren Bestandteil eines mittelalterlichen Bildprogramms auf
der Fassade der Kirche. Die Darstellung, deren Entstehungszeit ca. Anfang des
13. Jahrhw1detts angenommen wird, zeigt den Sündenfall mit Adam und Eva
und daneben einen zunächst unbekannten Reiter.
Die Malerei v.’llrde im Zuge einer Diplomarbeit an der Akademie der
Bildenden Künste Wien, Institut fllr Konservierung-Restaurierung, bearbeitet. 2
Der vorliegende Artikel stellt einen Auszug des schriftlichen Teils der Arbeit
1 Malerei entdeckt durch Begehung des Dachraums von MMag. Ronald Woldron: Wolfgang
Baatz, Günter Marian, Claudia Riff-Podgorschek und Ronald Woldron: Die neu entdeckten
romanischen Wandmalereien in der Filialkirche Hf. Nikolaus in Winkt, in: Unsere Heimat
2004 (75/1), S. 63-65.
2 Josef Voithofer, Konservierung-Restaurierung einer romanischen Kalkseccomalerei: Sündenfall
und Fragment einer zweiten Darstellung, um 1200, Gemeindekirche Winkt/ Gemeinde
Kirchberg am Wagram, NÖ, Diplomarbeit, Akademie der Bildenden Künste Wien,
Studienrichtung Konservierung/Restaurierung, Betreuer Univ. Prof. DI Wolfgang Baatz
(Wien 2005).
106
dar, wobei der Fokus auf die Erkenntnisse aus den Untersuchungen, welche
Aufschluss über die ursp1ilngliche Gestaltung und den Bildinhalt geben, gelegt
wird. Die konservatorischlrestauratorischen Arbeiten der Diplomarbeit werden
zum Schluss kurz zusammengefasst.
Baugeschichte der Kirche3
Die heute bestehende Kirche ist das Ergebnis zahlreicher Veränderungen eines
in den Ursprüngen romanischen Baukörpers (Abb. 1). In Bauphase 1 (um 1 1 60-
1200) wurde das romanische Langhaus errichtet. Die Länge betrug ursprünglich
wahrscheinlich das Doppelte des heute annähernd quadratischen Bauteiles.4 Das
romanische Langhaus war in seiner ersten Phase unverputzt und in „Pietra rasa“5
gestaltet. An Fehlstellen des später aufgetragenen Putzes im Bereich des Malereibildfeldes
sind an der nordöstlichen Ecke des Langhauses die ursprünglich
mit Kellenstrich akzentuierten Eckquader sichtbar. Die Datierung erfolgte aufgrund
der regelmäßigen Steinlagen des an dieser Stelle offen sichtbaren
Mauerwerks. Das Langhaus war innen glatt verputzt und mit einer Flachdecke
versehen. Als Ostabschluss wird eine Rundapsis vermutet.
In der zweiten, romanischen Bauphase (um 1200- 1230) wurde die Kirche
zu einer so genannten vollständigen Anlage – mit Chorquadrat und Rundapsis –
erweitert. Der erweiterte Chor wurde mit Teilen des bereits vorhandenen Langhauses
verputzt und mehrmals getüncht. Die Malereien der nördlichen Langhausaußenwand
sind in diese Bauphase zu datieren. Die Bemalung erfolgte
jedoch nicht sofort, sondern erst, nachdem der Putzuntergrund bereits einige Zeit
lediglich weiß gefasst bestanden hatte. Ob und in welchem Ausmaß die Bemalung
der Außenfassade auch andere Teile der Kirche umfasste, kann heute nicht
mehr ermittelt werden.
ln einer dritten Phase (um 1 250) erfolgte ein Anbau an der Nordseite des
Langhauses: Das nördliche Seitenschiff des heutigen Langhauses teilt sich in
zwei Baukörper. Der östliche fungie11e möglicherweise als Stifterkapelle oder
Sakristei.6
3 Basierend auf mündlichen Auskünften und dem unveröffentlichten Untersuchungsbericht
zur Bauforschung von Ronald Woldron: Filialkirche Wink/ – Die Bauphasen im Dachraum
des Nördlichen Seitenschiffs (Dezember 2004).
4 Urkundlich nicht mehr nachvollziehbar; möglicherweise wurden dieser Abbruch bzw. der
verkürzte Wiederaufbau durch Schäden, die von einem Brand oder einem Erdbeben verursacht
wurden, notwendig.
5 Pietra Rasa bedeutet ,.Verstrichener Stein“. Der beim Aufmauem herausquellende Setzmörtel
des Mauerwerks oder ein eigens dafür aufgetragener Fugenmörtel wird teilweise über
den Stein verstrichen und geglättet. Danach wird mit der Kelle ein Fugenstrich gezogen
bzw. eingedrückt, und dadurch ein mehr oder minder geradliniges Fugennetzbild erzeugt.
6 Eine genaue zeitliche Bestinunung dieser Kapelle bzw. ihrer Funktion kann aus Ermangelung
an Befundstellen nicht erfolgen. Eine im Dachraum sichtbare Putzgrenze zur späteren
Enveiterung des Chors weist aber darauf hin, dass dieser Anbau davor bereits bestanden
1 0 7
Abb. 1 : Winkt, St. Nikolaus: Baualtersplan
(Entwurf und Ausfühnmg: Ronald Woldron 2004).
hatte. Die ostseitige Nische zur heutigen Sakristei hin und ein kleiner Strebepfeiler auf der
Nordseite könnten als Rest einer Apsis der ehen:aligen Kapelle gedeutet werden.
108
Um 1 300- 1 330 wurde der Ostabschluss der Kirche zu einem zweijochigen
Chor mit Kreuzrippengewölbe verlängert (Bauphase 4). Das Chorquadrat wurde
dabei überbaut. Im Dachraum der Stifterkapelle ist dies in Form eines Vorsprungs
des etwas dickeren romanischen Mauerwerks, auf dem die gotische Erhöhung
aufbaut, gut sichtbar. Die Sakristei an der Nordseite des Chors dürfte
spätgotisch und erst im 1 5. oder zu Beginn des 1 6. Jahrhunderts angebaut worden
sein.
Durch nicht bekannte Ereignisse wurde im 1 5 . oder 1 6. Jahrhw1dett ein
Wiederaufbau des Langhauses notwendig, die ursprünglichen Ausmaße vrorden
dabei aber nicht wiederhergestellt (Bauphase 5). Als mögliche Ursachen sind
beispielsweise ein Brand7 oder ein Erdbeben, die an der Kirche schwere Schäden
verursachten, denkbar. Ein weiterer Baukörper dieser Phase ist vermutlich
das nördliche Seitenschiff. Die zu diesem Zeitpunkt sowohl durch Bewitterung
als auch die Auswirkungen der Ursache des Abbruches des Langhauses bereits
beschädigte Malerei wurde vom Dach dieses Neuanbaus verdeckt. Heute sind
die Stifterkapelle w1d dieses Seitenschiff unter einem durchgehenden Dach vereint
und vermitteln von außen den Eindruck eines zusammengehörenden Baukörpers
8
Im 1 9. Jh. erfolgte eine heute vor allem außen sichtbare Änderw1g der
Kirche (Bauphase 6). Der Westturm wurde errichtet, die Zinnengiebel und
profilierten Traufgesimse aufgesetzt, sämtliche Außenwände erhöht, und die
gesamte Kirche neu gedeckt. Innen erfolgte der Austausch der flachen Decken
des Seitenschiffes und des Langhauses durch ein .Kreuzgt·at- bzw. ein
Kreuzrippengewölbe. Gleichzeitig entstanden die Empore und der überwölbte
Aufgang, welcher vom Seitenschiffraum durch eine Mauer abgetrennt ist. Über
eine kleine Luke in dieser Trennwand war der Dachraum des Seitenschiffes
erreichbar.
Die romanischen Wandmalereien
Lage und Bestand
Die Malerei befindet sich auf der Nordseite der Kirche, im Dachraum des später
angebauten Seitenschiffes (Abb. 2). Dort ist auf einer Fläche von 2,5 x 5,5m ein
Fragment des ehemaligen mittelalterlichen Außenwandputzes mit Malerei des
1 3 . Jahrhunderts erhalten geblieben. In fast lebensgroßen Figuren ist der
Sündenfall und rechts daneben ein Reiter im Galopp dargestellt. Der Putz und
damit auch die Malerei sind zwar im Zuge mehrerer baulicher Eingriffe reduziert
worden, durch die Lage im Dachraum kam es aber weder zu einer Übe-
7 Die an der Malerei vorherrschende Farbigkeit sowie eine teilweise Brandrötung der Putze
weisen deutlich auf den Einfluss großer Hitze hin.
