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Investitionen für die Ewigkeit

INVESTITIONEN FÜR DIE EWIGKEIT
Kornelia Holzner-Tobisch
MEDIUM AEVUM QUOTIDIANUM
HERAUSGEGEBEN VON GERHARD JARITZ
SONDERBAND XIX
Kornelia Holzner-Tobisch
INVESTITIONEN FÜR DIE EWIGKEIT
Die Seelenheilstiftungen in den letztwilligen Verfügungen
der Stadt Korneuburg im 15. Jahrhundert
Krems 2007
GEDRUCKT MIT UNTERSTÜTZUNG
DER ABTEILUNG KULTUR UND WISSENSCHAFT DES AMTES DER
NIEDERÖSTERREICHISCHEN LANDESREGIERUNG
Umschlagbild: Andreasaltar aus der ehemaligen Friedhofskapelle St. Andreas im Karner auf
dem Domplatz von St. Pölten, Niederösterreich, um 1480: Seelenmesse, Errettung der Armen
Seelen aus dem Fegefeuer. St. Pölten, Stadtmuseum (Foto: Institut für Realienkunde, Krems).
Alle Rechte vorbehalten
– ISBN 978-3-901094-22-4
Herausgeber: Medium Aevum Quotidianum. Gesellschaft zur Erforschung der materiellen
Kultur des Mittelalters, Körnermarkt 13, A–3500 Krems, Österreich. Für den Inhalt verantwortlich
zeichnen die Autoren, ohne deren ausdrückliche Zustimmung jeglicher Nachdruck,
auch in Auszügen, nicht gestattet ist.
Druck: KOPITU Ges. m. b. H., Wiedner Hauptstraße 8-10, A–1050 Wien.
5
Inhaltsverzeichnis
Einleitung ………………………………………………………..…..………… 8
Massenquellen ………………………….……………………………………………..……… 9
Zukunft und Zukunftsvorsorge ……………………….…………………………………….. 12
Netzwerke und Knoten …………………………………………………………………..…. 14
Alltag und Ritual ……………………………………………………………………………. 15
Fragestellungen …………………………………………………………………………….. 17
Teil 1: Handlungsräume ……………………………………..……………….. 18
I. Kleinstädtische Lebenswelt ………..……………………….……………………. 18
1. Handelszentrum ……………..……………………..……………………. 18
2. Kirchen und Altäre ……………..……………………………….………. 23
3. Lebenswelt in Ausschnitten ………..………………………………..….. 27
II. Rechnen mit der Ewigkeit …………………..………………………….……….. 28
1. Bildwelten …………..……………..……………………………………. 28
2. Zwischen Wandel und Kontinuität ………..………………….………… 31
3. Zwischen Himmel und Hölle: Purgatorium ……….……….……….….. 35
Vom Nutzen des Opfers (Augustinus) ….……………………….. 35
Verlebendigung des Interims ………….………………………… 36
Partikulargericht und Fegefeuer ……………………….………… 37
Arme Seelen, Selige Seelen, Wiedergänger ……………..……… 38
4. Zwischen Himmel und Hölle: erlösende Hilfe ……………….………… 39
Tarifierte Buße ……………….………………………………….. 39
Die Gnade des Messopfers ….…………………………….…….. 40
Differenzierungen…….…………. ……………………………… 42
5. Erfolg und Kritik ……….……………….. …………….………………. 42
Verständliche Antworten …………………………….…………. 42
Berechenbares Tun …..………………..………………………… 43
Wert der Messe? ……..……………….………………. .………. 44
Devotio und Cognitio ..………………….………………. ……… 45
Andacht und Zählen ……….………….…………….………….. 45
Ars moriendi ……….……………….……………………………. 47
Viele Wege zum Heil ……………………..…………………….. 49
Teil 2: Quellen und Recht …………………………………………………… 51
I. Geschäfte und Geschäftsbücher ………………………………………………….51
1. Stadtbücher …………………………………………………………….. 51
Geschäfte ……………………………………………………….. 52
Pflicht oder Gewohnheit? ………………………..…….……….. 53
Überlieferungschance ……….………………………………….. 55
2. Die Korneuburger Geschäftsbücher …………………………………… 55
Handschriften ……………………………….…………..………. 56
In das Stadtbuch geschrieben …….…………,………………….. 58
Geschäftszettel ………………………………..………………… 60
3. Der Gang ins Rathaus ………………………………………………….. 60
Geschäftsleute …………………………………………………. 61
Anhörung ………………………………..……….…………….63
6
Mündlich, schriftlich, eigenhändig …………………………… 64
Persönlich und vor aller Augen ………….…………………… 65
Und das Leben geht weiter …………………………………… 66
II. Rechte, Pflichten, Interessen ………………………………..….………… 67
1. Wider Erwarten: eines Bürgermeisters Geschäft ……….………… 68
2. Vererben und erben …………………………………..…………… 69
Erbrecht ……………….…………………..………………….. 70
Ehepartner …………….……………………………………… 71
Frauen ………………………………………….…………….. 73
Sorge um die Kinder …………………………………………. 75
3. Heil der Seele …………………………..………………………… 78
Letztwillig verfügt ….………………..………………………. 78
Anempfohlen ………..…………………..….………………… 79
Kein Seelgerät? ……..……………………..…………………. 79
‚Spitze eines Eisbergs’ ..……………………………………… 80
Teil 3: Menschen – Orte – Rituale …………………………..………… 82
I. Sich Memoria leisten ………………………………………..…………… 82
1. Bühne des Lebens ………………………………………………… 82
Ehrbar begehen ……………………………………………… 82
Preis … …………….………………………………………. 85
… und Wert …………………………………………………. 87
Luxus der Ewigkeit ….……………………………..……….. 92
2. Vom Stadtrichter bis zum Knecht …………….….………………. 95
Caspar Strasser ……….………..……………………………. 96
Siman der Wagenknecht ……………………………………. 99
3. Stifter und Stifterinnen …………………….……………………. 101
Ratsfamilien ……………………………………………….. 101
Wohlhabend: Krämer, Binder, Fleischhacker ………..…… 103
Zwischen viel und wenig: Handwerker ………………..….. 104
Geistliche Herren ……………………………………..…… 105
4. ‚Volksfrömmigkeit’? ……………………………………..……. 107
Konzepte ………… ……………………………………… 107
Befund der Quellen ………………………………………. 108
Welches Volk? ……………………………..……….……. 109
Über Grenzen hinweg………………………………..……. 110
II. Memoria leisten ……………………………………………………… 111
1. Im Blickfeld ………………………………………………..…. 111
2. Pfarrkirche: Geistliche und Laien ………………………..…… 112
‚Hauptamtliche’ ……………………………………..……. 113
Gesellen ……………………………………………..…… 115
Kapläne oder „wo man Priester findet“ …………………. 116
Der Kirchenmeister: Bauherr zum Lobe Gottes ………… 118
Investment in Laienhänden …….……….……………….. 120
3. Bettelbrüder und Heilige ……………………………..……… 121
Die Brüder in der Stadt: Augustiner …………………..…121
Reich und eingesessen …………………………..……… 122
Die strengen Brüder jenseits der Donau: Bernhardiner …124
Der Blick in die Ferne:
Beziehungen und Entscheidungen ……………….….. 125
Unsere Liebe Frau und der Heilige vom Abersee …….… 127
4. Die armen Bedürftigen ……………………………………….. 129
7
Dem Geringsten meiner Brüder ….………………………. 129
Gute und Schlechte ……………………………………… 130
Caritas und Memoria ……………………………………..131
Das Opfer der Tat ……………..………………………….133
Seltene Feste ……………………………………….……. 134
Soziales und symbolisches Kapital ……………………… 136
Zusammenfassung: Netzwerke und Knoten ………………………….. 139
Geschichten ……………………………………………… 139
Horizonte ……………………………………………..…. 140
Menschen ……………………………………………….. 141
Orte ………………………………………………….….. 142
Rituale …………………………………..……………… 144
Quellen- und Literaturverzeichnis …………………………..……….. 146
8
Einleitung
Zu ain ewigen gedechtnuss
in unser statpuch geschriben
Als im Oktober 1444 der Korneuburger Stadtschreiber und Notar Erhart von
Asparn mit den Worten Iste liber est inceptus mit der Anlage eines neuen
Stadtbuchs für „Geschäfte“, wie letztwillige Verfügungen bezeichnet wurden,
begann und dieses Geschäfftpuech auch jahrelang selbst mit großer Sorgfalt
führte, ahnte er wohl kaum, dass er damit wesentlichen Anteil an der Entstehung
eines äußerst wertvollen Quellenbestands der Stadtgeschichte haben sollte. Es ist
das zweite von insgesamt drei erhaltenen ‚Testamentsbüchern’ im Stadtarchiv
Korneuburg, die von 1401 bis 1526 geführt wurden und mit etwa 600 Eintragungen,
davon über 500 aus dem 15. Jahrhundert, einen der größten Bestände
im ostösterreichischen Raum überliefern1. Korneuburg, nahe bei Wien gelegen,
ist eine der zahlreichen Kleinstädte Niederösterreichs, die durch den Donauhandel
und landesfürstliche Förderung im Spätmittelalter von größerer Bedeutung
war2. Das 15. Jahrhundert gilt als eine der wichtigsten Perioden in der
Geschichte der Stadt, die in der Neuzeit an Bedeutung verlor.
1 Stadtarchiv Korneuburg (StAK), Hs. 3/159 (1401–1444), Hs. 3/160 (1444–1493), Hs. 3/161
(1494–1521), s. zu den Handschriften unten die Anm. 135, 137 und 139. Die großteils nicht
edierten letztwilligen Verfügungen werden nach dem Eintrag in der Handschrift zitiert, mit
Angabe der Testatoren sowie des Datums der Verlautbarung vor dem Rat. Die von Paul
Uiblein auszugsweise edierten Testamente (33 Stück) werden nach der Nummer der Edition
zitiert: Paul Uiblein (Hg.), Die Bücherverzeichnisse in Korneuburger, Tullner und Wiener
Neustädter Testamenten (Mittelalterliche Bibliothekskataloge Österreichs, Nachtrag zu
Band I: Niederösterreich) Wien-Köln-Graz 1969. – Die Einleitung des Stadtschreibers in
Hs. 3/160, fol. 1r lautet: Iste liber est inceptus per Erhardum de Asparn maiori notarium
publicum coramque venerabili consulato civitatis Neunburgi forensis pro tunc schribam,
pestilencia in tota Austria regnante anno domini millesimo quadringentesimo quadragesimo
quarto, sacro Basiliensi concilio durante; eodemque anno rex Polonie Bladislaus nomine
intrusus ad regnum Ungarie interfectus est cum pluribus milibus Ungaris, inter quos
quidam solemnis cardinalis Iulianus nomine, per Turcos, Fridrico rege Romanorum, duce
Austrie, Stirie etc., tutore Ladislai filii domini Alberti felicis recordacionis olim regis Romanorum,
Ungarie, Bohemie, Dalmacie, Coracie (sic!) ac ducis Austrie etc. regnante etc.
2 Zur Stadtgeschichte bes. Albert Starzer, Geschichte der landesfürstlichen Stadt Korneuburg.
Korneuburg 1899; Franz Zeissl, Geschichte der Stadt Korneuburg I. Wien 1959; Michaela
Laichmann-Krissl, Stagnation und Wandel – Korneuburg vom 14. bis zum 17. Jahrhundert,
in: Unsere Heimat 63 (1992) 301–312, zur mangelnden Erschließung der Testamente ebd.
304, Anm. 30. Nicht genannt sind die ‚Testamentsbücher’ bei Paul Rehme, Stadtbücher des
Mittelalters I. Leipzig 1927, 26.
9
Erhart von Asparn (an der Zaya) wird zu den bedeutendsten Männern der
Stadt gezählt und dessen Andenken bis heute gewahrt: Auf der mit den Wappen
der verdienstvollsten Bürger gestalteten Decke des 1894/95 erbauten Rathauses
wurde auch er verewigt. Dieses ihm zukommende „ewige Gedächtnis“ verhält
sich allerdings umgekehrt proportional zu dem historischen Interesse an den von
ihm geschriebenen Stadtbüchern3. Obwohl er sich im wahrsten Sinne des Wortes
in das Gedächtnis der Stadt ‚eingeschrieben’ hatte, galt die Jahrhunderte
überdauernde Erinnerung nicht seiner Buchführung, sondern vor allem seinen
guten Beziehungen zu Kaiser Friedrich III., von dem er 1447 die Bestätigung
des Niederlagsprivilegs erwirkte. Die Korneuburger ‚Testamentsbücher’ mit
ihrer für diese Quellengattung typischen Materialfülle zur städtischen Lebenswelt
blieben hingegen bis heute weitgehend unerschlossen und fanden selbst in
der Lokalgeschichte nur wenig Beachtung4.
Massenquellen
Der Umfang des Korneuburger Bestands ist für eine Kleinstadt beachtlich, allerdings
nicht vergleichbar mit den Beständen in einigen anderen Städten Europas,
wo sich, wie etwa in Lübeck oder in Avignon, mitunter über 6000 Stück erhalten
haben5. In den Wiener Stadtbüchern sind allein für den Zeitraum von 1395
bis 1430 etwa 2300 letztwillige Verfügungen überliefert, für das restliche 15.
Jahrhundert gingen die Stadtbücher verloren, sodass von einer ursprünglich wesentlich
höheren Zahl auszugehen ist6.
Spätmittelalterliche Bürgertestamente sind europaweit in vielen europäischen
Städten in ‚langen und dichten’ Reihen – in größerer Zahl und relativ ein-
3 Von Erhart (Erhardus) von Asparn stammen die ersten 73 Einträge bis zum Jahr 1453,
StAK, Hs. 3/160 fol. 2r–50v. Er war als Baccalaureus artium in Bologna (1437) und an der
juridischen Fakultät in Wien (1441) immatrikuliert; nicht bekannt ist, wo er das Bakkalaureat
erwarb. Er starb wohl Anfang 1455, sein ‚Testament’ vom 21. Dezember 1454 ebd. fol.
55v (1455 III 3). Zu ihm s. Uiblein, Bücherverzeichnisse 16, bes. Anm. 33.
4 Bislang wurden nur von Uiblein im Rahmen der ‚Mittelalterlichen Bibliothekskataloge Österreichs’
einige Eintragungen ediert (s. Anm. 1); er berücksichtigte dabei alle Verfügungen
mit Büchernennungen.
5 Vgl. den tabellarischen Überblick zur Überlieferung bei Paul Baur, Testament und Bürgerschaft.
Alltagsleben und Sachkultur im spätmittelalterlichen Konstanz (Konstanzer Geschichts-
und Rechtsquellen XXXI) Sigmaringen 1989, 30 f.
6 Die Wiener Stadtbücher sind derzeit bis 1411 in drei Bänden ediert: Wilhelm Brauneder u.
Gerhard Jaritz (Hg.), Die Wiener Stadtbücher 1395–1430, Teil 1: 1395–1400 (Fontes rerum
Austriacarum III/10/1) Wien-Köln 1989; Wilhelm Brauneder, Gerhard Jaritz u. Christian
Neschwara (Hg.), Die Wiener Stadtbücher 1395–1430, Teil 2: 1401–1405 (Fontes rerum
Austriacarum III/10/2) Wien-Köln-Weimar 1998; Gerhard Jaritz u. Christian Neschwara
(Hg.), Die Wiener Stadtbücher 1395–1430, Teil 3: 1406–1411 (Fontes rerum Austriacarum
III/10/3) Wien-Köln-Weimar 2006. Die Wiener Stadtbücher wurden gemischt geführt und
enthalten daher außer Testamenten diverseste Rechtsangelegenheiten wie Verwandtschaftsweisungen,
Ratsurteile, Handwerksordnungen, Ratslisten usw. (insgesamt über 4500 Einträge),
vgl. dazu das Vorwort von Brauneder/Jaritz, Wiener Stadtbücher 1, 9 ff.
10
heitlicher Form über längere Zeiträume hinweg – überliefert und haben aufgrund
ihrer Menge und Gleichförmigkeit den Charakter serieller ‚Massenquellen’7. Im
österreichischen Raum setzt die Überlieferung langer Reihen von Testamenten
in Form von Stadtbucheinträgen Ende des 14. Jahrhunderts in Wien ein. Im Laufe
des 15. Jahrhunderts wurde die Rechtsgewohnheit, Testamente zu errichten
und in die Stadtbücher eintragen zu lassen, auch in den kleineren Städten zunehmend
üblich und erreichte ihren Höhepunkt in der zweiten Jahrhunderthälfte.
Große Bestände sind im niederösterreichischen Raum außer in Korneuburg in
Tulln mit über 600 und in Wiener Neustadt mit über 400 Stück überliefert8.
Auch in Mautern, Retz, Ybbs und Dürnstein hat sich eine größere Zahl von Bürgertestamenten
aus verschiedenen Zeiträumen des 15. Jahrhunderts erhalten, für
einige andere Städte lassen sich verloren gegangene Stadtbücher mit Testamentseinträgen
erschließen9.
Aufgrund der guten Quellenlage hat die Testamentsforschung in Deutschland
und Österreich eine bis in das 19. Jahrhundert zurückreichende Tradition,
die lange Zeit von der Rechtsgeschichte dominiert wurde, während kulturge-
7 Vgl. Baur, Testament und Bürgerschaft 21, und Gerhard Jaritz, Österreichische Bürgertestamente
als Quelle zur Erforschung städtischer Lebensformen des Spätmittelalters, in: Jahrbuch
für Geschichte des Feudalismus 8 (1984) 249–264, hier 250.
8 Zu den zwei Wiener Neustädter Ratsbüchern (1431–1467, 1467–1525), die wie die Wiener
Stadtbücher nicht nur Testamente enthalten, vgl. Uiblein, Bücherverzeichnisse 52 ff., bes.
Anm. 235; weiters Beatrix Bastl u. Sigrid Freisleben, Vermögen und Vermächtnis. Stadt/
Geschichte und religiöse Stiftungen im 15. Jahrhundert, in: Unsere Neustadt 48/3–4 (2004)
1–19; ein Verzeichnis der Testatoren bei Helga Skvarics, Volksfrömmigkeit und Alltagskultur.
Zum Stiftungsgeschehen der Wiener Neustädter Bürger im Spätmittelalter und in
der frühen Neuzeit (14. Jh.–16. Jh.) (Beiträge zur Neueren Geschichte Österreichs 15)
Frankfurt/Main u. a. 2000, 237 ff. – Zu den zwei Tullner Testamentsbüchern (1414–1454,
1454–1538) mit fast nur letztwilligen Verfügungen Uiblein, Bücherverzeichnisse 35 ff.
9 Zum Stadtbuch von Mautern (1432–1550) mit 127 Testamenten s. Heinrich Demelius, Aus
dem Stadtbuch von Mautern an der Donau (1432–1550). Ein Beitrag zur österreichischen
Privatrechtsgeschichte (Sitzungsberichte der Österreichischen Akademie der Wissenschaften,
phil.-hist. Klasse 277) Wien-Köln-Graz 1972; zum Retzer Stadtbuch (1449–1550) mit
117 Testamenten Otto Stowasser (Hg.), Das älteste Stadtbuch von Retz und die Rechnungen
der Grafschaft Hardegg von 1437, in: Abhandlungen zur Geschichte und Quellenkunde
der Stadt Wien IV (1932) 113–163; zum Stadtbuch von Ybbs (1469–1532) Joseph Fuchs,
Beiträge zur Geschichte der landesfürstlichen Stadt Ybbs, in: Geschichtliche Beilagen zum
St. Pöltner Diözesanblatt 7 (1903) 81–88; zum Stadtbuch von Dürnstein (1451–1520) Uiblein,
Bücherverzeichnisse 13, Anm. 25; zum Stadtbuch von Waidhofen/Thaya (1383–1484)
Otto Stowasser (Hg.), Das Stadtbuch von Waidhofen an der Thaya, in: Jahrbuch für Landeskunde
von Niederösterreich, Neue Folge 15/16 (1916/1917) 1–116. – Verloren, aber erschließbar
sind das Geschäftsbuch von St. Pölten ab 1438 sowie die Stadtbücher von Klosterneuburg,
Krems, Hainburg und Waidhofen an der Ybbs, wahrscheinlich auch Laa an der
Thaya; zu den Archivalienverlusten vgl. Herwig Weigl, Schriftlichkeit in einer spätmittelalterlichen
Kleinstadt. Verlorene Quellen und Kleinstadt-Historikers Not, in: Mitteilungen
des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 100/1–4 (1992) 254–267, 260 f.; auch
Uiblein, ebd. 13.
11
schichtliche Ansätze vereinzelt blieben10. Erst in den 1960er und verstärkt ab
den 1970er Jahren wurden letztwillige Verfügungen als Quellen für die Sozial-,
Wirtschafts- und Mentalitätsgeschichte des städtischen Lebensraums entdeckt.
Die Fülle an Angaben zu Topographie und Prosopographie, Lebensformen, materieller
Kultur und Religiosität führte seither europaweit zu einer systematischen
Erforschung der Quellenbestände, wobei sich quantifizierende Methoden
als besonders geeignet erwiesen, die ungeheure Masse an Material und Information
zu erfassen und auszuwerten11.
In Österreich konzentrierte sich das auch hier zunächst überwiegend
rechtshistorisch orientierte Forschungsinteresse traditionell auf die beiden kaiserlichen
Residenzstädte Wien und Wiener Neustadt mit ihrer reichen urkundli-
10 Zur Forschungstradition Baur, Testament und Bürgerschaft 15 ff. – Frühe kulturgeschichtliche
Analysen des Wiener und Wiener Neustädter Materials bieten Julius Eduard Schlager,
Urkundliche Notizen über die Wiener Kleidertracht vom Jahre 1396–1430, in: Wiener
Skizzen des Mittelalters, Neue Folge 3 (1846) 295–344; Karl Schober, Das Bürgerliche Leben
in Wiener-Neustadt im Zeitalter Friedrichs IV., in: Blätter des Vereines für Landeskunde
von Niederösterreich, Neue Folge 19 (1885) 224–259; Franz Staub, Die Bürgertestamente
der Wiener-Neustädter Rathsprotokolle. Ein Beitrag zur Culturgeschichte Niederösterreichs
im ausgehenden Mittelalter, in: Blätter des Vereines für Landeskunde von Niederösterreich,
Neue Folge 29 (1895) 463–531.
11 Zu den Forschungen in Deutschland, Frankreich und Italien bis 1989 ausführlich Baur, Testament
und Bürgerschaft 14 ff.; ein Forschungsüberblick bei Brigitte Klosterberg, Zur Ehre
Gottes und zum Wohl der Familie – Kölner Testamente von Laien und Klerikern im Spätmittelalter
(Kölner Schriften zur Geschichte und Kultur 22) Köln 1995, 13 ff., und bei Birgit
Noodt, Religion und Familie in der Hansestadt Lübeck anhand der Bürgertestamente des
14. Jahrhunderts (Veröffentlichungen zur Geschichte der Handelsstadt Lübeck Reihe B 33).
Lübeck 2000, 387 ff. – Jüngere Literatur in Auswahl: Susanne Mosler-Christoph, Die materielle
Kultur in den Lüneburger Testamenten 1323 bis 1500. Diss. phil., Göttingen 1998
(http://webdoc.sub.gwdg.de/diss/1998/mosler); zu Ungarn Judit Majorossy, Archives of the
Dead: Administration of Last Wills in Medieval Hungarian Towns, in: Medium Aevum
Quotidianum 48 (2003) 13–28; zu Pressburg und Ödenburg Katalin Szende, ‚… es sey vil
oder wenig, groß oder kchlain.’ Besonderheiten und Unterschiede in der materiellen Kultur
der Einwohnerschaft der königlichen Freistädte Preßburg und Ödenburg (1450–1490), in:
András Kubinyi u. József Laszlovszky (Hg.), Alltag und materielle Kultur im mittelalterlichen
Ungarn (Medium Aevum Quotidianum 22) Krems 1991, 108–118; dies., Families in
Testaments. Some Aspects of Demography and Inheritance Customs in a Late Medieval
Hungarian Town, in: Medium Aevum Quotidianum 35 (1996) = Otium 3/1–2 (1996) 107–
120; dies., From Mother to Daughter, from Father to Son? Intergenerational Patterns of Bequeathing
Movables in Late Medieval Bratislava, in: Annual of Medieval Studies at CEU 7
(2001) 209–231; zu England David Cressy, Birth, Marriage & Death. Ritual, Religion and
the Live-Cycle in Tudor and Stuart England. Oxford 1999, sowie die Beiträge in Bruce
Gordon u. Peter Marshall (Hg.), The Place of the Dead. Death and Remembrance in Late
Medieval and Early Modern Europe. Cambridge 2000; zu Venedig Cecilie Hollberg, Deutsche
in Venedig im späten Mittelalter. Eine Untersuchung von Testamenten aus dem 15.
Jahrhundert (Studien zur Historischen Migrationsforschung 14) Göttingen 2005. – Zur Anwendung
quantifizierender Methoden bes. Gerhard Jaritz, History of everyday life in the
Middle Ages, in: History and Computing 11/1–2 (1999) 103–114.
12
chen Überlieferung12. Auch für die jüngeren Untersuchungen zu Lebensformen,
Sachkultur und Frömmigkeit bildete das durch die ältere Forschung gut aufbereitete
Material dieser beiden Städte die wesentliche Quellengrundlage, während
andere Bestände bis auf Ausnahmen unberücksichtigt blieben13.
Zukunft und Zukunftsvorsorge
Die Bürgertestamente der Stadt Korneuburg bilden die Quellenbasis der vorliegenden
Arbeit über einen der wesentlichen Inhalte fast jeder letztwilligen Ver-
12 Zu Wien bes. Wilhelm Brauneder, Die Entwicklung des Ehegüterrechts in Österreich. Ein
Beitrag zur Dogmengeschichte und Rechtstatsachenforschung des Spätmittelalters und der
Neuzeit. Wien-Salzburg 1973; Hans Lentze, Das Wiener Testamentsrecht des Mittelalters I,
II, in: Zeitschrift der Savignystiftung für Rechtsgeschichte Germ. Abt. 69 (1952) 98–154,
70 (1953) 159–229; ders., Seelgerät im mittelalterlichen Wien, in: Zeitschrift der Savignystiftung
für Rechtsgeschichte Kan. Abt. 44 (1958) 35–103; ders., Begräbnis und Jahrtag im
spätmittelalterlichen Wien, in: Zeitschrift der Savignystiftung für Rechtsgeschichte Kan.
Abt. 36 (1950) 328–364; ders., Die Rechtsform der Altarpfründe im mittelalterlichen Wien,
in: Zeitschrift der Savignystiftung für Rechtsgeschichte Kan. Abt. 37 (1951) 221–302; s.
weiters die bei Brauneder/Jaritz, Wiener Stadtbücher 1, 9 f. genannten rechtshistorischen
Arbeiten von Brauneder, Demelius und Lentze. – Zu Wiener Neustadt s. die in Anm. 10
genannte ältere Literatur; zu Österreich Rudolf Bartsch, Seelgerätstiftungen im 14. Jahrhundert.
Ein Beitrag zur Geschichte des Testaments in Österreich, in: Festschrift für Karl v.
Amira. Berlin 1908, 1–58.
13 Grundlegend auf Basis der Wiener Stadtbücher Gerhard Jaritz, Die realienkundliche Aussage
der sogenannten ‚Wiener Testamentsbücher’, in: Das Leben in der Stadt des Spätmittelalters
(Veröffentlichungen des Instituts für mittelalterliche Realienkunde Österreichs 2 =
Sitzungsberichte der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, phil.-hist. Klasse
325) Wien 1977, 171–190. – Weiters zu Wien: Urs-Martin Zahndt, Spätmittelalterliche
Bürgertestamente als Quellen zu Realienkunde und Sozialgeschichte, in: Mitteilungen des
Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 96/1–2 (1988) 55–78; Anneliese Mark,
Religiöses und karitatives Verhalten der Wiener Bürger im Spiegel ihrer Testamente
(1400–1420). Diss. phil., Innsbruck 1976; Erich Troy, ‚Spendenfreudigkeit’ als sozioökonomischer
Faktor. Untersucht am Beispiel der Stadt Wien im Gefolge des Schwarzen Todes
um die Mitte des 14. Jahrhunderts, in: Jahrbuch des Vereins für Geschichte der Stadt
Wien 35 (1979) 78–122; Hermine Lutz, Alltagskultur und Lebensverhältnisse im Spiegel
der Wiener Testamentenbücher (18. November 1395 bis 11. Dezember 1403). Diss. phil.,
Wien 1983; Brigitte Pohl-Resl, Vorsorge für die Hinterbliebenen als Verpflichtung. Zu einschlägigen
Aussagen bürgerlicher Testamente des späten Mittelalters, in: Markus J. Wenninger
(Hg.), ‚du guoter tôt’. Sterben im Mittelalter – Ideal und Realität (Schriftenreihe der
Akademie Friesach 3) Klagenfurt 1998, 180–202. – Zu Wiener Neustadt bes. Helga Rist,
‚Anna, Barbara, Christina …’ Lebensbedingungen von Frauen im 14. und 15. Jahrhundert in
Wiener Neustadt. Diss. phil., Wien 1994, und dies., Leben für den Himmel. Spätmittelalterliche
bürgerliche Seelgerätstiftungen aus Wiener Neustadt, in: Markus J. Wenninger (Hg.),
‚du guoter tôt’ (wie oben) 215–235; weiters Lucia Maestro, Spätmittelalterliche Bürgertestamente
in den Wiener Neustädter Ratsprotokollen als Quelle zur Alltagsgeschichte.
Diplarb. phil., Wien 1995; Skvarics, Volksfrömmigkeit; Bastl/Freisleben, Vermögen und
Vermächtnis. – Zum gesamten niederösterreichischen Raum Gerhard Jaritz, Zur Lebenshaltung
in niederösterreichischen Kleinstädten während des Spätmittelalters, in: Herwig Ebner
(Hg.), Festschrift F. Hausmann. Graz 1977, 249–264, und ders., Bürgertestamente.
13
fügung des Spätmittelalters, die Sorge um das Seelenheil. Stiftungen ad pias
causas in Form von Messen, Gebet und Almosen, das ‚Seelgerät’, waren integraler
Bestandteil spätmittelalterlicher ‚Zukunftsvorsorge’, denn Ziel und Inhalt
jedes Testaments war die Regelung von Zukunft durch Weitergabe von Vermögen
an Personen und Institutionen nach dem Tod. Diese Zukunft umfasste die
zwei eng miteinander verflochtenen Wirklichkeitsdimensionen des Diesseits und
Jenseits. Zukunftsvorsorge entfaltete sich daher immer in zwei Richtungen: als
Absicherung der Hinterbliebenen durch Regelung des ökonomischen und sozialen
Lebens der Familie und des Haushalts und als Sorge für das Heil der Seele
durch Zuwendungen an Kirchen, Klöster und Arme als die dafür ‚Zuständigen’
14.
Testamente sind somit einer der vielen ‚Schnittpunkte’ der spätmittelalterlichen
Lebenswelt, in denen diese beiden Wirklichkeitsdimensionen nicht nur
zusammentreffen, sondern auch in ihrer vielfältigen Verflochtenheit greifbar
werden. So waren in der Regel die Hinterbliebenen für die Ausrichtung des
Seelgeräts verantwortlich, deren ausreichende Versorgung daher immer auch die
Zukunft im Jenseits betraf. Die Seelenheilvergaben sicherten wiederum die materielle
Grundlage der bestifteten Personen und Institutionen und spiegelten in
Höhe und Ausgestaltung die Stellung der Testatoren und ihrer Familien im sozialen
Gefüge der Kommune wieder. Eine Kleinstadt wie Korneuburg mit vielleicht
1000 bis 1200 Einwohnern war ein eng begrenzter, überschaubarer öffentlicher
Raum, den viele der Verstorbenen oft bis zu ihrem Tod aktiv mitgestaltet
hatten. Zukunftsvorsorge geschah gleichsam ‚vor den Augen’ der Öffentlichkeit
und hatte daher dem Kriterium der Angemessenheit zu entsprechen15 – will man
keine üble Nachrede haben, möchte man aus heutiger Sicht fast hinzufügen.
Tatsächlich ging es um viel mehr als die Nachrede und das gute Andenken,
es ging um Memoria, um existenzielle Hilfe an der bedrohlichsten Wende
des Lebens und die ‚Lebens-Chancen’ in einem ungewissen Danach. Das Totengedenken
bestand bis weit in die Neuzeit nicht nur im Erinnern, sondern im
praktischen Handeln der Lebenden für die Toten. Messen, Gebete und Almosen
sollten die Sündenstrafen der Verstorbenen sühnen und ihnen den Weg in den
Himmel und damit zum ewigen Heil eröffnen. Nach mittelalterlicher Vorstellung
waren die Seelen im Jenseits zu keinem Handeln mehr fähig und als ‚Arme
Seelen’ ganz auf die Lebenden angewiesen. Die Gaben für das Seelenheil waren
die materielle Grundlage jenes Diesseits und Jenseits umspannenden Netzwerkes,
für das der Begriff der ‚Solidargemeinschaft der Lebenden und Toten’ geprägt
wurde und das sich durch ein verpflichtendes ‚Füreinanderhandeln’ konsti-
14 Vgl. Jacques Chiffoleau, La Comptabilité de l’au-delà. Les hommes, la mort et la religion
dans la région d’Avignon à la fin du Moyen Age (vers 1320–vers 1480). Paris 1980, 34;
Pohl-Resl, Vorsorge 185.
15 Zur Öffentlichkeit und Angemessenheit s. unten Teil 3, Kap. I./1.
14
tuierte. Die materielle Gabe begründete in einer Art Vertrag das Recht der Toten
auf Gebetshilfe und die Pflicht der Lebenden zur Gebetsleistung16.
Die diesbezügliche Forschung17, die Memoria als grundsätzliche Denkund
Handlungsweise der mittelalterlichen Gesellschaft erkannte, eröffnete neue
Zugänge zu einer Frömmigkeit, deren Zug ins Massenhafte mit in die Tausende
gehenden Messen und einer geradezu buchhalterischen Rechenhaftigkeit lange
Zeit als exzessiver, veräußerlichter, Angst besetzter Ausdruck einer ‚Zeit des
Verfalls’ galt, wie das Spätmittelalter in der Profan- und Kirchengeschichte lange
Zeit charakterisiert wurde18.
Netzwerke und Knoten
Für die vorliegende Arbeit erscheint das Bild eines Lebende und Tote untrennbar
miteinander verbindenden ‚Netzwerks’ geeignet, sich der spätmittelalterlichen
Religiosität in der Weise, wie sie in den untersuchten Quellen entgegentritt,
zu nähern. Testamente sind Rechtsurkunden und geben daher weder Auskunft
über persönliche Frömmigkeit oder Motive der Testatoren angesichts des
meist bald zu erwartenden Todes, noch wird die Frömmigkeit inhaltlich thematisiert.
Sie zählen in rein taxativer Form die Gaben für das Seelenheil auf, allenfalls
kommentiert mit den knappen Worten durch gots willen oder durch mein
sels hail willen. Diese Gaben mussten keineswegs ‚empfunden’ sein, sondern
konnten einem von klein auf eingeübten Verhaltenscodex folgen und gesellschaftlich
angemessenes Verhalten ausdrücken19. Die Gleichförmigkeit der für
diese Gattung üblichen Rechtssprache erschwert zudem den Zugang zur Lebens-
16 Die „Solidargemeinschaft der Lebenden und Toten“ geprägt von Jacques Le Goff, Die Geburt
des Fegefeuers. Stuttgart 1984, 22 (La naissance du Purgatoire. Paris 1981). – Zum
Vertragscharakter Otto Gerhard Oexle, Die Gegenwart der Toten, in: Hermann Braet u.
Werner Verbeke (Hg.), Death in the Middle Ages (Mediaevalia Lovaniensia Series I/Studia
IX) Leuven 1983, 19–77, 25 ff.; Michael Borgolte, Die Stiftungen des Mittelalters in
rechts- und sozialhistorischer Sicht, in: Zeitschrift der Savignystiftung für Rechtsgeschichte
Kan. Abt. 74 (1988) 71–94, 91 f.
17 Grundlegend: Oexle, Gegenwart der Toten; ders., Memoria und Memorialbild, in: Karl
Schmid u. Joachim Wollasch (Hg.), Memoria. Der geschichtliche Zeugniswert des liturgischen
Gedenkens im Mittelalter (Münstersche Mittelalter-Schriften 48) Münster 1983, 384–
440; ders., Memoria als Kultur, in: ders. (Hg.), Memoria als Kultur (Veröffentlichungen des
Max-Planck-Instituts für Geschichte 121) Göttingen 1995, 9–78; zur Bedeutung der Memoria
vgl. auch Arnold Angenendt, Grundformen der Frömmigkeit im Mittelalter (Enzyklopädie
deutscher Geschichte 68) München 2003, 66 f. – Zur umfangreichen Memorialforschung
s. die Beiträge in den genannten Sammelbänden Schmid/Wollasch (Hg.), Memoria,
und Oexle (Hg.), Memoria als Kultur, sowie in Dieter Geuenich u. Otto Gerhard Oexle
(Hg.), Memoria in der Gesellschaft des Mittelalters (Veröffentlichungen des Max-Planck-
Instituts für Geschichte 111) Göttingen 1994; ein Forschungsüberblick bei Hans-Werner
Goetz, Moderne Mediävistik. Stand und Perspektiven der Mittelalterforschung. Darmstadt
1999, 365 ff.
18 Zum Interpretament des ‚verfallenden’ Spätmittelalters s. Anm. 62.
19 Vgl. Noodt, Religion und Familie 8.
15
wirklichkeit, die sich mehr entzieht als erschließt. Obwohl es um existenzielle
Fragen des Lebens geht, gewinnen die unzähligen Menschen, die in den Testamenten
genannt werden, kaum ein Profil, sondern bleiben letztlich ‚quantifizierbare’
Größen20.
Sichtbar werden in den Testamenten allerdings die ‚Knoten’ des durch die
Memoria geknüpften Beziehungsnetzwerks zwischen Lebenden und Toten, zwischen
Diesseits und Jenseits, zwischen Zeit und Ewigkeit: Rituale, die Sterben
und Tod umgeben, Orte, an denen sie stattfinden, Menschen, die sie stiften, bezahlen
und durchführen. Das Bild vom ‚Netzwerk’ und seinen ‚Knoten’ ermöglicht
zudem, die Sorge für das Seelenheil nicht nur eindimensional der religiösen
Wirklichkeit zuzuordnen, sondern als Teil der städtischen Lebenswelt wahrzunehmen,
die in religiös-kirchlichen Riten gleichermaßen eingebettet war wie sie
diese in Form und Ausgestaltung prägte21.
Alltag und Ritual
Letztwillige Verfügungen sind zwar keine geeigneten Quellen für die Erforschung
individueller Frömmigkeit im Sinne persönlicher Spiritualität, als serielle
Quellen liefern sie aber durch die Faktoren des Repetitiven, der Regelmäßigkeit
und der Routine, die als bestimmend für ‚Alltag’ bzw. alltägliches Verhalten
gelten, wesentliche Aussagen zur Alltagsreligiosität im städtischen Kontext22.
Ob persönlich empfunden und/oder gesellschaftlich eingeübt, aus Hoff-
20 Zur Kontextualisierung am Beispiel von Einzelfällen vgl. Klosterberg, Ehre Gottes 15,
Anm. 25.
21 Zur Bedeutung der lebensweltlichen Kontexte Klaus Schreiner, Frommsein in kirchlichen
und lebensweltlichen Kontexten. Fragen, Themen und Tendenzen der frömmigkeitsgeschichtlichen
Forschung in der neueren Mediävistik, in: Hans-Werner Goetz (Hg.), Die Aktualität
des Mittelalters (Herausforderungen, Historisch-politische Analysen 10). Bochum
2000, 57–106, bes. 59 ff.; ders., Soziale, visuelle und körperliche Dimensionen mittelalterlicher
Frömmigkeit. Fragen, Themen, Erträge einer Tagung, in: ders. u. Marc Münz (Hg.),
Frömmigkeit im Mittelalter. Politisch-soziale Kontexte, visuelle Praxis, körperliche Ausdrucksformen.
München 2002, 9–38.
22 Zur Definition von Alltag grundlegend Gerhard Jaritz, Zwischen Augenblick und Ewigkeit.
Einführung in die Alltagsgeschichte des Mittelalters. Wien-Köln 1989, 31; vgl. auch Goetz,
Moderne Mediävistik 301 f. Die Diskussion der 1980er und 1990er Jahre zuletzt knapp zusammengefasst
von Rupert Klieber, Der Pfarrer neue Kleider? Die Konzeption ‚Alltagsgeschichte’
und ihre Implikationen für die Historiographie der christlichen Kirchen, in: ders.
u. Hermann Hold, Impulse für eine Religiöse Alltagsgeschichte des Donau-Alpen-Adria-
Raumes. Wien-Köln-Weimar 2005, 11–17; zu einer religiösen Alltagsgeschichte bes. Hermann
Hold, ‚Alltagsgeschichte’ – ihre Relevanz im Rahmen der Kirchengeschichte, ebd.
225–241. – Zur Bedeutung der Testamente als Quelle vgl. Berndt Hamm, Frömmigkeit als
Gegenstand theologiegeschichtlicher Forschung. Methodisch-historische Überlegungen am
Beispiel von Spätmittelalter und Reformation, in: Zeitschrift für Theologie und Kirche 74
(1977) 464–497, 468; Schreiner, Frommsein 78 ff. – Zur Alltagsreligiosität vgl. Gerhard Jaritz,
Seelenheil und Sachkultur. Gedanken zur Beziehung Mensch-Objekt im späten Mittelalter,
in: Europäische Sachkultur des Mittelalters (Veröffentlichungen des Instituts für mit16
nung oder aus Angst, vertrauensvoll oder zweifelnd, exzessiv oder bescheiden,
Stiftungen zum Seelenheil waren für Laien und Geistliche, Gebildete und Ungebildete,
Männer und Frauen, Reiche und Arme eine selbstverständliche Form
des Umgangs mit dem Tod und den Toten. Das Seelgerät war integraler Bestandteil
spätmittelalterlicher Religiosität, die Stiftungsfrömmigkeit eine von
vielen Formen der alltäglichen Realisierung spätmittelalterlichen Glaubens und
kirchlichen Lebens23.
Frömmigkeit wird im Allgemeinen als die sich in der Lebensgestaltung
realisierende Verwirklichung des Glaubens – religiöse Lehren, Gebote, Werthaltungen,
Traditionen, Gewohnheiten usw. – definiert. Dieses „Gestaltwerden des
Glaubens im Alltag“ (G. Rubach) findet vor allem in äußerlichen Handlungsweisen,
von Tätigkeiten und Ritualen bis zu Gebärden und Bildern, ihren Ausdruck
und ist als solche auch quellenmäßig relativ breit fassbar24. So vollzog
sich in der Vielzahl von testamentarischen Handlungsanweisungen zum Seelenheil
der Glaube an die sühnenden Werke (Suffragien) – Messe, Gebet und Almosen
– für die Seelen im Fegefeuer und damit gleichzeitig das Selbstverständnis
von Gemeinschaft als eine Gemeinschaft von Lebenden und Toten. Im Mittelpunkt
stehen vor allem die den Tod umgebenden Rituale, in denen sich die
spätmittelalterliche Memorialkultur entfaltete. Rituale als kollektive, formalisierte,
repetitive, zeichenhafte Handlungsweisen visualisieren und kommunizieren
das ‚Wissen’ einer Gemeinschaft – ihren Glauben, ihre Traditionen, ihre Erinnerungen,
ihre Strukturen und Bindungen – um das, was sie trägt und ihrem
gegenwärtigen Heil dient. In den Ritualen werden gelebte und vorgestellte Welt
handelnd aufeinander bezogen und so das Ineinandergreifen von Profanem und
Sakralem, von Zeit und Ewigkeit sinnlich erfahrbar gemacht25. Die Entdeckung
telalterliche Realienkunde Österreichs 4 = Sitzungsberichte der Österreichischen Akademie
der Wissenschaften, phil.-hist. Klasse 374) Wien 1980, 57–81; ders., Religiöse Stiftungen
als Indikator der Entwicklung materieller Kultur im Mittelalter, in: Materielle Kultur und
religiöse Stiftung im Spätmittelalter (Veröffentlichungen des Instituts für mittelalterliche
Realienkunde 12 = Sitzungsberichte der Österreichischen Akademie der Wissenschaften,
phil.-hist. Klasse 554) Wien 1990, 13–35.
23 Zur Kirchengeschichte als Geschichte des kirchlich-religiösen Lebens vgl. Lydia Bendel-
Maidl u. Rainer Bendel, Katholische Theologie – Kultur – Geschichte. Positionen und Optionen
zu einer schwierigen Begegnung, in: Das Mittelalter. Perspektiven mediävistischer
Forschung 5/1 (2000) 49–67, 64 ff.
24 Zur Definition von Frömmigkeit: Josef Weismayer, Art. Frömmigkeit, II. Begriffgeschichte,
in: Lexikon für Theologie und Kirche 4 (1995) Sp. 168 f.; Hamm, Frömmigkeit 466 ff.;
Klaus Schreiner, Frömmigkeit in politisch-sozialen Wirkungszusammenhängen des Mittelalters.
Theorie- und Sachprobleme, Tendenzen und Perspektiven der Forschung, in: Michael
Borgolte (Hg.), Mittelalterforschung nach der Wende 1989 (Historische Zeitschrift, Beihefte,
Neue Folge 20) München 1995, 177–226, 190 ff.; Gustav Reingrabner, Verkündigung
und Frömmigkeit im Luthertum, in: Thomas Aigner (Hg.), Aspekte der Religiosität in
der frühen Neuzeit (Beiträge zur Kirchengeschichte Niederösterreichs 10) St. Pölten 2003,
27–47, 29.
25 Zur Ritualität vgl. Clifford Geertz, Dichte Beschreibung. Beiträge zum Verstehen kultureller
Systeme. Frankfurt/Main 1987, 78; Franz Rexroth, Rituale und Ritualismus in der histo17
der Ritualität als Form der gesellschaftlichen Kommunikation und ihrer grundlegenden
Bedeutung für das soziale, immanente wie transzendente Bindungen
umfassende Gefüge wurde auch als eine Art „ritualistic turn“ der Mediävistik
bezeichnet26.
Fragestellungen
Die Analyse der Korneuburger Bürgertestamente des 15. Jahrhunderts hat zum
Ziel, Grundzüge der Stiftungsfrömmigkeit im kleinstädtischen Kontext herauszuarbeiten.
Für die Analyse leitend sind vor allem die Fragen
– nach den Horizonten, in denen sich Denken, Handeln und Fühlen der Testatoren
wie Empfänger unausgesprochen bewegten,
– nach dem sozialen Kontext bzw. dem gesellschaftlichen Bezugssystem, in
dem sich diese Frömmigkeit vollzog und die theologische Deutung des
Todes seine ‚lebensweltlichen’ Ausdrucksformen erhielt,
– und nach den Handlungsmustern, mit denen das Netzwerk zwischen Lebenden
und Toten ‚gewebt’ wurde, um als ‚Gemeinschaft’ erfahrbar zu
werden.
Der Schwerpunkt der Analyse liegt auf den 30 Jahren von 1444 bis 1474, in denen
die Korneuburger Überlieferung mit mehr als 260 Testamenten die höchste
Dichte erreichte. In den Jahrzehnten davor und danach wurden nur etwa halb so
viele Testamente in die Stadtbücher eingetragen. Zudem weist dieser Zeitraum
dank der Buchführung des Stadtschreibers Erhart von Asparn die größte formale
Einheitlichkeit auf. Die Basis für statistische Berechnungen bilden 254 Testamente,
die in dieser Zeit im zweiten Geschäftsbuch eingetragen wurden. Für die
Analyse wurden aber auch frühere und spätere Testamente berücksichtigt.
rischen Mittelalterforschung, in: Hans-Werner Goetz u. Jörg Jarnut (Hg.), Mediävistik im
21. Jahrhundert. Stand und Perspektiven der internationalen und interdisziplinären Mittelalterforschung
(Mittelalterstudien des Instituts zur Interdisziplinären Erforschung des Mittelalters
und seines Nachwirkens 1) München 2003, 391–406, bes. 393, 402 f.; Klaus Schreiner,
Texte, Bilder, Rituale. Fragen und Erträge einer Sektion auf dem Deutschen Historikertag
(8. bis 11. September 1998), in: ders. u. Gabriele Signori (Hg.), Bilder, Texte, Rituale.
Wirklichkeitsbezug und Wirklichkonstruktion politisch-rechtlicher Kommunikationsmedien
in Stadt- und Adelsgesellschaften des späten Mittelalters (Zeitschrift für historische
Forschung, Beiheft 24) Berlin 2000, 1–15, 6 f.; grundlegend Hans Gerald Hödl, Ritual
(Kult, Opfer, Ritus, Zeremonie), in: Johann Figl (Hg.), Handbuch der Religionswissenschaft.
Religionen und ihre zentralen Themen. Innsbruck-Wien 2003, 664–689, zu den Ritualen
um den Tod („rites de passages“) 673 f.
26 Vgl. Angenendt, Grundformen der Frömmigkeit 66 f.
18
1. Handlungsräume
I. Kleinstädtische Lebenswelt
Lebensmittelpunkt fast aller Testatoren war die landesfürstliche Stadt Korneuburg
und ihre nähere Umgebung. Die Kleinstadt nordöstlich von Wien zählte im
Spätmittelalter zu den bedeutenden Donauhandelsstädten des ostösterreichischen
Raums.
Ursprünglich als Teil Klosterneuburgs jenseits der Donau um 1100 entstanden,
wurde Korneuburg 1298 unter Herzog Albrecht I. selbstständige Stadt
mit eigenem Stadtrecht, deren Bürger, so wie in Wien und Eggenburg, als ‚rittermäßige
Leute’ lehensfähig waren27. Im Spätmittelalter war die von den Landesfürsten
geförderte Stadt Zentrum eines Vogtei- und Ungeldbezirks, Tagungsort
von Landtagen, Sammlungsort von Truppen und eine im 15. Jahrhundert zur
Deckung des nahen Wiens ausgebaute landesfürstliche Festung.
Durch die Verbindung von Kleinstadt, Donauhandelszentrum und landesfürstliche
Privilegierung ist Korneuburg ein für die kleinstädtisch geprägte Städtelandschaft
des österreichischen Raums repräsentatives Forschungsfeld im Hinblick
auf soziale Strukturen, wirtschaftliche und religiöse Handlungsmuster sowie
überregionale Netzwerke.
1. Handelszentrum
Korneuburgs Bedeutung als Handelszentrum mit weitreichenden Beziehungen
nach Bayern und Böhmen gründete auf der günstigen Verkehrslage und den landesfürstlichen
Handelsprivilegien. Das Niederlagsprivileg von 1327 verbot jegliche
Anschüttung von Wein, Holz und Getreide zwischen Krems und Korneuburg,
und die Salzhandelsprivilegien von 1365 und 1436 gestatteten den Bürgern
den freien Salzhandel, ab dem 15. Jahrhundert auch ohne Stapelpflicht in
27 Erstmalige Siedlungsnennung 1114 als novum forum. Zur Frühgeschichte und Stadtwerdung
vgl. Heide Dienst, Marktplatz und Stadtwerdung. Die Neuburger Handels- und
Handwerkssiedlung (= Korneuburg) von ihrer ersten schriftlichen Erwähnung bis zur Entstehung
des Landgerichts, in: Unsere Heimat 54 (1983) 175–185; Dienst widerlegt die für
die Korneuburger Tradition lange Zeit bestimmende These der ersten Stadtnennung im Jahr
1136 im Gefolge von Starzer, Korneuburg 22 ff. – Das Stadtrecht ist nur als Bestätigung
Friedrichs d. Schönen vom 6. Dezember 1311 in einer Abschrift des 15. Jahrhunderts überliefert,
StAK, Hs. 3/268 fol. 49r–64v; zum Stadtrecht vgl. ausführlich Starzer, Korneuburg
221 ff., der die Artikel auszugsweise wiedergibt.
19
Stein, was einem Monopol im Viertel unter dem Manhartsberg gleichkam28. Neben
der Kontrolle über den Donauhandel war Korneuburg zentraler Umschlageplatz
im Wegesystem nach Norden und Osten. Bei Tuttendorf und Muckerau
befanden sich die beiden für Wien wichtigen, zur Stadt gehörigen Donauüberfuhren,
die in drei Straßen in das Weinviertel und weiter in die böhmischen
Länder ihre Fortsetzung fanden. Eine Straße durch die Au verband Korneuburg
zudem über Stockerau mit dem Waldviertel29. Die wichtigsten Handelsgüter waren
Salz, Wein, Getreide, Holz und Tuch. Auf den Wochen- und Jahrmärkten –
u. a. Sackmarkt (Getreide), Viehmarkt, seit 1429 zwei Jahrmärkte – wurden
Vieh, Fleisch, Leder, Häute, Sättel, Eisen, Safran, Schmalz, Käse, Unschlitt umgesetzt.
Zwischen 13. Oktober und 6. Jänner besaß Korneuburg überdies das
Privileg, die so genannte Kaltmaut, die doppelte Mautgebühr, einzuheben30.
Der Handel als wichtigster Wirtschaftsfaktor prägte die Infrastruktur sowie
die – Reichtum und Macht begründende – Berufsstruktur der Stadt. Im
Spätmittelalter verfügte Korneuburg über zahlreiche Wirtshäuser, 36 Fleischbänke,
einen Schlachthof, eine Tuchlauben, zwei Badestuben und ein Frauenhaus.
Weinbau und Weinausschank waren neben dem Handel der einträglichste
Wirtschaftszweig, Weingartenbesitz im näheren Umkreis, insbesondere am Bisamberg,
war daher eine der wichtigsten Anlageformen und wird auch in den
Testamenten sehr häufig genannt31.
28 Vgl. Laichmann-Krissl, Stagnation und Wandel 302 f.; Zeissl, Korneuburg 69 ff.; die
Stadtgeschichte übersichtlich bei Karl Sablik, Korneuburg. Politischer Bezirk Korneuburg,
in: Die Städte Niederösterreichs 2: Teil H–P (Österreichisches Städtebuch 4/2) Wien 1976,
131–143.
29 Zum Straßensystem vgl. Peter Csendes, Die Straßen Niederösterreichs im Früh- und
Hochmittelalter (Dissertationen der Universität Wien 33) Wien 1969, 142; zur Urfahr
Zeissl, Korneuburg 108 ff. – Vereinbarungen der Flößer und Schiffmeister zur Nutzung der
Urfahr aus dem 15. Jahrhundert überliefert im StAK, Hs. 3/268 fol. 35–46.
30 Zu den Märkten vgl. Zeissl, Korneuburg 138 f.; zu den Zöllen und Mauten Starzer, Korneuburg
343 ff., zur Kaltmaut ebd. 346 f. – Ein Zoll- und Mautverzeichnis des 15. Jahrhunderts
überliefert im StAK, Hs. 3/268 fol. 12–34.
31 Vgl. Laichmann-Krissl, Stagnation und Wandel 303 f.; Starzer, Korneuburg 301 ff. – Im
15. Jahrhundert gab es zwei Badestuben, deren Lokalisierung in der Literatur für Verwirrung
sorgt. Laut Starzer, Korneuburg 467, Anm. 2, lag die ältere, schon für das 14. Jahrhundert
belegte Badestube in der Hinteren Gasse an der Stadtmauer (heute Schaumannstraße/
Wiener Ring), wo bis in das 19. Jahrhundert das dortige Haus „Badestube“ hieß. Die zweite,
„obere“ Badestube lag ihm zufolge beim Klostertor (Stockerauer Tor) und gehörte im
15. Jahrhundert dem Augustinerkloster. Laichmann-Krissl, ebd. 303, Anm. 21, bezeichnet
hingegen die Badestube in der Hinteren Gasse an der Stadtmauer als „obere“ und nennt eine
weitere „niedere“ in der Schiffstraße. Da das Augustinerkloster im 15. Jahrhundert ebenfalls
häufig als das „obere“ Kloster bezeichnet wird, dürfte Starzers Lokalisierung wahrscheinlicher
sein. In den Testamentsbüchern wird eine „obere“ Badestube und eine Badestube
in der Hinteren Gasse erwähnt (StAK, Hs. 3/160 fol. 7r, 72v), letztere im Besitz des
Ratsherrn und Stadtrichters Peter Walkam (s. Anm. 149), der sie 1458 der Pfarrkirche für
das geplante Frühamt vermachte.
20
Kaufleute, Grundbesitzer und reiche Handwerker, allen voran die Fassbinder,
aber auch Fleischhacker, Bäcker und das in Korneuburg stark vertretene
Gewerbe der Hafner, bildeten die wohlhabende Oberschicht und finden sich
auch regelmäßig unter den Testatoren32. Das in den Testamenten über Verwandtschaft,
begünstigte Personen, Besitz und Schuldenlisten fassbare überregionale
soziale Beziehungsgefüge der Stadt umfasste vor allem das heutige Weinviertel
sowie die Städte Krems, Klosterneuburg und Wien. Im Westen reichte es
in den St. Pöltener Raum, im Süden bis nach Baden, nicht aber nach Wiener
Neustadt. Auch das Waldviertel gehörte nicht zum engeren Einzugsraum Korneuburgs,
umfangreichen Besitz in Oberösterreich besaß nur ein Testator. Vergleichsweise
‚international’ wirkt dagegen der die Heilsvorsorge bestimmende
Horizont. Aachen und Rom waren nach Mariazell und St. Wolfgang die am häufigsten
bestifteten Wallfahrtsorte.
Trotz wirtschaftlicher Potenz und hoher Aufnahmekapazitäten für Durchreisende,
Kaufleute und Ständemitglieder samt Gefolge war die Stadt innerhalb
der im 15. Jahrhundert stark befestigten Stadtmauern (heute Ring) sehr klein,
besaß aber bis in das 16. Jahrhundert eine relativ ausgedehnte vorstädtische Besiedlung.
1433 zählte man innerhalb der Mauer 107 Häuser und fast ebenso viele
in den Vorstädten, die Stadt wird daher insgesamt ungefähr 1000–1200 Einwohner
gehabt haben, weniger als Tulln (ca. 1500), Klosterneuburg (ca. 2300)
und Krems (ca. 2500) und nicht vergleichbar mit der Kaiserresidenz Wiener
Neustadt (ca. 5000-8000) und der Großstadt Wien (2000 Häuser/ca. 20000–
30000 Einwohner)33. Wesentlich kleiner war damals der mit Korneuburg seit
dem 14. Jahrhundert konkurrierende Markt Stockerau mit 70 Häusern und vielleicht
400 Einwohnern, der sich allerdings in der frühen Neuzeit erfolgreich als
Wirtschaftsstandort gegenüber Korneuburg durchsetzen konnte.
Wie in allen Städten bildeten die eng miteinander verschwägerten Ratsfamilien
die politische und wirtschaftliche Elite. Stadtrichter und der jährlich
gewählte Rat – das Bürgermeisteramt konnte sich in Korneuburg nicht durchsetzen
– kontrollierten Politik, Gerichtsbarkeit, Verwaltung und Finanzen, das Bür-
32 Im späten 15. Jahrhundert gab es zehn Hafner, die 1471 eine Handwerksordnung erhielten,
vgl. Starzer, Korneuburg 637.
33 Zu Haus- und Einwohnerzahlen der österreichischen Städte im Spätmittelalter vgl. Alois
Niederstätter. Das Jahrhundert der Mitte. An der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit (Österreichische
Geschichte 1400–1522, hg. v. Herwig Wolfram). Wien 1996, 23 f.; detailliert
Kurt Klein, Daten zur Siedlungsgeschichte der österreichischen Länder bis zum 16. Jahrhundert
(Materialien zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte 4) Wien 1980, zu Niederösterreich
31 ff., und ders., Siedlungswachstum und Häuserbestand Niederösterreichs im späten
Mittelalter, in: Jahrbuch für Landeskunde von Niederösterreich (1977) 1–63. – Die Angabe
Starzers, Korneuburg 341, von 57 Häusern in den Vorstädten, dem auch Klein, Daten zur
Siedlungsgeschichte 147, folgt, korrigiert von Laichmann-Krissl, Stagnation und Wandel
306, mit mindestens 91 Häusern, davon einigen verödet. Nicht zutreffend ist ihre Behauptung
ebd. 307, dass ab Mitte des 15. Jahrhunderts in den Quellen keine vorstädtische Bebauung
mehr genannt wird. In den Testamenten werden für das gesamte Jahrhundert Häuser
vor der Stadt erwähnt; die Aufgabe der Vorstädte erfolgte daher erst im 16. Jahrhundert.
21
gerspital und das Vermögen der Pfarrkirche34. Sowohl der Spital- als auch der
Kirchenmeister waren in der Regel Mitglieder des Rats. Laut Stadtrecht zu einer
wöchentlichen Versammlung verpflichtet, gehörte auch die Anhörung und
rechtswirksame Annahme der eingebrachten Testamente zu den Aufgaben des
Rats35.
Den zwölf Stadträten des „inneren Rats“ zur Seite stand der Kreis von 24
ernannten Männern (Genannte, äußerer Rat), deren Aufgabe vor allem die Bezeugung
der Rechtsgeschäfte wie Käufe, Verkäufe, Schenkungen und Testamente
war 36. Ratsherren und Genannte sind daher als Zeugen der in den Testamenten
am besten fassbare Personenkreis. Wohlhabenheit, aber auch Vertrautheit
mit diesem Rechtsinstrument dürfte der Grund sein, dass sich die Mehrheit
der Testatoren diesem sozialen Umfeld zuordnen lässt.
An der Spitze der städtischen Hierarchie stand, was Reichtum und Ansehen
betraf, der Stadtrichter, gefolgt von den oft jahrzehntelang den Rat stellenden
Ratsfamilien und dann dem breiteren, stärker fluktuierenden Kreis der Genannten,
aus dem der Aufstieg in die Elite des inneren Rats über Heirat oder
Vermögensbildung gelingen konnte. Bis heute ist die Erinnerung der Stadt an
das als Blütezeit geltende 15. Jahrhundert mit den Wappen und Namen der prominentesten
Ratsmitglieder auf der Decke des Rathauses (Foyer) verbunden.
Von einigen Ratsfamilien haben sich in der Pfarrkirche Grabsteine erhalten37.
Auch sozialtopographisch bildeten die Ratsfamilien das Zentrum der
Stadt. Ihre Häuser befanden sich ‚am Ring’, dem großen rechteckigen Hauptplatz
in der Mitte der Stadt (s. Abb. 1), über den die Hauptverkehrsstraße Wien-
Stockerau zwischen Hafner- und Klostertor (später Wiener und Stockerauer Tor)
führte. Auf dem Platz befanden sich das Rathaus, das Mauthaus und die Nikolaikapelle,
zeitgenössisch St. Niklaskapelle, mit dem 1440–1447 über ihrem
Chor errichteten Stadtturm. Größe und Bequemlichkeit der vornehmsten Häuser
(‚Kaiserhäuser’) ermöglichten auch die Unterbringung des Landesfürsten und
des Adels und Landtagsberatungen.38 Wohngegend der Wohlhabenden war auch
34 Die Bestimmungen des Stadtrechts zum Rat und den Genannten, StAK, Hs. 3/268 fol. 55r–
56v, 59r–v; vgl. auch Starzer, Korneuburg 229 ff., eine Liste der Stadtrichter ebd. 273 ff. –
1406 erhielt die Stadt das Recht, den Bürgermeister zu wählen, doch ist dieses Amt nur bis
1423 nachweisbar und wurde mit einer Ausnahme gleichzeitig mit dem Stadtrichteramt
ausgeübt (ebd. 237).
35 Ausführlich s. Teil 2, Kap. I./3.
36 Nach dem Stadtrecht sollen alle Käufe, Verkäufe, Pfand- und Satzgeschäfte über 3 lb. sowie
ain yeglichs hochs geschefft, das gedennklichen wirdig ist, vor zwei oder mehr der Genannten
geschehen, die zum Zeugnis verpflichtet waren bzw. vom Richter dazu gezwungen
werden konnten, StAK, Hs. 3/268 fol. 59r–v; vgl. auch Starzer, Korneuburg 232.
37 Unter den zwölf auf der Rathausdecke mit Wappen und Namen dargestellten Ratsbürgern
ist das 15. Jahrhundert am stärksten vertreten; vgl. auch Starzer, Korneuburg 292; zu den
erhaltenen Grabsteinen ebd. 537 ff.
38 Vgl. Laichmann-Krissl, Stagnation und Wandel 303; Zeissl, Korneuburg 72 f. – Für den
Landtag Ende 1447 sind beispielsweise Ständeversammlungen im Haus des „Walchuns“
und im „Jostenhaus am Eck“ überliefert, vermutlich die Häuser der Ratsherren Peter Wal22
die zum Klostertor führende ‚Hochstraße’ (heute Stockerauerstraße) und die
Gegend beim Rossmarkt.
Abb. 1: Korneuburg um 1820, nach dem Frz. Kataster
(aus: Laichmann-Krissl, Stagnation 305, Entwurf/Grafik: Michaela Laichmann-Krissl)
kam (s. Anm. 149) und Jobst Stiglitz; vgl. Starzer, Korneuburg 84 f., auch Zeissl, Korneuburg
91.
