Das rechte Maß:
Der Umgang spätmittelalterlicher Städte mit Vergnügungsstätten am Beispiel Nümbergs
Käthe Sonnleitner
Sucht man im Mittelalter nach Stätten des Vergnügens, dann geht man natürlich von der Annahme aus, dass es die Zeiten überdaue de Kriterien dafür gibt, was den Menschen Vergnügen macht. Unter diesen Voraussetzungen entdeckt man in den Quellen Badehäuser, Frauenhäuser, Wirtshäuser und Orte im Freien, Wiesen, die für die Unterhaltung und Erholung bestimmt sind.
Die Annäherung an die Frage, wie man in mittelalterlichen Städten mit solchen Orten umgeht, ist von zwei Extremen geprägt, die auch von der Art der untersuchten Quellen beeinflusst ist. Arbeitet man mit theologischen Quellen, darm sucht und findet man eine von Lustfeindlichkeit geprägte mittelalterliche Kultur, arbeitet man mit Literatur aus dem weltlichen Milieu, etwa Schwänken und Fastnachtspielen, dann wird man eher dazu neigen, dem mittelalterlichen Menschen einen unbefangenen bis groben und unzivilisierten Umgang mit jeder des Vergnügens, besonders dem körperlichen zuzuschreiben.1
Wie sich zeigen wird, karm man auch in Rechtsquellen zu diesem Thema fündig werden, etwa in Satzungen und Verordnungen, die Regeln ftir die Nut zung der Stätten des Vergnügens aufstellen. Die Annäherung an das Problem erfolgt dann zunächst mit Hilfe von Verboten und Einschränkungen. Bei der Auswertung dieser stadtrechtliehen Quellen ist selbstverständlich zu beachten, dass ihre neu gesetzten Normen möglichetweise nicht immer und überall ein gehalten wurden, dass sie also nicht die Realität widerspiegeln. Man karm heute auch nicht mehr eruieren, wie schlimm die Zustände waren, die zw- Einführung neuer Regeln führten. Man darf aber doch annehmen, dass nach Ansicht des städtischen Rates, der die Ordnungen erließ, Zustände in der Stadt hen-schten, die einer Veränderung bedur en, was mit der Androhung und Durchführung von Strafen geschehen sollte. Wie sehr diese angestrebten Verbesserungen ge langen, wissen wir nicht. Polizeiordnungen geben uns Einblick in das Denken und die Einstellung der städtischen Oberschicht, der männlichen Ratsbürger, die sich fur Nutzen und Wohlergehen der Stadt verantwortlich fühlten, weniger in
1 Diese gegensätzliche Beurteilung der mittelalterlichen Kulmr ist noch keineswegs befriedi gend aufgearbeitet. Vgl. Alexander BaUhaus, Liebe und Sex im Mittelalter. Bergisch Glad bach 2009, 9-21; Jean Verdon, Irdische Lust. Liebe, Sex und Sitmlicbkeit im Mittelalter. Darmstadt 201 1 , 165-173.
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das Denken und Fühlen derer, über die sie bestinunten. Dieses war ve mtlich manchmal konträr, sonst hätte es der neuen Regeln nicht bedurf Wie sehr die Stadtbevölkerung diese Verordnungen als Bevo undung empfand, oder ob sie vielleicht teilweise damit konform ging, wissen wir nicht. Zu beachten ist in jedem Falle, welche kulrurellen, geistigen und vor allem kirchlichen Bedingun gen aufdie Stadtväter einwirkten und sie zum Eingreifen veranlassten.
