Neidhart-Schwänke in Bild und Wort
aus der Burg Trautson bei Matrei
EIga Lanc (Wien)
Als am Ende des zweitenweltkrieges bei einem Luftangriff auf Matrei die Burg
Trautson weitgehend zerstört wurde, stürzte auch die westliche Außenmauer des
Palas in die Tiefet. Dabei kamen in einem unteren Raum des palas unter der
Tünche Teile der malerischen Ausstattung zrtage, die als eines der wenigen
Beispiele eines profanen Bildprogramms in der Monumentalmalerei des 15.
Jahrhunderts von besonderem Interesse sind2. oswald rrapp hatte sie bereits
1947 beschrieben und den Text 1974 in unterschiedlicher Formulierung,
inhaltlich aber unverändert in sein Burgenbuch übemommen3. Einer eingehenderen
wissenschaftlichen untersuchung wurden die Malereien nicht
unterzogen. Auch die Freilegung des umfangreichen Neidhartzyklus in den
I o,swalg Trapp, Die Kunstdenkmäler in Not und Gefahr. Innsbruck-wien 1947,85 f., 133-
136, Abb. 35. Ansichten der Burg vor iker Zerstörung geben einen Eindruck von ihrem
ursprtinglichen äußeren Aussehen. ‚ In Nordtirol haben sich aus dem 15. Jahrhundert profane wandmalereien aus bzw. in ‚ Btirgerhäusem von Solbad Hall in Tirol erhalten, so etwa eine heute nicht mehr existierende
Raumausstattung aus dem Haus Rosengasse 6 (Teile davon im Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum,
Innsbruck). Emst Bachers allzu vordergründige Bezeichnung der nackten, auf
einem Holzsessel mit Strohgeflecht sitzenden Frau als Sirurbild der Freriden des Ehelebens
kann für diese Zeit keinesfalls zutrefGn: Emst Bacher, Mittelalterliche Wandmalerei in
Östeneich. originale, Kopien, Dokumentation (64. wechselaurtt“ll“ü;; öJerreichischen
Galerie) wien 1970, 51 f., mit Abb. Im sogenannten wallpachhaus wurde l9g5 im zweiten
Stock ein Teil der malerischen Ausstattung freigelegt, der in der Sockelzone einen mit Ringen
an einer Stange hängenden, gerafften Vorhang zeigt, darüber vor einem grünen Hintergrind mit dichtem Rankengeflecht eine Tumierszene mit einander ebenfills bekämpfJnden
Schalksnarren (Hofrranen) und einen berittenen Trommler: Franz caramelle, Das
fulniernglto im Wallpachhaus zu Hall in Tirol. In: Kunst und Kirche in Tirol (Festschrift für
Kgf._Wolfsgruber), hg. von J. Nössing, Helmut Stampfer. Bozen 1987, 335-341, mit drei
Abbildlngen. In der Burg Friedberg befindet sich außär der malerischen Gesamtausstattung
des Rittersaales auch ein überhagenes Wandbild mit einem symbolischen Turnierkamp}
zwischen winter und Frühling, um 1440: Dehio-Handbuch. Tirot (Die Kunstdenkmäler
Österreichs) Wien 1980, 854. Ftir Nord- und Südtirol siehe Josef Weingartner, Die profane
Wandmalerei Tirols im Mittelalter. ln: Münchener Jahrbuch (192g) 2_63.
‚ T*pp‘ Kunstdenkmäler, 85 f., 133-136, Abb. 35; ders., Tiroler Burgenbuch (III. wipptal)
Bozen-Innsbruck-Wien l9i 4, 35-37,Taf. IV.
71
Wiener Tuchlauben im Jahr 1979 und seine darauffolgende Publikation
vermochten es nichta, die Bildfolge mit Neidhartschwänken aus der Burg
Trautson in den Blickpunkt kunsthistorischer oder germanistischer Fachleute zu
rücken. Erst anlässlich ihrer kürzlich vorgenornmenen Restaurierung begann
man, sich mit dem abgenommenen Wandbild auf interdisziplinärer Ebene zu
befassens.
Die auf einem Hügel bei Matrei am Brenner gelegene Burg Trautson
wurde in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts durch Graf Albert III. von Tirol
errichtet und Matreier Ministerialen als Lehen gegeben. Da die Linie des Kuno
von Matrei6 1360 durch Konrad ohne männlichen Nachkommen blieb, übergab
seine Tochter Anastasia mit dem Einverständnis Herzog Leopolds von
Österreich die Burg ihrem Ehemann Hans Trautson von Sprechenstein. 1395
befanden sich die beiden Matreier Burgen und der Raspenbühel in seiner Hand,
was Herzog Leopold IV. 1396 bestätigt: nuo vessten zu Matray, item einen
pukbühel [„nonit des Raspen bühef. Aus den Jahren 1403 und 1450 sind
gleichlautende Lehensbriefe für Viktor Trautson, aus 1453 flir Lorenz und
Balthasar Trautson erhalten, und aus 1468 für letzteren eine weitere
Lehensurkunde.