8 Die dadurch eigentlich fälschliehe Bezeichnung „Seitenschiff‘ wird aber beibehalten.
109
rputzlillg noch zu einer Übertünchung. Als einzige spätere Veränderung der
Malerei sind Kritzeleien am Kopf Adams festzuhalten, sie stammen wahrscheinlich
von Handwerkern, die beim Umbau der Kirche im 1 9 . Jahrhundert mitwirkten.
9 In Anbetracht der Tatsache, dass die Malerei auf der nordseitigen Außenwand
der Kirche in Secco-Technik 1 0 ausgeführt wurde, kann aber, besonders bei
der Szene Sündenfall, von einem guten Erhaltungszustand gesprochen werden.
Abb. 2 : Wink!, St. Nikolaus: Lage der Wandmalereien (Foto und Bearbeitung: Verfasser)
Darstellung
Sündenfall (Abb. 3)
Adam und Eva stehen auf einem welligen Untergmnd zu beiden Seiten (Eva
ikonographisch rechts, Adam ikonographisch links) eines Baumes, um den sich
eine Schlange nach oben windet. Sie sind einander leicht zugewendet, wobei die
Füße seitlich und die Oberkörper von vorne gezeigt werden. Eva ist etwas nach
hinten geneigt und hat den rechten Fuß nach vorne gesetzt. Der soeben erhaltene
Apfel wird elegant mit den Fingerspitzen gehalten. Die Beine sind von der Seite
gezeigt, der Oberkörper ist leicht gedreht und von vorne zusehen.
9 Mit dünnen schwarzen Linien (Kohlestift) wurden Augen und Nase nachgezogen und ein
Schnurrbart sowie eine lange Pfeife mit Rauchwolke hinzugefugt. 10
Im Vergleich zur Fresco-Technik ist die Malerei aufder trockenen Wand (Secco) weit weniger
verwitterungsresistent
1 1 0
Abb. 3: Wink!, St. Nikolaus: Sündenfall (Fo;o: Peter Böttcher!IMAREAL, 2 0 1 5)
Adam hingegen wirkt statisch – seine Beine sind seitlich nebeneinander
und der Oberkörper aufrecht. Auch er hält mit den Fingerspitzen einen Apfel.
Adams Oberschenkel und Gesäß sind durch das Nebeneinanderstellen der Beine
in Seitenansicht um einiges breiter als der fast frontal gezeigte Oberkörper.
Diese Besonderheit in der Körperdarstellung findet sich bei Eva, die durch das
Ausschreiten den hinteren Oberschenkel verdeckt, nicht. Bei beiden Figuren ist
aber eine überproportionale Länge der Beine festzustellen.
Beide Figuren sind nackt und bedecken ihre Scham mit einem dreilappigen
Blatt, das mit der jeweils freien Hand gehalten wird. In der Darstellung sind
also mehrere nacheinander ablaufende Ereignisse gleichzeitig gezeigt. 11 Adam
1 1 Lexikon der Christlichen Ikonografie (LC/), Allgemei11e Ikonografie Bd. 4 ( Herder 1971 ),
S. 3 2 1 ; eine symmetrische Darstellung des Sündenfalles – Adam und Eva rechts und links
1 1 1
trägt einen Backenba1t, der in einem doppelten Spitzba1t endet und lange Haare,
die bis zu den Ohren reichen. Sein Gesicht wurde zwar durch die Kritzeleien
späterer Zeit leicht verunklärt, auffallend sind aber die typisch romanischen,
roten Wangenkreise und die Einteilung des Gesichts mit tropfenförmigelliptischen
Mustem. Neben dem nicht mehr erhaltenen Kopf Evas gibt es einige
gewellte Linien – Reste einer wahrscheinlich lockigen Haartracht.
Die Schlange auf dem Baum zwischen Adam und Eva hat gewellte
Konturen und helle Punkte auf dem gesamten Körper, die vielleicht die raue
Haut eines drachenähnlichen Wesens symbolisieren. Ab dem 12. Jahrhundert
wurde die Schlange oft mit menschlichem Kopf bzw. Oberkörper (Spiegelbild
der Eva) gemalt. Der Kopf der Schlange in Wink! ist zwar fast vollständig
verloren, anhand der erhaltenen Schnauze kann aber eine Schlange mit Menschenkopf
ausgeschlossen werden.
Die Szene ist links und rechts von je einem Baum mit verschiedenen
Blattformen begrenzt. l m Hintergrund sind auf dem Boden Reste von Blumen
erhalten. Auf dem Baum der die Szene nach rechts zum Reiter hin abgrenzt
befinden sich zwei Vögel: Einer sitzt auf dem Ast, während der andere – mit
geöffneten Flügeln im Profil dargestellt – im Begriff ist, wegzufliegen.
Der Reiter (Abb. 4)
Aus Betrachterperspektive rechts neben dem Sündenfall schließt die Darstellung
eines Reiters im Galopp an. Diese Szene ist stark verwitte1t und teilweise sehr
schwer les- bzw. interpretierbar. Das Pferd läuft nach ikonographisch links, weg
von der Sündenfallszene. Seine Hinterbeine sind in der Luft nach hinten
gestreckt. Die Vorderbeine sind durch den Durchbmch des Gewölbeaufgangs
nicht mehr erhalten. Das Pferd ist geschmückt, das Zaumzeug und die Zügel
sind mit Pferdegeschirranhängem versehen und der Sattel bzw. die Satteldecke
weist zwei breite dlmkle Streifen auf2, die über die gesamte Breite des Pferdes
reichen.
neben dem Baum der Erkenntnis – ist typisch fur das Mittelalter, kommt aber bereits in den
friihesten Darstellungen des 3./4. Jhs. vor: ,.Der Sündenfall ist stets bereits erfolgt, detm die
Verhüllung der Scham mit Blättern weist auf die Folgen der Sünde hin.“ (ebda.). 12
Die heutige Farbigkeit ist das Resultat einer Pigmentveränderung.
1 12
Abb. 4: Winkt, St. Nikolaus: Reiterszene (Foto: Peter BöttcherllMAREAL, 20 15).
Der Reiter sitzt aufrecht und hält mit der rechten Hand die Zügel, während
er mit der linken etwas wie schützend an seine Bmst drückt. Werden einige
Malereireste als Haare interpretiett, so ist es denkbar, dass es sich dabei um eine
Person handelt. Diese ist in ein langes Tuch oder Gewand gehüllt, dessen Enden
durch den Galopp nach hinten weg flanem. Unter der rechten Hand scheint der
Reiter einen nicht näher deutbaren Gegenstand, möglicherweise ein Teil seiner
Bewaffnung, geklemmt zu haben.
Der Kopfund die Schulter des Reiters sind bereichsweise bis zur obersten
Malschicht erhalten, der restliche Körper ist allerdings stark reduziert und deshalb
schwer lesbar. Gut erkennbar ist aber, dass der Reiter langes, lockiges Haar
und einen Sclmurr- sowie Vollbart trägt und sämtliche sichtbaren Körperteile
(Schulter, rechter Arm, rechtes Bein) unbekleidet zu sein scheinen. Der Reiter
wurde also möglicherweise nackt oder zwnindest kaum bekleidet dargestellt. Im
Normallicht nur mehr schwer erkennbar ist außerdem ein Pfeil oberhalb der
1 1 3
rechten Ferse. Im UV-Licht sind die Pfeilspitze und ein kurzer Schaft deutlich
sichtbar (Abb. 5). Der Pfeil zeigt nach hinten, aufgrund der fehlenden Malschichten
kann allerdings nicht eindeutig bestimmt werden, ob es sich dabei eher
um einen Stachelsporn (der Körper bzw. der Fuß erscheint allerdings ansonsten
unbekleidet) oder vielleicht einen im Fuß steckenden Pfeil von einem Kampf
bzw. einer Verfolgung handelt.
Abb. 5: Wink!, St. Nikolaus: „Pfeil“ im Bereich der rechten Ferse des Reiters
(Foto: Verfasser)
Ausführung Putz- und Maltechnik
Die Malerei wurde auf einem bereits bestehenden und vetwitterten Untergrund
(Putz und Kalktünchen) ausgeführt. Der Arbeitsprozess folgt der zeitüblichen
Vorgehensweise mit einer Unterzeichnung – dem Grobentwurf der Darstellung
– und dem Anlegen der einzelnen Farbbereiche mit flächigen Lokaltönen. Die
Binnenzeichnung erfolgte darauf mit linienat1igen Schattierungen, wobei Körperteile
wie Bauch und Arme stark stilisiet1 und eher grafisch wiedergeben werden,
die Muskelpartien tropfenförmig betont und Körperflächen mit dunklen und
hellen Linien gefüllt werden. Alle Figuren und Elemente der Darstellung wurden
abschließend mit einer kräftigen Außenkontur begrenzt und vereinzelt – wie
bei der Schlange – weiße Kalkpwlktc aufgesetzt.
