Die „Bohrer und Balierer“
in Freiburg und Waldkirch im Breisgau1
Bertram Jenisch
1. Einleitung
Mineralien wurden seit dem Altertum wegen ihrer Farbe, Seltenheit und Härte
als ,,Edel-Gestein“ geschätzt. Vielen Steinen wurde dabei aufgrund der Farbe
oder des Materials Symbolkraft oder sogar magische Wirkung zugesprochen2•
Sieht man von antiken Gemmen ab, wurden diese Steine zumeist unter Wahrung
der ursprünglichen Form poliert, um lediglich die Schönheit des Steins zu
betonen. Bis in das späte Mittelalter wurden diese nur einfach bearbeiteten
Edelsteine von Gold- und Silberschmieden für Schmuckstücke, Amtsinsignien
oder kirchliches Gerät gefasst. Etwa ab dem 14. Jahrhundert wurden Mineralien
in zunehmendem Maße gestaltet. Die Verarbeitung von Edelsteinen und Halbedelsteinen
im Spätmittelalter und der frühen Neuzeit erfolgte in Mitteleuropa
nur in wenigen Zentren. Neben den überregional bedeutenden Produktionsorten
Venedig, Mailand, Paris und Brügge, die ihre Rohstoffe zumeist aus dem Handel
bezogen, finden sich vor allem im Süden des Reiches weitere Plätze, die häufig
unweit von Lagerstätten Jagen: Straßburg, Schwäbisch Gmünd, Nürnberg und
Prag, sowie der Raum Oberstein-Zweibrücken. In diese Reihe sind auch die
beiden, nur 15 km voneinander entfernt liegenden Städte Freiburg und Waldkirch
im Breisgau aufzunehmen. Beide Orte waren durch ihre Lage in einer vielfältig
gestalteten geologischen Landschaft am Westrand des Schwarzwaldes begünstigt,
in der verschiedene Mineralien vorkommen. Zunächst soll hier ein Überblick
über die historische Entwicklung des Edelsteingewerbes in diesen zwei
Nachbarstädten gegeben werden. Im Anschluss daran werden die technischen
Grundlagen beschrieben sowie verschiedene archäologische Aufschlüsse vorgestellt,
die neue Erkenntnisse zur Edelsteinbearbeitung in dieser Region erbrachten.
1 Der vorliegende Beitrag ist die überarbeitete Fassung des am 24.3.2000 in Krems an der
Donau gehaltenen Vortrags. Der Diskussion mit den Tagungsteilnehmern verdanke ich
zahlreiche Anregungen, die in den Artikel eingearbeitet wurden, besonders Stefan Krabath
möchte ich fiir Literaturhinweise danken.
2 K. E. KLUGE, Handbuch der Edelsteinkunde fiir Mineralogen, Steinschneider und Juweliere.
Leipzig 1 860.
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2. Historischer Überblick zur Entwicklung der Edelsteinverarbeitung in
Freiburg und Waldkirch
Die Tradition des Edelsteinschliffs geht in Freiburg in das 14. Jahrhundert zurück.
Der älteste Beleg eines slivehüselin, das sicher eine Edelsteinschleiferei
meint, stammt von 1368. Früher genannte Schleifen oder Schleifmühlen gehörten
zu metallverarbeitenden Betrieben. Die Kunst des Steinschliffs wurde im 14.
Jahrhundert an mehreren Orten Oberdeutschlands gepflegt, z. B. in Nürnberg, wo
1373 eine Zunft der Steinschleifer genannt wird. Auch in Straßburg ist das
Gewerbe früh fassbar, hier gab es 1482 eine Ordnung der Goldschmiede und
Edelsteinschleifer. Die erste erhaltene Ordnung der Freiburger ,,Balierknechte“
stammt von 1415, wobei auf ältere Fassungen Bezug genommen wird. 1451
schlossen sich die Angehörigen des Freiburger Edelsteingewerbes zur
,,Bruderschaft der Bohrer und Balierer“ zusammen. Dieser Zusammenschluss
hatte offenbar wirtschaftliche Gründe, da zahlreiche Bestimmungen zur Berufsausübung
festgelegt wurden. Dies war schon deshalb notwendig, weil es in
Freiburg im Spätmittelalter nicht zur Ausbildung einer eigenen Zunft gekommen
ist, die Meister verteilten sich vielmehr aufandere Zünfte3•
Die Verarbeitung von Edelstein entwickelte sich im spätmittelalterlichen
Freiburg zu einem wichtigen Gewerbezweig, wobei Zeitgenossen den hohen
Stand der Bearbeitung von Halbedelsteinen priesen. Insbesondere das Hohlwerk,
Kelche und Gefäße aus Bergkristall, bezeichnete man als ,,Abenteuer in Kristall“
4. Wie auch heute üblich, wurden innovative Gewerbezweige von Landesfürsten
besucht. Kaiser Friedrich III. kam 1473 mit seinem Sohn, dem späteren
Kaiser Maximilian 1., nach Freiburg um eine ,,Balierschleife“ zu besichtigen (,,zu
sehen die stein pallieren“). Aufgrund eines Zwischenfalls wurde dies in einem
Holzschnitt festgehalten (Abb. 1). Maximilian kam einem Schleifrad so nahe,
dass sein Schnabelschuh erfasst wurde („das rad het in zerdruckt“). Dem Bild ist
trotz der Stilisierung zu entnehmen, dass die Schleife östlich der Stadt lag (am
linken Bildrand Schloss und Schlossberg), vermutlich im Bereich der heutigen
Kartäuserstraße. Die Szene, die sich innerhalb des Gebäudes abgespielt haben
muss, wurde vom Künstler nach draußen verlegt. Dies führt zu einer sinnentstellenden
Darstellung der Antriebstechnik Der Schleifstein ist zwar richtig
als stehender Stein wiedergegeben, befindet sich jedoch an der Stelle des
Mühlrads. Im ausgehenden Mittelalter besaß das Gewerbe für Freiburg eine so
große Bedeutung, dass Sebastian MÜNSTER 1550 in seiner Cosmographia
3 Zur Übersicht vgl. G. lRMSCHER, Der Breisgauer Bergkristallschliff der frühen Neuzeit. Ausstellungskatalog
des Augustinermuseum Freiburg im Breisgau. München 1997 und Rudolf
METZ, Edelsteinschleiferei in Freiburg und im Schwarzwald und deren Rohstoffe. Lahr
1961, bes. 25-32.