Für die folgende Untersuchung wurden die Satzungen des Nü berger Stadtrechtes aus dem 14. und 15. Jahrhw1dert Ausgangspunkt genommen. Sie sind in2Editionen unterschiedlichen Alters und unterschiedlicher Qualität zugänglich. Die Reichsstadt N berg war im Spätmittelalter eine der größten und wichtigsten Handelsmetropolen des Reiches. Hier liefen Fernhandelswege zusammen und blühte das spezialisierte Handwerk. Beides brachte ständig neue Menschen in die Stadt, die ftir pulsierendes Leben sorgten, vermutlich auch r Unordnung. 3Nü berg war auch bevorzugter Ort für die Austragung von Reichstagen. Der patrizisch dominierte Stadtrat als Obrigkeit hatte daher sicher viel regeln, wenn er den Stadtfrieden und die eigene Vorherrschaft erhalten wollte.4
Der Ort des Vergnügens, der am dtingendsten der Ordnung bedurfte, nicht nur in Nü berg, sonde in allen Städten, war das Frauenhaus, das öffentliche, von der Stadt eingerichtete und verwaltete Bordell.5 Wie aus der Einleitung zur entsprechenden Ordnung in Nü berg hervorgeht, brachte dieser Ort die Ratsbürger in einen Gewissenskon ikt. Grundsätzlich sah sich der Rat ver pflichtet, Ehrbarkeit und gute Sitte zu vermehren und nicht sündhaftes Handeln zu dulden. Was im Frauenhaus geschah, war eindeutig kein unschuldiges Ver gnügen, weil jede außereheliche Sexualität von den strengen Theologen ver dammt wurde. Die Ratsbürger waren aber auch pragmatisch und wussten, dass es ohne diese Einrichnmg zu einem größeren Übel kommen würde, nämlich zur Belästigung der ehrbaren Frauen, d. h. ihrer eigenen Ehefrauen, und in der folge zu Streit und Unfrieden. Der Nümberger Rat und andere konnten sich auf die Doppelmoral der Kirche berufen, die mit der Autotität des Kirchenvaters
2 Wemer Schultheiß, Satzungsbücher und Satzungen der Reichsstadt Nü berg aus dem 14. Jahrhundert (= Quellen zur Geschichte und Kultur der Stadt Nümberg, 3) Nürnberg 1965 (abgekürzt: Satzungen); Joseph Baader, Die Nü berger Polizeiordnungen des 13. bis 15. Jahrhunderts. Stuttgart I861 (abgekürzt: NPO).
3 HermannKellebenz,GewerbeundHandelamAusgangdesMittelalter,in:GerhardPfeiffer (Hg.), Nü berg – Geschichte einer europäischen Stadt. München 1971, 176-185; Wemer Schultheiss, Kleine Geschichte Nümbergs. Nümberg 1966, 37-77.
4 E st Pitz, Die Entstehung der Ratsherrschaft in Nümberg im 13. und 14. Jahrhundert. Mün chen 1956.
5 Zum städtischen Frauenhaus gibt es umfassende Untersuchungen: Peter Schuster, Städtische Bordelle in Deutschland (1350-1600). Paderbom 1992; Beate Schuster, Die eien Frauen: Di eo und Frauenhäuser im 15. und 16. Jahrhundert. Frank a. M. 1995; Dagmar M. H. Hemme, Ungeordnete Unzucht. Prostitution im Hanserawn (12.-16. Jahrhundert) Lübeck Bergen-Helsiog0r (= Quellen und Darstellungen zur hansischen Geschichte, N F 57) Köln/Weimar ien 2007.
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Augustmus die Prostitution zur Vermeidung der Todsünde des Ehebruchs und zur Erhaltung des Friedens in der Gesellschaft erlaubte. Das Frauenhaus diente als Ventil r überschüssige männliche Triebe der zahlreichen unverheirateten jungen Männer und Fremden in den Städten. Dazu braucht es aber Regeln, weil einem yeden wesen leydenlich masse und ordnung gepüren/ wie die Nü berger Stadtväter in der etwa 1470 erlassenen Frauenhausordnung sagen. Zu viel sündiges Wesen hätte den Ruf der Stadt geschädigt und die Strafe Gottes herau eschworen.
