Ein Neidharttanz des 14. Jahrhunderts
in einem Regensburger Bürgerhausr
Nikolaus Henkel (Hamburg)
Ein Skandalon greift Gottschalk Hollen (um 141l-1481), Augustinereremit und
beliebter Kanzelredner im niedersächsischen Osnabrück, in einer Predigt auf.
Früher habe man die Häuser ftit Abbildungen von Heiligen geschmückt,
heutnfiage aber male man die Taten von Toren und sogar die Tänze Neidharts
in den (Schlaf-)gemächem an die Wände: sed nunc pinguntur gesta fatuorum:
chorea nithardi in thalamis. Und gleichfalls aus dem deutschen Norden stammend,
klagt Nicolaus Pcutze (1477-um 1510), Theologe und Magister an der
Universität Rostock, dass man an Stelle des Leidens Christi lieber den Trojanischen
Krieg und statt der Apostel den Neidharttanz oder andere nackle und
unzüchtige Frauendarstellungen und Sirenen mit bloßen Brüsten an die Wände
male: In de stede des lidendes christi malen se den strid van troye unde in de
I Die folgenden Ausführungen hätten eigentlich schon längst geschrieben sein sollen. Sie sind
bereits unmittelbar nach Aufdeckung der wandmalereien, 1985, entworfen worden, getragen
von der Begeisterung, in der schönsten mittelalterlichen Stadt Deutschlands Mediävistik
lehren zu dürfen. Zahlreichen Kollegen, die in Regensburg zu Gast waren, habe ich die
Fresken gezeigt und mit ihnen offene Fragen diskutieren dürfen, u. a. Jef&ey Ashcroft,
Manfred Eikelmann, wolfgang Haubrichs, Nigel F. Palmer, Peter Strohschneider. Dafür sei
ihnen an dieser Stelle gedankt.
‚ Siehe zu Person und Werk Willigis Eckermann, Gottschalk Hollen. In: Verfasserlexikon 4
(1983) 109-1 16. Bekannt gemacht hat dieses Zeugnis Eckehard Simon, The Rustic Muse:
Neidhartschwänke in murals, stone carvings, and woodcuts. In: The Germanic Review 46
(1971) 243-256, hier 243; ich gehe hier nicht auf den umfangreichen Forschungsstand zur
wandmalerei nach Themen profaner Literatur ein, verweise nur auf eine Arbeit, die in
souveräner Materialbeherrschung Leitlinien für die Analyse der Zusammenhtinge von
Literatur und bildlichen Darstellungen konzipiert: Michael curschmann, wort – Schrift – Bild. Zum Verhältnis von volkssprachigem schrifttum und bildender Kunst vom 12. bis zum
16. Jahrhundert. In: walter Haug (Hg.), Mittelalter und füihe Neuzeit. übergänge, umbrüche
und Neuansätze (Fortuna vihea 16) Tübingen zo0o,37g-4j0, zu wandmalereien bes. 400-40?
und 428-436.
53
stede der apostele malen se niterdes dantz ffie andere nakede untuchtige
wivesbilde inde meerwunder mit bloten brusten.3
Angesprochen ist hier ein Phänomen, das wegen seiner offensichtlichen
Häufigkeit aie fritit der Geistlichen auf den Plan ruft: Es sind profane Themen
in der-Wandmalerei, gefordert von Laien, also außerhalb des klerikalen Einflussbereichs,
im Kuliurraum der spätmittelalterlichen Stadt. Beide Theologen
wenden sich nicht gegen weltliche T e x t e, die in Büchern überliefert werden
und so schon hinsichtlich Buchbesitz und Lesefühigkeit gewisse Zugangsschwellen
besitzen. Vielmehr sind es profane Sujets‘ die sich im Medium des
offen zur Schau gestellten B i I d e s und seiner ,“Anschaulichkeit“ präsentieren
und so ,r-so ueiführerischer das Seelenheil des Laien in Gefahr bringen, gar
noch, wenn es nakede untuchtige wivesbilde sind, dazu noch solche mit bloten
brusten. und zu diesen QuellJn der Gefahr gehört auch, da sind sich beide
Theologen einig, die Darstellung von Neidharttänzen: chorea nithardi, niterdes
dantz.
wie mittelalterliche Kirchenräume ausgesehen haben, lässt sich anhand
der erhaltenen Bauten und ihrer Innenausstattung‘ wo sie erhalten geblieben ist,
gut ermessen. ungleich schwieriger ist es, ein angemessenes Bild von der Innenräumlichkeit
profaner Bauten zu gewinnen. Ihre sekundäre Bezeugung etwa
in der Buch- und Tafelmalerei oder in Schriftquellen unterschiedlicher Gattung
und Zielsetzung leisten dabei wertvolle Hilfe. Und so sind Quellen wie Testamente
oder Nachlassverzeichnisse wichtige Zeugen für die Rekonstruktion der
Bürgerkultur der Städte des Spätmittelaltersa. Die noch vorhandene sachliche
Übäi“f“*ng insgesamt ist bemerkenswert, wenngleich hochwertige oder
Kinstlerisch herausragende Güter aufgrund andauernder Wertschätzung eher
den Weg in die Gegenwart gefunden haben als Gegenstände des täglichen Gebrauchs]
bei denen Gebrauch und Verbrauch in unmittelbarem Anhängigkeitsverhältnis
stehen. Hoch ist auch die Verlustquote stadtbürgerlicher Kunstpflege
auf dem Gebiet der Wandmalerei in Profanbauten, begründet einerseits
äur“tt d“tt Abriss der Bauwerke selbst, andererseits durch Umbauten, Verputz
etc. bei noch bestehenden Gebäuden. Von daher ist es nicht verwunderlich, dass
gerade in dieser Kunstgattung in der Vergangenheit immer wieder
Entdeckungen gemacht wurden, und sie werden auch in Zukunft zu erwarten
sein. Und vielfach ist der Zufall für die Entdeckung verantwortlich‘ Zwei
Beispiele zeigen das: Das Anwesen ,,Tuchlauben l9o“ im alten Zentrum wiens
mit ehemals dichter mittelalterlicher Bebauung gelegen, wurde bis zur
Entdeckung der mittelalterlichen Neidhartwandmalereien im Jahr 1979 für ein
Haus aus dem füihen 18. Jahrhundert gehalten. Wenige Jahre später, 1984,
3 Siehe zu ihm und den z. T. nicht eindeutigen Lebens- und Werkdaten Christine Stöllingerläser,
Rutze, Nicolaus. In: verfasserlexikon 8 (1992) Sp. 433-436. Das Neidhartzeugnis
bietet wiederum Simon, The Rustic Muse,243.
a Ein anschauliches Bild bietet Harry Kühnel (Hg.), Alltag im spätmittelalter. 2. Aufl. Graz-
Wien-Köln 1996.
54
wurde in Regensburg, in einem als mittelalterlich bekannten Haus, Glockengasse
14, bei Renovierungsarbeiten ein Raum mit hervorragend erhaltenen
Wandgemälden entdeckt. Um diese Malereien, unter_ ihnen ein Reigentanz in
der Art der Neidharttänze, soll es im folgenden gehen5.
Dabei ist keineswegs klar, welche Anschauung die stadtbürgerlichen
Zeitgenossen Hollens und Rutzens eigentlich mit den Bezeichnungen chorea
nithardi wd niterdes dantz verbwden haben. Die wendung neytharttancz oder
Neitharten tanz istjedenfalls im 15. Jahrhundert im deutschen Südosten mehrfach
belegt als Bezeichnung einer öffentlichen Fastnachtslustbarkeit6. ob damit
ein textiertes Spiel gemeint ist, scheint mir keineswegs sicher, zumal die Bezeichnung
neidhartspil daneben gut bezeugt ist7. Denkbar ist durchaus, dass die
aufgefi,ihrten Neidharttänze burleske, musikalisch begleitete Tanzaufführungen
waren, am ehesten in bäuerlicher Kostümierung, denn in der städtischen Fastnachtkultur
des spätmittelalters ist der Spott über die Bauern, ihre animalische
Grobheit und unbeholfenheit allgegenwärtig. und so scheint es mir durchaus
vorstellbar, dass die beiden anfangs erwähnten Theologen mit den an die
wände gemalten Neidharttänzen gerade Tanzdarstellungen meinten, die bäuerliche
Grobheit und obszönität ins Bild setzten, wozu natürlich auch, wenngleich
nicht zwangsläufig, der Veilchenschwank gehörte. Damit komme ich zu
den Regensburger Wandmalereien.
I.
Das Regensburger Anwesen Glockengasse 14 liegt in einem Geviert, das zur
frtihmittelalterlichen Erweiterung der Stadt gehört, die über das rechteckige
Areal des römischen Kastells castra Regina hinausgreift8. Die mittelalterliche
Bebauung hat an mehreren Stellen neueren Bauten weichen müssen, ist aber in
der stadt insgesamt wie auch in diesem Teil mehrfach erhalten geblieben. Das
von Ludwigstraße, Bismarckplatz, Gesandtenstraße und Glockengasse begrenzte
Geviert befindet sich zu großen Teilen im Besitz des Fürstlichen Hauses
5 Siehe kttapp dazu Nikolaus Henkel, Literatur im mittelalterlichen Regensburg. In: Martin
Angerer u. a. (Hg.), Regensburg im Mittelalter. Beinäge zur stadtgeschichte vom frühen
Mittelalter bis zum Beginn der Neuzeit, 2. Aufl. 1999, Regensburg 1995, 301-31 l, hier 30g f.;
ders., Literatur in Regensburg im 12.-14. Jahrhundert. ln: peter Schmid (Hg.), Geschichte der
Stadt Regensburg 2. Regensburg 2000,876-907 ,hier 900 f. o vgl. die Belege bei Eckehard simon, The Staging of Neidhart plays. with notes on six
documented performances. In: Germanic Review 44 (1969) l-2},hier L5-lg.