4 METz 1961 (zit. Anm. 3), vgl. auch Ingeborg KRUMMER-SCHROTII, Die Goldschmiede und
Kristallschleifer in Freiburg vom 16. bis zum 18. Jahrhundert. In: Geschichte der Stadt
Freiburg im Breisgau. Bd. 2: Vom Bauernkrieg bis zum Ende der habsburgischen Herr schaft.
Stuttgart 1994, 446-460.
131
universaUs die Steinschleiferei als ein Wahrzeichen der Stadt bezeichnet.
Die Wirtschaft der Kleinstadt Waldleireh ist seit dem Spätmittelalter in
weit stärkerem Maße durch den Aufschwung der Steinverarbeitung geprägt. Das
Gewerbe ging vermutlich von Freiburger Unternehmern aus, die zunächst Bergkristall,
Chalcedon und Achat bearbeiteten. Im Jahre 1472 wird eine von der
Stadt errichtete Schleifmühle genannt. Pater Jacobus Sprenger gründete in
Waldleireh angeblich 1467 die St. Anna-Bruderschaft der also genannten Balierern
oder Krista/lschneidern5. Der Stadtherr Trutpert von Staufen beklagte sich
1472 darüber, dass die Waldkireher ohne seine Erlaubnis Schleifmühlen eingerichtet
hätten. 1535 sind bereits 40 Meister in Waldleireh belegt.
1544 kam es zur Gründung einer gemeinsamen Bruderschaft der Freiburger
und Waldkireher „Bohrer und Balierer“. Einen ausführlichen Einblick in das
Gewerbe gibt die aus 25 Artikeln bestehende „Steinballier Ordnung“ von 1 544,
die mit leichten Veränderungen 1 566, 1573 und 1590 erneuert wurde. Mehrere
Artikel befassen sich mit der Herstellung von „Hohlwerckh“, so bezeichnete man
Gefaße aus Bergkristall. Jedem Meister wurde in der Regel ein Geselle und ein
Lelujunge mit einer vieljährigen Lehrzeit zugestanden.
Die alte Ordnung von 1451 kannte nur selbständige Meister im Edelsteingewerbe.
In der Freiburger Ordnung von 1 540 wurden erstmals „Stückwerker“
aufgeführt, Meister ohne eigene Schleifen, die im Stücklohn für andere Meister
arbeiteten. Eine weitere Differenzierung ist im späteren 16. Jahrhundert zu
erkennen. Von den beiden anfangs gleichberechtigten Gewerbezweigen sanken
die Bohrer allmählich zu Hilfsarbeitern der Baliermeister herab. Zunehmend
wurden beim Bohren auch Frauen beschäftigt, in Zeiten der Rezession wurde die
Frauenarbeit allerdings wieder verboten. Die Baliermeister versuchten ihre
Monopolstellung zu festigen. 1583 bestanden in Freiburg 17 Schleifmühlen mit
je vier Steinen. Man beschloss damals, es bei den 68 Schleifsteinen zu belassen
und untersagte den Bau neuer Schleifen. Einen Rückschlag erlebte das Gewerbe
durch die Pestzüge von 1584 und 1 592. 1589 bestanden in Freiburg gegen 30
Schleifmühlen, wobei vermutlich die Anzahl der Schleifsteine gemeint war. Zu
Beginn des 17. Jahrhunderts kam es zu einem erneuten Aufschwung. Das Verzeichnis
der Freiburger Bohrer und Balierer von 1606 nennt 1 1 9 Meister, 1 6 1 5
werden bereits 200 Meister genannt6•
Ähnlich war es in Waldkirch, wo am Ende des 16. Jahrhunderts fast die
gesamte Bürgerschaft das Bohren und Balieren von Granaten und Bergkristall
betrieb. In Waldleireh wurde nachweislich mehr Bergkristall verarbeitet als in
Freiburg, wobei hinzukommt, dass zahlreiche von Freiburger Goldschmieden
s GLA Karlsruhe 107 (35), Amtsstadt, Stiftungen der Bruderschaft St. Annae in der Stiftskirche
St. Margeritha zu Waldkirch 1769, nach M. WETZEL, Waldkirch. Stift, Stadt und
Amtsbezirk. Teil 2, Freiburg im Breisgau u. Waldkirch 1923.
6 Elsbeth SCHRAGMÜLLER, Die Bruderschaft der Borer und Ba!Jierer von Freiburg und Waldkirch.
Volkswirtschaftliche Abhandlungen der badischen Hochschulen N.F. 30. KarJsruhe
1914, 1 19 f.
132
gefasste Bergkristallobjekte ebenso in Waldkirch entstanden sind7• 1583
arbeiteten 17 Bohr- und 45 Saliermeister in der Stadt im Elztal, nach einer
kurzen Depression in Pestzeiten waren 1605 bereits wieder 54 Saliermeister und
1 3 Bohrmeister tätig. Um 1600 fanden in Freiburg und Waldkirch etwa 1 700
Menschen in dem Gewerbe ihr Auskommen. Um das Gewerbe nicht übermäßig
zu vergrößern erließ die Bruderschaft Bestimmungen, wodurch das Erlangen der
Meisterschaft erschwert wurde8.
Einen ernsten Einschnitt brachte der Dreißigjährige Krieg mit sich. Da
Freiburg fünfmal belagert wurde und siebenmal den Herrn wechselte kam das
Gewerbe der Edelsteinschleiferei fast völlig zum Erliegen. Werkstätten waren
zerstört worden, Meister waren abgewandert, zeitweise war die Zufuhr von
Rohstoffen unterbunden. Durch die zwanzigjährige Besetzung durch die Franzosen
nach 1677 kam der Bezug von böhmischen Granat völlig zum Erliegen. In
Waldkirch war durch die Kriegswirren 1635/36 zwar die Zahl der Schleifereien
auf elf gesunken, die bei Vorderösterreich verbliebene Stadt forderte jedoch das
Gewerbe nach dem Kriegsende gezielt. Aufgrund der Besetzung Freiburgs durch
die Franzosen wanderten zahlreiche Betriebe nach Waldkirch ab, zwischen 1720
und 1 740 zählte man 45 Schleifereien9•
Unter Kaiserin Maria Theresia kam es zwischen 1 7 50-1770 zu einer
erneuten Blüte des Gewerbes. In Freiburg erholte sich das Gewerbe, so dass
I707 wieder 40 Meister in I 0 Schleifen aufgeführt wurden. Bei der Entfestigung
der Stadt I745 wurden auch zahlreiche Schleifmühlen zerstört. Die V Orderösterreichische
Regierung erbaute vor der Stadt neue Schleifmühlen und verpachtete
sie an einzelne Meister. Schon 1753 fanden wieder 1400 Personen durch das
Schleifen und Balieren ihren Lebensunterhalt. 1 770 bestanden in der Stadt
wieder 33 Salierschleifen mit durchschnittlich vier Schleifsteinen. In diesem Jahr
machte die Stadt Freiburg Marie-Antoinette, die auf ihrem Brautzug durch die
Stadt reiste, ein kostbares Geschenk, das den Stellenwert des Edelsteingewerbes
unterstreicht. Sie erhielt „tausend auf goldene Schnüre gefasste Granatsteine von
seltener Größe und Gleichheit in Schliff und Bohrung“. Bis zum Beginn des 19.