23
Einige Straßennamen, wie Lebzeltergasse, Hafnergasse oder Hafnertor,
verweisen zwar auf konzentrierte Gewerbesiedlungen, auch sollen nach der Literatur39
die Fassbinder am Rossmarkt und die Vertreter des Transportgewerbes in
der Schiffstraße gewohnt haben, doch lässt sich für das 15. Jahrhundert aus den
Testamenten keine so eindeutige soziale Siedlungsstruktur herauslesen. Entscheidender
als die Gasse scheint für das Ansehen der Wohnlage die Nähe zum
Stadtzentrum zwischen den beiden Haupttoren gewesen zu sein, während im
Sinne einer von der Mitte zum Rand verlaufenden Sozialtopographie die kleineren
Häuser, oft auch als ‚Häuseln’ bezeichnet, vor allem im südwestlichen Bereich
– Hintere Gasse mit Badestube und Frauenhaus Richtung Stadtmauer –
und im nordöstlichen Teil im Bereich Kirchengasse und Laaer Turm lagen, von
denen auch ein geringerer Grunddienst zu zahlen war40. In diesen Stadtteilen
werden vor allem Schuster, Tischler, Fragner, Seiler, Wagner genannt, die auch
die Vorstädte vor den drei Stadttoren – erst im 17. Jahrhundert mit dem Laaer
Tor vier – gemeinsam mit Hafnern, Bäckern und Fischern bewohnten.
Zum unmittelbaren städtischen Lebensraum gehörten zudem die vor der
Stadt und in den Auen liegenden Obst- und Safrangärten, Werkstätten, Teiche
und Wiesen der wohlhabenden Bürger und Bürgerinnen, die auch im Besitz von
Vorstadthäusern waren. An die bis in das frühe 15. Jahrhundert belegte Judengemeinde
erinnerte nach der Vertreibung der Juden aus Österreich unter Herzog
Albrecht V. 1420/21 nur mehr die heute noch erhaltene Synagoge, die Kaiser
Friedrich III. 1460 der Stadt als Getreidekasten schenkte und später ‚Roßmühle’
genannt wurde. Sie zählt zu den wichtigsten Zeugnissen mittelalterlicher Synagogenarchitektur
im deutschsprachigen Raum41.
2. Kirchen und Altäre
Angesichts ihrer doch sehr übersichtlichen Größe – der Hauptplatz ist vom weitest
entfernten Punkt der Stadtmauer in wenigen Gehminuten erreichbar – besaß
die Stadt mit Pfarrkirche, Kapellen, Augustinerkloster und Bürgerspital eine
verhältnismäßig ‚dichte’, einem Zentralort aber angemessene geistliche Infrastruktur.
42
39 Vgl. Laichmann-Krissl, Stagnation und Wandel 303.
40 Einen ähnlichen Befund ergibt eine Häuserschätzung aus dem Jahr 1558, wonach in jedem
der flächenmäßig in fünf Viertel eingeteilten Stadt sich sowohl hoch (ab 150 lb.) als auch
gering (unter 40 lb.) bewertete Häuser befanden, vgl. Starzer, Korneuburg 443. Nach dem
Dienstbuch von 1432 betrug der Grunddienst für die Häuser in der Kirchengasse und Hinteren
Gasse 0,5 bis 3 d., für die großen Häuser am Ring 6–12 d., vgl. Laichmann-Krissl,
Stagnation und Wandel 303.
41 Vgl. Arne Herbote u. Simon Paulus, Die spätere ‚Roßmühle’ in Korneuburg: Anmerkungen
zur mittelalterlichen Synagoge, in: David. Jüdische Kulturzeitschrift 66 (2005) http:
//david.juden.at/kulturzeitschrift/66–77/66–Paulus.htm (Zugriff 16.02.2006); zum Korneuburger
Pogrom von 1305 s. Anm. 50.
42 Zur Pfarre vgl. Starzer, Korneuburg 494 ff., 521 ff., zu den Kapellen und Benefizien ebd.
558 ff.
24
Geistliches Zentrum war (und ist) die im frühen 13. Jahrhundert im Zuge
der planmäßigen Stadterweiterung an der nordöstlichen Stadtmauer neu errichtete
Pfarrkirche St. Ägidius, zeitgenössisch ‚St. Gilgen’, ab dem späten 15. Jahrhundert
auch ‚St. Egidien’, umgeben vom Friedhof mit Karner. Neben dem Pfarrer
wirkten hier drei Gesellpriester und Kantoren, die Gesellen und Sangkherren,
sowie ein Frühmesser, wobei diese Funktionen zumindest zeitweise von denselben
Geistlichen ausgeübt worden sein dürften43, weiters ein Mesner, der für den
Chor zuständige Schulmeister und ein Prediger. Dazu kamen zahlreiche Benefiziaten
an den mehrheitlich im 15. Jahrhundert gestifteten Altären, soweit überliefert
um 1500 insgesamt elf, wobei etliche Pfarrgeistliche auch Altarbenefizien
innehatten44.
Der prominenteste Altar war der Corpus-Christi-Altar bzw. Gottesleichnamaltar
vorne beim Chor, an dem die nur aus Ratsherren bestehende Corpus-
Christi-Bruderschaft ab 1467 jeden Donnerstag ein Hochamt feierte. Mit dieser
in vielen Städten bestehenden, prestigeträchtigen Bruderschaft lag die kleine
Handelsstadt im gesamteuropäischen Trend der für Kaufleute als charakteristisch
geltenden Corpus-Christi-Frömmigkeit45. Neu erbaut wurde Mitte des 15.
Jahrhunderts die vom Ratsbürger Thomas Swercz gestiftete Wolfgangskapelle
an der Südseite. Bis heute erinnert an den Stifter sein Grabstein in der Pfarrkirche46.
Andere Vorhaben, wie etwa eine neue Marienkapelle oder das Jahrzehnte
lang als ‚geplant’ bezeichnete, wöchentliche Marienfrühamt, erwiesen sich hin-
43 Für die Identität von Gesellpriestern und Kantoren spricht, dass in den Testamenten stets
entweder die drei Kantoren oder die drei Gesellpriester begabt wurden (meist für 30 Messen
oder Seelengebet), nie aber als eigenständige Gruppe von Geistlichen gleichzeitig genannt
werden. Darauf verweist auch die Bezeichnung gesellen sangherren in den Testamenten
der Margret Nechel und Barbara Kaltenstainer, StAK, Hs. 3/159 fol. 19r (1419 XII
2), Hs. 3/160 fol. 19v (1447 IX 15). Mitte des 16. Jahrhunderts gab es der 1543/44 eingesetzten
landesweiten Reformationskommission zufolge in Korneuburg nur mehr einen
Hilfspriester und einen Prediger, vgl. Starzer, Korneuburg 506.
44 Zu den Benefiziaten s. Anm. 334. – Für das 15. Jahrhundert sind folgende Altäre bekannt:
vorderer (Hoch-)Altar, Gottesleichnamaltar (Corpus-Christi-Altar), Unser Lieben Frauenaltar
(Marienaltar), Maria Magdalenenaltar, Petersaltar, Michaelsaltar, Wolfgangsaltar, Allerzwölfbotenaltar
(Apostelaltar), Katharinenaltar und Leonhardsaltar, vgl. auch Starzer,
Korneuburg 572 ff.
45 Vgl. Starzer, Korneuburg 503, 611; zur Corpus-Christi-Frömmigkeit Miri Rubin, Corpus
Christi Fraternities and Late Medieval Piety, in: W. J. Sheils u. Diana Wood (Hg.), Voluntary
Religion (Studies in Church History 23) Oxford 1986, 97–109, bes. 106.
46 Die Kapelle wurde am 9. März 1455 geweiht, auf ihre lange Planung weist die letztwillige
Stiftung eines dafür bestimmten Glasfensters aus dem Jahr 1444 im Testament Wolfgang
Wagkermanns, StAK, Hs. 3/160 fol. 3r–4r (1444 X 3). Thomas Swercz verfügte für die von
ihm gestiftete Messe (Wolfgangsbenefizium) testamentarisch ein Haus und einen Garten in
Tuttendorf, einen Weingarten, weitere Güter und Geld aus Forderungen, ebd. fol. 94r–95v
(1462 VI 12). Zu Kapelle und Benefizium vgl. Starzer, Korneuburg 576 f., zum Grabstein
des Thomas Swercz ebd. 543 (Abb. auf 545). Swercz starb allerdings am 3. Juli 1462 und
nicht im Jahr 1461, wie Starzer die Grabinschrift auflöst, vgl. Uiblein, Bücherverzeichnisse
26, Anm. 74.
25
gegen als offenbar schwierig zu realisierende Langzeitprojekte; die dafür gestifteten
Legate lassen sich über Jahrzehnte in den Testamenten verfolgen. Möglicherweise
erfolgte der Kapellenbau anlässlich der Kirchenumbauten 1487 und
1491; ob eine ausreichende Dotierung des Frühamts letztlich gelang, lässt sich
nicht sagen47. Eine gesicherte Durchführung war offenbar nur sehr gut dotierten
Benefizienstiftungen reicher Bürgerinnen und Bürger beschieden, die vom Lebensunterhalt
des Priesters bis zur liturgischen Ausstattung alle anfallenden
Kosten abdeckten.
Spannungsträchtig gestaltete sich im Spätmittelalter das von Beginn an
enge Verhältnis zum Augustiner-Chorherrenstift Klosterneuburg auf der anderen
Seite der Donau, das sich seit dem frühen 14. Jahrhundert um Inkorporation der
Pfarre bemühte, aber erst ab etwa 1450 in der Durchsetzung seiner Rechte langfristig
erfolgreich war. Der damalige Pfarrer Mag. Peter Seidenspinner von Langenlois
(Lewbs), 1436 vom Bischof eingesetzt, konnte aber noch unangefochten
seine Stellung bis zur Resignation 1461 behaupten48. Ab seinem Nachfolger Johannes
Hechtl wirkten dann mehrheitlich Stiftsgeistliche in Korneuburg. Die
Verwaltung des Kirchenvermögens verblieb allerdings weiterhin beim Stadtrat
(Kirchenmeister), was spätere Konflikte vorprogrammierte49. In den Testamenten
ist das Chorherrenstift, immerhin eines der prominentesten Klöster des Landes
mit den Reliquien des 1485 heilig gesprochenen Markgrafen Leopold III., so
gut wie gar nicht präsent, was aber wohl nicht mit dem mitunter schwierigen
Verhältnis zwischen Stift und Pfarre zusammenhängt, sondern mit der Präferenz
der Testatoren für die Mendikantenorden. Ihre Förderung galt daher den
Klosterneuburger Bernhardinern von St. Jakob, einem 1451 von Johannes von
Capistran gegründetem Franziskanerkloster der strengen Observanz nach Bernhardin
von Siena.
47 Zum Kirchenbau vgl. Starzer, Korneuburg 521; zur Marienkapelle s. die Anm. 270, 344;
zum Marienfrühamt Anm. 261.
48 Trotz mehrmaliger Bestätigungen ab 1329 durch den Passauer Bischof und die Kurie konnte
das Stift nur zeitweise und dann oft erst über den Beschwerde- und Klagsweg seine Besetzungs-
und Nutzungsrechte durchsetzen. Zum Verhältnis zum Stift Klosterneuburg vgl.
Starzer, Korneuburg 494 ff. – Peter Seidenspinner von (Langen-)Lois (Lewbs) wurde 1423
oder 1424 an der Wiener Universität Baccalaureus artium, 1427 Magister und hielt in der
Folgezeit Vorlesungen an der Artistenfakultät, zeitweise wirkte er auch als Examinator,
einmal als Consiliar. Ab 1436 war er Pfarrer von Korneuburg, resignierte 1461 und starb
1462. Zu seinem Testament vom 30. Oktober 1462 s. Uiblein, Bücherverzeichnisse n. 23
(1462 XII 31), zu seiner Person ebd., Anm. 91; s. zu seinem Testament auch unten Anm.
262.
49 Die pfarrlichen Einkommenseinbußen machten seit dem späten 16. Jahrhundert immer wieder
vertragliche Regelungen hinsichtlich der strittigen Lastenverteilung, vor allem der Bezahlung
der Seelsorger und des Baus, notwendig. Erst mit dem Vergleich von 1846, in dem
die Stadt auf das Patronat verzichtete und alle damit verbundenen Rechte und Pflichten
samt dem Kirchenvermögen auf das Stift übergingen, konnten die jahrhundertelangen Streitigkeiten
beendet werden, vgl. Starzer, Korneuburg 479 ff., der Vergleich von 1846 ausführlich
ebd. 481 ff.
26
Innerhalb der Stadtmauer befanden sich noch drei weitere Gotteshäuser:
Das nur wenige Gehminuten vom Hauptplatz entfernte Augustiner-Eremitenkloster
beim Klostertor (Stockerauer Tor) war nach der Pfarrkirche die für die
Heilssorge der Bürgerschaft wichtigste Institution. Seine Entstehung verdankt es
letztlich den blutigen Ereignissen des Jahres 1305, als zwei jüdische Mitbewohner
wegen angeblichen Hostienfrevels gelyncht wurden50. Die anstelle des jüdischen
Wohnhauses errichtete Gottesleichnam- oder Blut-Christi-Kapelle wurde
1338 in das Augustiner-Eremitenkloster zum heiligsten Blut umgewandelt, die
Stiftungen auf den Corpus-Christi-Altar in der Pfarrkirche übertragen. Im Kloster
bestand neben dem Augustinaltar auch ein Marienaltar, außerdem wirkte bei
den Augustinern ein Prediger.
Die um 1170 errichtete Nikolaikapelle mit dem darüber gebauten Stadtturm
auf dem Hauptplatz war die älteste Kirche der Stadt mit drei Altären und
zwei, dem Rat unterstehenden, meist vereinigten Altarbenefizien. Jünger war die
Marienkapelle des um 1300 errichteten Bürgerspitals, deren Kaplan dem Pfarrer
unterstand. Außerhalb der Stadt in der Muckerau lag noch die Johanneskapelle,
die vom Pfarrer besetzt wurde und bei der Mitte des 15. Jahrhunderts ein Einsiedler
lebte51.
Während Kloster, Kapellen und Altäre ab dem 16. Jahrhundert an Bedeutung
für die religiöse Praxis verloren – viele Benefizien wurden zusammengelegt
oder aufgelassen, die Jahrtage kamen ab, die Kapellen wurden sukzessive
profaniert, das Kloster diente vorübergehend als Armenhaus52 –, war das im Jahr
1300 erstmals erwähnte Bürgerspital mit dem bei bürgerlichen Einrichtungen
sehr beliebten Marienpatrozinium jahrhundertelang Teil der städtischen Infrastruktur.
Gegründet für arme und alte Bürger und vom Rat durch den Spitalmeister
verwaltet, war das Spital einer der Hauptempfänger der Armenspenden.
Größe und Anzahl der Plätze sind nicht bekannt, der Hauptraum dürfte wie in
allen Spitälern das Langhaus gewesen sein, wo die Armen, getrennt nach Männern
und Frauen, in einem klosterähnlichen Verband mit regelmäßigen Gebetszeiten
unter der Kontrolle eines Spitalvaters und einer Spitalmutter lebten und
versorgt wurden53. Das 1295 errichtete Pilgerhospiz gab es im 15. Jahrhundert
50 Zum angeblichen Hostienfrevel vgl. bes. Winfried Stelzer, Am Beispiel Korneuburg: Der
angebliche Hostienfrevel österreichischer Juden von 1305 und seine Quellen, in: Österreich
im Mittelalter (Studien und Forschungen aus dem Niederösterreichischen Institut für Landeskunde
26) St. Pölten 1999, 309–347, zur problematischen Darstellung in der Stadtgeschichtsschreibung
im Gefolge Starzers (Korneuburg 563 f.) ebd. 314 ff.; zuletzt Eveline
Brugger, Korneuburg 1305 – eine blutige Hostie und die Folgen, in: Nicht in einem Bett.
Juden und Christen in Spätmittelalter und Frühneuzeit, hg. v. Institut für Geschichte der Juden
in Österreich. Wien 2005, 20–26; zum Augustinerkloster auch Franz Zeissl, Das ehemalige
Augustinerkloster, in: Korneuburger Kulturnachrichten 1965/2, 3–51.
51 Der Einsiedler erwähnt im Testament der Clara Daniel, StAK, Hs. 3/160 fol. 48r (1453 VI
18).
52 Vgl. Starzer, Korneuburg 506.
53 Zum Bürgerspital ebd. 454 ff. Nach der Profanierung (1785) und dem Umbau in ein Bürgerhaus
lebten im 19. Jahrhundert noch 41 Pfründner vom Bürgerspitalsfonds, aus dessen
27
nicht mehr, an dessen Stelle wurde nach dem verheerenden Stadtbrand von 1417
das Rathaus erbaut.
Pfarrkirche, Kloster, Kapellen und Altäre sowie die dort tätigen Priester
treten als die für das Seelenheil ‚Zuständigen’ notwendigerweise in Testamenten
als sehr lebendiger Teil der städtischen Welt des 15. Jahrhunderts entgegen. Die
zahlreich genannten Geistlichen erscheinen aber keineswegs nur als Empfänger
von Zuwendungen oder als Beichtväter, sondern auch als Testatoren, Zeugen,
Einbringer, Gläubiger, Schuldner, Verwandte und Freunde, waren also über ihre
geistliche Funktion hinaus in die städtischen Netzwerke aktiv eingebunden.
3. Lebenswelt in Ausschnitten
Die das 15. Jahrhundert prägenden politischen Ereignisse – von den Hussiten
über die habsburgischen Bruderkämpfe, Wirtschaftskrisen und Fehden bis zu
den Ungarnkriegen –, von denen Korneuburg nachweislich betroffen war, finden
in den Testamenten überhaupt keine Erwähnung. Selbst von der 1444 in Österreich
herrschenden Pestilenz erfährt man nur aus den einleitenden Worten Erharts
von Asparn54 im zweiten Geschäftsbuch, nicht aber aus den Testamenten
dieses Jahres, obwohl Krankheit ein häufiges Thema war. Auf die Vorbereitungen
angesichts des oft nahe bevorstehenden Todes hat die ‚große’ Ereignisgeschichte
des 15. Jahrhunderts keinen quellenmäßig greifbaren Einfluss hinterlassen,
weshalb sie hier auch unerwähnt bleibt55.
In den Testamenten überliefert sind vielmehr jene Ausschnitte der alltäglichen
Lebenswelt, die, unabhängig vom aktuellem Geschehen, langfristig und
tiefgreifend die städtische Struktur prägten und in der aktuellen Lebenssituation
besondere Bedeutung erhielten. Die Gleichförmigkeit und Knappheit der Angaben
und der Sprache, die festhält, aber, weil allen Betroffenen verständlich,
nichts erklärt oder kommentiert, verweist auf vertraute Strukturen des städtischen
Alltags. Es ist davon auszugehen, dass in einer so kleinen Stadt wie Korneuburg
das Lesen der Messen an den verschiedenen Altären, Leichenkondukte,
Mitteln schließlich das städtische Krankenhaus errichtet wurde. – Zur Organisation und zu
den Aufgaben der mittelalterlichen Bürgerspitäler grundlegend Brigitte Pohl-Resl, Rechnen
mit der Ewigkeit. Das Wiener Bürgerspital im Mittelalter (Mitteilungen des Instituts für
Österreichische Geschichtsforschung Ergbd. 33) Wien-München 1996, 74 ff., zur Beliebtheit
des Marienpatroziniums für Bürgerspitäler ebd. 112. – Das Korneuburger Bürgerspital
widerspricht allerdings dem Befund Pohl-Resls, Marienpatrozinien seien besonders typisch
für große Städte wie Wien, während kleinere Siedlungen andere Patrozinien (u. a. Heiliggeist,
Elisabeth, Martin) bevorzugt hätten, was auf Differenzen der karitativen Einrichtungen
je nach Siedlungsgröße verweise. Möglicherweise besteht eher ein Zusammenhang
zwischen Gründungszeit und Patrozinienwahl, denn die von ihr genannten niederösterreichischen
Spitäler wurden im 15. und frühen 16. Jahrhundert gegründet, das Wiener und
Korneuburger Spital hingegen im 13. Jahrhundert.
54 Zitat in Anm. 1.
55 Die Ereignisgeschichte ausführlich bei Starzer, Korneuburg 74 ff. und Zeissl, Korneuburg
76 ff.
28
das Glockengeläut bei Begräbnissen und Jahrtagen, die für die Toten Betenden
oder Jahrtagsfeierlichkeiten zur vertrauten städtischen ‚Routine’ gehörten, vermutlich
selbst an den lauten Markttagen. Sichtbar und hörbar hielten sie jenen
‚Lebensraum’ als Teil des städtischen Lebens präsent, dem alle Stiftungen zum
Seelenheil galten: die jenseitige Welt.
II. Rechnen mit der Ewigkeit
Der von Brigitte Pohl-Resl entlehnte Titel56 für jenen, an der Grenze des Diesseits
beginnenden ‚Lebensraum’, auf den sich jede testamentarisch verfügte
Heilsvorsorge bezieht, enthält die beiden grundlegenden, nicht voneinander zu
trennenden Aspekte dieser für die spätmittelalterliche Frömmigkeit so wirkmächtigen
nachtödlichen Welt: den des ‚Tuns’ und den des ‚Jenseitigen’. In ihrem
Zusammenwirken ließen sie im Laufe des Mittelalters eine differenzierte –
mit den Schlagworten Himmel–Hölle–Fegefeuer nur sehr plakativ wiedergegebene
– jenseitige Vorstellungswelt entstehen, in der die Ewigkeit vertraute
Raum–Zeit-Kategorien erhielt und dynamisch-bewegte Formen eines strukturierten,
von den Lebenden gestaltbaren und somit berechenbaren Handlungsraums
annahm. Der im christlichen Auferstehungsglauben angelegte ‚Wartezustand’
bis zur Erneuerung des Menschen mit Leib und Seele wurde seit dem
Frühmittelalter mit räumlichen und zeitlichen Qualitäten angereichert, durch Visionen
bebildert, theologisch zur Fegefeuer-Lehre ausgestaltet und in der liturgischen
Totenmemoria entfaltet. Die Ewigkeit erhielt gleichsam einen auch für
Ungebildete vorstellbaren ‚Horizont’. Entscheidend war der Faktor Zeit, denn er
eröffnete den Verstorbenen im Fegefeuer bzw. Purgatorium Chancen auf den
Himmel, auf das dann tatsächlich ewige, nämlich endgültige Heil der Seele. Mit
einer solcher Art zeitlich strukturierten Ewigkeit konnte man im doppelten Sinn
des Wortes ‚rechnen’, sowohl in Tagen, Wochen, Jahren, Messen, Geldsummen
oder Ablässen als auch im Sinne von einigermaßen verlässlichem Wissen – zumindest
was das Tun der Lebenden betrifft, denn das ‚Rechnen mit der Ewigkeit’
ist ohne die ‚Gemeinschaft der Lebenden und Toten’ nicht denkbar.
1. Bildwelten
Neben Predigten und Andachtsbüchern waren es seit dem späten 13. Jahrhundert
vor allem Bilder, die die Vorstellungen von der jenseitigen Welt ausgestalteten
und ihr Form und Farbe gaben. Tafelbilder oder Buchillustrationen ermöglichen
Zugänge zu den Bildwelten oder Assoziationsketten, die in den knappen Formeln
durch meins sel hail willen der Testamente mitschwingen konnten. Der um
1480 entstandene Andreasaltar, heute im Stadtmuseum St. Pölten (Abb. 2), ist
mit einer sehr einfach verständlichen Darstellung der Heilssorge und des Fegefeuers
ein Beispiel für die Visualisierung jenes jenseitigen ‚Lebensraums’, auf
56 Pohl-Resl, Rechnen mit der Ewigkeit.
29
den sich Seelgeräte nicht nur bezogen, sondern den sie durch ihre Wirkung auch
gestalteten.
Abb. 2: Andreasaltar, Stadtmuseum St. Pölten
(Foto: Institut für Realienkunde, Krems)
Der Altar stammt aus der ehemaligen Friedhofskapelle St. Andreas im Karner
auf dem Domplatz von St. Pölten, der 1786 anlässlich der Friedhofsverlegung
30
abgerissen wurde57. Im geöffneten Zustand sind im Schrein die Statue des hl.
Andreas und Szenen aus seiner Vita zu sehen, im geschlossenen Zustand auf den
Flügelaußenseiten jene Themen, die in der Nähe der Toten die drängendsten waren:
Hilfe für die Seelen im Fegefeuer und Jüngstes Gericht. Die linke Seite
zeigt auf der oberen Tafel eine Seelenmesse im Augenblick der Hostienelevation,
in Anwesenheit eines Ministranten, der die brennende Wandlungskerze und
die Kasel hält, und dreier andächtig zum Leib Christi blickender Gläubiger, eines
Mannes, einer Frau und eines Kindes, wohl stellvertretend für alle Gläubigen.
Daneben ist als eigene Handlung die Almosenspende durch einen wohlhabenden
Mann dargestellt, der einem Armen Geld gibt. Seine Wohlhabenheit ist
an der Kleidung – dunkler Rock mit farbigem Kragen, Pelzmütze in der Hand
und rote Strümpfe – deutlich erkennbar, wenn auch dezent dargestellt. Es handelt
sich um angemessenen Reichtum ohne negative Konnotierung im Sinne von
unrechtmäßigem Verhalten58.
Beide Handlungen, Messfeier und Almosen, sind durch den Kirchenraum
und die kniende Haltung des Reichen zwar miteinander verbunden, aber als eigene
Aktionen zu lesen, denn der Reiche ist dem Armen zugewandt und bildet
mit diesem eine Handlungseinheit. Strahlen verbinden die Handlungen – Messe
und Almosen – im oberen Tafelbild mit dem Geschehen im Fegefeuer darunter
und zeigen deren Wirkung für die ‚Armen Seelen’: Durch das Messopfer werden
drei Seelen erlöst, durch das Almosen eine. Das Erlösungsgeschehen im Fegefeuer
durch die von oben kommenden Engel, die die Seelen an den Händen
herausziehen, ist als bewegtes Geschehen in unterschiedlichen Stadien dargestellt.
Eine bereits völlig gerettete Seele ist auf dem Weg in den Himmel, eine
andere Seele wird gerade aus dem Fegefeuer gezogen und zwei verspüren erst
den erlösenden Griff. Die Hautfarbe der Erlösten ist – als Zeichen ihrer Erlösung
– wie jene der Engel weiß im Gegensatz zu den noch nicht geretteten Seelen mit
fleischfarbener Haut, die noch leiden und um Hilfe beten. Die rechte Seite zeigt
das in zwei Zonen aufgeteilte Weltgericht. Die Auferstandenen werden in den
Himmel geführt, die Verdammten in die Hölle gezerrt. Wieder sind die Erlösten
weiß und die Unerlösten, nun aber auf ewig Verdammten, fleischfarben gemalt59.
Die Darstellung enthält charakteristische Elemente der spätmittelalterlichen
Frömmigkeit: Das Fegefeuer als Raum mit topographischen Zügen unterhalb
des Bodens, aber nach oben offen; das peinigende Feuer als Sündenstrafe
mit Betonung der körperlichen Qualen; die Bedürftigkeit und Passivität der Armen
Seelen in betender Haltung, in ihrer Nacktheit ungeschützt und hilflos wie
57 Als Stifter wird der passauische Amtmann Andre Weger vermutet, vgl. Karl Gutkas u. Johannes-
Wolfgang Neugebauer, Historisches Museum der Stadt St. Pölten. Führer durch die
Schausammlung. St. Pölten 1976, 51 f.
58 Zum St. Pöltner Andreasaltar vgl. bes. Susanne Wegmann, Auf dem Weg zum Himmel.
Das Fegefeuer in der deutschen Kunst des Mittelalters. Köln-Weimar-Wien 2003, 240, Kat.
2.13.
59 Zur Ikonographie der Seelendarstellung Wegmann, Weg zum Himmel 55 ff.
31
Kinder; die Befreiung durch die von oben kommenden Engel gemäß dem Handeln
der Lebenden; die Trias der Suffragien Messe-Gebet-Almosen; die überragende
Bedeutung der Messfeier, insbesondere der konsekrierten Hostie als wirksamste
Heilsmaterie; die Zähl- und Berechenbarkeit von Ursache–Wirkung; die
Endgültigkeit des Gerichts mit den einzigen Alternativen Himmel und Hölle.
Lebensweltlicher Kontext des Andreasaltars war der Friedhof einer Kleinstadt.
Die dort Bestatteten waren vermutlich den meisten Betrachtern des Altars
vertraut oder zumindest bekannt; die Armen Seelen des Altars waren keine anonymen
Fremden, sondern hatten ein ‚Gesicht’. Es waren Eltern, Kinder, Ehefrauen,
Ehemänner, Verwandte, Nachbarn, Freunde und Bekannte, deren
Schicksal im Jenseits nicht gleichgültig ließ. Die Sprache der Bilder war in ihrer
Einfachheit berührend, wohl tröstend und beängstigend zugleich, vor allem aber
war sie handlungsorientiert: Euer Tun entscheidet über ewiges Heil oder Verdammnis
der Toten, so die Botschaft.
Die enge Verbindung zwischen Diesseits und Jenseits wird durch die
Strahlen besonders anschaulich ins Bild gesetzt. Unabhängig von konkret räumlichen
Vorstellungen zeigen sie die Struktur des Fegefeuers als einen Beziehungsraum
zwischen Lebenden und Toten und – durch den direkt hergestellten
Ursache–Wirkungszusammenhang – als Handlungsraum der Lebenden, deren
Tun den Toten den Weg in den Himmel eröffnet. Beziehung zu und Kommunikation
mit den Toten besteht im Handeln für sie, wodurch sie nahe und präsent
bleiben. In den Darstellungen der als besonders wirksam geltenden Gregorsmesse
kommen die Seelen aus dem Fußboden des Kirchenraums heraus – auf einem
Bild ziehen sie sich sogar am Altar hoch – und werden so zu Messteilnehmern,
die sofort Anteil an den Gnaden der Messe, den so genannten ‚Messfrüchten’,
erhalten60. Zeitliche und räumliche Grenzen zwischen diesseitiger und jenseitiger
Welt scheinen sich aufzulösen, die Toten sind als Teil des gegenwärtigen
Geschehens präsent.
2. Zwischen Wandel und Kontinuität
Seelenheilstiftungen setzen, obwohl in den Testamenten inhaltlich kaum explizit
formuliert, den Glauben an den mit dem Diesseits verklammerten jenseitigen
‚Handlungs- und Beziehungsraum’ und an das durch die Gabe verpflichtete solidarische
Handeln der Lebenden für die Toten voraus. Im Mittelpunkt stand das
Verlangen der Stifter nach Messfeiern. Die europaweit – von Lübeck bis zum
kleinen Korneuburg – aus den Testamenten ersichtliche Kumulierung der Toten-
Memoria mit tausenden Seelenmessen, diese „mathématique du salut“, wie es
Chiffoleau formulierte61, galt insbesondere in der Kirchengeschichte bis weit in
das 20. Jahrhundert als Charakteristikum der in Äußerlichkeiten erstarrten Frömmigkeit
einer religiös verfallenden Zeit, gefördert von den pekuniären Interessen
60 Zur Gregorsmesse vgl. Wegmann, Weg zum Himmel 128 ff., Abbildungen 264 ff.
61 Vgl. Chiffoleau, Comptabilité de l’au-delà 208 ff.
32
des vom Armen-Seelen-Dienst profitierenden Klerus. Erst die aus sehr verschiedenen
Richtungen kommenden Forschungen der letzten Jahrzehnte – von der
französischen Mentalitätsgeschichte über die Memoriaforschung, die Religionssoziologie,
die Frömmigkeitsforschung bis zur Riten- und Kultforschung usw. –
eröffneten der Profan- und in ihrem Gefolge auch der Kirchengeschichte eine
religionsgeschichtliche Betrachtungsweise des Mittelalters, insbesondere des
bislang negativ konnotierten Spätmittelalters, das nun nicht mehr unter dem Interpretament
‚Verfall’, sondern im Hinblick auf Kontinuität und Wandel, Tradition
und Erneuerung zum Gegenstand des Forschungsinteresses wurde62.
Die französische Forschung63 akzentuierte vor allem den Wandel der Todes-
und Jenseitsvorstellungen seit dem 12. Jahrhundert als Folge tiefgreifender
sozial-ökonomischer Wandlungsprozesse. Demnach führten Urbanisierung, Migration
sowie die durch Hunger und den Schwarzen Tod bedingten demographischen
Krisen ab 1320 zur Auflösung traditionell familialer Bindungen und einem
latenten Krisenbewusstsein, was in einer individualisierten, von Einsamkeit
und Verlassenheit geprägten Todeserfahrung seinen Ausdruck fand, von Ariès
als Entdeckung des „mort de soi“ bezeichnet. Testamente wurden als Teil des
Diskurses über den Tod als wichtige Quelle für den Mentalitätswandel herangezogen.
Die ab dem 14. Jahrhundert feststellbare ‚Demokratisierung’ des Testierens,
das in zunehmend breiteren Schichten üblich wird, die Entstehung der
Bruderschaften, die differenzierte, berechenbare Heilsökonomie, der ‚Erfolg’
der Messe als wirksamstes Mittel sowie die Ausgestaltung des Fegefeuers als
berechenbarer Jenseitsraum werden letztlich als Folge von gesellschaftlicher
Traumatisierung und Destabilisierung und dem sich daraus entwickelnden Bedürfnis
des Individuums gesehen, den Tod in ein Kollektiv – Kommune, Bruderschaft
und Gemeinschaft der Heiligen – einzubinden und sich so der Kontinuität
und des Platzes in der kollektiven Erinnerung zu versichern.
62 Forschungsgeschichte und -probleme bei Angenendt, Grundformen der Frömmigkeit 54 ff.,
bes. 65 ff. Zur religionsgeschichtlichen Betrachtungsweise im Sinne einer Geschichte der
konkreten Religiosität vgl. ders., Geschichte der Religiosität im Mittelalter. Darmstadt
1997, 24 ff.; zum Interpretament des ‚verfallenden Spätmittelalters’ ders., Liturgik und Historik.
Gab es eine organische Liturgie-Entwicklung (Quaestiones Disputatae 189) Freiburg-
Basel-Wien 2001, 56 f.; zur Neubewertung des Spätmittelalters Heinz Schilling, Vita religiosa
des Spätmittelalters und frühneuzeitliche Differenzierung der Christianitas – Beobachtungen
zu Wegen und Früchten eines Gesprächs zwischen Spätmittelalter- und Frühneuzeithistorikern,
in: Franz J. Felten u. Nikolaus Jaspert (Hg.), Vita religiosa im Mittelalter.
Festschrift für Kaspar Elm (Berliner Historische Studien 31) Berlin 1999, 785–796,
787.
63 Vgl. zum Folgenden: Chiffoleau, Comptabilité de l’au-delà 38 ff., 88 f., 357 ff., zusammenfassend
428 ff.; ders., Ce qui fait changer la mort dans la région d’Avignon à la fin du moyen
âge, in: Herman Braet u. Werner Verbeke (Hg.), Death in the Middle Ages (Mediaevalia
Lovaniensia Series I/Studia IX) Leuven 1983, 117–133; Philippe Ariès, Geschichte des Todes.
München 51991 (11980), 121 ff. (zit. nach der Taschenbuchausgabe); Le Goff, Geburt
des Fegefeuers 203 ff., 273 ff.
33
Das Konzept des Fegefeuers als dritter Ort neben Himmel und Hölle wurde
mit der Entstehung des Dritten Standes der städtischen Bürgerschicht, vornehmlich
der Kaufleute, in Zusammenhang gebracht, seine theologische ‚Geburt’
von Le Goff in französischen Intellektuellenkreisen des ausgehenden 12.
Jahrhunderts verortet. Das Fegefeuer verlängerte das Leben und das Andenken
über den Tod hinaus und verstärkte gleichermaßen die Solidargemeinschaft zwischen
Lebenden und Toten wie die Individualisierung, indem es – in Verbindung
mit dem Konzept der ‚Voraus-Eschatologie’ der Hochscholastik – das Interesse
auf den individuellen Tod und das darauf folgende Partikulargericht
lenkte. Der Erfolg dieses dreigliedrigen Jenseitsmodells entsprach demnach einer
sich verändernden gesellschaftlichen Wirklichkeit mit ihren Erfahrungen
von Vereinzelung und dem daraus resultierenden Bedürfnis nach Gemeinschaft64.
Diese in ihrer Logik überaus ‚bestechenden’ Thesen zum mentalitätsgeschichtlichen
Wandel von Todes- und Jenseitsvorstellungen blieben nicht unwidersprochen,
insbesondere die Ariès’sche These vom Wandel des ‚gezähmten’
zum ‚verwilderten’ Tod und Le Goffs ‚Geburt’ des Fegefeuers im 12. Jahrhundert,
aber auch der direkte Konnex von Krise, Pest, veränderter Todeserfahrung
und Steigerung des Totengedenkens und schließlich die Qualität des Wandels
überhaupt65. Unbestrittenes Verdienst der in der französischen Forschungstradition
stehenden Entwicklungs- und Erklärungsmodelle ist es, biologistische
Vorstellungen von ‚Blüte’ und ‚Verfall’ endgültig überwunden zu haben und
durch Herausstellen der Bedeutung von Todesritualen, Fegefeuervorstellung und
rechnender Frömmigkeit den Blick auf die Kontextualität von Religiosität und
deren zeit- und gesellschaftsbedingten Antwortcharakter auf Grundfragen des
Lebens gelenkt zu haben.
Hinterfragt wurde vor allem das Modell eines grundlegenden Wandels der
Jenseitsvorstellung und der Jenseitsvorsorge. Demgegenüber betonte die neuere
Forschung die Kontinuität zum Frühmittelalter und den Memorialformen im
monastischen Bereich. Eine wesentliche Folge war eine Neubewertung des
kirchlichen und religiösen Lebens des Spätmittelalters vor allem im Hinblick auf
64 Vgl. Le Goff, Geburt des Fegefeuers 283; zur sozialen Dimension des Fegefeuers Martina
Wehrli-Jones, ‚Tuo daz Guote und lâ daz Übele’. Das Fegefeuer als Sozialidee, in: Peter
Jezler (Hg.), Himmel, Hölle, Fegefeuer. Das Jenseits im Mittelalter. Katalog zur Ausstellung
des Schweizerischen Landesmuseums. München 1994, 47–58; zum Partikulargericht
Angenendt, Geschichte der Religiosität 688 f.; weiters auch Peter Jezler, Jenseitsmodelle
und Jenseitsvorsorge – Eine Einführung, in: ders. (Hg.), Himmel, Hölle, Fegefeuer 13–26.
65 Zur Kritik Joachim Wollasch, Hoffnungen der Menschen in der Zeit der Pest, in: Historisches
Jahrbuch (1990) 23–51, bes. 37 ff.; Angenendt, Geschichte der Religiosität 711; Lothar
Kolmer, Einleitung, in: ders. (Hg.), Der Tod des Mächtigen. Kultur und Kultur des Todes
spätmittelalterlicher Herrscher. Paderborn 1997, 9–26; zusammenfassend Wegmann,
Weg zum Himmel 2 f. Zu Le Goffs These von der Geburt des Fegefeuers vgl. weiters die
Rezension von Arnold Angenendt, in: Theologische Revue 82 (1986) 38–41, und Andreas
Merkt, Das Fegefeuer. Entstehung und Funktion einer Idee. Darmstadt 2005, 9, der im Hinblick
auf die Kirchenväterzeit die These als „mediävistische Verengung“ bezeichnet.
34
die Gleichzeitigkeit von Tradition und Erneuerung. Neben der Entfaltung ritueller
Memorialformen stand immer auch die Forderung nach Verinnerlichung des
Glaubens – neben der Gnaden spendenden, erhobenen Hostie das Andachtsbuch,
neben dem Seelgerät die persönliche Vorbereitung auf den Tod der Ars moriendi.
Die Einbindung des Spätmittelalters in die vorangehende und folgende
Zeit führte zu einer Differenzierung des ‚Wandels’, der mit der Vervielfachung
des Totengedenkens eine quantitative, mit den theologischen Klärungen der
Scholastik und den Bemühungen um Vertiefung der christlichen Lebenspraxis
eine inhaltlich-qualitative Seite hatte, die ihre Fortsetzung in der Reformation
fand66.
Hinsichtlich der Kontinuität spätmittelalterlicher Frömmigkeit gilt als eines
der wichtigsten Entwicklungsmomente die Übertragung monastischer Memorialformen
in die städtische Lebenswelt in enger Verbindung mit der sich ab
dem 13. Jahrhundert durchsetzenden Testierfreiheit67. Die bisher Klöstern und
Adeligen vorbehaltene Memoria wurde immer breiteren laikalen Kreisen zugänglich
und als Teil der Laienfrömmigkeit ein von vielen erwerbbares ‚symbolisches
Kapital’ – parallel zur „démocratisation du testament“ (Chiffoleau) erfuhr
auch die Memoria gleichsam eine ‚Demokratisierung68.
Eine überzeugende Erklärung für die Vervielfachung der Memoria konnte
bislang allerdings nicht gefunden werden. Umstritten sind vor allem die langfristigen
Auswirkungen der Pestzüge ab 1348/49 auf das Stiftungsverhalten. Untersuchungen
einzelner Quellenbestände ergaben einerseits Zäsuren zur Zeit des
Schwarzen Todes um 1350 mit deutlichen Steigerungen der Stiftungen zum Seelenheil,
andererseits einen zwar sprunghaften, aber nur kurzfristigen Anstieg in
den Pestzeiten mit anschließendem Abfall, so etwa in Lübeck oder im Wiener
Bügerspital, aber auch in Korneuburg im Jahr 1444, in dem nach den Angaben
des Stadtschreibers Erhart von Asparn eine Pestilenz in Österreich wütete69.
66 Zur Kontinuität grundlegend Arnold Angenendt, Theologie und Liturgie der mittelalterlichen
Toten-Memoria, in: Karl Schmid u. Joachim Wollasch (Hg.), Memoria. Der geschichtliche
Zeugniswert des liturgischen Gedenkens im Mittelalter (Münstersche Mittelalter-
Schriften 48) Münster 1983, 79–199; ders., Thomas Braucks u. a., Gezählte Frömmigkeit,
in: Frühmittelalterliche Studien 29 (1995) 1–71, bes. 1–8; weiters Wollasch, Hoffnungen
37 ff., und ders., Liturgik und Historik 95 ff. – Zur Vertiefung der Frömmigkeit vgl.
Hamm, Frömmigkeit 479 ff.; Klaus Schreiner, Laienfrömmigkeit – Frömmigkeit von Eliten
oder Frömmigkeit des Volkes? Zur sozialen Verfaßtheit laikaler Frömmigkeitspraxis im
späten Mittelalter, in: ders. (Hg.), Laienfrömmigkeit im späten Mittelalter. Formen, Funktionen,
politisch-soziale Zusammenhänge (Schriften des Historischen Kollegs, Kolloquien
20) München 1992, 1–78, 42 ff.; und ders., Frommsein 77 f.; vgl. auch Volker Honemann,
Der Laie als Leser, in: Schreiner (Hg.), Laienfrömmigkeit 241–251.
67 Vgl. Wollasch, Hoffnungen 42 f.
68 ‚Symbolisches Kapital’ nach Pierre Bourdieu, Praktische Vernunft. Zur Theorie des Handelns.
Frankfurt/Main 1998, 108 ff., 163 ff. (Raisons pratiques. Sur la Théorie de l’action.
Paris 1994); dazu auch Pohl-Resl, Rechnen mit der Ewigkeit 158 f.; zur „démocratisation
du testament“ Chiffoleau, Comptabilité de l’au-delà 38 ff.
69 Kritisch zur These der Zäsur durch die Pest František Graus, Pest – Geißler – Judenmorde.
Das 14. Jahrhundert als Krisenzeit (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Ge35
Auch widerspricht die enge Bindung des Seelgeräts an die nächsten Angehörigen
– als eine ihnen vorrangig anvertraute Pflicht – dem im Zusammenhang mit
Krisenerfahrungen postulierten Verlust familialer Zugehörigkeiten im städtischen
Umfeld. Ob und wieweit Krisenbewusstsein das Spendenverhalten bestimmte,
lässt sich aus den Quellen nicht in wünschenswerter Weise herauslesen;
sicher ist, dass eine eindimensionale Erklärung zu kurz greift und eine Vielzahl
von, das Sozialsystem der Städte aktuell bestimmenden Faktoren – wirtschaftliche
ebenso wie erbrechtliche – zu berücksichtigen ist.
3. Zwischen Himmel und Hölle: Purgatorium
Das Totengedenken und die Vorstellung vom Fegefeuer als Ort der Reinigung
für Unvollkommene waren Religionselemente von gesamteuropäischer Akzeptanz.
Die Bildaussage des St. Pöltner Andreasaltars wäre überall verstanden
worden. Beide im Spätmittelalter untrennbar miteinander verbundenen Elemente
wurzeln letztlich in der ‚Solidargemeinschaft der Lebenden und Toten’, die ihre
spezifisch mittelalterliche Ausprägung in Kult, Wort und Bild im Frühmittelalter
erhielt.
Vom Nutzen des Opfers (Augustinus)
Nachhaltigen Einfluss für das Totengedenken hatte die Klassifizierung des Augustinus,
der, ausgehend von einem Wartezustand der Verstorbenen bis zum
Jüngsten Gericht, das Opfer des Altars und des Almosens für die sehr Guten
(valde boni) als Danksagung, für die nicht ganz Schlechten (non valde mali) als
wirksames Sühnemittel für sinnvoll erachtete, während es für die ganz Bösen
(valde mali) keine Hilfe, sondern nur Trost für die Hinterbliebenen sei. Bei ihm
findet sich auch im Zusammenhang mit der jenseitigen Reinigungsmöglichkeit
die Vorstellung eines reinigenden Feuers für die kleinen alltäglichen Vergehen,
nach ihm zeitlich begrenzt und vorübergehend, aber furchtbar schmerzhaft, weshalb
er auch als eigentlicher ‚Vater des Fegefeuers’ gilt70.
Die von Augustinus keineswegs als Schwerpunkt seiner Theologie formulierten
Aspekte der Nützlichkeit des Opfers und der Läuterung in Verbindung
mit seiner Klassifizierung der Verstorbenen entwickelten sich in der Folgezeit
zu den dynamischsten Elementen der lateinischen Eschatologie und Liturgie,
während ältere Elemente des frühchristlichen Totengedenkens an Bedeutung
verloren, wie die Danksagung für die Verstorbenen in der Eucharistiefeier und
das aus der Antike übernommene, von der Kirche aber abgelehnte Totenmahl,
schichte 86). Göttingen 1987, 35; zum Bürgerspital Pohl-Resl, Rechnen mit der Ewigkeit
83f.; zu Lübeck Noodt, Religion und Familie 167 ff., zusammenfassend 215 f. – In Korneuburg
stieg 1444 die Zahl der Testamente sprunghaft auf 16 an (1442: 8, 1443: 4) und
ging danach auf 6–7 Stück pro Jahr zurück; zur Seuche s. Anm. 1.
70 Vgl. Angenendt, Theologie und Liturgie 157 f., das Augustinus-Zitat ebd., Anm. 370; ders.,
Geschichte der Religiosität 687, 706; Wegmann, Weg zum Himmel 7 f.
36
das vor allem im Kreis der Verwandtschaft, Gilden und Bruderschaften fortlebte.
Auch wenn, wie in der Memoriaforschung angenommen wird, die Mahlgemeinschaft
mit den Toten des antiken Totenkults in Verbindung mit dem ab
Ende des 2. Jahrhunderts entstehenden christlichen Grabkult eine der wichtigsten
Wurzeln der mittelalterlichen Memoria als ein Lebende und Tote verbindendes
soziales Handeln war, entscheidend für deren Handlungsstruktur wurde
letztlich das offere pro, aus dem ab der Karolingerzeit die dann für die ganze
Epoche typische Kumulation von Messfeiern und Almosen bei Totenfeierlichkeiten
entstand71. Für diese Entwicklung waren besonders zwei Momente bestimmend:
die Verlebendigung des Interims und die von der irischen Kirche übernommene
Tarifbuße als Sühne für die Verstorbenen.
Verlebendigung des Interims
Die Ausgestaltung des Zwischenzustands bis zum Jüngsten Gericht zu einem
von Engeln und Dämonen bevölkerten Landschaftsraum nahm ihren Ausgang
von der vermutlich in ihrem Kern Mitte des 2. Jahrhunderts in Ägypten entstandenen
Visio Sancti Pauli, auch Paulus-Apokalypse genannt, die die Entrückung
des Paulus in das Paradies (2 Kor 12, 2–4) zu einer auf griechischen und ägyptischen
Vorstellungen beruhenden Schilderung der jenseitigen Welt ausweitete:
Die guten Seelen werden unter schützendem Engelsgeleit in das Paradies – ein
Garten mit vier Strömen – gebracht, die schlechten hingegen von Dämonen
empfangen und in einen siedendheißen Strom gestürzt. Trotz Skepsis oder auch
heftiger Ablehnung der Theologen – nach Augustinus ein dummes Machwerk
voller Fabeln – vermittelte die seit dem 5. Jahrhundert auch in einer lateinischen
Version verbreitete Paulus-Apokalypse die östlichen Jenseitsvorstellungen in
den Westen. Durch die Autorität Papst Gregors des Großen fanden sie schließlich
Anerkennung und rasche Verbreitung72. In seinem vierten Buch der „Dialoge“
beschrieb er aufgrund von Erfahrungsberichten Sterbender und von Visionen
– ihm zufolge in den Leib zurückgekehrte Seelen – die Seelenreise und die
Jenseitsorte mit dem Ziel, eine Antwort auf die Sehnsucht nach der Erfahrbarkeit
des Ewigen zu geben. Seine Beschreibung enthält altes und weit verbreitetes
Religionsmaterial, wie etwa die Symbolik des gefahrvollen Durchgangs als Weg
der Seele, die Idee des Auf- oder Abstiegs mit guten bzw. bösen Begleitern oder
die Vorstellung der ‚Jenseitsbrücke’, eine nur für Gerechte überschreitbare Brücke
über einen übel riechenden Fluss in die Gefilde des Paradieses. Nach Gregor
werden die Seelen der Gerechten sofort in das Paradies aufgenommen, die Ver-
71 Zur Rückführung der Memoria auf das antike Totenmahl vgl. Oexle, Gegenwart der Toten
48 ff.; zur Entwicklung des christlichen Grabkults Arnold Angenendt, Das Grab als Haus
der Toten. Religionsgeschichtlich – christlich – mittelalterlich, in: Wilhelm Maier, Wolfgang
Schmid u. Michael Viktor Schwarz (Hg.), Grabmäler. Tendenzen der Forschung an
Beispielen aus Mittelalter und früher Neuzeit. Berlin 2000, 11–29.
72 Zur Visio S. Pauli vgl. bes. Peter Dinzelbacher, Die Verbreitung der apokryphen ‚Visio S.
Pauli’ im mittelalterlichen Europa, in: Mittellateinisches Jahrbuch 27 (1992) 77–90.
37
dammten sühnen im Höllenfeuer, einem, wie er betont, wirklichen Feuer, und
die Guten mit leichten Sünden haben die Möglichkeit der Läuterung im ignis
purgatorius, dem Fegefeuer 73.
Die nach Gregor dem Großen ab dem 7. Jahrhundert folgenden Visionen
von Seelenreisen gestalteten die Jenseitsorte detailreich aus und schufen jene
bildhafte ‚Jenseitsgeographie’ von drastischer Realistik, die das unbekannte
‚Danach’ zu einem vorstellbaren, gleichermaßen vertrauten wie bedrohlichem
‚Lebensraum’ mit Bergen, Flüssen, Pflanzen, Wind und Wetter werden ließ. Zudem
erfolgte eine räumliche, bis zur Scholastik geltende Systematisierung in
vier Orte: der Himmel für die Vollkommenen, das aus dem patristischen Wartezustand
entwickelte Paradies für die Guten, vor dem Himmel oder noch in der
Unterwelt lokalisiert, der Läuterungsort für die nicht ganz Schlechten und die
Hölle für die Verdammten, beide in der Unterwelt bzw. unter der Erde74.
Partikulargericht und Fegefeuer
In der Scholastik erfolgte eine Klärung der theologischen Unschärfen in der Jenseitskonzeption
hinsichtlich sofortiger Scheidung in Gute und Böse und gleichzeitigem
Wartezustand bis zum Jüngsten Gericht. Der zwischenzeitliche Wartezustand
wurde nun aufgegeben und als neues Konzept das individuelle Gericht
unmittelbar nach dem Tod formuliert (Partikulargericht). Die guten und verdammten
Seelen kamen demnach sofort in den Himmel oder in die Hölle, für die
weniger Vollkommenen, aber nicht Verdammten – also die Mehrheit der Menschen
– blieb die Phase der Läuterung im schmerzhaften Purgatorium, das als
Station zum Himmel trotz aller Qualen grundsätzlich ein Ort der Rettung und
Hoffnung war. Gegenüber allzu realistischen Vorstellungen verhielten sich die
Theologen – wie schon Jahrhunderte zuvor Augustinus – äußerst reserviert bis
ablehnend75.
Eine Folge des Partikulargerichts war allerdings durch die Betonung der
individuellen Eschatologie eine gewisse Rücknahme der kosmischen Eschatologie.
Die wesentlichen Entscheidungen für den Einzelnen fielen vor dem Endgericht,
denn die gerechten bzw. geläuterten Seelen waren bereits im Himmel, die
73 Zum Fegefeuer vgl. Angenendt, Theologie und Liturgie 86 ff; auch ders., Geschichte der
Religiosität 695 ff.; zur Kirchenväterzeit mit Schwerpunkt Nordafrika bes. Merkt, Fegefeuer.
74 Als Markstein der Entwicklung gilt die von Beda Venerabilis († 735) überlieferte Vision
des Bauern Drythelm, vgl. Angenendt, Geschichte der Religiosität 699 f. – Grundlegend zu
den mittelalterlichen Visionen Peter Dinzelbacher, Vision und Visionsliteratur im Mittelalter
(Monographien zur Geschichte des Mittelalters 23) Stuttgart 1981.
75 Vgl. Angenendt, Geschichte der Religiosität 688 f., 707; ders., Theologie und Liturgie 85
f.; Wegmann, Weg zum Himmel 11. – Die Hölle war für Nichtchristen sowie alle in der
Todsünde verstorbenen Christen vorgesehen. Weitere Jenseitsräume waren der Limbus der
Väter (limbus patrum), identisch mit dem Schoß Abrahams, und der Limbus der ungetauften
Kinder (limbus puerorum); dazu ausführlich Peter Dinzelbacher, Die letzten Dinge.
Himmel, Hölle, Fegefeuer im Mittelalter. Freiburg-Basel-Wien 1999, 199 ff.
38
Verdammten in der Hölle. So wird auch die Veränderung des Bildprogramms in
der Endgerichtsdarstellung von Strenge und Gerechtigkeit zu versöhnlichem
Handeln durch Fürbitte und Erbarmen mit der neuen Theologie in Zusammenhang
gebracht76. Eine wesentliche Komponente des Endgerichts blieb aber die
entscheidende Dimension der ‚Ewigkeit’ für alle im Sinne von unendlich, endgültig
und unveränderbar, während das Purgatorium eine offene, vom Diesseits
her gestaltbare, endliche und daher in Zeitkategorien gedachte Struktur aufwies.
Erst der Jüngste Tag setzt jeder Form der Endlichkeit eine nun nicht mehr überbrückbare
und daher entscheidende Grenze, indem Zukunft ihre nun absolut
letztgültige Gestalt erhielt.
Arme Seelen, Selige Seelen, Wiedergänger
Konnte sich das Konzept des Partikulargerichts allgemein durchsetzen, scheiterte
hingegen das gleichzeitige Bemühen um eine Überwindung des Leib-
Seele-Dualismus. Im Zuge der Rezeption aristotelischen Gedankenguts vertrat
die Hochscholastik die Einheit von Leib und Seele als Konstitutivum der Person
und daher konsequenterweise den Ganztod des Menschen, der erst am Jüngsten
Tag mit einem nun unsterblichen Leib personal auferstand. Gegen die älteren,
durch die Visionen der Seelenwanderungen verbreiteten Vorstellungen von der
Seele als das eigentlich Menschliche, die durch den Tod vom ‚Gefängnis’ des
Leibes befreit wurde und als selbstständiges Wesen auch eine gewisse Aktivität
entwickeln konnte, wurde die Auffassung vertreten, dass die Seele ein unvollkommenes,
ohne Leib handlungsunfähiges und nicht als menschlich vorzustellendes
Geistwesen sei, das zu seiner Vollendung des Auferstehungsleibes
bedürfe77. Nicht aufgelöst wurde aber der Widerspruch zu ihrer – für den ganzen
Menschen stehenden – Bestrafung im Fegefeuer sowie zur gleichzeitig postulierten
Seligkeit oder Verdammnis vor der Auferstehung am Jüngsten Tag78. Art
und Weise der Seligkeit der leiblosen Seelen vor dem Endgericht führte daher zu
heftigen Lehr-Kontroversen selbst unter den Päpsten und wurde im 14. Jahrhundert
schließlich zugunsten der vollen Seligkeit der Gerechten entschieden, was
76 Zum Verhältnis von Partikulargericht und Endgericht vgl. Jezler, Jenseitsmodelle 18 f.;
Angenendt, Geschichte der Religiosität 730 mit weiterführender Literatur. – Vgl. dazu auch
Ute Monika Schwob, Sorge um den ‚guten Tod’ – Angst vor dem ‚jähen Tod’. Religiösmoralische
Mahnungen und Reaktionen von Seiten der Gläubigen, in: Markus J. Wenninger
(Hg.), ‚du guoter tôt’. Sterben im Mittelalter – Ideal und Realität (Schriftenreihe der
Akademie Friesach 3) Klagenfurt 1998, 11–30, bes. 18 ff.: Am Beispiel des Brixner Erbauungsbuchs
‚Der Seele Rat’ aus dem 13. Jahrhundert wird die Verlagerung der Elemente des
Endgerichts (Gerichtsverhandlung, Seelenwaage, Lebensbuch) auf das Partikulargericht
gezeigt.
77 Nur fähig zur passiven satispassio, nicht aber zur aktiven satisfactio, vgl. Angenendt, Theologie
und Liturgie 163.
78 Vgl. Angenendt, Geschichte der Religiosität 721 ff., bes. 724.
39
die Bedeutung des Auferstehungsleibes wesentlich zurücknahm und dualistische
Vorstellungen bestätigte79.
Die älteren Bilder blieben sehr lebendig. Das Sterben wurde weiterhin
durch Heraustreten der kleinen menschenartigen Seele dargestellt und die Seelen
im Fegefeuer in der Regel, wie auf dem St. Pöltner Andreasaltar, als Männer
und Frauen, wenn auch nackt und anonymisiert und häufig ohne Standes- oder
Berufszeichen. Wieweit hier nicht nur die Gleichheit aller, sondern auch eine
Art Entpersonalisierung ins Bild gesetzt wurde, muss offen bleiben, doch ist
zumindest interessant, dass auf dem Andreasaltar die im Endgericht Geretteten
auf dem Kopf Standeszeichen tragen80.
Der Vermittelbarkeit der neuen Anthropologie waren nicht nur im Hinblick
auf die bildliche Darstellung der leiblosen und gleichzeitig leidenden Seelen
Grenzen gesetzt, auch deren Handlungsunfähigkeit ließ sich nur begrenzt
durchsetzen. Auch wenn die Armen Seelen selbst nichts mehr zu ihrer Erlösung
beitragen konnten und zu ihrem Heil ganz auf die Lebenden verwiesen waren,
entwickelten sie nach den seit dem 13. Jahrhundert verbreiteten Erzählungen
und Exempla als ‚Wiedergänger’ beträchtliche Aktivität und Macht unter den
Lebenden. Sehr nachdrücklich forderten sie geistliche Werke zu ihrer Erlösung
ein oder erwiesen als Erlöste den Wohltätern ihren Dank durch Schutz und Hilfe,
etwa in Form von Waffenhilfe81. Die dualistische Vorstellung von den Toten
als personal gedachte Seelen entsprach der überall präsenten Gemeinschaft der
Lebenden und Toten und ihrer, der Logik von Gabe und Gegengabe folgenden
Kommunikation – mehr geistig-metaphorisch orientierte Seelenvorstellungen
hatten da wohl nur wenig Überzeugungspotenzial.
4. Zwischen Himmel und Hölle: erlösende Hilfe
Tarifierte Buße
Im Mittelpunkt der für die ‚Bebilderung’ des Jenseits so bedeutsamen Visionen
stand vor allem die Läuterung und die Hilfe der Lebenden für die Büßenden.
Bestimmend für diese Hilfe und damit für das mittelalterliche Totengedenken
wurde die auf die irische Kirche zurückgehende und über die frühmittelalterli-
79 Zur Lehr-Kontroverse Angenendt, Geschichte 689; knapp bei Wegmann, Weg zum Himmel
15 f. Zu den Auswirkungen der neuen Seelenlehre auf die neue Leiblichkeit in der
Kunst Angenendt, Theologie und Liturgie 116 ff.
80 Zu den Seelen Wegmann, Weg zum Himmel 55 ff., die die Frage der Entpersonalisierung
in ihrer sonst umfassenden Untersuchung zur Ikonographie des Fegefeuers leider nicht
thematisiert.
81 Zu den Wiedergängern Mireille Othenin-Girard, ‚Helfer’ und ‚Gespenster’. Die Toten und
der Tauschhandel mit den Lebenden, in: Bernhard Jussen u. Craig Koslofsky (Hg.), Kulturelle
Reformation. Sinnformationen im Umbruch 1400–1600. Göttingen 1999, 159–191,
zusammenfassend 177 f.; jüngst Katharina Simon-Muscheid, Lebende, Tote und Dämonen:
der Friedhof als Ort der Begegnung, in: Hubert Herkommer u. Rainer Christoph Schwinges,
Engel, Teufel und Dämonen. Basel 2006, 103–118.
40
chen Bußbücher (Poenitentialen) verbreitete Praxis der tarifierten Buße, das
heißt die Zumessung eines festen Bußtarifs für jede einzelne Sünde. Maßstab
war die Tat selbst, nicht die Intention, auch unwissentliche oder versehentliche
Sünden mussten durch Bußwerke – Fasten, Psalmengebet, Almosen und später
die Messe – gesühnt werden. Ziel war der Ausgleich des durch die Tat gestörten
Gleichgewichts zwischen Gott und den Menschen als Form der Aussöhnung mit
Gott. Die Ausgleichsforderung galt über den Tod hinaus und ermöglichte daher
die stellvertretende Ableistung der Buße durch die Lebenden. Die Übernahme
des auch in Volksrechten praktizierten Ausgleichsdenkens gilt als der tiefste
Wandel in der Geschichte der abendländischen Bußpraxis. Zahl und Zählen erhielten
eine zentrale Funktion82.
Konsequenterweise entwickelte sich bald ein differenziertes Austauschsystem
der Bußmittel, wodurch sich die zunächst vorrangig empfohlene Fastenbuße
in strengere, aber kürzere Bußformen umwandeln ließ. Die Bußbücher boten
dafür exakte Umrechnungstabellen, wie z. B. ein Tag Fasten = 50 Psalmen
mit Kniebeugen bzw. 70 Psalmen ohne Kniebeugen (Poenitentiale Reminense).
Zur ‚Zahl’ trat der dann für das Totengedenken so wichtige Faktor ‚Zeit’, denn
die für das Fasten festgelegte Bußzeit konnte durch Gebet oder Almosen getilgt
werden83. Im Fegefeuer spielte Zeit im Sinne der Verkürzung des Aufenthalts
eine überragende Rolle.
Die Gnade des Messopfers
Zu der klassischen Trias Fasten-Gebet-Almosen als verdienstliche Gaben, die
Gott den Büßenden in einem Heil bringenden sacrum commercium als Gegengabe
zur Sühne in genau berechenbarer Weise anrechnete, trat in den karolingischen
Sühne-Katalogen als Novum die Messe, die zum wirksamsten Sühnemittel
werden sollte84. Seit der Spätantike hatte sich die Messfeier von der altkirchlichen
Eucharistia als Danksagung zum Messopfer der Kirche entwickelt. Fürbitten
für Büßer waren zwar schon frühzeitig Teil der Eucharistie, die entscheidende
Veränderung bestand aber im Wandel vom orare pro in ein offere pro.
Nach der sich durchsetzenden Deutung des Messopfers brachte die Kirche Leib
und Blut Christi Gott als ein erneutes Opfer des Sohnes dar, dem sich, wie man
überzeugt war, Gott nicht verweigern könne und daher als Antwort die mit der
Messfeier verbundenen Bitten sicher erhören würde. Zum Mittler zwischen Gott
und dem Menschen wurde der Priester, der als eigentlich Feiernder für die Gemeinde
(missa publica) oder in Spezialmessen (missa specialis) für einzelne
82 Zur Tarifbuße vgl. Angenendt/Braucks u. a., Gezählte Frömmigkeit 12 ff.; Angenendt, Geschichte
der Religiosität 632 ff.; zum Ausgleichsdenken ausführlich ders., Theologie und
Liturgie 118ff., 143 ff.
83 Zum Poenitentiale Reminense vgl. Angenendt/Braucks u. a., Gezählte Frömmigkeit 19; zu
den Almosen ebd. 23 ff.
84 Zum sacrum commercium vgl. Arnold Angenendt, Missa specialis, in: Frühmittelalterliche
Studien 17 (1983) 153–221, 142.