‚ Simon, The Staging, l7-19.
o Zur historischen Situation siehe Joachim Hubel, Gotik in Regensburg. stadttopographie und
städtebauliche Entwicklung vom 13. bis zum frühen 16. Jahrhundert. tn: peterbchmid (Hg.),
Geschichte der Stadt Regensburg 2. Regensburg 2000, 1106-1140; vgl. außerdem Richard
strobel, Das Btirgerhaus in Regensburg l: Mittelalter (Das deutsche Bürgerhaus 23) Tübingen
1976.
55
Thurn und Taxis und ist in den Jahren 1984/85 umfassend restauriert worden‘
Im Zusammenhang mit dieser Maßnahme sind im Anwesen Glockengasse 14
unter putz liegendä Wandmalereien des Mittelalters entdeckt und im Jahr 1985
ti“il“r“gt unikonserviert worden. Sie dürften aus der zweiten Hälfte des 14′
Jahrhunderts stammen; eine einlässliche kunsthistorische Untersuchung fehlt
;;rffit-;;rg“nintt sind sie in Secco-Technik, der Farbauftrag erfolgte also
aufdem bereits getrockneten Putz‘
Die Maleieien befinden sich im ersten Stock des Anwesens in einem
Raum, der heute als Treppenhaus genutzt wird. An seiner westlichen Seite
mündet eine aus dem Erdgeschoss kommende Treppe in diesen RauT; an der
legenüberliegenden Wanä ninrt eine weitere Treppe in das nächsthöhere
!tötwe.t. Diese Treppe folgt heute präzise dem Verlauf der mittelalterlichen
irlpp“. Die WandmaGieien finden siCtr an der nördlichen, zwischen den beiden
rr“ppen liegenden wand dieses Raums sowie an der östlichen wand unterhalb
Aerin, nächste Stockwerk führenden Treppe (Abb. 1). Weitere Wandmalereien
sind nicht entdeckt worden.
Der Raum ist in etwa quadratisch und misst 6,27 x 6’06 m‘ Bei leicht
abschüssigem Boden beträgt die Raumhöhe bis zu den nachmittelalterlichen
Deckenbaiken rd. 3,10 m, bis zur Decke selbst rd‘ 3,20 m‘
Die Wandmalereien dieses Raums bilden drei unterschiedlich geschnittene
und duröh Rahmung gegeneinander abgesetzte Bildfelder aus, die weder
inhaltlich oder thematis“n näctr konzeptionell einen Zusammenhang bilden‘
Auch die künstlerische Darstellungsweise ist unterschiedlich, was wohl auf
stilistisch verschiedene Vorlagen ^tti“t^ninten
ist‘ Es deutet aber nichts
darauf hin, dass die drei Bildfelder von unterschiedlichen Künstlern oder in
zeitlichem Abstand voneinander gefertigt worden sind. Im Zwickel unter der ins
nächsthöhere Geschoss führenden Treppe befindet sich eine Darstellung des
Todes des hl. Alexius (Abb. 2, 3). Sie isian ihrer höchsten Stelle ca. 2,70 m, im
auslaufenden Zwickel ca. 74 cm hoch. Die untere Rahmenlinie der Darstellung
verläuft ca. 40 cm über dem Boden. Links davon schließt sich eine die
Raumhöhe voll nutzende Darstellung des hl. Christophorus an: Höhe ca. 2,80
m, Breite ca. 1,40 m (Abb. 2). Sie wird unten und an den Seiten von einem
ockerfarbenen Rahmen umgeben, der von dunklen Linien eingefasst ist‘
An der links an die
-christophorus-Darstellung
anschließenden wand ist
die Tanzszene (Abb. 1) zu sehen, um die es im folgenden geht. Sie bedeckte
ehemals wohl die gesamte Breite der Wand, weist aber zwei über die gesamte
Raumhöhe senkreiht laufende Fehlstellen auf, eine von ca. 30 cm in der
Raummitte, verursacht durch eine heute abgebrochene Wand, die zweite links
vom Bildfeld, heute neuverputzt, von ca. 75 cm Breite. Hier scheint ein größerer
e Die bislang einzige Darstellung stammt von Petra Lorey-Nimsch, Der Heilige unter der
Treppe. Anmerkungen zur Ikonographie der wandmalereien in der Glockengasse 14. ln:
oenkmalpflege in Regensburg. n“itrag. zw Denkmalpflege in Regensburg mit Jahresberichten
der Denkmalschutzbehörde. Regensburg I 99 l, 53 -59′
56
Verlust eingetreten zu sein, auf den ich unten noch zu sprechen komme. Das
Bildfeld mit der Tanzszene beginnt ca. 1,80 m über dem Boden, hat eine Höhe
von ca. l,l2 m und reicht bis zur Höhe des Deckenbalkens. Sie wird unten und
oben durch einen von zwei dunklen Linien gebildeten gelblichen Rahmen von
ca. 9 cm Breite begrenzt, wie wir ihn schon bei der Christophorus-Darstellung
beobachtet hattenro. Oberhalb der Tanzszene, verdeckt durch den nachmittelalterlichen
Deckenbalken, befinden sich weitere Malereien, von denen mehrere
vegetabile Elemente erkennbar sind, möglicherweise vergleichbar dem oberen
Register der Diessenhofener Darstellung. Wie hoch sie ursprünglich hinaufgereicht
haben, ist heute nicht mehr feststellbar. Jedenfalls dürfte die heutige
Decke des Raums wesentlich niedriger liegen als die mittelalterliche.
Die Wandfläche unterhalb des Bildstreifens ist offenbar freigeblieben,
jedenfalls finden sich hier keine Spuren von Malerei. Auff?illig ist aber, dass auf
der freien Wandfläche unter der Tanzszene, ungeführ 55 cm über dem Boden,
noch das Fragment eines waagrecht verlaufenden Rahmens erkennbar ist, der
wie bei der oben verlaufenden Tanzszene und beim Christophorus gleichfalls
durch dunkle Doppellinien gebildet ist (Abb. l) und der mit diesem Rahmen
eine offensichtlich durchlaufende untere Begrenzung der Malfläche auf den
beiden aneinanderstoßenden Wänden gebildet hat I r.
Der Befund lässt mehrere Deutungsmöglichkeiten zu. Entweder war die
heute freie Wandfläche unter der Tanzszene ehemals bemalt – und die
Bemalung wurde wieder getilgt – oder aber der Raum unter dem Reigentanz
war für eine Bildausstattung vorgesehen, die aber nicht ausgeführt wurde. Das
Rahmenfragment bezeugt jedenfalls eine gestalterische Absicht für diese
Wandpartie. Warum sie nicht ausgeführt wurde, ist unklar und bietet nur der
Spekulation Raum; dass dieser Teil der Wand freigehalten wurde, um etwa ein
Möbelstück dort nt placieren, kann sicher ausgeschlossen werden. Auf
mögliche Folgerungen aus diesem Befund komme ich unten noch zu sprechen.
II.
Der Regensburger Neidharrtanz ist Teil eines gestalterischen und synoptisch
wahrgenommenen Ensembles. Ich gehe deshalb in gebotener Kürze auf die
Alexius- und die christophorus-Darstellung sowie auf ihre Bedeutung innerhalb
der spätmittelalterlichen Religiosität ein.
Die ,,Legenda eurea“ erzählt von dem jungen Römer Alexius, er habe
sein wohlhabendes Elternhaus und seine Braut verlassen, um in Armut Gott
nachzufolgen. Nach l7jähriger Abwesenheit kehrt er unerkannt in das Haus
rc Für die Erhebung der Abmessungen vor ort danke ich Herm stud. med. Tobias Henkel,
Regensburg, ganz herzlich.
rr Dass der Abstand des Rahmenfragments vom Boden hier größer ist als bei den anderen
beiden Bildem (dort rd. 40 cm), liegt an der Abschüssigkeit des Bodens.
57
seiner Eltern heim und fristet dort weitere 17 Jahre, als Bettler geduldet und
‚“i*pono
von der Dienerschaft, ein kümmerliches Dasein unter einer Treppe‘
nis
„,.
,ei‘ Lebensende spürt, schreibt er seine Geschichte auf ein Blatt, das er
in seiner Hand behält, uod rtitrt unter der Treppe seines _Elternhauses‘
Eine
ilit“l* Stimme macirt auf den Heiligen aufmerksam, und die beiden Kaiser
Arcadius und Honorius kommen mit Papst Innozen“‚- |n9* den
eottesfürchtigenMannunderkennenanhanddesBriefsinderHanddesToten
ieine Identitätr2.