Jahrhunderts kam in Freiburg das Gewerbe völlig zum Erliegen. Gründe waren
zum einen die sich insbesondere im unweit nördlich gelegenen Kinzigtal
ausbreitende Heimindustrie, zum anderen die in Böhmen aufkommende
Granatindustrie. Heute geben dem interessierten Betrachter noch Straßennamen
(Granatgässle) oder Häusernamen (Haus zum Kristall) Hinweise auf die
ehemaligen Standorte der Schleifmühlen.
Anders verlief die Entwicklung in Waldkirch, wo es 1760, bei einer
Einwohnerzahl von ca. I . 700 Personen, 28 Mühlen mit je vier Schleifsteinen
7 lRMSCHER 1 997 (zit. Anm. 3) 39.
8 Balthasar WILMS, Die Kaufleute von Freiburg im Breisgau 1 1 20-1520. Bilder aus alten
Tagen. Freiburg im Breisgau 1916.
9 Hermann RAMBACH, Waldkirch und das Elztal. Geschichte in Daten, Bildern und
Dokumenten 1 . Waldkirch 1 988, 2 1 3 ff.
133
sowie 430 Bohrer und Balierer gab. Im 19. Jahrhundert begann aber auch hier
der Niedergang, 1862 wurde irrfolge der Aufhebung der Zünfte in Baden auch
die Bruderschaft der „Schleifer und Balierer“ aufgelöst. Das Gewerbe erhielt
durch die neuen Schleifereien Trenkle (ab 1852) und Wintermantel (ab 1856)
neuen Auftrieb, letztere arbeitet noch heute mit den alten Einrichtungen (Abb. 2).
Dieser Blick in die Edelsteinschleiferei Wintermantel in Waldkirch um 1930
kann uns einiges über die Einrichtung der Werkstätten verraten. Wir sehen die
paarig angeordneten, stehenden Schleifsteine an denen die Balierer auf dem
„Kürass“ liegend Steine schleifen. Am vorderen Stein erkennt man deutlich,
dass der Stein ausgeprägte Riefen hat. Dies sind keine Abnutzungserscheinungen,
sondern sie wurden intentioneil in den Schleifstein eingebracht. Nur in
einer solchen Rille ist es möglich einen Facettenschliff herzustellen, da das
Werkstück sonst auf dem Schleifstein hin und her springt. Erst wenn die Riefen
zu tief wurden musste der Stein neu abgezogen werden. Am vorderen Werkplatz
sehen wir auch noch deutlich, dass der Balierer an mehreren Werkstücken
zugleich arbeitete. Vor ihm ist eine Ablage in der mehrere auf Stöcke gekittete
Edelsteine stecken. Lediglich große Werkstücke wurden frei in der Hand
gehalten, kleinere Stücke mussten auf den Stab aufgekittet werden. Um ein
Überhitzen des Werkstücks zu vermeiden, das die Gefahr des Zerspringens mit
sich bringt, wurde immer abwechselnd mehrere Steine geschliffen.
3. Rohstoffe, Technik und Produkte
3.1 Herkunft der Rohstoffe
In der Freiburger Ordnung von 1415 wird als Rohmaterial Catzedonien und
ander Gestein genannt, also vor allem Calzedon, ein Mineral, das sich im
Quarzriff der Schwarzwaldrandverwerfung südlich Freiburgs findet. In gewissem
Umfang finden sich im mittleren Schwarzwald im Umfeld von Freiburg und
Waldkirch weitere Edelsteine10• In Porphyren aus dem mittleren Schwarzwald
gibt es Vorkommen von Achat, in Karneoldolomiten des Kinziggebietes und am
Kandel sowie im Hotzenwald befinden sich Lagerstätten von Karneolen. Der
bereits erwähnte Calzedon tritt vor allem in den Erzgängen von Badenweiler auf,
der Blaue Calzedon hingegen am Todtnauer Silberberg. Hohnerzjaspis kommt im
Markgräfler Land südlich von Freiburg vor1 1• Viele Lagerstätten waren durch
den seit dem 1 1 . Jahrhundert im Südschwarzwald umgehenden Bergbau erschlossen.
Diese lokalen Vorkommen haben vermutlich den Anstoß für das
Gewerbe gegeben, das sich parallel zum Niedergang des Silberbergbaus im
Schwarzwald entwickelte. Alle diese Gesteine sind als Rohstoffe in der
10 Walter DEECKE, Die natürlichen Grundlagen des mittelalterlichen Breisgauer Steinschleifergewerbes.
In: Berichte der naturforschenden Gesellschaft Freiburg im Breisgau 24 (1924)
377-396 vgl. auch METZ 1961 (zit. Anrn. 3).
1 1 0. WITTMANN, Sohnerz und präeozäne Landoberfläche im Markgrä.flerland. In: Jahresheft
des geologischen Landesamtes Baden Württemberg I (1955) 267-299.
134
Freiburger „Steinballier Ordnung“ von 1544 genannt, in ihr wird ferner
„Pordemont“, vermutlich Diamant, der zum Bearbeiten anderer Steine benötigt
wurde, aufgefiihrt. In derselben Ordnung werden den ,,Bohrern und Balierern“
der freie Einkauf von Steinen in einem Umkreis von 20 Meilen (ca 150 km)
verboten. Es müssen daher in diesem Kreis ergiebige Fundstellen schleifwürdiger
Steine erschlossen gewesen sein.