Für die Obrigkeit war das Frauenhaus kein Ort des Vergnügens, was er r die Besucher war, können wir nur vermuten, da sie keine schriftlichen Aufzeich nungen hinterlassen haben. Dass i er wieder Einschränkungen und Regelun gen notwendig waren, lässt vemmten, dass ihr Streben nach Vergnügen größer war als erlaubt. Ein rigoroses Verbot erschien dem Rat nicht klug, deshalb wurden das rechte Maß und die rechte Ordnung die zentralen Begriffe im Umgang mit dem Frauenhaus und letztlich mit allen Orten des Vergnügens. Beim Frauenhaus zeigt sich dies bei den Einschränkungen u.a. der Öf ungs zeiten. Das Haus blieb an Sonn- und Feiertagen geschlossen, selbstverständlich auch an den Abenden davor. Es unterlag natürlich auch den allgemeinen Sperrstunden, d. h. nach Einbruch der Dunkelheit wurde die Tür versperrt.7 Es war in der Regel auch nicht luxuriös ausgestattet, es gab eine geheizte Stube mit
Bänken, wo gegessen und getrunken werden konnte und im Oberstock kleine Kamme , selten mehr als zehn. Die Preise fur die Dienste der freien Frauen waren so niedrig, dass Gesellen und Knechte sich den Besuch leisten konnten, was bedeutete, dass auch die Prostituierten arm blieben und häufig beim Frauenwirt oder der Frauenwirtin, die das Haus leiteten, verschuldet waren. Für die freien Frauen war das Haus kein Ort des luxuriösen Lebens, sonde der Arbeit. Immerhin konnten die wohlhabenderen Besucher sich auch am Essen und Trinken in der erotisierenden Umgebung erfreuen und nahmen daftir gem überhöhte Preise in Kauf. Der Stadtrat ging häu g dagegen vor, weil er nicht wollte, dass das Frauenhaus ein Wirtshaus mit angeschlossenem Bordell wurde. Auch Glücksspiel und Falschspiele wurden bestraft, das harmlose Spiel aller dings erlaubt. Fluchen und Gotteslästerung wurden verfolgt, es sollte schließlich nicht mehr gesündigt werden als unbedingt notwendig. Streit und Gewaltanwen dung führten zu Geldstrafen oder zur Vertreibung aus der Stadt, den Frieden zu wahren.8 Wie sehr man sich vor Unruhen im Frauenhaus furchtete – ob nun berechtigt oder wegen des Vorurteils, dass es ein Haus der Sünde war – zeigt das Vorgehen der Nümberger Stadtväter. Obwohl grundsätzlich in der ganzen Stadt das Tragen von Waffen verboten war, erließen sie ein zusätzliches Verbot für Fraue äuser und Wirtshäuser.9
6NPO 117.
7 So auch in N berg, NPO 120.
8 Schuster, Städtische Bordelle 57-77. 9 NPO51.
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Das Vergnügen im Frauenhaus war nicht jedem Manne erlaubt. Der Frauenhauswirt oder die Wirtin hatten darauf zu achten, dass keine Priester und Ehemänner zu Besuch kamen, beide wurden dafür bestraft.10 Der Bruch des Zölibates und der ehelichen Treue hätten das Maß der geduldeten Sünde über troffen. Ehebruch war auch dem Frieden in der Stadt nicht förderlich.
Für die gemeinen weyber, wie die Prostituierten genannt wurden, war das Frauenhaus kaum ein Ort des Vergnügen s . S i e waren Sünderinnen, von der Gesellschaft nicht geachtet und dem Frauenhauswirt rechtlich ausgeliefert. Die Nü berger Polizeiordnungen zeigen, dass sich die Stadtväter immerhin bewusst waren, dass hier Frauen im Dienste des Stadtfriedens ausgenutzt wurden. Sie sicherten daher die Rechte der Frauen auf Kost und Kleidung durch den Frauen wirt zu einem gerechten Preis, ebenso das Recht 1 auf Kirchgang und darauf, jederzeit aus dem sündigen Leben auszuscheiden.1 Es wäre auch nicht Iichtig gewesen, wenn dieses sündhafte Ausleben der Sexualität den Frauen Vergnügen gemacht hätte. Daher war es ihnen verboten, engere, liebevolle Beziehungen zu bestimmten Männem einzugehen, sundere bulscha , dies sy nennen ir liebe menner zu haben. 12 Das wären daru1 eheähnliche Beziehungen gewesen, ohne rechtmäßige Ehen zu sein und daher schwere Sünde. Außerdem sollten die Frauen allen Besuchem des Frauenhauses gleichennaßen zur Verfügung stehen.