Der Kult des hl. Alexius, dessen Tag am 17′ Juli begangen wird‘ ist im
deutschen Sprachraum im hohen und späten Mittelalter weit verbreitet‘ Davon
äie“n zahlieiche Darstellungen u. a. in der Buch- und Wandmalerei, die ihn
melirfach mit einer Treppe äs Attribut zeigen oder ihn Ynf.t dtl Treppe
äül“r’t] iit“är“n“‚it“fl“*“ der Alexiusverehrung sind die zahlreichen
lateinischen und deutschen Legendenfassungen und Legendendichtungen, u‘ a‘
in der Form des Meistergesingsto. Aus dem 15. Jahrhundert, jedoch nur
frasmentarisch erhalten, isÄogaiein deutsches Legendenspiel zum hl. Alexius
übäliefert’s.
Die Darstellung der Alexius-Szene im Anwesen Glockengasse 14 ist
genau in den Raum unter der mittelalterlichen Treppe eingepasst‘ Die
Stadtarchitektur im Hintergrund lässt sich nicht mit der Regensburgs verbinden,
,“ij ua“rinsofern ein geoiisses Raffinement, als sie die Sterbeszene unter einer
Lnä“n überdachten Arißentreppe lokalisiert, die in genau 24 Stufen zu einem
Wohnbau hinaufführt. Und diäse gemalte Treppe folgt genau der Unterkante der
realen mittelalterlichen Treppe d–es Hauses (eUU‘ t, 2)‘ Beim Abbau der im
gegenwärtigen Bauzustand ärhaltenen Treppe im Zuge der Restaurierungsüinn*
t-„n’war präzise die obere Begrenzung des Wandbildes durch den Verlaufder
TrePPe zu erkennen.
Das sich links anschließende christophorus-Bild (Abb. 2) folgt dem im
Mittelalter und darüber hinaus gültigen Siandardtypus. Besonderes Merkmal
t
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12 Vgl. die Texte: Jacobi a Voragine
Th. Graesse. 2. Aufl. LeiPzig 1850′
Die ,Elsässische Legenda Aurea‘
Legenda aurea vulgo historia lnmbardica dicta [“ ‚] Rec‘
+il-qol; Ulla Williams, Wemer Williams-Krapp (Hg‘),
1: Das Normalcorpus (Texte und Textgeschichte 3)
Tübingen 1980, 426-429.
„-üiä;; Belegmaterial E. Krausen, Alexius von Edessa‘ In: Lexikon der christlichen
Ikonographie 5 (1973) 90-95; hier 90 auch Nachweise sog. ,,Alexiusstieeen., a]1 Treppen‘
unteräen“n der Tod des Alexius dargestellt ist; siehe außerdem noch: Anne Küpper, Der
heilfue elexius: Siebzehn Jahre lebtJer unter der Treppe. In: Die waage. Zeitschrift der
Grtinenthal crmbH 21 (1982) lll-lls (mit zahlreichen Abbildungen); Joseph clauss‘ Eine
rätselhafte Skulpturengruppe an der strassburger Münsterkanzel. ln: Strassburger
Münsterblatt 6 (1912) 53-61. itii“n“ n*.-rledrich Rosenfeld, Alexius. In: Verfasserlexikon I (1978) 226-235.
tt ;;;il,ii““trbibliothek zu Berlin SPK, Ms. germ. fol. 1219. Siehe Rolf Bergmann, Katalog
der deutschsprachigen geistlichen Spiele und Marienklagen des Mittelalters. München 1986′
64-6’r.
58
der Christophorus-Darstellungen ist ihre ,,Öffentlichkeit,., ihre placierung an
sichtbetonten Stellen, vielfach in oder an Kirchen, die bei Fresken und
skulpturen in der Regel mit der auf die öffentliche wirkung bezogenen
außergewöhntichen Übergröße der Abmessungen korrespondiertr6-. unter den
mittelalterlichen Heiligendarstellungen überwiegen die des hl. christophorus
alle anderen Heiligen beträchtlich und bezeugen einen ale Bevölkerungsschichten
umgreifenden Kult, der sich über ganz Europa erstrecktrT.
Die Regensburger Christophorus-Darstellung hat trotz ihrer für den
Innenraum beträchtlichen Größe demgegenüber den charakter des privaten,
ohne dadurch den magischen c_harakter der öffentlichen Darstellung zu
verlieren. Denn unabhängig von Öffentlichkeit und privatheit ist die lebenspraktische
Bedeutung dieses Bildtyps. wer den Heiligen anschaute, starb am
selben Tage keines unerwarteten Todes, so jedenfalls nach mittelalterlicher
Glaubensanschauung I 8.
Der aufgeklärte Betrachter des 20. Jahrhunderts wird darüber lächeln,
denn natürlich ist man auch im Mittelalter gestorben. Doch damit verfehlt
man die Sinndimension des Bildes. verstehen wir die christophorust6
zt den Zusammenhängen zwischen öffentlichkeit und Funktion hat anhand von
Schrifttafeln und Tafelbildem Hartmut Boockmann mehrere Arbeiten vorgelegt. Da ich hier
auf diesen Aspekt nicht näher eingehe, nenne ich nur die folgenden: Hartrnut Boockrnann,
Belehrung durch Bilder? Ein unbekannter Typus spätrnittelalterlicher Tafelbilder. In:
Zeitschrift für Kunstgeschichte 57 Q99\ l-22; ders., über Schriftafeln in spätrnittelalterlichen
deutschen Kirchen. ln: Deutsches Archiv 40 (lg}4) 210-224; siehe hierzu auch die
Arbeit von Boockmanns Schülerin Ruth Slenczka, Lehrhafte Bildtafeln in spätrnittelalterlichen
Kirchen (Pictura et Poesis l0) Köln-weimar-wien 199g. Aber auch in der
Druckgraphik des Spätmittelalters lässt sich Vergleichbares feststellen, siehe Nikolaus
Henkel, schauen und Erinnem. Überlegungen zu Intentionalität und Appellstruktur
illustrierter Einblattdrucke. ln: Einblattdrucke des 15. und frühen 16. Jahrhunderts. probleme,
Perspektiven, Fallstudien, hg. von volker Honemann, sabine Griese, Falk Eisermann und
Marcus Ostermann. Tübingen 2000, 209-243.
“ siehe dazu die materialreiche studie von Hans-Friedrich Rosenfeld, Der heilige
christophorus. Seine verehrung und seine Legende. Eine untersuchung zur Kultgeographie
und Legendenbildung des Mittelalters. l.eipzig 1937; nr verbreitung von chriitophorus-
Darstellungen in der Diözese Regensburg hier 465, in Deutschland: Anhang, Karte III. Zu den
bildlichen Darstellungen siehe Lexikon der christlichen Ikonographie s 11.slz1 46-50g. Die
z-ur Zeit unserer Fresken am weitesten verbreitete Legendenfasiung liefert wiederum die
,Legenda aurea‘ (ed. Graesse), 430-434, sowie die ,Elsässische Legenda Aurea., 453-45g; zu
ijn einzelnen Textfassungen siehe Rosenfeld ,473-529.
‚o Mittelalterliche Kritik an einem solcherart magischen Bildverständnis ist seit dem 14.
Jabrhundert unüberhörbar: Johannes Gerson, Heinrich von Langenstein, Nikolaus von Kues,
Gabriel Biel sind ihre Verheter, siehe Hans Kömer, Der früheste deutsche Einblattholzschnitt
(Studia iconologica 3) Mittenwald l9’19,4g f.: Horst Fuhrmann, Bilder für einen guten Tod
(Bayerische Akademie der wissenschaften, phil.-hist. Klasse, sitzungsberichte 199-7, Heft 3)
München 1997′ 32-38; allgemein dazu siehe Klaus schreiner, Discrimen veri ac falsi. Ansätze und Formen einer Kritik der Heiligen- und Reliquienverehrung des Mittelalters. In:
Archiv für Kulturgeschichte 48 (1966) l-53.
59
Darstellung historisch, dann ist sie keine billige Lebensversicherung‘ vielmehr
steht hinter der geglaubten Wirkung des Christophorusbildes der
ryp“il, -rrrr“nsch, denkeiäan, dass du sterblich bist! Memento mori!“ Das
liiiorisctre Verständnis dieses bitdtyps setzt beim Betrachter das Wissen um
;i;;g;“; Sterblichkeit und die Ak’aeptanz des eigenen Todes voraus‘ Der
BlickaufdasBildruftdiesesWissenab;weresanschaut,umkeines
unvorbereiteten Todes zu sterben, tut dies gerade im Bewusstsein seiner
frinäffigrci,. Und damit ist die intention einer Christophorus-Darstellung
erfüllt: Dieser Mensch *ird ni.ttt eines schlechten, das heißt: unvorbereiteten
i“ä1, ,r“rü““ü. w“nn er an dem betreffenden Tag stirbt, wird es eine bona
morssein,eindurchdu,g“*u“tseinderErlöstheitvorbereiteterTod,wie
ihn auch die ,Artes bene moriendi“ lehren‘ Gerade dieser Aspekt machte
ön irioprro-s-Darstellungen auch im privaten Zusammenhang mittelalterlicherWohnkulturzum-*
i“htig“nteildestäglichenreligiösenLebens.
vollzugs, sei es in norm einer kläinen Plastik, eines Teigdrucks‘ eines an die
w“rJl&r“neten Holzschnitts oder – wie hier – einer aufivendigen wandmalerei.
so ist denn auch der Platz, den die christophorus-Darstellung innerhalb
des Hauses „innit
nt, uon „in“‚ erkennbaren optischen Strategie‘ ja
„in“,
,“g“nrtzungsregie“ geprägt: Wer den freskengeschmtickten Raum über
die nach unten führena“ iräppä verließ, konnte sich durch einen Blick nach
rechts auf das Bild aes geiiigen der heilbringenden wirkung,des christoptto*
t u“t.ichern‘ So gesehen sind die l“td* Heiligendarstellungen marluni“
Z“ugnisse für dieäxistenz und den Gebrauch religiöser Bildformeln im
Zrrru.-„irrung häuslicher wohnkultur undprivater Frömmigkeit des stadtbürgerlichen
Läienstandes im Spätmittelalter2o‘
III.