In der Blütezeit des Edelsteinschliffs ab dem 15. Jahrhundert verarbeitete
man in Freiburg und Waldkirch jedoch vorwiegend Bergkristall aus den
Schweizer Alpen12 sowie Achate aus dem Saar-Nahe-Gebiet. Nach 1 526 kam im
Breisgau böhmischer Granat hinzu, dessen Veredelung im 16. Jahrhundert seinen
Aufstieg nahm. Sie wurde maßgeblich durch das 1601 von Kaiser Rudo1f Il.
verliehene Privileg der Breisgauer zur Bearbeitung aller in Böhmen gefundenen
Rohgranate gefördert13•
3.2 Technische Grundlagen
In der Bezeichnung der Bruderschaft der „Bohrer und Balierer“ wird schon die
traditionelle Arbeitsteilung des Gewerbes deutlich: Zum einen gab es die
Steinbohrer, die Edelsteine durchbohrten oder größere Werkstücke zur Herstellung
von sogenanntem ,,Hohlwerk“ aushöhlten. Daneben gab es die Steinschleifer,
die im Breisgau als Balierer bezeichnet wurden. Die Bestimmungen in
den verschiedenen Ordnungen sind in Bezug auf die Arbeitstechniken zum Teil
nur ungenau. Erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts mehren sich detaillierte
Beschreibungen der Arbeitsprozesse riüt anschaulichen lllustrationen, die zum
Verständnis früherer Abbildungen und Schilderungen beitragen. Grundlegend ist
das Werk von COLLINI, der 1776 die Schleifereien von Idar-Oberstein eingehend
vorstellte14• Seinen Abbildungen ist zu entnehmen, dass die Steinschleifer ihre
Tätigkeit auf dem sogenannten Kippstuhl oder ,,Kürass“ liegend am stehenden
Schleifstein ausübten (Abb. 3). Die Werkstücke wurden am sogenannten Polierlock
fertiggestellt15• Zumindest die Tätigkeit des „Balierers“ war auf Wasserkraft
angewiesen, während das Bohren einfacher Perlen auch im Hauswerk mittels
12 Anton LEGNER, Schweizer Bergkristall und die Kristallschleiferei von Freiburg im Breisgau.
In: Zeitschrift fiir schweizerische Archäologie und Kunstgeschichte 19 ( 1959) 226-
240.
13 H. TRIMBORN, Ein Beitrag zur Österreichischen merkantilistischen Gewerbepolitik am Bei
der Bruderschaft der Bohrer und Balierer zu Freiburg und Waldkirch. Köln 1940.
14 Cosmo Alessandro COLLINI, Journal d’un voyage qui contient quelques observations rnineralogiques,
particulierement sur les Agates et le Basalte. Mannheim 1776. Vgl. hierzu
Manfred WILD, Die Techniken des Achatschleifens in der Region Idar-Oberstein um 1 800.
In: Jutta KAPPEL, Deutsche Steinschneidkunst aus dem Grünen Gewölbe zu Dresden.
Dresden 1998, 33-4 1 .
15 Die Ausstattung der Werkstätten ist in Bezug auf die Feinbearbeitung mit den Werkstätten
fiir Glasschliff vergleichbar, siehe R. J. CHARLESTON, Wheel-Engravin and -Cutting: Some
early Equipernent. II Water-Power and Cutting. In: Journal ofGlass Studies 7 (1965) 41-54.
135
eines Handbohrers durchgeführt werden konnte16• In Freiburg waren die Tätigkeiten
offenbar zunächst nicht getrennt und wurden in derselben Werkstatt
ausgeführt, später setzte sich eine strenge Arbeitsteilung durch.
1820 erschien das umfassende Werk von FRISCHHOLZ, der in der Zeit von
1790 bis 1820 als Mineralienhändler Europa bereiste und auch Erfahrungen aus
dem Breisgau in seine Betrachtungen einfließen ließ17• Er schildert auf 326
Seiten ausführlich die verschiedenen Arbeitsprozesse: Zunächst wurden die
rohen Edelsteine mit Hammer und Eisenkeil gespalten, wohl ab 1 800 auch
gesägt. Hauptschleifmittel für das Sägen war Schmirgel18• Im nächsten Schritt
wurden die Steine auf dem Schleifstein bearbeitet, anschließend auf dem
,,Bloch“, einer mit Wasserkraft betriebenen Walze aus Hartholz, poliert. Das
verwendete Poliermittel sollte grundsätzlich weicher als der zu bearbeitende
Stein sein um Riefen zu vermeiden. Um den Stein bearbeiten zu können, musste
er auf einen Stock gekittet werden, hierzu überliefert FRISCHHOLZ zahlreiche
Rezepturen. Das Bohren der Edelsteine war im Gegensatz zum Schleifen kein
Lehrberuf, sondern reine Lohnarbeit, die Fertigkeiten wurden oft in einer Familie
weitergegeben. Da man unabhängig von Wasserkraft war, konnte die Tätigkeit
im Hauswerk verrichtet werden. FRISCHHOLZ unterscheidet zwei Typen von Bohrern.
Zunächst den Spitzbohrer, der zum Durchbohren von Steinen diente. Die
Diamantspitzen der Bohrer waren in einem Kupfer- oder Eisendraht gefasst.
Angetrieben von einem Fiedelbogen bohrte man einen Edelstein zunächst mit
einem größeren Diamanten auf beiden Seiten an, dann bohrte man mit einem
feinen Diamantsplitter dünner durch. Kleinere Steine wurden in einen hölzernen
Schraubstock eingespannt. Zur Herstellung von Dosen und Gefäßen verwendete
man Röhrenbohrer mit denen Löcher bis 15 cm Durchmesser hergestellt wurden.
Anstelle einer Spitze war der Bohrer mit einer Bohrröhre versehen, auf die
Bohrstelle wurden immer wieder grober Schneidschmirgel und Wasser
aufgetragen. Bei dieser Technik blieb ein Zylinder stehen, der anschließend
herausgebrochen wurde.
Wie oben gezeigt wurde, war zum Antrieb der mannshohen Schleifsteine
Wasserkraft notwendig. In beiden Breisgaustädten gab es ein gut funktionierendes
Gewerbebachsystem. Der Freiburger Gewerbebach wurde etwa 3,5 km östlich
der Stadt, beim heutigen Stadtteil Ebnet, von der Dreisam abgezweigt und
fließt am Fuß des Schlossbergs, parallel zur Kartäuserstraße.19 Sein Alter ist
nicht geklärt, doch spricht vieles dafür, dass er bereits in vorstädtischer Zeit
16 W. FISCHER, Zur Entwicklung der Edelschleiftechnik. In: Edelsteine. Der Aufschluß, Sonderheft
1 8 ( 1968) 21-67.