Von der malerischen Ausstattung konnte man 1946 die Darstellungen der
Neidhartschwänke an der Ostwand des Raumes durch ihre Abnahme retten8, die
am stehengebliebenen Teil der Südmauer befindliche Bärenjagd, von.der eine
Beschreibung von Oswald Trapp eine ungefähre Vorstellung vermittelte, musste
man dagegen in situ belassen und damit der Zerstörung preisgeben‘
Obwohl nur wenige Anhaltspunkte Auskunft über die ursprüngliche Form
der Raumausstattung geben, kann sie zumindest in einigen Grundzügen
erschlossen werden. Der Grundriss des Raumes hatte die Form eines etwas
verzogenen, weil in der Südwestecke spitzwinkeligen Quadratesro. Er war also
nicht schmal und lZingsgerichtet, wie mehrheitlich die Repräsentationsräume und
a Eva-Maria Höhle, Wien I, Tuchlauben 19 – Ehem. Festsaal. In: Elga Lanc, Die
mittelalterlichen Wandmalereien in Wien und Niederösterreich (Corpus der mittelalterlichen
Wandmalereien Österreichs l) Wien 1983, 32-40 und Abb. 61-69.
s Da von den Werkstätten des Bundesdenkmalamtes gleichzeitig auch Restaurierungsarbeiten
an dem Neidhartgrab am Wiener Stephansdom durchgeführt wurden, entstand die Idee zu der
interdisziplinären Zusammenarbeit, die von Gertrud Blaschitz koordiniert und betreut wurde.
Ihr verdanke ich auch die germanistischen Unterlagen flir den vorliegenden Beitrag.
6 Er war ab 1227 Ministeriale des Grafen von Tirol. Oswald Trapp, Tiroler Burgenbuch (III.
Wipptal) Bozen-Innsbruck-Wien 197 4, 25.
7 Ebenda26. t Si“h“ dazu die Ausfi.ihrungen von Manfred Koller, Untersuchung und Restaurierung von
Bildwerken des Neidhadkeises in Wien und Tirol (in diesem Band).
e Trapp, Kunstdenkmäler, 13 f. Siehe auch den ähnlichen Text in: Trapp, Burgenbuch, 37.
‚o Trapp, Kunstdenkmäler, Abb. 13.
72
Festsäle in Bürgerhäusernrr, sondern bestand aus vier annähernd gleich breiten
Wänden, in die im Norden zwei Fenster eingelassen waren’t.
Im Bereich der Sockelzone war – wie im davon erhaltenen Rest
ersichtlich – ein am ursprünglich rotenr3 Rahmenband befestigter, geraffter
Vorhang angebracht, dessen grün-schwarzes Rautenmuster von zarten roten
Linien begleitet wird, die zugleich auch als Einsäumung des Stoffes dienten. Der
untere Rähmenstreifen verläuft links im Wandbild, offenbar auf örtliche
Gegebenheiten Rücksicht nehmend, schräg nach links oben, wohl um einer dort
beändlichen flachbogigen Nische auszuweichen’4. In diesem Bereich befand
sich ein später eingebiuter Kamin, durch den der Beginn der Szenenfolge in
Mitleidenschaft gezogertund fragmentiert wurde. Ob der Bildstreifen auch nach
oben lediglich mit einem einfachen roten Rahmen abschloss oder –
wahrscheinlicher – mit einem Ornamentband, das ein kompositionelles
Gegengewicht zum Vorhang bildete, kann nicht mehr eruiert werden“. – lie unterteilung in drei Register, in denen auf die hohe, meist mit einem
Vorhang oder mit Marmorplatten bemalte Sockelzone ein breiter Bildstreifen
mit dem figuralen Programm folgt, der oben von einem ornamentalen Band
eingefasst *ird, das den durchgehenden, überwiegend dreidimensionalen Abschluss
entlang der Decke bildet, entspricht dem traditionellen Dekorationssystem
profaner malerischer Gesamtausstattungen in flachgedeckten, nicht allzu
hohen Räumenr6.