41
Personen und besondere Anliegen – von der Bitte um gutes Wetter, Fruchtbarkeit
der Frauen bis zum Frieden oder zur Bekehrung Ungläubiger – das Messopfer
vollzog. Die Gnade des Messopfers wurde gezielt zuwendbar, die von den
Gläubigen dargebrachten Gaben zu einer von Gott zu entlohnenden Opferdarbringung
und in weiterer Folge zu einem vor allem in Geld geleisteten Preis
für den Erwerb der geistlichen Gnaden, der so genannten Messfrüchte85.
Die Messe wirkte ebenso impetratorisch, fürbittend, wie propitiatorisch,
sühnend. Als Sühneopfer zur Abbüßung der Sünden wurde sie Teil der Bußpraxis
und gegen bestimmte Zeiten des Bußfastens verrechenbar. Der Glaube an
ihren unbedingt eintretenden Erfolg verlieh ihr gegenüber den anderen Bußformen
überragende Wertschätzung. Messfeiern brachten eine enorme Verkürzung
der Bußzeit – beispielsweise eine Messe für sieben Tage, zehn für vier Monate,
dreißig für ein Jahr – für die Lebenden und als Totenmessen für die Verstorbenen,
was seit der karolingischen Zeit zu einer Entfaltung der Begräbnisliturgie
und des Totengedenkens führte. Wegweisend für die Praxis der Totenmessen
war wiederum Gregor der Große, der als wirksamste Hilfe für die Verstorbenen
Messfeiern an acht bzw. dreißig aufeinander folgenden Tagen empfahl. Diese
dem antik-römischen Totenbrauchtum entnommenen Zahlenangaben führten zur
Entstehung der im Mittelalter so bedeutsamen additiven Messreihen an sieben,
acht und dreißig Tagen (gregorianischer Dreißiger) sowie zur Bildung der festen
Folge von Messfeiern am 3., 7. und 30. Tag. Die Visionen der Folgezeit mit ‚Erfolgsmeldungen’
über die durch Messfeiern erlösten Seelen bestätigten seine
mehr nebenbei gegebene Empfehlung86.
Die Messe wurde zum Gnadenmittel schlechthin und zu der am meisten
geschätzten Frömmigkeitshandlung. Das Totengedenken mit Messen, Gebet und
Almosen zur Erlösung der Verstorbenen war eine der wichtigsten Aufgaben der
Klöster, allen voran Cluny, das als das gebetsmächtigste Kloster galt und die
höchstentwickelte Totenliturgie hervorbrachte.87 Die spätmittelalterliche Messpraxis
mit speziellen Messpriestern, Privatmessen, Zelebration in Abwesenheit
der Gläubigen, Ewigmessen usw. war folglich, so die Verfechter der Kontinuitätsthese,
eine über Jahrhunderte entfaltete, immer breiteren Schichten zugängliche
Praxis der Gnadenvermittlung, deren Anfänge im Frühmittelalter lagen.
85 Zur Messopferdeutung vgl. Angenendt, Missa specialis 158 ff., 218 ff.; ders./Braucks u. a.,
Gezählte Frömmigkeit 4 ff., 30 f. – Wegen Simonieverdacht wurde seit dem 12. Jahrhundert
das Messstipendium als Beitrag zum Lebensunterhalt des Priesters umgedeutet, vgl.
Angenendt, Theologie und Liturgie 148, und Erwin Iserloh, Der Wert der Messe in der
Diskussion der Theologien vom Mittelalter bis zum 19. Jahrhundert, in: Zeitschrift für Katholische
Theologie 83 (1961) 44–78, 67.
86 Zur Messe als Sühnopfer vgl. Angenendt, Missa specialis 172 ff., 200 ff.; ders./Braucks u.
a., Gezählte Frömmigkeit 30 ff.; zur Verrechenbarkeit und den additiven Messreihen auch
ders., Theologie und Liturgie 147, 159, zu den visionären ‚Erfolgsmeldungen’ ebd. 185 f.
87 Vgl. Angenendt, Geschichte der Religiosität 679, 712 f. Zu Cluny bes. Joachim Wollasch,
Cluny – Licht der Welt. Aufstieg und Niedergang der klösterlichen Gemeinschaft. Zürich-
Düsseldorf 1996.
42
Differenzierungen
Auch im Bußwesen brachte die Scholastik grundsätzliche theologische Klärungen,
die als Revolutionierung der bis dahin üblichen Bußpraxis gelten. Verworfen
wurde die wichtigste Voraussetzung des Ausgleichsdenkens, die Tathaftung.
Nicht mehr der Verstoß an sich, sondern die Intention bzw. Gesinnung wurde
zum Maßstab der Sünde und stellte die Reue und innere Erneuerung in den Mittelpunkt
der Versöhnung mit Gott. Verzeihung war nicht mehr durch Ableistung
der nach der älteren Auffassung dem Ausgleich dienenden Bußwerke zu erlangen,
sondern in einer personal verstandenen Gott-Mensch-Beziehung durch
Reue und Umkehr. Vergebung der Schuld geschah im Bußsakrament, die Bußwerke
konnten konsequenterweise nur der Gesinnungserneuerung – zur Ausheilung
der Sündenfolgen oder zur religiös-ethischen Besserung – dienen und
mussten der jeweiligen Verfasstheit des Büßenden entsprechen.
Der Ausgleich, den jede Sünde forderte, blieb aber zumindest partiell weiter
bestehen, nun aber begründet mit der Unterscheidung von Sünde und zeitlicher
Sündenstrafe. Durch die Reue wurde die ewige Strafe (Verdammnis) vergeben,
während die zeitlichen Sündenstrafen als Akt der Gerechtigkeit der Wiedergutmachung
zugefügten Unrechts dienten und zu Lebzeiten oder im Purgatorium
abzubüßen waren. Diese Differenzierung verband barmherzige Vergebung
und gerechte Strafe, denn für die durch Schuld oder Schuldverstrickung verursachten,
auch nach der Vergebung bestehen bleibenden Schäden und Verletzungen
anderer – gleichsam die soziale Dimension von Schuld – musste weiterhin
gesühnt werden.88
Lag die Vorstellung der Genugtuungsleistung noch ganz auf der Linie des
Ausgleichsdenkens, war die von der Scholastik eingebrachte Anrechnung der
Verdienste Christi zur Strafminderung ein Aspekt, der das exakte Abwägen aller
Vergehen im System der Tarifbuße fraglich machte und in weiterer Folge sehr
gegensätzliche Entwicklungen auslöste. Während in der Folge die Mystiker wie
Heinrich Seuse als Buße allein auf das verdienstvolle Werk Christi setzten und
Genugtuungswerke ablehnten, erhielt gleichzeitig die nun um den Gnadenschatz
der Kirche – die Verdienste Christi, der Heiligen und Märtyrer – erweiterte
Heilsarithmetik durch das Ablasswesen ganz neue Dimensionen.89
5. Erfolg und Kritik
Verständliche Antworten
Das im Mittelalter ausgebildete Jenseitskonzept war überaus erfolgreich und
sollte in den katholischen Ländern bis in das 20. Jahrhundert Gültigkeit haben.
88 Vgl. Angenendt, Geschichte der Religiosität 644 ff.; Wehrli-Jones, Fegefeuer als Sozialidee
50.
89 Vgl. Angenendt, ebd. 652 ff.
43
Der ‚Erfolg’ lag in seinem unbestreitbaren Antwortcharakter auf grundsätzliche
Fragen des Lebens, nicht nur nach der unbekannten Zukunft nach dem Tod, die
in vertrauten Raum–Zeit-Kategorien vorstellbar wurde, sondern vor allem nach
Barmherzigkeit und gleichzeitiger Gerechtigkeit – in einer Gesellschaft mit
durch die Geburt ungleich verteilten Lebenschancen eine der brennendsten Fragen.
Das Fegefeuer brach die Unerbittlichkeit des Dualismus Himmel–Hölle auf
und eröffnete eine dritte Möglichkeit für all jene, die weder ganz vollkommen
noch ganz schlecht waren, also für die Mehrheit der Menschen. Gottes Gerechtigkeit
verband sich mit seiner Barmherzigkeit, denn keine Sünde blieb ungestraft
und doch gab es Aussicht auf Vergebung. Der Himmel stand auch den
Unvollkommenen offen und der Weg dahin war durch die Hilfe der Lebenden
bewältigbar. Die Ewigkeit erhielt eine geordnete Struktur und wurde berechenbar
– man konnte mit ihr im doppelten Sinn des Wortes ‚rechnen’, sowohl in
Tagen, Wochen, Jahren und Jahrhunderten, als auch im Sinne von verlässlichem
Wissen90.
Die wohl größte Stärke der Himmel–Hölle–Fegefeuerlehre war ihre
Kommunizierbarkeit. Sie verfügte über eine ‚Sprache’ – nämlich nachvollziehbare
Lösungen, Begriffe und vor allem Bilder – und ließ sich in Kunst und Katechese
einfach vorstellbar und daher verständlich vermitteln, wenn auch auf Kosten
theologischer Differenzierungen91.
Berechenbares Tun
Der Glaube an das Fegefeuer und die Suffragien, das heißt die guten, weil sühnenden
Werke Messe, Gebet und Almosen, waren ein überaus plausibles und
mit größten Opfern praktiziertes Religionselement. Das Zählen in der Frömmigkeit,
vor allem der Gebete und Messen, erfuhr im Spätmittelalter geradezu eine
Perfektionierung und erhielt durch immer größere Trägergruppen eine ungeheure
Breitenwirkung. Gezählt wurde von allen, Geistlichen und Laien, Gebildeten
und Ungebildeten, nicht zuletzt unterstützt durch die zunehmende Schriftlichkeit,
die eine genaue Buchführung ermöglichte. Gebetsbücher boten Listen
mit Zahlen des Heils; Bruderschaften bildeten sich zum exakt aufgelisteten
Sammeln der Gnadenschätze, der ‚geistlichen Zinsen und Renten’ zur Bezahlung
des Lohns im Jenseits, wie es in der Straßburger Ursulabruderschaft hieß.
Die in die Tausende gehenden Messstiftungen ließen eine breite Schicht schlecht
bezahlter Messpriester zum professionellen Heilserwerb entstehen; die sich seit
dem 14. Jahrhundert überall in großer Zahl entwickelnden Bruderschaften sicherten
ihren Mitgliedern ein bis dahin nur den Oberschichten vorbehaltenes
feierliches Totengedenken. Der Ablass, ein aus dem angesammelten Gnadenschatz
der Kirche gewährter Nachlass der Sündenstrafen, bot bislang ungeahnte
90 Ebd. 711.
91 Zum Fegefeuer in der Predigt- und Erbauungsliteratur Wegmann, Weg zum Himmel 21 ff.,
zur Ikonographie ebd. 33 ff.
44
Möglichkeiten, die Zeit im Fegefeuer zu reduzieren und trieb die Verbindung
von Zählen, Geldzahlung und verbriefter Jenseitsgarantie als leicht verkaufbare
Antwort auf Heilssehnsucht und Todesangst schließlich auf die Spitze92.
Der Erfolg der Jenseitskonzeption wie auch die darauf hingeordnete
Frömmigkeitspraxis darf allerdings nicht über die Kritik hinwegtäuschen, die
nicht erst von den Reformatoren, sondern schon seit dem Frühmittelalter geäußert
wurde, zunächst an der Messopferdeutung und dann an der rechenhaften
Frömmigkeit überhaupt.
Wert der Messe?
Schon frühzeitig erhoben sich kritische Stimmen, darunter der Reichenauer Abt
Walahfrid Strabo († 849) oder Petrus Damiani († 1072), gegen das Messopfer
für Einzelne und dessen ‚portioniert’ gedachte Wirkung als Widerspruch zum
einmaligen Opfer Christi für alle und der unbegrenzten Kraft der Eucharistie.
Problematisiert wurde auch die Feier der Messe gegen Geldzahlung, von einigen
Orden wie den Zisterziensern zunächst auch abgelehnt, sowie das soziale ‚Gefälle’
der Suffragien, die den Reichen eine schnellere Läuterung sichern würden
als den Ärmeren. Die das ganze Mittelalter durchziehende Diskussion um den
Wert der Messe führte aber letztlich zu keiner theologischen Aufarbeitung, sondern
blieb unter Hinweis auf die Praxis der Kirche in Ansätzen stecken oder –
wie etwa die Betonung der alleinigen Mittlerschaft Christi schon in der Scholastik
– ohne nachhaltige Wirkung93.
Die Messe blieb eine eigenständige, vom Kreuzesopfer losgelöste sakramentale
Handlung, deren Wert begrenzt und daher zur Steigerung der Wirkung
kumuliert werden musste. Zwei Messen halfen mehr als eine, diese an einem
Tag gelesen schneller als an zwei Tagen, für eine Einzelperson intensiver als für
viele Beteiligte. Dieses verrechenbare Denken über die Messfrüchte war keineswegs
so genannte ‚Volksfrömmigkeit’, um hier diesen problematischen Begriff
zu strapazieren, sondern wurde von namhaften Theologen wie Bonaventura oder
Duns Scotus vertreten94. Die spätmittelalterliche Messpraxis wurde schließlich
zum Angriffspunkt der Reformatoren, denen die Kontroverstheologen nur wenig
entgegenzusetzen hatten. Die damals von Thomas Cajetan († 1534) formulierten
92 Zur Heilsarithmetik vgl. Angenendt/Braucks u. a., Gezählte Frömmigkeit 40 ff., mit vielen
Beispielen, zur Straßburger Ursulabruderschaft ebd. 51. Zur Bedeutung der Bruderschaften
für die Breitenwirkung des Totengedenkens Wollasch, Hoffnungen 45 ff.; Schreiner,
Frommsein 77 f.
93 Vgl. Angenendt, Theologie und Liturgie 146; ders./Braucks u. a., Gezählte Frömmigkeit 39
f.; Iserloh, Wert der Messe 46 ff. Ein Überblick der theologischen Diskussion bei Angenendt,
Missa specialis 212 ff.
94 Nur Glaube des Volkes z. B. bei Johannes H. Emminghaus, Die Messe. Wesen – Gestalt –
Vollzug (Schriften des Pius-Parsch-Instituts Klosterneuburg 1) Klosterneuburg 1976, 130,
dagegen Iserloh, Wert der Messe 54 ff.; zur so genannten „Volksfrömmigkeit“ s. unten Teil
3, Kap. I./4.
45
wegweisenden Ansätze der Messtheologie – Vergegenwärtigung des Opfers
Christi und nicht Wiederholung, Konsekration in persona Christi und nicht in
eigenem Namen, Bindung der Opferwirkung an die Opfergesinnung usw. – blieben
in der vortridentinischen Kontroverse ungehört95.
Devotio und Cognitio
Grundsätzliche Kritik an den Bußwerken und an der Rechenhaftigkeit der
Frömmigkeit kam seit dem 14. Jahrhundert von den Mystikern. Heinrich Seuse
(† 1366) erachtete eigene Genugtuungswerke für nichtig, denn Buße vollzog
sich ihm zufolge allein durch die vergegenwärtigende Anteilnahme am sühnenden
Leiden Christi (compassio), durch dessen Verdienst ohn alles Fegfeuer die
ewige Freude zu erfahren sei. Scharf prangerte Meister Eckhart die Logik der
zählenden Frömmigkeit als Kaufmannsmentalität an und stellte jeder quantifizierenden
Arithmetik allein die Gesinnung, die recta intentio, als Maßstab der
Gutseins und des Verdienstes gegenüber. Ein Gebet, in Liebe und Andacht gesprochen,
nütze mehr als 1000 ohne rechte Gesinnung, weder sei Gott gut oder
besser durch Zeit, Zahl, Masse oder Größe – deus non est bonus nec melior tempore,
numero nec mole aut magnitudine –, noch werde das göttliche Wirken im
Menschen dadurch vermehrt; äußere Werke könnten schließlich Christen wie
Nicht-Christen gleichermaßen tun96.
Der Frömmigkeitsdiskurs war eröffnet und sollte im Spätmittelalter auf
vielen Ebenen geführt werden. Im Mittelpunkt stand die Frage nach dem Verhältnis
von innerer Haltung und äußerem Tun, Gesinnung und Werk, Intention
und Verdienst. Der im Kontext vielschichtiger gesellschaftlicher Prozesse –
Städte, Bildung, Schriftlichkeit, Rationalisierung, Individualisierung – stehende
Frömmigkeitsaufbruch rückte religiöses Wissen, verstehenden Nachvollzug und
innere Anteilnahme in das Zentrum der Gott–Mensch-Beziehung. Andacht, devotio,
wurde eng mit Verstehen, cognitio, verbunden – so eng, dass das Nicht-
Verstehen sogar zur Sünde werden konnte, wie ein Frankfurter Kaplan 1478 in
seinem Beichtbüchlein als Sünde vermerkte: Ich versten das Pater noster nit97.
Andacht und Zählen
Innerlichkeit prägte die spätmittelalterliche Frömmigkeit gleichermaßen wie Rechenhaftigkeit,
sowohl in antithetischer Gegenüberstellung als auch in synthetischen
Formen, was die Frömmigkeitspraxis äußerst vielgestaltig machte. Am
95 Vgl. Iserloh, Wert der Messe 71 ff.
96 Zu Heinrich Seuse vgl. Angenendt, Geschichte der Religiosität 648 f., zur Kritik Meister
Eckharts ders./Braucks, Gezählte Frömmigkeit 57 f., das Meister Eckhart-Zitat ebd. 58,
Anm. 344; weiters Thomas Lentes, ‚Andacht’ und ‚Gebärde’. Das religiöse Ausdrucksverhalten,
in: Bernhard Jussen u. Craig Koslofsky (Hg.), Kulturelle Reformation. Sinnformationen
im Umbruch 1400–1600. Göttingen 1999, 29–67, 41.
97 Zit. nach Lentes, Andacht und Gebärde 36, Anm. 27.
46
populärsten wurde die Kritik an Leistung und Verrechenbarkeit in Form von besonders
im 15. Jahrhundert sehr verbreiteten Spruchreihen, die äußerst pointiert
den traditionellen verdienstlichen Werken der Heilsvorsorge – Seelgerät, Wallfahrt,
Stipendien, Askese – Tugendwerke und christliche Lebensführung im
Diesseits entgegensetzten und an deren Kritik Luther später direkt anknüpfte98.
Gleichzeitig wurde der Gebrauch des Zählens gezielt zur Ausgestaltung des inneren
Menschen eingesetzt: als Mnemotechnik in der Katechese, als methodische
Meditation zur Tugendschulung oder als Weg zum Mitleiden der Passion
(compassio), indem zur Steigerung der affektiven Betrachtung das Heilsgeschehen
in zahlenmäßig kleine Einheiten zerlegt wurde und auf diese Weise jederzeit
vergegenwärtigbar war. Bedeutungstragende Zahlen, insbesondere die Siebenzahl
in Form miteinander verbundener Septenaren (Tugenden und Laster, Wochentage
usw.), wurden zur Strukturierung des täglichen Gebetslebens mit dem
Ziel der Selbstdisziplinierung und Tugendeinübung eingesetzt. Wichtigstes Beispiel
gleichzeitiger Quantifizierung und Qualifizierung ist der Rosenkranz, der
sowohl als Instrument des Zählens der Gebetsmenge als auch – durch das wiederholende
Reihengebet – der Versenkung in die Heilsgeheimnisse dient99
Die Forderung der Andacht und des die Andacht steigernden Verstehens
galt auch für die Messe. Volkssprachliche Gebetbücher zu den Teilen der lateinischen
Messliturgie sollten den inneren Nachvollzug und die subjektive Aneignung
des rituellen Geschehens ermöglichen und verstärkten im Interesse des
Mitvollzugs zugleich die individuelle Frömmigkeit ‚anlässlich der Messe’. Die
auf emotionale Vergegenwärtigung des Heilsgeschehens ausgerichtete subjektiv-
historisierende Spiritualisierung verband sich mit einer materiell-realistischen
Auffassung der Wandlung zur andächtigen Schau des in der Hostie real
gegenwärtigen, leibhaften Christus und fand ihre Übersteigerung in den Wundern
von blutenden Hostien und in Judenpogromen wegen angeblichen Hostienfrevels,
der die Hostie bluten ließ wie in Korneuburg 1305 oder in Pulkau
1338100. Die Andacht wurde auch in der theologischen Diskussion über den
Wert der Messe zu einem gegen alle Mathematik gerichteten neuen ‚Maß’ der
Messfrüchte, deren Wirkung an die jeweilige devotio der Mitfeiernden und nicht
an die Zahl der Messen oder der Beteiligten gebunden wurde101. Für die Laienre-
98 Zu den Spruchreihen vgl. Angenendt/Braucks u. a., Gezählte Frömmigkeit 59 ff., aus den
Alberti-Sprüchen beispielsweise (ebd. 61): Gib einen pfennig hie in dirre zeit, die weile du
sin geniessen maht, das ist mir [Gott] lieber, den ob du ein großen huffen goldes nach dinem
tode gebest.
99 Vgl. Angenendt/Braucks u. a., Gezählte Frömmigkeit 62 ff.; zum Rosenkranz als Reihengebet
bes. Gislinde Ritz, Der Rosenkranz, in: Ausstellungskatalog 500 Jahre Rosenkranz
1475 Köln 1975. Kunst und Frömmigkeit im Spätmittelalter und ihr Weiterleben. Köln
1975, 51–101, bes. 62 ff.
100 Vgl. Lentes, Andacht und Gebärde 37 f.; Angenendt, Geschichte der Religiosität 501 ff. –
Zum angeblichen Hostienfrevel s. Anm. 50.
101 Vgl. Iserloh, Wert der Messe 64 ff. (Gabriel Biel), 72 ff. (Thomas Cajetan). Schon Thomas
von Aquin brachte die Opfergesinnung in die Diskussion ein und zwar als Erklärung für die
begrenzte Wirkung der Messe, ebd. 52.
47
ligiosität hatten vor allem folgende drei Elemente der spätmittelalterlichen
Frömmigkeitsbewegung größte Bedeutung:
• die Verbreitung volkssprachlicher Gebetstexte für Laien als neue Rezipienten
geistlicher Literatur, wenn auch begleitet von mitunter heftiger
Ablehnung seitens der Geistlichen102;
• die von den Niederlanden ausgehende Erneuerungsbewegung der Devotio
moderna mit ihrer betont affektiv-emotionalen Innigkeit sowie
einem auf Schriftlichkeit – Buch und Schreibtätigkeit – aufgebautem
religiösen Leben;
• die vornehmlich auf Johannes Gerson († 1429) zurückgehende Reformtheologie,
die Seelsorge und Verkündigung städtischer Laienkreise
im Blick hatte und wegen ihrer praktisch-ethischen Ausrichtung
auch als ‚Frömmigkeitstheologie’ bezeichnet wird103.
Ars moriendi
Für den Umgang mit dem Tod wurde in den reformtheologischen Kreisen eine
Sterbepastoral entwickelt, die nach Gersons Traktat De arte moriendi benannte
Ars moriendi. Diese „Kunst des Sterbens“ zielte durch Begleitung der Sterbenden
auf die bewusste Annahme des Todes in Zuversicht und ohne Angst, indem
sie den Blick auf Gottes Heilswillen und auf Jesu sühnendes Handeln lenkte104.
Ursprünglich als Handreichung für Geistliche gedacht, erweiterte sich im 15.
Jahrhundert der Adressatenkreis der Sterbebücher.
Die erste deutsche Ars moriendi des Wiener Theologen und Burgpfarrers
Thomas Peuntner aus dem Jahr 1434 sollte alle Menschen erreichen und zur
Sterbehilfe für sich und den Nächsten befähigen105. Auch in der „Kunst des heil-
102 Dazu bes. Honemann, Laie als Leser 250 f.
103 Zur Reformtheologie Hamm, Frömmigkeit 479 ff., der dafür den Begriff „Frömmigkeitstheologie“
prägte; kritisch gegenüber dieser Begrifflichkeit Schreiner, Frömmigkeit 194.
104 Grundlegend Rainer Rudolf, Ars moriendi. Von der Kunst des heilsamen Lebens und Sterbens.
Köln-Graz 1957; weiters Peter Neher, Ars moriendi – Sterbebeistand durch Laien.
Eine historisch-pastoraltheologische Analyse (Dissertationen Theologische Reihe 34) St.
Ottilien 1989; Arthur E. Imhof, Ars moriendi. Die Kunst des Sterbens einst und heute (Kulturstudien,
Bibliothek der Kulturgeschichte 22) Wien-Köln 1991; eine Bibliographie bei
Nigel F. Palmer, Ars moriendi und Totentanz: Zur Verbildlichung des Todes im Spätmittelalter.
Mit einer Bibliographie zur ‚Ars moriendi’, in: Arno Borst, Gerhart v. Graevenitz u.
a. (Hg.), Tod im Mittelalter (Konstanzer Bibliothek 20). Konstanz 21995, 313–334, bes.
330 ff., und Joachim M. Plotzek, Katharina Winnekes u. a., ars vivendi – ars moriendi. Die
Kunst zu leben – Die Kunst zu sterben. Die Handschriftensammlung Renate König. Ausstellung
2001/02, Erzbischöfliches Diözesanmuseum Köln. Köln 2001, 546 ff.
105 Rainer Rudolf (Hg.), Thomas Peuntners ‚Kunst des heilsamen Sterbens’, nach den Handschriften
der Österreichischen Nationalbibliothek (Texte des späten Mittelalters 2) München
1956, 17. Zu Peuntners Werk s. den Kommentar zur Edition ebd. 73 ff.; weiters Rudolf,
Ars moriendi 85 ff; Christa Kessel, Sterben im Spätmittelalter: Herausforderung der
Kirche und Bewältigungshilfen in der Ars Moriendi-Literatur am Beispiel Wiens. Diplarb.
48
samen Sterbens“, wie Peuntner in seinem Buch die Ars moriendi übersetzt, geht
es – wie in jeder Seelgerätstiftung – um das Seelenheil, entscheidend ist aber die
persönliche Disposition des Sterbenden, seine Reue und sein Glaube an einen
gerechten und liebenden Gott und damit verbunden die geduldige und willige
Annahme des Todes. Gebetshilfe durch andere spielt hingegen eine untergeordnete
Rolle. Ermahnungen und Fragen zur Gewissenserforschung sollen die Heilsamkeit
der Sakramente und das Heilswerk Gottes verständlich machen und gegen
alle Anfechtungen in der Todesstunde zu Geduld, Vertrauen, vor allem aber
zur Liebhabung Gottes – so auch der Titel des zweiten Hauptwerks Peuntners –
führen. Die willige Annahme des Todes ist ihm zufolge so verdienstvoll, dass
sie durch Mehrung des Lohns die Sühne im Fegefeuer fast gänzlich aufheben
würde; Sterbehilfe sei daher das größte Werk der Barmherzigkeit106.
Im Mittelpunkt der Ars moriendi steht die persönliche Beziehung des
Sterbenden zu Gott, die als ein Prozess des Verlassens, Loslassens und Überlassens
begleitet wird. Daher wird auch die Testamentserrichtung in gesundem Zustand
und das Fernhalten der engsten Familie und der Besitztümer empfohlen,
da die Liebe zu ihnen eine gute schikchung des Sterbenden verhindern würde107.
Weite Verbreitung fand die Sterbekunst vor allem als so genannte ‚Bilder-Ars’,
eine vereinfachte Weiterentwicklung in einprägsamen, leicht verständlichen und
daher auch Ungebildeten zugänglichen Bilddarstellungen der dämonischen Anfechtungen
– Unglaube, Verzweiflung angesichts der Sünden, Ungeduld, Hochmut
aufgrund der frommen Verdienste und Geiz – sowie der hilfreichen Eingebungen
der Engel am Sterbebett. Die Anfechtung der avaritia wird verbildlicht
durch Haus, Weinkeller und Stall, hinter dem Bett stehende Verwandte und die
teuflischen Spruchbänder Provideas amicis und Intende Thesauro108. Es ist das
Szenario der Testamentserrichtung, das die Zukunft der Hinterbliebenen sicherte,
jener Menschen, denen in der Regel auch das Heil der Seele anempfohlen
wurde.
Die Ars moriendi empfahl hingegen als ‚heilsameren’ Weg die bewusste,
Leben und Glauben reflektierende Auseinandersetzung mit dem Sterben in Begleitung
von Sterbehelfern, also einen therapeutischen Ansatz für den Umgang
mit dem Tod. Dieser Weg beinhaltete aber gleichzeitig den Verzicht auf die Sicherheit
und Trost spendenden, vertrauten Bindungen und damit letztlich auf die
Solidargemeinschaft der Lebenden und Toten zugunsten der persönlichen Alleinverwiesenheit
auf Gott – nach Peuntner ein liebender Gott, was in der Umsetzung
der ‚Bilder-Ars’ allerdings verloren ging.
theol., Wien 1997. Zur Person Peuntners s. Bernhard Schnell, Art. Peuntner Thomas, in:
Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon 7 (1989) Sp. 537–544.
106 Rudolf, Peuntners Kunst des heilsamen Sterbens 18, 24.
107 Ebd. 49.
108 Zur ‚Bilder-Ars’ Rudolf, Ars moriendi 69 ff., zum Bild de avaritia ebd. 73; weiters Plotzek/
Winnekes u. a., ars vivendi – ars moriendi 555 (Abb.), 568; Palmer, Ars moriendi und
Totentanz 321.
49
Viele Wege zum Heil
Die Ars moriendi ist ein weiteres Beispiel für die schon erwähnte Vielgestaltigkeit
spätmittelalterlicher Frömmigkeit, die auch im Umgang mit dem Tod zur
selben Zeit und im selben Raum sehr differierende Vorsorgehaltungen entfalten
konnte. Im Jahr 1434, als Thomas Peutner seine „Kunst des heilsamen Sterbens“
verfasste, begann im nur wenige Kilometer entfernten Korneuburg die Zahl der
Testamente und Seelgerätstiftungen deutlich zu steigen und machte zehn Jahre
später die Anlage eines zweiten Testamentsbuchs notwendig. Das Zielpublikum
seines, was Bildung und Wissen betrifft, doch anspruchsvollen Sterbebüchleins
ist neben dem Klerus vermutlich am Wiener Hof und in gebildeten Laienkreisen
zu suchen, also in jener vermögenden städtischen Schicht, die als Stifter von Altären,
Jahrtagen, Ewigmessen und einer hohen Zahl von Seelenmessen besonders
hervortraten. Wieweit Peuntners Werk in der Sterbepastoral zum Einsatz
kam, ist allerdings nicht bekannt; ein Schwerpunkt der Rezeption wird auch wegen
seines Nahverhältnisses zur Melker Reform vor allem in monastischen Kreisen
vermutet109. In dem gut aufgearbeiteten Korneuburger Bücherbesitz des 15.
Jahrhunderts findet sich kein Hinweis auf ein Sterbebüchlein110.
Im Nebeneinander und Gegenüber von Seelgerät und Ars moriendi fand
der spätmittelalterliche Frömmigkeitsdiskurs im Hinblick auf die konkrete Vorbereitung
auf den bald zu erwartenden Tod seinen Ausdruck. Testamente mit
ihrer Vielzahl quantitativer Handlungen bzw. Handlungsanweisungen sind daher
von der – ganz gegen die Empfehlungen der Sterbebücher – meist knapp vor
dem Tod erfolgten Errichtung bis zu ihrer Ausrichtung als Teil dieses Diskurses
zu begreifen, da mit letztwilligen Verfügungen die Heilsvorsorge in Form von
Seelgerät als sinnvolle soziale Praktik zur Erreichung des Seelenheils sprachlich
formuliert, strukturiert und bestätigt wird111.
In der Spannung von Tradition und Erneuerung, Kontinuität und Wandel
entwickelte das späte Mittelalter eine vielfältige, durchaus widersprüchliche
Frömmigkeitspraxis als Weg zum Heil, der von den Elementen „Zählen“ und
„Andacht“ gleichzeitig in unterschiedlicher Intensität geprägt war. So ist auf
dem St. Pöltner Andreasaltar devotio und messbare Hilfe durch die erlösenden
Strahlen und die andächtig betenden Mitfeiernden als ein zusammengehöriges
109 Zu Adressatenkreis und Verbreitung Kessel, Sterben 63 ff. – Selbst am Wiener Hof scheint
die Sterbepastoral Peuntners nicht umgesetzt worden zu sein, wie aus dem Augenzeugenbericht
des Türhüters Hans Hierszmann über Sterben und Tod Erzherzog Albrechts VI. im
Jahr 1463 hervorgeht, vgl. Gerolt Hayer, Krankheit, Sterben und Tod eines Fürsten. Ein
Augenzeugenbericht über die letzten Lebenstage Herzog Albrechts VI. von Österreich, in:
Markus J. Wenninger (Hg.), ‚du guoter tôt’. Sterben im Mittelalter – Ideal und Realität
(Schriftenreihe der Akademie Friesach 3) Klagenfurt 1998, 31–48.
110 Zum Korneuburger Bücherbesitz s. die Anm. 299, 303.
111 Vgl. Bernhard Jussen u. Craig Koslofsky, ‚Kulturelle Reformation’ und der Blick auf die
Sinnformationen: Einleitung, in: dies. (Hg.), Kulturelle Reformation. Sinnformationen im
Umbruch 1400–1600. Göttingen 1999, 13–27, 15.
50
Geschehen dargestellt, zu einander ausschließenden Haltungen sollten sie erst
im konfessionellen Streit werden. Folgende aus dem 15. Jahrhundert im Kloster
Admont überlieferte Oration für Verstorbene zeigt, dass bei aller Rechenhaftigkeit
das Totengedenken zuallererst gemeinschaftliches Handeln füreinander war,
das offenbar durch Jahrhunderte Lebenden wie Sterbenden Trost und Hoffnung
zu geben vermochte:
„Erbarme dich, wir bitten Dich, o Herr, der Seelen, die keine eigenen
Fürsprecher bei Dir haben, und denen in ihren Qualen kein Trost zuteil wird
und keine Hoffnung außer jener, nach Deinem Bild geschaffen zu sein; der Seelen,
die wegen Alters, Armut und Nachlässigkeit hier auf Erden in Vergessenheit
geraten sind, für die nirgends ein Dreißig- oder Sieben-Tage-Gedenken oder ein
Gedenktag gefeiert wird. Schone sie, o Herr, und verteidige Dein Geschöpf und
erlöse sie von Marter und führe sie zum Ort der Erfrischung und Ruhe durch
dich, Jesus Christus …“112
112 Zit. nach der Übersetzung von Wollasch, Hoffnungen 50, der lateinische Text ebd., Anm.
155.
51
Teil 2: Quellen und Recht
I. Geschäfte und Geschäftsbücher
Die Korneuburger Testamente bzw. „Geschäfte“ sind im Stadtarchiv Korneuburg
in drei Papierhandschriften mit der Aufschrift Geschäfftpuech bzw. Geschefftpuech
überliefert113. Diese von 1401 bis 1526 fortlaufend geführten Bücher
enthalten fast ausschließlich letztwillige Verfügungen, für das 15. Jahrhundert
über 500 mit Schwerpunkt in der zweiten Jahrhunderthälfte.
1. Stadtbücher
Diese Geschäftsbücher gehörten zu den in den Städten im Laufe des Spätmittelalters
für die schriftliche Verwaltung angelegten und von den Stadtschreibern
geführten Stadtbüchern, wobei den österreichischen Städten im Vergleich zu
anderen Ländern auf dem Gebiet des Schriftwesens nicht unbedingt eine Vorreiterrolle
zukam114. Wesentlicher Grund für schriftliches Verwaltungshandeln war
die Sicherung und Beaufsichtigung der privaten Rechtsgeschäfte, insbesondere
des Liegenschaftsverkehrs, durch die städtische Obrigkeit. Neben Bezeugung,
Besiegelung und Beurkundung von Geschäftsabschlüssen durch den Rat setzte
sich zunehmend die Anlage von Stadtbüchern durch, in die privatrechtliche Geschäfte
rechtskräftig eingetragen werden konnten. Der Rat fungierte als rechtssichernde
und beglaubigende Instanz, die gegenüber den verlustgefährdeten Einzelurkunden
eine Generationen überdauernde Erinnerung – ‚ewiges Gedächtnis’
– garantierte. Die mit der Eintragung in das Stadtbuch gegebene, unwiderlegbar
beglaubigte Aufzeichnung wurde das wirkungsvollste Mittel in Beweisschwierigkeiten
und lag somit auch im Interesse der an den Rechtsgeschäften Beteiligten.
Durch die Deponierung an öffentlicher Stelle waren mündliche und schriftliche
Rechtsgeschäfte ständig verfügbar und überprüfbar, sodass Kopien der
Stadtbucheinträge im Laufe der Zeit als Beweis eines Rechtsanspruchs den Zeugenbeweis
oder die Originalurkunde ersetzten115.
Form und Inhalt der Stadtbücher sind vielfältig. Sie konnten, wie in Wien,
Wiener Neustadt oder Mautern, ‚gemischt’ geführt werden, das heißt, es wurde
ungeordnet alles eingetragen, was von ‚öffentlicher’ Bedeutung war bzw. als
solches erachtet wurde – beispielsweise Privilegien, Ratsweisungen, Satzungen,
113 Zu den Handschriften s. die Anm. 135–139.
114 Grundlegend zur Schriftlichkeit in spätmittelalterlichen Kleinstädten Weigl, Schriftlichkeit,
der ebd. 256, Anm. 15, für Österreich feststellt, dass ein Vergleich mit anderen Städten
„oft nur mit Humor zu bewältigen“ sei.
115 Vgl. Weigl, ebd. 259 f.; Baur, Testament und Bürgerschaft 47 f.
52
Ratslisten, Urteile, Eide, Testamente, Handwerksordnungen, Verwandtschaftsweisungen,
Volljährigkeitserklärungen, Erbteilungen, vor dem Rat geschlossene
Rechtsgeschäfte usw. –, oder die Bücher wurden als thematisch spezialisierte
Handschriften geführt, wie die Korneuburger oder auch Tullner Testamentsbücher
(Geschäftsbücher)116. Diese im Zuge der sich ausdifferenzierenden schriftlichen
Verwaltung entstandenen Spezialhandschriften haben zwar den Vorteil
der seriellen Einheitlichkeit, aber den Nachteil, dass damit in Zusammenhang
stehende Betreffe – zum Beispiel die mit dem Erbrecht verbundenen Verwandtschafts-
und Volljährigkeitsweisungen, Erbteilungen, Feststellungen echter Not
für Schuldennachlässe oder Erbgutverkäufe usw. – in andere Bücher eingetragen
wurden, die, wie in Korneuburg, verloren gingen. Hier bilden die Testamentsbücher
vor allem für die zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts die einzigen erhaltenen
Stadtbücher und überliefern somit trotz hoher Zahl an Testamenten nur einen
sehr begrenzten Ausschnitt des mit Erbschaftsangelegenheiten verbundenen
städtischen Verwaltungshandelns117.
Geschäfte
Testamente waren vor Zeugen abgeschlossene Rechtsgeschäfte (Zeugengeschäfte),
die Ansprüche auf Liegenschaften, Fahrhabeobjekte und Geldbeträge
begründeten, also ‚Geschäfte’ im quellenmäßigen wie auch heutigen Sinn.118
Der Stadtbucheintrag hatte neben der rechtssichernden Funktion vor allem beglaubigenden
Charakter, da der Eintragung immer die rechtsgültige Annahme
durch den Rat nach Anhörung und rechtskräftigem Beweis der Zeugen – als
Weisung vor dem Rat bezeichnet – vorausging.
Eingebrachte Geschäfte konnten auch durch den Rat abgelehnt und abgeändert
werden119. Wurde ein Testament angefochten, erfolgte zumindest in Korneuburg
der Eintrag erst nach dem Rechtsentscheid und dann gemeinsam mit
dem Urteil. Der Rat prüfte somit die Gültigkeit der Errichtung wie des Inhalts
116 Vgl. zu Wien Brauneder/Jaritz, Wiener Stadtbücher 1, 9; zu Wiener Neustadt Uiblein, Bücherverzeichnisse
53 f., zu Tulln ebd. 35 f.; zu Mautern Demelius, Stadtbuch Mautern 9.
117 Für die erste Hälfte des 15. Jahrhunderts haben sich Dienst-, Grund- und Gewerbücher von
1432–1447 und unvollständig ab 1448 erhalten, das 1458 angelegte Grundbuch ging verloren.
Erst wieder für die Zeit von 1499–1514 existiert ein Stadtbuch mit Aufzeichnungen aus
der städtischen Verwaltung und Rechtshandlungen vor dem Rat. Zur Korneuburger Überlieferung
vgl. Starzer, Korneuburg 338 f.; Uiblein, Bücherverzeichnisse 15; Laichmann-
Krissl, Stagnation und Wandel 303. Rehme, Stadtbücher I, 126, erwähnt nur das Stadtbuch
von 1499–1514.
118 Vgl. Brauneder/Jaritz, Wiener Stadtbücher 1, 17 f.; Demelius, Stadtbuch Mautern 74.
119 Z. B. im Fall des Niclas Wechdorn, dessen Vermögensverluste in der Zeit zwischen Testamentsabschluss
(1. 12. 1436) und Tod im folgenden Jahr (6. 10. 1437) die Enkelkinder
erheblich benachteiligte und den Rat bewog, das Testament in deren Interesse zu ändern,
StAK, Hs. 3/159 fol. 69r–70v (1437 XII 17), Änderung im Anschluss an das Testament.
53
und übte zudem eine Kontrollfunktion über die ordnungsgemäße Ausrichtung
durch die Testamentsvollstrecker aus120.
Da ein in ein Stadtbuch eingetragenes Testament von der städtischen Obrigkeit
rechtsgültig beglaubigt war, besaß ein Stadtbuchauszug Beweiskraft. In
Korneuburg wurden einige Testamente in dieser Form – als vom Stadtschreiber
beglaubigte Abschrift aus dem Wiener bzw. Klosterneuburger Stadtbuch – dem
Rat vorgelegt, also ohne Zeugen oder Originalurkunde121.
Pflicht oder Gewohnheit?
Ob allerdings in Korneuburg die Weisung vor dem Rat eine Voraussetzung der
Rechtsgültigkeit des Testaments war, lässt sich aus den Quellen nicht befriedigend
beantworten. In Wiener Neustadt war die Bestätigung durch den Rat Voraussetzung
der Rechtswirksamkeit, für Mautern wird dies aus dem rechtlichen
Charakter der Weisung als obrigkeitliche Prüfung angenommen, auch wenn es –
wie in Korneuburg – keine Quellenhinweise gibt122. Für eine verpflichtende
Weisung vor dem Rat würde die Einhaltung von Fristen sprechen, worauf die
Formel, das Testament sei zu recht zeit, als [er/sie] zu recht solt, vor den Rat
gebracht worden, verweist. Für Wien ist belegt, dass Testamente nach dem
Stadtrecht binnen Jahresfrist vor dem Rat zu weisen waren; andernfalls verfielen
sie123.
Es sind allerdings aus dem Korneuburger Bestand Testamente bekannt,
die nicht in das Stadtbuch eingetragen wurden, wie etwa jenes der Agnes Strasser,
Ehefrau des Stadtrichters Caspar Strasser, die 1449 vber ander ir gescheft,
so sy vormallen getan hat, noch ein zusätzliches Geschäft errichtete mit diversen
120 Vgl. Demelius, Stadtbuch Mautern 86; Lentze, Wiener Testamentsrecht II, 207 f. – Vermerke
zur Ausrichtung finden sich allerdings im Korneuburger Bestand selten: StAK, Hs.
3/159 fol. 23r, 61v, 71r, Hs. 3/160 fol. 160r, 176v, 180r, 184r.
121 Abschriften aus dem Wiener Stadtbuch: Testament des Valtein Römer, StAK, Hs. 3/160
fol. 57r–58r (Wien 1455 VI 10, Korneuburg 1455 VII 1); Testament des Michel Holczaphl,
ebd. fol. 122r–v (Wien 1471 X 31, Korneuburg 1471 XI 18); Eintrag einer Korneuburg
betreffenden Einzelverfügung (Hochschulstipendium) des Niclas Leitgeb aus seinem in
Wien vorgelegten Testament, Hs. 3/159 fol. 47v (1433, ohne Tagesdatum), s. dazu auch
Anm. 305. – Drei nacheinander eingetragene Abschriften aus dem Klosterneuburger Stadtbuch:
Testament der Barbara Mursteter, Hs. 3/160 fol. 120r–v (Klosterneuburg 1470 VI 9),
der Dorothe Kerczenmacher, ebd. fol. 120v (Klosterneuburg 1470 IV 7), und des Sigmund
Stilczinger, ebd. fol. 120v–121r (Klosterneuburg 1470 VI 23).
122 Vgl. Rist, Lebensbedingungen von Frauen 112; Demelius, Stadtbuch Mautern 86.
123 Brauneder/Jaritz, Wiener Stadtbücher 1 n. 339 (1398 XII 21): Urkunde des Wiener Rats
bzgl. des Testaments der Katharina Ofner, derzufolge dieses binnen Jahresfrist nicht beweyst
und daher verwarlost sei, weshalb ihr Ehemann den Rat um eine Lösung ersucht habe,
wie das Testament trotzdem seinen furgankch gewunn. Man behalf sich in dieser offenbar
doch außergewöhnlichen Situation mit einer Erbrechtsbestellung aufgrund der Aussage
der Zeugen. Auch Rist, Lebensbedingungen von Frauen 111, erwähnt für Wiener Neustadt
eine Frist für die Weisung.
54
Legaten124. Während das zweite, eher kurze Geschäft im Stadtbuch eingetragen
wurde, ist das sicher wesentlich umfangreichere Haupttestament dort nicht überliefert.
Auch von den letztwilligen Verfügungen eines Korneuburger Geistlichen
ist nur under ander seine geschefft ein Legat eingetragen125. Caspar Strasser
wiederum hinterließ zwei überlieferte Testamente, von denen aber nur das zweite
in das Stadtbuch eingetragen wurde, während das erste als Originalurkunde
erhalten ist. Ob es daher nicht vollstreckt wurde, wie Paul Uiblein annimmt,
scheint zumindest fraglich126.
Diese Beispiele belegen, dass keineswegs alle Testamente im Stadtbuch
registriert wurden, diese aber, wie aus den wenigen Hinweisen auf solche Geschäfte
hervorgeht, sehr wohl als rechtsgültig galten, ob nun mit oder überhaupt
ohne Weisung vor dem Rat lässt sich nicht beantworten. Prinzipiell sah die Anlage
von Geschäftsbüchern die Eintragung aller vor dem Rat gewiesenen Testamente
vor, so der Vermerk am Beginn des 1414 angelegten Tullner Geschäftsbuchs,
wonach alle vor dem Rat gewiesenen Geschäfte daryn verschriben …
sten sollen127. Denkbar wäre aber, dass sich die sicher auch gebührenpflichtige
Stadtbucheintragung in Korneuburg erst langsam als Rechtsgewohnheit – als sit
vnd gewonhait der stat, wie es 1473 in einem Testament heißt – durchsetzte128,
was sowohl die sehr unregelmäßigen, eher „tröpfchenweise“ erfolgten Einträge
in den ersten 20 Jahren nach Anlage des ersten Geschäftsbuchs erklären würde,
als auch das auffallende Fehlen von Testamenten der Stadtrichter des frühen 15.
Jahrhunderts. Erst mit dem 1444 verstorbenen Wolfgang Molter beginnt die fast
lückenlose Reihe der überlieferten Stadtrichtertestamente.129 Auch die in der
zweiten Jahrhunderthälfte manchmal vermerkte Bitte um Eintrag des Geschäfts
in das Stadtbuch – in dieser Zeit möglicherweise nur mehr eine Formel im üblichen
Procedere der Weisung – könnte ein Hinweis darauf sein, dass die Eintra-
124 Testament der Agnes Strasser, StAK, Hs. 3/160 fol. 31v (1449 XII 9). Das Geschäft umfasst
Legate für ihren Kaplan, ihren Diener und einige Verwandte sowie eine Auflistung der
Schulden gegenüber Pfarrgeistlichen.
125 Der Korneuburger Gesellpriester Andre Weylint hinterließ einem kleinen Jungen ein Legat
von über 14 Pfund zum Studieren, das laut Vermerk 18 Jahre später von Stadtrichter Caspar
Strasser gegen Quittung ausbezahlt wurde, StAK, Hs. 3/159 fol. 61v (1436 X 23), im
Anschluss an das Testament Ausrichtungsvermerk von 1454 V 23.
126 Uiblein, Bücherverzeichnisse nn. 20, 24, s. zu Caspar Strassers Testamenten unten Anm.
266. Sein erstes, in seiner letzten Amtsperiode als Stadtrichter (1459–1461) errichtetes Testament
verwahrte er möglicherweise im Rathaus, was die seltene Überlieferung einer Originalurkunde
im Stadtarchiv erklären würde.
127 Zit. nach Uiblein, Bücherverzeichnisse 36.
128 Zitat aus dem Testament der Anna Pestorffer, StAK, Hs. 3/160 fol. 124r–125r (1473 VIII
25). – In Ofen betrug die Gebühr für den Eintrag eines Testaments 100 d, vgl. Majorossy,
Archives of the Dead 20, Anm. 21.
129 Zu den Stadtrichtertestamenten s. Anm. 289.
55
gung ursprünglich nicht selbstverständlich war und nur dann erfolgte, wenn es
von den Testatoren oder Begünstigten ausdrücklich gewünscht wurde130.
Es ist durchaus denkbar, dass sich der Rat als obrigkeitliche Letztinstanz
in Erbschaftsangelegenheiten erst langsam durchsetzte. So dürften zumindest die
als Siegelurkunden oder Notariatsinstrumente ausgestellten Testamente, so wie
alle anderen in dieser Form ausgefertigten Rechtsgeschäfte, mit hoher Wahrscheinlichkeit
auch ohne Bestätigung durch den Rat rechtsgültig gewesen
sein131. Durchaus vorstellbar ist zudem, dass in vielen Fällen die Testamentsvollstreckung
ohne offizielle Verlautbarung geschehen sein könnte, weil man
den damit verbundenen Rechtsschutz nicht benötigte oder die öffentliche Kontrolle
nicht wollte.
Überlieferungschance
Die im 15. Jahrhundert einsetzende Überlieferung der Stadtbücher in den ostösterreichischen
Kleinstädten umfasste somit keineswegs alle Testamente und ist
im Hinblick auf das Testierverhalten gerade im Wiener Raum möglicherweise
sogar verzerrend, das vielleicht schon früher als überliefert einsetzte. Die im 15.
Jahrhundert langsam ansteigende Dichte der schriftlichen Überlieferung entsprach
nicht unbedingt der in dieser Zeit errichteten Zahl der Testamente, sondern
ist vielmehr Niederschlag eines auch Privatgeschäfte erfassenden Verschriftlichungsprozesses
der städtischen Verwaltung, der sich nach Wien nun
auch in den Kleinstädten durchsetzte. Selbst bei massenhaft überlieferten Quellen
wie den Testamenten ist daher die mit dem Verwaltungsschrifttum verbundene
höhere Überlieferungschance zu berücksichtigen132. Sie war tatsächlich
höher als es Testatoren und Stadtväter wohl jemals angenommen hatten, die in
Anbetracht von Stadtbränden und Kriegen kaum von einem 500 Jahre überdauernden
‚Gedächtnis’ ausgegangen sind.
2. Die Korneuburger Geschäftsbücher
Angesichts der Archivalienverluste in vielen Städten ist die Korneuburger Überlieferung
mit drei erhaltenen Geschäftsbüchern tatsächlich außergewöhnlich133.
130 Bitte um Eintrag in das Stadtbuch z. B. im Testament des Thomas Swercz, der seinen Siegelring
verloren hatte und deshalb alle früheren Geschäfte für ungültig erklärte, StAK, Hs.
3/160, fol. 94r–95v (1462 VI 12); ohne Angabe von Gründen z. B. bei Anna Edelgut und
Jörg Huber, ebd. fol. 70r–v (1458 III 22), fol. 71r–v (1458 IV 26), sowie Wolfgang Helfreich,
Uiblein, Bücherverzeichnisse n. 11.
131 Vgl. Demelius, Stadtbuch Mautern 77 f.
132 Zur Verschriftlichung und Überlieferungschance Pohl-Resl, Rechnen mit der Ewigkeit 70
ff.; grundlegend Arnold Esch, Überlieferungs-Chance und Überlieferungs-Zufall als methodisches
Problem des Historikers, in: ders., Zeitalter und Menschenalter. Der Historiker
und die Erfahrung vergangener Gegenwart. München 1994, 39–69.
133 Zu den Verlusten in Krems-Stein, Klosterneuburg, Waidhofen/Ybbs, Hainburg, Weitra,
Laa/Thaya, in Oberösterreich Enns, Linz und Freistadt s. Weigl, Schriftlichkeit 260 f. Das
56
Auch der Umfang mit über 500 Testamenten für das 15. Jahrhundert ist beachtlich
und unter den niederösterreichischen Kleinstädten – also ohne Wien und
Wiener Neustadt – nur vergleichbar mit der Überlieferung der Tullner Testamentsbücher,
die im Gegensatz zu Korneuburg schon für die erste Hälfte des 15.
Jahrhunderts mit ca. 280 Stück eine hohe Dichte aufweisen, vermutlich Niederschlag
des in Tulln – eine der bedeutendsten Städte des Landes und größer als
Korneuburg – schon früher einsetzenden Verschriftlichungsprozesses in der
Verwaltung134.
Handschriften
Das erste Korneuburger Geschäftsbuch135 enthält für den Zeitraum 1401 bis
1444 nur 131 Testamente, beginnend mit dem kurzen Eintrag der letztwilligen
Verfügung des Schusters Ulreich Schreczenczangk zugunsten seines Neffen
zum Jahr 1401 auf fol. 10v136. Die Blätter davor sind interessanterweise leer,
vielleicht war das Stadtbuch ursprünglich für einen anderen Zweck gedacht.
Dann folgt erst wieder ein Eintrag im Jahr 1405 (fol. 11r), einer 1406, drei 1407,
einer 1408, je zwei 1410 und 1412 usw., welche aber im Unterschied zur ersten,
eher formlos vermerkten Verfügung – möglicherweise ein späterer Nachtrag –
umfangreicher sind und einem gewissen Formular folgen. Regelmäßige jährliche
Einträge beginnen erst mit 1418 und werden ab Mitte der 20er Jahre zahlreicher
mit Höchstwerten in den Jahren 1433 (11) und 1436 (12). Demnach scheint
sich die Registrierung der Testamente im Stadtbuch oder die Gewohnheit des
Testierens überhaupt in Korneuburg erst langsam durchgesetzt zu haben.
Bis Mitte der 20er Jahre wurden ausschließlich Testamente eingetragen,
danach beginnt eine stärker ‚gemischte’ Führung mit Eintragungen von Verwandtschafts-
und Volljährigkeitsweisungen, Ratsurteilen und Vermerken zur
im 19. Jahrhundert noch vorhandene Geschäftsbuch von St. Pölten ging erst in jüngerer
Zeit verloren, vgl. Uiblein, Bücherverzeichnisse 13, Anm. 25.
134 Zu den zwei Tullner Testamentsbüchern (1414–1538) mit insgesamt ca. 600 Testamenten,
davon 281 Stück von 1414–1454 und ca. 195 bis zum Jahr 1500, Uiblein, Bücherverzeichnisse
36 f. Zur Größe Tullns um 1450 mit etwa 300 Häusern vgl. Klein, Daten zur Siedlungsgeschichte
48.
135 StAK, Hs. 3/159 mit 96 Papierblättern in Pergamenteinband des 15. Jahrhunderts, vorne
außen Aufschrift des 15. Jahrhunderts Geschefftpuech. Insgesamt 156 Einträge, davon 131
Testamente, 22 diverse Betreffe (drei gestrichen) und drei Ausrichtungsvermerke; fol. 1–
10r sind leer, erster Eintrag fol. 10v (1401), letzter Eintrag fol. 95v–96v (1444 X 2, Geschäft
Wolfgang Molter). Auf der rückseitigen Einbandinnenseite Vermerk über die Wahl
Herzog Albrechts V. zum König von Ungarn und Böhmen und zum römischen König im
Jahr 1438. Zur Handschrift s. Uiblein, Bücherverzeichnisse 15 f., der allerdings 143 Einträge
zählt.
136 Ebd. fol. 10v: Anno etc. cccco primo. Hie ist vermerkcht, das Ulreich der Schr􀀀czenczangk
der Schuester an seinen leczten zeiten geschafft hat seiner Swester Sun Jorigein zehen
phunt phennig auf sein haws, das ist Hansen dem Wagner vnd Voiten dem Swertfegen wissentlich
vnd habent auch darumb vor dem Rat ir kuntschafft gesagt daz dem also ist.
57
Gewere, insgesamt 25 inklusive der vereinzelten Ausrichtungsvermerke. Ihre
Aufnahme in das Geschäftsbuch ist wohl auf die Buchführung des jeweils amtierenden
Stadtschreibers zurückzuführen, sie wurde jedenfalls nicht zur ‚Tradition’,
denn der Fortsetzungsband enthält bis auf wenige Ausnahmen wieder ausschließlich
Geschäfte.
Im Herbst des Jahres 1444 machte eine in Österreich grassierende Seuche
und die dadurch hohe Zahl an Testamenten die unverzügliche Anlage eines neuen
Geschäftsbuchs durch den Stadtschreiber Erhart von Asparn notwendig137.
Allein im Oktober und November 1444 wurden 11 Testamente vor den Rat gebracht,
mit insgesamt 16 Stück eines der stärksten Jahre des 15. Jahrhunderts,
nur noch übertroffen von 1461 (17) und 1468 (18). Dieses zweite Geschäftsbuch
reicht bis 1493 und enthält 364 Testamente sowie einige auf Erbschaftssachen
bezogene Einträge138. Die jährliche Anzahl der Einträge schwankt zwischen 2
und 18 mit einem Durchschnittswert von 7–9. Durch die langjährige Buchführung
Erharts von Asparn bis 1453 erhielt dieses Geschäftsbuch im Gegensatz
zum ersten Buch eine zunehmend formale Einheitlichkeit hinsichtlich Aufbau
und Aufnahme der mit dem Testament in Zusammenhang stehenden Daten, etwa
zur sozialen Stellung der Einbringer und Zeugen, Eidesformeln, Form des
Testaments usw. Im letzten Drittel des Jahrhunderts nahm infolge des Wechsels
der Schreiber die Einheitlichkeit wieder ab. Wegen der Dichte und Gleichförmigkeit
der Überlieferung liegt daher der Schwerpunkt der Analyse auf den für
die Jahre 1444 bis 1474 überlieferten ca. 260 Testamenten.
Das dritte im Jahr 1494 angelegte Geschäftsbuch139 enthält für das 15.
Jahrhundert noch 42 Testamente. Es wurde bis 1521 geführt, im letzten Jahrzehnt
eher chronologisch ungeordnet und vermischt mit Verwandtschafts- und
Volljährigkeitsweisungen. Bis auf Ausnahmen wurde es hier nicht berücksichtigt.
137 StAK, Hs. 3/160 mit 192 Papierblättern in Pergamenteinband des 15. Jahrhunderts, vorderseitig
außen zeitgleiche Aufschrift Geschafftpuech, rückseitig außen wohl zeitgleiche Aufschrift
Geschafftpuch der stat kornneunburg angefanngen p(ost) anno XL jar. Auf fol. 1r
Vermerk des Stadtschreibers Erhart von Asparn zur Anlage des Stadtbuchs, der eine Pestilenz
in Österreich erwähnt (s. Anm. 1). Insgesamt 387 Einträge, davon 372 Testamente,
sieben sonstige Betreffe, fünf zusätzliche Vermerke zur Ausrichtung (4) bzw. zum Tod (1),
drei Einträge wurden gestrichen; erster Eintrag fol. 2r (1444 X 9, Geschäft Barbara Dorffner),
letzter Eintrag fol. 191r (1493 IV 19, Geschäft Margret Hewtl), fol. 191v und fol. 192
sind leer. Zur Handschrift s. Uiblein, Bücherverzeichnisse 16, der 374 Einträge zählt.
138 Ebd. fol. 48v–49r: Streitsache Vischlpegk; fol. 167r–168v: Streitsache Hewndl gegen
Swercz; fol. 169r–v: Streitsache Kaltenstainer gegen Vormoser, fol. 30v: Erklärung der
Agnes Strasser bzgl. der Übertragung eines Weingartens an ihren Ehemann Caspar; fol.
169v–170r: Verwandtschaftsweisung der Margreth Strasser.
139 StAK, Hs. 3/161 mit 208 Papierblättern (foliiert 207, ein Blatt ausgelassen) in Kartoneinband
des 18./19. Jahrhunderts mit der Aufschrift Geschaft Buch von 1494 bis (gestrichen:
1515) 1521; ab fol. 121 gemischte Führung, 1513–1521 nicht chronologisch, daher letzter
Eintrag fol 204v–205r eine Volljährigkeitsweisung von 1515, fol. 205v–207 blieben leer.
58
In das Stadtbuch geschrieben
In den Korneuburger Geschäftsbüchern wurden die Testamente, selbst wenn sie
schriftlich vorlagen, in der Regel nicht wortwörtlich eingetragen, sondern nach
einem immer einheitlicher werdenden Formular die rechtsrelevanten Sachverhalte
festgehalten: das Datum der Weisung vor dem Rat, die daran beteiligten
Personen, Angaben zu den Testatoren, die letztwilligen Verfügungen und Begünstigten,
die Testamentsvollstrecker – zeitgenössisch die „Geschäftsherren“ –
und die Bestätigung durch die Zeugen.
Die Einträge sind in der Regel mit dem Namen der Testatoren überschrieben
und beginnen mit dem Datum der Einbringung vor dem Rat140. Danach wird
angegeben, vom wem es eingebracht wurde, meist mit Angabe von Stand oder
Funktion – Ratsherr, Bürger, Mitbewohner –, fallweise des Berufs- und bei
Nicht-Korneuburgern stets des Herkunftsorts; häufig wird auch das Datum der
Errichtung und die Form des Testaments – schriftlich, versiegelt usw. – vermerkt.
Dann folgt die Aufzählung der oft umfangreichen Einzelverfügungen in
3. Person, den Abschluss bildet die Nennung der mit der Vollstreckung beauftragten
Personen sowie die Bestätigung des Inhalts durch die Zeugen unter Eid
mit Eidesformel. Eine Schuldenaufstellung konnte nach den Verfügungen oder
ganz am Ende folgen141.
Je nach Umfang der Verfügungen kann ein Eintrag aus wenigen Zeilen
oder mehreren Seiten bestehen. Die wortwörtliche Aufnahme von Testamenten
ist die Ausnahme und meist verbunden mit aus der Norm fallenden Umständen,
wie die Einbringung durch das besiegelte Testament ohne Zeugen oder Testamentsabschriften
aus anderen Stadtbüchern142. Einige Testamente sind nur teilweise
wortwörtlich wiedergegeben, wobei der Wechsel von der 3. zur 1. Person
(‚Ich-Form’) mitten im Text darauf hinweist, dass der Schreiber vermutlich nur
seiner Vorlage genau folgte. Die für Motiv oder unmittelbaren Anlass üblicherweise
aufschlussreichen Arengen zur Begründung der Errichtung finden sich nur
in einigen wenigen wortwörtlichen Einträgen, keineswegs aber in allen vollständig
aufgenommenen Testamenten143. Sie waren demnach nicht Bestandteil jedes
Testaments und wurden, wenn vorhanden, als nicht rechtsrelevant weggelassen.
140 Anno domini etc. […] an […] komen für uns den richtter und rate der stat ze Newnburg
margkthalben …
141 Die Korneuburger Testamente entsprechen bis auf Ausnahmen dem Typ a) und b) nach der
Klassifizierung von Brauneder/Jaritz, Wiener Stadtbücher 1, 18: a) Einbringer mit Zeugen,
Eidesformel am Schluss, b) Zeugen fungieren als Einbringer, Eidesformel am Schluss.
142 Beispiele in Anm. 121, 168, 169.
143 Z. B. ‚Gott zu Lob und Ehre, zu Hilfe und Trost’, im Testament der Anna Lewin, StAK,
Hs. 3/160 fol. 44v–46r (1453 II 20), oder umfangreicher bei Larencz Steirer: Invocatio, alleinige
Gewissheit des Todes und Ungewissheit des Lebens sowie die alleinige Hilfe guter
Werke zu ewiger Freude, ebd. fol. 130r–v (Testament 1473 VIII 18, Eintrag undat.). – Zu
den Arengen ausführlich Baur, Testament und Bürgerschaft 75 ff., bes. 79 mit einer Übersicht
von Zentralbegriffen nach Chiffoleau, Comptabilité de l’au-delà 114.
59
Den dispositiven Teil des Testaments bilden die Verfügungen über das
Vermögen bzw. Vermögensteile, die samt Bedingungen und Pflichten genauestens
eingetragen wurden, um Ansprüche außer Streit zu stellen. Zur eindeutigen
Identifikation sind Liegenschaften durchwegs mit Namen und Lage, Objekte
der Fahrhabe mit Qualitätsmerkmalen wie Farbe, Machart, Größe usw. verzeichnet.