Folgende Besonderheiten der Winkler Malerei wurden im Zuge der Untersuchung
festgestellt:
• Putzergänzungen: Direkt vor dem Beginn des Malprozesses wurden an
zwei Fehlstellen in der Putzschicht, die vermutlich durch die Entfernung
1 1 4
von Strebebalken eines Vordaches entstanden waren, Putzergänzungen
durchgeführt. Die rundlichen Kittungen befinden sich im Bereich von
Evas rechtem Unterschenkels und etwa l ,5 m rechts daneben, in der
unhernalten Mitte des Bildes. In ersterem ist die einzige Ritzung der
gesamten Malerei zu finden – der Umriss von Evas Unterschenkel. Die
Malerei ist an dieser Stelle durch die Freskobindung gut erhalten
geblieben und im Vergleich mit der restlichen Malerei kaum abgewittert.
• Unterzeichnung: Die Form der Darstellung wird mit der Unterzeichnung
mehr oder weniger detailliert festgelegt. Diese wird im Werkprozess von
späteren Schichten überdeckt und erst durch deren Abwitterung wieder
teilweise sichtbar. Beim Bild „Sündenfall“ erfolgte zunächst der Entwurf
mit dünnen schwarzen Linien, die skizzierend neben einander gesetzt
wurden. So scheint es beispielsweise, dass besonders für den linken Ann
und die Beine Evas mehrere Versuche zur Findung der endgültigen Form
notwendig waren. Diese schwarzen Striche sind auch bei der Reiterszene
im flattemden Stoff zu finden, zusätzlich wurde aber hier anscheinend in
einem ersten Schritt die Position und ungefähre Form des Pferdes mit
einer durchgehenden dünnen hellroten Linie markiert.
Nach der Skizze wurden sowohl Umrisse als auch bereits einige
Details mit dunkelroten Pinselstlichen festgelegt. Durch den Verlust
darüber liegender Malschichten ist diese Unterzeichnung besonders i m
Bereich „Reiter und Pferd“ der einzige Anhaltspunkt für die ursprüngliche
Form der Darstellung, das Aussehen der Malerei nach der Fertigstellung
ist in diesem Fall nicht mehr ennittelbar. Da aber bereits die Unterzeichnung
viele Details aufWeist, kann angenommen werden, dass die Ausführung
ähnlich sorgfaltig wie Partien mit noch vollständig erhaltenem Malschichtaufbau
(Bsp. Gesicht Adams) erfolgte.
• Originale Korrekturen : Anhand der freiliegenden Unterzeichnung können
zusätzliche Erkenntnisse über den Maler gewonnen werden. So wurde die
Unterzeichnung in der Reiterszene mehrmals modifiziert – dies betrifft
den Oberkörper mit der Handhaltung und vor allem den Entwurf des Pferdekopfes
mit Zaumzeug, der mehnnals geändert wurde. (Abb. 6)
Zusätzlich sind auch noch im späteren Arbeitsprozess Kon·ekturen vorgenommen
worden – sogenannte Pentimenti, bei denen vom Maler nicht für passend
befundene Bereiche dmch das Überstreichen mit Kalkschlämme und/oder der
entsprechenden Malschicht der Umgebung wieder abgedeckt werden. Betreffende
Stellen finden sich in beiden Szenen (Bsp. Ändemng bei Adams Finger), eine
Korrektm ist aber neuerlich in der Reiterszene besonders auffällig: Der Rumpf
des Pferdes wurde deutlich länger und schmäler als ursprünglich geplant ausgeführt.
1 1 5
Abb. 6: Wink!, St. Nikolaus: Vorzeichnungen im Bereicb des Pferdekopfes
(Foto und Bearbeitung: Verfasser).
Farbigkeit der Darstellung
Die Farbpalette der Malereien in Wink! ist auf rötliche und braune bis schwarze
Töne beschränkt. Nachweisbare Pigmente sind neben Kalk, Eisen- (gelber und
roter Ocker, Siena bzw. Umbra) und Bleipigmente (Mennige, ev. Bleigelb und –
weiß), welche in verschiedenen Mischungen zur Anwendung kamen. Bereiche
mit übenviegend bleibältigen Partikeln sind durch unterschiedliche Einwirkungen
verbräunt und entsprechen nicht mehr ihrer originalen Erscheinung. Die
ursprüngliche Farbigkeit der Darstellung ist aufgrund der Pigmentveränderungen
nichtmehr nachvollziehbar. Es kann jedoch angenommen werden, dass neben
Rot zumindest Gelb, Grün und Schwarz sowie andere bunte Farben
verwendet wurden.
Hohe Temperaturen hätten Einfluss auf alle in der Malerei
nachgewiesenen und vermuteten Materialien gehabt. GJiine Erde, gelber Ocker,
Bleiweiß oder Bleigelb (falls vorbanden) wären zu rotem Ocker bzw. Mennige
gerötet worden. Die Verbräunung bzw. die Verschwärzung der Bleipigmentschichten
hätte sich hingegen auch ohne die Einwirkung von Hitze vollziehen
können. Die Verursachung des heutigen relativ monochromen Erscheinungs-
1 1 6
bildes der Malerei dmch einen Brand kann somit zwar nicht eindeutig bewiesen
werden, bleibt aber als starke Vermutung bestehen. Als Bindemittel wurde im
Inkamat Kalk, in anderen Malereibereichen wahrscheinlich zusätzlich bzw.
gänzlich ein organisches Bindemittel verwendet.
Zusammenhang Sündenfall und Reiter
Sündenfall und Reiter sind als getrennte Szenen angelegt. Dafur spricht zunächst
die Komposition der beiden Malereien. Das Gelände, auf dem Adam und Eva
stehen, endet gleich hinter dem Baum, der die Szene nach rechts hin abgrenzt.
Unter dem Pferd des Reiters hingegen ist keinerlei Boden sichtbar. Weitere
Einzelszenen könnten somit auch auf der übrigen, heute nicht mehr erhaltenen
Langhauswand oder auch anderen Teilen der Kirche ausgefuhrt gewesen sein.
Vergleiche der beiden Szenen sind aufgrund der starken Verwitterung der
Reiterdarstellung nur bedingt möglich. Auffällig ist aber der stark voneinander
abweichende Erhaltungszustand, der verschiedene Malweisen vermuten lässt.
Bei den materialanalytischen Untersuchungen sind jedoch keine Unterschiede
hinsichtlich des verwendeten Materials oder des Schichtenaufbaus festgestellt
worden, die beiden Szenen sind somit gleichzeitig entstanden. Als Vermutung
sei hier die Möglichkeit erwähnt, dass die beiden Szenen von verschiedenen
Künstlern ausgefi.ihrt wurden. Diese hätten zwar gleichzeitig und mit demselben
Material, jedoch in leicht unterschiedlicher Weise gearbeitet, wobei aber
zumindest die beiden Männerköpfe (Adam und Reiter) von einer Hand stammen
dürften. Diese Erklärung wird auch dadurch unterstützt, dass der Entwurf der
Reiterszene um einiges großzügiger erfolgte als beim Sündenfall, wodurch auch
die relativ großflächige Ausbesserung im Bereich des Pferderückens und die
mehrmaligen Versuche bei der Unterzeichnung notwendig waren.
Konservierung/Restaurierung
Die durchgeführten Arbeiten werden lediglich kurz zusammengefasst, die
Veränderungen sind anhand der Aufnahmen vor und nach den Eingriffen
nachvollziehbar.
Zustand
Die meisten vorhandenen Schäden sind auf die W ittemngseinflüsse während der
Zeit, als die Malerei noch nicht durch den Zubau geschützt war, und die baulichen
Veränderungen der Kirche zurückzuftihren. Für den Putz betrifft dies die
Fragmentiemng des Bestandes, Risse und Hohllagen, die Auswitterung der
Putzoberfläche sowie mechanische Beschädigungen. Der gesamte originale
Malschichtaufbau ist nur noch in wenigen Bereichen, v. a. in der Szene
Sündenfall vorhanden, ansonsten zeigt sich der Malereibestand in unterschied-
1 17
lieh starkem Ausmaß geschwächt und teilweise inklusive der Tünchen als Malgrund
bis auf die Putzoberfläche reduziert, v. a. in der Reiterszene sind fast nur
mehr die Unterzeichnung und getinge Reste des w·sprünglichen Schichtenaufbaus
erhalten. Weitere Schäden waren eine starke Verschmutzung der Oberfläche
und ein vollflächiger Bewuchs durch rosa Bakterien sowie Kritzeleien am
Kopf Adams, welcher mit Schnurrbart, Pfeife und Rauchwolke versehen
wurde.13
Konzept und Maßnahmen
Als Restaurierziel wurde in Abstimmung mit dem Bundesdenkrnalamt14 die
Konservierung des Bestandes (Putz- und Malschicht) und eine fragmentarische
Präsentation mit der Beruhigung des Gesamteindrucks durch geringfügige
Retusche festgelegt. Zur Verbesserung der Begehbarkeit des Dachraums wurde
in Zusammenarbeit mit der Bevölkerung von Winkl 15 der Zugang vergrößert,
der Dachstuhl erneuert tmd dabei der Dachansatz höher gesetzt.