Die maßvolle Haltung gegenüber der käuflichen Liebe änderte sich gegen Ende des 15. Jahrhunderts tmd vor allem im 16. Jahrhundert. Die Prostitution wurde nicht mehr als notwendiges Übel aufgefasst, sondem als Sünde, die freien Frauen wurden daher nicht mehr als zu schützende Arbeiterinnen r das Wohl der Gesellschaft gesehen, sondern als Verführerinnen zur Unzucht, die es vor allem auf jw1ge Männer abgesehen hatten, wie es in der Präambel zur Straß burger Frauenhausordnung heißt. 13 So verbot man ihnen die vomehmen Räume der Stadt, vor allem den Marktplatz und drängte sie in die nsteren, unehrlichen Gegenden an der Stadtmauer oder in der Vorstadt. Wer das Vergnügen im Frauenhaus suchte, wurde also schon durch die äußeren Umstände darauf ge stoßen, dass er sich in den Fängen nsterer Sündhaftigkeit ver ng. Die Refor mation hat dann mit der maßvollen Doppelmoral aufgeräumt und Prostitution als Sünde rigoros verboten. Die Frauenhäuser wurden im Laufe des 1 6. Jahrhun derts geschlossen, in Nümberg 1562.14
Orte des Vergnügens waren sicher die Badehäuser, aber auch sie nicht des ungetrübten und uneingeschränkten. Der Besuch des Bades gehörte ganz selbst verständlich zum mittelalterlichen Alltag, die Errichtung der Badehäuser wurde vom Rat gene igt, der auch ihre Zahl der Größe der Einwohnerschaft
10 NPO 1 19; dasVerbotgalt in allen Städten; vgl. Schuster, Städtische Bordelle 1 15.
II NPO 119-120.
12 NPO 121.
13 J. Brucker (Hg.), Straßburger Zunft- und Polizeiordnungen des 1 4 . und 1 5 . Jahrhunderts,
Srraßburg 1889, 465 ; vgl auch Peter Ketsch, Frauen im Mittelalter, Bd I (= Geschichts 14 didaktik Studien Materialien 14) Düsseldorf 1983, 329.
Schuster, Städtische Bordelle 183.
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anpasste. So besaß Nümberg als Großstadt 13 Badehäuser.15 Das Bad diente nicht nur der Kö erreinigung, sonde vor allem der Gesundheit und dem Wohlbefinden. Die medizinischen Schriften, beeinflusst von der arabischen Medizin, empfahlen das wöchentliche, zumindest aber das monatliche Baden. Dampfbad und Wannenbad wurden r verschiedene Krankheiten zur Vorsorge und Heilung empfohlen. Es verschaffte sicher Linderung bei Koliken, Lähmun gen, Fieber oder Katarrh und wurde daher von den Badenden genossen, genauso wie das Reinigen des Körpers, das von Bademägden oder -knechten mit warmer Lauge besorgt wurde, ergänzt durch Massagen und Schlagen mit dem Bade wedel. 16
Das Vergnügen wurde vergrößert durch die Möglichkeit, im Bad zu essen und zu trinken. Musik und Gesang erfreuten die Besucher, manche Badehäuser gaben auch Gelegenheit zum Tanz. Ge e trafen sich dort Badegesellschaften von Zünften und Gilden zum gemeinsamen Baden und Feie . O feie e die ganze Ve1wandtschaft am Tag vor der Hochzeit fröhlich im Badehaus. Diese Feierlichkeiten dürften wohl häu g ausgeufert sein, denn in vielen Städten grif fen d i e Räte in d i e Badegewohnheiten ein und beschränkten d i e Zahl der Teilnehmer an Badegesellschaften. In Nürnberg wurde bestimmt, dass anlässlich einer Hochzeit Braut und Bräutigam jeweils nur zu dritt das Bad besuchen durften.17 Hierbei ging es sicher nicht nur um die Moral und die Einschränkung ausgelassener Feie , sonde auch um die Sicherheit. Immerhin waren die meisten Bäder eher klein und es gab Öfen mit Holzfeuerung, und damit ständige Feuergefahr, weshalb der Bader Zuber fur das Feuerlöschen bereithalten muss te.18 Zu große Menschenansammlungen waren in den engen Gassen immer ge hrlieh und konnten den Frieden stören. Gleichzeitig wollte der Rat mit allen diesen Einschränkungen wohl auch unüberlegte Verschwendung eindämmen.