17 Jakob FRISCHHOLZ, Lehrbuch der Steinschneidekunst. München 1820. Vgl. hierzu WilD (s.
o.), 36 ff.
18 Das feinkörnige Gemenge aus Korrund, Magnetit, Hämatit und Quarz ist nach dem ursprünglichen
Herkunftsort Smyrna (heute Izmir/Westtürkei) benannt. Geringe Vorkommen
gibt es in Deutschland im Erzgebirge, um 1 800 kam der meiste Schmirgel aus Südarnerika.
19 M. BUHLE, Stadtbäche und Gewerbekanäle. In: Freiburg im Breisgau. Die Stadt und ihre
Bauten. Freiburg im Breisgau 1898, 1 15-123.
136
entstand, da die bisher noch nicht exakt lokalisierte Vorgängersiedlung Freiburgs
Wiehre genannt wurde. Der Name leitet sich von Wuhr (= künstlicher Gewässerlauf)
ab und wird 1008 erstmals in der sog. Basler Wildbannurkunde in der Form
Worin genannr0.
Die Waldkireher Schleifen lagen an einem 2,6 km langen Gewerbe- oder
Runzkanal, der zwischen 4 m und 5 m breit ist. Er führt eine Wassermenge von
3.000 Vsec bei einem Gefälle von I %. Der Bestand der Wasserbauten ist ab
1287 vorauszusetzen21•
Ein Großteil der Werkstücke wurde auf großen Schleifrädern aus Sandstein
verschliffen, gute Vorkommen gibt es unweit der beiden Städte in der
Vorbergzone des Schwarzwaldes. Nicht eindeutig geklärt ist bisher die Herkunft
des Schleifmittels für Hohlarbeiten in Bergkristall oder zum Bohren der harten
Mineralien. Für beide Arbeitsschritte wurde Diamant in großen Mengen benötigt.
Der heute weit verbreitete Schmuckstein diente zur Zeit der Bohrer- und Baliererbruderschaft
nur als Schneide- und Bohrwerkzeug, eine Herstellung von
Schmuckdiamant ist nicht nachweisbar. Der Bezug von Diamant erfolgte entweder
über Straßburg, wo bereits 1479 ein ,,Demantpolierer“ nachweisbar ist,
oder direkt aus Brügge, dem seit dem 14. Jahrhundert maßgeblichen Platz der
Diamantschleiferei in Europa.
3.3 Produkte der Breisgauer Edelsteinschleifer
Unter den Edelsteinschleifern im Breisgau gab es schon im 15. Jahrhundert
herausragende Kunsthandwerker, die in Zusammenarbeit mit silber- und Goldschmieden
insbesondere Gefäße aus Bergkristall fertigten. Diese Luxusartikel
oder Kultgeräte entstanden meist als Auftragsarbeit Nur ein kleiner Teil dieser
Gegenstände, von denen viele sogar archivalisch nachweisbar sind, können heute
noch, über zahlreiche Sammlungen verstreut, zugewiesen werden22• Der große
Teil der „Schleifer und Balierer“ stellte jedoch Perlen für einfachen Schmuck
und Rosenkränze her. Ein Großteil dieser Perlen wurde über Messen verhandelt.
Ein wichtiger Abnehmer für die Produkte war Oberitalien, wo Ketten aus Granat
zum Brautschmuck gehörten, der nicht vererbt, sondern mit ins Grab genommen
wurde. Seit dem 18. Jahrhundert trug man auch im Schwarzwald als Teil der
Festtagstracht sechs- bis achtreihige Granatschnüre, sog. „Nüster“, zusammen
mit entsprechendem Armband und Rosenkranz23. Weitere Produkte, die man aus
größeren Steinen schliff, waren Ringe, Colliers, Anhänger, Ohrringe, Broschen
20 MGH DHII Nr. 188. Regesta hnperii 11, 4 Nr. 1695.
21 Bertram JENISCH, Archäologischer Stadtkataster Waldkirch. Typoskript. Freiburg im Breisgau
1998, 144f. Vgl. auch Andreas HAASIS-BERNER, Der Gewerbekanal von Waldkirch. In:
700 Jahre Stadtrecht Waldkirch. Beiträge zur Geschichte der Stadt Waldkirch 6. Waldleireh
2000, 149-166.
22 IRMSCHER 1 997 ( zit. Anm. 3) u. KUMMER-SCHROTH 1994 (zit. Anm. 4).
23 Gabriele Huss, Geschichte des Edelsteinschleifgewerbes in Freiburg. Saalzettel I zum
Edelsteinkabinett des Museums für Naturkunde Freiburg. Freiburg 1991, 5.
137
und Schließen. Ferner wurden Plättchen geschliffen, die zumeist nach Oberitalien
als Rohmaterial für Intarsienarbeiten exportiert wurden.
4. Archäologische Belege der Edelsteinverarbeitung im Breisgau
Die Verarbeitung von Edelsteinen und Halbedelsteinen zu Schmuck und
Kunstobjekten ist archäologisch auf zwei Wegen nachweisbar. Zum einen kann
dies durch Werkstattspuren gelingen, was jedoch in Bezug auf die Bohrer nahezu
unmöglich ist. Bezüglich der Balierer bleiben Belege meist nur unspezifisch, da
die Befunde schwer von anderen Mühlen zu unterscheiden sind. Daher ist der
Nachweis von Werkstätten vorwiegend über Abfälle die beim Zurichten der
Werkstücke entstanden sowie durch zu Bruch gegangene Halbfertigprodukte zu
erbringen. Insbesondere die Abfälle beim Spalten der Rohstücke bilden die
Hauptmasse des archäologischen Fundmaterials.
4.1 Edelsteinverarbeitung in Waldkirch
Bei Bodeneingriffen im Stadtgebiet von Waldkirch zeichnen sich die Schichten
des 16. bis 18. Jahrhunderts als Leithorizont ab. Der humose Boden ist mit zahlreichen
kleinen Splittern von Bergkristall und anderen Edelsteinen durchsetzt.
Wie aufgrund der historischen Überlieferung nicht anders zu erwarten, fmden
sich insbesondere Abfälle der Bohrer über das gesamte Siedlungsgebiet verteilt.
Eine systematische Erforschung erfolgte jedoch nur in wenigen Bereichen.
In der Schusterstraße 5-7 wurden im Zuge der Neubebauung einer städtischen
Parzelle umfangreiche Gewerbespuren archäologisch untersucht. Bereits
im 13. Jahrhundert, also noch vor der im Jahre 1300 erfolgten Stadtrechtsverleihung,
wurde an der Stelle eine Schmiede betrieben, auf die Schmiedeschlacken
hinweisen. Eine intensive Nutzung des Areals ist für das 17.-18.