Die durchgeführten Maßnahmen beinhalteten: Konservatorische Maßnahmen
wie Putz- und Malschichtfestigung, das Schließen von Rissen und Putzfehlstellen,
eine Reinigung der Oberfläche inklusive der Entfernung der Kritzeleien
und der Behandlung des Bakterienbevrochses.
Für die Präsentation wurde eine sehr zurückhaltende Retusche ausgeführt,
die sich auf das Abtönen von im Gesamteindruck zu hellen Fehlstellen mit
Graulasuren beschränkte. Durch die Reinigung und Retusche konnte in allen Bereichen
eine maßgeblich verbesserte Lesbarkeit der Darstellung erreicht werden.
13 Diese Graffinis wurden vennutlich von Arbeitern im Zuge des Umbaus im 1 9 . Jahrhundert
angebracht.
14 Landeskonservatorat fur Niederösterreicb, DI Franz Beicht.
15 Vor allem Ortsvorsteher Farn. Berthiller.
1 1 8
Antike Helden in der hochmittelalterlichen Kleinkunst
Alexandra Hylla
Das gesamte Kunstschaffen des 1 2. Jahrhunderts war geprägt von einer verstärkten
Auseinandersetzung mit antiken Themen. Nicht zuletzt die Krise
zwischen regnum und sacerdotium im 1 1 . Jahrhundert hatte zu einer gesteigeiten
Rückbesinnung auf die Wmzeln des Regnum Teutonicum und damit
auf die römische Geschichte gefiihrt. 1 In der Folge mehrten sich so zum
Beispiel die Bemühungen, den Ursprung konkreter Adelsgeschlechter in der
Geschichte Roms zu suchen. Ein frühes und prominentes Exempel dieses
neuen adeligen Selbstverständnisses l ieferte das Haus der Welfen, das nach
der Genealogia Welforum der 1 1 20er Jahre bis auf den römischen Verschwörer
Catilina zurückverfolgt werden konnte.2 In die römische Vorgeschichte
wagte sich dagegen Otto von Freising, der das Haus der Staufer in
Troja entstehen ließ.3 Die Beliebtheit antiker Mythen und Legenden wuchs
schließlich derart, dass ab der Mitte des 12. Jahrhunderts zahlreiche
volksprachliche Romane zu antiken Heroen entstehen ko1mten, wie Lamprechts
Alexander oder Heinrich von Veldekes Eneasroman. Eine fundierte
Kenntnis der Schulautoren Vergil und Ovid lässt sich dabei gerade bei Heinrich
von Veldeke nachweisen.4
1 Vgl. Barbara Haupt: Antike Helden im Hochmittelalter, in: Medien der Erinnerung in
Mittelalter und Renaissance, hg. von Andrea von Hülsen-Esch, Düsseldorf 2009
(Diisseldorfer Studien zu Mittelalter und Renaissance Bd. 42), 5 .54-82, hier: S. 70.
2 Die mögliche Übersetzung des „catulus“ als ,junger Hund“ wird dabei als wichtiges
Argument angeftihrt. Trotz der durch die Cicero-Werke bekannten Zwielichtigkeil dieses
Ahnherren, ließ ilm doch seine Abstammung aus dem römischen Adel als einen
geeigneten Urahn der Welfen erscheinen, siehe: Heinz Krieg: Antikenrezeption im hohen
Mittelalter. Zur welfischen Traditionsbildung, in: Antike im Mittelalter. Fortleben,
Nachwirken, Wahrnehmung. 25 Jahre Forschungsverbund „Archäologie und Geschichte
des ersten Jahrtausend in Südwestdeutschland“, hg. von Sebastian Brather u.a.
Ostfitdem 2014 (Freiburger Forschungen zum ersten Jahrtausend in Südwestdeutschland
Bd. 2 1 ), S. 371-382.
3 Vgl. Haupt: Antike Helden im Hochmittelalter (wie Anm. l), S. 70.
4 Vgl. ebd. S. 54-82.
1 19
Zlu· Verbreitung antiken Wissens diente w1ter anderem die
Schulliteratur des 1 1 . und 1 2 . Jahrhunderts, die in weiten Teilen illustrierte
Gegenüberstellungen antiker und biblischer Erzählungen zur Vermittlung von
Tugenden und Laster nutzte. Solche bebilde1ten Texte inspirierten schließlich
auch Künstler außerhalb der Buchmalerei, wie Josepha Weitzmann-Fiedler
dies fur die romanischen gravierten Bronzeschalen eindrucksvoll herausarbeiten
konnte. Es handelt sich dabei um bronzene Becken, die im 1 2 .
Jahrhundert nördlich der Alpen hergestellt wurden – möglicherweise i n der
Nähe von Bergwerkszentren – und die meist reiche, erzählerische Gravuren
aufWeisen. Nach Weitzmann-Fiedler wurden sie zur Waschung im Rahmen
der Beichte in Nonnenklöstern gebraucht und sollten anhand der Bebilderung
und Beschriftung den Tugendkanon der Schulliteratur vermitteln.5 Es sei nun
dahingestellt, ob die Becken mit ihren unterschiedlichsten Motiven tatsächlich
nur fur diesen sehr kleinen Gebrauchsrahmen Verwendung gefunden haben
und nicht doch auch im profanen Bereich genutzt worden sein könnten. Auf
jeden Fall bemerkenswert ist die Gestaltung dieser Objektgruppe.
Abb. 1 : Detail der Achilles-Schale aus Bronze, 12. Jh. (d: 27cm, h: 5cm, Rand l cm). Paris,
Bibliotheque Nationale, Cabinet des Medailles et A.ntiques, lnv. Nr. 525 (WeitzmannFiedler,
Kat. Nr. 1).
5 Vgl. Josepha Weitzmann-Fiedler: Romanische gravierte Bronzescha/en, Berlin 1 98 1 , S.
9-17.
120
So zeigt die sogenannte Achilles-Schale im Cabinet des Medailles
Paris (Abb. 1) einen siebenteiligen B ilderzyklus mit Legenden, die direkt auf
den Text der antiken Achilleis des Statius zurilckzuftihren sind. Um das
Zentrum der Schale kreisförrnig angeordnet sind die Darstellungen des Harfe
spielenden Chiren neben Achilles mit der Leier, die Fahrt der Thetis mit
ihrem Sohn ilber das Meer, die Verbergung des Helden als Mädchen verkleidet
bei König Lykomedes, die Erkennung des Achilles durch Odysseus, die
Erkennung des Achilles mit dem Trompete blasenden Agyrtes vor Lykomedes
und seinen Töchtern und der wn die Hand der Deidamia anhaltende
Achilles mit seiner Geliebten im Arm vor ihrem Vater Lykomedes und
Odysseus. In einem umrahmten Medaillon im Zentrun1 der Schale ist schließlich
die Abfahrt des Achilles von Scyrus in einem Schiff voller Krieger zu
sehen. Die Achilles-Schale ist die einzige in der Sammlung WeitzmannFiedlers,
deren Umschriften direkt aus einem antiken Text entnommen wurden.
Dennoch zeigen die Motive typisch mittelalterliche Elemente, die an
Illustrationen der zeitgleich entstehenden Ritterromane erinnern und nur vermengt
sind mit antikisch dargestellten Objekten, wie der Leier des Achilles.6
Abb, 2: Sog. Kadmus-Schale mit Herkulestaten, 12. Jh. (d: 25,7cm, h: 7,8cm, Rand J cm).
London, British Museum 1, lnv. Nr. 192 1 , 3-25,1 (Weitzmann-Fiedler Kat. Nr. 2).