Auf religiöse Motive geht wahrscheinlich das vom Nü berger Rat nicht näher begründete Verbot des Badens an Freitagen zu1ück.19 Die Schließung des Badehauses an Sonn- und Feie11agen war allgemein üblich.20 Religiös beg1ündet war selbstverständlich das Verbot Juden, christliche Badehäuser aufzusuchen und umgekehrt auch für Christen, ins Judenbad zu gehen.21
Das Ergötzen des Badens wird auch in der mittelalterlichen Literatur beschrieben und besungen. Freilich war es dort nicht immer das städtische Badehaus, sonde das adelige Privatbad, das die Sinnenfreude anregte. Es
15 Al ed Martin, Deutsches Badewesen in vergangenen Tagen. Jena 1906, 210.
1 6 Susanne Stolz, Die Handwerke des Körpers. Bader, Barbier, Perückenmacher, Friseur. Fol-
ge und Ausdruck historischen Körpervers ndnisses. Marburg ahn 1 992, 82- 97, 10 I . 1 7 Satzungen 215.
18 NPO 294.
19 Satzungen 163.
20 Stolz, Handwerke 1 0 1 .
2 1 Satzungen, 162; NPO 321.
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unterlag nicht den Beschrän ngen der bürgerlichen Badekultur, für deren sitt liche Ordnung sich die Stadträte verantwo lich hlten.22
Das Bad verfuhrt aus praktischen Gründen zur Nacktheit, die leicht ihre Unschuld verliert und lüste macht, was dem ersten Menschenpaar zu verdan ken ist. Seit dem Sündenfall bestimmt die Scham den Umgang der Geschlechter miteinander, oder soll es zumindest.23 Es scheint, als wäre es im 13. Jahrhundert
trotzdem noch üblich gewesen, dass Frauen und Männer gemeinsam badeten.24 Dieses konnte vom Rat, moralisch unterstützt von Predige , nicht geduldet werden. Entweder schrieb man vor, in verschiedenen Räumen oder gar Bade häusern zu baden, oder es wurden jedem Geschlecht bestimmte Badezeiten verordnet. Das reichte aber nicht aus, um die Schamhaftigkeit zu bewahren, es wurde daher auch das Nacktbaden eingeschränkt, zumindest sollten Frauen die Badeehr und Männer die Badehosen tragen, die beide knapp die Geschlechts organe verdeckten. Noch besser verhinderten Badehemden die Zurschaustellung des nackten Körpers. Unerwünscht war auch, dass ganze Familien schon in spär licher Kleidung den Weg zum Badehaus zurücklegten. Badehäuser sollten also nach den Intentionen des Rates kein erotisches Vergnügen bieten und dadurch vielleicht zu unkeuschem Handeln verfuhren. Auch der Bader und seine Gehil fen hatten sich zu bekleiden. Der Bader wurde verantwo lich gemacht, auf die Sittlichkeit zu achten und keine Huren und Kuppler ins Haus zu lassen.25
In bildliehen Darstellungen lässt sich eine gewisse Freude an der Darstel lung nackter Körper, vor allem der Bademägde, erkennen. Ob sie einem realen ungezwungenen Umgang mit Nacktheit entsprachen, oder den Künstle eine willkommene Möglichkeit boten, diese darzustellen, ist unsicher. Manche Dar stellungen erinne durch die Bedeckung der Scham mit dem Badewedel, der aus Zweigen bestand, an die Darstellungen des Sündenfalls, könnten also durch aus belehrend gedacht sein. Das gilt auch r Bilder, die auf den ersten Blick ungehemmte Sexualität zeigen, eigentlich aber eine Mahnung zum sittlichen Leben sein sollen.26