Jahrhundert belegt. Besonders bemerkenswert ist der Nachweis eines Töpferofens.
Allerdings enthielt er nur sehr wenig Keramik, was die genaue Datierung
erschwert. Etwa zur selben Zeit wurden auf dem Grundstück auch Halbedelsteine
bearbeitet. Zahlreiche Splitter von Bergkristall und Amethyst, darunter auch
Halbfabrikate wie Knöpfe und Perlen, die bei der Durchbohrung zerbrachen,
sowie Karneol belegen den Umfang dieses für Waldkirch seit dem späten 15.
Jahrhundert so bedeutenden Gewerbes24•
Östlich der Stadt lässt sich am Gewerbekanal im Bereich der Siedlungswüstung
Wiler eine Edelsteinschleiferei lokalisieren. Sie zeichnet sich durch
charakteristische Lesefunde deutlich ab. Den größten Anteil an den Abfällen der
Schleife hat Bergkristall, der vermutlich aus dem Gotthardgebiet bezogen wurde
(Abb. 4). Im Fundspektrum findet sich Rohmaterial von klarem Bergkristall und
24 Andreas HAASIS-BERNER, Ergebnisse der archäologischen Denkmalpflege 1995-1997 in
Waldkirch, Kreis Emmendingen. Archäologische Ausgrabungen in Baden – Württemberg
1997, 159-164.
138
Rauchquarz. Die Stücke wurden zunächst walzenförmig zugearbeitet, dann
durchbohrt. Erst anschließend wurde die Perle grob zugeschliffen und erhielt den
abschließenden Facettenschliff. An grob zugearbeitetem Rohmaterial wird
deutlich, dass man auch Karneol verarbeitet hat. Das braunrote Mineral, auch als
undurchsichtiger Calcedon bezeichnet, kommt in Lagerstätten im Elztal vor und
wurde von dort vermutlich direkt bezogen. In Einzelstücken ist auch der Hämatit,
oder derber Eisenglanz, als Rohmaterial nachzuweisen. Das Rohmaterial stammt
vermutlich aus den Eisenerzgruben um Eisenbach nordöstlich von Neustadt im
Schwarzwald. Bereits 1474 gibt es einen urkundlichen Beleg, dass das als ,,Blutstein“
bezeichnete Material in Freiburg verarbeitet wurde.
4.2 Edelsteinverarbeitung in Freiburg im Breisgau
Wenden wir uns nun Freiburg zu, wo aufgrund von Fundbeobachtungen und
großflächigen Ausgrabungen auch Belege für das Gewerbe der Schleifer und
Balierer zutage gefördert wurden. Sie fanden sich naturgemäß an der Peripherie,
entlang der Gewerbekanäle. Die Randbereiche der Stadt wurden im Vergleich
zum historischen Zentrum lange Zeit weniger intensiv erforscht, dies erklärt die
erstaunlich geringen Nachweise dieses einst für die Stadt so bedeutenden Wirtschaftszweiges.
Bereits zwischen 1950 und 1960 wurde an der Kartäuserstraße 5 1 , dem
Gelände der ehemaligen Firma MEZ, aufgrund von Lesefunden eine abgegangene
Edelsteinschleiferei lokalisiert25• Die Funde konzentrierten sich bei einer
etwa 160 rn2 großen Erhebung am Südhang des Schlossbergs. Bei den gefundenen
Mineralien handelt es sich vorwiegend um Bergkristall, seltener Rauchquarz,
die beide aus den Alpen stammen. Ferner fanden sich Amethyst, grauweißes
Gangquarz, Jaspis, Karneol, Chalcedon, Achat, Heliotrop und Granat.
Neben unbearbeiteten Stücken frnden sich darunter auch zahlreiche angeschliffene
Artefakte von verschiedenen Phasen der Bearbeitung: Anhänger, Perlbruchstücke
oder ganze Perlen. Aufgrund der keramischen Beifunde kann die
Fundstelle in den Zeitraum vom 16. Jahrhundert bis um 1800 datiert werden26•
Das an den Gewerbekanal angrenzende Anwesen Gerberau 46 hatte eine
wechselvolle Geschichte. Unterlagen im Stadtarchiv Freiburg erlauben die Ermittlung
der Eigentümer und deren Berufe dieses abgegangenen Hauses rückschreitend
bis 1798. Im 18. und frühen 19. Jahrhundert beherbergte es eine
Mühle, später eine mechanische Werkstatt und anschließend eine Drechslerwerkstatt.
Ein Bauantrag des Müllermeisters Sebastian K.laiser aus der Zeit um
25 Klaus BURGATH mit Beiträgen von Felix KOETHER, Eine neuentdeckte mittelalterliche Edelsteinschleiferei
am Schloßberg in Freiburg i. Br. In: Mitteilungen des badischen Landesvereins
für Naturkunde und Naturschutz NF 8 (1 963) 399-406.
26 Die Funde befinden sich seit 1 960 im Bestand des Museums für Naturkunde Freiburg im
Breisgau. Dr. Norbert Widemann ennöglichte mir freundlicherweise eine Durchsicht des
Materials.
139
I 785 beinhaltet auch einen Plan des Baubestandes mit dem Mühlenwerk (Abb.
5)27• In der Baulücke des 1 943 kriegszerstörten Gebäudes wurde 1988 eine
Brauerei errichtet. Im Vorfeld der Baumaßnahme kam es zur archäologischen
Untersuchung des Geländes28• Die erfassten Gebäudestrukturen reichen in das
16. Jahrhundert zurück. Die markantesten Fundamentreste stammen von dem
annähernd quadratischen Mühlengebäude. An den Gewerbebach angelehnt, fanden
sich an der Stelle der zu vermutenden Schleifräder massive, moderne
Substruktionen aus Beton für Maschinen. Im Hof lag ein zum Gewerbebach hin
entwässernder, ca. 17 m langer Kanal, der vermutlich mit der frühneuzeitlichen
Schleiferei in Zusammenhang steht. Er war nach Aufhöhung des Hofniveaus
über einer gleich verlaufenden Rinne in der älteren Hofpflasterung angelegt und
mit Backsteinen eingefasst worden. Urspriinglich bestand auf dem untersuchten
Gelände nur der quadratische Kembau, erst am Ende des 1 8 . Jahrhunderts kamen
Anbauten um den gepflasterten und ummauerten Hof hinzu.