6 Vgl. ebd. S. 18-2 1 , Kat. Nr. 1 .
1 2 1
Eine weitere mythologische Schale mit dem wohl beliebtesten
Heldenzyklus, ist die sogenannte Kadmus-Schale im British Museum London
(Abb. 2), die Anfang des 1 9. Jahrhunderts in der Nähe von Gloucester im
Flussbett des Sevem gefunden wurde. Im Zentrum der Schale wird Kadmus,
der König von Theben, als Erfinder des griechischen Alphabets und damit als
Urvater der schriftlichen Überlieferung der Antike, sitzend vor einem
Schreibpult dargestellt. Die Darstellungsweise erinne1t stark an einen schreibenden
Evangelisten. Um das Kadmus-Medaillon sind, durch die Umschriften
arkadenartig unterteilt, sechs Szenen aus dem Leben des Herkules angeordnet.
Gezeigt wird die Geburt des Helden, gefolgt von dem Würgen (nur)
einer Schlange in der Wiege, dem Kampf gegen den Drachen um die Äpfel
der Hesperiden, dem Raub der Krone des Geryon, dem Kampf gegen Cacus,
und schließlich dem trauemden Helden auf dem Scheiterhaufen. Die
Umschriften in leoninischen Hexametem gehen direkt auf eine Ekloge des
Theodulus des 10. Jahrhunde1ts zmück und entstammen damit wahrscheinlich
einem bebilderten Schulwerk, das biblische Szenen den mythologischen
entgegenstellte. Entsprechend ähnelt der Herkuleszyklus der Schale in der
Zusammensetzung der Motive stark einer Heiligengeschichte. Noch stärker
als bei der Achilles-Schale, sind die Darstellungen des Herkules-Zyklus ganz
in die Zeit des Künstlers übertragen. Antike Nacktheit hat auch hier keinen
Platz, Geryon ist kein Monster, Cacus kein Riese. Auffallend präsent ist
dennoch das Löwenfell des Helden, das in der Hand oder als Fellkragen
getragen wird und schließlich, neben dem Sterbenden an einem Baum hängt.7
Während der Gebrauchsrahmen der Bronzeschalen nicht abschließend
geklä1t ist, ist der direkte Zweck einer anderen Gruppe der „Kleinkunst“ mit
antiken Motiven ohne Zweifel. Gemeint sind figürlich verzierte Brettsteine
des 12. Jahrhunderts, die nördlich der Alpen weit verbreitet gewesen sein
müssen und häufig im Kontext von Burganlagen gefunden werden. Ob aus
Kr!ochen, Hirschgeweih, Walrosszahn oder Elfenbein, es haben sich einige
Spielsteine in unterschiedlichster Qualität erhalten, aufwelchen antike Helden
abgebildet sind. Teilweise lassen sich noch Sets rekonstruieren, die zum Beispiel
für das Spiel Trictrac aus insgesamt 30 Spielsteinen bestanden und
farblieh in zwei Pmteien geteilt waren.8
Von großer Bekanntheit ist eine über mehrere Sammlungen verstreute
Gruppe aus Elfenbein-Spielsteinen, die wohl ein Set bildete. Es handelt sich
um eine absolute Luxusversion des Spiels und kann durch die Sclmitztechnik
eindeutig einer Werkstatt zugeordnet werden. Wahrscheinlich entstand das
7 Vgl. ebd. S. 2 1 -25 I Kat. Nr. 2.
8 Vgl. Antje Kluge-Pinsker: Schach und Trictmc. Zeugnisse mittelalterlicher Spielfreude
in salischer Zeit, Sigmaringen 1 9 9 1 (Monographien Bd. 30), S . 55-72.
122
Set um 1 140/50 in einer der zahlreichen elfenbeinverarbeitenden Werkstätten
in Köln. Während hier die eine Spielerpartei rotgefärbte Steine mit Szenen
aus dem Leben Samsons spielte, setzte der Gegner Herkules-Spielsteine ein.
So stellte man, wie bei der illustrierten Schulliteratur, biblische Helden den
antiken Heroen entgegen (Abb. 3).
Abb, 3 : Vier Spielsteine des Luxus-Sets mit Herkules- und Samsonzyklus, Köln, 1 1 20-
1 1 40, n . Goldschmidt ( d: 6 1 -64mm). Aus: Adolph Goldschmidt: Die Elfenbeinskulpturen
aus der romanischen Zeit. XJ.-XI/l. Jahrhundert, Bd. 3, Berlin 1923, Ausschnitt Tafel Llll
(Kluge-Pinsker Kat. Nr. 99, 100, 104, 105).
Gerade die Kombination Samson-Herkules wurde auf Spielsteinen gerne verwendet.
Das Kölner Luxus-Set zeigt auf vier erhaltenen Exemplaren Samson
und die Füchse, den Kampf des Helden gegen die Philister mit dem
Eselskiefer, die Philister über dem Gefesselten und Samsan bei der Zerstörung
des Tempels der Philister. Dagegen steht Herkules mit noch sechs erhaltenen
Steinen. Dargestellt ist Herkules als Kind mit den Schlangen, links
sitzend der Seher Tiresias, der Held im Kampf mit dem Drachen im Garten
der Hesperiden, Herkules mit Pfeil und Bogen auf zwei Kentauren schießend,
der Kampf mit dem dreileibigen Geryon, Herkules, der Diemedes seinen
123
Pferden zum Fraß vorwirft, und der Kampf um Deianera mit dem, in einen
Stier verwandelten Acheloos.9 Spielsteine anderer Werkstätten mit HerkulesMotiv,
ein heute verlorenes Exemplar sogar mit entsprechender Legende,
zeigen besonders häufig den Kampf des Helden gegen Cacus. 10 Neben
Herkules finden sich noch weitere antike Helden. So hat sich eine kleinere
Gruppe von Spielsteinen aus Walrosszahn erhalten, die aufgnmd des Materials
nach Nordfrankreich ver011et wird und ab 1 1 25 entstanden sein könnte.
Neben dem Heiligen Martin, sind hier drei Szenen aus der Odyssee vertreten.
Abb. 4: Achilles gegen Cygnus, Spielstein, Nordfrank.reich, nach 1 12 5 (d: 63mm).
Historisches Museum Basel, fnv. Nr. 1 8 7 1 . 5 1 (Kluge-Pinsker Kat. Nr. 46)
Ein weiterer Spielstein mit einer Kampfszene zwischen drei Reitern
wird als Kampf des Achilles gegen Cygnus aus Ovids Metamorphosen
interpretiert (Abb. 4) Zu sehen ist hier nicht der Moment, in dem sich Neptuns
Sohn in einen Schwan vetwandelt, sondern das vergebliche Einschlagen des
9 Vgl. ebd. S. 72-80 I Kat. Nr. B 98-108, d: 61 -64mm. 10
Ebd. Kat. Nr. B 1 1 8.
124
Achilles auf den unvetwundbaren Leib des Cygnus und der stürzende
Menoites, der Achilles zum Opfer geworden war.1 1 Wie bei den Schalen sind
auch die Darstellungen der Spielsteine in die eigene Zeit übettragen worden,
so treten Achilles und Cygnus ganz in ritterlicher Tracht auf und beim Kampf
des Herk:ules gegen Cacus schwingt der Held stets ein Schwert statt einer
Keule. Auch deshalb wird die Interpretation einzelner Szenen erschwert, noch
viele weitere Spielsteine mit Kampfszenen und Fabelwesen könnten eine
Deutung innerhalb antiker Erzählstoffe erfahren.
Die weite Verbreitung der mythologischen Spielsteine, allen voran
solche mit Herkulestaten, beweist, wie bekannt diese Erzählungen auch in der
breiteren Bevölkerung, außerhalb der Schulen, gewesen sein müssen.
Seltenste Funde von figürlichen Trictrac-Steinen aus Holz als dem billigsten
und vergänglichsten Schnitzmaterial, lassen auf eine einstmals noch viel
größere Verbreitung solcher „erzählender“ Spiel-Sets schließen.12 Ob sich
auch das einfachere Volk figürlich geschnitzte Spiele leistete ist ungewiss,
dennoch konnten Menschen jenseits von Schulbildung und Vermögen mit
antiker Mythologie in Kontakt kommen. Wichtigster Moment der Vermittlung
war natürlich der Kirchenbesuch mit entsprechenden Predigten und der
künstlerischen Ausgestaltung der Gotteshäuser. 13
Eine bemerkenswerte Präsenz im Alltag der Bevölkerung erreichte der
Held Herkules in Böhmen, Bayem und dem heutigen Niederösterreich zu Beginn
des 12. Jahrhunderts. Ab 1 I 09 ließ Herzog Waldislaw I. von Böhmen in
Prag Münzen prägen, die unter anderem Herku1es im Kampf mit dem Löwen
und dem Eber zeigen. 14 Die Qualität der Münzbilder ist extrem fein, bei der
Darstellung des Löwenkampfes war der Stempelschneider bemüht, der Szene
ein antikes Aussehen zu verleihen. So tritt der Held mit einer kurzen, eng
gegürteten Tunika und mit Rundschild auf. Mit großem Schwung holt er weit
mit seinem Schwert aus, um den angreifenden Löwen abzuwehren. Links im
Feld befindet sich eine Pflanze.