22 Hans Peter Dürr, Nacktheit und Scham. Der M hos vom Zivilisationsprozess. Frankfurt a. 23 M. 1988, 24 ff.
Klaus Schreiner, Si homo non pecasset… Der Sündenfall Adams und Evas in seiner Bedeutung r die soziale, seelische und körperliche Verfasstheil des Menschen, in: Klaus Schreiner und Norbert Schnitzler (Hg.), gepeinigt, begehrt, vergessen. Symbolik w1d So zialbezug des Kö ers im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit. München 1992, 41- 84; m igfache Aspekte der kulturellen Bedeutu g von Nacktheit sind aufgearbeitet von Stefan Eiessenecker (Hg.) „Und sie erkannten, dass sie nackt waren.“ Nacktheit im Mittel alter (= Baroberger interdisziplinäre Mittelalterstucien I) B berg 2008.
24 Stolz, Handwerke 80.
25 Ebd. 100.
26 Dürr, Nacktheit Wld Scham 47 f beweist dies an der Miniatur zum bl guudischen Bade
bordell.
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Abb. 1 : Wenzelsbibel, 14. Jahrhundert (wikimedia commons)
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Abb. 2: Sachsenspiegel, Oldenburger Handschri 1336 (Landesbibliothek Oldenburg digital)
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Ob Badehäuser auch Orte der käu ichen Liebe waren, ist in der For schung umstritten, die Verbote könnten da r sprechen?7 Sicher verlockte die Situation im Badehaus dazu, mit Mägden Kontakte anzuknüpfen und Sexualität auch auszuleben. Der Rat wollte jedoch ein ehrbares Badewesen und das bedeu tete im 15. Jahrhundert die Vermeidung sexueller Handlungen. Prostitution soll te sich auf das Frauenhaus beschränken. Auch die privaten Bordelle und die freie Prostitution wurden immer wieder gesetzlich verboten, was beweist, dass sie nicht auszurotten waren. Die Anrüchigkeit haftete trotz aller Regelungen am Badehaus, das wird durch die Stellung des Baders unterstrichen, der in vielen Städten zu den unehrlichen Berufen zählte; das, obwohl er eine Ausbildung besaß, nicht nur die zum Bader, sonde auch die zur Behandlung von Wunden und Brüchen, Aderlassen, Schröpfen d Zähne ziehen – er ist der Vor gänger des mode en Chirurgen. Er war also aufjeden Fall ein notwendiges und nützliches Mitglied der städtischen Gesellschaf Der Umgang mit dem nackten Körper, die nicht zu vermeidende erotische Atmosphäre im Badehaus, der Ver dacht unkeusches Handeln zu förde , belegten den Bader jedoch mit einem Tabu, das auch obrigkeitliche Maßnahmen, wie die Erklä g der Ehrlichkeit durch König Wenzel, nicht wirklich beseitigen konnten.28
Verdächtig waren den Rat auch andere Orte, wo Menschen – Einheimische wie Fremde – zus e nkamen, schon gar, wenn dort alkoholi sche Getränke, Wein, Met und Bier, ausgeschenkt wurden?9 Dafür war zunächst eine Genehmigung nötig, weiters galt es Regeln einzuhalten, denn in diesen Or ten war der städtische Friede besonders ge lu·det. Daher musste der Rat in Nü berg immer wieder Waffenverbote aussprechen und die Wirte wie Wirtin
nen darauf verp ichten, jedes Zuwiderhandeln zu melden und Waffenträge kein Essen und Trinken zu geben.30 Ebenso dur e niemand nach der Feuer glocke ausschenken.31 In Nümberg durfte an genannten hohen Feiertagen nicht vor der Tischzeit ausgeschenkt werden, wohl um die Messe nicht zu stören.32 Das zeigt deutlich, dass es den Stadtvätem nicht nur um die Vermeidung von Unfrieden und Feuer ging, sonde auch um die Förderung der Frömmigkeit und des sittlichen Verhaltens. Deshalb war das auffordemde Zutrinken nicht erlaubt, weil es zu Streitigkeiten führte und Leib, Seele, Ehre und Gut schadete.33
Eine besondere Gefahr ging wohl vom Spielen um Geld aus, das, glaubt man den wiederholten Verboten, ein sehr beliebtes und verbreitetes Vergnügen gewesen sein muss. Die Verbote mussten irruner wieder neu und strenger ausge-
27 P. Schuster, Städtische Bordelle 129-134, bestreitet Badebordelle im deutschen Raum, ihm 28 widerspricht B. Schuster, Die eien Frauen 2 1 5-223.