Wiederum sind es in erster Linie die Funde von Rohmaterial, Abfällen und
Halbfabrikaten in den Auffüllschichten, die belegen, dass zu dieser Zeit an dieser
Stelle eine Edelsteinschleiferei betrieben wurde. Wie schon in Waldkirch gesehen,
war auch bei der Schleiferei in der Gerberau Bergkristall ein wichtiger
Rohstoff. An Halbfabrikaten lässt sich der Produktionsweg vom Rohmaterial bis
zur fertigen Perle mit Facettenschliff oder Tropfenform nachvollziehen. In den
Auffüllschichten fanden sich daneben auch Stücke von Achat, der aus der
Gegend von Idar-Oberstein importiert wurde, wo noch heute ein florierendes
Edelsteingewerbe betrieben wird. Eine Granatperle ist das einzige Belegstück aus
der Grabung für die Verarbeitung des wohl wichtigsten Rohstoffs, der wie oben
erwähnt aus Böhmen bezogen wurde. Ferner wurde am Ort Calcedon verarbeitet,
der aus den hydrothermalen Erzgängen des Schwarzwaldrandes stammt. Sehr
zahlreich sind dagegen die Abfallstücke, die bei der Bearbeitung des aus dem
Markgräfler Land bezogenen Jaspis anfielen (Abb. 6). Die feinkörnigen, opaken
Quarzaggregate sind meist rötlich und gelb gefärbt und weisen häufig eine konzentrische
Bänderung auf. Während die grau-weiße Variante dieses Materials bereits
im 3. vorchristlichen Jahrtausend beim Isteiner Klotz zur Herstellung von
Feuersteingeräten bergmännisch gewonnen wurde, stammt das in Freiburg und
Waldkirch verarbeitete Material wohl aus den Sohnerzlagerstätten und Halden
des Eisenhüttengewerbes bei Kandem. Aus den meist kleinen Knollen wurden
vorwiegend Perlen und Knöpfe gefertigt. Es gibt aber auch vereinzelt große
Handstücke aus denen man größere Ziergegenstände herstellen konnte. Im Fundspektrum
sind ferner grob zugerichtete Plättchen für Einlegearbeiten bemerkenswert.
27 StA Freiburg C I . Bausachen 20, Nr. 2 1 0; Private. Gartenstraße-Inse1, ca. 1785.
28 Die Grabung Gerberau 46 ist noch unpubliziert. Die Dokumentation und Funde befinden
sich beim Landesdenkmalamt Baden-Württernberg, Außenstelle Freiburg, Ref. Archäologie
des Mittelalters. Der mit der Ausgrabung betrauten Grabungstechnikerin Frau Helga
Rudolph danke ich für Hinweise zur Befundsituation.
140
In den Auffüllschichten fand sich zwischen dem Abfall der Schleiferei ein
aus Gips gefertigtes Objekt, in das im feuchten Zustand Hölzer gesteckt worden
sind (Abb. 7). Offenbar handelt es sich dabei um einen Stockhalter wie oben aus
der Waldkireher Schleiferei beschrieben. Eine solche Vorrichtung war notwendig,
da die meisten Werkstücke auf Stöcke aufgekittet wurden. Die Balierer
benötigten, wie oben gezeigt, eine Ablage, weil sie grundsätzlich an mehreren
Steinen gleichzeitig gearbeitet haben um der Überhitzung der Werkstücke
vorzubeugen.
Während entlang der Gewerbekanäle bislang keine Schleifsteine gefunden
werden konnten, fand sich unerwartet abseits davon ein solcher in Zweitverwendung.
Bei den zwischen 1988 und 1993 an der Gauchstraße durchgeführten Ausgrabungen29,
wurde der bislang einzige vollständig erhaltene Schleifstein aus
einer Baliermühle in Freiburg aus archäologischem Kontext freigelegt (Abb. 8).
Er diente als Abdeckung einer gemauerten Latrine des 15. Jahrhunderts. Der aus
feinkristallinem, rotem Buntsandstein gearbeitete Schleifstein hatte einen
Durchmesser von etwa 1 m, der Innendurchmesser betrug 40 cm, er war ca. 40
cm mächtig. Am Rand fanden sich die für Schleifsteine typischen Drehriefen.
Diese waren für den Schleifprozess wichtig, da ansonsten das auf einen Stab
gekittete Werkstück auf der Schleiffläche springt. Durch die Drehriefen wird ein
gleichmäßiger Facettenschliff erst möglich.
5. Zusammenfassung
Warum hat sich nun gerade im Breisgau ein Zentrum der Edelsteinverarbeitung
herausgebildet? Wichtig waren zunächst die lokalen Vorkommen von schleifwürdigen
Steinen, die aber wie gezeigt, lediglich den Anstoß zur Entwicklung
gegeben haben. Entscheidender war ab dem 15. Jahrhundert die gute Anhindung
an den Fernhandel um die Rohstoffe zu beziehen. Wichtig war ferner das Vorhandensein
von gut erschlossenen Gewerbekanälen, Wasserkraft war jedoch
vielerorts ebenso gut oder besser verfügbar. Wesentlich erscheint mir die
zeitliche Parallelität des Niedergangs des Silberbergbaus im Schwarzwald mit
dem Aufschwung der Edelsteinverarbeitung. Offenbar schufen sich so die
freigesetzten, qualifizierten Arbeitskräfte eine neue wirtschaftliche Basis. Grundlage
des wirtschaftlichen Erfolges in der Neuzeit war jedoch das Monopol zur
Verarbeitung der böhmischen Granate. Insofern sind die ,,Bohrer und Balierer“
im Breisgau nicht nur ein anschaulicher Beleg für einen spezialisierten Gewerbezweig
im Spätmittelalter und der Frühneuzeit, sondern auch ein gutes Beispiel
für die merkantilistische Gewerbepolitik in Vorderösterreich.
29 Matthias UNTERMANN, Archäologische Ausgrabungen an der Gauchstraße in Freiburg i. Br.
In: Archäologische Ausgrabungen in Baden-Württemberg 1988, 296-298; ferner Matthias
UNTERMANN- Stephan KALTWASSER, Archäologische Untersuchungen in der Altstadt von
Freiburg i. Br. In: Archäologische Ausgrabungen in Baden-Württemberg 1989, 299-303.
141
Abb. I : Kaiser Friedrich III. besucht 1473 mit seinem Sohn, dem späteren Kaiser
Maximilian 1., eine Freiburger „Balierschleife“. Holzschnitt vermutlich von Hans
Schäufelein, 15 17.