Im Gegensatz dazu können nähere Angaben zu den Personen (wie Beruf,
Ämter usw.), zum Testament (Datum, mündlich, schriftlich, besiegelt usw.) oder
zur Form des Eids, also Anfang und Schluss der Einträge, je nach Gewohnheit
der Schreiber unterschiedlich genau oder überhaupt nicht vermerkt sein, da sie
für den Rechtsinhalt letztlich unerheblich waren. Ein einzelner Eintrag enthält
daher oft keinerlei Hinweis auf die soziale Zugehörigkeit der Erblasser. Familiennamen
wie Pinter, Vascieher, Pegk, Leczelter, Pader, Kramer, Smid, Hafner
usw. verweisen zwar auf den Beruf, nicht aber auf die soziale Stellung, Kaufleute
sind über den Namen überhaupt nicht fassbar. Erst durch Verknüpfung der
innerhalb des Quellenbestands verstreut überlieferten Informationen – verwandtschaftliche
Beziehungen, Nennung als Zeugen oder Geschäftsherren in
anderen Testamenten, Häuserlage oder der für Amtsträger und Bürger unterschiedliche
Zeugeneid – lassen sich Personenkreise, Ämter und Positionierung
innerhalb der städtischen Hierarchie erschließen.
Seelenheilvergaben zeichnen sich generell durch größte Knappheit aus,
beschränkt auf das ‚Was’ – Messen, Jahrtage, Wallfahrten usw. – und die dafür
gestiftete Geldsumme. Die Art der Durchführung war offenbar allen Beteiligten
selbstverständlich und bedurfte keines Kommentars. So sollen in der Regel das
Leichenbegängnis und der Jahrtag nach der ‚Gewohnheit’ der jeweiligen Kirche
oder des Klosters erfolgen oder eine Wallfahrt nach Aachen oder Rom – doch
recht beträchtliche Distanzen – gegangen werden, ohne nähere Angabe zum
‚Wie’, ‚Wann’ oder ‚Wer’. Hinweise zu der hinter solchen Verfügungen stehenden
organisatorischen Infrastruktur sind rar und daher überaus wertvoll.
Der Stadtbucheintrag erfolgte durch den Stadtschreiber bzw. sein Personal
unter dem Datum der Weisung vor dem Rat irgendwann danach, lagen mehrere
Testamente vor, wohl in gesammelter Form. Nur einmal vermerkte der Schreiber
auch das Datum des Eintrags, der zehn Tage nach der Weisung erfolgte144.
144 Testament des Sigmund Halbemer, Uiblein, Bücherverzeichnisse n. 27 (Weisung 1473 XI
5, Eintrag 1473 XI 15). – Auf Sammeleinträge verweist die fallweise benutzte Formel ut
supra für die Datierung, z. B. StAK, Hs. 3/160 fol. 125r–126r, wie auch chronologisch ungeordnete
Einträge aus Platzgründen: z. B. Eintrag 1473 XI 15 ebd. fol. 126r, gefolgt von
Eintrag 1473 XI 05 auf fol. 126v–128v, danach Eintrag 1473 II 05. Aus Platzmangel gestrichen
wurde das auf fol. 129v begonnene Testament der Magdalen Stainhawser und auf fol.
131v erneut und nun vollständig eingetragen, allerdings mit differierenden Jahresangaben
der Einbringung (1473 XI 24 bzw. 1474 XI 23).
60
Geschäftszettel
Vermutlich auf Wunsch dürften den Begünstigten vom Stadtschreiber so genannte
gescheft zedl mit den sie betreffenden Verfügungen als Bestätigung ausgestellt
worden sein. So hatte Margreth Strasser 1466 dem Rat von Braunau für
eine Verwandtschaftsweisung zwei solche Bestätigungen über ihr zustehende 32
lb sowie Stücke der Fahrhabe vorgelegt. Der eine Geschäftszettel bezog sich auf
das Testament ihres Onkels Hans Strasser aus dem Jahr 1427, zu dem sie ihre
Verwandtschaft beweisen musste, der andere auf jenes von dessen Sohn Caspar
Strasser, ihres Cousins, aus dem Jahr 1464145. In ihrem Fall wurden die Geschäftszettel
sicher auf Wunsch ausgestellt; ob, wie in Wiener Neustadt, schriftliche
Bestätigungen der Testamente als Beglaubigung ihrer Rechtswirksamkeit
die Regel waren, ist für Korneuburg nicht überliefert146.
Der Brief des Braunauer Rats zur Bestätigung der Verwandtschaftsweisung
mit Inserierung der beiden Geschäftszettel gehört zu den wenigen Ausnahmen
im zweiten, fast nur auf Testamente beschränkten Geschäftsbuch. Er belegt
sowohl den wesentlich umfangreicheren, großteils aber nicht überlieferten
Schriftverkehr zu Erbschaftsangelegenheiten als auch die rechtssichernde Funktion
der Stadtbücher durch die auch Jahrzehnte später gegebene Verfügbarkeit
der Aufzeichnungen.
3. Der Gang ins Rathaus
Um in das Stadtbuch eingetragen zu werden, musste ein Testament vor Richter
und Rat gebracht werden. Das Rathaus befand sich seit dem Stadtbrand von
1417, der das alte Rathaus an der Ecke der Schiffstraße (heute Donaustraße) zerstörte,
bis 1852 an der gegenüber liegenden Ecke in dominierender Lage am
Hauptplatz bzw. Ring (s. Abb. 1)147. Hier erschienen in der Regel eine oder
mehrere Personen in Begleitung der Zeugen, in deren Gegenwart das Testament
errichtet worden war, und die es nun nach Recht wiesen, das heißt öffentlich
verlautbarten und unter Eid bestätigten, wobei nach dem Stadtrecht für jedes
Rechtsgeschäft mindestens zwei Zeugen vorgeschrieben waren148.
Einbringer waren jene Personen, die in irgendeiner Weise von dem Testament
betroffen waren: in fast der Hälfte der Geschäfte sind es die Ehepartner,
145 StAK, Hs. 3/160 fol. 169v–170r (1466 VIII 1): Urkunde des Rats von Braunau über die
Verwandtschaftsweisung der Margreth Strasser mit zwei inserierten, dem Rat von Braunau
vorgelegten Geschäftszetteln, ausgestellt vom Korneuburger Stadtschreiber Jeromin Tonpekch,
betreffend das Testament des Hans Strasser, Hs. 3/159 fol. 31v–32r (1427 I 7), und
das (2.) Testament des Caspar Strasser von 1464, Uiblein, Bücherverzeichnisse n. 24 (s. dazu
Anm. 265).
146 Zu Wiener Neustadt vgl. Rist, Lebensbedingungen von Frauen 110, 112.
147 Vgl. Starzer, Korneuburg 72. An der Stelle des Rathauses befindet sich heute das Landesgericht.
148 Zum Stadtrechtspassus s. Anm. 36.
61
dann die Kinder und Verwandten, aber auch Dienstgeber, Dienstleute oder
Beichtväter, sowie die mit der Testamentsvollstreckung beauftragen Personen,
sofern sie nicht mit den Zeugen ident waren. Je nach Anzahl der Einbringer und
Zeugen konnte eine recht große Gruppe vor dem Rat erscheinen, bei dem Testament
des Ratsherrn und mehrmaligen Stadtrichters Peter Walkam waren es immerhin
neun Personen149. In den meisten Fällen erschienen aber nur die Ehepartner
in Begleitung von zwei bis drei Zeugen oder überhaupt nur die Zeugen, also
zwei bis vier Personen.
Das genaue Procedere der Einbringung wird beim Testament der Anna
Pestorffer, wohlhabender Witwe eines Fassbinders, vermerkt, die im Sommer
1473, nur wenige Jahre nach ihrem Mann und ihren beiden noch jungen Söhnen
– 1466 waren sie noch keine 18 Jahre alt –, starb und eine verwaiste kleine Enkeltochter
hinterließ. Am 25. August, einem Mittwoch, erschienen vor dem Rat
ihr Schwager Stefan Weiss und zwei weitere Korneuburger Bürger mit ihrem
mit einem Petschaft verschlossenen Geschäft und ersuchten den Rat, es aufzubrechen,
zu verlesen, anzuhören und danach nach der Gewohnheit der Stadt in
das Stadtbuch einzutragen: … begerund, das das aufgebrochen verlesen gehört
vnd darnach ingeschriben wurd nach sit vnd gewonhait der stat hye 150.
Geschäftsleute
Die drei Männer waren die „Geschäftsleute“ bzw. „Geschäftsherren“ des Testaments,
Stefan Weiss zudem künftiger Vormund des Mädchens. Sie waren als
Zeugen von Anna nicht nur mit der Weisung vor dem Rat, sondern auch mit der
Vollstreckung ihres Geschäfts betraut worden. Beide Ämter galten zumindest im
Wiener Recht als prinzipiell unvereinbar, wurden aber oft von denselben Personen
ausgeübt, weshalb die Bezeichnung „Geschäftsherren“, die eigentlich nur
die Willensvollstrecker meint, in den Testamenten fließend gebraucht wird151.
Die Vollstreckung wurde in der Regel den engsten Angehörigen oder Verwand-
149 Das Testament Peter Walkams, Stadtrichter 1442–1443, 1445, 1455–1457 und jahrzehntelang
Ratsherr, wurde von der Ehefrau, dem Bruder, der Schwester, zwei Vettern und vier
Zeugen eingebracht, StAK, Hs. 3/160 fol. 72v-73r (1458 V 1). Zu den Stadtrichtern vgl.
Starzer, Korneuburg 273 ff.
150 Testament der Anna Pestorffer, StAK, Hs. 3/160 fol. 124r–125r (1473 VIII 25). Nach dem
Testament ihres Ehemanns Hans Pestorffer, ebd. fol. 110r–v (1467 IV 24), waren die Söhne
Nicola und Cristoff bei dessen Errichtung Ende 1466 noch unmündig. Christoff starb im
Herbst 1468, sein Testament ebd. fol. 116v (1468 XI 11), dessen Witwe Barbara heiratete
bald darauf den Fleischhacker Hans Tibolt. Die verwaiste Margret in der Obhut der Großmutter
war daher vermutlich die Tochter des zweiten, wohl ebenfalls verstorbenen Sohnes
Nicola.
151 Vgl. Jaritz/Neschwara, Wiener Stadtbücher 3, 11; Lentze, Wiener Testamentsrecht I, 131.
Für die wie in Korneuburg gebräuchliche Identität von Zeugen und Testamentsvollstrecker
bediente man sich in Wien eines formalrechtlichen ‚Tricks’, indem die Zeugen vor dem Rat
auf ihr Recht zur Durchführung des Geschäfts verzichteten und dann vom Rat wieder damit
beauftragt wurden.
62
ten, aber auch einzelnen Ratsherren, besonderen Vertrauenspersonen – z. B. der
Hausherrin oder der Schafferin152 – oder Richter und Rat als Institution anvertraut.
Ein Testament zu vollstrecken war eine mitunter mit erheblichem Aufwand
an Zeit, Kosten und Mühen verbundene Pflicht, die die Verantwortung für
die Ausrichtung des Seelgeräts, Schuldenbegleichung, Eintreiben der Forderungen,
Vermögensverteilung, Obsorgeregelung usw. umfasste153.
Pflicht der Zeugen war vorrangig die Weisung, bisweilen wurden sie auch
testamentarisch beauftragt, das Geschäft zu verschließen und zu bezeichnen, das
heißt mit Petschaft zu beglaubigen154. Waren sie, wie bei der Pestorfferin, die
alleinigen Einbringer, haben sie es sicher auch verwahrt155. Bis zur Testamentseröffnung
vor dem Rat konnte ihnen daher sehr weitreichende Verantwortung
zukommen, bei nur mündlich errichteten Testamenten lag der Letzte Wille der
Verstorbenen gänzlich in ihren Händen, aber auch schriftliche Geschäfte bedurften
nach Recht ihrer eidlichen Bestätigung. Zeugen gehörten bis auf Ausnahmen
nicht zu den Begünstigten, wohl wie in Wien eine gewohnheitsrechtliche Regelung
zum zumindest theoretischen Schutz der Testatoren vor Manipulation und
Begehrlichkeiten, auch wenn in der Praxis durchaus Druck ausgeübt wurde156.
Aufgrund ihrer großen rechtlichen Bedeutung gehörten die Zeugen mehrheitlich
zum Kreis der Ratsherren und der Genannten. Sie waren im Gegensatz
zu einfachen Bürgern zum Zeugnis verpflichtet und konnten vom Richter dazu
gezwungen werden157. Während aber das Ratsherren-Amt in den Geschäftsbüchern
regelmäßig genannt wird („unser Mitgeschworener des Rats“, „unser
Ratsgenosse“, im 16. Jahrhundert auch „Ratsbürger“)158, ist das Amt eines Genannten
nur an der Eidesformel erkennbar, sofern diese überhaupt vermerkt
152 Beauftragung der Hausherrin bei der wohlhabenden, unverheirateten Agnes Nater, StAK,
Hs. 3/160 fol. 111r–v (1467 VI 1); Beauftragung der Schafferin gemeinsam mit dem Bruder
bei dem Schöngraberner Pfarrer Sigmund Halbemer, Uiblein, Bücherverzeichnisse n.
27.
153 Kosten der Testamentsvollstreckung werden nur im Testament des Egkard Glatz aus
Nussdorf erwähnt, wonach diese von seinem hinterlassenen Geld zu bezahlen seien, StAK,
Hs. 3/160 fol. 7v (1444 XI 5).
154 Z. B. von Ott Perner, Ursula Halbemer und Anna Kunigsprunner, StAK, Hs. 3/160 fol.
43v–44r (1453 II 20), fol. 46r–47r (1453 III 4), fol. 59r (1455 IX 17).
155 Hinweise zur Verwahrung des Testaments bis zur Einbringung gibt es kaum, sodass sich
daraus keine Gepflogenheiten schließen lassen. Aus dem zweiten Testament der Barbara
Kelhaimer geht hervor, dass sie ihr erstes Testament den drei Zeugen, alle von ihnen Ratsherren,
übergeben hatte, es also weder von ihr selbst noch von ihrem Ehemann verwahrt
wurde, s. zu den Testamenten unten Anm. 191.
156 Vgl. unten das Beispiel Rudolf Angerfelder und Anm. 180.
157 Zum Stadtrecht s. Anm. 36.
158 „Ratsbürger“ im Testament des Stadtrichters Walthasar Prewer, StAK, Hs. 3/161 fol.
113v–117v (1511 IX 17). Die Bezeichnung „Genannter“ findet sich in den Geschäftsbüchern
des 15. Jahrhunderts nur im Testament des Hans Schlechdorn, Hs. 3/160 fol. 21r–24r
(Testament 1497 VIII 15, Eintrag undat.).
63
wurde159. Viele Testatoren stammten aus jenen Familien, die Ratsherren und
Genannte stellten, so auch Anna Pestorffer, deren Mann Hans zehnmal als Genannter
ein Testament bezeugte. Es war jene städtische Schicht, die mit der Gewohnheit
des Testierens am besten vertraut war und sich dieses Instruments daher
auch am ehesten bediente, die allerdings – im Gegensatz zu Wien, wo Mitgliederverzeichnisse
des Rats und der Genannten überliefert sind160 – in den
Quellen nur schwer greifbar ist.
Anhörung
Die Testamentseröffnung bestand, wie im Fall der Pestorfferin beschrieben, im
Aufbrechen des verschlossenen Geschäfts, in der öffentlichen Verlesung und in
der Bezeugung vor dem Rat – ob allerdings in den Ratssitzungen, wie man annehmen
würde, lässt sich tatsächlich nach der Überlieferung nicht sicher sagen.
Der Rat war nach dem Stadtrecht zu einer wöchentlichen Sitzung verpflichtet,
im 15. Jahrhundert tagte er vielleicht häufiger, sicher aber in einem gewissen
Rhythmus. Laut den Einbringungsdaten wurden Testamente aber an allen Wochentagen
inklusive Sonntag und auch an knapp aufeinander folgenden Tagen
eingebracht, was sich mit regelmäßigen Sitzungsterminen nur schwer vereinbaren
lässt. Andererseits lassen sich auch Wochenrhythmen feststellen, die mit Sitzungen
korrelieren könnten, wenn auch die geringe Anzahl an Testamenten pro
Jahr eine Beobachtung über längere Zeiträume nur sehr eingeschränkt erlaubt161.
Die Anhörung jedes einzelnen Testaments vor dem versammelten Rat war
in Korneuburg – im Gegensatz zu Wien mit hunderten Geschäften im Jahr –
grundsätzlich durchführbar und ist zumindest bei umfangreichen Testamenten
angesehener Bürgerinnen wie Anna Pestorffer wohl auch anzunehmen, doch ist
ebenso denkbar, dass Testamentseröffnungen im Laufe des 15. Jahrhunderts als
Teil des Verwaltungsalltags jederzeit oder zu bestimmten Terminen außerhalb
der Sitzungen oder stellvertretend für den Rat vor einzelnen Ratsherren stattfinden
konnten.
159 Ratsherren und Genannte bezeugten bei dem Eid, den sie der Herrschaft bzw. dem Landesfürsten
geschworen haben, Geistliche bei ihrer Priesterschaft, Bürger ohne Amt und Bewohner
aus umliegenden Orten bei ihrem starken, aufrechten Eid oder ihrer Treue; vgl. zu
den Eidesformeln Lentze, Wiener Testamentsrecht I, 130.
160 Brauneder/Jaritz, Wiener Stadtbücher 1 nn. 105, 195, 197; Brauneder/Jaritz/Neschwara,
Wiener Stadtbücher 2 n. 696, 723, 902, 930, 1191.
161 Einbringung an knapp aufeinander folgenden Tagen z. B. im Jahr 1444 am 9. (FR), 10.
(SA), 14. (MI) und 20. Oktober (DI); im Jahr 1452 am 1. (FR), 6. (MI) und 8. Dezember
(FR), StAK, Hs. 3/160 fol. 2r–5v, 39v–43r; ein regelmäßiger Wochenrhythmus hingegen z.
B. im Jahr 1451 jeweils am Freitag den 4., 11. und 18. Juni, ebd. fol. 35r–37v.
64
Mündlich, schriftlich, eigenhändig
Das gesamte Procedere der Einbringung wie auch das entsprechende Formular
der Stadtbucheinträge – vor den Rat kommen, nach Recht weisen und bringen
und mit ihrem Eid bezeugen – geht letztlich auf die ursprünglich mündliche Errichtung
eines Testaments zurück, für dessen Rechtswirksamkeit die Weisung
der Zeugen unabdingbar notwendig war162. Die Mehrheit der Testamente des 15.
Jahrhunderts war allerdings schriftlich abgefasst, viele mit aufgedrücktem Petschaft
beglaubigt und verschlossen, seltener mit angehängtem Siegel.
Wer die Niederschrift vornahm, wird nicht gesagt, vermutlich – wie anderswo
auch – Geistliche, Stadtschreiber, Schulmeister, die Geschäftsleute oder
die Testatoren selbst163. Eigenhändigkeit wird sehr selten vermerkt, entweder
war sie eine absolute Ausnahme oder im Laufe des 15. Jahrhunderts nicht mehr
so ungewöhnlich, dass sie eigens festgehalten wurde164. Bei manchen Testamenten
wie etwa jenem des Korneuburger Pfarrers Mag. Peter Seidenspinner, ist sie
aufgrund seiner Bildung wohl anzunehmen165. Im frühen 16. Jahrhundert waren
zumindest in Wien eigenhändig geschriebene oder/und unterschriebene Testamente
so verbreitet, dass die dafür nötigen Beglaubigungsmittel 1526 genau geregelt
wurden. Das mündliche Testament wurde nur mehr für den Fall der Todkrankheit
zugelassen166.
Die äußere Form der Geschäfte – schriftlich, mündlich, verschlossen, besiegelt
usw. – wird allerdings im Stadtbuch nicht einheitlich, manchmal überhaupt
nicht angegeben, weil sie letztlich wie die Eigenhändigkeit rechtlich unerheblich
war. Die Länge der Testamente, die detailreichen Angaben der Verfügungen,
aber auch die teilweise wortwörtlichen Wiedergaben in Ich-Form setzen
in den meisten Fällen Schriftlichkeit voraus. Nur vereinzelte sehr kurze Geschäfte
mit Formulierungen wie „dem Rat davon Kundschaft sagen“, „uns zu
162 Vgl. Lentze, Wiener Testamentsrecht I, 125 f.
163 Vgl. Demelius, Stadtbuch Mautern 75 f. – Bei Anna Pestoffer (s. Anm. 150) beispielsweise
könnte der ehemalige Stadtschreiber Jeromin Tonpekch die Niederschrift vorgenommen
haben, dem sie einen Geldbetrag vermachte, bei anderen Testamenten war es vielleicht dessen
Vorgänger Erhart von Asparn, der häufig als Zeuge fungierte.
164 1438 hatte laut Vermerk im Stadtbuch Caspar Steinmetz sein Geschäft eigenhändig geschrieben
und mit seinem Petschaft versehen, StAK, Hs. 3/159 fol. 72r (Errichtung oder
Eintrag [?] 1438 X 11); 1475 beurkundete Augustin Kaltenstainer sein Testament (s. Anm.
189) mit eigener Hand: Gib ich zu urkund mein aigne handtgeschrifft an disen zedl, womit
wohl seine Unterschrift gemeint ist. – Zur Unterschrift vgl. Lentze, Wiener Testamentsrecht
I, 134, demzufolge nur Petschaft oder Siegel der Beglaubigung dienten, nicht aber die Unterschrift,
die auch bei eigenhändigen Testamenten fehlen würde. Seine Ergebnisse basieren
allerdings auf den nur bis 1430 überlieferten Wiener Testamenten.
165 Zu ihm s. Anm. 48.
166 Stadt- und Stadtgerichtsordnung Ferdinands I., vgl. Lentze, Wiener Testamentsrecht II,
226.
65
vermerken geben“ oder ohne Formeln aus der Urkundensprache dürften noch
mündlich vor Zeugen abgeschlossen worden sein167.
Persönlich und vor aller Augen
Trotz der Verschriftlichung des Testierens war der persönliche Zeugenbeweis
im 15. Jahrhundert weiterhin maßgeblich. Nur in seltenen Fällen ersetzte das
besiegelte Testament die Zeugen und die Einbringung erfolgte nur durch dessen
Vorlage, wobei für Beweiskraft und Gültigkeit weder die Besiegelungsform
noch das Urkundenformular – Siegelurkunde bzw. das etwas formlosere Geschäft
mit Petschaftabdruck – eine Rolle spielten168. Wohl wegen der Außergewöhnlichkeit
der Einbringung wurden solche Testamente fast immer wortwörtlich
in das Stadtbuch eingetragen169.
Die Weisung vor dem Rat blieb ein an die persönliche Anwesenheit gebundener
Rechtsvorgang, unabhängig davon, ob das Geschäft nur ein Zettel oder
eine beeindruckende Siegelurkunde war. Die Beteiligten – Familie, Zeugen, Begünstigte,
Testamentsvollstrecker, Ratsherren, Stadtschreiber – waren einander
durch Verwandtschaft, Nachbarschaft, Besitz, Politik und Geschäftsleben meist
wohl sehr vertraut, zumindest aber gut bekannt. In der überschaubaren Welt einer
Kleinstadt geschah der Gang in das Rathaus ‚vor aller Augen’ – die Sorge
für die Hinterbliebenen und für das Seelenheil ebenfalls. Spätestens zu diesem
Zeitpunkt wurde der Letzte Wille der Verstorbenen und deren persönlichindividuelle
Form der Zukunftsvorsorge zu einem öffentlichen Akt, dessen Öffentlichkeitsgrad
mit Position und Vermögen stieg. Anna Pestorffer dürfte den
gesellschaftlichen Erwartungen an eine wohlhabende Witwe entsprochen haben,
167 Sicher das erste eingetragene Testament des Ulreich Schreczenczangk von 1401 (s. Anm.
136), wohl auch die Testamente der Katrey Smidin (1422), der Geistlichen Arnolt (1429)
und Jorg (1433), des Wolfhart Dorn (1436) und des Krämers Philipp Ruedolff (1468?), sicher
das Testament der Cecilia Sailer (1492): StAK, Hs. 3/159 fol. 10v, 20r, 34v, 45r, 59v,
Hs. 3/160 fol. 118r, 189r.
168 Einbringung durch Urkundenbeweis z. B. Uiblein, Bücherverzeichnisse n. 2 (Niclas Leitgeb),
n. 19 (Mert Heyss), StAK, Hs. 3/160 fol. 35v–37r (Anna Gusner), fol. 44v–46r (Anna
Lewin), fol. 51v–52r (Hans Kramer), fol. 92v–93r (Mert Sighart), fol. 167r (Anna Hewndl).
– Zu den angeblichen Differenzierungen in der Besiegelung (Siegel oder Petschaft) und im
Formular vgl. Demelius, Stadtbuch Mautern 76 f., der zwischen Briefgeschäft (Siegelurkunde)
und Buchgeschäft (Petschaftsaufdruck) unterscheidet, sowie ausführlich Lentze,
Wiener Testamentsrecht I, 136 ff. Ihrer rechtshistorischen Systematik widerspricht allerdings
die ‚inkonsequente’ Begrifflichkeit der Korneuburger Stadtschreiber, die sowohl Testamente
mit Siegel als auch mit Petschaft als „besiegelten Geschäftsbrief“ bezeichneten, so
z. B. bei Anna Gusner (Siegel) und Anna Lewin (Petschaft).
169 Zu den wortwörtlich eingetragenen Ausnahmen gehören auch die Abschriften aus den
Wiener- und Klosterneuburger Stadtbüchern (s. Anm. 121) sowie – statt des Zeugeneids –
eine besiegelte Zeugenurkunde mit dem inserierten Testament der Anna Swab, StAK, Hs.
3/160 fol. 18r–v (1447 V 12).
66
denn sie sorgte mit Jahrtagen, Almosen, Legaten an Geistliche und Klöster und
eine Altarstiftung in reichem Maß für ihr Seelenheil170.
Und das Leben geht weiter
Das erste Monat nach dem Tod war in jenen Schichten, die es sich leisten konnten,
ausgefüllt mit aufwändigen Totenfeierlichkeiten: Begräbnis, Leichenbegängnisse
und Messen. Ob es für den Zeitpunkt der Testamentseröffnung daher
der Trauerzeit angemessene Normen oder Gewohnheiten gab, lässt sich schwer
sagen, da das Todesdatum nicht vermerkt wird. Anhaltspunkte liefern aber die
häufig angegebenen Daten der Errichtung. Mehrheitlich wurden die Testamente
in den letzten Monaten vor der Einbringung abgeschlossen, manche nur wenige
Wochen davor, einige innerhalb der letzten 14 Tage, also knapp vor dem
Tod.171.
Demnach ist von einer relativ raschen Testamentseröffnung nach dem
Tod auszugehen, vermutlich nach den Begräbnis- und Totenfeierlichkeiten der
ersten Woche. Für diese Annahme spricht das Testament des Korneuburger
Ratsherrn Wolfgang Helfreich, von dem auch Todestag und Todesstunde unterhalb
seinem Geschäft vermerkt wurden, aus welchen Gründen auch immer. Sein
Geschäft wurde acht Tage nach seinem Tod vor den Rat gebracht172. Wie alle
angesehenen Bürger hatte er ein Leichenbegängnis am 1., 7. und 30. Tag verfügt.
Angesichts seiner Stellung, aber auch jener der Einbringer – darunter der
Pfarrer und der Stadtschreiber – ist von der Einhaltung des üblichen angemessenen
Zeitraums nach dem Tod auszugehen, der offenbar zumindest eine Woche
umfasste173. Nur in seltenen Fällen wurde sogar die Wochenfrist unterschritten
und die Testamente nur wenige Tage nach der Errichtung, die kurz vor dem Tod
erfolgt sein musste, vor den Rat gebracht174.
170 Anna Pestorffer (s. Anm. 150) verfügte außer der üblichen Begehung am 1., 7. und 30. Tag
zwei Jahrtage auf 10 Jahre und einen Jahrtag auf 20 Jahre, Almosen für das Bürgerspital
und Hausarme, Legate für die drei Kantoren und alle Kapläne der Pfarre, größere Geldbeträge
für zwei Wiener Klöster und die Kartause Mauerbach sowie 50 lb. auf den Annenaltar
in der Korneuburger Nikolaikapelle für eine jährliche Gülte von 2 lb., dessen Kaplan sich
zudem einen ihrer Silberbecher aussuchen durfte.
171 Vgl. Demelius, Stadtbuch Mautern 74, der ebenfalls einen knappen Zeitraum zwischen
Errichtung und Weisung feststellte.
172 Wolfgang Helfreich starb am Freitag, den 19. Oktober 1453, sein Testament wurde am 27.
Oktober 1453 (Samstag) eingebracht, Uiblein, Bücherverzeichnisse n. 11; Vermerk zum
Tod im Anschluss an das Geschäft: Nota anno etc. LIIIo feria sexta ante undecim milium
virginum hora fere octava eiusdem diei Wolfgangus Helfreich civis ac consul hic suum
clausit diem extremum, cuius anima requiescat in pace.
173 Die Wiener Stadt- und Stadtgerichtsordnung Ferdinands I. von 1526 schrieb die Anzeige
des Testaments binnen acht Tagen nach dem Tod vor dem Bürgermeister vor, der dann einen
Termin für die Testamentseröffnung festsetzte, vgl. Lentze, Wiener Testamentsrecht II,
227.
174 So bei Margret Melhornin, StAK, Hs. 3/160 fol. 38r (Testament 1451 IV 24, Eintrag 1451
IV 30), und Augustin Lauttrer, ebd. fol. 40r–41r (Testament 1452 IX 27, Eintrag 1452 X 1).
67
Das Leben scheint aber auch in den reichen und tonangebenden Familien
der Korneuburger Gesellschaft bisweilen überraschend schnell weitergegangen
zu sein. So heiratete der seit Juni 1448 verwitwete Ratsbürger Peter Edelgut,
jahrzehntelang Mitglied des Rats, schon im Frühherbst seine dritte Frau Anna
Prewer, ebenfalls aus prominenter Familie und gerade verwitwet. Beide hatten
wohl nur die Mindestzeit, maximal aber ein Monat, abgewartet, denn Anna hatte
ihren Ehemann Paul erst Ende August oder im September begraben. Bei der
Einbringung seines Testaments vor dem Rat war sie bereits wieder verheiratet –
und sie war keineswegs ein Einzelfall175. Vorstellungen von langen Trauerzeiten
widersprechen den Quellen, weder hatte man mit der Regelung des Nachlasses
allzu lange gewartet noch mit neuen Hausstandsgründungen176.
II. Rechte, Pflichten, Interessen
Grundlegende Funktion eines Testaments war die diesseitige und jenseitige Zukunftsvorsorge,
auch wenn die in manchen Testamenten entgegentretende Dominanz
von Seelenheilstiftungen zuweilen den Eindruck entstehen lässt, die
Sorge für das Seelenheil wäre das beherrschende Motiv der Vorbereitung auf
den Tod gewesen177. Tatsächlich bildet in den meisten letztwilligen Verfügungen
die Regelung des ökonomischen und sozialen Lebens der Familie und des
Haushalts den Hauptinhalt oder auch, wie in etwa zehn Prozent der Korneuburger
Testamente, den alleinigen Inhalt ohne Seelgerät. Dessen Umfang ist daher
immer im Verhältnis zur familiären, sozialen und wirtschaftlichen Situation,
zum Alter, Familienstand und den verwandtschaftlichen Verpflichtungen sowie
Schulden der Testatoren zu sehen, aber nicht unbedingt ein Gradmesser individueller
Frömmigkeit. Die ‚Solidargemeinschaft’ der Lebenden und Toten beruhte
auf sehr ‚handfesten’ finanziellen Fundamenten. Sich des solidarischen Handelns
der meist mit der Ausrichtung des Seelgeräts betrauten Hinterbliebenen zu
versichern, hieß zuallererst, ihre Zukunft auf eine sichere, weder von Streitigkeiten
noch Schuldenlast bedrohte Basis zu stellen.
175 Zur Heirat von Peter Edelgut und Anna Prewer s. die Testamente der Dorothe Edelgut,
StAK, Hs. 3/160 fol. 24v–25r (Testament 1448 V 24, Eintrag 1448 VII 6), und des Paul
Prewer, ebd. fol. 25v–26r (Testament 1448 VIII 24, Eintrag 1448 X 5). Die Einbringung
durch die bereits wiederverheirateten Witwen z. B. auch bei Thomas Strobl und Jörg
Hewndl, ebd. fol. 61r–v (1456 III 1), fol. 61v–62r (1456 III 09); zu Letzterem s. auch die
Anm. 190, 191.
176 Nach Lentze, Begräbnis und Jahrtag 331 f., erfolgten Haushaltsauflösung und Erbschaftsregelungen
erst nach dem Ende der einmonatigen Trauerzeit mit dem Dreißigsten. Die Heirat
Edelgut-Prewer belegt, dass man damit offenbar recht ‚elastisch’ umging, denn die
Hochzeitsvorbereitungen mussten in der Trauerzeit geschehen sein.
177 Vor der Überbetonung der Sorge für das Seelenheil warnt schon Chiffoleau, Comptabilité
de l’au-delà 34; zur gesellschaftlichen Pflicht der Vorsorge für die Hinterbliebenen Pohl-
Resl, Vorsorge 181 ff.
68
1. Wider Erwarten: eines Bürgermeisters Geschäft
An einem Sonntagmorgen im Oktober 1419 sorgte in Wien eine prominente
Testamentserrichtung für Irritationen: Der langjährige Wiener Bürgermeister
Rudolf Angerfelder machte, nachdem er die Kommunion empfangen hatte, in
Gegenwart zweier zu sich gerufener Ratsherren sein Geschäft und hinterließ sein
gesamtes, sicher beträchtliches Vermögen seinen Söhnen Georg (Gorg) und
Hans. Seine beiden anderen Söhne hatte er erst kürzlich begraben und deshalb
sein früheres Testament vernichtet. Weder verfügte er jetzt etwas für sein Seelenheil,
noch bedachte er seine Frau. Auch nach dreimaliger Nachfrage der Geschäftsleute,
ob er tatsächlich nichts für seine Seele vermachen wolle, blieb er
dabei, ohne sich weiter zu äußern, des wolt er nicht und swaig nür still. Auch zu
seiner Frau ebenfalls mehrmals befragt, meinte er nur knapp, sy hiet genug. Erst
nach weiteren Ermahnungen erklärte er schließlich, für sie um 500 lb. ein Leibgedinge
gekauft zu haben und darüber hinaus ihr nichts vererben zu wollen. Die
Ausrichtung empfahl er den beiden Ratsherren und seinem Beichtvater. Rudolf
Angerfelder starb bald darauf, knapp drei Wochen später wurde sein Geschäft in
das Wiener Stadtbuch eingetragen178.
Selten wird in den Quellen die Errichtung eines Testaments so lebendig
dargestellt, dass die Menschen mit ihren Geschichten spürbar werden. Verbitterung
und Konflikte scheinen aus dem Text zu sprechen. Was auch immer Angerfelder
zu seinem Vermächtnis bewog, seine dezidierte Weigerung, für sein
Seelenheil und seine Frau zu sorgen, war äußerst ungewöhnlich und, soweit für
Wien überliefert, die Ausnahme179.
Die Reaktion auf sein Testament macht deutlich, was von einer testamentarischen
Zukunftsvorsorge eines verheirateten Bürgers erwartet wurde: Sorge
für die Seele und Sorge für die Ehefrau. In beiden Fällen mussten Zuwendungen
explizit verfügt werden, andernfalls fiel das Erbe nach geltendem Recht an die
Kinder und nächsten Verwandten. Die sich seit dem 13. Jahrhundert im städtischen
Umfeld durchsetzende Testierfreiheit erhöhte zwar die autonome Gestaltung
der Vermögensverteilung gegenüber dem Erbrecht, ließ aber auch ein
Spannungsfeld konkurrierender Rechte, Pflichten und Interessen entstehen, die
178 WrStLA, Stadtbuch 3 fol. 15v (Testament 1419 X 22, Eintrag 1419 XI 10), Druck bei
Lentze, Wiener Testamentsrecht I, 132: Auch vragt wir in, ob er icht durch seiner sellen
willen schaffen wolt; des vragt wir in wol zu dem dritten mal, des wolt er nicht und swaig
nür still. Auch vragt wir in wol zu dem dritten mal, ob er seiner hausfrawn icht schaffen
wolt. Des wolt er nicht und sprach, sy hiet gen􀀀g. Und da w􀀀r in mer manten, das tet im
ant und ward da uber reden, sy hiet gen􀀀g, wenn er hiet 􀀀r von dem Zîngken das leibgeding
abgekaufft umb fünfhundert phunt phennig … – Zu Rudolf Angerfelder, Wiener Bürgermeister
1405/06, 1411–1419, Münzmeister 1413–1419, vgl. Richard Perger, Die Wiener
Ratsbürger 1396–1526. Ein Handbuch (Forschungen und Beiträge zur Wiener Stadtgeschichte
18) Wien 1988, 164 n. 7; zum Testament vgl. auch Jaritz, Realienkundliche Aussage
185, und Pohl-Resl, Vorsorge 181.
179 Nach Jaritz, Realienkundliche Aussage 185, ist er der Einzige, von dem in Wien die Weigerung
für sein Seelenheil zu sorgen überliefert ist.
69
das Sterbebett mitunter zum Schauplatz gezielter Beeinflussung durch entsprechend
mahnende Geschäftsherren, Verwandte und Geistliche machten – Kontext
der Empfehlung der Ars moriendi, Testamente nicht erst im Angesicht des Todes
zu machen180.
Rudolf Angerfelder starb sicher versehen mit den Sakramenten der Kirche,
vermutlich gespendet von seinem Beichtvater. Seine Weigerung, für seine
Seele zu sorgen, musste nicht unbedingt Distanz zu Gott oder der Kirche bedeuten.
Vielleicht hatte er sein Seelenheil seinen Söhnen oder auch seiner, mit dem
enorm hohen Leibgedinge von 500 lb. keineswegs unversorgt gebliebenen Frau
anempfohlen. Und vielleicht bildeten nicht familiäre Konflikte, sondern zuvor
abgesprochene Vereinbarungen zur Sicherung des Gesamtvermögens den Hintergrund
und erklären die Wortkargheit gegenüber den Ratskollegen, einer von
ihnen Kirchenmeister von St. Stephan und sicher an einer Vermehrung des Kirchenvermögens
interessiert. Das Testament war sicher kein ‚spontaner Akt’ eines
verbitterten alten Mannes, sondern ein wohl überlegtes und von langer Hand
vorbereitetes Geschäft und nicht zufällig am ‚Tag des Herrn’ errichtet, nachdem
Angerfelder die Kommunion empfangen hatte. Aus seinem Vermächtnis vorschnell
nur Konflikte mit Gott und der Welt herauslesen zu wollen, hieße unter
Umständen einen erfahrenen Geschäftsmann, immerhin langjähriger Bürgermeister
und Münzmeister von Wien, zu unterschätzen. Langfristig erwies sich
zumindest für Sohn Hans der Letzte Wille des Vaters als überaus zukunftssichernd.
Er wurde 20 Jahre später Ratsherr und brachte es bis zum Wiener Stadtrichter181.
Testamente waren immer auch ‚Geschäfte’ im heutigen Wortsinn, von
dem im Fall Angerfelders unmittelbar weder die Kirche noch die restliche Verwandtschaft
profitierte.
2. Vererben und erben
Ein Testament zu errichten, etwas zu „schaffen“, setzte Interesse und Besitz voraus,
denn testierfähig waren alle Männer und Frauen ab Erreichen der Volljährigkeit
mit 18 Jahren, testiert haben aber tatsächlich nur zwischen ein und zehn
Prozent der Bevölkerung182. Auch wenn sich der prozentuelle Anteil mit Ver-
180 Vgl. Pohl-Resl, Vorsorge 184; Katharina Simon-Muscheid, Die Dinge im Schnittpunkt
sozialer Beziehungsnetze. Reden und Objekte im Alltag (Oberrhein, 14. bis 16. Jahrhundert)
(Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 193) Göttingen 2004,
316 ff.; Beispiele für Seelgerät einmahnende Geschäftsherren bei Majorossy, Archives of
the Dead 18. Zur Ars moriendi s. oben Teil 1, Kap. II/5 und die Anm. 104 ff.
181 Zu Hans d. J. Angerfelder s. Perger, Wiener Ratsbürger 163 n. 5.
182 Zu der auch für Korneuburg geltenden Testierfähigkeit und Großjährigkeit mit 18 Jahren
vgl. Lentze, Wiener Testamentsrecht I, 149 ff. – Prozentberechnungen erweisen sich infolge
der vielen Unbekannten (Einwohnerzahl, Generationenfolge, Anteil der Minderjährigen,
Lebenserwartung usw.) als schwierig und in den Ergebnissen sehr unterschiedlich: So errechnete
Baur, Testament und Bürgerschaft 115, für Konstanz (ca. 6000 Einwohner) mit
245 Testatoren im 15. Jahrhundert, also ca. 80 pro Generation, 1,33% der Bevölkerung;
Szende, Besonderheiten 109 f., wesentlich optimistischer, kommt für den Zeitraum von
70
mögen und Ansehen erhöhte – in Korneuburg lässt sich etwa ein Viertel der
Testatoren den Ratsfamilien zuordnen –, haben selbst von jenen ca. 50 Männern,
die zwischen 1444 und 1474 besonders häufig als Zeugen fungierten und mehrheitlich
Ratsmitglieder waren, nur die Hälfte ein Testament errichtet. Die andere
Hälfte, wiewohl vermögend, angesehen und mit dem Instrument des Testierens
vertraut, bedienten sich anscheinend keiner letztwilligen Verfügung zur Regelung
von Besitznachfolge, Vermögensverteilung und Seelenheil, zumindest sind
ihre Testamente nicht im Stadtbuch überliefert183.
Erbrecht
Grundsätzlich bedurfte die Weitergabe des Vermögens und die damit verbundene
Versorgung der Hinterbliebenen auch keiner testamentarischen Verfügung,
sondern war durch die gesetzlichen Bestimmungen des Erbrechts genauestens
geregelt. Nach den geltenden Rechtsnormen fielen die Erbgüter an die Kinder
und bei Kinderlosigkeit gemäß Fallrecht – Rückfall auf jene Seite, von der sie
herkommen – an die nächsten Blutsverwandten in genau geregelter Abfolge.
Generell von der Erbfolge ausgeschlossen waren nach dem österreichischen
Recht die Aszendenten bzw. vorigen Generationen184. Die überlebenden Ehepartner
besaßen ursprünglich kein Recht auf das Erbgut, aber ein Nutzungsrecht
an den Immobilien und selbstverständlich Anspruch auf gemeinsam erworbenen
Besitz. Die Versorgung der Witwen wurde durch die Widerlage – Sicherstellung
des von der Frau eingebrachten Heiratsguts (Heimsteuer) in gleicher Höhe auf
Liegenschaften – gesichert, darüber hinaus hatten sie Anspruch auf die gesamte
oder zumindest einen der Aussteuer entsprechenden Teil der Fahrhabe185.
Testamentarisch konnte prinzipiell nur über erworbenes und mobiles Gut
verfügt werden, nicht über Erbgut. Die zunehmende Kapitalisierung von Grundbesitz
im Wirtschaftsleben führte allerdings im Spätmittelalter trotz wiederholt
1450–1490 in Ödenburg (ca. 3000 Einwohner) mit 116 Testamenten auf 5,4%, in Pressburg
(ca. 5000 Einwohner) mit 328 Testamenten auf 9,3%. Im Vergleich dazu würden die zwei
niederösterreichischen Kleinstädte Korneuburg und Tulln mit über 500 bzw. 600 Testamenten
bei geschätzten 1000–1500 Einwohnern, also ca. 170–200 pro Generation, im 15. Jahrhundert
prozentuell im Spitzenfeld liegen, was doch etwas vorsichtig gegenüber den Berechnungen
macht, so faszinierend sie auch sein mögen.
183 Zur Überlieferung s. oben Teil 2, Kap. I./1.
184 Zum Erbrecht vgl. Gunter Wesener, Geschichte des Erbrechts in Österreich seit der Rezeption
(Forschungen zur Neueren Privatrechtsgeschichte 4). Graz-Köln 1957, 32 ff., 56 ff.,
zur Verwandtschaftsgliederung nach Parentelen ebd. 34; weiters Lentze, Wiener Testamentsrecht
II, 178.
185 Das Heiratsgabensystem erfüllte gleichzeitig die Funktion einer Beitragsleistung für die
Hausstandsgründung (Heimsteuer) und einer Überlebendenversorgung (Widerlage), vgl.
Wilhelm Brauneder, Frau und Vermögen im spätmittelalterlichen Österreich, in: Frau und
spätmittelalterlicher Alltag (Veröffentlichungen des Instituts für mittelalterliche Realienkunde
Österreichs 9 = Sitzungsberichte der Österreichischen Akademie der Wissenschaften,
phil.-hist. Kl. 473) Wien 1986, 573–585, bes. 581 ff.
71
gegensteuernder Versuche der Landesfürsten zu einer Veränderung in der Einstellung
zum Erbgut bzw. zu Konflikten zwischen den Interessen der Testatoren
und jenen der Kinder und Verwandten. Die sich ab dem 13. Jahrhundert im städtischen
Umfeld durchsetzende Testierfreiheit ermöglichte gegenüber den strengen
gesetzlichen Regelungen eine autonomere Gestaltung der Vermögensweitergabe,
auch des ererbten Besitzes. Zu dem rechtlich definierten Erbenkreis
der Kinder und Verwandten traten die Ehepartner, sonstige nahe stehende Personen
sowie religiöse und karitative Institutionen. Zuwendungen an diese Gruppe
von Erbberechtigten mussten allerdings explizit testamentarisch verfügt werden,
andernfalls unterlag das Vermögen den Mechanismen des Erbrechts. Da
das deutschrechtliche Testament im Gegensatz zum römischen Recht keine Universalsukzession
durch Einsetzung eines Gesamtrechtsnachfolgers kannte, sondern
den Charakter eines Legatentestaments besaß, mit dem mehrere Erben in
einzelne Nachlassgegenstände eingesetzt wurden, enthalten mittelalterliche Testamente
häufig nur Einzelverfügungen über Teile des Vermögens oder konnten
ausschließlich aus Vergaben für das Seelenheil bestehen, während der restliche
Nachlass außertestamentarisch nach dem Erbrecht verteilt wurde186.
‚Zukunftsvorsorge’ bestand daher immer aus einem Nebeneinander von
gesetzlich geregelter Erbfolge und freier letztwilliger Verfügung. Rückschlüsse
auf das Vermögen auf Basis der Testamente sind daher nur bedingt möglich.
Während hohe Verfügungen mit großer Sicherheit auf Reichtum verweisen, ist
der Umkehrschluss, geringe Vermögenswerte bedeuten wenig Besitz, nicht einfach
möglich, da über den Großteil des Besitzes möglicherweise gar nicht letztwillig
verfügt wurde.
Ehepartner
Für das Spätmittelalter ist in Ostösterreich eine generelle Entwicklung zugunsten
der Ehepartner, insbesondere der Witwen, festzustellen, die gleichberechtigt
in die ursprünglich nur von Kindern und Verwandten gebildete Erbengemeinschaft
eintraten, während die Verwandten zunehmend zurückgedrängt wurden187.
Die oft schon in Eheverträgen vereinbarte gegenseitige Vermögenszuwendung
ermöglichte Kapitalbildung und -erhaltung, eine allerdings zunächst einseitig
von den Ehemännern geübte Praxis, die wiederum die Väter zum Schutz
der Töchter bzw. des familieneigenen Erbguts mobilisierte, die solche Eheverträge
zu verhindern suchten oder Erbschaftsprozesse gegen die Schwiegersöhne
anstrengten188. So beschäftigte Ende der 1450er Jahre ein überaus prominenter
Erbschaftsstreit zwischen zwei Korneuburger Ratsfamilien die Gemüter. Tho-
186 Zur historischen Entwicklung der Testierfreiheit vgl. Baur, Testament und Bürgerschaft 11
ff.; zur Wiener Entwicklung Lentze, Wiener Testamentsrecht I, 100 ff., II, 168 ff.
187 Vgl. Pohl-Resl, Vorsorge 186; Lentze, Wiener Testamentsrecht II, 169 f.
188 Vgl. Pohl-Resl, ebd. 192; Lentze, ebd. 222 ff.
72
mas Swercz, Stifter des Wolfgangsaltars in der Pfarrkirche und bis heute durch
seinen Grabstein im Gedächtnis der Stadt präsent, beeinspruchte das Testament
seiner kinderlos gebliebenen Tochter Anna, die ihrem Mann Michel Hewndl ihr
gesamtes Vermögen – Gut, Erbgut und Fahrhabe – vermacht hatte. Der Swercz
zog im Namen seiner noch minderjährigen, um ihre Anteile aus dem Familienerbe
betrogenen Enkelkinder – Nichten und Neffen der Anna – gegen den
Schwiegersohn. Dieser allerdings konnte eine kaiserliche Bestätigung des Testaments
seiner Frau samt allerhöchstem Befehl, dieses einzuhalten, vorlegen,
eine aufgrund der Kanzleigebühren überaus teure und in Korneuburger Kreisen
daher sehr seltene Form der Absicherung, an der jeder Einspruch scheitern
musste. Der Schiedsspruch von August 1459, gefällt vom österreichischen
Hubmeister, dem Wiener Stadtrichter und vier Korneuburger Ratsherren, darunter
Swercz selbst, war ein vermutlich mühsam gefundener Kompromiss, der unter
Wahrung der kaiserlichen Autorität das Testament selbstverständlich unangetastet
ließ, dem Swercz und seinen Enkeln aber in absehbarer Zeit die stattliche
Summe von 200 lb. einbrachte, die ihm der Schwiegersohn schuldete und binnen
eineinhalb Jahren zu begleichen hatte189.
Die Familie Hewndl bietet aber auch ein Beispiel für den umgekehrten
Vermögensfluss zur Ehefrau; diesmal war allerdings Michel Hewndl der Benachteiligte,
die Begünstigte hingegen seine Schwägerin Barbara, Ehefrau seines
Bruders Jörg, der ihr fast sein gesamtes Vermögen vermacht hatte190. Barbara,
zum Zeitpunkt der Testamentseröffnung vor dem Rat bereits wiederverheiratet,
hinterließ bei ihrem Tod wenige Jahre später ein beträchtliches Vermögen, darunter
zwei Häuser neben dem Rathaus, und konnte sich ein hohes Seelgerät mit
1000 Messen leisten, ein nur der Korneuburger Elite vorbehaltener Luxus der
189 Streitsache Hewndl gegen Swercz, StAK, Hs. 3/160 fol. 167r–168v: Testament der Anna
Hewndl 1455 XI 10 (fol. 167r), Bestätigung Kaiser Friedrichs III. 1458 XI 3 (fol. 167v),
Einbringung des Testaments (Siegelurkunde) und der kaiserlichen Bestätigung durch Michel
Hewndl 1458 XI 27, Urteil von 1459 VIII 5 (fol. 167r–168v); der Eintrag aller die
Streitsache betreffenden Dokumente erfolgte erst in den 1480er Jahren. – Auch Augustin
Kaltenstainer, ebenfalls aus einer Ratsbürgerfamilie stammend, sicherte seiner Mutter das
ihr vermachte Vermögen durch eine kaiserliche Bestätigung, vermutlich weil eine
Beeinspruchung wegen des erbrechtlichen Ausschlusses der Aszendenten Erfolg gehabt
hätte, ebd. fol. 170v–171r: Testament 1475 II 14 (170v), Bestätigung Kaiser Friedrichs III.
1479 VIII 19 (170v–171r), Eintrag undatiert, wohl 1480er Jahre. Das anlässlich einer Romfahrt
errichtete und von Kaltenstainer eigenhändig unterschriebene Testament wurde gemeinsam
mit der kaiserliche Bestätigung im Archiv der Stadt verwahrt, wie aus dem Vermerk
über dem Eintrag der Kaiserurkunde hervorgeht: Kayserlicher bestatt darauf abgeschrifft
vnd ligt bestatt vnd das bemelt geschefft in dem gewelb (fol. 170v); zum Testament
s. auch Anm. 164.
190 Jörg Hewndl hatte sein Vermögen, Erbgut und Fahrhabe, seiner Frau Barbara vermacht
mit Ausnahme einiger Liegenschaften und eines Mantels, die sein Bruder Michel erhalten
sollte. Dessen Erbteil war allerdings an die Bedingung geknüpft, keinen Einspruch zu erheben,
andernfalls würde alles an die Witwe fallen, StAK, Hs. 3/160 fol. 61v–62r (1456 III
09). Zeuge des Testaments Jörg Hewndls war u. a. auch Thomas Swercz, der Schwiegervater
und Prozessgegner seines Bruders Michel.
73
Zukunftsvorsorge. Alleinerbe war bis auf die Vergaben für ihr Seelenheil ihr
zweiter Mann Stefan Kelhaimer191.
Diese Beispiele zeigen, wie der Vermögenstransfer zwischen den Familien
– von Swercz zu Hewndl bzw. von Hewndl zu Kelhaimer – über die Ehepartner
funktionierte und infolge der Mehrfachehen Kapital in bislang erbrechtlich
nicht vorgesehenen Bahnen in Bewegung kam, wenn auch zum Nachteil der
Ansprüche der Herkunftsfamilien. Wieweit das Interesse der Testatoren an Kapitalerhaltung
und Verhinderung von Besitzzersplitterung unter den Verwandten
gezielt politisch forciert wurde, um einer Abwanderung des Kapitals an auswärtige
Verwandte entgegenzuarbeiten, wie für Pressburg festgestellt wurde192, lässt
sich für Korneuburg nicht belegen, doch ist auffallend, dass die Entwicklung
zugunsten der Ehepartner vor allem in den kapitalkräftigen Donauhandelsstädten
Pressburg, Wien und Korneuburg zu beobachten ist.
Wie auch immer die Regelung für die Ehepartner ausfiel, sie musste testamentarisch
verfügt werden, andernfalls galt die gesetzliche Erbfolge. Die Tendenz,
Verwandte mit einzelnen Liegenschaften, Fahrhabe oder Geldlegaten abzufinden,
führte oft zu langwierigen Anfechtungen der Testamente, wie sie für
Wien und Wiener Neustadt gut belegt sind193. Zu deren Vermeidung dienten
Verfügungen wie jene Jörg Hewndls, der es seinem Bruder unmöglich machte,
das Testament zu beeinspruchen, oder die ausdrückliche Bestimmung, die Verwandten
hätten sich damit zu begnügen, woraus sich in Wiener Neustadt Anfang
des 16. Jahrhunderts die feststehende Rechtsformel das si daran genuegig sollen
sein entwickelte194.
Frauen
An der vermögenden Barbara Kelhaimer-Hewndl wird die verbesserte Stellung
der Witwen deutlich, die als Erbinnen wesentlich größere Handlungsspielräume
erhielten, sei es hinsichtlich ihres Lebensstandards und ihrer Lebensplanung, der
Erziehung und des Vermögens der Kinder oder ihres Seelenheils. Die Erbregelungen
zugunsten der Frauen waren sehr unterschiedlich und reichten von der
Überlassung nur des gemeinsam erworbenen Guts – meist Hausbesitz – in Alleineigentum
über die gleichmäßige Aufteilung des Vermögens zwischen Witwe
191 Barbara Kelhaimer, verwitwete Hewndl, errichtete zwei, wortwörtlich in das Stadtbuch
eingetragene Testamente, das zweite Testament aufgrund von Vermögensänderungen
knapp vor ihrem Tod, StAK, Hs. 3/160 fol. 82v–84v (1. Testament 1460 IX 5, 2. Testament
1461 V 11, Eintrag 1461 VI 2).
192 Vgl. Szende, Besonderheiten 110.
193 Zu Erbstreitigkeiten in Wien Pohl-Resl, Vorsorge 193 ff., in Wiener Neustadt Rist, Lebensbedingungen
von Frauen 322 ff. – Ein Erbstreit zwischen Mutter und Sohn in Korneuburg
wird im Testament der Anna Gusner erwähnt, demzufolge ihr die Güter, möglicherweise
ein Erbe ihres ersten Ehemanns, zugesprochen worden waren. Sie vererbte ihr gesamtes
Vermögen ihrem zweiten Ehemann Stefan Gusner und nicht ihrem Sohn Hans Molter,
StAK, Hs. 3/160 fol. 35v–37r (1451 VI 11).
194 Vgl. Staub, Bürgertestamente 505 f.
74
und Kindern bis zur Universalerben- und Sachwalterschaft für die minderjährigen
Kinder.
In Korneuburg sind über 40 Prozent der Testatoren Frauen, die in fast
gleichem Maß wie Männer über Liegenschaften – Häuser, Weingärten, Äcker,
Gärten, aber auch Gewerbebetriebe wie Fleischbänke, Mühlen und Kramläden –
verfügten, ein im niederösterreichischen Vergleich hoher Prozentsatz, der die
Bedeutung der Frauen für die Vermögensakkumulierung zeigt195. Als Eigentümerinnen
wie auch Geschäftsteilhaberinnen hatten sie erheblichen Anteil am
städtischen Wirtschaftsleben. Immobilien und Gewerbebetriebe waren aber
möglicherweise nur Wertanlage und Einnahmequelle, die Ausübung eines Gewerbes
bzw. die Führung des Betriebs in Verbindung mit dessen Weitergabe an
die Ehefrau lässt sich mangels entsprechender Verfügungen nicht feststellen196.
Ebenso wenig beantworten die Quellen die Frage, wieweit Frauen nicht
nur rechtlich, sondern auch in der Praxis selbstständige Verfügungsgewalt über
ihr Vermögen gegenüber den Ehemännern besaßen. Der Stadtrichter Caspar
Strasser, einer der mächtigsten und reichsten Männer Korneuburgs, musste zumindest
den Tod seiner Frau Agnes abwarten, bevor er in den Besitz von einem
ihrer Weingärten kam. Im Gegensatz zu ihr konnte sich ihre Mitbürgerin Dorothe
Pieger nicht gegen ihren zweiten Ehemann, den Ratsherrn Hans Pieger,
durchsetzen, der ihr die Widerlage und ihren Kindern aus erster Ehe das väterliche
Erbe vorenthalten hatte, weshalb sie die Angelegenheit schließlich testamen-
195 Bis 1444 lag der Frauenanteil bei 37% und stieg in der zweiten Jahrhunderthälfte auf 44%.
In Wiener Neustadt lag er bei 36%, vgl. Bastl/Freisleben, Vermögen und Vermächtnis 14.
Zum Verhältnis von Männer- und Frauentestamenten s. auch die Verhältnisangaben bei Jaritz,
Bürgertestamente 255: Korneuburg 4:3 zugunsten der Männer, Retz 2:1, Tulln: 8:5
(1414–1454), Mautern 6:5. Zur vermögensrechtlichen Gleichstellung von Männern und
Frauen vgl. Brauneder, Frau und Vermögen 575.
196 Zum selben Ergebnis für Pressburg und Ödenburg kommt Katalin Szende, A nők szerepe a
kézműiparban a késő-középkorban a soproni és pozsonyi végrendeletek tükrében [Frauen
und Handwerk in mittelalterlichen Testamenten – Fragen und Analysen des Ödenburger
und Pressburger Materials], in: Házi Jenő Emlékkönyv. Sopron 1993, 169–179. – In den
Testamenten werden Geschäftsweitergaben an die Ehefrauen nur in der Krämerfamilie Huber,
Inhaber des Kramladens bei der Nikolaikapelle, erwähnt: Jörg Huber vermachte 1458
seiner Frau Barbara den Kramladen mit lebenslänglichem Nutzungsrecht, dessen Sohn
Mert hinterließ ihn zehn Jahre später ebenfalls seiner Frau, s. zu ihnen Anm. 317. Teilhaberin
war auch Ursula, Witwe des Cristan Kramer, die ihren halben Anteil am Laden bei der
Nikolaikapelle der Pfarrkirche vermachte, StAK, Hs. 3/159 fol. 87r (1442 XI 2). Auf Geschäftsteilhabe
bzw. Miteigentum der Ehefrau weist auch das Testament des Hans Kramer,
der den Kramladen gegen Abfindung seiner Frau dem Vetter übergab, Hs. 3/160 fol. 51v–
52r (Testament 1452 VIII 27, Eintrag undat.). – Miteigentum wird auch bei den Fleischhackern
erwähnt: So waren die beiden Ehefrauen des Fleischhackers Hans Tibolt, laut ihren
Testamenten Eigentümerinnen der Fleischbank, ebd. fol. 117v (1468 XI 4), 189v–190r
(1492 II 6); auch der Fleischhacker Valtein Römer vermachte die Fleischbank seiner Ehefrau
und nach deren Tod der Fleischhackerzeche, ebd. fol. 57r–58r (1455 VII 1).
75
tarisch dem Rat übergab197. Diese zwei Streitfälle markieren aber nur Möglichkeiten
und Grenzen weiblicher Handlungsspielräume zwischen Macht und
Ohnmacht, innerhalb derer es zahlreiche individuelle Abstufungen gab. Hinter
Frauentestamenten konnte daher auch ein bei Frauen höheres Bedürfnis nach
größtmöglicher Absicherung ihres Letzten Willens gestanden haben, um sich,
wie einzelne Streitfälle zeigen, gegenüber Ehemännern und Verwandten durchsetzen
zu können198.
Vermögen in Frauenhand scheint offenbar das Interesse der Männer an einer
Testamentserrichtung ihrer Frauen erhöht zu haben. So sind von einigen
mehrfach verheirateten Ratsherren die Geschäfte ihrer Ehefrauen überliefert, ihr
eigenes interessanterweise aber nicht199.
Sorge um die Kinder
Die Versorgung der Kinder tritt in den Testamenten hauptsächlich im Falle ihrer
Minderjährigkeit auf, erwachsene Kinder werden häufig nicht genannt. Würde
man die in Testamenten aufscheinenden Familienverhältnisse als Abbild gesellschaftlicher
Realität interpretieren, so käme man auf das kuriose Ergebnis, dass
in Korneuburg oder Pressburg über 45 Prozent der Testatoren keine Kinder hatten,
in Mautern sogar 64 (!), obwohl etwa 80 Prozent verheiratet waren200. Die
Gründe dafür liegen selbstverständlich nicht in hoher Kinderlosigkeit, sondern
in der bereits erfolgten Abschichtung der Kinder, die bei Mündigkeit, Verehelichung
oder Klostereintritt ihr Erbteil gleichsam als ‚Startkapital’ schon erhalten
hatten201. Auch die Wiederverheiratung des überlebenden Elternteils war oft testamentarisch
festgesetzter Anlass der Auszahlung. Wenn in Testamenten nacheinander
verstorbener Elternteile die Anzahl der erwähnten minderjährigen Kin-
197 Agnes Strasser hatte ihm im Zusammenhang mit der Lösung aus der Gefangenschaft während
eines Feldzugs einen Weingarten versprochen, später aber dann doch nicht überlassen.
Nach ihrem Tod brachte er ihre Einverständniserklärung bzgl. der Übergabe des Weingartens
vor den Rat, StAK, Hs. 3/160 fol. 30v (1449 XI 21).– Testament der Dorothe Pieger,
ebd. fol. 23v–24r (1448 VI 14).
198 Z. B. Streitsache Vischlpegk, StAK, Hs. 3/160 fol. 48v–49r: Margreth Vischlpegk sicherte
ihrer noch minderjährigen Tochter Anna, vermutlich aus früherer Ehe, einen Großteil des
Erbes gegenüber ihrem Ehemann Niclas, der das Testament beeinspruchte (Testament 1449
I 10, Ratsurteil 1452 VI 9, Eintrag undat.). – Auch Magadalen Kreshans Testament beinhaltet
vor allem die Sicherung des Heiratsguts der Tochter im Streit mit dem Ehemann, ebd.
fol. 114r–v (1468 V 16).
199 Z. B. bei den Ratsherren Peter Edelgut, Wolfgang Halbemer und Wolfgang Jungling:
Margreth († 1436), Dorothe († 1448) und Anna († 1458) Edelgut, StAK, Hs. 3/159 fol. 64v
(1436 XII 22), Hs. 3/160 fol. 24v–25r (1448 VII 16), fol. 70r–v (1458 III 22). – Ursula (†
1453) und Regina († 1461) Halbemer, ebd. fol. 46r–47r (1453 III 4), fol. 87v–88r (1461 XI
23). – Ursula († 1462) und Anna († 1480) Jungling, ebd. fol. 96v (1462 IX 15), fol. 152v–
153r (1480 VI 6).
200 Prozentangaben nach Demelius, Stadtbuch Mautern 18 f., und Szende, Families in Testaments
113.
201 Vgl. Lentze, Wiener Testamentsrecht II, 163 f.
76
der unterschiedlich ist, musste nicht unbedingt frühzeitiger Tod, sondern konnte
auch Abschichtung der Grund sein202. Die Mehrheit der Väter und Mütter dürfte
ihrer Verpflichtung zur Versorgung der Kinder schon lange vor dem eigenen
Tod nachgekommen sein.
Anders sah die Situation bei minderjährigen Kindern aus. Ihre Lebensgrundlage
musste auf lange Zeit abgesichert werden und wurde daher sehr detailliert
unt Einschluss aller nur denkbaren Möglichkeiten geregelt. Ähnlich genaue
Bestimmungen zur langfristigen Sicherung finden sich sonst nur bei umfangreichen
Jahrtags- oder Altarstiftungen. Besonders Bargeldansprüche bei
Großjährigkeit oder als Heiratsgut wurden ausdrücklich geregelt, vermutlich
weil die Zahlungsfähigkeit einen der größten Unsicherheitsfaktoren darstellte.