Franz lrsigler und Amold Lasotta, Bettler und Gaukler, Dimen und Henker. Außenseiter in
einer mittelalterlichen Stad: Köln 1300 -1600. München 1989, 97-125. 2 9 Wirtshäuser allgemein.
30 Satzungen, 43, 6 1 , 274.
31 NPO 254.
32 NPO 255.
33 NPO 115.
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sprachen werden. Bei Missachtung der Bestimmungen wurden nicht nur Spieler, sonde auch der Wirt mit Geldstrafen bedacht. Ihm war es nicht erlaubt, in seinem Haus einen bestimmten Platz für das Spielen, einen sogenannten buben platz zu dulden.34 Um keine Missverständnisse aufkonunen zu lassen, wurden alle verbotenen Spielarten aufgezählt, ebenso die erlaubten, was wiederum beweist, dass die Obrigkeit klug genug war, nichtjedes vergnügliche Spielen zu verhinde .35
Selbstverständlich mussten sich Wirte und Gäste an die Sperrstunden, eingeleitet durch die Feuerglocke, halten. Dies forderte schon eine Ordnung des 13. Jahrhunderts, im 15. Jahrhundert wurde sie mit angepassten höheren Geld bußen >viederholt. Natürlich diente dieses Verbot nicht nur der Einschränkung übermäßigen Feierns, sonde vor allem der Sicherheit vor Feuer und Streit; bei des konnte von Betrunkenen leicht ausgelöst werden.36
Auch die Trinkstubengesellschaften brauchten bestimmte Orte, wo sie sich versanuneln konnten. Sie waren bei Stadtbürgem sehr beliebt, und gehörten in vielen Städten zum geselligen Leben der Zün e und Gilden. In Nümberg, wo die Bildung von Zünften verboten war, brauchten die Trinkstuben eine Geneh migung des Rates, der auch kontrollierte, ob sie sich an die Vorse iften hiel ten.37 Selbst in Privathäuse gab es Einschränkungen beim Bewirten der Gäste an hohen Feiertagen und vor allem war das heimliche Spielen um Geld auch hier verboten.38
Die stadtrechtliehen Verordnungen zeigen, dass der Stadtrat das Vergnü gen der Stadtbewohner genau beobachtete. Die Motive da r waren vielfaltig. Es ging zunächst wn den Frieden in der Stadt und damit um Herrschaftssicherung, also wn die Vormacht der Ratsbürger. Der Friede siebette auch das Wirt scha sleben und damit wieder den Reichtwn der obersten Schichten, zugleich aber auch Arbeitsplätze und Wohlergehen vieler Stadtbewohner. Es ging vor rangig auch damm, das Zusammenleben vieler Menschen auf engem Raum friedlich zu regeln. Ungezügeltes Genießen der 01ie des Vergnügens, ob es nun das Badehaus, das Frauenhaus oder das Wirtshaus war, konnte vor allem in Verbindung mit Alkohol und Glücksspiel den Frieden seht· schnell stören, den Reichtum, das Wohlergehen und die Arbeitskraft der Bürger und der ganzen Gemeinscha gefahrden. Die Einschränkung des Vergnügens war daher auch ein Teil der Sozialdisziplinierung, die We er Buchholz am Nü berger Beispiel beschreibt, die, wie er meint, vor allem der Herrscha ssichemng der Ratsbürger diente.39
34 Satzungen 161.
35 NPO 255; Eva Maria Engel und Frank-Dietrich Jacob, Städtisches Leben im Mittelalter.
Schriftquellen und Bildzeugnisse. Köl Weimar ien 2006, 70.