FürdenheutigenBetrachterbefremdlichistdiedenbeidenHeiligenb..
r“rrung“n b-eigesellte weltliche Tanzszene. Ein inhaltlicher oder themati
,.no Zutuä*enhäng ist nicht erkennbar, ebenso wenig ein wie immer zu deu-
I
I
I
I
I
i
I
I
I
l
60
tendes ,,Programm“. Nachdem ich oben die Vermutung geäußert habe, jede der
drei Darstellungen verdanke sich aufgrund der je unterschiedlichen stilistischen
Prägung einer anderen Vorlage, könnte das auch der Schlüssel zu diesem Ensemble
sein, dessen Zusammensetzung möglicherweise eher von den zuf?illig
vorhandenen vorlagen als von programmatischer Kohärenz bestimmt ist. Damit
unterscheidet sich das Ensemble der Regensburger wandmalereien deutlich von
der rein weltlich ausgerichteten Thematik im Haus ,,Ztr Zirne,, in Diessenhofen/
Schweiz, das Eckehard Simon vorgestellt hat2r.
Die Tanzszene ist weitgehend vollständig erhalten (Abb. l). Eine nach
der Bemalung eingezogene und später wieder abgebrochene Wand in der
Raummitte ist ursache für eine von oben nach unten verlaufende, etwa 30 cm
breite Fehlstelle etwa in der Mitte des Bildregisters; außerdem ist rechts noch
ein größeres Bildfeld abgerieben, an dessen Stelle sich eine Tänzerin befand,
deren umrisszeichnung noch erkennbar ist, sowie eine weitere Männerfigur,
von der nur noch spärliche Reste, u. a. der Bein- und Fußpartie erhalten sind.
Schließlich ist ganz links eine über die ganze Raumhöhe gehende Fehlstelle
von 75 cm Breite auszumachen, deren Bildinhalt unbekannt ist. Der Reigen
besteht aus ursprünglich vier Tänzerinnen und fünf ränzern, die sich in
regelmäßigem wechsel von Mann und Frau an den Händen halten und einen
Reihentanz aufführen, der sich von rechts nach links bewegt. Er findet im
Freien auf einer wiese statt, wie Blumen und Gräser auf der standfläche der
Figuren zeigen. Den Tanzenden sind, links und rechts flankierend, zwei
Musikanten beigesellt: Links wendet sich ein schalmeispieler mit erhobenem
Instrument den Tanzenden zu; auf der rechten seite ist ein Dudelsackspieler zu
sehen, der den Tanzenden folgt. Die Höhe der Figuren nimmt von links nach
rechts leicht ab, wodurch offenbar eine perspektivische Entfernung angedeutet
werden soll.
Allen männlichen Figuren sind Namenbeischriften beigegeben, die sich
zum Teil noch lesen lassen. Der Dudelsackspieler ist mit stubenfol (Abb. 5), die
nach der Lücke links folgenden Figuren sind mit olpreht sowie wirsbein
bezeichnet (Abb. 3f’z. Die Existenz von Beischriften zu zwei weiteren Tänzer
sowie zum Anführers des Reigens sind erkennbar, lassen sich jedoch nicht mehr
lesen. vermutlich wird auch der Schalmeispieler links eine Namenbeischrift
gehabt haben, doch ist die obere partie der Figur verloren. Als ,,sprechenden,,
Namen kann man wirsbein ansetzen: ,der mit dem schrimmen Bein’23. Und in
der Tat scheint diese Figur ein verkrtimmtes, unterentwickeltes Bein zu haben.
“ .si-on, Rustic Muse, 244 f. und Abb. I sowie Roland Böhmer, Neidhart im Bodenseegebiet.
Zur Ikonographie der Neidhartdarstellungen in der Ostschweizer Wandmalerei des 14.
Jahrhunderts (in diesem Band).
“ Siehe zu den Namenbeischriften Hans Ulrich Schmid, Die mittelalterlichen deutschen
Inschriften in Regensburg (Regensburger Beiträge zur deutschen Sprach- und Literaturwissenschaft
40) Frankfirrt am Main etc. 19g9, 24, Nr. l4 und Abb. lg_iO. “ Matthias Lexer, Mittelhochdeutsches Handwörterbuch 3.Leipzig rg7g,93r f.
61
Der Name Wirsbein scheint eben darauf tenrg ar nehmen‘.Olprecht ist ‚der
Einfältige, der nicht t;;;ii;;ste ist’2a. Dei Gesichtsausdruck dieser Figur
gibt dementsprechend ft;;; Defizienz..zu erkennen‘ Nur zu Stubenfol lässt
sich keine plausible Ni*“nJa*t“ng beibringen2s‘ Im umfangreichen Material
der vielfach ,,rpr““h“nJ*“ Personeibezeichnungen der Neidhartlieder und der
pseudoneidharte habe i“f, Oi“r“ Namen indes ntht finden können‘ Doch dass
die Bauern in A“, eur“in*aersetzung mit dem Ritter Neidhart dessen Schwert
an ihren Beinen ^ rpüäu“to*-„nlju lahm geschlag“n-Y“tdl3′ sagt etwa die
Stelle HW 62,11 Hei, solt ich ir einetm stne stälzen bestrichen! In den späteren
Neidhartdichturrg“o *id dieses Motiv immer wieder aufeengmlgn’u‘ Und die
Dummheit a“, suu“^,;ui“-;i; ;tt olprech!1 Namen und Gesicht spricht‘ ist
generelles Kennzeicheir ;;; ;;; uu* d“t sichr der Neidhartdichtungen, insbesondere
der 14 sctrwanttieae. und der sechs spiele. Neben.der Kleidung ist
es auch die Arr d“, N;;;; die auf den bäueilichen Stand der Tanzenden
verweist. In den N“iarru.tJi“ntongen, den Liedern wie den spielen, ist der Tanz
a“t Suu“to ein im übrigeß ganz geläufiges Motiv‘ „-‚“*i;;;; A;ß.;.n
„una
äer Kliidung der Figuren: Die Frauen tragen
lange, bis auf den sJ“n t“itft“nde, langtirmelige Kleider ohne erkennbaren
Schmuck, sie haben u*tt t“ln“n Kopf- oder Haarputz‘ Die Männer‘ aulh.dgr
Dudelsackspieler reclä, tiä urf“tä-t Lolfraarig;
einzig .über‘
den Schalmeispieler
ist keine i;ld;“clt.h, wril dessen Kopfparrie unkenntlich ist.
Einen roten sart hauen d“r-enniti“t des Tanzes und der Tänzer mit der Namenbeischrift
wirsbein. Ä[. vra““r, tragen dunkle, eng anliegende Beinkleider
und hemdartig“ UUetgewänder, die- vo-n einem Gürtel oder Strick zusammengefasrt
una ,‘ f‘ ätrrttt N“tt“fn (Olprecht) zusammengehalten werden
iÄiu.ll. Lediglich der lnfüh.e. und die an seiner Hand folgende Frauengestalt
sind our“t uuil-oaigo“ 6″ioung gekennzeichnet. Er trägt ein Schwert
und eine ropiU“A““r.ing
–ii ti““t gJA’hartigen eufs311′ *1
-U:1 ]“n
detzeit
keine Deutung *“ig iÄ?u‘ +i‘ i“i“ä rechtei Arm hält er angewinkelt‘ mit
geöffneterHandnachoU““;j“a“nfufhhälternichteinenZweigoderTanzstab
„o Zo nthd. alwaere ,einf?iltig‘ (Matthias Lexer, Mittelhochdeutsches Handwörterbuch I
I;cipzig 1812,46 Johann Andreas Schmeller‘ Bayerisches Wörterbuch 1,1. Mlturchen 1872′
65.
25 von mhd. stuppe ,staub’ausgehend etwa ,stopfe ihn voll staub‘ oder ,prügele den staub
aus ihm heraus‘; besser vielleichi von mhd‘ stüppen ‚zu
Pulver machen‘: ‚Mache
ihn vollends
zu Staub,, was auf die prügeilust der BaueÄ’im Kontext der Neidhartthematik hindeuten
könnte. Recht befriedigen *iä t“in“ der kisungen; die wortbelege bei Lexer, Handwöderbuch
2 (1876) Sp. 1275; f,oi.V-Nitt“ft, Ug leifig3 unter der Treppe‘ 54 liest den Namen als
,,Gubeniol“, was sich paläographisch nicht halten lässt‘
26 Siehe hierzu Edmuntl Wi?rä; d;entar zuNeidharts Liedem. Leipzig 1954, 137 mit
einigen Belegen; weitere bietet der ,Neithart Fuchs“
62
in der Hand27. seine rechts folgende partnerin trägt ein gefülteltes Kleid mit
miederformigem oberteil und einem herabhängenden längeren überwurf sowie
einen kaum noch erkennbaren Kopfoutz.