Auch eine neue Ehe konnte das Erbe der Kinder bedrohen, wobei in solchen Fällen
die Verwandten eine wichtige Stütze zur Erstreitung ihrer Rechte gegen die
Stiefeltern spielten. Fehlten letztwillige Verfügungen für die Kinder, konnte sich
bei Waisen allein die Klärung der Vormundschaft unter Umständen Jahre hinziehen203.
Die Versorgung der minderjährigen Kinder – in Korneuburg hinterließen
32 Prozent der Testatoren Halbwaisen, acht Prozent Vollwaisen – dürfte eines
der wichtigsten Motive gewesen sein ein Testament zu errichten. Im Gegensatz
zu den gesetzlichen Regelungen wurde das Vermögen in der Regel je zur Hälfte
zwischen Kindern und überlebendem Elternteil aufgeteilt, dem meist auch Erziehung
und Vermögensverwaltung überlassen wurde. Parallel zur Verbesserung
der erbrechtlichen Stellung der Ehefrauen erweiterte sich auch der Verantwortungsbereich
der Mütter, die im Laufe des 15. Jahrhunderts oft uneingeschränkt
die gesamte Obsorge über die Kinder – mit „Leib und Gut“, wie es heißt – erhielten,
während ihnen zuvor durch Testamentsvollstrecker und Verwandte
deutliche Grenzen gesetzt waren und bei Wiederverheiratung fallweise sogar der
Entzug der Obsorge drohte204.
202 Ein Beispiel sind die Testamente des Ehepaars Pinter, StAK, Hs. 3/160 fol. 9v–10r (1445 I
29), fol. 41r–v (1452 XII 6): Peter Pinter vermachte seinen minderjährigen Töchtern Barbara
und Magdalen bei Großjährigkeit je 30 lb., seine sieben Jahre später verstorbene Frau
Anna erwähnt in ihrem Testament nur die minderjährige Barbara, deren Obsorge ihr zweiter
Ehemann Stefan Mitkreuch und ihr Bruder unter Einhaltung des väterlichen Testaments
erhielten. Entweder war Magdalen inzwischen verstorben oder sie hatte, großjährig geworden,
ihr Erbteil bereits erhalten.
203 Beispiele für den Streit mit dem Stiefvater im Interesse der Kinder aus früheren Ehen in
Anm. 197 f. (Pieger, Vischlpegk). Zu langwierigen Vormundschaftsstreitigkeiten vgl. auch
Staub, Bürgertestamente 486 ff., der den Fall der kleinen Katharina Wülich aus Wiener
Neustadt erwähnt, deren Eltern 1469 kurz nacheinander starben und über deren Vormundschaft
der Rat mit den Verwandten in Wien, Pressburg und Judenburg zwei Jahre verhandelte.
204 Vgl. Lentze, Wiener Testamentsrecht II, 172 f.; Pohl-Resl, Vorsorge 187; zu Wiener Neustadt
Rist, Lebensbedingungen von Frauen 281 ff. In der Korneuburger Überlieferung wurde
für den Fall der Wiederverheiratung nur die Vermögenssicherung der Kinder geregelt.
77
Eine andere mit dem Testieren verbundene Entwicklung war der Einsatz
des Testaments als Mittel der Disziplinierung. Die Eltern hatten damit ein Instrument
in der Hand, die Zukunft der Kinder auch im Hinblick auf deren Lebensplanung
und Lebensführung in ihrem Sinne zu regeln, indem das Erbe an
bestimmte Bedingungen gebunden wurde205. So drohte der Ratsbürger Hans Negel
seinem Sohn Stephan, sollte dieser nicht heiraten oder Priester werden und
den Besitz unnütz verschwenden, die ihm in Aussicht gestellten Immobilien für
eine Ewigmesse anlegen zu lassen206. Stephan verblieb aber auf jeden Fall die
hohe Geldsumme von 200 lb., er nagte also keineswegs am ‚Hungertuch’. Entweder
war die väterliche Sorge unbegründet oder die Drohung äußerst wirkungsvoll,
denn letztlich machte Stephan der Familie alle Ehre. Er heiratete,
wurde wie sein Vater Mitglied des Rats und zählte in der Erinnerung des 19.
Jahrhunderts zu den verdienstvollsten Stadtvätern seiner Zeit207.
Selbst bei einem ‚schwierigen’ Kind, wie es der jugendliche Stephan in
den Augen des Vaters möglicherweise war, galt der – im Gegensatz zu heute
umgekehrte – ‚Generationenvertrag’ zwischen Alten und Jungen: Die Alten versorgten
die Jungen durch Erbschaften mit Kapital zur Gründung einer eigenen
Existenz208. Nach den eigenen Kindern wurden daher Ziehkinder, Enkelkinder,
Pflegekinder und – weitaus häufiger als erwachsene Verwandte – minderjährige
Kinder in der Verwandtschaft mit Geld oder wertvoller Fahrhabe vor allem als
Heiratsgut bedacht. Auch Zuwendungen an nahestehende Personen bestanden
häufig in Legaten für deren Kinder.
Aus dem bisher Gesagten ergibt sich schon eine Unzahl von Motiven für
die Errichtung eines Testaments. Die gesellschaftlich erwartete Versorgung der
Familie, vor allem der Frauen und Kinder, war wohl das wichtigste Motiv. Weitere
Gründe waren die Vermeidung von Erbstreitigkeiten oder überhaupt Familienstreit,
der zu einer Nachlassregelung veranlasste, dann Zuwendungen an
nicht erbberechtigte Personen wie Eltern, Haushaltsangehörige, Freunde, Krankenpfleger,
Beichtväter usw., insbesondere wenn sie als Universal- oder Haupterben
eingesetzt wurden209. Aber auch Geschäftsübergaben, ausstehende Forde-
205 Grundlegend zu Testamenten als Mittel der Disziplinierung Gabriela Signori, Absolon und
die anderen … Ein Beitrag zum erzieherischen Gehalt letztwilliger Verfügungen, in: Disziplinierung
im Alltag des Mittelalters und der frühen Neuzeit (Veröffentlichungen des Instituts
für Realienkunde des Mittelalters und der frühen Neuzeit 17 = Sitzungsberichte der Österreichischen
Akademie der Wissenschaften, phil.-hist. Kl. 669) Wien 1999, 99–119.
206 Testament des Hans Negel, StAK, Hs. 3/160 fol. 133v–134v (1474 XI 18). Der Krämer
Philipp Ruedolff knüpfte das Erbe seiner Tochter an die Heirat mit einem Krämer, ebd. fol.
118r (zu 1468, Eintrag undat.). Beispiele für Wiener Neustadt bei Staub, Bürgertestamente
473 f., 493 f.
207 Das Wappen Stephan Negels wurde an der Rathausdecke angebracht (Stefan Nagel); überliefert
ist das Testament seiner Ehefrau Barbara, StAK, Hs. 3/160 fol. 164r (1483 I 11).
208 Vgl. Signori, Erzieherischer Gehalt 116, 119.
209 Der Schwiegersohn als Haupterbe bei der Witwe Anna Stern, StAK, Hs. 3/160 fol. 111v–
112v (1468 I 19 [?]); der Diener als Universalerbe bei der Witwe Margreth Pader, ebd. fol.
92v (1462 V 24). – Mütter werden zwar häufig mit Legaten bedacht, sehr selten sind sie
78
rungen oder Schuldentilgungen bis hin zur Zahlung der noch nicht geleisteten
Widerlage oder Nachlass der schuldigen Heimsteuer konnten ein Motiv sein210.
3. Heil der Seele
Ein bedeutendes und manchmal das einzige Motiv des Testierens war schließlich
die Sorge für das Seelenheil. Die angemessene Sorge für die Seele wurde,
wie das Geschäft des Wiener Bürgermeisters Rudolf Angerfelders zeigte, gesellschaftlich
erwartet – und 90 Prozent der Testatoren haben diesen Erwartungen
auch entsprochen.
Letztwillig verfügt
Alle Zuwendungen an Kirchen, Klöster, Geistliche, Bruderschaften sowie Almosen
waren Teil der autonomen Vermögensverteilung und bedurften der testamentarischen
Verfügung, um einen rechtlichen Anspruch zu begründen, andernfalls
oblag das Seelenheil dem Gutdünken der Erben. Geistliche Institutionen
zählten neben den Ehepartnern zu den ‚Gewinnern’ der Testierfreiheit, was
bei aller gesellschaftlichen Akzeptanz des Seelgeräts auch konfliktträchtig war,
sowohl zwischen Verwandtschaft und Kirche als auch zwischen den geistlichen
Institutionen211. Seelgeräte konnten beträchtliche Vermögenswerte umfassen,
die – was immer zu bedenken ist – gleichzeitig das Erbe der Hinterbliebenen
schmälerten.
Die Sorge für das Seelenheil konnte sehr unterschiedliche Größenordnungen
haben, abhängig von Besitz, sozialer Stellung und Anlass der Testamentserrichtung.
Bildete das Seelgerät den Hauptinhalt oder bestand es aus hohen Stiftungen
wie ewigen Jahrtagen und Messen, so war es sicherlich eines der zentralen
Motive oder das wichtigste Motiv des Testierens. In vielen Testamenten,
auch in jenen Wohlhabender, beschränkt es sich aber auf das Leichenbegängnis,
30 bis 60 Messen, Legate für den Kirchenbau und eventuell einen Jahrtag, während
der Großteil der Verfügungen der Besitzverteilung gewidmet ist. Im Verhältnis
zur Vermögensmasse waren die Seelenheilvergaben mitunter gering. Daaber
Haupterbinnen wie bei Augustin Kaltenstainer, Margreth Melhornin, Margreth Gretzmaroltin
oder Wolfgang Pranger (s. Anm. 188, 278, 281, 407).
210 Zu Geschäftsübergaben s. Anm. 196; Schulden und Forderungen als Hauptinhalt des Testaments
bei Erhart Vischess, Uiblein, Bücherverzeichnisse n. 25; Nachlass der schuldigen
Heimsteuer bei Wolfgang Helfreich, ebd. n. 11; Nachlass der schuldigen Widerlage bei
Elsbeth Schrikher, StAK, Hs. 3/160 fol. 93v (1462 VI 4); Zahlung der Widerlage bei Mert
Grefensulczer, ebd. fol. 123r–v (1472 V 25); Einforderung der Widerlage durch den Rat bei
Dorothe Pieger, ebd. fol. 23v–24r (1448 VI 14).
211 Vgl. Pohl-Resl, Vorsorge 184, bes. Anm. 15. Zum Kampf zwischen Pfarrgeistlichkeit und
Franziskanern am Sterbebett Christoph Ocker, ‚Rechte Arme’ und ‚Bettler Orden’. Eine
neue Sicht der Armut und die Delegitimierung der Bettelmönche, in: Bernhard Jussen u.
Craig Koslofsky, Kulturelle Reformation. Sinnformationen im Umbruch 1400–1600. Göttingen
1999, 129–157, 134.
79
hinter musste aber keineswegs mangelnde Frömmigkeit oder ein distanziertes
Verhältnis zur Kirche stehen, sondern ein nicht in erster Linie auf das Seelenheil
bezogener Grund des Testierens, der sich aus dem erbrechtlichen Hintergrund
erklärt.
Anempfohlen
Manchmal wurde das Seelenheil den Hauptbegünstigten – meist die Ehepartner
– ohne nähere Ausführung nur ‚anempfohlen’, was darauf verweist, dass diese
Sorge sicher nicht Anlass des Geschäfts war, die Testatoren sich aber offenbar
auch nicht darum ‚sorgen’ mussten. Der wesentliche Unterschied zu letztwillig
verfügtem Seelgerät bestand im Anspruch seitens der geistlichen Institutionen.
Wurde die Heilssorge den Hinterbliebenen oder Testamentsvollstreckern ohne
präzise Angaben überlassen, konnte niemand darauf Ansprüche geltend machen.
Höhe und Verteilung richteten sich, abgesehen von den ortsüblichen Konventionen,
an die man sich sicher hielt, nach der Vermögenssituation oder den Wünschen
der dafür Verantwortlichen, die nicht unbedingt ident mit jenen des Sterbenden
gewesen sein mussten. Den schon erwähnten Manipulationen durch
Geistliche am Sterbebett unter Ausnutzung von körperlicher Schwäche und
Ängsten waren damit Grenzen gesetzt. Zwischen den Interessen der Testatoren
und jenen der geistlichen Institutionen schob sich das Interesse der Hinterbliebenen,
die nur im Hinblick auf das ‚Dass’, nicht aber das ‚Wie’ gebunden waren
und daher große Spielräume hatten. Die ihnen übertragene Verantwortung bedeutete
auch verstärkte Laienmacht, denn hinter ‚Anempfehlungen’ konnten
durchaus sehr hohe Stiftungen stehen212.
Kein Seelgerät?
Etwa zehn Prozent der Erblasser verfügten gar kein Seelgerät, nicht einmal in
Form der Anempfehlung. Zu ihnen gehörte auch der Harmannsdorfer Pfarrer
Hans Pachsteter, der sein gesamtes Vermögen seinem Vetter vermachte, oder
der Fassbinder Niclas Sragen, der anlässlich einer Wallfahrt nach Rom für den
Fall seines Todes auf dem langen und beschwerlichen Weg – nach dem der weg
ferr hart vnd swer sey – ein Testament zugunsten seiner Frau errichtete, es persönlich
mit zwei Zeugen vor dem Rat einbrachte und in das Stadtbuch eintragen
ließ213. Bei beiden war die Versorgung und Absicherung der Angehörigen alleiniger
Grund und daher auch Inhalt ihres Geschäfts, ihr Seelenheil war ihnen deshalb
wohl kaum gleichgültig, bedurfte aber offenbar keiner eigenen Regelung.
212 Ein Beispiel ist das Ehepaar Sweller: Gregor Sweller hatte zusätzlich zu seinen letztwilligen
Seelenheilvergaben seiner Frau Margareta seine Seele anempfohlen, aus deren hinterlassenem
Vermögen – nach Abzug diverser hoher Legate an Kirchen und Arme – das Margaretenbenefizium
errichtet wurde, s. Anm. 260.
213 Testament des Hans Pachsteter, StAK, Hs. 3/160 fol. 105v–106r (Testament 1464 I 21,
Eintrag undat.); Testament des Niclas Sagren, ebd. fol. 139r (1474 XI 9).
80
Die große Mehrheit hinterließ nicht einmal ein Testament, darunter nicht
wenige angesehene Korneuburger Ratsherren. Bei ihnen zumindest ist mit Sicherheit
davon auszugehen, dass eine „ehrbare Bestattung mit Begehung“214,
also Leichenbegängnisse mit 1., 7. und 30. Tag, und ein angemessenes Totengedenken
ausgerichtet wurden, auch ohne letztwillige Verfügung. Stellvertretend
für viele mag Niclas Engelgershauser († 1446) stehen, fast zwei Jahrzehnte
Stadtrichter, dessen Jahrtagsfeier offenbar Vorbildwirkung hatte, denn einer seiner
Amtsnachfolger der nächsten Generation, Caspar Strasser († 1464), vermutlich
der reichste Bürger der Stadt, verfügte, sein Jahrtag solle so wie jener seines
Vorgängers gefeiert werden. Niclas Engelgershauser hinterließ zwar ein Testament
und sorgte auch für sein Seelenheil, ein Jahrtag ist darin allerdings nicht
erwähnt215.
‚Spitze eines Eisbergs’
Die ‚Solidargemeinschaft der Lebenden und Toten’ ist paradoxerweise zugleich
Voraussetzung wie auch Grenze der letztwillig verfügten Sorge für das Seelenheil,
denn diese scheint auch ohne Testament funktioniert zu haben.
Die meisten Testamente haben vermutlich eine lange Vorgeschichte, von
Eheverträgen über persönliche Verbundenheit bis hin zu tiefgehenden Konflikten
und familiären Tragödien. Sie sind – wie alle urkundlichen Quellen – nur die
durch die Rechtssprache geformte ‚Spitze eines Eisbergs’, zu der auch die Sorge
um das Seelenheil gehörte. Ihre Aussagekraft ist, was persönliche Frömmigkeit
und die Vorbereitung auf bzw. die Einstellung zum Tod betrifft, daher beschränkt;
Form und Umfang eines Testaments waren von zu vielen Faktoren bestimmt,
um einfach als Spiegel persönlicher Geschichten zu dienen. Weder Todesangst
noch Hoffnung, tiefe Frömmigkeit oder Glaubenszweifel haben in diesen
Quellen ihre greifbaren Spuren hinterlassen. Testamente lassen bestenfalls
die bestehenden und stetig neu geknüpften Netzwerke’ der Gemeinschaft der
Lebenden und Toten erkennen, jene Muster, innerhalb derer sich Männer und
Frauen – mit und ohne Testament – bewegten. Die große Bedeutung, die man
214 Zur ehrbaren Bestattung s. unten Teil 3, Kap. I./1.
215 Niclas Engelgershauser (auch: Engelgershawser) war 1414/15 Bürgermeister, 1420–1427
und 1429–1438 Stadtrichter, vgl. Uiblein, Bücherverzeichnisse 20, Anm. 48. Dessen Testament
von 1445 mit einem Zusatz von 1446 beinhaltet vor allem die Besitzvergabe zugunsten
seiner Frau und minderjährigen Kinder; für sein Seelenheil veranlagte er 100 lb. für
eine Messe sowie hohe Summen im Fall des Todes seiner Familie. Im Zusatz wurde nur die
Vergabe von einigen Liegenschaften zugunsten seines, möglicherweise inzwischen großjährig
gewordenen Sohnes neu geregelt: StAK, Hs. 3/160 fol. 14r–15v (Testament 1445 X
12, Zusatz 1446 II 13, Eintrag 1446 VI 20). – Zu Caspar Strasser s. ausführlichen unten
Teil 3, Kap. I./2 und Anm. 265. – Ein weiteres Beispiel für die Differenz zwischen Testament
und Praxis ist der Vermerk über die Ausrichtung der Verfügungen Mert Fewstels
durch seine Witwe, wonach sie über das vom ihm gestiftete Seelgerät hinaus noch 1 lb.
dem Kirchenmeister bezahlte, Hs. 3/159 fol. 23r (1423 II 23), Ausrichtungsvermerk von
1424 II 2.
81
der Sorge für das Seelenheil beimaß, ist aus dem Korneuburger Stadtrecht zum
Tod von Fremden zu ersehen: Starb eine fremde Person in der Stadt, ohne ein
Testament zu hinterlassen, fiel das Vermögen nach einem Jahr, in der sich Erben
melden konnten, zur Hälfte an die Stadt, die andere Hälfte sollte für das Seelenheil
gestiftet werden. Hinterließen die Verstorbenen kein Vermögen, sollte ihre
gesamte hinterlassene Habe für das Seelenheil gegeben werden216.
216 StAK, Hs. 3/268 fol. 60r.
82
Teil 3: Menschen – Orte – Rituale
Die mittelalterliche Vorstellung von der Communio der Lebenden und Toten
geht von einem handlungsorientierten ‚Beziehungsraum’ aus, der im Unterschied
zu heute nicht durch individuell-persönliches trauerndes Gedenken, sondern
durch das Füreinander-Tun – Fürbitte der Lebenden für die Armen Seelen
und Fürbitte der Erlösten für die Lebenden – strukturiert und als Handeln der
Kirche rituell wie institutionell abgesichert war217. Wer aber waren die Träger
dieses Beziehungsraums, welche Menschen, Gelegenheiten, Rituale und Orte –
oder anders gefragt, wer und was sind die ‚Knoten’ des Beziehungsnetzwerks
zwischen den Lebenden und Toten? Die große Anzahl und der öffentliche wie
rechtliche Charakter machen Testamente zu einer hervorragenden Quelle dieser
‚Knoten’ und ermöglichen Rückschlüsse auf funktionierende, allen Beteiligten
vertraute und der öffentlichen Kontrolle unterliegende Strukturen.
I. Sich Memoria leisten
1. Bühne des Lebens
1495 bestimmte der Korneuburger Stadtrichter Erhart Otterer in seinem Testament,
man solle ihn ehrbar bestatten und mit 1., 7. und 30. begehen nach Gewohnheit
der Pfarrkirche, als es ainem solhem erbern man zugeburt vnd … einem
Richter wie gewonhait vnd von allter herkomen ist218.
Deutlicher kann wohl kaum gesagt werden, wessen gesellschaftliche
‚Bühne’ das Totengedenken war, wer sich hier nach alter Tradition ein letztes
Mal angemessen repräsentierte: die Führungsschicht der Stadt, also Stadtrichter,
Ratsbürger, Wohlhabende und die Geistlichkeit. Korneuburg unterscheidet sich
in dieser Hinsicht in keinster Weise von anderen Städten. Die Trägergruppe des
Stiftungswesens war die Elite der Stadt, die das politische, wirtschaftliche und
kulturelle Leben der Stadt bestimmte und kontrollierte.
Ehrbar begehen
Eines der Schlüsselworte des Totengedenkens ist die ‚Ehrbarkeit’: „Ehrbar bestatten“,
„ehrbar begehen“ oder „ordentlich begehen“ mit 1., 7. und 30. (Tag)
heißt es regelmäßig und ohne weiteren Kommentar in den Testamenten. Ge-
217 Zum Wandel der Memoria von der handlungsbezogenen Vergegenwärtigung zum rein
kognitiv-emotionalen Erinnern in der Neuzeit bes. Oexle, Gegenwart der Toten 25 f., und
ders., Memoria und Memorialbild 385, der die grundlegende Wende im 18. Jahrhundert ansetzt.
218 Testament des Erhart Otterer, StAK, Hs. 3/161 fol. 7v–8v (1495 IX 16), das Zitat fol. 7v.
83
meint sind die Totenfeierlichkeiten innerhalb eines Monats mit Vigilien, Seelenamt,
Messen und Oblei, beginnend mit dem Begräbnis219.
Ehrbarkeit meinte das für den Stand und die Person Notwendige, der angemessene
Aufwand, ohne als verwerflicher Luxus zu gelten. In seiner gesellschafts-
und konsumkritischen Predigt „Vom Überfluss und von der Notdurft“
betont der in Wien wirkende Theologe Nikolaus von Dinkelsbühl († 1433), dass
die Ehrbarkeit des Standes einen über den tatsächlichen Bedarf hinaus gehenden
Aufwand legitimiere, um Anerkennung und Gehorsam zu erhalten. Für alle anderen
hingegen sei er unnötiger Luxus und gereiche ihnen keineswegs zur Ehre220.
Als Beispiele für eine standesgemäße luxuriöse Lebenshaltung nennt Dinkelsbühl
Herzog, Bischof und (Wiener) Stadtrichter, denen er Pfarrer und kleine
Stadt- und Marktrichter gegenüberstellt, doch galt das Prinzip der Ehrbarkeit als
Spiegel der sozialen Ordnung gleichermaßen nach unten für die repräsentative
Lebenshaltung der jeweiligen Lokalprominenz in Kleinstädten, Märkten und
Dörfern.
Zu den öffentlichkeitswirksamsten Repräsentationsformen gehörten neben
Wohnlage und Kleidung die Totenfeierlichkeiten, denn hinter den knappen Worten
„ehrbar begehen“ verbirgt sich ein städtisches Großereignis: Vigilien in der
Nacht vor dem Begräbnis in der Kirche (Totenoffizium), am Morgen der feierlicher
Kondukt des Leichnams vom Haus in die Pfarrkirche, Aufbahrung und Requiem
in Gegenwart des Leichnams mit Opfergang (Oblei) und begleitet von
stillen Beimessen, Beerdigung am Friedhof und feierlicher Abschluss in der Kirche,
dem die Almosenverteilung folgte221. Teil der feierlichen Exequien war das
219 Nach Lentze, Begräbnis und Jahrtag 332, ist unter der Begehung des Ersten die Begräbnisfeier
zu verstehen. Der oft synonyme Gebrauch von „bestatten“ und „begehen“ oder Formulierungen
wie „ehrbare Bestattung begehen lassen“ oder „ein löbliches Begräbnis mit
Ersten“ wie im Testament des Geistlichen Caspar Waldner (Uiblein, Bücherverzeichnisse
n. 14) bestätigen diese Annahme. In deutschsprachigen Quellen sind allerdings auch für den
Abend des Beisetzungstages Grabvisitationen durch die Geistlichen belegt, vgl. Martin Illi,
Wohin die Toten gingen. Begräbnis und Kirchhof in der vorindustriellen Stadt. Zürich
1992, 88. Die Feier am Begräbnistag als den ersten Tag hat vermutlich die ursprüngliche
Feier am dritten Tag ersetzt, die weder in den Wiener noch Korneuburger Testamenten erwähnt
wird.
220 Zur Predigt vgl. Ernst Englisch, Materialien zur Lebenshaltung aus Wiener religiöser Literatur
des späten Mittelalters, in: Das Leben in der Stadt des Spätmittelalters (Veröffentlichungen
des Instituts für mittelalterliche Realienkunde Österreichs 2 = Sitzungsberichte der
Österreichischen Akademie der Wissenschaften, phil.-hist. Kl. 325) Wien 1980, 147–157,
bes. 154; jüngst auch Gerhard Jaritz, Das schlechte Gebet zu den Schätzen der Welt, in: Elisabeth
Vavra, Kornelia Holzner-Tobisch u. Thomas Kühtreiber (Hg.), Vom Umgang mit
Schätzen (Veröffentlichungen des Instituts für Realienkunde des Mittelalters und der frühen
Neuzeit 20 = Sitzungsberichte der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, phil.-
hist. Klasse 771) Wien 2007, 81–97.
221 Vgl. Illi, Wohin die Toten gingen 86 ff., demzufolge die Begräbnisriten bei Laien erst am
Morgen begannen und die Vigilien im Gegensatz zu Klerikern nicht in presente corpore
stattfanden; zur Liturgie Thierry Maertens u. Louis Heuschen, Die Sterbeliturgie der katholischen
Kirche. Glaubenslehre und Seelsorge. Paderborn 1959, 59 ff.
84
Glockengeläut und Entzünden der Kerzen. Beteiligt waren die Pfarrgeistlichen,
der Schulmeister mit Chor, der Mesner und die Totengräber und außer der Familie
je nach Stellung und Beruf des Verstorbenen Rat, Zünfte, Bruderschaften und
schließlich die Armen. Allein die feierliche Leichenprozession durch die Stadt
war ein beeindruckendes öffentliches Ereignis. Nach einer Biberacher Quelle
schritten hinter dem Vortragskreuz die Schüler, danach psalmodierende Kleriker
und Rauchfass- und Weihwasserträger, denen die Träger mit der Totenbahre und
den Armenspenden – Bahrtuch und Säcke mit Weißbrot –, die Priester und das
weltliche Geleit folgten222.
Für Korneuburg sind die Begräbnisfeierlichkeiten nur aus späterer Zeit
überliefert, doch enthält die „seit undenklicher Zeiten“ bestehende Konduktordnung
von 1769 alle schon für das Mittelalter bekannten Elemente: Glockengeläut,
Chorgesang, gesungenes Requiem, Entzünden von Kerzen, wobei es qualitative
Abstufungen – ganzer Kondukt, halber Kondukt und einfache Einsegnung
– mit unterschiedlichen Tarifen gab, später noch erweitert um den viertel Kondukt
und als Begräbnisse der 1., 2., 3. und 4. Klasse bezeichnet223. In den Testamenten
finden sich hingegen keine Abstufungen, was nicht heißt, dass es sie
nicht gab; möglicherweise finden sie nur aufgrund der Wohlhabenheit der Verstorbenen,
die sich stets die feierlichste Form leisten konnten, keine Erwähnung.
Die übliche Formulierung „nach Gewohnheit“ der Pfarrkirche ohne Nennung
eines Geldbetrags verweist auf eine ortsübliche Form mit feststehendem
Tarif, mit hoher Wahrscheinlichkeit zu 3 lb., der am häufigsten genannten
Summe. Nach der eingangs zitierten Verfügung Erhart Otterers zu schließen,
gab es vielleicht für Stadtrichter und sonstige Amtsträger besonders feierliche
und daher teurere Begräbnisriten mit aufwändigerem Kondukt, mehr Vigilien
und Requien224. Günstiger waren hingegen die oft zusätzlich verfügten Leichenbegängnisse
im Augustinerkloster zu 12 ß. bzw. 1,5 lb., also zum halben Preis,
sowie die Ausrichtung durch die Bruderschaften225. Nach Quellen aus dem süddeutschen
Raum wurde bei einfachen Begräbnissen der Leichnam nur in einem
kleinen Zug direkt zum Friedhof getragen und nicht in der Kirche aufgebahrt
222 Nach Illi, Wohin die Toten gingen 87.
223 Die Konduktordnungen abgedruckt bei Starzer, Korneuburg 491 ff.
224 Einen Beleg gibt es allerdings nicht, doch verweist das Testament des Bürgerspitalskaplans
Pertlme (Bartholomäus) auf ein breiteres Angebot, der für 5 lb. drei Begehungen sowie
sieben Vigilien und sieben Requien vor dem 30. Tag verfügte, Uiblein, Bücherverzeichnisse
n. 17.
225 Die Schneiderstochter Barbara Kroppfl verfügte in die Barbarazeche 2 lb. 5 d., für Begehung
und vom Rest Messen, StAK, Hs. 3/160 fol. 85v (1461 VIII 1), der Steinmetz Peter
Künigstorffer in die Poysdorfer Dreifaltigkeitszeche 3 lb. für die Begehung, die aber billiger
gewesen sein musste, denn der nach der Ausrichtung verbliebene Rest sollte der Zeche
bleiben, ebd. fol. 71r (1458 IV 7). – Eine weitere preiswertere Variante war möglicherweise
auch die einmalige Begehung in der Pfarrkirche am Begräbnistag zu 1 lb., die sich allerdings
nur im Testament der Magdalen Freinsteter, ebd. fol. 55r (1455 I 28), findet: … und
so man sey zu ir(em) begrebnuss tragen wirdet, sol ir man … ir mit vigiln selambt und oblai
mit ain phunt phennig begeen lassen nach gewonhait der kirchen.
85
und die Seelenmesse an einem separaten Termin gefeiert; Arme wurden ohne
Feierlichkeiten zu möglichst geringen Kosten oder als Werk der Barmherzigkeit
unentgeltlich begraben. So wurde im Wiener Pilgerhaus für das Begräbnis eines
armen Kindes 4 d. für Sakramentenspendung und Begräbnis und für ein ausnahmsweise
gefeiertes Seelenamt eines armen Erwachsenen 38 d. verrechnet226.
Die Öffentlichkeit des Totengedenkens fand seine Fortsetzung in den
Jahrtagsfeiern, ebenfalls begangen mit Vigilien, Requiem, Messen, Grabbesuch
und Almosen, und in der – allerdings nur sehr Reichen vorbehaltenen – dauernden
Präsenz durch Epitaphien, Altarstiftungen und Glasfenster in der Kirche.
Die mit Begräbnis und den Begehungen beginnende Memoria hatte somit einen
äußerst diesseitigen Bezug. Sie war Bestandteil eines standesgemäßen Lebens
ehrbarer Bürgerfamilien und repräsentierte in der Öffentlichkeit sichtbar und
durch das Glockengeläut auch hörbar Herkunft, Vermögen, Leistung und Rang.
Der kostspielige, teilweise pompöse Aufwand der Leichenbegängnisse und Jahrtage
hatte dem Leben und der städtischen Ordnung angemessen zu sein, nach
Erhart Otterer seiner Ehrbarkeit und seinem Amt „gebührend“.
In den Begräbnisriten spiegelte sich die Integration der Verstorbenen und
ihrer Familien in der Stadt und gleichzeitig die gesamte Ordnung der Kommune,
insbesondere wenn Amtsträger feierlich begraben wurden227. In den Leichenfeierlichkeiten
fügten sich in besonderer Weise Vergangenheit, Gegenwart und
Zukunft, Diesseits und Jenseits, zusammen; sie waren einer der ‚Knoten’ im
Netzwerk zwischen Lebenden und Toten, denn bei aller Gebundenheit an die
diesseitige Lebensordnung ging es immer zugleich um die Jenseitige. Explizit
formuliert die Witwe Anna Schreiber das allen Selbstverständliche: Ihre Verwandten
sollen von dem ihnen hinterlassenen Vermögen den 1., 7. und 30. begehen
lassen vnd irr sel hail damit betrachtten228.
Preis …
Ehrbarkeit hatte ihren Preis, vom Erwerb des Bürgerrechts bis zur Memoria. Die
niedrigsten Seelgeräte in Korneuburg umfassten Summen zwischen 3 ß. und 3
226 Vgl. Illi, Wohin die Toten gingen 98, 104 f.; Thomas Just, Das Wiener Pilgerhaus. Untersuchungen
zum Leben, zur Wirtschaftsführung und Bautätigkeit in einem Wiener Spital des
15. Jahrhunderts. Staatsprüfungsarbeit am Institut für Österreichische Geschichtsforschung,
Wien 1995, 84 f.
227 Vgl. Noodt, Religion und Familie 5; Martin Illi, Totenbestattung im Spätmittelalter und in
der frühen Neuzeit, in: Markus J. Wenninger (Hg.), ‚du guoter tôt’. Sterben im Mittelalter –
Ideal und Realität (Schriftenreihe der Akademie Friesach 3) Klagenfurt 1998, 311–318. Zur
Angemessenheit des Totengedenkens am Beispiel einer adeligen Stiftsdame vgl. Helmut
Weigel, An der Schwelle zum Tod. Über ein Testament im Stift Stoppenburg 1517, in: Katalog
Vergessene Zeiten. Mittelalter im Ruhrgebiet 2. Essen 1990, 204–206.
228 Testament der Anna Schreiber, StAK, Hs. 3/160 fol. 37v (1451 VI 18).
86
lb., die höchsten mit 1000 Messen und Altarbenefizien bewegten sich im dreistelligen
Pfund-Bereich229.
Die Preise für das Totengedenken waren das ganze 15. Jahrhundert hindurch
konstant: Seelenmessen kosteten 3 und 7 d., bisweilen 4 d., wobei die
häufigere Form die Einheit von 30 Messen zu 3 ß. (à 3 d.) ist, seltener zu 7 ß. (à
7 d.). Vermutlich war mit dem höheren Preis auch eine höhere Qualität im Hinblick
auf die Messfrüchte verbunden, die in der möglichst raschen Ableistung
der Messen nach dem Tod bestanden haben könnte230.
Die übliche dreimalige Begehung am 1., 7. und 30. Tag kostete, wie
schon erwähnt, in der Pfarrkirche 3 lb. und im Augustinerkloster die Hälfte, wobei
hier keine Begräbniskosten anfielen. Für die in der Regel zeitlich befristeten,
so genannten ‚abgehenden’ Jahrtage zahlte man in der Korneuburger Pfarrkirche
wie auch in den Pfarrkirchen der Umgebung 1 lb. jährlich, in der Wiener Neustädter
Liebfrauenkirche hingegen das Doppelte231. Die Kosten waren von der
verfügten Dauer – fünf, zehn, 15 Jahre usw. – abhängig und wurden im Gegensatz
zu ewigen Jahrtagen nicht in Form von Erblaststiftungen oder Renten veranlagt,
sondern bar bezahlt, entweder jährlich von jenen Personen, die nach dem
Willen der Testatoren das Kapital verwalten und ausrichten sollten, oder, fiel die
Gesamtsumme an die Kirche oder eine Zeche, durch den Kirchen- oder Zechmeister232.
Wallfahrten wurden bis auf Ausnahmen ohne nähere Angaben verfügt,
was darauf verweist, dass es für die Organisation und Durchführung, meist stellvertretend,
seltener durch die Erben, allgemein bekannte Kostensätze gab. Die
fallweise genannten, keineswegs einheitlichen Geldbeträge in den Testamenten
ermöglichen keine Rückschlüsse auf die Preisgestaltung, sondern nur eine grobe
Orientierung über die mit einer Wallfahrt verbundenen Kosten. Wie in Wien und
229 Bis auf Ausnahmen wird in den Korneuburger Testamenten die Wiener Währung angegeben:
Pfund (lb.) als Recheneinheit für 240 Pfennig (d.) und Schilling (ß.) für 30 Pfennig
(langer Schilling). Seltener wird der Ungarische Goldgulden (fl.) genannt, dessen Kurs aufgrund
der Ausprägung minderwertiger Pfennige im 15. Jahrhundert kontinuierlich anstieg –
von 180 d. um 1420/30 auf 2880 d. im Jahr 1460 – und erst nach einer umfassenden Münzreform
auf 300 bis 320 d. stabilisiert werden konnte. Vgl. zur Währung Otto Brunner, Die
Finanzen der Stadt Wien von den Anfängen bis ins 16. Jahrhundert (Studien aus dem Archiv
der Stadt Wien 1/2) Wien 1929, 24 ff.
230 So stiftete Kathrei Weiss 300 Messen zu je 7 d. mit der Auflage, diese nach ihrem Tod so
schnell wie möglich lesen zu lassen, StAK, Hs. 3/160 fol. 68v–69r (1457 VIII 5), und Agnes
Pogner für das ununterbrochene Lesen von 30 Messen sogar 2 lb., also 16 d. pro Messe,
ebd. fol. 67v–68r (1457 VI 10).
231 Vgl. Rist, Leben für den Himmel 220.
232 Zur jährlichen Entrichtung vgl. z. B. die Jahrtagsstiftung des Thomas Pfenter, dessen
nächster Verwandter die 15 lb. innehaben und jährlich 1 lb. ausrichten sollte, StAK, Hs.
3/160 fol. 5v (1444 X 20), oder des Bäckers Niclas Weiss, dessen Vetter das Geld immer
zu Jahresende entrichten sollte, ebd. fol. 74r–v (1458 VI 5). Die Verfügung des Mert Loresmann,
ebd. fol. 9r (1445 I 12), man solle die Summe von 10 lb. für einen Jahrtag einem
frommen Mann umsonst leihen, setzt hingegen die Zahlung der Gesamtsumme voraus, wobei
die jährliche Entrichtung die häufigere Form war.
87
Wiener Neustadt nahmen die Wallfahrtsorte St. Wolfgang, Mariazell, Aachen
und Rom die erste Stelle ein, häufig in kombinierter Form, was beträchtliche
Kosten verursachte. Während für das nahe Mariazell 1 lb. ausgereicht haben
dürfte, werden für St. Wolfgang zwischen 3 und 5 lb. und für die – heutigen
Fernreisen vergleichbaren – Aachen- und Romfahrten bis zu 7 bzw. für Rom 10
lb. veranschlagt233. Um möglichst schnell die Ablässe und die Fürbitte der Heiligen
zu erhalten, war neben der geeigneten Person – einmal wird ausdrücklich
ein Priester gewünscht – sicher auch die ausreichende Dotierung für den baldigen
Antritt der Pilgerfahrt entscheidend234.
Alle anderen Geldsummen für den Kirchenbau, Zechen, Arme usw. lagen
im Ermessen der Testatoren. Das absolute Minimum an Seelgerät in der testamentarischen
Überlieferung waren 30 oder 60 Messen, was aber nur vereinzelt
vorkommt, meist wurden die Messen mit Begehung und kleineren Legaten verbunden,
sodass die Verfügungen für das Seelenheil nur in Ausnahmefällen unter
3 lb. blieben235. Mitunter hohe Beträge – von 10 bis über 100 lb. – wurden für
den Kirchenbau gestiftet, der in kaum einem Testament fehlt und, wie überall,
die finanzielle Basis der spätgotischen Aus- und Umbauten bildete. Vergleichsweise
gering fielen hingegen die Armenspenden aus, meist zwischen 1 und 5 lb.,
selten mehr als 10 lb.236
Hohe Seelgerätstiftungen zeichnen sich vor allem durch Legate an mehrere
geistliche Institutionen aus – neben jenen in Korneuburg besonders das
Franziskanerkloster St. Jakob und Wiener Klöster –, die in Summe beträchtliche
Vermögenswerte ausmachen konnten mit dem Ziel, die Heilswirksamkeit des
Totengedenkens bestmöglich, das heißt durch viele gleichzeitig verfügbare Personen,
zu sichern.
… und Wert
Die in den Testamenten laufend genannten einstelligen Pfundbeträge lassen allerdings
zuweilen vergessen, dass es sich dabei um für viele Menschen unerschwingliche
Größenordnungen handelte. Verstärkt wird der Eindruck von
Durchschnittlichkeit noch durch die für das Mittelalter relativ dichte Überlieferung
von Testamenten, die aber, wie schon erwähnt, nur einen geringen Prozentsatz
der Bevölkerung erfasste237. Hans Lentze, zweifellos einer der profundesten
233 Zu Wien vgl. Lentze, Seelgerät 68 ff., bes. 75, zu Wiener Neustadt Rist, Lebensbedingungen
von Frauen 196 ff., die für Romfahrten auch geringere Beträge von 5 bis 8 lb. nennt.
234 So stiftete Hans Derrer 6 lb. aus unbezahlten Forderungen für eine Aachenfahrt und dazu
sicherheitshalber Erlöse aus dem Verkauf eines Ackers, falls das Geld nicht reichen sollte,
Hs. 3/160 fol. 53r–54r (1454 XI 9); die Wallfahrt nach St. Wolfgang und Mariazell durch
einen Priester bei Michel Holczaphl, ebd. fol. 122r–v (1471 XI 18).
235 Auch in den Wiener Neustädter Testamenten waren 30 Messen das Minimum, vgl. Rist,
Lebensbedingungen von Frauen 181.
236 Zu den Baustiftungen und zum Almosen s. unten Teil 3, Kap. II.
237 Zum Bevölkerungsanteil s. Anm. 182.
88
Kenner der Wiener Testamentsbücher, zählt – in der Sprachlichkeit der 1950er
Jahre – als Beispiele für Seelgeräte des ‚kleinen Mannes’ Verfügungen von
Rom- und Aachenwallfahrten oder Almosen von 3, 4 und sogar 9 lb. auf238. Im
Vergleich zu ‚Spitzenstiftungen’ wie etwa Altären samt Ausstattung wirken diese
Beträge tatsächlich niedrig, setzen aber die Bildung von Rücklagen voraus,
also Einkünfte aus Grundbesitz oder Renten, florierende Handelsgeschäfte, gute
Auftragslage oder zumindest regelmäßige Lohnzahlungen.
Generell gilt, dass dreistellige Pfund-Beträge hoch waren. In diesem Bereich
lag der Jahressold von österreichischen Spitzenbeamten oder die jährlichen
Pachtsummen landesfürstlicher Ämter239. Auch die jährlichen Einnahmen kleinerer
Städte bewegten sich in den Hunderten, beispielsweise Weitra mit 328 lb.
im Jahr 1431, während etwa in Wien im selben Zeitraum fast 2800 lb. allein aus
den Mauten eingenommen wurden240. Diese Beispiele sollen nur verdeutlichen,
dass Legate in der Höhe von 200 lb. an die Korneuburger Pfarrkirche241 ein
Vermögen darstellten, das dem Jahresbudget kleinerer Kommunen entsprechen
konnte. Derart hohe Seelgeräte lassen im Kontext einer Kleinstadt keinen Zweifel
aufkommen, dass dahinter entsprechender Reichtum stand. Schwieriger wird
es bei den kleineren Summen und der Einschätzung ihres Werts im Verhältnis
zur Lebenshaltung. Für wen waren sie leistbar, für wen mühsam bezahlter Luxus,
um bürgerliche Ehrbarkeit noch einmal vor aller Augen zu präsentieren,
und für wen schlichtweg unerschwinglich? Die Bedeutung der Zechen, die für
ihre Mitglieder das Totengedenken ausrichteten, ist nicht zuletzt vor dem Hintergrund
der stets mit Leistbarkeit verbundenen Ehrbarkeit zu sehen.
Ein traditionell äußerst schwieriges Unterfangen ist die Berechnung von
durchschnittlichen Einkommen und Lebenshaltungskosten von Einzelpersonen
und Haushalten, um den Wert der Ausgaben für Memoria überhaupt einschätzen
238 Lentze, Seelgerät 38 f., dessen Begrifflichkeit jüngst von Hollberg, Deutsche in Venedig
82, kommentarlos übernommen wurde.
239 Nach Niederstätter, Jahrhundert der Mitte 51, erhielt ein österreichischer Rat in den Vorlanden
mindestens 100 fl., Spitzenverdiener waren der Landeshauptmann von Krain mit einem
Jahressold von 480 lb. um 1420 und der Tiroler Landeshauptmann mit 800 fl. im Jahr
1488. – Zu Bestandgaben s. Reg. K. Friedrichs III. H. 13 n. 109, 152: 700 lb. jährlich für
das Ungeld zu Linz und im Waxenberger Landgericht, 900 lb. für Maut, Zoll, Ungeld und
Gericht zu Enns [Paul Herold u. Kornelia Holzner-Tobisch, Regesten Kaiser Friedrichs III.
(1440–1493), nach Archiven und Bibliotheken geordnet u. hg. v. Heinrich Koller, Paul-
Joachim Heinig u. Alois Niederstätter, Heft 13: Die Urkunden und Briefe des Österreichischen
Staatsarchivs in Wien, Abt. Haus-, Hof- und Staatsarchiv: Allgemeine Urkundenreihe,
Familienurkunden und Abschriftensammlungen (1447–1457). Wien-Weimar-Köln
2001]; weitere Beispiele: Wiener Stadtgericht im 15. Jahrhundert zu 200 lb. jährlichen Bestand,
Stadtgericht, Maut, Ungeld von Korneuburg 1494 zu 900 lb., im Jahre 1441 allerdings
noch zu 1800 (!) lb., Brunner, Finanzen 232, Starzer, Korneuburg 239.
240 Zu Weitra vgl. Herbert Knittler, Bauen in der Kleinstadt. Die Baurechnungen aus der Stadt
Weitra von 1431, 1501–09 und 1526 (Medium Aevum Quotidianum Sonderbd. XV) Krems
2005, 25; zu Wien Brunner, Finanzen 117.
241 So von Stadtrichter Niclas Engelgershauser nach dem Tod seiner Kinder und seiner Frau,
s. Anm. 215.
89
zu können. Anhaltspunkte für Jahreseinkommen unterer Einkommensgruppen
bieten in der Regel die auch für Ostösterreich gut überlieferten Taglöhne aus
dem Baugewerbe. Sie lagen im 15. Jahrhundert bei 10 bis 26 d., woraus sich
Wochenlöhne von 2 bis ca. 5 ß. (60–156 d.) für sechs Tage und Jahreseinkommen
von ca. 11 bis 28,5 lb. ergaben, gerechnet mit durchschnittlich 265 Arbeitstagen
und angenommener Vollbeschäftigung242. Etwa gleich viel wie gelernte
Bauhandwerker erhielten in Wien um 1450 städtische Diener, die mit 4 ß.
Wochensold auf 26 lb. im Jahr kamen.243 Im Unterschied zum regelmäßig gezahlten
Sold waren die Löhne im Bauhandwerk von der Auftragslage abhängig,
so dass die Jahreseinkommen mitunter weit unter den theoretischen Berechnungen
lagen244.
Während daher Bauhandwerker mit Ausnahme der besser bezahlten Spezialisten
zu den unteren Einkommensgruppen gezählt werden, gehörten die ungelernten
Taglöhner, die nur von Gelegenheitsarbeiten vor allem im Bau und
Weinbau lebten und zudem aus den Sicherungssystemen des Handwerks herausfielen,
zu den Unterschichten245. Die sowohl in Wien als auch in Weitra gezahlten
Mindestlöhne von 10 d. am Tag bzw. 2 ß. in der Woche galten offenbar als
absolutes Minimum zum täglichen Überleben aus Erwerbsarbeit. Nach einem
Wiener Gutachten aus dem Jahr 1526 zur Einführung einer Kopfsteuer würde
eine Person für Brot pro Woche 5 d. – im Jahr daher 1 lb. 20 d. (260 d.) – ausgeben,
was damals als Argument für die halb so hohe und daher für jeden (!)
erwerbstätigen Einwohner leistbare Steuer diente246. Hätte sich ein Wiener Neustädter
Taglöhner 1482 zum Brot den Luxus von einem Pfund billigem Fleisch
(2,5 d.) und vielleicht vier Eiern (1 d.) geleistet, hätte er fast einen ganzen Tagesverdienst
verbraucht, ohne noch einen Schluck Bier oder Wein getrunken zu
242 Hilfsarbeiter erhielten am Tag 10–14 d., Gesellen 14–20 d. und Meister 20–26 d., Dachdecker
und Steinmetzen waren mit 30–40 d. am höchsten bezahlt (Wochenlohn 6–8 ß., Jahreslohn
33–44 lb.). Vgl. zu den Taglöhnen für Weitra Knittler, Bauen in der Kleinstadt 33
f., 40 f.; für Wien Just, Wiener Pilgerhaus 116 f., und Brunner, Finanzen 30, 341 f. – Die
Berechnung von durchschnittlich 265 Arbeitstagen im Jahr nach Ulf Dirlmeier, Untersuchungen
zu Einkommensverhältnissen und Lebenshaltungskosten in oberdeutschen Städten
des Spätmittelalters (Mitte 14. bis Anfang 16. Jahrhundert) (Abhandlungen der Heidelberger
Akademie der Wissenschaften, phil.-hist. Kl. 1978/Abh. 1) Heidelberg 1978, 134.
243 Jahreslöhne für Bauhandwerker (25–27,5 lb). und städtische Diener bei Brunner, Finanzen
30; Jahreslöhne der Maurer bei Just, Wiener Pilgerhaus 122: 26 lb. bei 260 Arbeitstagen, 27
lb. 5 ß. 18 d. bei 277 Arbeitstagen (1448).
244 Nach den Stadtrechnungen von Weitra verdienten die im Jahr 1431 bei den öffentlichen
Bauten (Stadtmauer, Rathaus usw.) beschäftigten Handwerker zwischen 3,5 und knapp 7
lb. im Jahr, vgl. Knittler, Bauen in der Kleinstadt 34. Weitere Unsicherheiten in der Berechnung
ergeben sich durch zusätzliche Entlohnungen in Form von Naturalien, Badegeld
oder Zulagen sowie die nicht bekannte private Auftragslage. Nicht erklärbar ist schließlich
die Konstanz der Löhne trotz galoppierender Inflation am Höhepunkt der Schinderlingszeit
1459/60, weshalb von einem stark sinkenden Reallohn im Laufe des 15. Jahrhunderts ausgegangen
wird, vgl. Brunner, Finanzen 342.
245 Vgl. Niederstätter, Jahrhundert der Mitte 94 f.
246 Zum Gutachten von 1526 s. Brunner, Finanzen 85.
90
haben.247 Nach Berechnungen für den oberdeutschen Raum benötigten Taglöhner
für täglich ein Maß (1,4 l) Bier oder ein halbes Maß Wein 20 bis 29 Prozent
ihres Jahreseinkommens248. In diesen Einkommensbereichen lebte man dicht an
oder unter der Armutsgrenze, Memoria war schlicht unbezahlbar249. Aber auch
bei Verdiensten von jährlich 10 bis 20 lb. würden – folgt man der Einschätzung
des Wiener Gutachters – allein die Ausgaben für Brot bis zu 10 Prozent des verfügbaren
Budgets bedeuten, von dem unter Umständen eine ganze Familie leben
musste.
Etwas anders sah die Situation bei jener relativ großen Bevölkerungsgruppe
aus, deren Lohn vor allem aus Nahrung, Unterkunft und Kleidung bestand
und die zusätzlich noch ein Jahresgehalt erhielten, das oft unter 10 lb. lag.
Dazu gehörten Mägde und Knechte ebenso wie die Priester des Wiener Bürgerspitals,
die 6,5 lb. erhielten, das Gesinde hingegen nur 0,5 bis 2 lb.250 Das Testament
des mit ca. 7 lb. besoldeten Korneuburger Schulmeisters Erhart Vischess
zeigt, dass die Verbindung von Versorgung, Sold und zusätzlichen Einkünften –
etwa Einnahmen für den Gesang bei den Begehungen und Jahrtagen – Bildung
von Vermögen ermöglichte. In seinem Fall bestand sein Reichtum in erster Linie
aus Ausständen von über 25 fl. und 42 lb., die ihm vermutlich zu Lebzeiten nie
in dieser Höhe zur Verfügung gestanden haben, denn als hinterlassener Besitz
werden nur 10 ß., Bücher und Kleidung genannt251. Er konnte sich aber aus seinen
Forderungen eine ehrbare Bestattung leisten, was ihn von den geringfügig
bezahlten Mägden und Knechten unterschied, deren tägliche Versorgung zwar
247 Vgl. Rist, Lebensbedingungen von Frauen 569: 1482 wurde vom Wiener Neustädter Rat
der Preis für ein Pfund Fleisch (0,56 kg) minderer Qualität auf 2,5 d., besserer Qualität auf
3 d. festgelegt; nach einer Ratsverfügung von 1455 sollte ein Pfennigbrot 6 Pfund 8 Lot
wiegen, eine Pfennigsemmel 10 Lot (1 Lot = 17,5 g). – Der Warenwert der Eier nach den
Wiener Bürgerspitalsrechnungen, wonach die Dienstboten jeden Samstag vier Eier oder 1
Pfennig, die Armen zwei Eier oder 1 Heller (halber Pfennig) erhielten, vgl. Pohl-Resl,
Rechnen mit der Ewigkeit 105 f., die aber betont, dass die Eierpreise starken Schwankungen
unterlagen.
248 Vgl. Dirlmeier, Einkommensverhältnisse 328.
249 Nach Simon-Muscheid, Dinge im Schnittpunkt 93 ff., gehörten außer Taglöhnern auch
Näherinnen, Wäscherinnen, Schleierweberinnen, Schäfer, Schweinehirten, Korb- und Sesselmacher
zu dieser Schicht. Der durch ein Inventar bekannte spärliche Besitz einer Freiburger
Näherin aus dem Jahr 1532 erbrachte in der Versteigerung einen Ertrag von 1 lb.
7ß., wovon allein 10 ß. an die Vermieterin bezahlt wurden, vgl. ebd. 94.
250 Vgl. Pohl-Resl, Rechnen mit der Ewigkeit 113, 134 f., 136: Die sechs Priester des Bürgerspitals
erhielten täglich vier Mahlzeiten mit Wein und als Jahreslohn jeder etwas mehr als
6,5 lb. (1580 d.). Deutlich weniger verdienten der Schulmeister mit unter 4 lb. (915 d.) und
die zwei Köche mit 3,5 lb. (840 d.) und 4 lb. (960 d.). Sehr gering bezahlt waren Knechte
und Mägde, wie der Pferdeknecht mit weniger als 1 lb. (180 d.) oder die Dienerinnen der
Armen mit 1 lb. 4 ß. (360 d.).
251 Testament des Schulmeisters Erhart Vischess, Uiblein, Bücherverzeichnisse n. 25 (1464
IX 17). Zu dessen Schuldnern gehörte auch der Pfarrer, der ihm den Sold für vier Jahre
schuldete. Vischess hatte an der Wiener Artistenfakultät studiert, wo er 1455 nach dem Examen
zum artistischen Bakkalaureat zugelassen wurde, vgl. Uiblein, ebd., Anm. 96.
91
im Gegensatz zu den Taglöhnern gesichert war, die aber darüber hinaus – bis auf
wenige Ausnahmen252 – kaum eine Chance auf Rücklagenbildung hatten.
In einer Quelle aus dem späten 15. Jahrhundert wird der Jahresbedarf eines
dreiköpfigen Haushalts der bürgerlichen Mittelschicht in Passau – Ehepaar
und Magd – mit knapp 72 lb. berechnet, davon 80 Prozent für Nahrungsmittel.
An reichhaltigem Essen herrschte hier kein Mangel, für den darüber hinausgehenden
Bedarf war zwar Geld vorhanden, allerdings nicht im Überfluss253. Die
Korneuburger Einkommensverteilung ist erst aus einem Schätzbuch des 16.
Jahrhunderts (1558) überliefert, in dem mehr als zwei Drittel der Häuser (73%)
auf weniger als 70 lb. Einkünfte im Jahr geschätzt wurden. Nur 32 Häuser verfügten
über ein Einkommen von 150 bis 300 lb.254 Sie waren mit Sicherheit im
Besitz jener Bürger, für die angemessene Memoria keine Frage der Leistbarkeit
war. Ihnen stand aber die Mehrheit der bürgerlichen Haushalte gegenüber, für
die Seelgerät in der Höhe von 3 bis 6 lb. einem Monatseinkommen oder mehr
entsprach. Einkommen bis 50 lb. waren für Familien mit einem Dienstboten
knapp, erst darüber eröffneten sich Spielräume zur Vermögensbildung.
Selbst wenn man aufgrund des höheren Wohlstands der Stadt im 15. Jahrhundert
von einer etwas nach oben verschobenen Vermögensverteilung ausgeht,
war Memoria ab 3 lb. ein für die Mehrheit hoher Wert, der dem Preis wertvoller
Pelzbekleidung entsprach, den man sich vermutlich nicht leistete – zumindest in
einem durchschnittlichen Passauer Bürgerhaushalt war nach der zeitgenössischen
Berechnung dafür kein Geld vorgesehen255.
252 Zu Testamenten von Knechten und Mägden s. unten Teil 3, Kap. I./2 und die Anm. 276,
279, 282.
253 Zu dieser Quelle aus einer bayerisch-österreichischen Sammelhandschrift (1494) s. Gerhard
Jaritz, Die spätmittelalterliche Stadt in der Sachkulturforschung. Problematik – Möglichkeiten
– Grenzen, in: Günter Wiegelmann (Hg.), Geschichte der Alltagskultur (Beiträge
zur Volkskultur in Nordwestdeutschland 21) Münster 1980, 53–68, der sie ebd. 63 vollständig
wiedergibt. Aufgrund des angeführten täglichen Weinkonsums, der hohen Ausgaben
von 12 lb. für Fleisch im Jahr und des Sortiments an verschiedenen Früchten wird sie
einem bürgerlichen Haushalt der Mittelschicht zugeordnet, auch wenn ihr repräsentativer
Charakter offen bleiben muss. Die Ausgaben für Brot pro Person werden hier mit 2 bis über
4 lb., abhängig vom Getreidepreis, berechnet, somit zwei- bis dreimal so hoch wie im Wiener
Gutachten von 1526. 9% der Ausgaben wurden für Kleidung, 11% für Sonstiges, darunter
Beichte und Opfer, berechnet.
254 Etwa 40% der Häuser wurden unter 35 lb. geschätzt, darunter viele im Besitz von Witwen
und Waisen, 25 Häuser (14%) auf 150 lb, darüber lagen nur sieben mit Einkommen bis zu
300 lb. Vgl. zum Schätzbuch Starzer, Korneuburg 443, die prozentuelle Auswertung nach
Laichmann-Krissl, Stagnation 309, die allerdings Wohlhabenheit erst bei 200 lb. ansetzt,
was zu hoch erscheint. Die Korneuburger Vermögensstruktur des 16. Jahrhunderts entspricht
jener der Stadt Weitra, in der 1566 zwei Zehntel der Bürgerschaft über zwei Drittel
der Veranlagungswerte verfügten, vgl. Knittler, Bauen in der Kleinstadt 18.
255 Zur Kleidung vgl. Rist, Lebensbedingungen von Frauen 568: u. a. Ärmelkurse aus Fuchsfell
3 lb., Frauenmantel mit Hermelin 3 lb., Kurse aus Hermelin 4 fl., sattgrüner Frauenmantel
mit Hermelin 3 lb., mit Hermelin verbrämter Frauenrock 2 fl. Die Passauer Quelle
92
Luxus der Ewigkeit
Stiftungen, die für die ‚Ewigkeit’ bestimmt waren, wie ewige Jahrtage, ewiges
Licht, ewige Fürbitte, vor allem aber ewige Messen, waren aufgrund des damit
verbundenen Aufwands an Kapital ein Luxus, der nur Wenigen vorbehalten
blieb. Von den mehr als 260 Männern und Frauen, die zwischen 1444 und 1474
ein Testament errichteten, haben sich nur 31 diese Art der ‚Zukunftsvorsorge’
geleistet, unter ihnen – wenig verwunderlich – vor allem Stadtrichter und Ratsbürger.
Meist wurde eine ewige Messe oder ein ewiger Jahrtag gestiftet, zweimal
auch nur ewige Fürbitte, seltener waren hingegen Kombinationen von Messe,
Jahrtag, Fürbitte oder Almosen (8) und die Ausnahme die Stiftung mehrerer
Ewigmessen (4).
Alle Formen der ewigen Memoria sollten der Stifterfamilie – meist erfolgte
die Stiftung für sich, Vorfahren und Nachkommen – regelmäßig und auf
unbestimmte Dauer die heilswirksamen Gnaden im Fegefeuer zuwenden, dessen
individuelle Dauer schließlich auch niemand ermessen konnte. ‚Ewig’ entsprach
daher der eigentümlichen Zeitstruktur des Fegefeuers, nämlich unbestimmt und
doch begrenzt, denn die Ewigkeit im Sinne von unveränderbar und endgültig
begann eigentlich erst mit dem Endgericht. Auf ewig verfügte Stiftungen zum
Seelenheil hatten ebenfalls keine vom Menschen gesetzte Zeitgrenze, sollten
aber keinesfalls etwas ‚Ewiges’ sein, sondern möglichst lange vor dem Endgericht
zur Erlösung beitragen.
Im Unterschied zur ewigen Memoria erzielte die oft von denselben Leuten
gestiftete hohe Anzahl der Seelenmessen eine intensive, gleichsam verdichtete
Gnadenwirkung in der ersten Zeit nach dem Tod. Die höchste Zahl waren
die von fünf Prozent der Korneuburger gestifteten 1000 Messen, die von der
Todesstunde an in möglichst vielen Kirchen bzw. dort, wo man sie erhalten
konnte, gelesen werden sollten256. Sie waren nach den zeitgenössischen Vorstellungen
durch ihre Menge höchst wirkungsvoll, aber unter Umständen nicht
ausreichend. Die bestmögliche und kostspieligste Sorge für das Seelenheil war
daher eine Kombination von kurzfristiger Konzentration und langfristiger Regelmäßigkeit
der Suffragien.
Ewige Memoria hatte aber nur dann eine Chance auf Langlebigkeit, wenn
sie gegenüber den ‚Tücken’ der Zeit, von der Inflation bis zum Vergessen, eine
die Gegenwart wie nächste Generationen überdauernde, finanzielle und rechtliche
Basis erhielt, wofür beträchtliche Vermögenswerte aufgewendet werden
mussten. Ewigstiftungen wurden immer mit Grundbesitz oder Renten – auch
(s. Anm. 253) veranschlagt für Kleidung 4 lb. zw pessern an leibgewant und petgewandt
des Ehepaars und 3 ß. für die pfaitten, pruech und … hosnestel des Mannes.
256 Von der Todesstunde an zu sprechen z. B. bei Michel Gonser, Uiblein, Bücherverzeichnisse
n. 18, und Caspar Strasser (s. Anm. 266); 1000 Messen, wo man sie bekommen kann, bei
Jörg Huber, StAK, Hs. 3/160 fol. 71r–v (1458 IV 26), hingegen nach Möglichkeit im
Klosterneuburger Franziskanerkloster bei Barbara Kelhaimer, ebd. fol. 82v–84v (1461 VI
2).
93
Burgrecht, Gülte, Ewiggeld, Überzins genannt – ausgestattet, die den dafür verantwortlichen
Kirchen bzw. bei Messpfründen den Priestern in Stift- und Versorgbriefen
festgelegte jährliche Einkünfte gegen Übernahme der daran gebundenen
Leistungen garantierten257.
Die erforderliche Höhe der Dotation richtete sich nach den erwünschten
Leistungen. Die teuerste Form war eine tägliche Messe, oft verbunden mit der
Forderung an den Benefiziaten, keine anderen Verpflichtungen zu übernehmen,
was bedeutete, ihm mit dem Pfründvermögen einen ausreichenden Lebensunterhalt
zu sichern. Bei den geringer dotierten Wochenmessen war hingegen eine
Kumulation zum Überleben notwendig, daher auch zulässig und allgemein üblich.
Das Recht der Verleihung der Messpfründe in Verbindung mit der Kontrolle
der Pflichterfüllung – Vernachlässigung hatte stets Strafzahlungen bis hin
zum Entzug zur Folge – erhielt in Korneuburg in der Regel der Rat, manchmal
gemeinsam mit der Stifterfamilie258.
Das dafür nötige Kapital ist aus Wien wesentlich besser überliefert als in
Korneuburg, wo in erster Linie mit Grundstücken – genannt werden Weingärten,
Wiesen, Gärten, Häuser – dotiert wurde, deren Wert im Gegensatz zum Rentenkauf
schwer zu ermessen ist. In Wien stieg das für die Dotation notwendige Stiftungskapital
im Laufe des 15. Jahrhunderts stark an: Während um 1400 für fünf
Messen in der Woche 200 lb. ausreichend waren, scheinen in der Folgezeit 300
lb. für vier Messen üblich gewesen sein, Ende des Jahrhunderts aber für zwei
Wochenmessen 200 lb. mit einer jährlichen Gülte von 8 bis 10 lb. bzw. für eine
Messe die Hälfte zu 4 bis 5 lb. Gülte im Jahr259. Dieser Kapitaleinsatz dürfte
durchaus den Korneuburger Verhältnissen entsprochen haben, wie aus dem
Stiftbrief des Margaretenbenefiziums ersichtlich ist, das 1494 aus dem hinterlassenen
Vermögen des Ehepaars Sweller errichtet wurde. Gegen die Verpflichtung
von fünf Messen in der Woche erhielt der Kaplan 4 lb. Burgrecht auf Swellers
Haus am Ring und über 14 lb. Einkünfte aus Zehent und Liegenschaften260.