36 NPO 63, 254.
37 NPO 1 15.
38 NPO 255.
39 We er Buchholz, Anfänge der Sozialdisztplinierung im Mittelalter, in: Zeitschrift r his
torische Forschung, 18 (1991) 129-147.
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Es gibt aber noch weitere Motive r die Bemühungen des Rates, die aus der Formulierung der Satzungen deutlich werden. Es ging auch um die Einhaltung moralischer Ansprüche, um Ehrbarkeit und Sittlichkeit. Dies betraf vor allem die Vergnügungen, die mit dem Körper und der Sexualität zu tun hatten. Hier zeigt sich der Einfluss der kirchlichen Lehre, die durch rigide Körperfeindlichkeit geprägt war. Prediger der Bettelorden ermahnten die Stadt bewohner,40ihr Seelenheil nicht durch Lust, Vergnügen und Völlerei zu gefährden. Die Stadtväter sahen es auch als ihre Pflicht, sündha es Tun innerhalb der Mauern der Stadt einzuschränken. Vermutlich hlten sie auch Verantwortung gegenüber den von ihnen Gemaßregelten, aber in erster Linie ging es ihnen wohl um den „gemeinen Nutzen“. Sünde beschwor nach mittel alterlichem Verständnis die Strafe Gottes herauf, die zum Niedergang der Stadt geführt hätte. Die Einhaltung der kirchlichen Vorschriften war daher notwendig lr die Erhaltung von Reichtum, Frieden und Sicherheit und damit der Herrscha des Rates. Die Ehre und das Ansehen der Stadt hingen vom frommen Verhalten aller Stadtbewohner ab, weshalb sie dazu angehalten werden mussten, um Schaden und Unrat abzuwenden, wie es in den Nü berger Ordnungen öfters heißt.
Die Stadträte waren aber auch realistisch und pragmatisch genug, um zu wissen, dass die asketischen Vorstellungen der Kirche in der weltlichen Gesellschaft nicht ohne Abstriche durchzusetzen waren, das hätte Widerspruch e eckt und zudem die Wirtschaft gestört. So vertraten sie das Prinzip des rechten Maßes auch im Umgang mit dem Vergnügen. Orte des Vergnügens wurden daher nicht verboten, sonde sollten vielmehr durch maßvolle Regelungen den Frieden siche , statt ihn zu gefährden. Diese Einstellung be wies der Nürnberger Stadtrat am deutlichsten dadurch, dass er die Hallerwiese an der Pegnitz dem Volk zur Lust und Ergötzung widmete, und dort sogar einen Brunnen enichtete. Hier durfte sich täglich und besonders an Feiertagen das Volk versammeln und mit Ringen, Springen, Spiel und Kurzweil vergnügen. Das Spielen um Geld war selbstverständlich auch hier verboten, das übertraf das erlaubte Maß.41
K the Sonnleitner, Die We ung der Geschlechter und Geschlechterbeziehungen bei Ben hold von Regensburg, in: Forschungen zur Geschichte des Alpen-Adria-Ra es, Festgabe r Othmar Pickl (= Schriftenreihe des lnstirut r Geschichte 9) Graz 1997, 371-390; EberhardIsen ann,DiedeutscheStadtimMinelalter, 1150-1550.Köln2012,607-611.
4 1 NPO 87, 1 5 . Jh.; Hallerwiese, in: Stadtlexikon Nümberg, hg. v . Michael Diefenbacher und RudolfEndres. Nürnberg 2000, 399.
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