Der Anführer des Tanzes erhebt, auf den schalmeispierer zuschreitend,
die Hand, vielleicht Halt gebietend. Diese Nachricht wird von dem dritten
Tänzer von links durch Kopfwendung nach rückwärts an seine partnerin
weitergegeben. Auch die sechste Reigenfigur von links, eine Tänzerin, wendet
sich ihrem Partner olprecht zu, ebenso die folgende Frauenfigur. Neben der
Tanzrichtung des Reigens von rechts nach links gibt es also auch
Interaktionsgesten unter den einzelnen Figuren. In diesem Zusammenhang ist
noch ein Beobachtung mitzuteilen: während die Abstände der Figuren
einschließlich des Dudelsackspielers auf der rechten Seite ausgesprochen eng
sind (ca. 30-40 cm), zltmal zwischen den sich an den Händen haltenden
Tanzenden, ist der Zwischenraum zwischen dem Anführer des Tanzes und dem
schalmeispieler links auff?illig weit (ca. 80 cm). Zwischen diesen beiden
Figuren befindet sich auf dem Boden ein größerer klumpenftirmiger Gegenstand
von ca. l0 cm Durchmesser, dessen Identität schwer zu deuten ist. Mit diesen
schwierigkeiten hängt auch die Deutung der gesamten szene zusammen, zu der
ich nun komme.
IV
wer sind eigentlich die Gestalten der Regensburger Tanzdarstellung? wenngleich
sich eine sichere Deutung nicht zweifelsfrei ergibt, erscheintls mir am
plausibelsten, in dem Anführer und der ihm folgenden, aufivendiger gekleideten
Frauengestalt Neidhart und die Herzogin anzunehmen, wobei die übrigen Gestalten
dann das eher rustikal geratene Gefolge bilden und der zug sich auf das
vermeintliche ,,veilchen“ zu bewegt, das sich unter dempileus, dir Kappe oder
dem Hut, befindet, den Neidhart über das Blümchen gestülpt hat. Das müsste
dann der fast unkenntliche Gegenstand zwischen dim Atrfütt“r und dem
schalmeispieler sein, vor dem der Anführer durch Handzeichen Halt gebietet.
unklar bleibt dann aber die Funktion der doch wohl bäuerliches Milieu
andeutenden Namenbeischriften, insbesondere olprecht und wirsbein. Diese
Deutung hätte in Kauf zu nehmen, dass die ,,Hetzogin“ als partnerin des
Anführers,,Neidhart“ einem der nachfolgenden Bauern die Hand gibt, ein in der
Ständehierarchie zumindest ungewöhnliches Faktum. Denkbar wäre auch, dass mit dem Anführer ein (schwerttragender) Bauer gemeint ist, vielleicht der in
den literarischen Texten vielfach genannte Engelmar. Das iönnte seine und
seiner Partnerin herausgehobene Kleidung rechtiertigen, würde auch gut zu den
27 so zeigt es die anders strukturierte Tanzszene im Haus ,,Tuchlauben 19,. in wien; siehe
Neidhartfresken um 1400. Die ältesten profanen wandmalereien wiens, hg. von den Museen
der Stadt Wien. Wien o. J., 2g f. und Abb. 7.
63
inschriftlichenNamensangaben,soweitsieerkennbarsind’passen’Einesichere
Interpretation lässt der Befund nicht zu‘
sicher ist aber ai“ üt“r“inrtimmung der Regensburger TanzdarstellunS
mit den Neidhart-wandmalereien im Haus ,,Zum Grundstein“ (um 1360/80) in
winterthur/Schweiz, inrl“rona“r“ mit deren Tanzdarstellung im rechten Teil
des Registers, die bis ii ai“ Gestik und Haltu’ng Jer riguien hinein geht28′
Doch die winterthurer Darstellung hat in ihrem linken Teil szenische Elemente‘
il;R“g“nsburg nicht vorhan-den sind, so die Ankunft der herzoglichen
f*ourug“Iin derei Gegenwart der Hut u91 9:*/o“ merdaceus gehoben wird‘
Ein Tanzpaar links aißen sowie ein Fiedelspieler rechts ergänzen diesen
Bildteil. In der tttit “ J“ttt eine auftag“nde Stange, *9ry q:‘ auf die das
veilchen gesteckt werden und um die getanzt werden sollte. Die Ausführung
deslinkenRegistersinWinterthurhingegenzeigteinenReigentanzimWechsel
von Männern und Frauen, der abgesehen von der Bewegungsrichtunq‘ hier von
links nach rechts, weitgehend mii dem Regensburger Tanz übereinstimmt‘ und
zwar sowohl im Bildtyi an sich als auch in der Haltung einzelner Figuren.
Nur vermutungr’*“ir“ ist auf ein in Regensburg mö€licherweise verlorenes
Bildelement zu verweisen. Es könnte sich links, auf der im Rücken des
Schalmeispieters tiegenden raumhohen Fläche von ca‘ 75 cm Breite befunden
haben,dieheute.,nt“,n“,,“.Putzliegtundoffenbarschonwesentlichfrtiher
;;;br;; gegangen ist. Die Diessenhofener wandmalereien bieten in ihrem unt“
ren R“äi“r -ein
Muster, das geeignet ist, die Fehlstelle der Regensburger
Darstellung intratttictr zu klärenl Die Diessenhofener Darstellung zelgt die
rr*r“gri“nä Hofgesellschäq Jie geraoe denflos merdaceus bemerkt hat, darauf
deutet oder die Nase uoi a“- Gestank zuhält. Durch einen vegetabilen
Szenentrennergeschieden,findetsichganzlinksdieDarstellungder
unmittelbar voraufgehenden Szene, in der ein kauernder Bauer gerade den
scheisshaufen (sit venia verbo) abseta. Eben dieses neidharttypische Element
könnte auch in der Regensburger Darstellung in dem heute zerstörten Bildraum
im Rticten des schäheisplelers platz gehabt haben. ob bauliche verana“*
rrg“o, etwa anlässlich eines Besitzerwechsels‘ den Verlust verursacht ha-
U“n oO“i prüderie, ist kaum zu entscheiden; immerhin hätte sich diese Darstellung
direkt über de- T,eppenabgang ins Erdgeschoss befunden, jedem
unmittelbar vor Augen, der das Haus verlässt. _ Zu bedenken ist ferner, dass in
denRegensburgerwandmalereiendas(unterdemerhaltenenRegistermitder
Tanzszene ausweislich des Rahmenfragments) geplante zweite Register nicht
„r.g“nin
t wurde oder verloren ist, fJrner, dass die beiden anderen Wäinde
*Oäfi“ft“.*“ise weitere Malereien geboten haben‘ von denen nichts mehr
erhalten ist.
2s Siehe hierzu Simon, Rustic Muse, 245 f‘ und Abb‘ 2 sowie Böhmer‘ Neidhart
Band).
64
(in diesem
Eckehard Simon hat zu Recht darauf hingewiesen, dass die bildliche Darstellung
des veilchenschwanks im unmittelbaren Gefolge der literarischen Ausprägung
liegt, die wir im ,Kleinen St. Pauler Neidhartspiel‘ (um 1350) sowie in
dem erst später liberlieferten, aber um 1300 angesetzten schwanklied
beobachten können2e. In den Zusammenhang der bislang bekannten wandmalereien
mit Neidhartdarstellungen gehört nun auch das Regensburger zeugnis. zl
einer Kritik seitens der Geistlichkeit hätte der in Regensburg erhaltene
Neidharttanz in seinem heutigen ztstand sicherlich keinerlei Anlass gegeben,
ztmal in der Umgebung der Heiligen Alexius und Christophorus.
lt 11t S1 fatler Spiel siehe Eckehard Simon, Neidhartspiele. In: Verfasserlexikon 6 (1987)
893-898, hier 895.
65
Abb. 1: Regensburg, Glockengasse 14′ 1′ Obergeschoss‘ Nordostecke: Raumansicht.
Aus : O“nr.*arpnJJJi;“R;;;rürrg. Beiichte, Proj ekte, Aufgaben 1 989′
1990, 1991. Regensburg l99l‘ 54′
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Abb. 2: Regensburg, Glockengasse 14, l. Obergeschoss,
unter der TrePPe) und Christophorus. Aus: DenkmalPflege
1989, 1990, lggl.Regensburg 1991′ 55
Ostwand: Hl. Alexius
in Regensburg.
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Berichte, Projekte, Aufgaben
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Abb. 3: Glockengasse 14, l. Obergeschoss, Nordwand: Reihentanz: Detail mit Namenbeischriften.
Foto: PD Dr. Hans Lllrich Schmid, München, Bayerische Akademie der Wissenschaften.