257 Bei der Bestellung einer Burgrechtsrente wurde gegen Zahlung einer Geldsumme das
Recht auf die regelmäßige Entrichtung einer Geldsumme (Burgrecht, Rente, Gülte, Ewiggeld)
von einer Liegenschaft bzw. deren Inhaber erworben, vgl. Brauneder/Jaritz, Wiener
Stadtbücher 1, 13 f. Da Rentenkäufe im Prinzip eine verdeckte Form der Kreditgeschäfte
waren, wurde das Burgrecht auch als Umgehung des kanonischen Zinsverbots kritisiert und
als poess gelt bezeichnet, vgl. Lentze, Rechtsform der Altarpfründe 284 ff.
258 Ähnlich in Wien, wo der Rat im 15. Jahrhundert zunehmend die Lehenschaft und damit
Kontrolle über die Benefizien übernahm, vgl. Lentze, Rechtsform der Altarpfründe 276 f. –
Die Vernachlässigung der Benefizien in Wiener Neustadt führte in den 1450er Jahren zu
einer Beschwerde des Rats beim Papst gegen die Lebensführung der Benefiziaten, die mit
ihren Frauen öffentliches Ärgernis erregen würden, vgl. Rist, Lebensbedingungen von
Frauen 175 f.
259 Im späten 14. Jahrhundert betrug hingegen in Wien der Kurs für 1 lb. Burgrechtsgülte 8
lb., vgl. Lentze, Rechtsform der Altarpfründe 263, zur Kostensteigerung ebd. 286 f.; s. dazu
auch unten Anm. 261.
260 Testamente von Gregor († 1471) und Margareta († 1489) Sweller, StAK, Hs. 3/160 fol.
121r–121v (1471 XI 15), fol. 185v–186v (1489 VIII 28). Margareta Sweller verfügte tes94
Überraschend gering dotiert war dagegen das Messbenefizium des reichen
Stadtrichters Caspar Strasser auf dem von ihm gestifteten Altar im Jahr 1464,
also dreißig Jahre zuvor, mit jährlich 4 lb. Gülte für ebenfalls fünf Wochenmessen,
vielleicht Niederschlag der wie in Wien enormen Kostensteigerung in diesen
Jahrzehnten. Der Preis war trotzdem hoch, nämlich sein Haus am Ring,
vermutlich das Beste am Platz, und zwei Weingärten, die verkauft und zu 100
lb. veranlagt werden sollten261. Strassers Wunschkandidat als Kaplan seiner Stiftung
war ein Kantor der Pfarrkirche, der somit noch über andere Einkünfte verfügte.
Die Bestreitung des Lebensunterhalts allein aus dieser einen Messstiftung
ist aber schwer vorstellbar und war möglicherweise ein Grund für die spätere
Zusammenlegung mit einer anderen Stiftung. Ausreichende Dotierungen waren
schwer kalkulierbar, weshalb manche Testatoren offenbar vorsichtig waren, wie
der als ehemaliger Kirchenmeister mit der Finanzgebarung wohl bestens vertraute
Simon Krumbl, der eine Ewigmesse nur mit dem Vorbehalt stiftete, dass
sein hinterlassenes Vermögen dafür ausreiche. Andernfalls solle man es dem
geplanten Frühamt Unserer Lieben Frau am Samstag zuwenden, das allerdings
mehr als ein Jahrzehnt nach seinem Tod trotz häufiger Bestiftungen, darunter
sogar eine Badestube, noch immer im Planungsstadium war262.
Einträglich waren die Messpfründe vor allem dann, wenn der Priester das
Altarbenefizium innehatte und mehrere oder alle auf dem Altar gestifteten Messen
las, wie der Kaplan des Maria Magdalenenaltars, gestiftet von Strassers
Amtskollegen Achaz von Perg in der neuen, 1455 geweihten Kapelle des Thomas
Swercz. Der Kaplan zelebrierte um 1500 Messen für die Familie Perg und
die mit ihr verwandte Stadtrichterfamilie Otterer sowie zusätzlich dreimal in der
Woche im Bürgerspital. Zu den Einkünften des Benefiziums gehörte neben Gülten
auch ein Haus zum Wohnen, sodass er es sich sogar leisten konnte, hohe
Darlehen zu gewähren263. Auch Strassers Ewigmesse war vermutlich nur als
tamentarisch allerdings nur eine Ewigmesse zu Ehren der hl. Dreifaltigkeit und überließ die
Entscheidung über die Anlage ihres nach Ausrichtung aller Verfügungen verbliebenen restlichen
Vermögens für ihr Seelenheil den Geschäftsherren und dem Rat. Am 5. Mai 1494
wurde das Margaretenbenefizium dotiert, vgl. Starzer, Korneuburg 572 f.
261 Uiblein, Bücherverzeichnisse n. 24; s. zu ihm ausführlich unten und Anm. 266. – Der sich
daraus ergebende und auch in einigen anderen Testamenten genannte Preis von 20–25 lb.
für 1 lb. Gülte entsprach dem Wiener Kurs: z. B. 20 lb. für jährlich 1 lb. Zins für einen ewigen
Jahrtag im Augustinerkloster bei Elisabeth Gruber, StAK Hs. 3/160 fol. 39r–v (1452 XI
21); 50 lb. für 2 lb. zu Burgrecht auf dem Annenaltar der Nikolaikapelle im Jahr 1473 bei
Anna Pestorffer, ebd. fol. 124r–125r (1473 VIII 25).
262 Testament des Simon Krumbl, StAK, Hs. 3/160 fol. 28r–29r (1449 V 5). – 1458 stiftete
Peter Walkam die Badestube in der Hinteren Gasse für das Frühamt, das aber nach dem
Testament des Pfarrers Peter Seidenspinner, der dafür einen Weingarten und 80 lb. Geldschuld
stiftete, im Jahr 1462 noch immer nicht ausreichend dotiert war, s. zu ihnen die
Anm. 48 und 149.
263 Achaz von Perg, Stadtrichter 1457–1459, stiftete für die Kapelle des Thomas Swercz (s.
Anm. 46) den Bau eines Magdalenenaltars und eines Benefiziums mit vier Wochenmessen
und einem ewigen Jahrtag am Maria Magdalenentag. Zusätzlich sollte der Pfarrer gegen
jährlich 8 lb. drei Messen wöchentlich lesen und am Vorabend des Maria Magdalenentags
95
Grundstock für seine Altarstiftung gedacht, der weitere Messstiftungen anderer
Bürger folgen sollten.
Mit Strasser, Achaz von Perg und Thomas Swercz sind jene drei Männer
genannt, die sich in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts ewige Memoria
nicht nur in Form von Ewigmessen leisteten, sondern auch neue Altäre und im
Falle des Swercz sogar eine Kapelle mit Altar stifteten. Aus Strassers Testament
ist bekannt, was die Stiftung eines Altars konkret bedeutete: Ausstattung mit
einem Tafelbild, einem Messbuch, liturgischem Gerät, Altartüchern und Messgewand.
Nach Strassers Willen sollte der Kelch aus Silber und vergoldet sein,
das Messgewand aus Damast mit vergoldetem Kreuz. Hinter solchen Stiftungen
stand ein – leider in seinem Testament nicht konkret benanntes – Vermögen für
die ‚Ewigkeit’ 264, mit dem sich die drei Stifter für sich und ihre Familien die
besondere Fürbitte der Heiligen, hier Wolfgang, Maria Magdalena und Maria,
sowie durch dauernde Präsenz im Kirchenraum steten Anteil an allen dort gefeierten
Formen der Memoria erhofften. Alle drei stifteten zudem ewige Jahrtage
und weitere Messen: Swercz dotierte das geplante Frühamt, Strasser die Marienaltäre
in der Pfarrkirche und im Augustinerkloster und Perg noch drei Ewigmessen
in der Woche zusätzlich zu den vier seines Benefiziums.
Tatsächlich ließ sich die ewige Memoria selbst durch hohen Kapitaleinsatz
nicht erkaufen, denn die meisten Korneuburger Benefizien überstanden das
16. Jahrhundert nicht. Sie wurden verkauft oder ihre Einkünfte im Zuge einer
Reform im Jahr 1572 der Pfarre, dem Spital und der Schule zugewiesen, um den
dortigen Betrieb aufrechtzuerhalten265. Gestiftete Altäre oder Kapellen hatten
zweifellos größere Chancen auf Dauer, doch selbst wenn sie Um- und Neubauten,
Profanierung oder den Abriss der Kirche überstanden, wie der Andreasaltar
aus St. Pölten, landeten sie nicht selten im Museum, wo sie zwar an die Spätgotik
erinnern mögen, aber, herausgenommen aus dem religiösen Kontext, ihre
Memorialfunktion verloren haben, die im Handeln für die Stifter – Gebet und
Messen – bestehen würde.
2. Vom Stadtrichter bis zum Knecht
Professionelle Memoria setzte Besitz voraus, wenig überraschend ist es daher,
wenn die Testatoren der städtischen Elite entstammten. Die Schichtung war aleinen
Jahrtag feiern lassen, außerdem stiftete Perg ein ewiges Licht, StAK, Hs. 3/160 fol.
112v–113v (Testament 1450 XI 17, bestätigt 1467 XII 26, Eintrag 1468 I 22). Der Kaplan
des 1494 und im Jahr 1500 durch weitere Stiftungen vermehrten Benefiziums gewährte im
Jahr 1500 insgesamt 150 lb. Darlehen, vgl. Starzer, Korneuburg 572; zu den Stadtrichtern
ebd. 273 ff.
264 Kosten lassen sich nur aus anderen Testamenten erschließen: z. B. 32 lb. für ein Altarbild
bei Wolfgang Wagkermann, StAK, Hs. 3/160 fol. 3r–4r (1444 X 3); 10 lb. für ein Messbuch
bzw. 8 lb. und dazu Silbergürtel, falls das Geld nicht reicht, Uiblein, Bücherverzeichnisse
nn. 15, 10.
265 Vgl. Starzer, Korneuburg 578 ff.
96
lerdings wesentlich breiter und umfasste, was Ansehen, Reichtum und Lebensstandard
betrifft, so unterschiedliche Männer wie den schon mehrmals erwähnten
Korneuburger Stadtrichter Caspar Strasser und den Wagenknecht Siman.
Gemeinsam waren ihnen bis auf Ort und Zeit – beide starben in Korneuburg in
den 1460er Jahren – nur die von beiden erwähnte Krankheit, sonst lagen ‚Welten’
zwischen ihnen, schon erkennbar an der Form ihrer Geschäfte, das eine
mehrseitig und besiegelt, das andere kurz und formlos und vielleicht nur mündlich
errichtet. Beide Männer markieren die äußersten Pole einer sozialen Skala,
innerhalb derer sich jene Frauen und Männer bewegten, die zumindest soviel
besaßen, um darüber verfügen zu können und zu wollen.
Caspar Strasser
An der Spitze stand mit Abstand, selbst gegenüber seinen Ratskollegen, Caspar
Strasser, 1446/47, 1454 und 1459–1461 Stadtrichter von Korneuburg266. Seine
Vergaben an Schmuck, Edelsteinen, kostbarer Kleidung und – bei Laien eher
selten – auch Büchern zeugen von seiner außergewöhnlichen Stellung und seinem
Reichtum, dem auch die Höhe seines Seelgeräts entsprach, soweit bekannt,
das höchste Korneuburgs im 15. Jahrhundert267.
Die Sorge um sein Seelenheil war zweifellos Motiv seines zweiten, knapp
vor seinem Tod errichteten Testaments, das bis auf einige Zuwendungen an Verwandte
– er war Witwer, Kinder werden keine genannt – nur Seelgerät umfasst:
1000 Messen in mehreren Wiener Klöstern sowie Ewigstiftungen und Legate in
allen Korneuburger Kirchen, zudem an alle Geistlichen vor Ort – Pfarrer, Kantoren,
Kapläne – und Almosen an nahezu alle Gruppen von Armen, vom Bürgerspital
über die armen Jungfrauen und Hausarmen bis zu einzelnen Bedürftigen.
Weder fehlte die Unterstützung eines angehenden armen Priesters noch die
Wallfahrt oder das von den Korneuburgern regelmäßig bedachte Franziskanerkloster
in Klosterneuburg. Seiner ewigen Memoria sollte ein ewiger Jahrtag
nach dem Vorbild seines Amtsvorgängers Niclas Engelgershauser († 1446)268,
eine Ewigmesse auf dem Frauenaltar im Augustinerkloster, dotiert mit Weingärten,
Garten, Kelch und einem pelzgefütterten Mantel für das Messgewand, sowie
– seine schon erwähnte wichtigste Stiftung – ein neuer Altar mit Benefizium
266 Von Caspar Strasser sind zwei Testamente überliefert, eines im Original vom 9. Juli 1460,
ausgestellt in Wien, das aber nicht im Korneuburger Stadtbuch eingetragen wurde, das
zweite vom 27. Februar 1464 ist als Eintrag im Korneuburger Stadtbuch (1464 III 9) überliefert,
Uiblein, Bücherverzeichnisse nn. 20, 24; Teildruck des zweiten Testaments auch bei
Jaritz, Religiöse Stiftungen 30 f. – Für die Analyse wurde nur das in den Testamentsbüchern
überlieferte zweite Geschäft herangezogen.
267 Vgl. Jaritz, Lebenshaltung 255 f., 259, der ihn als Beispiel hohen bürgerlichen Lebensstandards
nennt. Nach seinem ersten Testament umfasste sein Besitz außer Liegenschaften
und Ausständen von 1702 lb. weiters 890 lb. und 320 fl. sowie Kleinodien, Silbergeschirr,
kostbare Kleidung und Pelze, vgl. Laichmann-Krissl, Stagnation und Wandel 304.
268 Zu Niclas Engelgershauser s. Anm. 215.
97
im Umfang von fünf Wochenmessen in der geplanten Marienkapelle der Pfarrkirche
dienen. Neben Bau und Ausstattung des Altars stiftete er zudem das erste
Glasfenster beim Altar mit Wappen und Bildnissen von ihm und seinen beiden
Ehefrauen269. Der nach Ausrichtung seines Geschäfts verbliebene Rest seines
Vermögens sollte unter den Armen verteilt werden.
Strasser übertraf seine Mitbürger nicht nur in der Höhe, sondern auch in
der Qualität und präzisen Bedarfsorientierung des Seelgeräts, etwa wenn er dem
Bürgerspital für das Gebäude und den Brunnen dafür nötiges Material – gezimmertes
Holz und eine steinerne Rinne – vermachte, den dortigen Armen seine
weniger wertvollen Betten, und zudem alle vorhandenen Betten mit einer
Lammfelldecke ausstatten ließ.
Zwischen seinen Seelenheillegaten und eingeleitet durch eine deutlich
größere Initiale steht die wohl außergewöhnlichste Verfügung der gesamten
Korneuburger Überlieferung: eine Zuwendung an Kaiser Friedrich III., dem
Strasser seine gesamten behauenen Steine, die er für seine Stube und Fenster
hatte anfertigen lassen, überließ. Mit diesem exklusiven Legat signalisierte er
wohl am deutlichsten gelebten und erstrebten Status.
Caspar Strassers Testament gibt einen idealen Maßstab ab, was sich Bürger
der kleinstädtischen Elite für das Heil ihrer Seele leisten wollten. Im Vergleich
zu den anderen Korneuburger Stadtrichtern und Ratsherren lag er zwar
bei den Stiftungssummen höher, blieb aber doch im Rahmen der Korneuburger
Bürgerschaft. Lebenshaltung wie auch Testamente Adeliger oder der hohen
Geistlichkeit bewegten sich in ganz anderen Kategorien270.
Strasser hatte sich für den Fall seiner Genesung die Änderung seines Geschäfts
vorbehalten. Diese Hoffnung erfüllte sich nicht, er starb kurz darauf,
denn sein Testament wurde schon elf Tage nach der Errichtung, am 9. März
1464, vor den Rat gebracht. Wieweit alle seine Stiftungen realisiert wurden, ist
fraglich. Die Marienkapelle, spätestens seit 1455 geplant, war 1473 noch nicht
begonnen worden, ob sie jemals erbaut wurde, ist nicht bekannt271. Die Pfarrkir-
269 Zu seiner 1449 verstorbenen (ersten oder zweiten?) Ehefrau Agnes s. die Anm. 124, 197.
Auch sie erwähnt in ihrem im Stadtbuch eingetragenen zweiten Testament keine Kinder,
ihr Haupttestament ist allerdings nicht überliefert.
270 Vgl. Jaritz, Lebenshaltung 258 f., der die Bürgertestamente mit den Herren von Maissau
und Puchheim vergleicht. Zur Oberschicht vgl. weiters: Christopher Daniell, Death and Burial
in Medieval England 1066–1550. London-New York 1997, 6, zum englischen Hochadel
mit Stiftungen von bis zu einer Million Messen; Elisabeth Wolfik, ‚Was auf solches
unser Ewiglichs absterben unser Fürstliches Begrebnus belange …’ Tod, Begräbnis und
Grablege Erzherzog Ferdinands II. von Tirol (1529–1595) als Beispiel für einen ‚Oberschichtentod’
der Frühen Neuzeit, in: Frühneuzeit-Info 11/1 (2000) 39–67; Franz Rexroth,
Armut und Memoria im spätmittelalterlichen London, in: Dieter Geuenich u. Otto Gerhard
Oexle (Hg.), Memoria in der Gesellschaft des Mittelalters (Veröffentlichungen des Max-
Planck-Instituts für Geschichte 111) Göttingen 1994, 336–360, 347 f. (Londoner Tuchhändler);
Weigel, Schwelle zum Tod 204 (adelige Stiftsdame).
271 Legate für den Bau einer Chorkapelle (Abseite) zu Ehren Unserer Lieben Frau, finden sich
ab 1455 regelmäßig in den Testamenten, erstmals bei Dorothe Gut, StAK, Hs. 3/160 fol.
98
che wurde vermutlich Ende der 1480er Jahre restauriert272. Danach dürften etliche
Benefizien, deren Stifter schon lange tot waren, neu errichtet bzw. zusammengelegt
worden sein, darunter auch das Michaels-Benefizium, das 1496 mit
einigen ursprünglich für die Marienstiftung vorgesehenen Strasser-Liegenschaften
dotiert wurde. Die wöchentlichen Messen galten sicher seinem Seelenheil,
aber – und das war wohl kaum in seinem Sinn – auch jenem des zweiten Stifters,
dem schon 1433 verstorbenen Hütteldorfer Pfarrer Niclas Leitgeb 273. Außerdem
waren es nur drei Messen und nicht fünf, wie es Strasser gewünscht hatte, was
den Wert der Messfrüchte durch weniger Messen und aufgeteilt auf zwei doch
deutlich verminderte. Trotz Strassers Bemühen um größtmögliche Absicherung
und Kontrolle seiner Stiftungen – die Testamentsvollstrecker waren der amtierende
Stadtrichter, der Pfarrer und zwei Ratsbürger – ist er möglicherweise auch
ein Beispiel für die schon von Brigitte Pohl-Resl festgestellte Kluft zwischen
Anspruch und Verwirklichung274. Sicher ist, dass seine Memoria die Jahrhunderte
nicht überdauerte, denn im Gegensatz zu etlichen seiner Zeitgenossen schaffte
er es nicht, Ende des 19. Jahrhunderts mit Namen und Wappen im Rathaus verewigt
zu werden275.
56v–57r (1455 VII 8), aber noch 1473 stiftete der Schuster Larencz Steirer sein Haus in der
Kirchengasse für die Kapelle, sobald mit dem Bau begonnen wird, ebd. fol. 130r–v (Testament
1473 VIII 16, Eintrag undat.).
272 Als Hinweis auf eine zumindest teilweise Restaurierung gelten die Jahreszahlen 1487 und
1491 auf der Kirchenmauer, vgl. Starzer, Korneuburg 521.
273 Niclas Leitgeb hatte drei Ewigmessen gestiftet, je eine auf dem Petersaltar, dem Michaelsaltar
und Leonhardsaltar, Uiblein, Bücherverzeichnisse n. 2 (1433 X 20), s. zu ihm auch
Anm. 304. Das Michaelsbenefizium wurde am 24. September 1496 von Richter und Rat errichtet,
vgl. Starzer, Korneuburg 575 f. – In den 1490er Jahren wurden auch das von Thomas
Swercz († 1462) gestiftete Wolfgangsbenefizium und das Margaretenbenefizium der
Margareta Sweller († 1489) errichtet, beide im Jahr 1494, sowie das von Achaz von Perg
gestiftete Magdalenabenefizium neu dotiert (1494, 1500), wobei die auffallend zeitliche
Verdichtung in den Jahren nach dem Kirchenumbau für eine damit im Zusammenhang stehende
Neuorganisation der wohl teilweise schon länger bestehenden Benefizien spricht; s.
zu den Benefizien die Anm. 46 (Swercz), 260 (Sweller), 263 (Perg).
274 Vgl. Pohl-Resl, Rechnen mit der Ewigkeit 70 f.
275 Zu Strassers Zeitgenossen gehörten die Stadtrichter Niclas Engelgershauser, Peter Walkam
und Walthasar Prewer sowie die Ratsherren Niclas Puff, Stephan Negel (Nagl), Martin
Wunsam und Erhart von Asparn; vgl. auch Starzer, Korneuburg 292.
99
Siman der Wagenknecht
Caspar Strassers „soziales Gegenüber“, der Wagenknecht Siman276, hatte die
Sorge für sein Seelenheil erst gar nicht präzisiert, sondern sich darin ganz der
Dirn Kathrei anvertraut, die ihn während seiner Krankheit gepflegt hatte. Für
ihre ihm erwiesene sunder lieb mue vnd fleiss vermachte er ihr sein Viertel
Weingarten am Bisamberg und empfahl ihr dafür seine Seele. Beide gehörten
zum Haushalt der Prewer, eine der angesehensten Familien der Stadt, die später
auch einen Stadtrichter stellte. Siman war Wagenknecht der Prewerin, die auch
bei der Errichtung seines Geschäfts anwesend war, ebenso wie sein Beichtvater
und ein weiterer Mann, ebenfalls ein Diener und vielleicht sein Freund. Mit den
beiden Zeugen waren es also fünf Personen, die Siman um sich versammelt hatte,
wohl auch Ausdruck der Besonderheit dieses Aktes im Leben des Knechts.
Er dürfte noch mehrere Monate gelebt haben, erst über sieben Monate nach der
Errichtung wurde sein im Vergleich zu seinem prominenten Zeitgenossen sehr
bescheidenes Geschäft eingebracht.
Ungeachtet seiner sozialen Stellung gehörte aber auch Siman zu den Besitzenden.
Der Wert eines Viertel Weingartens ist schwer abzuschätzen, abhängig
von Lage und Ertrag, doch war der Bisamberg eine sehr gute Lage, wo zahlreiche
wohlhabende Bürger Weingärten besaßen277. Nach anderen Testamenten
war ein Viertel Weingarten um 4 lb. verpfändet oder wurde mit einer Jahrtagsstiftung
von 1 lb. jährlich auf 20 Jahre belastet278. Demnach konnte sich Siman
von Kathrei durchaus ein in seinem sozialen Umfeld sonst nicht leistbares Totengedenken
erwarten, mit Leichenbegängnis zum ortsüblichen Preis von 3 lb.
und dazu 30 oder mehr Seelenmessen, vielleicht sogar einen Jahrtag.
Als Grundbesitzer war der Knecht innerhalb seiner sozialen Gruppe
wohlhabend, was auch für die wenigen anderen gilt, die wie er zu einem Ratsbürgerhaushalt
gehörten und wohl kein Bürgerrecht hatten, aber doch so viel
besaßen, um darüber testieren zu wollen: die Schafferin Margreth Melhornin
über ein kleines Gütl, das sie ihrer Mutter vermachte; der Knecht oder Diener
Lienhart über einen der Pfarrkirche vermachten Weingarten; die Schafferin
Elspeth über 4 lb. für Begehung und Messen sowie Kleidung für ihre Tochter,
darunter auch Filzschuhe279. Vor allem die Filzschuhe sind ein Zeichen ihrer sozialen
Zugehörigkeit, denn bei wohlhabenden Bürgern gehörten Schuhe nie zu
den weitervererbten Kleidungsstücken; sie besaßen für sie keinen besonderen
276 Testament des Siman, Wagenknecht der Prewerin (vermutlich Anna, zweite Frau des
Ratsbürgers Wolfgang Prewer), StAK, Hs. 3/160 fol. 86v (1461 IX 14).
277 Vgl. Starzer, Korneuburg 302.
278 Testamente des Hans Ewerstorffer und des Hans Roll, StAK, Hs. 3/160 fol. 17v (1447 III
7), fol. 89r–v (1461 XI 23).
279 Testament der Margreth, genannt die Melhornin, Schafferin des Ratsherrn Paul Schernhaimer,
StAK, Hs. 3/160 fol. 38r (1451 IV 30); Testament des Lienhart, Knecht des Ratsherrn
Kolman Wempl, ebd. fol. 107v (1465 II 22); Testament der Elspeth, Schafferin des
Grefensulczer (wohl Ratsherr Mert Grefensulczer), ebd. fol. 99r (1463 III 20).
100
Wert280. Zu dieser Gruppe gehört vermutlich auch der Tischlergeselle Ulreich
Egkhart, bereits verlobt mit einer Witwe, als er, die Meisterwürde vielleicht
schon vor Augen, starb. Sein wertvollster Besitz war ein Silbergürtel, den er
samt seiner restlichen Habe seiner Braut hinterließ und ihr seine Seele empfahl281.
Nicht zu unterscheiden von einem Testament einer wohlhabenden Bürgerin
ist hingegen jenes der Dirn Margreth Gretzmaroltin, das nur Seelgerät umfasst
– mit insgesamt etwa 19 lb. für 200 Messen, zwei Jahrtage, Geld für den
Bau der Marienkapelle und als Almosen eine angesichts ihrer sozialen Stellung
überraschend hohe Summe, die ihre Mutter als Erbin des Vermögens für ihr
Seelenheil auszurichten hatte282. Die unverheiratete Magd war offensichtlich eine
recht vermögende Frau, die es sich auch leisten konnte, die ‚Hausarmen’
reichlich zu beschenken. Ihr Almosen markiert – ähnlich wie die Verfügung
Caspar Strassers zugunsten des Kaisers – vielleicht am deutlichsten, wo sie ihren
sozialen Ort sah, nämlich sicher nicht bei den Armen.
Testamente aus dieser durch Haushaltszugehörigkeit gekennzeichneten
sozialen Gruppe sind notwendigerweise Einzelfälle. Das üblicherweise geringfügige
Einkommen von Mägden und Knechten, vielleicht einige Schillinge im
Jahr, ermöglichte kaum die Bildung von Rücklagen, auch wenn es, wie die Beispiele
zeigen, durchaus vorkam. Grundstock könnten möglicherweise Erbschaften
gewesen sein, da Dienstleute sehr häufig letztwillig mit Geld, Kleidung, Betten,
selten mit Grundbesitz bedacht wurden283.
Im Gegensatz zu Caspar Strasser und seinen Ratskollegen, die sowohl in
ihrer Amtsfunktion als auch privat durch die Testamente ihrer Familien mit Erbschaftsangelegenheiten
befasst waren, war für diese Männer und Frauen die Errichtung
eines Geschäfts zweifellos etwas Außergewöhnliches und sicher nicht
Teil des vertrauten Alltags. Die erwünschte Form der Memoria unterschied sich
aber nur in der Höhe und den verfügbaren Mitteln von jener Strassers, nicht in
der Struktur. Diese war ein so vertrauter Bestandteil des städtischen Alltags,
dass sie wie bei Siman nicht einmal genau benannt werden musste. Alle haben
zumindest durch Anempfehlung ausdrücklich ihr Seelenheil mitbedacht. Mit
dem sonst nur Bürgern vorbehaltenen Totengedenken erhielten sie gleichzeitig
280 Vgl. Jaritz, Realienkundliche Aussage 177 f. – In der Passauer Quelle (s. Anm. 253) über
die Ausgaben eines Bürgerhaushalts werden die jährlichen Kosten für Schuhe mit 12 ß. angegeben,
gleich hoch wie Kraut, Licht oder das Badegeld.
281 Testament des Tischlergesellen Ulreich Egkhart, StAK, Hs. 3/160 fol. 67r–v (1457 V 21).
282 Testament der Jungfrau Margreth Gretzmaroltin, Dirn der Walkamin (wohl Cristina, Ehefrau
des Ratsherrn und Stadtrichters Peter Walkam), StAK, Hs. 3/160 fol. 81v–82r (1461 I
12).
283 Einen Weingarten erhielt der Knecht des Hans Negel, StAK, Hs. 3/160 fol. 133v–134v
(1474 XI 18), ein Joch Acker der Diener des Pangrecz Mayr, ebd. fol. 106v–107r (1465 II
9). Eine bemerkenswerte Ausnahme war die Erbschaft des Dieners Thoman Gelestorffer,
dem die Witwe Margreth Pader ihr gesamtes Vermögen ungenannter Höhe hinterließ, während
ihr Bruder nur erhielt, was dieser ihm geben wollte, ebd. fol. 92v (1462 V 24).
101
Anteil an den Symbolen dieser Schicht – ein symbolisches Kapital, mit dem sie
sich deutlich von ihrem sozialen Umfeld abgrenzten284.
3. Stifter und Stifterinnen
Ratsfamilien
Der Knecht Siman oder die Dirn Margreth waren Ausnahmen, die Stadtrichter
Caspar Strasser und Erhart Otterer oder angesehene Bürgerfamilien wie beispielsweise
die Gut, Edelgut und Prewer hingegen die Regel285. Aus der testamentarischen
Überlieferung lassen sich für das gesamte 15. Jahrhundert etwa 50
Ratsfamilien ermitteln, die Stadtrichter und Mitglieder des Rats stellten und mit
dem Herrn des Mauthauses, dem Verwalter des Gerichts, dem Spitalmeister und
dem Kirchenmeister alle Schlüsselpositionen der Stadt besetzten. Sie wohnten
Tür an Tür in den Häusern am Ring und stifteten, sofern sie Testamente errichteten,
fast durchwegs die höchsten Summen für ihr Seelenheil.
Um sie herum gruppierte sich ein Kreis eng mit ihnen verwandter Familien,
die in den Quellen politisch weniger hervortreten (manchmal stellten sie
Genannte), aber aufgrund ihrer Heiratsverbindungen der Ratsbürgerschicht angehörten.
Ein Beispiel ist die Familie Pfenter, aus der kein Ratsherr stammt, die
aber mit mehreren Ratsfamilien (Gut, Edelgut, Prewer, Negel, Schernhaimer)
eng verschwägert war. So heiratete Dorothe Pfenter den Ratsherrn Hans Gut,
eine andere Dorothe, vermutlich eine geborene Schernhaimer, war in erster Ehe
mit einem Pfenter und in zweiter Ehe mit dem Ratsherrn Hans Negel verheiratet.
Die Töchter beider Frauen heirateten ebenfalls Ratsherren, die Söhne waren
Ratsherren und Genannte286.
284 Vgl. Pohl-Resl, Rechnen mit der Ewigkeit 77, 158 ff.; Bourdieu, Praktische Vernunft 163
ff.
285 Von den Ratsfamilien Gut, Edelgut und Prewer sind etliche Testamente überliefert: Ratsherr
Hans Gut, StAK, Hs. 3/160 fol. 11v–12r (1445 VIII 27); seine Ehefrau Dorothe, ebd.
fol. 56v–57r (1455 VII 8); ihre Tochter Anna Edelgut (Prewer), Witwe des Paul Prewer und
wiederverheiratet mit Peter Edelgut, ebd. fol. 70r–v (1458 III 22); ihr Schwiegersohn Paul
Prewer, ebd. fol. 25v–26r (1448 X 5); ihre Schwiegertochter Elsbet, Witwe von Sohn
Wolfgang, ebd. fol. 178v (1487 II 28). – Zu den Testamenten der drei Ehefrauen des Peter
Edelgut s. Anm. 199. – Weitere Testamente der Familie Prewer: Ratsherr Wolfgang Prewer,
ebd. fol. 173v (1485 X 7); seine Verwandte oder möglicherweise erste, allerdings dann
40 Jahre vor ihm verstorbene Ehefrau Anna, ebd. fol. 10v (1445 VIII 17); Walthasar Prewer,
zwischen 1484 und 1508 mehrmals Stadtrichter und mit Namen und Wappen auf der
Rathausdecke verewigt (Balthasar Preuer), Hs. 3/161 fol. 113v–117v (1511 IX 17). – Von
der Familie Prewer ist zudem der Grabstein vom Grab des Paul Prewer, seiner Mutter Elisabeth
und seines nach ihm verstorbenen Vaters Peter († 1459) erhalten und befindet sich
heute in der Pfarrkirche, vgl. Starzer, Korneuburg 541 f., zu den Stadtrichtern 273 ff.
286 Zu Dorothe Gut, geb. Pfenter, s. Anm. 285. – Dorothe Negel, verwitwete Pfenter, überließ
die Obsorge für ihre Tochter Ottilie zwar ihrem zweiten Ehemann, doch sollte das Mädchen
mit Zustimmung des Ratsherrn Paul Schernhaimer und dessen Frau Agnes verheiratet werden,
was auf enge Verwandtschaft weist, StAK, Hs. 3/160 fol. 98v–99r (1463 II 25).
102
Für den Zeitraum von 1444 bis 1474 lassen sich 44 Prozent der Korneuburger
Testatoren mit Sicherheit der Oberschicht zuordnen, angeführt von den
Ratsfamilien (26%) – die Ratsherren und ihre Frauen (16%) sowie Familienmitglieder
und nahe Verwandte (10%) –, dann folgen die Genannten (8%)
sowie weitere Bürger (10%), die aufgrund von Vermögen, Häuserlage oder überaus
hohen Seelgeräten sicher zur vermögenden Schicht gehörten287. Der Prozentsatz
wird allerdings wesentlich höher gewesen sein, da sich aus vielen Testamenten
Vermögen und soziale Zugehörigkeit nicht erschließen lassen288.
Bei den Ratsmitgliedern liegt in diesen 30 Jahren der Anteil bei 70 Prozent
unter Einschluss ihrer Ehefrauen. Von den 38 genannten Ratsherren testierten
18 selbst (47%), von neun die Ehefrauen (24%), von elf (29%) sind keine
Testamente überliefert. Bei den Stadtrichtern, deren Testamente im Hinblick auf
das Seelgerät durchwegs zu den Höchsten gehören, ist eine deutliche Steigerung
im Laufe des Jahrhunderts festzustellen. Während von den elf zwischen 1444
und 1500 amtierenden Stadtrichtern sieben Testamente im Stadtbuch eingetragen
wurden, sind es in den vier Jahrzehnten zuvor nur zwei von zwölf289. Da sie
wohl kaum auf Totenfeierlichkeiten verzichtet haben, liegt der Schluss nahe,
dass die Stiftungen entweder außertestamentarisch erfolgten oder ihre Testamente
nicht in das Stadtbuch eingetragen wurden290.
Die Berufsstruktur lässt sich in der Ratsbürgerschicht kaum erheben, da
in den Geschäftsbüchern in der Regel nur das Amt genannt wird und die Familiennamen
oder Testamente bis auf Ausnahmen keinerlei Bezüge zu einer beruflichen
Tätigkeit erkennen lassen. Ihr Vermögen basierte wohl auf Handel, Grundbesitz
und Gewinn bringende Unternehmen wie Mühlen oder beispielsweise die
Badestube, die im Besitz des Stadtrichters Peter Walkam war291.
287 Die Berechnungen beziehen sich auf 254 Testamente, die in einer Datenbank erfasst wurden.
Die Gesamtzahl der Testamente liegt für den Zeitraum 1444–1474 mit 266 Stück höher
bei unveränderter Geschlechterverteilung und Herkunft: 56% Männer, 44% Frauen,
90% aus Korneuburg, 10% von außerhalb.
288 Der Befund für Korneuburg deckt sich mit jenem anderer Städte: zu Pressburg und Ödenburg
vgl. Szende, Besonderheiten 110 f., der zufolge die Testatoren nach den Steuerlisten
überwiegend vermögend waren und 16 bis 20% dem Stadtrat angehörten; ähnlich zu Wiener
Neustadt Bastl/Freisleben, Vermögen und Vermächtnis 14, aber ohne Prozentangaben;
für Konstanz nimmt Baur, Testament und Bürgerschaft 116 f., an, dass die Ratsfamilien sogar
70 bis 80% der Testatoren stellten.
289 Von folgenden Stadtrichtern sind Testamente überliefert: Wolfgang Molter † 1444, StAK,
Hs. 3/159 fol. 95v–96v (1444 X 2); Niclas Engelgershauser † 1446, Hs. 3/160 fol. 14r–15v
(1446 VI 20); Cristoff Wolfslukchner † 1455, ebd. fol. 59v–60r (1455 IX 29); Peter Walkam
† 1458, ebd. fol. 72v–73r (1458 V 1); Caspar Strasser † 1464, Uiblein, Bücherverzeichnisse
n. 20 (1460 VII 9), n. 24 (1464 III 9); Achaz von Perg † 1468, Hs. 3/160 fol.
112v–113v (1468 I 22); Hans Trost † 1482, ebd. fol. 156v–157v (1482 II 5); Erhart Otterer
† 1495, ebd. fol. 7v–8v (1495 IX 16); Walthasar Prewer † 1511, Hs. 3/161 fol. 113v–117v
(1511 IX 17). Eine Liste der Stadtrichter bei Starzer, Korneuburg 273 ff., der Erhart Otterer
nicht nennt.
290 Zur Überlieferung in den Stadtbüchern s. oben Teil 2, Kap. I./1.
291 Zur Badestube s. Anm. 31.
103
Wohlhabend: Krämer, Binder, Fleischhacker
Auf die große Bedeutung des Handels in Korneuburg als Grundlage von Reichtum
und politischer Mitsprache verweisen bis auf die vereinzelte Nennung von
Wein, Getreide und Salz als Teil der Fahrhabe292 vor allem die für das ganze
Jahrhundert regelmäßig überlieferten Testamente der Krämerfamilien, beginnend
mit dem Ratsherrn Hans Kramer 1419 über die Familie Huber, Vater und
Sohn, bis zu Dorothe Kramer 1488, möglicherweise die Schwiegertochter des
Hans, die ein Haus am Ring besaß und 1000 Messen stiftete. Ein gewinnbringendes
Unternehmen scheint vor allem die in den Testamenten mehrmals erwähnte
Krämerei neben der Nikolaikapelle am Hauptplatz gewesen zu sein, die
nach dem Tod der Männer in Frauenhand war. Eine der Inhaberinnen, Barbara
Huber, war die Schwester des Pfarrers Peter Seidenspinner, und gehörte somit
zur Korneuburger Oberschicht, wenn auch nicht zu den ‚Spitzenfamilien’. Ihr
verstorbener Mann Jörg war zwar Genannter, aber bis auf den Hans Kramer des
frühen 15. Jahrhunderts begegnen sonst keine Krämer als Ratsherren293.
Diese Familien bildeten jene sehr wohlhabende Schicht, die vor allem Genannte
stellte, beträchtlichen immobilen und mobilen Besitz verteilte und für ihr
Seelenheil hohe Geldbeträge für lang laufende Jahrtage und den Kirchenbau sowie
Silbergeschirr oder Silbergürtel für die Kirchenausstattung stiftete, im Unterschied
zu den Ratsbürgern aber nur selten Ewigstiftungen. Zu dieser Schicht
gehörten auch reiche Handwerker, allen voran die Fassbinder und Fleischhacker,
aber auch Bäcker, Bogner, Hafner und Schmiede294. Einzelnen gelang der Auf-
292 Wein, Getreide, Salz als Teil der Fahrhabe, wobei es sich um größere Mengen gehandelt
haben musste, um ausdrücklich erwähnt zu werden, z. B. bei Paul Strobl, StAK, Hs. 3/160
fol. 2v (1444 X 9), und dem Bäcker Niclas Weiss (Weisspegk), ebd. fol. 74r–v (1458 VI 5);
nur Salz bei Anna Paul, ebd. fol. 65r–v (1457 III 19); Wein und Salz bei dem Krämer Jörg
Huber, ebd. fol. 71r–v (1458 IV 26).
293 Testamente der Familie Kramer: Hans Kramer (auch: Chramer), von dem zwei Testamente
überliefert sind, StAK, Hs. 3/159 fol. 18r–v (1419 XII 2); seine Witwe Agnes, die einen
noch minderjährigen Sohn Wolfgang hinterließ, ebd. fol. 25v–26r (Testament 1424 VII 30,
Eintrag undat.); Dorothe, Witwe des Wolfgang Kramer (Sohn von Hans und Agnes?), Hs.
3/160 fol. 183r–v (1488 V 23) – Zur Familie Huber, Inhaber des Ladens bei der Nikolaikapelle,
s. ausführlich unten Teil 3, Kap. II./1 und Anm. 317.
294 Umfangreiche Testamente hinterließen u. a.: die Fassbinderfamilie Pestorffer (s. Anm.
150); Wilhalm Pinter, StAK, Hs. 3/159 fol. 29v–30r (1426 II 20); Ratsherr Peter Pinter (s.
Anm. 295); Hans der Hakchensmid, ebd. fol. 43r–44v (1433 IV 22); Kunigunde Hafner,
Hs. 3/160 fol. 34r–34v (1450 XI 7); Agnes Pogner, ebd. fol. 67v–68r (1457 VI 10); der
Fleischhacker Valtein Römer, ebd. fol. 57r–58r (1455 VII 1); die mit den Pestorffern
verschwägerte Fleischhackerfamilie Tibolt: Hans Tibolt, ebd. 188r–v (1490 IV 23), und seine
Ehefrauen Cristina und Barbara, ebd. fol. 117v (1468 XI 4), fol. 189v–190r (1492 II 6).
Zu dieser Schicht gehörte wohl auch Barbara Pader, Ehefrau des Baders Thoman, die ein
„Häusel“ (nicht Haus!) am Ring besaß, ebd. fol. 122v (1472 I 17).
104
stieg in den Rat, die dann – ihrer Position entsprechend – auch für die Ewigkeit
stifteten295.
Zwischen viel und wenig: Handwerker
Die überwiegende Mehrheit der Handwerkertestamente liegt allerdings, was die
verteilten Vermögenswerte an Grundbesitz, Geld und Fahrhabe, aber auch die
Sorge für das Seelenheil betrifft, deutlich unter dem ‚Standard’ der Oberschichtfamilien.
In ihrer beruflichen Struktur repräsentieren die Handwerker die vielfältigste
Schicht der Stadt: viele Schuster und Lederer, dann Schneider, Kursner,
Tuchscherer, Steinmetzen, Zinngießer, Fasszieher, Wagner, Seiler, Riemer,
Tischler, Schlosser, Lebzelter und Kerzenmacher, auch wenn ihre überlieferten
Testamente kaum repräsentativ für ihren Anteil an der Bevölkerung sind. Insgesamt
lassen sich für die Zeit von 1444 bis 1474 nur 23 Prozent der Testamente
Handwerkern zuordnen, immerhin eine Steigerung von 10 Prozent gegenüber
den vier Jahrzehnten davor, was darauf verweist, dass die Gewohnheit des Testierens
zunehmend breitere Bevölkerungs- und Berufsgruppen erfasste.
Die Handwerker bildeten die breite, nach unten wie oben allerdings
schwer abgrenzbare Mittelschicht, für die sich die Handelsstadt offenbar als ein
über die Nahversorgung hinausgehender, gewinnbringender Absatzmarkt erwies
und eine Vermögensbildung mit Haus- und Grundbesitz ermöglichte. Seelgerät
beschränkt sich in dieser Schicht oft auf 30 bis 60 Messen, konnte aber auch Beträge
bis über 30 lb. umfassen wie bei der Schusterwitwe Dorothe, die sich damit
zwar unter den Wohlhabenden einreihte, aber genauso wie die Kerzenmacherin
Dorothe Rot nur ein „Häusel“ in der Stadt besaß, wobei jenes der Kerzenmacherin
an der Stadtmauer lag296. Eine andere Kerzenmacherin, ebenfalls
namens Dorothe, war hingegen möglicherweise die Witwe eines wohlhabenden
Bürgers297. Beide Frauen sind ein Beispiel für die Breite dieser Schicht, zumal
295 Mitglieder des Rats waren z. B. Wenzlav Smid und Peter Pinter. Letzterer stiftete zwei
ewige Jahrtage und im Falle des Todes seiner Kinder vor der Volljährigkeit eine Ewigmesse,
StAK, Hs. 3/160 fol. 9v–10r (1445 I 29). – Auf ein Naheverhältnis besonders der Fassbinder
zum Rat verweist auch das Testament des Stadtrichters Achaz von Perg (s. Anm.
263), dessen Werkstatt neben dem Haus eines Fassbinders lag, oder das Legat der Ratsherren-
und Stadtschreiberwitwe Kunigunde von Palaw zugunsten der Binderzeche, ebd. fol.
26r–v (1449 I 24).
296 Die Schusterwitwe Dorothe verfügte u. a. Begehung, 10 lb. für Seelengebet in den Messen
und einen Jahrtag auf 13 Jahre, StAK, Hs. 3/160 fol. 47v (1453 V 28). Die Kerzenmacherin
Dorothe Rot vermachte ihr unter der Stiege des Laaer Turms gelegenes Häusel samt Kammer
dem Ehepaar Jörg und Margreth Nagl für ihr Seelenheil, ebd. fol. 73v (1458 X 31).
297 Dorothe Kerzenmacher hinterließ ein Haus, das sie ihrem Sohn Oswald Kreuczer (Sohn
von Mert Kreuczer?) vermachte, StAK, Hs. 3/160 fol. 120v (1470 IV 7). Da ihr Testament
als Abschrift aus dem Klosterneuburger Stadtbuch überliefert ist (s. dazu Anm. 121), dürfte
sie in Klosterneuburg gewohnt und in Korneuburg nur ein Haus besessen haben. Möglicherweise
handelte es sich um das Haus des Mert Kreuczer in der Schiffstraße, das dieser
seiner Ehefrau Dorothe (ident mit der Kerzenmacherin?) hinterlassen hatte, ebd. fol. 88v
105
Kerzenmacherinnen – ebenso wie Näherinnen und Wäscherinnen – oft ärmere
Ehefrauen, Witwen und ledige Frauen waren und nicht selten am Existenzminimum
lebten298.
Auffallend häufig wird in Handwerkertestamenten nur die Besitzweitergabe
geregelt und kein Seelgerät verfügt, was aber kaum bedeuten dürfte, dass
für das Heil der Seele nicht gesorgt wurde. Mit großer Wahrscheinlichkeit wurde
das Totengedenken von den Zechen getragen, die für ihre Mitglieder eine
ehrbare Bestattung ausrichteten. Die zweifellos große Bedeutung der Zechen
gerade für die weniger bemittelten Schichten wird in den Testamenten allerdings
kaum greifbar, letztlich Niederschlag des wohlhabenden Umfelds dieser Quellengattung.
Häufiger genannt werden nur die Handwerkerzechen der Binder,
Hafner und Fleischhacker sowie die Bürgerzeche. Regelmäßig von der reichen
Bürgerschicht bestiftet wurden die Barbara-, Wolfgangs- und Gottesleichnamzeche
(Corpus-Christi-Bruderschaft), deren Mitglieder wohl aus den vermögenden
Familien stammten und die daher auch in der testamentarischen Überlieferung
dominant entgegentreten299.
Geistliche Herren
Eine eigene, sehr kleine Gruppe von Testatoren bilden Priester bzw. die „Herren“,
wie Weltpriester und Chorherren in den Geschäftsbüchern durchwegs im
Unterschied zu den „Brüdern“ des Augustiner- und Franziskanerklosters bezeichnet
werden.
Ihr Anteil beträgt für das gesamte 15. Jahrhundert zwar nur fünf Prozent,
doch sollen sie deshalb erwähnt werden, weil sie durch ihre Legate für das Heil
ihrer Seele – ebenso wie Laien – als Stifter und nicht nur als die für Memoria
zuständigen Empfänger entgegentreten. Ihre Testamente unterscheiden sich vor
allem durch ihren Bücherbesitz – Breviere, Bibeln, Predigtbücher und theologi-
(1461 IX 23). Er fungierte als Genannter, stiftete für sein Seelenheil u. a. 300 Messen und
vermachte seinen Verwandten nicht unbedeutende Legate, ein Sohn wird allerdings in seinem
Testament nicht erwähnt.
298 Vgl. Simon-Muscheid, Dinge im Schnittpunkt 93.
299 Die Verpflichtung der Zeche zur Ausrichtung des Begräbnisses für die Mitglieder wurde in
Wiener Neustadt erstmals 1436 in der Ordnung der Zimmerleute festgehalten, vgl. Albert
Müller, Machtpositionen und Ordnungen. Zwei oder drei Bausteine zu einer Sozialgeschichte
von Wiener Neustadt im Spätmittelalter, in: Sylvia Hahn u. Karl Flanner (Hg.),
Die Wienerische Neustadt: Handwerk, Handel und Militär in der Steinfeldstadt. Wien-
Köln-Weimar 1994, 425–542, hier 456; dazu auch Illi, Totenbestattung 313 f. – Von den
Korneuburger Legaten an die Zechen (1444–1474) fielen 58% an die Barbara- und 30% an
die Wolfgangszeche, an dritter Stelle folgt die Gottesleichnamzeche (Corpus-Christi-
Bruderschaft); vereinzelt wurden die Urbanszeche, die Unser Lieben Frauenzeche, die
Erhartszeche und die Heiliggeistzeche bedacht. Die Barbara-, Wolfgangs- und Corpus-
Christi-Bruderschaften bestanden bis 1784 und veranstalteten am Karfreitag und zu Fronleichnam
eine feierliche Prozession, vgl. Starzer, Korneuburg 611 ff.
106
sche Literatur – von jenen der Laien, der bei diesen sehr selten genannt wird300.
Geistliche vererbten vor allem wertvolle Fahrhabe wie Kleidung, Bücher, Hausrat
und Bargeld, die sie an Kirchen, Klöster, Kollegen, Verwandte und Arme
verteilten, wobei häufig arme Geistliche mit Büchern bedacht werden. Für ihr
Seelenheil verfügten sie wie ihre Mitbürger Begehungen, Jahrtage, Messen und
Fürbitten.
Auch für sie gilt das Kriterium des Vermögens, da die von ihnen verteilte
Habe, vor allem Silberbecher, Silbergürtel, Silbertaschen, pelzgefütterte Kleidung
und hohe Geldbeträge, auf einen gehobenen Lebensstandard verweist. Zu
ihnen gehörten etliche Pfarrer, außer Peter Seidenspinner aus Korneuburg jene
aus den nahen Pfarren Bisamberg, St. Veit (Klein-Engersdorf) und Harmannsdorf
sowie die Pfarrer von Hütteldorf und Schöngrabern, die aus angesehenen
Korneuburger Familien stammten301. Zum wohlhabenden Klerus zählten, nach
ihren Testamenten zu schließen, auch der Kaplan des Bürgerspitals, dann die
Inhaber von einträglichen Altarbenefizien sowie jene, die als Pfarrgeistliche und
Altaristen über mehrere Einkommensquellen verfügten302.
Einzureihen in die Heilsvorsorge der reichen Bürgerschicht sind die entsprechenden
Verfügungen des Pfarrers Mag. Peter Seidenspinner(1436–
1461):303 dreimalige Begehung in der Pfarrkirche, Seelengebet durch jeden Gesellpriester
und Kaplan, Begehung, Messen und Gebet im Augustinerkloster, 30
Tage lang Singen einer Seelenmesse am Tag und einer Vigil in der Nacht in der
300 Von den 33 von Uiblein, Bücherverzeichnisse, aufgenommenen Testamenten mit Büchernennungen
stammen 20 von Geistlichen und 13 von Laien, doch wird nur in vier Laientestamenten
über vorhandene Bücher verfügt, neun betreffen lediglich die Stiftung von Messbüchern,
vgl. Uiblein, Bücherverzeichnisse 17. Auch in den Wiener Testamenten Geistlicher
wird regelmäßig Bücherbesitz genannt, vgl. Jaritz, Realienkundliche Aussage 182.
Zum Korneuburger Bücherbesitz s. auch Franz Lackner, Spätmittelalterliches Buchwesen
in Korneuburg im Spiegel erhaltener Testamente, in: Korneuburger Kulturnachrichten
(1998/1–2) 3–10.
301 Michel Slerksdorn, Pfarrer von Bisamberg, StAK, Hs. 3/159 fol. 84v (1442 II 20); Hans
Prueler, Pfarrer von St. Veit (Klein-Engersdorf), Hs. 3/160 fol. 52v (1454 VIII 23); Hans
Pachsteter, Pfarrer von Harmannsdorf, ebd. fol. 105v–106r (Testament 1464 I 21, Eintrag
undat.); dessen Amtsvorgänger in Harmannsdorf, Peter Aschacher, Uiblein, Bücherverzeichnisse
n. 9 (1448 II 18); Wolfgang Knollinger, Pfarrer von St. Veit (Klein-Engersdorf),
ebd. n. 28 (1476 III 15); Sigmund Halbemer, Pfarrer von Schöngrabern, ebd. n. 27 (1473
XI 5); zu den beiden Testamenten des Hütteldorfer Pfarrers Niclas Leitgeb s. Anm. 305.
302 Pertlme, Kaplan des Bürgerspitals, Uiblein, Bücherverzeichnisse n. 17 (1457 X 4); Matthäus
von Oberwölz, Frühmesser und Kaplan des Marienaltars in der Pfarrkirche, ebd. n. 21
(1461 IX 14); Niclas Weiss, Altarist am Petersaltar und Kantor, ebd. n. 26 (1465 VII 30),
der zwei Hilfspriester unter sich hatte. – Kostbare Fahrhabe enthalten auch die Testamente
der Geistlichen Mert Heyss aus Ladendorf, ebd. n. 19 (1459 XI 6), und des Paul Woller,
Kaplan am Allerzwölfbotenaltar (Apostelaltar), ebd. n. 33 (1487 X 9). Über 38 lb. verteilte
der Benefiziat Lorenz Spet für Seelgerät, arme Kapläne und den Bau seines Hauses, das er
seinem Altar widmete, ebd. n. 22 (1462 III 15). – Zur materiellen Welt des Klerus (Basel
und Straßburg) vgl. auch Simon-Muscheid, Dinge im Schnittpunkt 345 ff.
303 Zu ihm und seinem Testament s. Anm. 48.
107
Pfarrkirche für sich und alle Gläubigen, ein Jahrtag auf 27 Jahre für sich und
seine Eltern sowie ein Weingarten und 80 fl. für das geplante Marienfrühamt am
Samstag. Seine Bibel und theologische Literatur hinterließ er der Sakristei –
zwei Handschriften haben sich bis heute erhalten304 –, seine Stundenbücher dem
Frühmesser, der dafür seiner und seiner Vorfahren Seele gedenken sollte. Übertroffen
wurde er allerdings vom Hütteldorfer Pfarrer Niclas Leitgeb, einem geborenen
Korneuburger, der drei Ewigmessen, einen ewigen Jahrtag und ein Universitätsstipendium
für einen Studenten oder Schüler seiner Heimatstadt stiftete.
305
4. ‚Volksfrömmigkeit’?
Die Quellenanalyse im Hinblick auf die Träger des Stiftungswesens zeigt einmal
mehr, wie ungeeignet der nach wie vor gebräuchliche Begriff ‚Volksfrömmigkeit’
oder ‚Volksreligiosität’ als Kategorie der Beschreibung der Stiftungsfrömmigkeit306
ist, denn dessen soziale Bezugsgröße, das ‚Volk’, kommt einem bei
genauerem Hinsehen etwas abhanden.
Konzepte
Nach dem bis in die 1990er Jahre für religiöse Denk- und Verhaltensweisen angewandten
dichotomischen Interpretationsmuster ‚Elite- und Volksfrömmigkeit’
galt als ‚Volk’ die Masse der lese- und schreibunkundigen Bevölkerung, für dessen
Frömmigkeit mangelnde Rationalität – unreflektiert übernommene Überlie-
304 Eine Handschrift mit Thomas Ebendorfers Collationes de epistolis in festis sanctorum per
circulum anni, sowie eine Handschrift mit der Explicatio ordinaria des Johannes Duns Scotus
über das II. Sentenzenbuch des Petrus Lombardus, vgl. Uiblein, Bücherverzeichnisse
19. Zu den mittelalterlichen Handschriften der Pfarrbibliothek vgl. weiters Franz Lackner,
Korneuburger Handschriften, in: Korneuburger Kulturnachrichten (1994/4) 2–9, und ders.,
Eine bisher unbekannte Handschrift aus der ehemaligen Korneuburger Pfarrbibliothek,
Cod. Ser. N. 39549 der Österreichischen Nationalbibliothek, in: Korneuburger Kulturnachrichten
(1996/1–2) 2–8.
305 Niclas Leitgeb († 3. August 1433) errichtete offenbar zwei Testamente, von denen das eine
in Wien, das zweite in Korneuburg eingebracht wurde. In dem in Wien vorgelegten Geschäftsbrief
dotierte er aus seinen dafür zu veranlagenden Erbgütern ein Hochschulstipendium
für vier, sechs oder mehr Studenten, wovon er eines für einen Korneuburger reservierte.
Diese Verfügung, nicht aber das gesamte Testament, wurde nach dem Wiener Stadtbuch
auch in das Korneuburger Geschäftsbuch eingetragen, StAK, Hs. 3/159 fol. 47v
(1433, ohne Tagesdatum). Im Anschluss daran folgt auf fol. 48r–v der wortwörtliche Eintrag
seines zweiten, vor dem Korneuburger Rat eingebrachten Testaments von 1433 VII 29,
das ausschließlich Verfügungen zugunsten Korneuburgs enthält, nicht aber die Stiftung des
Hochschulstipendiums, Uiblein, Bücherverzeichnisse n. 2 (1433 X 20); zu seiner Person
und seinem Grabstein (heute Burg Kreuzenstein) ebd., Anm. 52, auch Starzer, Korneuburg
688; zu den drei von ihm gestifteten Ewigmessen s. oben Anm. 273.
306 So z. B. bei Skvarics, Volksfrömmigkeit über das Wiener Neustädter Stiftungswesen (s.
Anm. 8).
108
ferung und teilweise auf abergläubische Vorstellungen beruhende Praktiken –
sowie ein Zug ins Massenhafte kennzeichnend sei, für die Frömmigkeit der Eliten,
insbesondere der theologisch Gebildeten, hingegen hohe Reflexivität307.
Dieses dualistische Konzept beruhte zum einen auf den mittelalterlichen
Diskursen über das als idealtypische Hierarchie festgeschriebene Verhältnis von
Klerus und Laien, das sich seit dem Spätmittelalter nicht mehr mit den literati
und illiterati deckte und zu heftigen Kontroversen über das Bibellesen der inzwischen
lese- und schreibkundigen Laien führte308. Im 18./19. Jahrhundert erhielten
die Begriffe ‚Volksfrömmigkeit’ und ‚Volk’ jene für die Frömmigkeitsgeschichte
so bedeutsame Konnotierung im Sinne von einfach, magisch, unvernünftig
usw. Der – nun als Wunder- und Aberglauben abgewerteten – Frömmigkeit
des ‚einfachen Volkes’ wurde eine rational vertretbare und ethisch orientierte
Religiosität der Gebildeten gegenübergestellt, aus dem Gegenüber von Klerus
und Laien wurde jenes von Gebildeten – nun Klerus und Bildungsbürgertum –
und ungebildeter Masse.
In Entsprechung zu dieser sozialen Hierarchie wurde im Gefolge Max
Webers Frömmigkeit als Korrelat sozialer Interessenslagen verstanden, die unterschiedliche
Erlösungsbedürfnisse erfüllen würde: bei den Nicht-Privilegierten
lebenspraktische Bedürfnisse nach Hilfe aus der Not, Sicherheit und Schutz oder
Hoffnung auf Vergeltung und Entschädigung, bei den Privilegierten hingegen
Erlösung von ‚innerer Not’ durch spirituell-systematische Entwürfe sowie Legitimierung
von Herrschaft und Lebensführung. In weiterer Folge wurde ‚Volksfrömmigkeit’
oder ‚Volksreligion’ als Frömmigkeit der unteren, bislang wenig
beachteten Schichten zum Forschungsfeld sozial- und alltagsgeschichtlicher
Fragestellungen in der Volkskunde, Profan- und Kirchengeschichte 309.
Befund der Quellen
Die spätmittelalterliche Stiftungsfrömmigkeit mit der für sie charakteristischen
Rechen- und Massenhaftigkeit vor dem Hintergrund von Katastrophen und Krisen
scheint sich zunächst ‚nahtlos’ in das Konzept der ‚Volksfrömmigkeit’ einzufügen
und fand in Kritikern wie Meister Eckhart auch das passende Gegenüber
aus der gebildeten Elite310. Auch das Quellenmaterial – in großer Zahl und
lange Zeit wenig beachtet – scheint die Hoffnung zu bestätigen, nun Zugänge
zum ‚Volk’ und seiner Frömmigkeit gefunden zu haben.
307 Zum Folgenden vgl. Schreiner, Laienfrömmigkeit 1 ff., und ders., Frommsein 81 ff.
308 Vgl. Schreiner, Laienfrömmigkeit 16 ff.; zur zunehmenden Akzeptanz des Laien als Leser
geistlicher Literatur Honemann, Laie als Leser 243 ff.
309 Vgl. bes. den Sammelband Peter Dinzelbacher u. Dieter Bauer (Hg.), Volksreligion im
hohen und späten Mittelalter (Quellen und Forschungen aus dem Gebiet der Geschichte 13)
Paderborn 1990.
310 Zur Kritik s. oben Teil 1, Kap. II./5 und Anm. 96.
109
Der Befund der Quellen ergibt allerdings ein anderes Bild:311 Das für sein
Seelenheil sorgende ‚Volk’ ist tatsächlich die weltliche und geistliche Elite der
Stadt, die das politische, wirtschaftliche und kirchlich-religiöse Leben gestaltete
und kontrollierte, gefolgt von der Schicht der Wohlhabenden und Erfolgreichen.
Dieses ‚Volk’ besaß innerhalb seines sozialen Umfelds Macht, Besitz, mitunter
weitreichende überregionale Beziehungen und – als Kaufleute, Ratsherren,
Stadtschreiber, Kirchenmeister usw. – zweifellos Lese- und Schreibkundigkeit,
auch wenn sich der Besitz von Büchern bis auf Ausnahmen auf die Geistlichen
beschränkte, die wiederum die theologisch Gebildeten unter den Testatoren vertreten.
Aber auch Laien besaßen Universitätsbildung312. Die angesehenen Bürgerfamilien
waren zudem das soziale Herkunftsfeld von erfolgreicheren Weltpriestern,
die es bis zum Pfarrer brachten, oder von einigen Klosterneuburger
Chorherren313.
Die Quantität des Seelgeräts mit hunderten Seelenmessen, also der für die
‚Volksfrömmigkeit’ angeblich so typische Zug ins Massenhafte, war ebenso wie
die auf die Ewigkeit bezogene Qualität in Form von Altarstiftungen schon allein
wegen der damit verbundenen Kosten nur der reichen Führungsschicht vorbehalten,
vertreten durch Caspar Strasser, der an diesseitigem Reichtum und jenseitiger
Vorsorge alle übertraf. Es ist nicht anzunehmen, dass er seine Stiftungen
unreflektiert vornahm, zumal ihn sein Bücherbesitz auch als Mitglied der Bildungselite
ausweist. Wie das Beispiel Rudolf Angerfelders zeigt, vermochte sich
gerade diese Schicht durch ihre Position und ihr Vermögen gesellschaftlichen
Erwartungen zu widersetzen und eigene Vorstellungen zu realisieren.
Welches Volk?
Auch wenn man beide Männer zur sozialen Elite zählen würde, bleibt die Frage,
wer denn nun das ‚Volk’ sei? Ist es die wohlhabende Bürgerschicht, aus der die
Mehrheit der Testatoren kommt; oder umfasste es nur die Handwerkerfamilien,
wobei in Korneuburg die Fassbinder, die Fleischhacker oder die wohlhabenden
311 Vgl. zur Aussage der Quellen schon 1992 Schreiner, Laienfrömmigkeit 6, und erneut im
Jahr 2000 Frommsein 86 ff.
312 Z. B. der Notar und Stadtschreiber Erhart von Asparn oder der Schulmeister Erhart Vischess,
s. zu ihnen die Anm. 3 und 251.
313 Z. B. der Chorherr Matthias Klinsler, der 1438–1444 Teile der Klosterneuburger Handschriften
schrieb und auch Pfarrer in Klosterneuburg war, vgl. Uiblein, Bücherverzeichnisse
24, Anm. 67; im Korneuburger Bestand ist das Testament seines Vaters Hans Klinsler
überliefert, StAK, Hs. 3/159 fol. 51r–52v (1434 I 29). – Aus der Familie Hewndl stammte
der Klosterneuburger Chorherr Siman Hewndl, der im Testament seines Bruders Wolfgang
genannt wird, ebd. fol. 87v (1442 XII 7), zu seinen anderen Brüdern Jörg und Michel s. die
Anm. 189–191. Aus der mit den Hewndl verschwägerten Ratsfamilie Daniel stammte der
Litschauer Pfarrer Michel Daniel, der als Einbringer des Testaments seines Vaters Hans
fungierte, Hs. 3/160 fol. 54v (1454 XI 19). Zu den aus Korneuburg stammenden Pfarrern
von Schöngrabern und Hütteldorf, Sigmund Halbemer und Niclas Leitgeb, s. die Anm. 301
und 305.