Die Münzlegende lautet „+DVX. VVLADISLA VS“, auf der Rückseite
ist der Heilige Wenzel im Bmstbild mit Buch und Kreuz abgebildet, darum
11 Vgl. ebd. S. 78f. I Kat. Nr. B 44-48, d: 60-63,5mm.
12 Vgl. ebd. S. 69.
13 Ein schönes Beispiel fiir ein antikes Thema in der kirchlichen Wandmalerei findet sich
in der Klosterkirche von Corvey, wo sich ein karolingischer Odysseus-Zyklus in Teilen
erhalten hat. Vgl. hierzu: Hilde Claussen: Odysseus und Herfades in der karolingischen
Kunst. !. Odysseus und das .,grausige Meer dieser Welt“: Zur ikonographischen Tradition
der karolingischen Wandmalerei in Corvey, in: lconologia sacra. Mythos, Bildkunst
und Dichtung in der Religions- und Sozialgeschichte Alteuropas. Festschrift fiir Kar/
Hauck zum 75. Geburtstag, hg. von Hagen Keller, Berlin u.a. I 994 (Arbeiten zur
Frühmiuelalteiforschung Bd. 23), S. 341-382.
14 Franti􀚇ek Cach: Nejstarsi Ceske Mince, 4 Bde. Prag 1972, Bd. 2: Ceske a moravske
dendry od mincovni reformy Bretislava I. do doby brakteatove, Kat. Nr. 540, 554, d : um
16mm.
1 25
steht „+SCS.WENCEZLAVS“(Abb. 5a,b). Der Stempelschneider verband
mithilfe der Legende den böhmischen Herzog mit dem antiken Helden.
Gerade Herkules galt spätestens seit der Zeit Karls des Kahlen und der
karolingischen Auseinandersetzung mit dem Werk des Boethius, als ein
christlicher Tugendheld und Idealbild eines christlichen Henschers.1 5 Und als
eben solcher sollte hier Wladislaw I. dargestellt werden. Für die Münzrückseite
wählte man mit dem Heiligen Wenzel, als böhmischem Landespatron
und Stammvater der Pl’emysliden, das bedeutendste Vorbild eines gerechten
Renschers aus der böhmischen Vergangenheit.
Das Prager Herkules-Motiv wurde um 1 1 20 unter BischofHartwig I. in
der Münzstätte Regensburg, beinahe exakt kopie11, auf den viel größeren
Regensburger Denaren abgebildet (Abb. 6).16 Auch hier steht der Held neben
einer Pflanze und kämpft mit Schwert und Rundschild gegen den Löwen von
rechts. Wohl durch die Vermischung mit dem böhmischen Eberkampf, hat der
Regensburger Löwe allerdings seinen Schwanz verloren. Der Regensburger
Herkules reiht sich in eine ganz besondere Gruppe von Münzen der 1 120/30
Jahre in der bayerischen Hauptstadt, eine Ernission voll von Raubtieren und
Kämpfern. Wie bei den Spielsteinen wird dem Herkules auf diesen Denaren
der biblische Samson entgegengestellt, allerdings auf der Münzrückseite.
Samson ist dabei in dem Moment dargestellt, als er den Tempel der Philister
über sich zum Einsturz bringt: Eine dünne, langhaarige Figur mit kurzem
Rock steht unter einer Architektur und windet Arme lmd Beine um die
stützenden Pfeiler (Abb. 7).17 Ein weiteres Münzbild das mit Samson oder
Herkules kombiniert wurde ist ein nach links schreitender Kentaur mit Spitzbart
und Hömem, bei sich ein Beil, Kriegsbeute oder auch einen abgetrenntem
Menschenkopf tragend(Abb. 8).18 Auf den Münzen stehen sich also jeweils
die Helden der Antike und der Bibel gegenüber, oder einer der
Tugendhelden dem lasterhaften Kentaur. Eine enge Verbindung zu denselben
Vorbildern der Bronzeschalen und Spielsteine ist anzunehmen. Möglicherweise
hatte auch der Stempelschneider dieser Münzen, der Aufgrund der
Darstellungsqualität mit S icherheit ein Regensburger Goldschmied war,
Zugang zur illustrierten Schulliteratur die den Bronzeschalen zugrunde liegt.
15 Vgl. Nikolaus Staubach: Odysseus und Herkules in der karolingischen Kunst. !!.
Herkules an der “ Cathedra Petri „, in: /conologia sacra. Mythos, Bildl.:unst und
Dichtung in der Religions- und Sozialgeschichte Alteuropas. Festschriftfor Kar[ Hauck
zum 75. Geburtstag, hg. von Hagen Keller, Berlin u.a. 1 994 (Arbeiten zur
Frühmittela/te/forschung Bd. 23), S. 383-402.
16 Hubert Emmerig: Der Regensburger Pfennig. Die Münzprägung in Regensburg vom 12.
Jahrhundert bis 1409, Berlin 1 993 (Berliner numismatische Forschungen. Neue Folge
Bd. 3), Kat. Nr. 59 (Herkules – Samson), 60 (Herkules – Kentaur), 6 1 (Herkules –
Bischof), d: um 25mm.
17 Ebd. Kat. Nr. 59.
18 Ebd. Kat. Nr. 58 (Samson – Kentaur), 60 (Herkules- Kentaur), d: um 25mm.
126
Abb. 5a,b Herkules-Denar Wladislavs 1 . , Prag ab 1 1 09 (d: 1 5mm). Wien, Kunsthistorisches
Museum, Münzkabinett, Inv. Nr. 17761 (Cach 540)
127
Abb. 6: Herkules gegen den Löwen, Regensburger Denar um 1 120/30 (d: ca. 23mm).
Staatliche Münzsammlung München, Schatzfund von Obing (Emmerig 6 1 , Av.)
Abb. 7: Samson im Tempel der Philister, Regensburger Denar um 1 1 20/30 (d: ca. 25mm).
Staatliche Münzsammlung München (Emmerig 58c, Av.).
128
Abb. 8: Kentaur mit Beil, Regensburger Denar um 1 1 20/30 (d: ca. 24mm). Staatliche
Münzsammlung München (Ernmerig 60c, Rv.)
Abb. 9: Kentaur zwischen Sternen, Münzstätte 1eunkirchen I Formbach, um 1 1 30 (d: ca.
22mm). Wien, Kunsthistorisches Museum, Münzkabinett, lnv. Nr. 133588 (CNA B 4 l a,
Av.)
129
Umgedeutet als Sternzeichen, weniger als Tugendhelden, tauchen die
Herkules- und Kentaurendarstellungen kurze Zeit später in der Münzprägung
des Klosters Formbach in Neunkirchen auf, wo sie zwischen Sternen platziert,
als Serpentarius und Sagittarius interpretiett werden könnten (Abb. 9).19 Die
niederösterreichische Münzstätte scheint dabei durch Personal oder Werkzeug
Unterstützung durch die Regensburger Münzer erhalten zu haben, da hier
teilweise identische Münzpunzen zum Einsatz gekommen sind?0
Abb. 1 0 : Geiseln unter Standarte, Münzstätte Neunkirchen/Formbach, um 1 1 1 0/ 1 1 2 0 (d:
20mm). Wien, Kunsthistorisches Museum, Münzkabinett, Inv. Nr. 1 7 7443 (CNA B 3 , Av.)
Anlass zur Übernahme von Münzbildern konnten offensichtlich auch
Funde antiker Münzen selbst geben. So sind zwei Münztypen von 1 1 1 0/20
bekannt, vielleicht aus der Münzstätte Regensburg oder Krems, wahrschein-
19 Bernhard Koch: Corpus nummorum auslriacorum (CNA), Bd. 1: Mittelalter, Wien 1 994,
Kat. Nr. B 4la, geprägt um 1 1 30? 20
Die jeweilige Inspirationsquelle der Stempelschneider in Prag und Regensburg und die
näheren Hintergründe der Imitationen sind bisher noch nicht eingehend untersucht
worden. Generell wurde die Ikonographie mittelalterlicher Münzprägung in der Numismatik
bisher nur am Rande behandelt. In naher Zukunft sollen jedoch, im Rahmen einer
gemeinsamen Wanderausstellung im Jahr 2017 des Schlosses Runkelstein in Bozen, des
Münzkabinetts des Kunsthistorischen Museums Wien und der Staatlichen Münzsammlung
München, tiefgreifende Forschungen zur Bilderwelt der hochmittelalterlichen
Münzprägung Böhmens, Bayerns, Österreichs und Tirols vorgestellt werden. Ziel ist es,
die Münzen in ihrer Funktion als Bildträger gerade auch von kunsthistorischer Seite zu
betrachten und sie mit anderen Gattungen der Kleinkunst zu vergleichen.