Die Höhe des Bildstreifens über der Vorhangzone beträgt 1,23 m, seine
ursprüngliche Länge, die mit jener der Ostwand übereinstimmte,.-kann man
anhand eines vor 1945 aufgenoÄrn“n“n maßstäblichen BaualterplanslT mit sechs
Metern ermitteln. Trapp bezeichnet jenen Teil ,,mit den beiden Neidhartfiguren
und der Bauemgruppe um das Faß“, von dem Martha Zykanim Jahr 1946 noch
tt Vgl. den Festsaal im Haus ,,Tuchlauben 19″, CD-Rom‘ Wandmalereien, Wien,
,,Tuchlauben 19″ oder den Saal im ,,Hoferhaus“ in Bad Aussee, Chlumetzkyplatz 2. Für
letzteren siehe Elga Lanc, Die mittelalterlichen Wandmalereien in der Steiermark (Corpus der
mittelalterlichen Wandmalereien Östeneichs II) im Druck, Abb‘ 20-23.
12 Möglicherweise befand sich in der Wesfwand ein weiteres Fenster, wie man aus einer
Abbildung vor der Zerstörung der Burg schließen kann. Trapp, Burgenbuch, Abb. I 5.
13 Es ist heute dunkelbraun verfürbt. Siehe den Beitrag Koller, Untersuchung (in diesem
Band).
ra Eine Tür kommt an dieser Stelle nicht in Frage, da die Ostrvand auf dem Abhang stand und
eine Tür dort ins Leere geführt hätte.
rs Auch in gewölbten Räumen werden die figuralen Darstellungen in den Bogenfeldern von
Omamentbändem begleitet. Siehe jene an Nord- und Südwand in der malerischen Ausstattung
im sogenannten Pistorhaus in Bad Radkersburg (Steiermark) aus der Zeit um 1390 (Maria
Prokopp, Italian Trecento Influence on Murals in East Central Europe Particularly Hungary.
Budapest 1983, Fig. L7;Lanc, Steiermark, Abb.27,28,33).
tu ln den höheren flachgedeckten Kirchen und Kapellen sind die Ausstattungssysteme anders
organisiert.
r7 Trapp, Burgenbuch, Abb. 13.
t5
in situ eine originalgroße Kopie angefertigt hatters und der heute im Fragment
erhalten ist, alslie,Jink“n zwei Drittel des Wandbildes“. Obwohl diese Angabe
nut „i““ sehr unprazise und ungefähre ist, kann man von der Breite des
Fragments, die 3,17 m umfasst, und unter Einberechnung des linken verlorenen
Biläteils oberhalb der Nische, deren Rahmungsstreifen partiell noch vorhanden
ist, für die ,,linken zwei Drittel“ der Wand ungefähr vier Meter
-annehmen‘
Daraus ergibi sich ebenfalls ein ursprünglich insgesamt etwa sechs Meter langer
Bildstreidn und ungefähr zwei Meter, die noch für die letzte, verlorene Szene
der Neidhartfolge zur Verfügung gestanden waren. Nachrichten darüber, ob man
davon in situ nolh Teile erkennen konnte, sind nicht überliefert.
Iher einem durchgehenden grünen Landschaftsstreifen, der den Schauplalz
der Handlung im Fräien angibt, sind die Figuren mit ro1e1-sicfel_eesetzten
binselstrichen in den sandfarbenen Putz gezeichnet, der zugleich als Höhung in
Jie Gestaltung einbezogen wurde und in den die Farbtöne und die Modellierung
– ähnlich wie bei lavierten Zeichnungen oder kolorierten Holzschnitten –
aufgetragen wurden. Der helle Hintergrund und die Palette von überwiegend
RoiOnen und Ocker, die mit den kühlen – heute weitgehend reduzierten –
Tönen von Grün und Blau konstrastieren, ergeben einen auch ursprünglich
hellen, wannen Farbeindruck. Bei der am besten erhaltenen Figur des Neidhart
im Fass ist die Gestaltungsweise des Meisters deutlich ablesbar.
Die helle Wandflä’che dient, ähnlich wie das Papierblatt in graphischen
Werken, als neutraler Hintergrund der Szenen und Figuren, als Grundton ihres
Inkarnais und als Höhung Uii der Modellierung und darüber hinaus auch als
Folie für die zahlreichen schriftbänder, die den Text wiedergeben, ohne sich
optisch allzu sehr vom Ambiente abzuheben. Dadurch wird ein harmonisches
Zrrru*-„n*irken von bildlicher Illustration und schriftlicher Erläuterung
erzielt. Der Meister wählte somit für die Ausführung seines Auftrags anstelle
einer kompakten, geschlossenen Malschicht jene Technik, die für eine
anschauliche Erzählung in Bild und Wort besonders geeigaet ist‘
Die Szenen urr, ä“n Neidhartschwänken werden ohne Unterteilung durch
Trennungsleisten in kontinuierlicher Abfolge geschildert: links^ def Veilchenschiank,
gefolgt vom Fassschwank und anschließend eine Gruppe von
musizierenden Spielleuten, die sich dem rechts stehenden Mann mit einem
langen Stab zuwänden. Mit dem rechten Teil des Bildstreifens fehlt das Ende
der Geschichte.