110
Schuster, Hafner und Lederer wiederum herausfallen würden, da ihr Besitz an
Immobilien, Silber und wertvoller Kleidung sie eindeutig als gesellschaftliche
‚Gewinner’ ausweist. Am ehesten würden vermutlich Mägde und Knechte in das
Bild vom ‚einfachen, ungebildeten Volk’ passen, allerdings konnten sich diese
bis auf Ausnahmen kaum Memoria leisten. Die wenigen Testamente aus dieser
Schicht unterschieden sich in der Jenseitsvorsorge nur im Umfang bzw. in der
Höhe des dafür aufgewendeten Kapitals von der Vorsorge der Reichen, nicht
aber in der Struktur, wobei die Seelgeräte einkommensschwächerer Gruppen
kaum die Masse der Toten-Memoria ausgemacht haben dürften. Die breite
Schicht der Besitzlosen der mittelalterlichen Gesellschaft wird in diesen Quellen
bestenfalls als Empfänger von Geld- und Kleidungslegaten und als die ‚Armen’
sichtbar oder verbirgt sich hinter dem Wunsch der Stifter, ‚alle Gläubigen’ in
ihre Memoria einzuschließen.
Über Grenzen hinweg
Aus den Testamenten lässt sich im Hinblick auf das Stiftungsverhalten weder
ein Gegenüber von Laien- und Kleruskultur oder von Gebildeten und Ungebildeten
noch eine unterschiedliche Frömmigkeitspraxis als Reflex sozialer Distanzen
schließen. Die hinter der dichotomischen Begrifflichkeit der ‚Elite- und
Volksfrömmigkeit’ stehenden und soziale Homogenität suggerierenden Bezugsgrößen
‚Elite’ und ‚Volk’ lassen sich in den Quellen weder in ihrer Zusammensetzung
präzisieren noch voneinander abgrenzen, entsprechende definitorische
Versuche sind daher zum Scheitern verurteilt314. Die Sorge für das Seelenheil
war ebenso wie die Heiligen- und Reliquienverehrung oder das Wallfahrtswesen
eine schichtenübergreifende Frömmigkeitspraxis, die von allen Bildungs-
und Sozialschichten gepflegt wurde315. Durch ihre nach oben offene,
quantitative Steigerungsmöglichkeit war sie zudem ein überaus geeignetes Medium
für Status und Stand. Gerade in ihren ‚exzessivsten’ Formen war die Jenseitsvorsorge
ein sichtbares Symbol der Führungsschichten, deren Aufwand mit
der gesellschaftlichen Stellung korrelierte, wovon die bis heute erhaltenen Altäre
zeugen. Im städtischen Umfeld war das feierliche Totengedenken Bestandteil
eines ehrbaren bürgerlichen Lebens und Sterbens, das über den Tod hinaus eingebunden
bleiben sollte in die kommunale Gemeinschaft der Lebenden. Die
große Bedeutung, die der Sorge für die Seele zugemessen wurde, zeigt letztlich
314 Vgl. zu entsprechenden Versuchen in Bezug auf Wiener Neustadt Skvarics, Volksfrömmigkeit
20 ff. und bes. 37 ff., die – auf Basis des Forschungsstands der 1980er Jahre und
durchaus im Bewusstsein der begrifflichen Schwierigkeiten in Anbetracht der Heterogenität
des ‚Volkes’ – schließlich ohne nähere Erklärung dieses als ‚Laienvolk’ in Abgrenzung zu
Klerus und Obrigkeit definiert. Mit Obrigkeit kann aber nur der Rat gemeint sein, aus dessen
Umfeld allerdings, wie ihre Quellenanalyse dann ergibt, viele vermögende Stifter, darunter
Ratsmitglieder und Bürgermeister, entstammten (ebd. 97).
315 Vgl. Schreiner, Frommsein 86.
111
die Rolle des Rats für das Funktionieren der Memoria, dem die Kontrolle und
damit institutionelle Sicherung zukam.
Zwischen einem Stadtrichter und einem Knecht – Caspar Strasser und Siman316
– gab es unbestritten soziale Distanzen, die sich in den Quellen zwar in
Form und Umfang ihrer Testamente niederschlugen, nicht aber im beiden gemeinsamen
Wunsch nach Memoria. Zu deren Realisierung verpflichteten beide
Männer als Geschäftsleute auch dieselben Personenkreise, nämlich Ratsbürger
und Geistliche; der Alt-Stadtrichter seinem Stand entsprechend den amtierenden
Stadtrichter, zwei Ratsherren sowie den Pfarrer, der Knecht seine ratsbürgerliche
Hausherrin und seinen Beichtvater. Memoria war ein allen Schichten gemeinsames
Bedürfnis, das, wie es scheint, über die sozialen Grenzen hinweg
auch von allen gemeinsam getragen wurde.
II. Memoria leisten
1. Im Blickfeld
Wenn der junge Krämer Mert Huber aus seinem Geschäft am Hauptplatz Korneuburgs
trat und wenige Schritte Richtung Klostertor (Stockerauer Tor) ging,
hatte er zwei der wichtigsten Gedächtnisorte Korneuburgs im Blick: das Augustinerkloster
und das gegenüber liegende Bürgerspital. Dort war vermutlich auch
ein Teil der 1000 Messen gelesen worden, die sein 1458 verstorbener Vater Jörg
gestiftet hatte, wo immer man sie bekomen kann vnd mag, wie es in dessen Testament
heißt. Einige wurden wohl auch auf den Altären der Nikolaikapelle direkt
neben seinem Kramladen gelesen, dann in der Johanneskapelle vor dem
Klostertor in der Muckerau, wo aber nur ein Kaplan wirkte, und bei den Franziskanern
in St. Jakob jenseits der Donau.
Mittelpunkt des Totengedenkens der Korneuburger Bürgerschaft war aber
die Pfarrkirche St. Gilgen (St. Ägidius), vom Hauptplatz über die schmale Kirchengasse
in wenigen Gehminuten erreichbar und durch das Glockengeläut in
ständig hörbarer Nähe der Familie. Hier lag der Vater begraben, hier wurden die
Jahrtage mit Grabbesuch begangen und hier hatte man sicher auch möglichst
viele der Messen feiern lassen und die dafür vorgesehenen knapp 30 lb. an die
dort zahlreich wirkenden Priester verteilt. Zudem bestanden zur Pfarrkirche enge
verwandtschaftliche Beziehungen: Pfarrer Seidenspinner war ein Onkel Merts,
der Bruder seiner Mutter, der auch das Testament des Vaters an ihrer Stelle vor
den Rat gebracht hatte, weil sie krank war. Mert selbst war damals noch keine
18 Jahre gewesen. In den folgenden Jahren erlebte er den Tod seines Onkels,
vermutlich auch seiner Mutter, übernahm das Geschäft und heiratete. Kinder
dürfte er keine gehabt haben, denn er starb jung, nur zehn Jahre nach seinem
Vater. Seine Kinder wären demnach noch klein gewesen, doch in seinem Testament
trifft er keine Regelung für ihre Versorgung. Die krom bei sandt Nicla
316 Zu ihnen s. ausführlich oben Teil 3, Kap. I./2.
112
samt allen Rechten hinterließ er seiner Frau Barbara, die ihn sicher nach seinem
Wunsch in der Pfarrkirche ehrbar mit 1., 7. und 30. bestatten ließ. Mit seinem
Testament verlieren sich die Spuren der Familie in den Quellen317.
Im Leben wie im Tod war die Stadt Mittelpunkt dieser Korneuburger
Bürgerfamilie. Mit Pfarrkirche, einem Mendikantenkloster und dem Bürgerspital
bot Korneuburg eine für viele Kleinstädte Niederösterreichs typische Struktur
für die Memoria ihrer Bürger, denn jede Stiftung – von 30 Messen bis zu Benefizien
– setzte entsprechende ‚Ressourcen’ voraus, um Memoria nicht nur erfüllen,
sondern auch den mitunter hohen Ansprüchen an öffentlichkeitswirksamer
Feierlichkeit gerecht werden zu können. Den Stiftern stand ein großer Kreis von
Empfängern gegenüber, dem sie ihre Zukunft anvertrauten und der keineswegs
nur aus Geistlichen – plakativ ‚der Kirche’ – bestand, sondern auch aus Laien,
darunter Schulmeister, Mesner, Kirchen-, Spital- und Zechmeister, die alle an
der Sicherstellung und Erfüllung der Memoria als Teil der städtischen Infrastruktur
mitwirkten.
In hohem Ausmaß verblieb die Sorge für das Seelenheil an den vertrauten
Orten in der Stadt und damit im ‚Blickfeld’ der Familien und des Rats. Etwa 75
Prozent der Stiftungen gingen an städtische Institutionen, allen voran die Pfarre
mit den drei Kirchen St. Gilgen, St. Niklas und St. Johannes und ihren Altären
(41%), dann das Augustinerkloster (17%) und das Bürgerspital (6%). Dazu kam
die Ausrichtung der Memoria vor Ort durch die Zechen (9%) sowie ein vermutlich
hoher Anteil an allen Stiftungen für nicht näher präzisierte Kirchen und
Arme (6%), die wohl ebenfalls bevorzugt aus den bekannten örtlichen Empfängerkreisen
gewählt wurden.
Die spätmittelalterliche Trias der Memoria – Messen, Gebet, Almosen –
war somit zunächst ein innerstädtisches Angebot. Ergänzt wurde es aber durch
geistliche Institutionen außerhalb, in Korneuburg zu 21 Prozent, die als Teil des
überregionalen Netzwerkes der Stadt selbst über große Distanzen hinweg ebenfalls
im Blickfeld der Bürgerinnen und Bürger lagen.
2. Pfarrkirche: Geistliche und Laien
Wie überall war die Pfarrkirche als Begräbnisstätte das Zentrum der Memoria
der Stadt, die von nahezu allen Testatoren bedacht wurde und deren Bedeutung
nicht zuletzt daran abzulesen ist, dass sie in der Regel an erster Stelle bei den
Seelenheilstiftungen genannt wird.
317 Testament des Krämers Jörg Huber vom 2. März 1458, StAK, Hs. 3/160 fol. 71r–v (1458
IV 26); Testament seines Sohnes Mert vom 3. Mai 1468, ebd. fol. 115r (1468 VI 27). Jörg
Huber vermachte seiner Ehefrau Barbara die Innehabung und Nutzung der Krämerei auf
Lebenszeit, die Obsorge über den damals minderjährigen Sohn Mert erhielten seine Geschäftsleute,
die Ratsbürger Niclas Puff, Hans Neicz und Peter Mer. Da Mert zehn Jahre
später die Krämerei seiner Frau Barbara in Alleineigentum hinterließ, war seine (gleichnamige)
Mutter vermutlich inzwischen gestorben.
113
‚Hauptamtliche’
Hauptaufgabe der Pfarrkirche waren die Leichenbegängnisse am 1., 7. und 30.
Tag, das Lesen der Seelenmessen sowie die ewigen oder abgehenden Jahrtagsfeiern,
letztere umfassten Zeiträume von drei bis 50 Jahren, am häufigsten zehn.
An den feierlichen Begehungen und Anniversarien waren mit dem Pfarrer, den
drei Gesellpriestern bzw. Kantoren318, dem für den Gesang zuständigen Schulmeister
und dem Mesner, der das Glockengeläut und das Entzünden der Kerzen
besorgte, alle ‚Hauptamtlichen’ der Pfarre, wie man heute sagen würde, aktiv
und finanziell beteiligt. Dazu kam der Kirchenmeister, der aus der Sakristei die
Kerzen stellte, oder der Zechmeister bei Ausrichtung der Feier durch eine Zeche,
die beide ebenfalls häufig für ihre damit verbundene Arbeit, ihre ‚Mühe’,
eine finanzielle Zuwendung erhielten319.
Aus dem Stiftbrief Meister Albertins, dem ‚Bucharzt’ Herzog Albrechts
II., ist der Ablauf eines feierlichen Jahrtags in der Wiener Neustädter Liebfrauenkirche
aus dem 14. Jahrhundert bekannt: Die Feierlichkeiten begannen am
Vorabend mit Geläut und gesungener Vigil, wobei neun Kerzen zu brennen hatten,
mit denen man anschließend das Grab besuchte. Am Morgen sollten der
Pfarrer und seine Priester eine gesungene und fünf gesprochene Seelenmessen
feiern. Die dafür gestiftete Summe von jährlich 2 lb. verteilte sich auf den Pfarrer,
der den größten Anteil erhielt, die sechs Gesellpriester, Diakon und Subdiakon,
Schulmeister, Kantor, Mesner, Zechmeister, Spitalspfarrer, die Kerzen und
die Armen des Spitals320.
Die Liebfrauenkirche war allein von ihrer geistlichen Besetzung her deutlich
größer als die Korneuburger Pfarrkirche, wo nur drei Gesellpriester,
zugleich die Kantoren, wirkten; Diakone werden in den Quellen nie genannt.
Ein Jahrtag „nach Gewohnheit der Pfarrkirche“ kostete auch nur 1 lb., umfasste
aber ebenfalls Vigilien, Seelenamt und Messen, Geläut und Kerzen, mitunter
wird auch das Seelengebet genannt, war also in der Form nicht einfacher321.
Aus den wenigen detaillierten Verfügungen über die Gestaltung eines
Jahrtags geht hervor, dass dem Pfarrer in der Regel etwa die Hälfte bis zwei
318 Zu ihrer zumindest zeitweiligen Identität s. Anm. 43.
319 Beispiele für die Verteilung der Einkünfte in Korneuburg in Anm. 322. Zur Feier des Jahrtags
vgl. Lentze, Begräbnis und Jahrtag 357.
320 Vgl. Rist, Leben für den Himmel 219; Skvarics, Volksfrömmigkeit 100. – Aufteilung der 2
lb.: Pfarrer 0,5 lb., die sechs Gesellpriester je 20 d. (120d.), Diakon und Subdiakon je 6 d.,
Schulmeister 18 d., Kantor 6 d., Mesner für das Geläut 12 d., Zechmeister 30 d., Spitalpfarrer
für ein Seelenamt 12 d., für die Kerzen 60 d., die restlichen 100 d. für die Armen im
Spital.
321 Der Jahrtag des Stadtrichters Achaz von Perg (s. Anm. 263) auf dem von ihm gestifteten
Magdalenenaltar sollte mit Vigilien, neun Seelenämtern sowie Fürbitten für ihn, seine Eltern
und Vorfahren gefeiert werden, wofür der Pfarrer jährlich 1 lb. erhielt. Auch der vom
Ratsherrn Hans Daniel für seine Frau und seine verstorbenen Kinder gestiftete Jahrtag umfasste
neben Vigilien und Messen die Fürbitte in der Pfarrkirche und in der Nikolaikapelle,
StAK, Hs. 3/160 fol. 54v (1454 XI 19).
114
Drittel der Einnahmen blieb und der Rest unter den anderen Beteiligten verteilt
wurde322. Die Gestaltung der feierlichen Formen des Totengedenkens dürfte im
Verantwortungsbereich des Pfarrers gelegen haben, der auch in etlichen Testamenten
als Empfänger der jährlich 1 lb., nicht aber der Gesamtsumme (!), genannt
wird, die er dann nach eigenem Ermessen an seine Priester, den Schulmeister
und den Mesner – letztere erhielten meist 24 bzw. 6 d. – weitergab323.
Ob er selbst die Vigilien und Requien feierte oder diese vorzugsweise delegierte,
lässt sich aus den Quellen nicht sagen, doch ist in Anbetracht des Öffentlichkeitscharakters
dieser Feierlichkeiten anzunehmen, dass er zumindest bei
Stadtrichtern, Ratsherren und Mitgliedern angesehener Familien der Liturgie
persönlich vorgestanden hat.
Im ersten Drittel des 15. Jahrhunderts scheint es bei der Erfüllung der
Jahrtagsstiftungen Schwierigkeiten gegeben zu haben, möglicherweise auch der
Grund, warum in den Testamenten dieser Zeit auffallend häufig die Jahrtage detailliert
verfügt werden. 1433 ordnete ein Testator an, das Geld dem Augustinerkloster
zu geben, falls sein Jahrtag in der Pfarre nicht fürgang haben mechtt;
ähnlich klingt es im Testament einer Ratsbürgerin mehr als ein Jahrzehnt zuvor,
die den Rat bevollmächtigte, ihren Jahrtag in eine andere Kirche zu verlegen,
sollte der Pfarrer die von ihr gewünschte Form nicht wolt gestatten, was auch
immer sie damit meinte324. Auch in diesem Fall wird die erste Alternative das
Kloster gewesen sein. Hintergrund dieser Verfügungen waren vermutlich die
damaligen Konflikte zwischen dem Pfarrer und den Augustinern, denen Eingriffe
in die Pfarrrechte vorgeworfen wurden, wobei die Bürger im Streitfall offenbar
der Seelsorge der Brüder ein höheres Vertrauen entgegenbrachten 325.
322 Testament der Margret Nechel, StAK, Hs. 3/159 fol. 19r (1419 XII 2): Jahrtag zu 1 lb.,
davon dem Pfarrer 0,5 lb., den Gesellen und Kantoren für Fürbitte auf dem Lettner 30 d. (je
10 d.), dem Schulmeister 24 d., dem Mesner 6 d., dem Kirchenmeister für die Kerzen 40 d.
und für seine Mühe 20 d. – Testament des Ruemhart Gundolt, ebd. fol. 27v (1425 X 4):
Jahrtag zu 10 ß., auszurichten vom Kirchenmeister, davon dem Pfarrer 5 ß., den Gesellen
60 d., dem Schulmeister 24 d., dem Mesner 6 d., dem Kirchenmeister für Wachs 60 d. –
Testament des Hans Grewtschensteter, ebd. fol. 49r–v (1433 XII 16): Jahrtag zu 7 ß., von
der Gottesleichnamzeche auszurichten, davon dem Pfarrer 3 ß., den Gesellen für Fürbitte
auf dem Lettner 60 d. (je 20 d.), dem Schulmeister 12 d., dem Mesner für das Geläut 6 d.,
dem Zechmeister für die Mühe 12 d., den Armen 30 d. – Testament des Kristan Malczer,
ebd. fol. 57r–58r (1434 X 26): Jahrtag zu 8 ß., ebenfalls von der Gottesleichnamzeche auszurichten,
davon dem Pfarrer für gesungene Vigilien und Seelenamt 6 ß., den Gesellen 30
d. (je 10 d.), dem Zechmeister 60 d.
323 Vgl. z. B. die Verfügung der Margaretha Kreuczer, ihr Ehemann soll dem Pfarrer jährlich
1 lb. für den Jahrtag geben, oder des Kaplans des Bürgerspitals, der Pfarrer soll von den 5
lb. für Begehung, Vigilien und Requien die Priester und den Schulmeister gänzlich bezahlen,
Uiblein, Bücherverzeichnisse nn. 15, 17.
324 Testament des Ulreich Pawr, StAK, Hs. 3/159 fol. 46v–47r (1433 VII 28); Testament der
Margret Nechel, ebd. fol. 19r (1419 XII 2).
325 Vgl. zum Konflikt Starzer, Korneuburg 501 f. Durch Einschreiten des Passauer Offizials
kam es 1423 zu einem Vergleich zwischen Pfarrer Konrad Schober (1420–1436) und dem
Kloster, der beiden Seiten vorschrieb, zu welcher Zeit Gottesdienste stattzufinden hatten
115
Diese Beispiele belegen, dass die Erfüllung der Pflichten einer hohen
Kontrolle unterlag und eine Verweigerung der Wünsche der Stifter bzw. deren
Vernachlässigung durch Entzug der Stiftung letztlich finanzielle Konsequenzen
hatte, die nicht nur die Pfarrgeistlichkeit, sondern auch den Schulmeister und
den Mesner betrafen, die beide auch räumlich im engsten Pfarrverband lebten.
Der Schulmeister erhielt Quartier und Kost vom Pfarrer, das Mesnerhaus lag bei
der Kirche direkt neben dem Friedhof (heute Kirchenplatz)326. In späterer Zeit
finden sich solche Verfügungen nicht mehr, die Jahrtage wurden ohne Kommentar
nur nach ‚Gewohnheit der Pfarrkirche’ gestiftet, was auf funktionierende
Strukturen unter Pfarrer Peter Seidenspinner (ab 1436) und seinen Nachfolgern
verweisen dürfte.
Gesellen
Aufgabe der drei Gesellpriester war außer ihren Pflichten bei Leichenbegängnissen
und Jahrtagen vor allem das Lesen von 30 Seelenmessen, der von Gregor
dem Großen als besonders wirksam empfohlenen Messreihe. Der so genannte
„gregorianische Dreißiger“ machte über 60 Prozent aller Messstiftungen aus,
seltener sind es 60 Messen oder 90, also für jeden Priester 30.
Aus den zusätzlichen Bestimmungen wie „zu lesen ohne Unterlass“, „zu
lesen zwischen 1. und 7. Tag“, „unverzüglich“, „ab der Todesstunde“ usw., ist
zu schließen, dass die Messreihen möglichst bald und nicht, wie von Gregor
dem Großen empfohlen, täglich an 30 Tagen ohne Unterbrechung gelesen wurden327.
Einzig Pfarrer Seidenspinner verfügte ausdrücklich das tägliche Singen
einer Seelenmesse und einer Vigil an 30 Tagen nacheinander in der Pfarrkirche328,
möglicherweise weil er um die besondere Wirkung dieser Messreihe
wusste, deren Hilfe er nicht nur seiner Seele, sondern den Seelen aller Gläubigen
zuwandte, eine sehr seltene Leistung für die Allgemeinheit. Die Stiftungen galten
bis auf wenige Ausnahmen (2%) dem eigenen Seelenheil und jenem der Familie,
womit der theologische Diskurs über den Wert der Messe eindeutig zugunsten
einer exklusiven Wirksamkeit der Messfrüchte praktiziert wurde329.
Das Gebet für die Seele – vmb die selen pitten – war die zweite vor allem
den Gesellpriestern zugewiesene und eigens entlohnte Pflicht, sowohl am Jahrtag
als auch regelmäßig über längere Zeit hinweg, einmal sogar zehn Jahre lang.
und wie geläutet werden sollte. Den Augustinern wurde erlaubt zu predigen, doch hatte das
Kloster künftig versperrt zu sein und durfte von den Brüdern nur im Ordenskleid und zu
zweit verlassen werden. Vermutlich begannen die Spannungen schon unter Schobers Vorgänger
Geiselher von Dobrakov und lösten sich erst nach Schobers Tod im Jahr 1436.
326 Vgl. Starzer, Korneuburg 285, 415.
327 Zu den Messreihen nach Gregor dem Großen s. oben Teil 1, Kap. II./4.
328 Die Verfügung Peter Seidenspinners (s. Anm. 48): Auch so schaff ich das man meiner sele
ze hilff vnd allen gelaubigen selen in der pharkirchen hie dreissig tag nach einander an under
los singen sol teglich ain selemess vnd zenachts ain vigily (StAK, Hs. 3/160 fol. 97r).
329 Zum Messdiskurs s. oben Teil 1, Kap. II./5.
116
Bevorzugte Orte des Gebets waren der Lettner und die Kanzel, beide durch ihre
erhöhte Lage der Öffentlichkeit zugewandte Plätze der Kirche, wo auch in der
Regel die im Totenbuch oder Totenbrief der Pfarre verzeichneten Namen der
Stifter im sonntäglichen Gottesdienst verlesen wurden330. Auch der Lettner der
Nikolaikapelle war ein zuweilen erwünschter Ort der Fürbitte, wo zusätzlich zur
Pfarrkirche am Montag gebetet werden sollte331.
Kapläne oder „wo man Priester findet“
Stiftungen ab 100 Messen aufwärts wurden hingegen ohne genaue Bestimmung,
wer sie zu lesen hat, in die Pfarrkirche oder das Kloster verfügt. Häufig wurde
die Wahl der Kirchen und Priester gänzlich den Ehepartnern, Geschäftsleuten
oder auch Beichtvätern überlassen. 12 Prozent der Testatoren entschieden sich
für diese Form der Hilfe im Jenseits, die ein klares Zeichen der Zugehörigkeit
zur Oberschicht war. Zu den Stiftern von 1000 Messen, der höchsten und im
Vergleich zu Wien und Wiener Neustadt relativ häufig gestifteten Anzahl, gehörten
vor allem Mitglieder der Ratsfamilien und Stadtrichter332. Auch mit hohen
Messstiftungen verband sich der Wunsch nach möglichst baldiger Erfüllung,
wo auch immer man briester darczu eraischen und gehabn mag, wie es eine
Testatorin in Bezug auf ihre 300 gestifteten Messen formuliert333.
Mit den an den Altären wirkenden Benefiziaten lebten in Korneuburg
mehr als 30 bis 40 Priester334, darunter auch so genannte „arme Kapläne“, nach
330 Vgl. Lentze, Seelgerät 59 f.; Andreas Zajic, ‚Zu ewiger gedächtnis aufgericht.’ Grabdenkmäler
als Quelle für Memoria und Repräsentation von Adel und Bürgertum im Spätmittelalter
und in der Frühen Neuzeit. Das Beispiel Niederösterreichs (Mitteilungen des Instituts
für Österreichische Geschichtsforschung Ergbd. 45) Wien-München 2004, 22 f.
331 Nach der Verfügung des Hans Mugler, man solle auf dem Lettner für seine Seele bitten,
wenn für andere Seelen gebetet wird, war der Lettner der Hauptort des Seelengebets, StAK,
Hs. 3/159 fol. 22r–v (1422 XII 14). Fürbitte auf dem Lettner auf zehn Jahre gegen jährlich
60 d. bei Kathrei Trewmann, Uiblein, Bücherverzeichnisse n. 10; Fürbitte auf der Kanzel
bei Agnes Pogner, Hs. 3/160 fol. 67v–68r (1457 VI 10), 60 Messen und ein Jahr lang Gebet
in der Pfarrkirche und in der Nikolaikapelle bei Agnes Nater, ebd. 111r–v (1467 VI 1); Fürbitte
auf dem Lettner am Sonntag in der Pfarrkirche, am Montag in der Nikolaikapelle bzw.
am Jahrtag in der Pfarrkirche und am Montag in der Kapelle bei den Jahrtagsstiftungen des
Hans Grewtschensteter und des Hans Daniel (s. Anm. 321 f.).
332 Z. B. die schon mehrfach genannten Familien Wagkermann, Helfreich, Hewndl, Kelhaimer,
Sweller, Gut, Edelgut und Huber und die Stadtrichter Caspar Strasser und Walthasar
Prewer (s. die Anm. 46, 172, 189–191, 285, 317, 266, 289). – Hohe Messstiftungen im städtischen
Vergleich: Korneuburg (251 Testamente, 1444–1474): 13-mal 1000 Messen, einmal
500; Wien (ca. 2300 Testamente, 1395–1430): 29-mal 1000 Messen, dreimal 2000 Messen,
einmal 4000 Messen, vgl. Lentze, Begräbnis und Jahrtag 346; Wiener Neustadt: zweimal
1000 Messen, einmal 2000 Messen, vgl. Skvarics, Volksfrömmigkeit 165.
333 Testament der Kathrei Weiss, StAK, Hs. 3/160 fol. 68v–69r (1457 VIII 5).
334 In den Testamenten werden für den Zeitraum von 1444 bis 1474 außer dem Pfarrer 25
Weltpriester mit Vor- und Nachnamen als Empfänger oder Zeugen erwähnt, weitere 19 nur
mit dem Vornamen, die aber teilweise ident mit den Erstgenannten sein dürften. Einige von
117
den Legaten zu schließen mindestens drei bis vier, für welche die Messstipendien
eine lebensnotwendige Einnahmequelle waren und daher gleichzeitig die
Funktion eines Almosens erfüllten335.
Oberste Pflicht der Benefiziaten war die Feier der Ewigmessen für die
Stifter, der luxuriösesten Form der Memoria, ob sie darüber hinaus noch Spielräume
für die Memoria anderer hatten, war wohl abhängig vom jeweiligen Benefizium.
Stiftungen an „alle Kapläne“ oder „alle Priester“ der Stadt für Messen
und Gebet sind selten336, zeigen aber, dass sie prinzipiell verfügbar waren. Für
die Kumulation von Messen gab es verschiedene Systeme, die die Feier mehrerer
Messen am Tag unter gleichzeitiger Einhaltung des Gebots der täglich einmaligen
Zelebration ermöglichten, indem mehrere Messen zu einer einzigen
vereinigt wurden – Missa bifaciata oder trifaciata – oder in einer Ersatzform als
Missa sicca gelesen wurden337. Diese Formen mögen problematisch gewesen
sein, waren aber die Konsequenz eines Heilssystems, in dem die Messe einen
zentralen Stellenwert einnahm und die Nachfrage an rasch wirksamer Quantität
ein entsprechendes Angebot voraussetzte bzw. schuf.
Den Quellen lässt sich allerdings nicht entnehmen, wieweit diese Praxis
üblich war, und an welche Priester man sich außer jenen vor Ort noch wandte.
Nahe liegend wären die häufiger bedachten Franziskaner in Klosterneuburg sowie
die Pfarrkirchen der Umgebung, vor allem Harmannsdorf, Leobendorf, Bisamberg,
Klein-Engersdorf und Langenzersdorf, zu denen engere Beziehungen
ihnen waren gleichzeitig Kantoren und Benefiziaten oder hatten mehrere Benefizien inne:
Niclas Weiss war Altarist am Petersaltar und Kantor, desgleichen Ulreich Zeph (auch:
Zepf), der häufig als Zeuge fungierte; Hans (Krieg?) war Kaplan der Johanneskapelle sowie
Gesellpriester und Kantor; Matthäus von Oberwölz Frühmesser und Kaplan des Unser Lieben
Frauenaltars, zu ihm und Niclas Weiss s. Uiblein, Bücherverzeichnisse nn. 21, 26.
335 Zu den Seelgeräten an arme Geistliche vgl. Lentze, Seelgerät 63 ff. – Legate an „arme
Kapläne“ für Messen bei Anna Murrin, StAK, Hs. 3/160 fol. 107v (1465 III 18), und Clement
Hössl, ebd. fol. 109r–110v (1467 I 13), der ihnen 13 ß. stiftete. Demnach dürfte es
sich um eine Gruppe von mindestens drei bis vier Priestern gehandelt haben, geht man von
den üblichen Legaten an Kapläne von 3–4 ß. aus, s. Anm. 336. – Nach Niederstätter, Jahrhundert
der Mitte 71, waren die Hilfsgeistlichen durch ihr niedriges Einkommen besonders
schlecht gestellt, vergleichbar den Dienstboten. Die Korneuburger Gesellpriester wurden
allerdings eindeutig nicht unter die „armen Priester“ gereiht, möglicherweise aber deren
„Gesellen“, die nur im Testament des Kantors Niclas Weiss erwähnt werden, Uiblein, Bücherverzeichnisse
n. 26.
336 Zuwendungen an alle Kapläne oder Priester für Messen und Gebet in nur 5% der Testamente,
die jeder meist 3 oder 4 ß. erhielten, genannt wird auch 1 fl. oder auch nur 60 d. für
Fürbitte. Caspar Strasser (s. Anm. 266) bedachte jeden Kaplan mit 3 ß. für Seelengebet für
sich und seine Eltern oder für neun Messen.
337 Vgl. Hans Lentze, Das Sterben des Seelgeräts, in: Österreichisches Archiv für Kirchenrecht
7 (1956) 30–53, bes. 36 f.: Bei der Missa bifaciata oder trifaciata wurde die erste
Messe nur bis zum Offertorium, dem Messgesang während der Darbringung der Opfergaben,
gesungen, und dann die nächste Messe begonnen. Das Offertorium wurde für alle begonnenen
Messen gemeinschaftlich gelesen, desgleichen ein abschließender Kanon. Bei der
Missa sicca legte der Zelebrant nach der Kommunion die Kasel ab, begann mit einer neuen
Messe, sprang dann vom Offertorium- zum Kommunionvers und führte die Messe zu Ende.
118
bestanden und wohin auch Begehungen, Messen und Jahrtage gestiftet wurden,
weiters Kirchen und Klöster in Wien. Vermutlich gehörten auch Priester aus
ortsansässigen Familien sowie die Beichtväter dazu, die zuweilen für das Seelengedächtnis
begabt oder mit der Auswahl der Kirchen beauftragt wurden,
wohl Ausdruck eines besonderen Nahverhältnisses zu ihnen. Auch das Klosterneuburger
Augustiner-Chorherrenstift war nicht weit, lag aber, was die Heilsvorsorge
betraf, nie im Blickfeld der Testatoren.
Der Kirchenmeister: Bauherr zum Lobe Gottes
Eine zentrale Rolle in der Heilssorge hatte der Kirchenmeister, gewöhnlich ein
Mitglied des Rats und zuständig für das Pfarrkirchenvermögen – die ‚Kirchenfabrik’
– und für die Sakristei mit ihrem Bestand an liturgischen Geräten, Messgewändern,
Wachs und Büchern. Seine Aufgaben reichten von der Verwaltung
des Vermögens – Weingärten, Häuser, Geld, Silber, Wachs – über die Instandhaltung
des Gebäudes, der Einnahme der Begräbnistaxen bis zur Betreuung der
Messkleidung und der Kerzen338. Der Kirchenmeister bezahlte aber nicht nur die
Handwerker, die Wäscherinnen, den Mesner und die Totengräber, sondern hatte
auch für die Ausrichtung der mit den Schenkungen zum Seelenheil verbundenen
geistlichen Leistungen zu sorgen, sofern es keine anderslautenden Bestimmungen
in den Testamenten gab339. Waren für einen Jahrtag nicht die Angehörigen
oder Geschäftsleute verantwortlich, sondern erfolgte die Stiftung der Gesamtsumme
an die Pfarrkirche, meist in die Sakristei, den sagrer, hatte er die üblichen
1 lb. jährlich dafür zu verteilen und wurde für seine damit verbundene
‚Mühe’ oft auch eigens bedacht. Desgleichen gehörte die Verwaltung der Legate
für geistliche Langzeitprojekte, wie das Marienfrühamt am Samstag, zu seinen
Aufgaben340.
In seiner Verwaltungsfunktion war der Kirchenmeister aber nicht nur eine
Art finanzielle ‚Drehscheibe’ für die Geldflüsse aus dem Kirchenvermögen an
die Geistlichkeit für Messen und Gebet, sondern – was selten Beachtung findet –
338 Zum Kirchenmeisteramt vgl. Starzer, Korneuburg 485 ff., zu den Aufgaben bes. Annemarie
Fenzl, Domkapitel und Kirchenmeisteramt zu St. Stephan, in: Pfarrblatt Dompfarre St.
Stephan 56/2 (2000) 4–11, mit Druck einer Kirchenmeisteramtsrechnung aus dem Jahr
1420.
339 Z. B. im Testament des Achaz von Perg (s. Anm. 263), wonach die Ehefrau die Weingärten
innehaben und bebauen und davon dem Pfarrer jährlich 8 lb. für 3 Ewigmessen und 1
lb. für einen ewigen Jahrtag sowie ein ewiges Licht ausrichten soll; die Sorge für das ewige
Licht übertrug er dem Benefiziaten seiner Altarstiftung. – Beispiel einer bestmöglichen Absicherung
einer Jahrtagsstiftung ist das Testament des Hans Roll, StAK, Hs. 3/160 fol. 89r–
v (1461 XI 23): Er vermachte seiner Tochter und seinem Schwiegersohn ein Viertel Weingarten,
die davon einen ewigen Jahrtag ausrichten sollten, im Falle der Vernachlässigung
des Jahrtags verfügte er aber die Übernahme des Weingartens und Ausrichtung durch den
Kirchenmeister.
340 Beispiele für Zuwendungen an den Kirchenmeister aus dem Jahrtaggeld in Anm. 322, zum
Marienfrühamt s. Anm. 262.
119
auch für das Seelenheil selbst verantwortlich. Mit dem Kirchenbau und der Sakristei
unterstanden ihm nämlich jene zwei Bereiche der Pfarrkirche, die in jedem
dritten Testament ausdrücklich und, was entscheidend ist, ohne eine damit verbundene
Gegenleistung wie Messe, Gebet oder Jahrtag bedacht wurden – gemessen
an der Gesamtheit der Stiftungen rund 30 Prozent341.
In diese Kategorie fallen zweckgebundene Legate für den Baufonds und
die Kirchenausstattung. Die dem Bau und fallweise konkreten Bauvorhaben gewidmeten
Zuwendungen, in der Regel Geldbeträge zwischen 1 und 40 lb., aber
auch Häuser, Wein oder – ganz praktisch – Steine, dienten der Instandhaltung
und finanzierten Neubauten. Das ab den 1450er Jahren mit hohen Summen unterstützte,
wohl größte Projekt bis zum Kirchenumbau Ende des Jahrhunderts
war eine Marienkapelle in der Pfarrkirche342.
Die für die Innenausstattung, insbesondere die Liturgie, bestimmten Legate
zeichnen sich durch hohe Repräsentativität aus und umfassten häufig wertvolle
Objekte wie Silbergeschirr oder Silbergürtel, Perlen und Kleinodien, die zu
Lebzeiten der Stifter Status und Reichtum repräsentierten und nun durch Verkauf
oder Umarbeitung zur Wertanlage für ihr Seelenheil wurden. Aus den Vermächtnissen
an die Sakristei sollten Kelche und Monstranzen, Altartücher,
Messgewänder und -bücher angeschafft sowie Altarbilder und Glasfenster angefertigt
werden. Dazu gehörte auch die Schenkung von Büchern für die Liturgie
oder die Pfarrbibliothek.
Alle diese Legate erfolgten, obgleich nur selten ausdrücklich formuliert,
selbstverständlich für das Seelenheil, vereinzelt bildeten sie sogar das alleinige
Seelgerät, das kostenmäßig durchaus hohen Messstiftungen entsprechen konnte343.
Vermächtnisse für den Bau und die Ausstattung der Kirche waren als
‚Bausteine’ und als Schmuck der Kirche Gottes um ihrer selbst willen heilswirk-
341 Bei den Vergaben an die Pfarrkirche erfolgten 31% ohne Bitte um Memoria, davon 13%
für den Bau und 14% in die Sakristei, der Rest ohne Angabe eines Zwecks. Nach der Tabelle
bei Skvarics, Volksfrömmigkeit 102, umfassten in Wiener Neustadt sogar zwei Drittel
der Geldstiftungen keine Gegengabe, was sehr hoch erscheint; möglicherweise wurden
auch Zuwendungen an Geistliche eingerechnet (z. B. die obligaten 3 ß. für 30 Messen), die
aber immer geistliche Leistungen inkludierten. – Nicht auszuschließen ist bei Legaten für
Bau und Ausstattung ein regelmäßiges Gebetsgedenken durch Eintrag der Stifter in die Totenbücher,
allerdings findet sich dafür kein Hinweis. Die aus Wien bekannten Beispiele von
solchen Einträgen sind stets mit einer entsprechenden Taxe verbunden, vgl. Lentze, Seelgerät
59 f.
342Zum Bau der Marienkapelle s. Anm. 271. Weitere in den Testamenten genannte Bauvorhaben
waren der Karner der Pfarrkirche, die Sakristei der Nikolaikapelle sowie Sakristei, Gestühl
und Dach der Johanneskapelle.
343 Für den Bau um der Seele Heil willen z. B. bei Regina Halbemer, StAK, Hs. 3/160 fol.
87v–88r (1461 XI 23), Christoff Wolfslukchner, ebd. fol. 59v–60r (1455 IX 29) und, bei ihr
bezogen auf den Kreuzgang des Augustinerklosters, bei Dorothe Edelgut, ebd. fol. 24v–25r
(1448 VII 16). – Paul Strobl stiftete für den Bau (Turm der Nikolaikapelle, Karner der
Pfarrkirche, Dach über den Chor der Johanneskapelle) den hohen Betrag von 32 lb. und 16
fl., ebd. fol. 2v (1444 X 09); dafür hätte er auch 1000 Messen (à 7 d. = 29 lb. 40 d.) und einen
Jahrtag auf mehrere Jahre bekommen.
120
sam, denn sie dienten dem Lob Gottes und der Heiligen oder zu ainer zir, wie es
der Geistliche Niclas Weiss im Hinblick auf seine einem Altar gewidmeten Silbergürtel
und Taschen formulierte344. Nicht der alltägliche Bedarf an liturgischem
Gerät, sondern die Vermehrung der ‚Gotteszierde’ durch kostbare, prunkvolle
Objekte war das Ziel.
Damit besaß der Kirchenmeister als Bauherr sowie Verantwortlicher für
die Sakristei einen bedeutenden Stellenwert im System der Heilssorge, denn allein
in seine Zuständigkeit fiel die Umsetzung dieser letztwilligen Verfügungen.
Er war dafür verantwortlich, dass die Legate auch tatsächlich in sichtbarer Form
Lob und Zierde Gottes wurden, auch wenn die Realisierung vor allem der in den
Testamenten über Jahre hinweg verfolgbaren Bauprojekte offenbar langwierig
war. Ihm kam damit für immerhin ein Drittel der Stiftungen eine, der Mess- und
Gebetsverpflichtung der Geistlichen durchaus vergleichbare Verantwortung für
die Memoria zu. Seine Funktion als Ratsmitglied, verbunden mit der Pflicht zur
Rechnungslegung vor dem Rat, zeigt zudem die enge Verschränkung von Heilssorge
und kommunalem Interesse, die ein simples Auseinanderdividieren von
Laien als Geldgeber und Klerus als Empfänger und alleinige ‚Gewinner’ der
Heilsvorsorge unmöglich macht. Bau und Ausstattung der Pfarrkirche als geistliches
Zentrum der Stadt war ein in erster Linie von Laien getragenes und von
Laien realisiertes Anliegen, während Geistliche kaum für den Bau stifteten, sondern
vor allem für den liturgischen Bedarf. Prestigeträchtige Bauvorhaben, wie
es die Marienkapelle zweifellos war, erhöhten sichtlich das finanzielle Engagement
der Stifter. Ihr Bau fand quer durch alle Schichten – von der Magd über
den Schuster bis zu den Ratsfamilien – breite Unterstützung, wobei unfehlbarer
Gradmesser der ihr zugemessenen Bedeutung wie immer Stadtrichter Caspar
Strasser ist, dessen gestifteter Altar dort stehen sollte345.
Investment in Laienhänden
Ein repräsentativer, moderner und im Inneren durch Gold, Silber und Glas
‚strahlender’ Kirchenbau erfüllte viele Bedürfnisse: Er war Ausdruck des Einsatzes
der Bürgerschaft für Gott und die Heiligen, verbunden mit der Hoffnung
auf Gnade und Hilfe für ihre Stadt; er erhöhte das Ansehen der Kommune und
344 Uiblein, Bücherverzeichnisse n. 26; vgl. das Testament des Schusters Larencz Steirer, der
für die Marienkapelle sein Haus stiftete dem almechtigen got zu lob vnd in den ern der
hochgelobten Junkfrawen Marie, StAK, Hs. 3/160 fol. 130r–v (Testament VIII 16, Eintrag
undat.) – Zu den Stiftungen zur ‚Gotteszierde’ vgl. Jaritz, Seelenheil 64 ff., als Devotionsleistung
um ihrer selbst willen ebd. 66; weiters Rist, Leben für den Himmel 227.
345 Das Bauvorhaben wurde u. a. unterstützt von der Magd Margreth Gretzmaroltin, dem Bäcker
Niclas Weiss, dem Steinmetz Peter Künigstorffer, den Ratsbürgerinnen Dorothe Gut
und Anna Edelgut und dem Ratsherrn Hans Negel und seiner Frau Dorothe (s. in der Reihenfolge
ihrer Nennung die Anm. 282, 292, 225, 271, 199, 206, 286). Zum Engagement der
ganzen Stadt für Prestigebauten vgl. auch Klosterberg, Ehre Gottes 106, bezogen auf den
Kölner Dom.
121
demonstrierte ihre überregionale Bedeutung und ihren Reichtum; und er war ein
dem Lebensstandard des gehobenen Klerus angemessenes Wirkungsfeld. Investitionen
in die Kirche waren daher immer ein Beitrag für die Allgemeinheit –
eine Investition in die allen zur Verfügung stehende Infrastruktur und Zukunft
der Stadt.
War der Charakter der Gemeinnützigkeit bei solchen Legaten noch eng
mit der Kirche verbunden und nur ein Aspekt unter vielen, fand er seine konsequente
Umsetzung in Wien. Mit den Seelgeräten für Straßen, Brücken, die
Stadtmauer oder allgemein zum Nutzen der Stadt346 lag hier ein Bereich der
Heilssorge gänzlich außerhalb der kirchlichen Sphäre und war ausschließlich
eine Angelegenheit der Kommune bzw. des Rats, der somit – wie in den Kleinstädten
der Kirchenmeister – ebenfalls zum großen Kreis der für das Seelenheil
‚professionell’ Zuständigen gehörte, in diesem Fall für einen nur von Laien
wahrgenommenen Verantwortungsbereich.
3. Bettelbrüder und Heilige
Die Brüder in der Stadt: Augustiner
Die zweitwichtigste Stätte der Memoria nach der Pfarrkirche war das seit dem
14. Jahrhundert (1338) bestehende Augustiner-Eremitenkloster beim Klostertor
(Stockerauer Tor), das üblicherweise in den Testamenten immer an zweiter Stelle
genannt wird. Die Augustiner zählten mit den Dominikanern, Franziskanern
und Karmeliten – in den Quellen die „Weißen Brüder“ – im Mittelalter zu den
klassischen Bettelorden (ordines mendicantes). Mit einem Mendikantenkloster
innerhalb der Mauern reihte sich Korneuburg unter die bedeutenderen Städte des
niederösterreichischen Raums ein, nur Tulln hatte zwei und Wiener Neustadt
drei Niederlassungen347.
Die Mendikanten gehörten nach den Pfarrkirchen europaweit zu den
wichtigsten Trägern der Memoria und waren somit deren größte Konkurrenz,
Hintergrund der mitunter massiven Polemik gegen die Bettelmönche als Erbschleicher
am Sterbebett348. Ihre Ordensideale der Armut, der Keuschheit und
346 Vgl. Lentze, Seelgerät 80 ff.; auch Jaritz, Realienkundliche Aussage 189.
347 Hainburg, Laa/Thaya, Stein: Minoriten; Krems, Retz: Dominikaner; Baden, Bruck/Leitha:
Augustiner; Tulln: Minoriten und Dominikanerinnen; mit Imbach hatte Krems-Stein ebenfalls
ein Dominikanerinnenkloster in der Nähe; Wiener Neustadt: Minoriten, Dominikaner
und bis um 1450 Augustinerinnen. Zu den ab 1451 gegründeten Franziskanerklöstern der
strengen Observanz s. Anm. 358.
348 Vgl. zu den Bettelorden Isnard Wilhelm Frank, Art. Bettelorden, in: Lexikon für Theologie
und Kirche 2 (1994) Sp. 341–342; zum süddeutschen-oberrheinischen Raum bes. Baur,
Testament und Bürgerschaft 130 f., 136 f.; zu Köln Klosterberg, Ehre Gottes 112 ff.; zur
Polemik gegen die Bettelorden Ocker, Rechte Arme 134, 152. – In Wien (bis 1430) standen
an erster Stelle die Karmeliten, gefolgt von den Dominikanern, Minoriten und Augustinern,
vgl. Mark, Religiöses Verhalten 83 ff., 93, und Lentze, Begräbnis und Jahrtag 348 f. In
Wiener Neustadt wurden ebenfalls von den örtlichen Klöstern die beiden Bettelordenshäu122
des Gehorsams ließen auf eine intensivierte Wirkung der Memoria hoffen, auf
höhere ‚Qualität’ durch gelebte Nachfolge Christi, möglicherweise auch die verbreitete
Antwort auf die im spätmittelalterlichen Frömmigkeitsdiskurs erhobene
Forderung nach Andacht, die mehr wert sei als die Anzahl der geistlichen Leistungen349.
Ihre seelsorgliche Tätigkeit in den Städten machte die Bettelorden,
nach der Stifterpräferenz zu schließen, glaubwürdig und beliebt, denn der Trend
zu den Bettelklöstern hielt auch im Spätmittelalter an, obwohl sie sich – nicht
zuletzt durch die Legate an Geld und Immobilien – weit vom Armutsideal entfernt
hatten, was auch für die Augustiner in Korneuburg galt.
Offene Konflikte gab es, wie schon erwähnt, in den ersten Jahrzehnten
des 15. Jahrhunderts auch in Korneuburg. Sie fanden in den Testamenten insofern
ihren Niederschlag, als das Kloster als Alternative zur Pfarrkirche erscheint
und nicht – wie später – eher als deren Ergänzung350. In der Folgezeit finden
sich in den letztwilligen Verfügungen keine direkten Hinweise auf konkurrierende
Haltungen, das Kloster wurde in der Regel immer zugleich mit der Pfarrkirche
bedacht – allerdings vor allem von Laien. Weltpriester verhielten sich
auffallend zurückhaltend und stifteten den Augustinern mehrheitlich nichts; ihr
Verhältnis zu den Brüdern war demnach nicht von besonders enger Verbundenheit
geprägt, dürfte sich aber in der Amtszeit Pfarrer Seidenspinners (1436–
1461) entspannt haben, der dem Kloster seine Seele gegen 5 fl. anempfohlen
hatte, damit aber die Ausnahme blieb351. Das Vermächtnis eines Pfarrers aus der
Umgebung Korneuburgs (Klein-Engersdorf), der dem Kloster sein gesamtes
Vermögen für sein Seelenheil hinterließ, war offenbar so ungewöhnlich, dass er
sich zu der Erklärung veranlasst sah, er vergönne das dem Prior und den Brüdern
aus rechtter lieb vnd naygung – Stiftungen zum Seelenheil wurden üblicherweise
nie begründet. Von Verbundenheit zeugt auch das Geschenk von Silbergürtel
und Silbertasche sowie zehn Silberlöffeln an den Prior durch einen anderen
Geistlichen, der zudem – wie sonst nur Laien – in der Pfarrkirche und im
Kloster je einen Jahrtag stiftete352.
Reich und eingesessen
Dieses Legat ist gleichzeitig ein schöner Beleg für Reichtum und repräsentative
Lebensführung der Augustiner, zumindest ihrer Oberen. Silberbesteck scheint
aber der gesamte Konvent benutzt zu haben, dem ein Geistlicher – wiederum ein
ser, Dominikaner und Minoriten, am häufigsten begabt, vgl. Skvarics, Volksfrömmigkeit
125 ff.
349 Zum Frömmigkeitsdiskurs s. oben Teil 1, Kap. II./5.
350 Zu den Konflikten s. oben Teil 3, Kap. II./2 und Anm. 325.
351 Zu ihm s. Anm. 48.
352 Testamente des Hans Prueler, Pfarrer zu St. Veit (Klein-Engersdorf), StAK, Hs. 3/160 fol.
52v (1454 VIII 23), und des Geistlichen Mert Heyss aus Ladendorf, Uiblein, Bücherverzeichnisse
n. 19. Mert Heyss verwahrte im Augustinerkloster auch seine vier Silberbecher
sowie drei Kreuze, von denen er zwei dem Kloster überließ.
123
Klein-Engersdorfer Pfarrer – neun Löffeln mit silbernen Stielen schenkte353. Das
Kloster erhielt allein aus den Stiftungen beträchtliche Geldsummen und sehr
kostbare Objekte. Für den Gottesdienst sollten nach dem Wunsch der Stifter
vergoldete Silberkelche und seidene Altartücher angeschafft werden.
Mit solchen Stiftungen wurden somit keine Grundbedürfnisse an Nahrung
und Kleidung befriedigt, sondern die ‚Gotteszierde’ vermehrt oder, wie bei dem
Silber an den Prior und den Konvent, Bedürfnisse nach Luxus und Repräsentation
erfüllt, ein Kennzeichen eingesessener Konvente. Besonders Objektstiftungen
gelten als Gradmesser der materiellen Kultur und des Bedarfs der Bestifteten,
ausgehend von einem Ineinandergreifen der Bedürfnisse von Stiftern und
Empfängern nach den Kriterien der Relevanz, Notwendigkeit und Angemessenheit.
Dem existentiellen Wunsch nach Erlösung entsprachen Zuwendungen von
Nicht-Alltäglichem, von Besonderem, um sich das erlösende Handeln der Bestifteten
zu sichern354. Kostbarkeiten galten demnach als durchaus angemessene
Gabe an das Bettelordenskloster, das sich nicht nur in dieser Hinsicht kaum von
der Pfarrkirche unterschied. Auch das Verhältnis von Legaten für Messen, Jahrtage
und Gebet (70%) einerseits und für Bau und Ausstattung (30%) andererseits
entsprach jenem der Pfarrkirche.
Hauptaufgabe der Augustiner waren Seelenmessen, vor allem der Dreißiger-
Messreihe, aber auch ewige Messen auf dem Marienaltar, und die Feier von
Begehungen und Jahrtagen. Die spezifisch klösterliche Struktur als Gebetsgemeinschaft
wurde kaum genutzt, Seelengebet ist ein seltener Wunsch, das Gebet
des Psalters ab der Todesstunde eine einmalige Ausnahme. Mit der Fürbitte
wurde vor allem der Prediger des Klosters beauftragt, die wichtigste Schnittstelle
zur Außenwelt, an dessen Gebet auf dem ‚Predigtstuhl’ auch eine größere
Öffentlichkeit – alle Zuhörenden und Zusehenden – partizipieren konnte355. Alle
anderen Formen der Memoria erreichten nur die begrenzte, aber exklusive Öffentlichkeit
der klösterlichen Gemeinschaft, ein wesentlicher Unterschied zur
Pfarrkirche, wo theoretisch alle Kirchenbesucher durch Andacht und Gebet an
der Memoria teilhaben konnten. Auf dem St. Pöltner Andreasaltar wurde die
Teilhabe aller Gläubigen durch Mann, Frau und Kind verbildlicht (s. Abb. 2).
Demgegenüber war die Öffentlichkeit des Klosters durch Exklusivität gekennzeichnet,
beschränkt auf eine Gemeinschaft von ‚Auserwählten’, deren Qualität
der Wirkung der Masse aber zumindest gleichkam356.
353 Wolfgang Knollinger, Pfarrer zu St. Veit (Klein-Engersdorf), Uiblein, Bücherverzeichnisse
n. 28.
354 Zu den Bedürfnisstrukturen Jaritz, Religiöse Stiftungen 15 ff., bes. 18.
355 Ganzjährige Fürbitte durch den Prediger und den Prior bei Valtein Römer, StAK, Hs.
3/160 fol. 57r–58r (1455 VII 1); Gebet des Psalters und 60d. für Fürbitte durch den Prediger
bei Agnes Nater, ebd. fol. 111r–v (1467 VI 1); Gebet auf dem Predigstuhl (predigtstuel)
bei Jorg Lang, ebd. fol. 54r–v (1454 XI 12), der dem Kloster und der Pfarrkirche für 200
Messen seine Rüstung überließ.
356 Vgl. Jaritz, Religiöse Stiftungen 27.
124
Offen muss allerdings bleiben, wieweit die Stiftungen an die Augustiner
nicht auch gesellschaftlichen Konventionen folgten, wonach das Kloster – unabhängig
von der Ordensverfassung – als alteingesessenes ‚Haus’ in der Stadt die
zweite Adresse für die Memoria war. Die Regelmäßigkeit der Zuwendungen gerade
in Kombination mit der Pfarrkirche weisen in Richtung einer ‚kommunalen’
Aufgabe, die dem Kloster unausgesprochen zugewiesen wurde. In Wiener
Neustadt, damals Kaiserresidenz, gab es eine größere Auswahl, unter anderem
eine neue Niederlassung der Zisterzienser. Das von Kaiser Friedrich III. 1444
gegründete und von der örtlichen Prominenz teilweise hoch bestiftete Neukloster
konnte sich gegenüber den beiden dominanten Dominikaner- und Minoritenkonventen
im Wettbewerb um die Memoria durchaus halten, heute würde man
sagen, es konnte sich – mit allerhöchster Förderung – eine Marktnische erobern357.
Ein so vielfältiges Angebot stand in einer Kleinstadt hingegen nicht zur
Verfügung.
Die strengen Brüder jenseits der Donau: Bernhardiner
Mit dem 1451 von Johannes von Capistran im ehemaligen Augustiner-
Chorfrauenstift gegründeten, strengen Franziskanerkloster St. Jakob in Klosterneuburg
– in den Quellen nach Bernhardin von Siena der „St. Bernhardinsorden“
oder die „Bernhardiner“ – gab es allerdings einen jungen Mendikantenkonvent
in unmittelbarer Nähe, der mit dem im selben Jahr gegründeten Kloster
St. Theobald vor den Mauern Wiens zu den ersten Observantenklöstern in Österreich
gehörte, denen bald weitere folgten358. Die Bernhardiner wurden die am
meisten bestiftete Institution außerhalb der Stadt und fanden, wie es scheint,
wiederum vor allem bei den Laien großen Anklang359.
Die Stiftungen an die Bernhardiner unterscheiden sich grundlegend von
jenen an die Augustiner. Sie erhielten Nahrungsmittel – Mehl, Schmalz, Honig,
Weizen, ein Schwein, Wein und Most – oder Geldzuwendungen für den Bedarf
an Speise und Kleidung – darunter eine neue Kutte für jeden Bruder – oder für
den Bau, aber keine Immobilien und wertvolle materielle Objekte360. Dies ent-
357 Zu den Stiftungen an das Neukloster vgl. Skvarics, Volksfrömmigkeit 130 ff.
358 Gründungen von Observantenklöstern: 1451 Wien-Mariahilf und Klosterneuburg, 1454/55
St. Pölten, Maria Enzersdorf am Gebirge und Langenlois, 1460 Eggenburg, 1462 Katzelsdorf
bei Wiener Neustadt; vgl. Niederstätter, Jahrhundert der Mitte 74.
359 Die erste bekannte Stiftung in Korneuburg erfolgte 1453 durch die Ratsbürgerin Ursula
Halbemer, StAK, Hs. 3/160 fol. 46r–47r (1453 III 4). Weltpriester bedachten das Kloster
kaum, eine Ausnahme bildet die Bücherschenkung des Matthäus von Oberwölz, Uiblein,
Bücherverzeichnisse n. 21. – Auch in Wiener Neustadt war nach Skvarics, Volksfrömmigkeit
134, das Bernhardinerkloster St. Radigunden in Katzelsdorf die am häufigsten bedachte
Institution außerhalb der Stadt.
360 Z. B. Regina Halbemer: 10 Metzen Mehl, ein Tesen mit Honig, ein Emperl Schmalz,
StAK, Hs. 3/160 fol. 87v–88r (1461 XI 23). – Caspar Strasser (s. Anm. 266): jedem Bruder
eine neue Kutte in dem Tuch und in der Farbe, die sie tragen, 6 Metzen Weizen und 4 Drei125
spricht einerseits dem für neu gegründete Kommunitäten festgestellten Muster
im Stiftungsverhalten, den Bedarf an Grundausstattung zu decken bzw. Grundbedürfnisse
zu befriedigen, und andererseits dem Selbst- wie Fremdverständnis
eines dem Armutsideal streng verpflichteten Konvents, für den Zuwendungen an
Grundbesitz, beispielsweise Weingärten zur Deckung des Bedarfs an Wein und
Most, offenbar als nicht angemessen galten361.
Festzuhalten ist auch, dass im Unterschied zu den Augustinern von den
Bernhardinern nur Messen und Gebete gewünscht wurde, nicht aber Jahrtage
oder ewiges Gedächtnis, was in Anbetracht der diesbezüglichen Vergaben an
Kirchen außerhalb der Stadt nicht mit der Entfernung des Klosters zusammenhängen
kann, vielleicht aber mit Unsicherheiten bezüglich des dauerhaften Erfolgs
der Neugründung. Es bestätigt zumindest, dass die Augustiner im Hinblick
auf die Formen der Memoria den Pfarrkirchen näher standen, möglicherweise
weil sie durch ihr langes Bestehen ähnlich bewährte Strukturen aufwiesen, von
den finanziellen und personellen Ressourcen über die Ausstattung bis zur Organisation.
‚Markenzeichen’ des jungen Konvents war hingegen die streng gelebte
Nachfolge Christi und – aus Sicht der Stifter – die damit verbundene Qualität
ihrer Memoria. Wenn etwa Barbara Kelhaimer ihre 1000 Messen am maisten
durch die brüder des sannd Bernhardins orden gelesen haben wollte, nach Möglichkeit
innerhalb von 14 Tagen nach ihrem Tod, und ihren Mann Stephan nachdrücklich
daran erinnert, dass sie ihm das auch auf sein gewissen bevolhen habe,
spiegelt sich darin der Glaube an die dem Seelengedächtnis der Brüder zugeschriebene
Kraft362.
Der Blick in die Ferne: Beziehungen und Entscheidungen
Die Bernhardiner jenseits der Donau standen, was die Präferenz betrifft, an der
Spitze jener Kirchen und Klöster, die außerhalb der Stadtmauer bzw. des Pfarrgebiets
lagen und insgesamt etwa ein Fünftel der Stiftungen erhielten. Für ihre
Wahl entscheidend war allerdings nicht geographische Nähe, da in der Häufigling
Wein. – Simon Zinngiesser: ein Metzen Mehl für das Seelengebet, ebd. fol. 115v–116r
(1464 XII 24 oder 1465 XII 22[?]).
361 Vgl. die These von Jaritz, Religiöse Stiftungen 22, der für den österreichischen Raum das
12. Jahrhundert (im Zusammenhang mit einer größeren Zahl an Neugründungen) als Zeitraum
der durch Stiftungen befriedigten Grundbedürfnisse, das 13./14. Jahrhundert als Zeit
der Aufbesserung (‚Pitanzen-Zeit’) und das 15. Jahrhundert als Periode der Vermehrung
der ‚Gotteszierde’ bezeichnet. Eine Ausnahme bilden ihm zufolge die Bettelordensklöster
(ebd. 26), für die die Befriedigung von Grundbedürfnissen länger erhalten blieb, wofür er
als Beleg die erwähnte Kuttenstiftung Caspar Strassers an die Bernhardiner zitiert, die aber
eine Neugründung waren. Damit bestätigt sich zwar seine These bezüglich des generellen
Wandels der Bedürfnisstrukturen der Klöster im Laufe ihres Bestehens, nicht aber die Sonderentwicklung
bei Bettelordensklöstern, wie die Legate an die Augustiner belegen.
362 1. Testament der Barbara Kelhaimer, StAK, Hs. 3/160 fol. 82v–84v (1461 VI 2), s. dazu
auch Anm. 191.
126
keit zunächst die großen Wallfahrtsorte Mariazell, St. Wolfgang, Aachen und
Rom folgten, und dann erst die Kirchen der näheren Umgebung (Harmannsdorf,
Bisamberg) gemeinsam mit den Wiener Dominikanern363.
Stiftungen in die nähere und weitere Ferne lassen sich in zwei Gruppen
unterteilen: Erstens Kirchen und vereinzelt Klöster, zu denen persönliche Beziehungen
bestanden, wie Herkunft, Nachbarschaft, Verwandtschaft, Besitz oder
geschäftliche Verbindungen, und die somit Teil des gesellschaftlichen Netzwerks
der Stifter waren. Dazu gehörten vor allem Kirchen in der näheren Umgebung
– Harmannsdorf, Bisamberg, Leobendorf, Klein-Engersdorf – und im
Weinviertel. Nur vereinzelt umfasste der geographische Radius auch den Raum
südlich der Donau oder mit Eferding und Wilhering sogar Oberösterreich, beide
Orte zugleich gute Beispiele für das durch die persönliche Geschichte bestimmte
Muster der Stiftungen dieser Gruppe, einmal sind es familiäre, das andere Mal
möglicherweise geschäftliche Beziehungen364. Kennzeichnend für solche Legate
ist ihre sehr breite Streuung aufgrund der meist nur einmaligen Nennung, das
heißt die Kirchen lagen im Blickfeld einzelner Testatoren, nicht aber einer größeren
Gruppe.
Davon zu unterscheiden sind zweitens die Bernhardiner und die vier
Wallfahrtsorte, auf die sich 45 Prozent der auswärtigen Legate konzentrieren.
Diese Stiftungen sind einerseits zu häufig, um sich aus persönlichen Bindungen
zu erklären, andererseits wiederum zu unregelmäßig, um daraus auf Konventionen
zu schließen. Nur etwa 10 Prozent der Testatoren stifteten nach St. Jakob in
Klosterneuburg oder eine Wallfahrt365. Auch die Wiener Mendikantenklöster
sind wohl in diese Gruppe einzuordnen, da sie, wenn nach Wien gestiftet wurde,
im Gegensatz zu den anderen Wiener Klöstern immer bedacht wurden366.
363 Von den auswärtigen Legaten, gerechnet nach der Anzahl der Ortsnennungen (1444–
1474), fielen 14% an das Bernhardinerkloster, 11% an St. Wolfgang, 9% an Mariazell mit
allerdings einer höheren Anzahl an Wallfahrten, 7% an Aachen, 4% an Rom und je 3,5% an
die Pfarrkirchen von Harmannsdorf und Bisamberg sowie die Wiener Dominikaner. Die
restlichen Legate (44%) verteilen sich auf verschiedene Kirchen und Klöster.