1 3 0
licher aber aus Neunkirchen stammend, die zwei Figuren unter einer Standarte
auf ihrer Vorderseite darstellen, auf der Rückseite je ein Kreuz oder eine
Architektur (Abb. 10).21
Abb. I I a, b: Münze Constantins I . , London, 320-321 n. Chr. München, Staatliche Münzsanun1ung
(RIC 1 9 1 )
21
Koch: CNA (wie Anm. 1 9), Wien 1 994, Kat. Nr. B 3 I Emmerig: Der Regensburger
Pfennig (wie Anm. 16), Kat. Nr. 48, d: um 20mm. Aufgrund der Schrötlingsbeschaffenheit
und der Motivwahl der Rückseite, lassen sich die beiden Münztypen am
ehesten in die Münzprägung von Neunkirchen I Formbach eingliedern.
1 3 1
Das Bild der beiden Gefangenen unter dem Feldzeichen, hier mit dem
christlichen Kreuz versehen, begegnet als Münzbild schon auf den Denaren
der römischen Kaiserzeit und wurde von den späten Soldatenkaisem häufig
genutzt. (Abb. 1 1 )?2
Abb. 12: Bewaffneter Reiter über gestürztem, Regensburger Denar um 1 1 50 (d: ca. 20
mm). München, Staatliche Münzsanunlung (Auktion Sonntag 20, Dezember 2014, Los
Nr. 13 17)
Sicher ist auch die Übernahme des Regensburger Reiters von 1 1 50 mit
kurzem Mantel, der mit erhobenem Speer von rechts über eine am Boden
liegende Figur springt (Abb. 12).23 Das Motiv kam in der späten Kaiserzeit
22 Hier exemplarisch eine Münze Konstantins d. Gr., Münzstätte London, zwischen 320-
321, Bronze (ehemals versilbert), d: 19mm, s. Patrick M. Bruun: Constantine and
Licinius. A.D. 313-337, London 21972, bg. von Carol H. V. Sutherland I R. A. G.
Carson (The Roman imperial Coinage [RJC]. Vol. V/1), S. 109, Kat. Nr. 1 9 1 .
23 Dieser noch unedierte Münztyp dürfte etwa um 1 150 i n Regensburg geschlagen worden
sein und passt stilistisch zu Emrnerig: Der Regensburger Pfennig (wie Anm. 16), Kat.
Nr. 73. Bisher erschienen in: Auktionen Münzhandlung Sonntag, Auktion 20, 9. – 10.
Dezember 2014, Stuttgart, Los Nr. 1 3 1 7.
132
besonders häufig auf den Kleinstnominalen zum Einsatz (Abb. 1 3).24 In
beiden fällen wurde sogar die Bodenlinie übernommen, die den antiken
Stempelschneidern zur Anbringung der Münzstättenzeichen im Absatz diente.
Bei den Vorbildern handelt es sich jeweils um Münztypen, die in großen
Zahlen produziert wurden und häufig in Bayern als Streufunde auftauchen.
Dass in beiden fällen die Legenden mit dem Wort „virtus“ beginnen können,
ist nach dem bisher gezeigten wahrscheinlich kein Zufall.
Abb. 13 a,b: Münze fiir Maximinus Daia, Aquileia, 305-306 n. Chr. München, Staatliche
Münzsammlung (RIC 67b)
Antikes Wissen konnte also nicht nur über Schriften und Buchmalerei
vemlittelt werden, sondern durch direkte Übernahme von antiken Objekten
24 Als Beispiel eine Prägung Kaiser Maximianus Herculius fiir den Caesar Maximinus
Daia, Münzstätte Aquileia, zwischen 305-306 n. Chr, Bronze (ehemals versilbert), d:
29mm, s. Carol H.V. Sutherlaod: From Diocletian „s reform (A.D. 294} tot he death of
Maximinus (A.D. 313), London 1967, hg. von Carol H. V. Sutherlaod I R. A. G. Carson
(The Roman imperial Coinage [RJC], Vol. VI), S. 320, Kat. Nr. 67b.
1 3 3
einen Einfluss auf die Kleinkunst und den Alltag des 12. Jahrhunderts nehmen.
Abschließend gilt es jedoch noch einmal in Erinnerung zu rufen, dass
die hier gezeigten Formen von Antikenrezeption in der Kleinkunst für den
mittelalterlichen Rezipienten nicht eine Beschäftigung mit der fremden Antike
bedeutete, sondern einen Umgang mit der eigenen Geschichte. Der Tugendheld
Herkules hatte in der hochmittelalterlichen Geisteswelt einen ebenso
festen Platz wie sein biblisches Gegenstück Samson. Gleiches gilt flir Aeneas,
Achilles und Odysseus, deren Geschichten voller Verirrungen und Laster,
aber auch Tapferkeit und Heldenmut scheinbar nichts an Aktualität verloren
hatten.
134
Lä iläha illä ‚fläh(u) . . .
E s gibt keine Gottheit außer dem einzigen Gott.
Ein Riemenverteiler mit pseudo-arabischer Inschrift
von der Burgruine Ried am Riederberg
Astrid Steinegger
Eine nach Nordwesten vorgeschobenen Kuppe südlich der Ortschaft Ried am
Riederberg am Fuße des Wienerwaldes, die nur durch einen schmalen Graben
vom anschließenden Klosterberg getrennt wird, trägt den Nrunen Hausberg. Auf
diesem Hügel, umgeben von einem imposanten Wall-Graben-System, finden
sich die Reste der Burg Ried. Über die Geschichte der, lange Zeit nahezu unbekannten
Anlage ist wenig bekannt, ihre Errichtung dürfte auf babenbergische
Ministeriale der 2. Hälfte des 12. Jahrhunderts zutückgehen, die sich de Riede
nannten. Die Burg befand sich zumindest in der ersten Hälfte des 1 3 . Jahrhunderts
urkundlich nachweisbar in der Hand der Kuenringer.1 So lässt .Hadmar
II. von Kuenring 1 2 1 L die von ihm erbaute Kapelle von Ried durch Bischof
Manegold von Passau aus der Pfarre Sieghartskirchen ausgliedern. Nicht
deutlich wird aus dem Text, ob es sich hierbei um die heutige Pfarrkirche von
Ried oder die Burgkapelle gehandelt hat. Sein Enkel Albero V. tauschte 1 256/59
die Herrschaft mit König Ottokar II. Premysl zugunsten Besitzungen um
Dürnstein und Zwettel.2 Dies wird von den Brüdern Leutold und Heinrich von
Kuenring mitsamt ihren Gemahlinnen und König Rudolf von Habsburg als
Gegenpartei 1280 bestätigt. Ab 1285 wurde die Burg als landesfürstliches Pfand
durch die Habsburger Herzöge verliehen, so unter anderem an Komad von
Tulln. Über dessen Tochter Adelheid, die auch den, mit der Burg Ried verbundenen,
Schenkentitel mitbrachte, gelangte die Anlage gegen Ende des 1 3 . Jahrhunderts
an Otto von Kahlenberg. Nach wechselnden Besitzern im 14. Jahrhw1-
dert wird die Burg bereits 1 4 2 1 als „öde“ bezeichnet. Wann sie verlassen wurde,
ist nicht bekannt, ein Wiederaufbau nach diesem Datum aber nicht anzunehmen.
1 Falls nicht extra ausgewiesen historischer Überblick nach: Wilhelm Twerdy: Beiträge zur
Geschichte des Wienetwa/des Bd. 1 (Budapest u.a. 1 998), S. 264-267.
2 Freundliche Mitteilung von Günter Marian, NÖ Landesarchiv.
1 3 5
Die Burganlage wird seit 2009 von einer Gruppe engc.gierter Laien, die
sich zum „Verein zur Erhaltung und Erforschung der Burg Ried am Riederberg“
zusammengeschlossen haben, betreut. Im Zuge ihrer Tätigkeit wurden von ihnen
archäologische Forschungsgrabungen3 sowie Sicherungs- und Konservierungsarbeiten
initiiert und unter reger Eigenbeteiligung durchgeführt. Im Zuge der
Kampagnen 20 1 1 bis 20 1 3 konnten bemerkenswerte Buntmetallfunde4 im
unmittelbaren Umfeld des Bergfrieds der Burgruine Ried gemacht werden. Die
Objekte stammen alle aus einer massiven Abbruch- bzw. Versturzschicht des
markanten Rundturms; eines aus dem Inneren des Turms (Stratigraphische
Einheit [SE] 4), die anderen allesamt aus dem nordöstlichen Zwickel zwischen
Twm und Ringmauer (SE 23). Sie können möglicherweise im Kontext einer
repräsentativen Reiterausrüstung gesehen werden.5
Abb. I : Ried am Riederberg: Riemenverteiler mit pseudo-arabischer Inschrift – Vorderseite.