Der Erzählstil des Bildzyklus zeichnet sich durch die klare strukturelle
Gliederung der Szenenfolge aui. Die beiden Schwänke und die dritte Szene mit
den Spielieuten bilden jJweils eine in sich geschlossene Einheit,- indem die
Figuä auf ein Zentrum bzw. aufeinander bezogen sind. Innerhalb dieser
foimalen Einheit der einzelnen Darstellung wird nicht, wie üblich, nur ein
bestimmter, für das Verständnis der Episode besonders aufschlussreicher
rs Trapp, Burgenbuch, Taf. IV. Siehe dort die fotografischen Auftrahmen der von Martha
Zykan ausgeführten Pause vor der Abnahme des wandbildes und nach seiner Abnahme.
74
Moment der Handlung geschildert, sondern simultan auch auf Ereignisse
angespielt, die nicht gleichzeitig und teilweise mit unterschiedlicher personeller
Besetzung stattgefunden haben. Dadurch werden dem Betracirter mehr
Informationen als in traditionellen Darstellungen zum Inhalt der Bilderzählung
geboten und diese zugleich vielfältig und anschaulich geschildert.
Beim veilchenschwank ist Neidhart in gebückter Haltung wiedergegeben
und hält injeder Hand, von denen er eine gesenkt, die andere erhoben trat, aen
gleichen, also seinen Hut, wodurch der Betrachter erfährt, dass Neidharts Hut
zweimal und zu unterschiedlichen Zeipunkten eine für das verständnis der
Episode bedeutsame Rolle spielt. Mit der Rechten greift Neidhart nach dem Hut
um ihn vom Kopf zu ziehente, mit der Linken hebt er eben diesen Hut wieder
auf, um der links stehenden Herzogin und dem Herzog das von ihm zuvor
entdeckte erste veilchen nt zeigen. An dessen Stelle befindet sich nun aber der
Kothaufen, mit dem die Bauern Neidhart ihren bösen Streich gespielt haben,
weswegen er bei der Herzogin in ungnade füllt und des Hofes verwiesen wird.
Im spruchband über dem vermeintlichen veilchen steht die Schrift auf dem
Kopf und ist damit als Außerung des von oben zu Neidhart sprechenden
Herzogs gekennzeichnet, der mit dem Zeigegestus auf den Kothaufen und
zugleich auf die worte weist, mit denen er spöttisch und höhnisch sein
Entsetzen über den Anblick kundtut: ‚ ein‘ schone(s). veiall‘ / l…lro / […]21. Das
von der rechten Hand Neidharts ausgehende fragmentierte Spruchband ist bis
auf drei Buchstaben …o]rn‘ oder …]den / verloren. sein crirr zum Hut auf
seinem Kopf erinnert daran, dass Neidhart selbst es war, der zuvor das veilchen
gefunden und mit seinem Hut bedeckt hatte, das Motiv ist also ein Hinweis auf
das zeitlich vorausgegangene Ereignis. Im sterzinger szenar (vers 9l-93) ist
explizit davon die Rede: vnd fynndt zelest / myttn im plaan ainen veyel, / so
zeucht Er seinen Huot ab22, mit den gleichen worten auch im Sierzinger
Neidhartspiel (vers 93-95) … vnd fynndt / mitten im plaan ainn Fevel / so
zeucht Er seinen Huot abe vnd spricht …
vom links stehenden Paar fehlen die Köpfe, von der Herzogin (in rotem
Kleid und blauem Mantel) auch deren linke Kontur und dahinter möglicirerweise
ihr Gefolge. Da die männliche, höfisch gekleidete Gestalt uor ilt steht (in
spitzen Schnabelschuhen und in schenkelkurzem, ursprünglich roten Rock) und
re Das Greifen an den Hut ist in bildlichen Darstellungen ein geläufiger Grußgestus, etwa des hl. Joseph bei der Anbetung der Könige. Siehe z. n. das tvtotlv im wanaui’ia im chor der
Pfanl