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Abb. 4: Regensburg, Glockengasse 14, erstes Obergeschoss, Nordwand:
Reihentanz. Detail: Anführer des Tanze. Foto: PD Dr. Hans Ulrich Schmid,
Akademie der Wissenschaft en‘
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München, BaYerische
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eU.!. S: Regensburg, Glockengasse 14, erstes Obergeschoss, Nordwand:
Reihentanz. Detail: Dudelsackspieler mit Namenbeischrift. Foto: iD Dr. Han,
ulrich Schmid, München, Bayerische Akademie der wissenschaften.
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Gertrud Blaschitz (Hg.)
NEIDHARTREZEPTION
IN WORT UND BILI)
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Krems 2000
Inhalt
Vorwort 9
Einleitung l0
Neidhart in der Datenbank
Barbara Heller-Schuh, konftextel. Methodische Uberlegungen
zur Konzeption einer Datenbank mittelhochdeutscher Texte l3
Wandmalereien in der Tradition Neidharts
Roland Böhmer, Neidhart im Bodenseegebiet.
Zur Ikonographie der Neidhartdarstellungen in der
Ostschweizer Wandmalerei des 14. Jahrhunderts 30
, Nikolaus Henkel, Ein Neidharttanz des 14. Jahrhunderts
in einem Regensburger Bürgerhaus 53
Elga Lanc, Neidhart-Schwänke in Bild und Wort
aus der Burg Trautson bei Matrei 7l
Gertrud Blaschitz und Barbara Schedl, Die Ausstattung eines Festsaales
im mittelalterlichen Wien. Eine ikonologische und textkritische
Untersuchung der Wandmalereien des Hauses ,,Tuchlauben 19″ …………… 84
Neithard, Neithart Fuchs und das Grabmal zu St. Stephan
Richard Perger, Neithart in Wien tt2
Friedrich Dahm, Das,,l.{eidhart-Grabmal“ im Wiener Stephansdom.
Untersuchungen zur Bau- und Restauriergeschichte
5
123
Karl Großschmidt, Die Skelettreste des Minnesängers
Neidhart von Reuental und dessen Epigonen Neithart Fuchs.
Eine Identifizierung
Gertrud Blaschitz, Das sog. Neidhart-Grabmal zu St. Stephan und andere
Dichtergräber
Neidhartschwänke und Neidhartspiele
Erhard Jöst, Den Bawrn zu leydfahr ich dahere. Text und Bild
im,,Neithart Fuchs“
Erhard Jöst, Wiltu neithart wissen… Der Reliefzyklus an der Meißener
Albrechtsburg
Patricia Harant, Liedrezeption in den Neidhartspielen. Der lange Weg
Neidharts – von Reuental nach Zeiselmauer
Restaurierung yon Neidhartbildwerken
Renäta Burszän, Salzproblematik der mittelalterlichen Wandmalereien
in Wien, ,,Tuchlauben 19″ sowie Konservierung / Restaurierung
der Szene,,Spiegelraub“
Manfred Koller, Untersuchung und Restaurierung von Bildwerken
des Neidhartkreises in Wien und Tirol
Inhalt der beilieeenden CD-ROM (Aktivierung mittels Aufruf von
index. htm)
Wandmalereien
Diessenhofen,fur Zinne“
Zijrrich,fum Brunnenhof‘
Zürich,Zum Griesemann“
Winterthur,Zum Grundstein“
Regensburg, Glockengasse 14
Burg Trautson
Burg Runkelstein
Wien,,,Tuchlauben 19″
156
l7t
189
210
219
249
278
6
SkulPturen
Albrechtsburg in Meißen
Neidhart-Grabmal zu St. Stephan in Wien
Historische Aufrrahmen
Hochgrab
Chronolo gie der Graböffnung
Figur und Sockelrelief nach der Restaurierung
Holzschnitte
Die Schwanksammlung,,Neithart Fuchs“
Inkunabel Augsburg l49l-97 (z)
Fragment Augsburg I49l-97
Inkunabel Nümberg 1537 (zt)
Inkunabel Frankturt 1566 (*)
Federzeichnung
7
‚ Vorwort
Der vorliegende Band präsentiert Ergebnisse einer voT Institut für
n“uti“nmoa“ des Mittelalters und der frühen Neuzeit der Osteneichischen
etuO.tni“ der Wissenschaften und den Werkstätten des Östeneichischen Bundesdenkmalamtes
veransüalteten Tagung im Oktober 1999. Anlass für die Tagong
*ur einerseits das am Institut für Realienkunde laufende Projekt Realien
im kontext – Datenbank von ,,Realien“ in der mittelhochdeutschen Literalo“,
dut auf einem Text des Minnesängers Neidhart von Reuental basiert und im
Sinne ein“t kontextuellen Methode die Neidhart-Bildtradition in die Projektarbeit
einbezieht. Andererseits erfolgte zur gleichen Zeit im Bundesdenkmalamt
Wien die Restaurierung von Originalen der Neidhart-Bildtradition, und die
abermalige Restaurierung der Wandmalereien aus den Wiener Tuchlauben war
bereits in Diskussion. Nach diesem Arbeitsgespräch erlangte das Kremser
,“Irleidhartprojekt“ nicht nur neue Dynamik und weitere Dimensionen, sondern
auch Aktualität.
Die vorliegende Publikation ist das Ergebnis einer äußerst erfreulichen
interdisziplinären Zusammenarbeit, die neueste Forschungsberichte zu Neidhart
und Neithart Fuchs aus Denkmalpflege, Kunstgeschichte, Germanistik, Geschichte
und EDV bringt.
Ich danke Gerhard Jaritz, dem Herausgeber der Zeitschrift ,Medium
aevum quotidianum“, für die Aufnahme der Publikation als Sonderband.
Mein Dank gilt ganzbesonders Elisabeth vavra, Barbara Schedl und Karl
Brunner für viele hilfreiche Gespräche. Für tatkräftige und geduldige Unterstützung
danke ich Birgit Karl, Gundi Tarcsay und Peter Böttcher.
Gertrud Blaschitz
9
—
Der Band
Einleitung
Das Ziel des Pilotprojektes Realien im Kontext – Datenbank von ,,Realien,. in
der mittelhochdeutschen Literatur war es, in Erg?inzung zu der äInstitut für
Realienkunde des Mittelalters und der frühen Neuzeit b-estehenden Bilddaten_
bank methodische Grundlagen für den Aufbau einer Textdatenbank zu entwickeln,
die den Zugriffaufrealienkundlich relevante Bezeichnungen in den verschi“
denen Texttypen ermöglichen und die Abfrage nach äegdiren oder
Begrifßkombinationen in beiden Datenbanken erlauben soll. üie für die
Bilddatenbank wurde auch bei der Textdatenbank das Datenbankverwaltungssystem
rLero, in Anwendung gebracht. Anhand der umfangreichsten sammlu-ng von Neidhartliedern des Spätmittelalters, der Berliner Händschrift c, wurden
Grundlagen für die Textanalyse dichterischer euellen erarbeitet lBarbara Heller_
Schuh).
zeugen einer lebhaften Neidhartrezeption* sind in vier schweizer
städten wandmalereien aus dem 14. Jahrhundert überliefert. Rolanä Böhmer
untersucht die Neidhart-wandmalereien in den ehemaligen Habsburlerlanden
und unternimmt deren Einordnung in die zeitgenössische-profane we’stscrr*ei
zer wandmalerei. – Ebenfalls dem 14. Jahrhundert zuzuordnen ist der harttanz“ in ,,Neit- einem Regensburger Bürgerhaus, der r9g4 bei Renovierungsarbeiten
entdeckt wurde, über den Nikolaus Henkel schreibt. Die von den werkstätten des Bundesdenkmalamtes wien unter der Leitung von Manfred
lMgallterel id urchgeführre Restaurierung der wandmalerei aus der nu?g üuut.on u.i machte das Manko, dasJ diesem wandbild bis dato
-t“in“
ikono_
graphische würdigung zuteil wurde, deutlich. Elga Lanc uoter.u“nf äi“ Darstel_
lung der Neidhartschwänke in Bild und wort undlegt somit erstmals eine studie zu diesem wesentlichen Zeugnis der Neidhart-Bildädition in stiJti.oi-vor. Der Artikel ,,Die Ausstattung einis Festsaales im mittelalterlichen wien.. von Ger_ trud Blaschitz und Barbara Schedr unternimmt den versuch, aie tglg entdeck-
Zur Schreibung: Im sinne.der Neidhartrezeption wird nur dann die Schreibung Neithart an_ gewandt, wenn eindeutig Neithart Fuchs, der Hotnann ottos des Fröhlichen (1330_1339) gemeint ist.
l0
ten Wandmalereien der Wiener Tuchlauben in den Kontext der mündlichen,
srt ritti“tr“n und ikonographischen Neidhartüberlieferung zu stellen.
Im Themenbereich Neidhart, Neithart Fuchs und das Grabmal zu St.
Stephan bringt Richard Perger ein Resümee seiner historischen Studien über
N“ittturt Fuchs in wien. Im Laufe der Restaurierung der Tumbafigur des
Neidhart-Fuchs-Grabes zu st. Stephan unter der Leitung von Manfred Koller
wurde die Notwendigkeit einer Renovierung der gesamten Tumba erkannt, was
deren Abbau bedingte: Die erforderliche Graböffnung im April 2000 ermöglichte
erstmals eine genaue kunsthistorische Analyse des Hochgrabes (Friedrich
Dahm) sowie die anthropologische Untersuchung der darin befindlichen
Knochen (Karl Großschmid|. Eine Synopse dieser aktuellen Forschungsergebnisse
versucht die Herausgeberin.