364 Cristoff Wolfslukchner, der nur die Eferdinger und Korneuburger Kirchen für sein Seelenheil
bedachte, widmete der Eferdinger Kirche seinen dortigen Hof für den Jahrtag der Mutter,
StAK, Hs. 3/160 fol. 59v–60r (1455 IX 29). Anna Pestorffer verfügte, dass das Kloster
Wilhering gegen Nachlass der Schulden für ihr Seelenheil beten soll, ebd. fol. 124r–125r
(1473 VIII 25).
365 9% der Testatoren bedachten das Bernhardinerkloster, 11% stifteten Wallfahrten (1444–
1474).
366 Die Anzahl der Legate an Wiener Klöster ist allerdings zu gering, um eine statistische
Aussage treffen zu können. Vgl. dazu als Einzelbeispiele: die Stiftung Caspar Strassers (s.
Anm. 266) von 1000 Messen, zu lesen bei den Dominikanern, Augustinern, in St. Theobald
und bei den Weißen Brüdern; Legate des Geistlichen Simon Kchois für die Dominikaner
und Bernhardiner in Wien, Uiblein, Bücherverzeichnisse n. 12; Legate der Anna Stern für
die Dominikaner und Karmeliten, nicht aber die Bernhardiner, StAK, Hs. 3/160 fol. 111v–
112v (1468 I 19 [?]). – Die für Wien vorliegenden Ergebnisse beziehen sich aufgrund der
testamentarischen Überlieferung nur auf den Zeitraum bis 1430, weshalb die Bedeutung der
127
Die Entscheidung für diese Formen der Heilsvorsorge bewegte sich weder
innerhalb der persönlich-familiären Netzwerke noch blieb sie in dem von den
Stadtmauern begrenzten konventionellen Rahmen der städtischen Memoria, sondern
folgte, wie es scheint, aus wohl überlegten Gründen überregionalen religiösen
Handlungsmustern. Die Stiftungen dieser Gruppe scheinen – mit aller Vorsicht
– in höherem Maß von einer bewussten Entscheidung getragen gewesen zu
sein, denn schließlich bedeutete jeder Pfennig an die Bernhardiner oder einen
der Wallfahrtsorte finanzielle Einbußen für die Empfänger in der Nähe, sei es
das Kloster und die Kirche nebenan oder die weiter entfernte Familiengrablege.
Diese Stiftungen sind somit Niederschlag eines lokal-konventionelle
Strukturen der Memoria überlagernden Glaubens, zum einen an die Zeichenhaftigkeit
und Gebetsstärke der Bettelorden in ihren reformierten, dem Ideal der
Armut streng verpflichteten Ausrichtungen – nicht zuletzt auch ein Beleg für die
positive Resonanz von Ordensreformen367 bis hinein in die Kleinstädte –, zum
anderen an die Hilfe der Heiligen und ihre machtvolle Präsenz in den großen
Wallfahrtsorten.
Unsere Liebe Frau und der Heilige vom Abersee
Besonderer Beliebtheit erfreuten sich in Korneuburg die Gottesmutter Maria und
der heilige Wolfgang, Bischof von Regensburg († 994), dessen vorübergehender
Rückzug von Amt und Politik in die Gegend am Abersee einen der bedeutendsten
und florierendsten Wallfahrtsorte Europas entstehen ließ. Die von den Korneuburgern
gestifteten Fahrten nach St. Wolfgang gehörten zu den vielen ‚Bausteinen’
des berühmten, 1471 in Auftrag gegebenen Altars Michael Pachers. Ebenfalls
überregionale Ausstrahlungskraft besaß Mariazell mit Pilgern aus vielen
Ländern des Kontinents, besonders aus dem österreichisch-böhmischen
Raum368.
Die meisten Wallfahrten wurden nach Mariazell und St. Wolfgang gestiftet.
Beide Orte bildeten auch die häufigste Kombination bei mehreren Fahrten,
was im Vergleich zu Wien und Wiener Neustadt nicht unbedingt dem Trend entsprach,
wo Rom und Aachen einen bedeutenderen Stellenwert hatten und St.
Wolfgang erst an vierter Stelle steht369. Die große Verehrung des Heiligen dürfte
Franziskaner von St. Theobald für das Stiftungswesen bzw. Verschiebungen zum Nachteil
der Minoriten nicht bekannt sind.
367 Ein Überblick über die reformierten Ordensgemeinschaften im österreichischen Raum bei
Niederstätter, Jahrhundert der Mitte 74 ff.
368 Zur Bedeutung von St. Wolfgang und Mariazell vgl. Niederstätter, Jahrhundert der Mitte
40, mit weiterführender Literatur.
369 Korneuburg (1444–1474): 60 Wallfahrten, davon 20 nach Mariazell (33%), 16 nach St.
Wolfgang (27%), 10 nach Aachen (17%), 7 nach Rom (12%), je 2 nach St. Altmann (Göttweig)
und St. Leonhard/Tamsweg und je eine nach Salzburg, Pernegg und St. Erhard (wohl
in der Breitenau). – Wiener Neustadt (1413–1495): 35 Wallfahrten, davon 14 nach Rom
(40%), 6 nach Mariazell (17%), 5 nach Aachen (14%), je 2 nach St. Wolfgang im Salzkammergut,
St. Wolfgang/Kirchberg, St. Leonhard/Tamsweg und Ötting in Bayern (je 6%),
128
also eine lokale Besonderheit gewesen sein. Dem spezifischen Korneuburger
‚Blick in die Ferne’ entsprach die Präsenz der beiden Heiligen in der Stadt: Für
Wolfgang wurde eine eigene Kapelle erbaut, für Maria war eine geplant – soweit
bekannt, die beiden einzigen Kapellenprojekte des 15. Jahrhunderts. Marienaltäre
gab es in der Pfarrkirche, im Augustinerkloster und in der Spitalskapelle,
die St. Wolfgangszeche war eine der prominentesten der Stadt.
An den Wallfahrtsorten konnten hohe Ablässe erworben werden und die
Verstorbenen wurden gegen eine Taxe in das Totenbuch eingetragen370. Wallfahrtsstiftungen
waren allerdings eine ‚Investition auf Zeit’, denn bis zum Erreichen
des Ziels konnte ein größerer Zeitraum vergehen, Fristen werden in den
Testamenten kaum genannt371. Mit einer Wallfahrt nahm man daher eine längere
Zeit im Fegefeuer in Kauf, ihre Hilfe bestand nicht in der raschen Wirksamkeit
nach dem Tod, sondern in ihrer der Fürbitte der Heiligen zugesprochenen Qualität,
vergleichbar den Ewigstiftungen, deren Errichtung oft auch länger dauerte.
Bei manchen Testatoren standen die Wallfahrten daher auch an erster Stelle ihrer
Verfügungen zum Seelenheil, bei anderen zeigt sich der ihnen zugemessene
Wert in der hohen Anzahl oder in zusätzlichen – die Qualität noch steigernden –
Stiftungen von Messen und Wachs. Auch von der Pilgerfahrt durch einen Priester
scheint man sich eine intensivierte Wirkung erwartet zu haben372. Ihre große
Bedeutung für die Testatoren ist zudem aus Ermahnungen an die Ehepartner abzulesen,
sich persönlich zu der Fahrt verpflichtet zu haben. Wie sonst nur bei
Barbara Kelhaimer im Hinblick auf die unbedingt bei den Bernhardinern zu lesenden
Messen, sind solche letztwilligen Erinnerungen an gegebene und nun
rechtlich bindende Versprechen Ausdruck eines ganz persönlichen und wohl
auch länger überlegten Anliegens, vielleicht aber auch der Sorge, die Fahrten
könnten aufgrund des damit verbundenen mühevollen Aufwands nicht durchgeführt
werden373.
1 nach Heiligenblut und Wimpassing/OÖ, vgl. Skvarics, Volksfrömmigkeit 173. – Wien
(1400–1420): 495 Wallfahrten, davon ca. 36% Mariazell, 26% Rom, 18% Aachen, 7% St.
Wolfgang, 13% verteilen sich auf 18 weitere Gnadenstätten, meist im Wiener Raum, vgl.
Mark, Religiöses Verhalten 129.
370 Vgl. Lentze, Seelgerät 77.
371 Nur Kathrei Haimleicher ordnete an, dass die Romfahrt binnen Jahresfrist und die Aachenfahrt
im Jahr danach erfolgen sollte, StAK, Hs. 3/160 fol. 90r–v (1462 II 5).
372 Hohe Anzahl bei Stadtschreiber Erhart von Asparn (s. Anm. 3), der 100 Messen und sechs
Wallfahrten stiftete, die höchste Anzahl in der Zeit von 1444 bis 1474; desgleichen Simon
Hewndl mit fünf Wallfahrten neben Geld- und Getreidespenden für die Pfarrkirche Harmannsdorf,
StAK, Hs. 3 /160 fol. 31r (1449 V 13). Margret Kreshan stiftete außer der Begehung
nur zwei Wallfahrten nach St. Wolfgang und Mariazell, allerdings jeweils dazu ein
Singamt, fünf Messen und ein ‚Wachskind’ (wechseins kchind) zu einem Pfund Wachs, für
St. Wolfgang außerdem noch eine Steckkerze, ebd. fol. 114r–v (1468 V 16); auch Mert
Holczaphl stiftete außer der Begehung nur zwei Wallfahrten nach St. Wolfgang und Mariazell,
diese aber durch einen Priester, ebd. fol. 122r–v (1471 X 31).
373 Die Erinnerung an den Ehemann wegen der versprochenen Wallfahrten bei Anna Leczelter
(Rom und Aachen), StAK, Hs. 3/160 fol. 95v–96r (1462 VIII 16), und Barbara Pader, bei
der die Aachenfahrt die einzige Stiftung zum Seelenheil ist, ebd. fol. 122v (1472 I 17).
129
4. Die armen Bedürftigen
Dem Geringsten meiner Brüder
Wie in den Testamenten kommen auch hier die Armen an letzter Stelle, was ein
bezeichnendes Licht auf ihre tatsächliche Bedeutung für die Memoria wirft –
jenseits von christlichem Anspruch und jahrhundertelanger Tradition. Seit den
Anfängen des Christentums galt die Sorge für die Armen gemäß den Worten
„Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“
(Mt 25, 40) als ein Tun an Christus selbst und entfaltete als Pflicht zur Caritas
eine enorme Wirkungsbreite374. Schon bald wurde das Almosen zu einem verdienstlichen
Werk zur Erlangung der Reinigung und Gnade, denn, wie es schon
der frühchristliche Märtyrer Cyprian formulierte, Gottes Barmherzigkeit könne
sich niemand verdienen, der nicht selbst barmherzig sei. Seit der Väter-
Theologie war der sündentilgende Charakter des Almosens selbstverständlich.
Mit dem Almosen erwarb man sich einen „Schatz im Himmel“ (Mk 10, 21), und
es galt als Beispiel, wie man sich nach Lk 16, 9 mit Hilfe des „ungerechten
Mammons“ Freunde und Fürsprecher bei Christus machte. Im System des sacrum
commercium erhielten die Armen einen Heilswert und vergolten die Gabe
mit ihrer Fürsprache vor Gericht und ihrem Gebet 375.
Das Almosen bildete mit Fasten und Gebet die klassische Trias der Memoria,
aus der erst durch das im Frühmittelalter hinzutretende Messopfer die
dann für das Mittelalter charakteristische Dreiheit Messe–Gebet–Almosen wurde.
Wenn der Korneuburger Bürger Hans Newnburger seiner Frau seine Seele
mit begeung, almosengeben, messfrumen etc. anempfahl376, erscheint das Almosen
wie selbstverständlich an zentraler Stelle der Memoria. Der St. Pöltner Andreasaltar
(s. Abb. 2) setzte dessen erlösende Wirkung gegenüber der Messfeier
hingegen im Verhältnis 3:1 ins Bild – drei Seelen werden durch die Messe gerettet,
eine durch das Almosen –, ein schon wesentlich realitätsnäheres Bild der
Wirklichkeit, aber noch immer idealisierend. In den Korneuburger Testamenten
fielen nur neun Prozent der Legate an die Armen, die nur von etwa einem Fünf-
374 Vgl. Angenendt, Geschichte der Religiosität 586 ff.
375 Zur Begründung für die Seelenrettung durch Almosen galten vor allem die Bibelworte:
„Geh, verkauf, was du hast, gib das Geld den Armen, und du wirst einen bleibenden Schatz
im Himmel haben …“ (Mk 10, 21), „Wie Wasser loderndes Feuer löscht, so sühnt Mildtätigkeit
Sünde (Sir 3, 30), „Gebt lieber, was in den Schüsseln ist, den Armen [wörtlich: Gebt
lieber den Inhalt als Almosen], dann ist für euch alles rein“ (Lk 11, 41), vgl. Angenendt,
Geschichte der Religiosität 592, ebd. auch das Cyprian-Zitat. – Zu den Armen als Fürsprecher
vor Gericht vgl. den Brief Hildeberts, Erzbischof von Tours, an die englische Königin
(ca. 1130), der als Begründung Lk 16, 9 zitiert: „Macht euch Freunde mit Hilfe des ungerechten
Mammons, damit ihr in die ewigen Wohnungen aufgenommen werdet, wenn es
mit Euch zu Ende geht“, Druck bei Ulrich Nonn (Hg.), Quellen zur Alltagsgeschichte im
Früh- und Hochmittelalter, Erster Teil (Ausgewählte Quellen zur Deutschen Geschichte des
Mittelalters, Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe XLa). Darmstadt 2003, n. 70.
376 StAK, Hs. 3/160 fol. 72r (1458 V 1).
130
tel der Testatoren bedacht wurden. Tatsächlich hatte das Almosen im 15. Jahrhundert
für die Memoria eine relativ geringe Bedeutung, was unter dem Einfluss
der Reformation offenbar als religiöses Defizit betrachtet wurde, denn die Testamente
von Wiener Universitätsangehörigen aus dem frühen 16. Jahrhundert
enthalten fast alle Armenspenden, während die Mess- und Jahrtagsstiftungen
stark rückläufig waren377.
Gute und Schlechte
Die armen Leute der Testamente waren keineswegs die sich aus umherziehenden
Bettlern, Vagierenden, Arbeitslosen, Taglöhnern, Fürsorgefällen, Landflüchtigen,
Prostituierten, Kleinkriminellen und Unehrlichen zusammensetzenden
Unterschichten und Randgruppen der Gesellschaft, die, außerhalb der hausrechtlichen
Strukturen der Bürgerhaushalte und der genossenschaftlichen Verbände
der Zechen lebend, im 15. Jahrhundert zunehmend als kriminelle Subkultur
wahrgenommen wurden378. Zu ihnen zählten nach der Wiener Neustädter
Armenordnung von 1478 vor allem die Fremden, die den stadteigenen Armen
betrügerisch das Almosen wegnehmen würden: falsche Bettler, die Krankheiten,
Gebrechen oder Schwangerschaften simulierten, entlaufene Mönche und Nonnen
mit falschen Briefen, Ablassschwindler usw.379
Die restriktiven Maßnahmen der Bettel- und Armenordnungen stehen in
der Tradition der schon von der hochmittelalterlichen Kanonistik vorgenommenen
Differenzierung in Gute und Böse. Als unterstützungswürdig galten die ‚gerechten’
und ‚ehrlichen’ Armen, während aus Prostitution, Alkoholismus oder
Müßiggang resultierende Not lasterhafte Armut war und nur im Falle von Besserungsbereitschaft
unterstützt werden sollte380. Die Legitimierung für den Emp-
377 Vgl. Thomas Maisel, Testamente und Nachlassinventare Wiener Universitätsangehöriger
in der Frühen Neuzeit. Beispiel und Möglichkeiten ihrer Auswertung, in: Frühneuzeit-Info
2/1 (1991) 61–75, bes. 69; für Bordeaux auch Martin Dinges, Stadtarmut in Bordeaux
1525–1675. Alltag, Politik, Mentalitäten (Pariser Historische Studien 26) Bonn 1988, 485.
378 Vgl. Müller, Machtpositionen 462 f.
379 Wiener Neustädter Armenordnung von 25. Juni 1478, Martin Scheutz, Kurt Schmutzer u.
a. (Hg), Wiener Neustädter Handwerksordnungen (1432 bis Mitte des 16. Jahrhunderts),
mit einer Einleitung von Albert Müller (Fontes rerum Austriacarum III/10/13) Wien-Köln-
Weimar 1997, n. 28; vgl. dazu bes. Müller, Machtpositionen 461 ff., Druck der Armenordnung
463–465. Die Armen erhielten eine Zeche mit Zechmeister und Bettelrichter, mussten
ein Abzeichen aus Zinn oder Blei tragen, die Predigt und Messe besuchen und durften nur
an einem ihnen zugewiesenen fixen Platz betteln. Herumgehen war verboten, auffälliges
Verhalten und falsche Bettelei wurden bestraft. Auswärtige Bettler, vor allem jene, die aufgrund
einer Krankheit nicht abziehen konnten, mussten sich in die Zeche einkaufen.
380 Vgl. Angenendt, Geschichte der Religiosität 595; zur Unterscheidung zwischen ‚ehrlichen’
und ‚betrügerischen’ Bettlern im Armutsdiskurs des 15. Jahrhunderts bes. Müller, Machtpositionen
461 ff.; Rolf Kiessling, Vom Pfennigalmosen zur Aussteuerstiftung. Materielle
Kultur in den Seelgeräten des Augsburger Bürgertums während des Mittelalters, in: Materielle
Kultur und religiöse Stiftung im Spätmittelalter (Veröffentlichungen des Instituts für
mittelalterliche Realienkunde 12 = Sitzungsberichte der Österreichischen Akademie der
131
fang von Almosen setzte daher Kontrollmechanismen voraus, die durch die
Bürgerspitäler und in Kleinstädten durch die Bekanntheit der Armen gegeben
war, nicht aber bei den als kriminell stigmatisierten Fremden und – wie in der
Großstadt Wien – bei einer unüberschaubaren, sich jeglicher Kontrolle entziehenden
Masse.
Die ‚guten’ Armen lebten im Bürgerspital oder außerhalb als Hausarme –
in Not geratene Bürger und Bürgerinnen mit festem Wohnsitz, die nicht bettelten
– und als stadtbekannte gewerbsmäßige Bettler, die nach der Wiener Neustädter
Armenordnung im Idealfall ihren festen Platz hatten, zur Messe und Predigt
erschienen und sich unauffällig verhielten, das heißt nicht nackt waren,
nicht laut sangen, weder im Wirtshaus saßen noch schimpften oder sich prügelten.
Zu den ‚guten’ Armen gehörten auch frumme arme Jungfrauen, denen man
mit einer Aussteuer zu einer ehrbaren Heirat verhalf, Schüler und Geistliche, die
mit Stipendien und Büchern unterstützt wurden, oder der Sohn eines armen pidermans,
dem die Priesterausbildung ermöglicht werden sollte381.
Damit wären die Zielgruppen des Almosens in den Korneuburger Testamenten
umrissen, die sich zu je 41 Prozent vor allem auf die Armen im Bürgerspital
sowie die Stadtarmen außerhalb – nicht näher definierte ‚Arme’ und die
nur vereinzelt genannten Hausarmen – verteilten, der Rest fiel an Jungfrauen,
Geistliche und Schüler382. Die Auswahl der Almosenempfänger oblag in der Regel
den Geschäftsleuten, den Ehepartnern oder auch Richter und Rat, die sich
dabei sicher an der ihnen bekannten ‚ehrlichen’ Bedürftigkeit orientierten. Ob,
wie Hans Lentze für Wien feststellte383, vor allem die Hausarmen in Genuss der
Armenspende kamen, muss offen bleiben, doch entsprachen sie zweifellos viel
eher dem Bild des ‚guten’ Armen als die Bettler, von deren Bekanntheit und damit
sozialen Kontrollierbarkeit aber in einer Kleinstadt ebenfalls ausgegangen
werden kann. Städtische Armen- und Bettelverordnungen wie in Wien und Wiener
Neustadt sind aus Korneuburg nicht bekannt, möglicherweise weil sich der
Kreis der Armen noch in einem überschaubaren Rahmen bewegte.
Caritas und Memoria
Die institutionalisierte Form der mittelalterlichen Armenfürsorge in ihrer charakteristischen
Verbindung von Caritas und Memoria repräsentierte – wie überall
– das Bürgerspital beim Klostertor (Stockerauer Tor), das der Versorgung
Wissenschaften, phil.-hist. Kl. 554). Wien 1990, 37–62, bes. 54 f., am Beispiel der Augsburger
Armen; zum frühen 16. Jahrhundert Ocker, Rechte Arme 130 ff.
381 Je 5 lb für fünf „fromme arme Jungfrauen“ als Heiratsgut bei Dorothe Gut, StAK, Hs.
3/160 fol. 56v–57r (1455 VII 8), 10 lb für eines „armen Biedermanns Sohn“ zur Förderung
der Priesterschaft bei Caspar Strasser (s. Anm. 266).
382 Arme im Bürgerspital 41%, Arme 37%, Hausarme 4%, Jungfrauen, Geistliche und Schüler
18% (1444–1474).
383 Lentze, Seelgerät 81 f., der diesen Schluss aus den testamentarischen Verfügungen zugunsten
der Hausarmen bzw. der Armen vor der Kirche (Bettler) zieht.
132
verarmter und alter Bürger diente. Krankenpflege war hingegen kein vorrangiges
Anliegen der Spitäler, sondern nur Teil der Betreuung der ‚Spitaler’ unter
Betonung des seelsorglichen Aspekts, das heißt Sakramentenspendung, Unterhaltung
eines ewigen Lichts und bei ihrem Tod Einsegnung und Bestattung384.
Die Insassen – in der Regel geteilt in die Armen und die Pfründner mit eigener
Wohnung385 – erhielten Essen und Kleidung und hatten dafür täglich zu beten
und die Gottesdienste in der Spitalskapelle und in der Pfarrkirche zu besuchen.
Lebenswandel und Stiftergebet unterlagen einer strengen Kontrolle, womit sowohl
die ‚ehrliche’ Bedürftigkeit als auch die Memoria gewährleistet war386.
Das Almosen bestand hauptsächlich aus Geldspenden – das so genannte
Pfennigalmosen – in Form der Verteilung von ‚Hand zu Hand’, solange das
Geld reichte, meist an den Fasttagen Mittwoch, Freitag und Samstag, was auf
den ursprünglich engen Zusammenhang von Almosen und Fasten – Almosen als
eine Form des Fastens – verweist. Häufig wird die Aufteilung der Gesamtsumme,
Beträge zwischen 1 und 11 lb., zu wöchentlich 60 d. verfügt, also je
nach Anzahl der Armen einige Pfennige für jeden. Die ausdrücklich verfügte
Handverteilung des Geldes garantierte, dass das Almosen die Armen auch erreichte
und nicht in die Vermögensmasse des Spitals floss und für Investitionen,
Grundstückskäufe und Kreditgeschäfte diente387. Daneben wird vereinzelt für
die Kost oder die Betten gespendet, womit zugleich die wichtigsten Grundbedürfnisse
der Spitalsarmen genannt sind, nämlich Bargeld, Essen und ein frisches
Bett. Besonders die Handverteilung verweist darauf, dass das Almosen für
den praktischen Nutzen der Armen gedacht war, und nicht für die Institution.
384 Vgl. Starzer, Korneuburg 454; Pohl-Resl, Rechnen mit der Ewigkeit 107, 110; dies., Arme
57. – Stiftungen für ewiges Licht bei den Kranken belegen den hohen Stellenwert der religiösen
Betreuung: z. B. 50 lb. für das ewige Licht, das in der Nacht vor den Kranken im
Langhaus brennen soll, bei Wolfgang Molter, StAK, Hs. 3/159 fol. 95v–96v; vgl. dazu
auch Rist, Leben für den Himmel 231.
385 Spitalspfründner werden in zwei Testamenten erwähnt: Die Witwe Kathrei Voling stiftete
dem Spital für die Aufnahme und Versorgung ihres Sohnes ihre Fahrhabe und ihr Häusel
beim Laaer Turm, StAK, Hs. 3/160 fol. 16v (1446 XI 22); Agnes Nater stellte neben ihrer
Spende von 7 lb. für den Neubau des Spitals weitere 5 lb. in Aussicht, wenn ihr Schwager
und ihre Schwester auf Lebenszeit die fertig gestellte Wohnung erhalten, ebd. fol. 111r–v
(1467 VI 1).
386 Zur Organisation der Bürgerspitäler vgl. bes. Pohl-Resl, Rechnen mit der Ewigkeit 97 ff.,
am Beispiel des Wiener Bürgerspitals, mit dem das Korneuburger Spital aber nur in der
Struktur, nicht in der Größe vergleichbar ist. In Wien wurden an die 150 Arme versorgt,
nicht eingerechnet die Pfründner und das Personal, darunter sechs Priester. Die Armen lebten
in Männer- und Frauenstuben im Langhaus, die Pfründner in eigenen, teilweise darüber
liegenden Wohnungen. Im Keller lag die Krankenstube, die sutten, zudem gab es eine Kinderstube,
eine Schule für Waisenkinder und einen Raum für psychisch Kranke (unsinnigen
stubl).
387 Vgl. Pohl-Resl, Rechnen mit der Ewigkeit 109, die darauf verweist, dass bei zahlreichen
finanziellen Transaktionen (Stiftungen, Schenkungen, Verkäufe) nach den Rechnungsbüchern
die Armen keinerlei Nutzen hatten, selbst wenn sie ausdrücklich zugunsten der „Armen“
erfolgt waren.
133
Für diese waren die Legate an „das Spital“ bestimmt, ebenfalls fast immer unter
Angabe des Zwecks wie Bau, Altarausstattung und fallweise Messen.
Die Zweckgebundenheit fast aller Legate an das Bürgerspital, entweder
zum Nutzen der Armen oder für den Bau oder die Kapelle, ist auffällig und
zeugt von einer gezielten Verteilungsstrategie der Testatoren. Zuwendungen für
den Bau und die Kapelle – Geld für Kerzen, Altartücher und -bildnisse oder Silber
für einen Kelch – galten offenbar nicht als ‚Almosen’ im strengen Sinn, das
üblicherweise noch zusätzlich gestiftet wurde. Ein repräsentatives Beispiel für
die Verteilung ist wieder einmal das Testament des Stadtrichter Caspar Strasser,
der dem Bürgerspital für das Gebäude gezimmertes Holz vermachte, für die armen
Leute im Spital seine gemainen Betten, Geld für den Kauf von Leintüchern
und Lammfelldecken sowie eine ausgehauene steinerne Rinne (Nuesch) für den
Brunnen388. Das Legat für den Bau befand sich unter den mehreren Kirchen zugewendeten
Verfügungen für Bau und Bedarf, die Gabe für die Armen hingegen
bei den Vergaben an die verschiedenen Gruppen von Armen, was auch für die
anderen Testamente gilt, in denen beide Arten der Zuwendung an das Spital
vorkommen.
Das Opfer der Tat
Dieses feststellbare Muster im Stiftungsverhalten und die stets eindeutige Definition
der Spende als ‚Almosen’ durch ihre Verbindung mit ‚arm’ legt nahe,
dass das Almosen einen Heilswert hatte, der über das System von Gabe und Gegengabe
– in Form des Gebets – hinausging bzw. nicht gänzlich darin aufging.
Die Gebete der Spitalsarmen wären auch über Baustiftungen organisierbar gewesen
oder über Messen und Jahrtage in der Spitalskapelle, an denen sie teilnehmen
mussten, die aber trotz des großen Kreises an verfügbaren Betern im Vergleich
zu den anderen Kirchen kaum gestiftet wurden.
Das Almosen war eine Opfergabe für sich, die in ihrer sühnenden Wirkung
nicht abhängig war von der Gegengabe der Armen389. Auch der St. Pöltner
Andreasaltar zeigt die erlösende Wirkung für die Seelen durch die Armenspende
selbst. Die Gabe an den Fasttagen oder in der Fastenzeit verweist noch auf den
ursprünglichen Konnex von Buße-Fasten-Verzicht, aus dem sich das Almosen
als eigenständiges Sühnopfer heraus entwickelte, das aber seinen an der Bedürftigkeit
orientierten karitativen Charakter nie verlor390. Vorrangiges Ziel war
punktuelle Hilfe in der Not, die sich direkt an bedürftige Einzelpersonen richtete,
nicht an Institutionen, nur selten regelmäßig und auf lange Dauer und bei
Pfennigalmosen, Kostbesserungen oder Tuchspenden nicht mit der Absicht einer
dauerhaften Veränderung der sozialen Situation. Diese Art der Caritas war wohl
388 Zu ihm s. Anm. 265; die Verfügungen für das Spital und die Armen StAK, Hs. 3/160 fol.
103r (Bau), fol. 103v (Betten), fol. 104r (Brunnen).
389 So auch Pohl-Resl, Rechnen mit der Ewigkeit 77.
390 Vgl. Angenendt/Braucks u. a., Gezählte Frömmigkeit 24 ff.
134
auch von Pfarrer Peter Seidenspinner gemeint, als er den Augustinern seine Seele
mit Begehen, Messen lesen, Gebeten und guten Taten, gutteten, anempfahl391.
Die zweite große Zielgruppe der guten Taten waren die nicht näher definierten
‚Armen’, an die ebenfalls vor allem Geld, aber auch Tuch, Leinen und
Kleidung verteilt wurde. Schlechte, abgerissene Kleidung war nicht nur in den
spätmittelalterlichen Bildprogrammen, sondern auch in den Schriftquellen eines
der typischen Kennzeichen der Armen in der Öffentlichkeit392. Wer in den Genuss
dieser Spenden kam, muss offen bleiben, vermutlich waren aber auch Bettler
darunter, zumindest bei der Verteilung auf Begräbnissen. Ihr vergeltendes
Gebet konnten die Stifter vielleicht erwarten, aber wohl kaum kontrollieren; das
Almosen in ihre Hand konnte nur ‚im Himmel’ vergolten werden.
Seltene Feste
Erinnerungsprägende ‚Feste’ für die Armen wie jenes eines Wiener Bürgers, der
im Jahr 1396 bei seinem Begräbnis für 60 Arme ein dreigängiges Mahl mit
Huhn, Kraut und Gemüse ausrichten ließ, waren in Korneuburg selten, in dieser
Form wurden sie nie gestiftet393. Die Rolle der Armen bzw. des Almosens bei
den Begräbnis- und Jahrtagsfeierlichkeiten wird in den Testamenten kaum sichtbar,
bei den Jahrtagen scheint die Armenspende überhaupt die Ausnahme gewesen
zu sein, geschweige denn, dass ein Mahl ausgerichtet wurde. Während die
Teilnahme der Armen bei Begräbnissen aus den wenigen Verfügungen hervorgeht,
wonach Geld oder das Bahrtuch verteilt werden soll394, was ihre regelmäßige
Anwesenheit voraussetzt, gibt es dafür bei Jahrtagen keinen Hinweis. Jahrtagsstiftungen
mit Almosen sind eine seltene Ausnahme, desgleichen ist in den
für die erste Hälfte des Jahrhunderts überlieferten detaillierten Kostenverteilungen
des Jahrtaggeldes bis auf eine Ausnahme keine Armenspende vorgesehen
oder wäre dafür übrig395. Jahrtage scheinen in einer rein liturgischen Form begangen
worden zu sein, die nur dann eine karitative Ausrichtung erhielt, wenn es
die Testatoren eigens anordneten. Auch im Bürgerspital waren Mahlzeitstiftun-
391 Zu ihm s. Anm. 47.
392 Z. B. die Darstellung des Armen auf dem St. Pöltner Andreasaltar (s. Abb. 2); vgl. dazu
auch Rist, Leben für den Himmel 232, derzufolge in Wiener Neustadt Ende des 15. Jahrhunderts
die Almosen an die Stadtarmen vorzugsweise in Gewandspenden bestanden.
393 Brauneder/Jaritz, Wiener Stadtbücher 1 n. 85, als Beispiel für ein „Fest“ der Armen zitiert
bei Jaritz, Religiöse Stiftungen 20; vgl. auch ders., Realienkundliche Aussage 188.
394 Armenspenden beim Begräbnis: Verteilung von 60 d an die Armen bei Magdalen Freinsteter,
StAK, Hs. 3/160 fol. 55r (1455 I 28); schwarzes böhmisches Tuch für die Armen, das
auf die Bahre gelegt werden soll, bei Dorothe Edelgut, ebd. fol. 24v–25r (1448 VII 16); ein
Tuch auf die Bahre legen und danach verteilen bei Elzpett Weiss, ebd. fol. 68r–v (1457 VI
06).
395 Detaillierte Angaben zur Aufteilung des Stiftungsgeldes am Jahrtag in Anm. 321, die Ausnahme
ist Hans Grewtschensteter im Jahr 1433 mit 30 d für die Armen (ebd.). Außer ihm
stiftete in den folgenden drei Jahrzehnten nur Wolfgang Wagkermann einen Jahrtag mit einer
Armenspende, ebenfalls in Höhe von 30d, StAK, Hs. 3/160 fol. 3r–4r (1444 X 3).
135
gen etwas Außergewöhnliches. Nur der Fleischhacker Valtein Römer belastete
seine Fleischbank mit einer jährlich dreimaligen Speisung zu den Quatembern,
das allerdings auf ewig, was ebenfalls eine Besonderheit war – Ewigstiftungen
für das Spital gibt es kaum, auch nicht für den Altar – und ihm sicher die Memoria
des Hauses sicherte 396. Ein einmaliges Fest für Körper und Geist blieb in
Korneuburg auch das den Armen gespendete Bad, das so genannte „Seelenbad“
(selpad)397.
Dieses doch überraschende Ergebnis widerspricht der insbesondere den
Mahlzeitstiftungen zugewiesenen Bedeutung in der Literatur als regelmäßige,
alltägliche Form des Almosens. Entweder war Korneuburg eine Ausnahme, was
wenig wahrscheinlich erscheint, oder es handelte sich auch sonst eher um eine
nicht-alltägliche Besonderheit398. Auffallend ist vor allem die Zurückhaltung der
für das Stiftungsverhalten vorbildhaften lokalen Elite, die mehrheitlich nur höhere
Geldbeträge zur Handverteilung stiftete. In den großen Spitälern von Wien
oder Augsburg waren – im Gegensatz zum Korneuburger Spital – Speisungen
vor allem in Verbindung mit Jahrtagen zwar eine gängigere Praxis, nahmen aber,
wie für Wien festgestellt wurde, im 15. Jahrhundert deutlich ab, während
religiöse Handlungen und die Bestände an Kirchengerät und Büchern anstiegen399.
Diese Entwicklung würde dem allgemeinen Trend zur Messe als heilswirksamstes
Gnadenmittel entsprechen, wovon allerdings in Korneuburg vor
allem die anderen Kirchen profitierten, denn in das Spital wurde zwar Altargerät,
selten aber Messen und fast keine Jahrtage gestiftet. Möglicherweise waren
aber im 14. Jahrhundert, also vor Einsetzen der testamentarischen Überlieferung,
auch hier Jahrtage mit Mahlzeiten häufiger.
Denkbar ist allerdings auch, dass die geringe Bedeutung der Speisung
dem kleinstädtischen Kontext entsprach, in dem Armut noch nicht als eine nicht
mehr zu bewältigende und zu integrierende Realität wahrgenommen wurde und
396 Valtein Römer vermachte seine Fleischbank nach dem Tod seiner Ehefrau der Fleischhackerzeche
mit der Auflage, davon jährlich 1 lb für die Armenspeisung auszurichten, StAK,
Hs. 3/160 fol. 57r–58r (1455 VII 1).
397 Ein Seelenbad wurde nur von der Ratsbürgerin Dorothe Gut gestiftet, StAK, Hs. 3/160 fol.
56v–57r (1455 VII 8).
398 Vgl. z. B. für Wiener Neustadt Rist, Leben für den Himmel 230 ff., mit Beispielen von
Mahlzeitstiftungen und Seelenbädern ohne Angabe der Häufigkeit, sodass es sich ebenfalls
nur um Ausnahmen handeln könnte; zu Wien Lentze, Seelgerät 83 ff., mit Einzelbeispielen,
darunter ausführlich die oben erwähnte Stiftung von 1396, die von Jaritz als Beispiel für
Nicht-Alltäglichkeit herangezogen wird, was sie nach der auffallend häufigen Erwähnung
in der Literatur offenbar auch war. Nach Mark, Religiöses Verhalten 164, wurden in Wien
Mahlzeiten und Bäder nur vereinzelt an Arme außerhalb der Spitäler gestiftet.
399 Pohl-Resl, Rechnen mit der Ewigkeit 115; ein Vergleich der ebd. 128 f. abgedruckten Jahresabrechnungen
von 1429 und 1470 zu Jahrtagen zeigt anschaulich den Rückgang der Essensstiftungen,
die 1470 kaum mehr vorkommen. Kiessling, Pfennigalmosen 41, stellt bzgl.
des Augsburger Spitals hingegen keine Verschiebungen fest, auch wenn seine Zahlen mit
175 Stiftungen im 14. Jahrhundert und 102 Stiftungen im 15. Jahrhundert den Wiener
Trend zu bestätigen scheinen, allerdings mit der Einschränkung, dass die Augsburger Eintragungen
nur bis ca. 1450 kontinuierlich vorgenommen wurden.
136
daher keine effizienteren Hilfsmaßnahmen erforderte, wie etwa das im großen
Stil verteilte ‚Almosen der Schüsseln’ für die hausarmen Leute in Augsburg400.
Erst um die Mitte des 16. Jahrhunderts wurde in Korneuburg ein Armenhaus für
Bewohner ohne Bürgerrecht eingerichtet, das vorübergehend im aufgelassenen
Augustinerkloster untergebracht war.401
Soziales und symbolisches Kapital
In Korneuburg blieb die Caritas im konventionellen Rahmen des Pfennigalmosens,
der traditionellen Form des dem Armen in die Hand gedrückten Almosens
als einmalige, situationsbezogene Hilfe, die Armut als nicht zu verändernden
Bestandteil am Rande der Gesellschaft wahrnahm. Wie sich die nicht im Spital
institutionalisierten Stadtarmen zusammensetzten, lässt sich aus der Überlieferung
nicht feststellen; der in Abgrenzung zu den Bettlern vereinzelt verwendete
Begriff „Hausarme“ belegt aber die Vorhandenheit beider Gruppen.
Die so genannten Hausarmen lebten im sozialen Umfeld der Bürgerhaushalte
und besaßen noch soviel ‚Sozialkapital’402 in Form von Unterstützung
durch Familie, Freunde, Zechen oder Hausleute usw., dass sie nicht zur Bettelei
gezwungen waren oder zum Fürsorgefall des Bürgerspitals wurden. In einer
Kleinstadt, wo jeder jeden kannte, ist zudem anzunehmen, dass durch die persönliche
Bekanntheit dieses Auffangnetz ‚engmaschiger’ war und etwa Zuwendungen
aus Stiftungen ein längeres Überleben ohne Einkommen ermöglichte.
Wenn Caspar Strasser verfügte, sein restliches Vermögen solle unter hausarmen
Leuten und armen Jungfrauen verteilt werden403, hatte er offensichtlich eine
ganz bestimmte Gruppe von Menschen vor Augen und konnte sich auch darauf
verlassen, dass seine Geschäftsleute – Pfarrer, Stadtrichter und Ratsbürger – die
„Richtigen“ auswählten, entweder weil sie ihnen bekannt waren oder weil sie
ihnen empfohlen wurden.
Über hohes ‚Sozialkapital’ verfügte auch die Gruppe der armen Jungfrauen,
Geistlichen und Schüler aufgrund ihrer Eingebundenheit in das Umfeld
der Kirche, Schule und Bürgerhaushalte. Gerade die nicht unbeträchtlichen Armenspenden
an die Mädchen von einigen Pfund oder als Aussteuer setzt hohe
Reputation voraus, um sich ihrer würdig zu erweisen404. Dasselbe gilt für Stipendien
für die Priesterausbildung, neben der Aussteuer die einzige – und seltene –
Form des Almosens, das als Art ‚Startkapital’ auf dauerhafte Integration in die
Gesellschaft zielte405 Die Unterstützung von Schülern und Geistlichen – letztere
meist die einzigen bedachten Armen in Klerikertestamenten – beschränkte sich
400 Vgl. Kiessling, Pfennigalmosen 47 ff., 60.
401 Vgl. Starzer, Korneuburg 461.
402 „Sozialkapital“ nach Dinges, Stadtarmut in Bordeaux 114 f.
403 Zu ihm s. oben und Anm. 265.
404 Z. B. 10 lb an fünf Jungfrauen bei Wolfgang Wagkermann, StAK, Hs. 3/160 fol. 3r–4r
(1444 X 3); Heiratsgut in Höhe von 5 lb in Anm. 380.
405 Vgl. Kiessling, Pfennigalmosen 51.
137
meist auf brauchbare Dinge wie Bücher, Breviere, Messkleidung oder Geld, bei
armen Priestern verbunden mit der Gegenleistung von Messen und Gebet. Bei
der Auswahl der Empfänger wird wohl die Empfehlung des Pfarrers, Schulmeisters
oder auch Beichtvaters entscheidend gewesen sein, sicher erfolgte sie auf
der persönlichen Ebene, die wichtigste Beziehungsstruktur des als ‚Sozialkapital’
bezeichneten Auffangnetzes dieser Armen. Die Verbindung von Almosen
und Messstipendien wäre im System der Heilsökonomie prinzipiell eine überaus
‚gewinnbringende’ Investition gewesen, wurde aber nicht übermäßig häufig verfügt,
was ebenfalls dafür spricht, dass das Almosen einen von der Gegengabe
der Bedürftigen unabhängigen Heilswert hatte.
Nach der Bibel besaßen alle Armen ‚symbolisches’ Kapital für den Erwerb
eines Schatzes im Himmel und – durch Steigerung des Ansehens – auf Erden,
das sich im Laufe des Mittelalters sukzessive auf die ‚Guten’, ‚Ehrlichen’
konzentrierte: die verarmten ehrbaren Mitbürger und Mitbürgerinnen, die Armen
aus der Nachbarschaft, die man kannte, und die im Spital fromm Lebenden.
In den spätmittelalterlichen Armutsdiskursen wurden die vielschichtigen städtischen
Armuts-Realitäten über Legitimierung und Stigmatisierung idealtypisch
geordnet. Jene mit ‚Sozialkapital’ unter Einschluss der im Spital Integrierten
und Kontrollierten verfügten nun auch über das meiste ‚symbolische’ Kapital,
gebunden an Lebenswandel, Frömmigkeit und Unverschulden.
Den Idealtypus wird es in der Realität wohl nie gegeben haben, die Grenzen
zur Kriminalität waren fließend, der Kreis der Armen wurde zunehmend
unüberschaubar, ihre ‚Ehrlichkeit’ undurchschaubar, das traditionelle Pfennigalmosen
oder die Verteilung des Bahrtuchs zu einer Geste für Wenige, die die
Mehrheit ausschloss – möglicherweise alles Gründe, warum das Kapital’ der
Armen gegenüber der eindeutigen, berechenbaren Wirkung der Messfrüchte im
15. Jahrhundert geringer wurde. Zeichen von Frömmigkeit und Status war nicht
das Almosen, sondern die Großzügigkeit gegenüber Kirchen und Klöstern, auch
wenn, wie immer, Ausnahmen mit Armenspenden von mehr als 30 lb. die Regel
bestätigen. Große Armuts-Unternehmen wie das Wiener Bürgerspital vermochten
allerdings erfolgreich, mit Hilfe innovativer, den veränderten Heilsbedürfnissen
angepassten Strategien das versammelte ‚symbolische Kapital’ in
ökonomisches umzusetzen. Reliquienschau, kostbare Altarausstattungen, Prozessionen,
viel besuchte Messen und vor allem Ablässe sicherten weiterhin den
Spendenfluss. Die armen durftigen blieben dort auch im 15. Jahrhundert Symbol
von Ansehen, Leistung und Erfolg in der Stadt; selbst bei rein finanziellen
Transaktionen und Kreditgeschäften waren sie – im Unterschied zu Korneuburg
– formelhaftes Symbol der Urkundensprache406.
Kleine Häuser wie jenes in Korneuburg hatten diese Möglichkeiten offenbar
nicht bzw. das Interesse der Oberschichten und des Rats, vertreten durch den
Spitalmeister, am ‚Kapital’ der Armen war nicht hoch genug. Den ‚Luxus der
406 Vgl. Pohl-Resl, Rechnen mit der Ewigkeit 109, 158 f.
138
Ewigkeit’ mit drei Wochenmessen leistete sich in der Bürgerspitalskapelle nur
der Ratsbürger Mert Grefensulczer407.
407 Testament des Mert Grefensulczer, StAK, Hs. 3/160 fol. 123r–v (1472 V 25).
139
Zusammenfassung: Netzwerke und Knoten
Geschichten
An einem Montag zu Ende April 1467 begleiteten vier Männer, drei von ihnen
Mitglieder des Rats, die Bäckerwitwe Agnes Pranger in das Korneuburger Rathaus
zur Testamentseröffnung. Hinter diesem Gang verbirgt sich eine Familientragödie,
denn Agnes brachte nicht eines, sondern zwei Geschäfte ein, die im
Abstand von 14 Tagen errichtet worden waren: das ihres Mannes Mert und das
ihres Sohnes Wolfgang. Vater und Sohn starben innerhalb weniger Wochen im
Frühjahr, zurück blieb Agnes, die nach dem Letzten Willen ihres Sohnes nun
auch das ihm vom Vater vermachte Erbteil erhielt408.
Beide Testamente sind säuberlich hintereinander im Geschäftsbuch eingetragen,
überschrieben mit Mert Pranger und Wolfgang Mert Prangers Sun und
enthalten die üblichen Verfügungen in Bezug auf Erbe und Seelenheil. Nur das
idente Datum der Einbringung durch dieselbe Person, einmal als Ehefrau, einmal
als Mutter, ist ungewöhnlich und lässt bei der Auswertung dieser von
Gleichförmigkeit gekennzeichneten Quellengattung innehalten.
Diese beiden Testamente gehören zu den berührendsten Zeugnissen der
Korneuburger Überlieferung und erinnern daran, dass hinter jedem Stück eine
‚Geschichte’ steht, die in der analytischen Sprache von Mustern, Strukturen und
Netzwerken und in den statistischen Berechnungen notwendigerweise verloren
geht. Die Erzählung einer ‚Geschichte’ als Einstieg in ein Kapital – einmal war
es Rudolf Angerfelder, dann die Fassbinderwitwe Anna Pestorffer oder die
Krämerfamilie Huber mit dem Laden am Platz – ist der Versuch, Männer, Frauen
und Kinder nicht nur als rein quantifizierbare Größen wahrzunehmen, sondern
ihnen ein Profil zu geben, sie lebendig werden zu lassen, soweit es die trockene
Sprache der Quellen überhaupt zulässt.
Die Einträge der Stadtbücher halten Fakten fest: den Tod, die Erbberechtigten,
die Vermögensverteilung, Geldbeträge, Schulden, die Zahl der Messen
und die Dauer der Jahrtage. Die dahinter stehenden existenziellen Krisen durch
Verlust und notwendige Neuorientierung, Verwaisung der Kinder oder Verarmung
der Frauen angesichts eines hinterlassenen Schuldenbergs lassen sie nur
erahnen; vom Umgang mit dem Tod – Trauer, Verzweiflung, Einsamkeit oder
408 Testament des Bäckers Mert Pranger von 28. Februar 1467, Hs. 3/160 fol. 110v (1467 IV
27); Testament seines Sohnes Wolfgang von 14. März 1467, ebd. fol. 110v–111r (1467 IV
27). Nach dem Eintrag im Geschäftsbuch wurden beide Testamente am selben Tag von der
Witwe bzw. Mutter Agnes Pranger vor den Rat gebracht. Als Zeugen fungierten bei ihrem
Ehemann die Ratsherren Niclas Puff und Wolfgang Jungling, bei ihrem Sohn der Ratsherr
Wolfgang Halbemer und Marks Steirer, ein Vetter des Stadtrichters Achaz von Perg.
140
Erleichterung, Zorn auf Gott oder Gottvertrauen – erfährt man nichts. Bestenfalls
Erbschaftsstreitigkeiten und die schon damals klassischen Konflikte in
‚Patchwork-Familien’ zwischen Stiefkindern und -eltern hinterließen ihre Spuren.
Die Bearbeitung dieses Quellenmaterials ist, wie ein Blick in die einschlägige
Literatur zeigt, immer eine spröde Sache, ihre Ergebnisse meistens auch.
Im Folgenden soll daher der Versuch gemacht werden, ausgehend von der Familie
Pranger, die ‚Muster’ dieses für die spätmittelalterliche Frömmigkeit so bestimmenden
Netzwerks zwischen Lebenden und Toten, zwischen Diesseits und
Jenseits, zusammenfassend darzustellen und seine ‚Knoten’ herauszuarbeiten,
mit denen das Netzwerk immer wieder neu geknüpft und die Communio mit den
Toten präsent gehalten wurde. Die Testamente der Pranger sind zufälligerweise
durchaus repräsentativ und enthalten keine ‚seltenen Ausnahmen’, wie ich aus
der Norm fallende Verfügungen immer bezeichnet habe – abgesehen von der
Geschichte dieser Familie, der individuellen Seite der Gemeinschaft der Lebenden
und Toten, die stets als ganz persönliche, sich jeder Analyse entziehende
Beziehung gelebt wurde.
Horizonte
Mert und Wolfgang Pranger ordneten die Zukunft und entsprachen den gesellschaftlichen
Erwartungen: Sorge für die Familie und Sorge für die Seele. Beide
hinterließen Agnes gut versorgt und beide trafen Verfügungen für ihr Seelenheil.
Ihr Denken und Handeln vollzog sich somit in zwei Wirklichkeitsdimensionen,
der diesseitigen und der jenseitigen, unabdingbare Voraussetzung jeder Form
von Seelgerät. Diese Sicht der Wirklichkeit wurde von Agnes und den Zeugen
geteilt, drei von ihnen Ratsherren und daher als Repräsentanten der Obrigkeit
auch zuständig für die Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Testamente gemäß der
Ordnung der Stadt. Die mit der Sorge für das Seelenheil verbundene Vorstellung
einer mehrdimensionalen Wirklichkeit war Teil dieser Ordnung, sie wurde von
allen geteilt und getragen, individuell war nur die Ausgestaltung der Heilsvorsorge.
Merts Seelgerät bestand mit Begehung und einem Jahrtag auf zehn Jahre
in nicht näher ausgeführten Handlungsanweisungen, gemeint waren Vigilien,
Seelenamt und Messen. Hinter seinen knappen Verfügungen steht der Glaube an
die Verwiesenheit der Armen Seelen im Fegefeuer auf das für ihre Erlösung
notwendige, Gnaden vermittelnde Tun der Lebenden. Nicht das persönlichindividuelle
Erinnern, sondern das solidarische Füreinander-Tun bildete die
Grundstruktur der Gemeinschaft der Lebenden mit den Toten, die damit Teil des
sozialen Gefüges der Stadt blieben. Das Fegefeuer war in seiner vertrauten
Raum-Zeit-Strukturierung ein ‚Lebensraum’ innerhalb des städtischen Horizonts
aller Bewohner, ob sie nun ein Testament errichteten oder nicht, denn, wie an
einigen Beispielen gezeigt werden konnte, die Sorge für das Seelenheil funktionierte
auch ohne letztwillige Verfügung. Auch bei der Familie Pranger war das
141
Motiv der Testamentserrichtung vermutlich gar nicht ihr Seelenheil, sondern die
dem Erbrecht widersprechenden Verfügungen für Agnes, die von ihrem Mann
die Hälfte des Erbguts erhielt und dann von ihrem Sohn als Haupterbin eingesetzt
wurde. Wolfgang hat der Mutter seine Seele nur anempfohlen und damit
sein Seelenheil gänzlich in ihre Hände gelegt, wie er es vermutlich auch ohne
Testament getan hätte.
Menschen
Als Bäcker gehörten die Pranger in Korneuburg zu den Wohlhabenden mit offenbar
guten Kontakten zur Ratsbürgerschicht, wie ihre prominenten Zeugen
zeigen. Zeichen von gehobenem Lebensstandard ist auch der silberne Kelch, den
Mert der Pfarrkirche schenkte. Damit sind jene Personenkreise angesprochen,
die das Netzwerk zwischen Lebenden und Toten mit ihren Stiftungen vor allem
getragen haben: die wohlhabende Bürgerschicht mit den Ratsfamilien an der
Spitze. Mit den Zeugen Niclas Puff, Wolfgang Halbemer, Wolfgang Jungling
und Marks Steirer, die Agnes Pranger in das Rathaus begleiteten, sind allein
schon vier Familien vertreten, die zu den Führenden der Stadt zählten und
durchwegs sehr hohe Seelgeräte stifteten.
So wie sie besaßen viele Stifter, Laien wie Geistliche, in ihrem sozialen
Umfeld Besitz, Macht, überregionale Beziehungen und mitunter höhere Bildung.
Wie im Leben war die lokale Oberschicht auch im Tod für die Ausgestaltung
der Memoria tonangebend. Tonangebend für die Ausgestaltung der Memoria
war, wie im Leben, auch im Tod die lokale Oberschicht. Sie behielt sich die
luxuriösesten Formen vor: die höchste Zahl an Messen, die längste Dauer auf
ewig und die sichtbarste Präsenz durch Kapellen, Altäre und Glasfenster.
Der spätmittelalterliche Frömmigkeitsdiskurs um den Wert der Messe und
die Bedeutung der Andacht wurde in den Oberschichten entschieden – im 15.
Jahrhundert noch zugunsten der Quantität und der Messe, denn ihre Testamente
waren Teil dieses Diskurses, mit denen die Heilsvorsorge in Form hoher Messund
Jahrtagsstiftungen als sinnvolle und erstrebenswerte soziale Praxis sprachlich
formuliert und bestätigt wurde. Stadtrichter und Ratsbürger gaben den –
Status und Vermögen angemessen repräsentierenden – Standard vor, immer mit
Blick über die Stadtmauer auf die noch Reicheren der Nachbarstädte. An ihnen
orientierten sich die Wohlhabenden und Erfolgreichen bis hinunter zu den wenigen
Knechten und Mägden, die sich über Memoria von ihrem sozialen Umfeld
deutlich abgrenzten, indem sie Anteil an einem der ausdrucksstärksten Symbole
der Bürgerschicht erhielten.
Die Sorge für das Seelenheil war eine schichtenübergreifende Frömmigkeitspraxis
und keineswegs nur Glaube des ‚einfachen Volkes’, wie der in seiner
Konnotierung problematische, immer noch fallweise gebrauchte Begriff ‚Volksfrömmigkeit’
suggeriert. Der Befund der Quellen ergibt ein anderes Bild: Gebildete
und Ungebildete, Laien und Geistliche, Männer und Frauen – mit einem
Wort ‚alle’ – sorgten für das Heil ihrer Seele, sofern sie die finanzielle Möglich142
keit dazu hatten. Die kostspieligen Totenfeierlichkeiten waren Bestandteil eines
‚ehrbaren’ bürgerlichen Lebens und repräsentierten öffentlich Herkunft, Rang,
Vermögen und Leistung der Verstorbenen, der Familie und der Zunft innerhalb
der Kommune. Ehrbarkeit hatte stets ihren Preis, vom Erwerb des Bürgerrechts
bis zur Memoria – Hintergrund der Bedeutung der Zechen, die für ihre Mitglieder
das Totengedenken ausrichteten, zur Ehre der Toten und zur Ehre der Zunft.
Die wichtigsten personellen ‚Knoten’ im Netzwerk zwischen Lebenden
und Toten waren die Mitglieder des Rats, die ihre räumliche Entsprechung im
Rathaus und in den vornehmsten Häusern am Platz hatten. Durch Amt, Verwandtschaft
und Interessen waren sie die wichtigsten Bindeglieder zwischen
Stifter- und Empfängerkreisen. Als häufig herangezogene Zeugen und Testamentsvollstrecker
besaßen sie Einfluss auf die Testamentsgestaltung und die
Auswahl der Kirchen, Geistlichen und Armen; als Amtsträger fungierten sie
durch die von ihnen wahrgenommene obrigkeitliche Kontrolle der Geldflüsse
und damit verbundenen Leistungen ebenso im Interesse der Testatoren wie der
Empfänger und sicherten das Funktionieren des komplexen Systems der Memoria;
in ihrer Funktion als Kirchen- und Spitalmeister gehörten sie schließlich
auch selbst zu den für das Seelenheil Hauptverantwortlichen.
Orte
Mert Prangers Verfügung, dass das Gedächtnis seiner Seele in der Pfarrkirche
begangen werden soll, entsprach den Konventionen, denn die Memoria der Bürgerfamilien
verblieb überwiegend innerhalb der Stadtmauern und hier vor allem
in der Pfarrkirche. Sie war als geistliches Zentrum der Stadt auch ihr Hauptgedächtnisort
mit einem feststehenden Preis-Leistungsangebot, das sich hinter
Merts Formulierung „nach Sitte und Gewohnheit der Pfarrkirche“ verbirgt, und
einer ausreichenden personellen Struktur, um die von ihm gestiftete ehrbare Begehung
und seinen Jahrtag in feierlicher Form erfüllen zu können: Pfarrer, Gesellpriester
und Kantoren, Schulmeister, Schüler und Mesner. Sein Legat brachte
ihnen zusätzliche Einnahmen, sein Silberkelch sollte die ‚Gotteszierde’ vermehren,
wofür nicht die Geistlichkeit, sondern der für die Sakristei verantwortliche
Kirchenmeister zuständig war.
Memoria benötigte eine geistliche Infrastruktur an Kirchen, Altären,
Geistlichen und Armen, die in den bedeutenderen Kleinstädten in Anbetracht
ihrer durch die Mauern begrenzten Größe verhältnismäßig dicht war: in Korneuburg
die Pfarrkirche, das Augustinerkloster, die Nikolaikapelle am Hauptplatz
und das Bürgerspital. Wohl von fast allen Punkten der Stadt aus sichtbar und
durch das Geläut ihrer Glocken stets hörbar, hielten diese Institutionen die Gemeinschaft
mit den Toten im öffentlichen Raum präsent. Sie bildeten die örtlichen
‚Knoten’, die das vielfältige Beziehungsnetzwerk der Memoria – Stifter
und Bestiftete, Laien und Geistliche, Reiche und Arme, Lebende und Tote –
gleichsam örtlich ‚fixierten’. Der jenseitige ‚Lebensraum’ der Verstorbenen
143
blieb auch räumlich innerhalb des von den Stadtmauern begrenzten, vertrauten
Horizonts.
Die engen Grenzen führten aber zugleich zu einer Wettbewerbssituation,
vor allem zwischen den Pfarrkirchen und den Mendikantenklöstern als deren
größte Konkurrenten, die in jeder bedeutenderen Stadt zumindest eine Niederlassung
hatten. Die Augustiner-Eremiten waren auch in Korneuburg die zweite
alteingesessene ‚Adresse’ für alle Formen der feierlichen Memoria, in der Regel
als Ergänzung zur Pfarrkirche, in konfliktträchtigen Zeiten aber auch als eine
bewusst gewählte Alternative. So wie Bau und Ausstattung der Kirchen, insbesondere
der Pfarrkirche, ein von den Laien getragenes und mitfinanziertes öffentliches
Anliegen war, waren Konflikte um die Seelsorge oder deren Vernachlässigung
eine Sache von öffentlichem Interesse und konnten zur Verlagerung
der Memoria und damit zur Umschichtung der Geld- und Sachspenden führen.
Mert Pranger hat seiner Frau die Sorge um seine Seele zusätzlich zu seinen
Verfügungen auch anempfohlen, Wolfgang es ihr gänzlich überlassen, womit
Agnes in ihrer Entscheidung zwar frei war, darin aber mit hoher Wahrscheinlichkeit
den sozialen Konventionen gefolgt sein wird mit Präferenz für
jene Kirchen, Geistlichen und Armen, die Teil ihres gesellschaftlichen Netzwerks
waren: zunächst die Pfarrkirche, dort besonders die Gesellpriester für 30
Messen, dann das Kloster mit zusätzlicher dreimaliger Begehung und vielleicht
einem Jahrtag für den Sohn, an letzter Stelle die Spitalsarmen oder ihr bekannte
hausarme Leute; möglicherweise bedachte sie auch eine Pfarrkirche außerhalb,
zu der sie über Herkunft oder Verwandtschaft eine Nahbeziehung hatte.
Vielleicht entschied sich Agnes aber doch für das junge Kloster der strengen
Franziskaner (Bernhardiner) jenseits der Donau in Klosterneuburg, dessen
‚Markenzeichen’ im Gegensatz zu den reich gewordenen Augustinern Armut
war, oder beschloss, eine Wallfahrt nach Mariazell oder St. Wolfgang gehen zu
lassen. Stiftungen an die reformierten Franziskanerklöster und in die großen
Wallfahrtsorte bewegten sich weniger in den stark von Lokalität, Bindung und
Konvention geprägten Handlungsmustern der Memoria, sondern waren Ausdruck
des überregionalen Glaubens an die Gebetskraft der strengen Konvente
und an die machtvolle Hilfe der an ihren Wallfahrtsorten persönlich präsenten
Heiligen, der die auf den städtischen Lebensraum bezogene Frömmigkeit überlagerte
und wohl weniger von Beziehung, sondern von Entscheidung getragen
war. Die Förderung der Bernhardiner entsprach zugleich der traditionell hohen
Bedeutung der Mendikanten für die Memoria, wenn auch in ihrer für das 15.
Jahrhundert ‚modernen’ Form, während die Chorherrenstifte, aber auch Benediktiner
und Zisterzienser, kaum im Blickfeld der Stifter lagen – so auch sicher
nicht das Augustiner-Chorherrenstift in Klosterneuburg trotz der engen Beziehungen
zwischen Stift und Stadt über verwandtschaftliche Bindungen und die
Inkorporation der Pfarre.
144
Rituale
Vigilien, Seelenamt und Messen meinte Mert Pranger, wenn er die dreimalige
Begehung und einen Jahrtag auf zehn Jahre stiftete. Vor allem in diesen Handlungen
sollte sich das solidarische Tun der Lebenden für ihn realisieren, von
dem er sich das Heil seiner Seele – die Erlösung – erhoffte. Vermutlich war darin
auch das Almosen als Teil der Begräbnisfeierlichkeiten inkludiert, neben
Messe und Gebet das dritte Element der Memoria. Wie viele seiner Mitbürger
verfügte er keine Armenspende.
Das solidarische Handeln der Lebenden für die Toten, das Gedächtnis der
Seele, vollzog sich in rituellen Handlungen: an erster Stelle die Feier der Messe,
dann Gebet und zuletzt das Almosen, die mittelalterliche Trias der Memoria. Sie
bilden jene Handlungsknoten, in denen die diesseitige und jenseitige Dimension
der Wirklichkeit sinnlich erfahrbar ineinander griffen und die Gemeinschaft der
Lebenden und Toten ihre charakteristische kommunikative Struktur erhielt.
Durch die allen Handlungen zum Seelenheil zugeschriebene berechenbare Wirkung
für die Erlösung wurde die Vorstellung von einer geordneten jenseitigen
Welt – unabdingbare Voraussetzung und Konsequenz allen Tuns – als integrativer
Bestandteil einer Immanenz und Transzendenz umfassenden Lebenswirklichkeit
gelebt und damit bestätigt und immer wieder neu entworfen.
Dem Übergangscharakter des Fegefeuers zwischen Zeit und Ewigkeit entspricht
die Erstreckung der Rituale über längere Zeiträume, mit einer Verdichtung
in der ersten Zeit nach dem Tod. Sie sind klassische Übergangsriten, die
den Tod begleiteten, allerdings mit einer langen Übergangsphase, in der die
Verstorbenen zwar nicht mehr zu den Lebenden gehörten, aber als Arme Seelen
noch Teil der Gemeinschaft blieben409. Mit der „ordentlichen und ehrbaren Begehung
mit 1., 7. und 30. Tag“, wie Mert verfügte, und die von Agnes wohl
auch ihrem Sohn ausgerichtet wurde, erhielten Vater und Sohn ihren Platz in der
Lebende und Tote umfassenden Ordnung der städtischen Gemeinschaft nach
den Regeln der bürgerlichen Ehrbarkeit.
So wie die Höhe des „prix de passage“ (Chiffolau) aber niemals einzuschätzen
war, so auch nicht die Dauer des ‚Wegs in den Himmel’. Die Reichen
verbanden daher die intensive Wirkung einer hohen Anzahl von Messen, in
möglichst kurzer Zeit nach dem Tod gelesen, mit der langen unbestimmten Dauer
von Stiftungen ‚auf ewig’, das heißt ohne Zeitgrenze, längstens aber bis zum
Endgericht. Andere setzten auf die Macht der Fürbitte der Heiligen oder die
Qualität des Gebets der Bettelorden, während das Opfer der ‚guten Tat’, das
Almosen, gegenüber den liturgischen Formen einen deutlich geringeren Stellenwert
hatte. Für welche Handlungen man sich auch immer entschied, alle hielten,
solange sie begangen wurden, die Gemeinschaft mit den Toten aufrecht – nach
409 Bei den Übergangsriten wird nach van Gennep ein dreiphasiger Verlauf unterschieden:
Trennungsphase, Schwellen- und Umwandlungsphase, Angliederungsphase, vgl. Hödl, Ritual
673 f.
145
dem Wunsch Mert Prangers längstens zehn Jahre, eine ihm und vielen anderen
als ausreichend erscheinende Zeit bis zur Ewigkeit.
146
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