Foto © Anne-Katrin Klatz
3 2010 bis 201 1 Firma ARGIS; 2012 bis 2015 Verein FIALE.
4 Restaurierung und Konservierung durch Dip!. Restauratorin Anne-Katrin Klatz.
5 Neben den hier beschriebenen Objekten des Weiteren ein aus Buntmetall gegossener
Reitsporn (FNr. 127. 1 , 1 32, 137) sowie zwei ebenfal ls aus Buntmetall hergestellte, punzierte
und feuervergoldete Riemenzungen (FNr. 127 und 130) und eine punzierte Riemenöse
aus Bummetall (FNr. 167.1).
136
Der aufgrund seiner Fremdartigkeit auffalligste Fund soll im Rahmen
dieses Beitrags kurz vorgestellt werden (Abb. 1 bis 3), wobei aber ausdrücklich
darauf hingewiesen werden muss, dass die Bearbeitung der Funde noch am
Beginn steht und die sprachwissenschaftliche Erstbegutachtung aufgrund von
Fotografien e1folgte.6 Es handelt sich um ein aus Buntmetall (Kupferlegierung)
gegossenes und feuervergoldetes Objekt (FNr. 1 66), mit drei langrechteckigen
Öffnungen an der Mantelfläche und einer nmden auf der Rückseite. Es ist spitzvierpassförmig
und weist eine Gravur sowie eine aufwendige Emailleinlage auf.
Im Zentrum des kleinen Fundobjekts sind Ornamente zu erkennen, die an arabisch
anmutende Schriftzeichen gemahnen. Diese konnten als „Pseudoinschrift“
identifiziert werden, bei der das arabische Alphabet benutzt wurde. Die Inschrift
beginnt auch ähnlich dem islamischen Glaubensbekenntnis, doch ergibt sie
ansonsten keinen Sinn. Die Zeichen alunen die mamlukische Schrift nach,
weswegen das Objekt frühestens im Spätmittelalter oder in jüngerer Zeit erzeugt
worden sein dürfte. Da Pseudoinschriften in der islamischen Welt erst in rezenter
Zeit bekannt sind, ist vermutlich von einer europäischen Herkunft und
Herstellung auszugehen.
Abb. 2: Ried am Riederberg: Riemenverteiler mit pseudo-arabischer Inschrift – Rückseite.
Foto rC> Anne-Katrin Klatz
6 Erstbegutachtung durch Dr. Ivan Szant6, InstiM für Iranistik (ÖA W) – freundliche
Mitteilung von Dr. Sibylle Wentker in einem Mai I vom 12. Oktober 2015 an Bernhard Arnold
(Obmann Burgverein).
13i
Abb. 3 : Ried am Riederberg: Riemenverteiler mit pseudo-arabischer Inschrift – Seitenansicht.
Foto © Anoe-Katrio Klatz
Aufgrund seiner Form kann der Fund als Riemenverteiler angesprochen
werden, der entweder bei der Schwertaufhängung Verwendung fand oder als
Verteiler im Pferdegeschirr gedient haben könnte. Zu einem Pferdegeschirr, das
den gehobenen sozialen Stand des Pferdebesitzers zeigen sollte, gehören vermutlich
auch andere Funde: zwei Glöckchen (FNr. 63 und 1 67.4) und fünf
Sterne (FNr. 62, 65, 87, 1 67.2 tmd 167 .3) aus Buntmetallblech. Die Sterne sind
facettiert und dürften mit einem organischen Überzug („Goldlack“, transparenter
Firniss) versehen gewesen sein. Sie alle weisen neben Löchern an jeder Spitze
ein zentrales Loch auf, durch welches ursprünglich eine Eisenöse geführt war. In
diese war möglicherweise ein Kettenglied eingehängt, wie es sich in situ noch
bei einem der Glöckchen erhalten hat. Bei einem Glöckchen ist zudem der eiserne
Glockenklöppel, der in einem Haken aus Buntmetall eingehängt war, auf uns
gekommen. Diese Dekorationselemente wurden entweder auf Stoff bzw. Leder
genietet oder dienten als schmückende Anhänger. Vergleiche für eine derartige
Schmückung des Zaumzeugs sind i m archäologischen Fundgut selten.7 Doch
finden sie sich auf bildliehen Darstellungen wie jener aus dem Luttrell-Psalter
der Zeit um 1340, welche Sir Geoffrey Lutrell auf einem reich gesclunückten
Pferd zeigt (Abb. 4).
7 Stefan Krabath: Die hoch- und spätmittelalterlichen Buntmetallfunde nördlich der Alpen.
Eine archäologisch-kunsthistorische Untersuchung zu ihrer Herstellungstechnik,
funktionalen und zeitlichen Bestimmung, Bd. 1 , Rahden 2001 (Internationale Archäologie
Bd. 63), S . 23-25 1; The Medieval Horse and its Equipment, hg. von John Clark, London
22004, 61-7 1 .
138
Abb. 4: Sir Geoffrey Luttrell auf einem reich geschmückten Pferd, Luttrell-Psalter, um 1 340,
Umzeichnung (Original: British Library, Add. MS 421 30).
Aus: Stefan Krabath: Buntmetallfunde (wie Anm. 7), Abb. 57
Wie also datieren der Riemenverteiler und/oder die Nieten und Anhänger
fiir das Pferdegeschirr? Vergleichbare Funde aus archäologischen Grabungen
finden sich vorläufig nur fiir die Sterne. Deutlich kleiner dimensionierte und als
Verzierung fiir Spomriemen identifizierte Objekte wurden im Zuge der Untersuchungen
im Baynard ’s Castle in London aufgefunden. Sie werden in die 2. Hälfte
des 1 5 . Jahrhunderts datiert.8 Kann auch der Riemenverteiler dem 1 4 . Jahrhundert
oder vielleicht sogar dem 1 3 . Jahrhundert zugewiesen werden, einer
Zeit, als die mamlukische Metallkunst in EuroJ’a großes Ansehen besaß und rege
Handelsverbindungen zum Osten bestanden? Kann festgestellt werden, wo sie
hergestellt wurden und ob es sich tatsächlich um ein europäisches Produkt
handelt? Und schlussendlich . . . was erzählt und das bislang einzigartige Objekt
8 Clark: The Medievaf Horse and its Equipment (wie Anm. 7), S. 154 Kat. r. 388 Taf. 1 1 1 .
9 Ulrike Ritzerfeld: Mam/ukische Metallkunst for Mediterrane Eliten – Grenzüberschreitungen
in Luxus und Machtrhetorik, in: Integration und Desintegration der Kuffuren im europäischen
Mittelalter, hg. von Michael Borgotte u.a., Oldenbourg 20 1 1 (Europa im Mittelalter
Bd. 18), S. 523-540.
1 3 9
über seinen Besitzer? Dies alles werden vermutlich erst zukünftige Untersuchungen
klären können.
140
Liste der Autorinnen und Autoren
Kar] Brunner
Feldgasse 5 J A
3400 Klostemeubw-g-Kierling
ästeneich
Alexandra Hylla
Staatliche Münzsanunlung München
Residenzstr. 1
80333 München
Deutschland
Gerhard Jaritz
Department of Medieval Studies
Central European University
Nador utca 9
l 05 1 Budapest
Ungam
Thomas Kühtreiber
Institut fiir Realienkunde des Mittelalters und der frühen Neuzeit
Jnterdisziplinäres Zentrum für Mittelalter-Studie
Universität Salzbw-g
Körnermarkt 1 3
3500 Krems an der Donau
ästeneich
Günter Marian
NiederösteiTeichisches Landesarchiv
Landhausplatz 1
3 I 09 St. Pölten
Österreich
141
Astrid Steinegger
Fiale, Forschungsgruppe zur interdisziplinären Aufarbeitung
Iandeskulturellen Erbes
Plüddemanngasse 1
8010 Graz
Österreich
Josef Voithofer
Mildeplatz 6/20
1 1 60 Wien
Österreich
142
Adelskultur in der „Provinz“:
Das niederösten·eichische Tullnerfeld
als mittelalterliche Kulturlandschaft ( 1 2.-14. Jh.)

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