Im Komplex Neidhartschwänke und Neidhartspiele bringt Erhard Jöst
Interpretationen zur Rezeptionsgeschichte der Wort-Bild-Relation der Neithartschwänke
in den Ausgaben des Schwankbuches und auf den Reliefs der Albrechtsburg
in Meißen. Patricia Harant beschäftigt sich mit der Liedrezeption in
den Neidhartspielen.
Im Kapitel ,,Restaurierung von Neidhartbildwerken“ wird die Notwendigkeit
einer abermaligen Restaurierung der Neidhart-Wandmalereien in den
Wiener Tuchlauben aus der Zeit um 1400 begründet; Renäta Burszän stellt in
diesem Band die wichtigsten Ergebnisse ihrer Diplomarbeit über die Salzschäden
der mittelalterlichen Wandmalereien (Akademie der bildenden Künste,
Meisterklasse für Restaurierung und Konservierung) vor‘ Ihre beispielhaft
durchgeführten Analysen der Salzproblematik sowie der Konservierung und
Restaurierung der Szene ,spiegelraub‘ sind ausführlich auch auf der
beiliegenden CD-ROM dokumentiert. Manfred Koller berichtet über die Untersuchung
und Restaurierung der Wandmalerei aus der Burg Trautson und des
Grabmiles des Neithart Fuchsr.
Die CD-ROM
Die dem Band beigefügte CD-ROM enthält sämtliche uns bekannten mittelalterlichen
Bildquellen der Neidhart-Tradition. Es sind dies Wandmalereien,
Skulpturen, Holzschnitte aus der Schweiz, aus Italien, aus Deutschland und aus
Osterreich, weiters das Hochgrab mit der Liegefigur zu St. Stephan in Wien und
eine Federzeichnung aus einem Wiener Codex. Neben bereits bekannten
Werken der Neidhart-Bildtradition, zum Teil in neuesten Aufoahmen, finden
sich zahlreiche Novitäten. Dant zählen bei den Wandmalereien die Aufrrahmen
rEin weiterer Beinag zum Thema ,,Restaurienrng von Neidhadbildwerken“ wird im Heft 43
von Medium Aewm Quotidianum 2001 erscheinen: Stefan Rodler, Zu Maltechnik, Zustand
und Präsentationsproblematik des Neidhadzyklus (Diplomarbeit an der Akademie der
bildenden Künste, Meisterklasse für Restaurierung und Konservierung).
ll
:-
aus dem Bürgerhaus in Regensburg, weiters die Wiedergabe der von Friedrich
von Schmidt angefertigten Nachzeichnung aus der Burg Runkelstein2, die
Aufnahmen von der kürzlich in den Werkstätten des Bundesdenkmalamtes Wien
restaurierten Neidhart-Wandmalerei aus der Burg Trautson3 und die Ergebnisse
der rasterelektronenmikroskopischen bzw. röntgenmikroanalytischen Untersuchungen
von Renäta Burszän anläßlich ihrer Diplomarbeit über die Salzproblematik
in den Wiener Tuchlauben. Gänzlich neu sind die Aufuahmen von der
restaurierten Tumbahgur des Neidhart-Grabes zu St. Stephan, die Reportage von
der Graböffnung, die Aufnahmen über die Tumbakonstruktion und über die
Stratigraphie des Knochenmaterials, aber auch die über die Überreste der Gebeine.
Neben den bereits von Erhard Jöst publizierten Holzschnitten aus den
Drucken des Schwankbuches von l49l-9’7 (z) und 1566 (22) wird die komplette
Folge der Holzschnitte des Fragmentes Augsburg l49I-97 und die Ausgabe von
1537 (zt) wiedergegeben, die dankenswerterweise von Erhard Jöst als Mikrofilme..
zur Verfügung gestellt wurden. Die Federzeichnung aus dem Codex 5458
der Osterreichischen Nationalbibliothek, bereitgestellt von Veronika Pirker-
Aurenhammera, vervollständigt die bisher bekannte Kollektion an Bildzeugnissen
aus der Neidhart-Tradition.
2 Mein Dank gilt Andr6 Bechtold, der mir eine Aufirahme des Runkelsteiner Veilchenschwankes
als Diapositiv zur Verfügung stellte.
‚DI Gobert Auersperg danke ich herzlich für die Fotografieredaubnis und für die Genehmigung
zur veröffentlichung dieser Aufirahmen der Neidhartwandmalerei aus der Burg
Trautson bei Matrei.
a Veronika Pirker-Aurenhammer danke ich ganz herzlich für die Information über die Federzeichnung
im Codex 5458 der Österreichischen Nationalbibliothek.
t2
Gertrud Blaschitz (Hg.)
NEIDHARTREZEPTION
IN WORT UND BILI)
\.::J till
-r. Ji\)l
“!
itqrr.[J.
.,i .6 – 2,/1
l,lAao
Krems 2000
Inhalt
Vorwort 9
Einleitung l0
Neidhart in der Datenbank
Barbara Heller-Schuh, konftextel. Methodische Uberlegungen
zur Konzeption einer Datenbank mittelhochdeutscher Texte l3
Wandmalereien in der Tradition Neidharts
Roland Böhmer, Neidhart im Bodenseegebiet.
Zur Ikonographie der Neidhartdarstellungen in der
Ostschweizer Wandmalerei des 14. Jahrhunderts 30
, Nikolaus Henkel, Ein Neidharttanz des 14. Jahrhunderts
in einem Regensburger Bürgerhaus 53
Elga Lanc, Neidhart-Schwänke in Bild und Wort
aus der Burg Trautson bei Matrei 7l
Gertrud Blaschitz und Barbara Schedl, Die Ausstattung eines Festsaales
im mittelalterlichen Wien. Eine ikonologische und textkritische
Untersuchung der Wandmalereien des Hauses ,,Tuchlauben 19″ …………… 84
Neithard, Neithart Fuchs und das Grabmal zu St. Stephan
Richard Perger, Neithart in Wien tt2
Friedrich Dahm, Das,,l.{eidhart-Grabmal“ im Wiener Stephansdom.
Untersuchungen zur Bau- und Restauriergeschichte
5
123
Karl Großschmidt, Die Skelettreste des Minnesängers
Neidhart von Reuental und dessen Epigonen Neithart Fuchs.
Eine Identifizierung
Gertrud Blaschitz, Das sog. Neidhart-Grabmal zu St. Stephan und andere
Dichtergräber
Neidhartschwänke und Neidhartspiele
Erhard Jöst, Den Bawrn zu leydfahr ich dahere. Text und Bild
im,,Neithart Fuchs“
Erhard Jöst, Wiltu neithart wissen… Der Reliefzyklus an der Meißener
Albrechtsburg
Patricia Harant, Liedrezeption in den Neidhartspielen. Der lange Weg
Neidharts – von Reuental nach Zeiselmauer
Restaurierung yon Neidhartbildwerken
Renäta Burszän, Salzproblematik der mittelalterlichen Wandmalereien
in Wien, ,,Tuchlauben 19″ sowie Konservierung / Restaurierung
der Szene,,Spiegelraub“
Manfred Koller, Untersuchung und Restaurierung von Bildwerken
des Neidhartkreises in Wien und Tirol
Inhalt der beilieeenden CD-ROM (Aktivierung mittels Aufruf von
index. htm)
Wandmalereien
Diessenhofen,fur Zinne“
Zijrrich,fum Brunnenhof‘
Zürich,Zum Griesemann“
Winterthur,Zum Grundstein“
Regensburg, Glockengasse 14
Burg Trautson
Burg Runkelstein
Wien,,,Tuchlauben 19″
156
l7t
189
210
219
249
278
6
SkulPturen
Albrechtsburg in Meißen
Neidhart-Grabmal zu St. Stephan in Wien
Historische Aufrrahmen
Hochgrab
Chronolo gie der Graböffnung
Figur und Sockelrelief nach der Restaurierung
Holzschnitte
Die Schwanksammlung,,Neithart Fuchs“
Inkunabel Augsburg l49l-97 (z)
Fragment Augsburg I49l-97
Inkunabel Nümberg 1537 (zt)
Inkunabel Frankturt 1566 (*)
Federzeichnung
7
‚ Vorwort
Der vorliegende Band präsentiert Ergebnisse einer voT Institut für
n“uti“nmoa“ des Mittelalters und der frühen Neuzeit der Osteneichischen
etuO.tni“ der Wissenschaften und den Werkstätten des Östeneichischen Bundesdenkmalamtes
veransüalteten Tagung im Oktober 1999. Anlass für die Tagong
*ur einerseits das am Institut für Realienkunde laufende Projekt Realien
im kontext – Datenbank von ,,Realien“ in der mittelhochdeutschen Literalo“,
dut auf einem Text des Minnesängers Neidhart von Reuental basiert und im
Sinne ein“t kontextuellen Methode die Neidhart-Bildtradition in die Projektarbeit
einbezieht. Andererseits erfolgte zur gleichen Zeit im Bundesdenkmalamt
Wien die Restaurierung von Originalen der Neidhart-Bildtradition, und die
abermalige Restaurierung der Wandmalereien aus den Wiener Tuchlauben war
bereits in Diskussion. Nach diesem Arbeitsgespräch erlangte das Kremser
,“Irleidhartprojekt“ nicht nur neue Dynamik und weitere Dimensionen, sondern
auch Aktualität.
Die vorliegende Publikation ist das Ergebnis einer äußerst erfreulichen
interdisziplinären Zusammenarbeit, die neueste Forschungsberichte zu Neidhart
und Neithart Fuchs aus Denkmalpflege, Kunstgeschichte, Germanistik, Geschichte
und EDV bringt.
Ich danke Gerhard Jaritz, dem Herausgeber der Zeitschrift ,Medium
aevum quotidianum“, für die Aufnahme der Publikation als Sonderband.
Mein Dank gilt ganzbesonders Elisabeth vavra, Barbara Schedl und Karl
Brunner für viele hilfreiche Gespräche. Für tatkräftige und geduldige Unterstützung
danke ich Birgit Karl, Gundi Tarcsay und Peter Böttcher.
Gertrud Blaschitz
9
—
Der Band
Einleitung
Das Ziel des Pilotprojektes Realien im Kontext – Datenbank von ,,Realien,. in
der mittelhochdeutschen Literatur war es, in Erg?inzung zu der äInstitut für
Realienkunde des Mittelalters und der frühen Neuzeit b-estehenden Bilddaten_
bank methodische Grundlagen für den Aufbau einer Textdatenbank zu entwickeln,
die den Zugriffaufrealienkundlich relevante Bezeichnungen in den verschi“
denen Texttypen ermöglichen und die Abfrage nach äegdiren oder
Begrifßkombinationen in beiden Datenbanken erlauben soll. üie für die
Bilddatenbank wurde auch bei der Textdatenbank das Datenbankverwaltungssystem
rLero, in Anwendung gebracht. Anhand der umfangreichsten sammlu-ng von Neidhartliedern des Spätmittelalters, der Berliner Händschrift c, wurden
Grundlagen für die Textanalyse dichterischer euellen erarbeitet lBarbara Heller_
Schuh).
zeugen einer lebhaften Neidhartrezeption* sind in vier schweizer
städten wandmalereien aus dem 14. Jahrhundert überliefert. Rolanä Böhmer
untersucht die Neidhart-wandmalereien in den ehemaligen Habsburlerlanden
und unternimmt deren Einordnung in die zeitgenössische-profane we’stscrr*ei
zer wandmalerei. – Ebenfalls dem 14. Jahrhundert zuzuordnen ist der harttanz“ in ,,Neit- einem Regensburger Bürgerhaus, der r9g4 bei Renovierungsarbeiten
entdeckt wurde, über den Nikolaus Henkel schreibt. Die von den werkstätten des Bundesdenkmalamtes wien unter der Leitung von Manfred
lMgallterel id urchgeführre Restaurierung der wandmalerei aus der nu?g üuut.on u.i machte das Manko, dasJ diesem wandbild bis dato
-t“in“
ikono_
graphische würdigung zuteil wurde, deutlich. Elga Lanc uoter.u“nf äi“ Darstel_
lung der Neidhartschwänke in Bild und wort undlegt somit erstmals eine studie zu diesem wesentlichen Zeugnis der Neidhart-Bildädition in stiJti.oi-vor. Der Artikel ,,Die Ausstattung einis Festsaales im mittelalterlichen wien.. von Ger_ trud Blaschitz und Barbara Schedr unternimmt den versuch, aie tglg entdeck-
Zur Schreibung: Im sinne.der Neidhartrezeption wird nur dann die Schreibung Neithart an_ gewandt, wenn eindeutig Neithart Fuchs, der Hotnann ottos des Fröhlichen (1330_1339) gemeint ist.
l0
ten Wandmalereien der Wiener Tuchlauben in den Kontext der mündlichen,
srt ritti“tr“n und ikonographischen Neidhartüberlieferung zu stellen.
Im Themenbereich Neidhart, Neithart Fuchs und das Grabmal zu St.
Stephan bringt Richard Perger ein Resümee seiner historischen Studien über
N“ittturt Fuchs in wien. Im Laufe der Restaurierung der Tumbafigur des
Neidhart-Fuchs-Grabes zu st. Stephan unter der Leitung von Manfred Koller
wurde die Notwendigkeit einer Renovierung der gesamten Tumba erkannt, was
deren Abbau bedingte: Die erforderliche Graböffnung im April 2000 ermöglichte
erstmals eine genaue kunsthistorische Analyse des Hochgrabes (Friedrich
Dahm) sowie die anthropologische Untersuchung der darin befindlichen
Knochen (Karl Großschmid|. Eine Synopse dieser aktuellen Forschungsergebnisse
versucht die Herausgeberin.
Im Komplex Neidhartschwänke und Neidhartspiele bringt Erhard Jöst
Interpretationen zur Rezeptionsgeschichte der Wort-Bild-Relation der Neithartschwänke
in den Ausgaben des Schwankbuches und auf den Reliefs der Albrechtsburg
in Meißen. Patricia Harant beschäftigt sich mit der Liedrezeption in
den Neidhartspielen.
Im Kapitel ,,Restaurierung von Neidhartbildwerken“ wird die Notwendigkeit
einer abermaligen Restaurierung der Neidhart-Wandmalereien in den
Wiener Tuchlauben aus der Zeit um 1400 begründet; Renäta Burszän stellt in
diesem Band die wichtigsten Ergebnisse ihrer Diplomarbeit über die Salzschäden
der mittelalterlichen Wandmalereien (Akademie der bildenden Künste,
Meisterklasse für Restaurierung und Konservierung) vor‘ Ihre beispielhaft
durchgeführten Analysen der Salzproblematik sowie der Konservierung und
Restaurierung der Szene ,spiegelraub‘ sind ausführlich auch auf der
beiliegenden CD-ROM dokumentiert. Manfred Koller berichtet über die Untersuchung
und Restaurierung der Wandmalerei aus der Burg Trautson und des
Grabmiles des Neithart Fuchsr.
Die CD-ROM
Die dem Band beigefügte CD-ROM enthält sämtliche uns bekannten mittelalterlichen
Bildquellen der Neidhart-Tradition. Es sind dies Wandmalereien,
Skulpturen, Holzschnitte aus der Schweiz, aus Italien, aus Deutschland und aus
Osterreich, weiters das Hochgrab mit der Liegefigur zu St. Stephan in Wien und
eine Federzeichnung aus einem Wiener Codex. Neben bereits bekannten
Werken der Neidhart-Bildtradition, zum Teil in neuesten Aufoahmen, finden
sich zahlreiche Novitäten. Dant zählen bei den Wandmalereien die Aufrrahmen
rEin weiterer Beinag zum Thema ,,Restaurienrng von Neidhadbildwerken“ wird im Heft 43
von Medium Aewm Quotidianum 2001 erscheinen: Stefan Rodler, Zu Maltechnik, Zustand
und Präsentationsproblematik des Neidhadzyklus (Diplomarbeit an der Akademie der
bildenden Künste, Meisterklasse für Restaurierung und Konservierung).
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aus dem Bürgerhaus in Regensburg, weiters die Wiedergabe der von Friedrich
von Schmidt angefertigten Nachzeichnung aus der Burg Runkelstein2, die
Aufnahmen von der kürzlich in den Werkstätten des Bundesdenkmalamtes Wien
restaurierten Neidhart-Wandmalerei aus der Burg Trautson3 und die Ergebnisse
der rasterelektronenmikroskopischen bzw. röntgenmikroanalytischen Untersuchungen
von Renäta Burszän anläßlich ihrer Diplomarbeit über die Salzproblematik
in den Wiener Tuchlauben. Gänzlich neu sind die Aufuahmen von der
restaurierten Tumbahgur des Neidhart-Grabes zu St. Stephan, die Reportage von
der Graböffnung, die Aufnahmen über die Tumbakonstruktion und über die
Stratigraphie des Knochenmaterials, aber auch die über die Überreste der Gebeine.
Neben den bereits von Erhard Jöst publizierten Holzschnitten aus den
Drucken des Schwankbuches von l49l-9’7 (z) und 1566 (22) wird die komplette
Folge der Holzschnitte des Fragmentes Augsburg l49I-97 und die Ausgabe von
1537 (zt) wiedergegeben, die dankenswerterweise von Erhard Jöst als Mikrofilme..
zur Verfügung gestellt wurden. Die Federzeichnung aus dem Codex 5458
der Osterreichischen Nationalbibliothek, bereitgestellt von Veronika Pirker-
Aurenhammera, vervollständigt die bisher bekannte Kollektion an Bildzeugnissen
aus der Neidhart-Tradition.
2 Mein Dank gilt Andr6 Bechtold, der mir eine Aufirahme des Runkelsteiner Veilchenschwankes
als Diapositiv zur Verfügung stellte.
‚DI Gobert Auersperg danke ich herzlich für die Fotografieredaubnis und für die Genehmigung
zur veröffentlichung dieser Aufirahmen der Neidhartwandmalerei aus der Burg
Trautson bei Matrei.
a Veronika Pirker-Aurenhammer danke ich ganz herzlich für die Information über die Federzeichnung
im Codex 5458 der Österreichischen Nationalbibliothek.
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