142
Abb. 2: Edelsteinschleiferei Wintermantel in Waldkirch. Foto ca. 1930.
Abb. 3: Werkzeuge und Einrichtungen der Bohrer und Balierer (nach CoLLINI
1776). Fig. I Schleifstein, 2-3 Kippstuhl (,,Kürass“), 4 Polierblock, 5-7 Gerät
zum Hohlbohren, 8-11 Bohrgerät
143
0 c …
• ·•-= —-
Abb. 4: Waldkirch. Belege für die Bearbeitung von Bergkristall aus dem Bereich
der Siedlungswüstung Wiler (Foto: LDA).
Abb. 5: Freiburg im Breisgau, Gerberau 46. Plan der Schleifmühle von etwa
1785 (Stadtarchiv Freiburg i. Br.).
1 44
Abb. 6: Freiburg im Breisgau, Gerberau 46. Belege für die Bearbeitung von
Jaspis im 18. Jahrhundert aus dem archäologischen Fundmaterial (Foto: LDA).
Abb. 7: Freiburg im Breisgau, Gerberau 46. Stockhalter aus Gips (Foto: LDA).
145
Abb. 8: Freiburg im Breisgau, Gauchstraße. Schleifstein einer ,,Balierschleife“ in
Zweitverwendung als Abdeckung einer Latrine des 15. Jahrhunderts (Foto:
LDA).
146
MEDIUM AEVUM
QUOTIDIANUM
45
KREMS2002
HERAUSGEGEBEN
VON GERHARD JARITZ
GEDRUCKT MIT UNTERSTÜTZUNG DER KULTURABTEILUNG
DES AMTES DER NIEDERÖSTERREICHISCHEN LANDESREGIERUNG
Oiederösterreich kultur
Redaktion: Thomas Kühtreiber
Titelgraphik: Stephan J. Tramer
Herausgeber: Medium Aevum Quotidianum. Gesellschaft zur Erforschung der
materiellen Kultur des Mittelalters, Körnermarkt 13, 3500 Krems, Österreich.
Für den Inhalt verantwortlich zeichnen die Autoren, ohne deren ausdrückliche
Zustimmung jeglicher Nachdruck, auch in Auszügen, nicht gestattet ist. –
Druck: Grafisches Zentrum an der Technischen Universität Wien, Wiedner
Hauptstraße 8-10, 1040 Wien.
Inhalt
Fehl-, Halbfertigprodukte sowie umgearbeitete Stücke
und ihre Rolle bei der Erforschung des mittelalterlichen Handwerks
Ralph Röber, Vorwort . . . . . . . . …………………………………………………………………… 5
Herbert Knittler, Qualitätsvorschriften in Handwerksordnungen
des Mittelalters und der frühen Neuzeit
(dargestellt an Österreichischen Beispielen) ……………… ……………….. . . . . . . . 7
Doris Mührenberg, Recycelt, repariert oder wiederverwendet
Fehl- und Halbfertigprodukte im archäologischen Fundgut
der Hansestadt Lübeck . . . . . ….. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20
Ulrich Müller, Ein Fund vom Rugard, Ldkr. Rügen ……….. ………………………… 38
Monika Doll und Andreas König, Produktionsabfälle
einer knochen- und hornverarbeitenden Werkstatt
des späten I I . Jahrhunderts aus Höxter an der Weser …………………. ….. 61
Stefan Krabath, Untersuchungen zur mittelalterlichen und neuzeitlichen
Ringbrünnenproduktion in Mitteleuropa
unter besonderer Berücksichtigung Westfalens . . …….. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 96
Bertram Jenisch, Die ,,Bohrer und Balierer“ in Freiburg
und Waldkirch im Breisgau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130
Birgit Bühl er, Der Nachweis der Treibziseliertechnik
an goldenem Gürtelschmuck der Früh-, Mittel- und Spätawarenzeit … 147
Anschriften der Autoren ………………….. ………………………………………………….. 166
Vorwort
Das vierte Treffen des ,,Archäologischen Arbeitskreises zur Erforschung des
mittelalterlichen Handwerks“ fand vom 23. bis 25. März 2000 in Krems statt. Es
folgte einer Einladung des ,,Instituts für Realienkunde des Mittelalters und der
frühen Neuzeit“ der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Die Organisation
hatte Thomas Kühtreiber übernommen, von ihm stammten auch die
Vorschläge zu den beiden Tagungsthemen. Die Vorträge des Themas ,,Zur
Erforschung des mittelalterlichen Handwerks in Österreich“ sind bereits in Band
43 von Medium Aevum Quotidianum erschienen, die Vorträge des zweiten
Bereichs ,,Fehl-, Halbfertigprodukte sowie umgearbeitete Stücke“ werden hier
vorgelegt. Die insgesamt acht Beiträge umspannen einen großen geographischen
Rahmen, der vom Norden Deutschlands bis in den Osten Österreichs reicht. Die
interdisziplinäre Ausrichtung spiegelt sich in den beteiligten Wissenschaftsrichtungen
wider, bei der neben Archäologen auch Historiker, Kunsthistoriker
und Naturwissenschaftler vertreten sind.
Produktionsabfalle bieten ebenso wie umgearbeitete Stücke ein weites
Feld von Erkenntnismöglichkeiten zum Handwerk. An ihnen lassen sich Auswahl
und Verwendung von Rohstoffen studieren, sie erlauben darüber hinaus
aber auch weit besser als fertige Produkte, die auf Grund von Überarbeitungen
der Oberfläche in dieser Hinsicht oft nur sehr eingeschränkt auswertbar sind,
detaillierte Einblicke in Techniken und Prozesse der Herstellung. So lassen sich
Traditionen und Innovationen im Handwerk ebenso erkennen wie der Grad der
Spezialisierung und die Produktpalette einzelner Handwerker.
Aber noch in einem weiteren Bereich sind diese Objekte von hoher Aussagekraft,
da durch ihre Aussonderung durch den Produzenten unmittelbar individuelle
oder berufsspezifische Qualitätsnormen sichtbar werden. Damit werden
im Abgleich mit den in den Verkauf gelangten Produkten Aussagen zum Qualitätsmanagement
einzelner Handwerker und Berufsstände möglich. Auch zur
Quantität der Produktion sowie zur Normierung bestimmter Erzeugnisse lassen
sieb Aussagen erzielen. Dies sind Themen, zu denen Schriftquellen nur eingeschränkt
Auskunft geben, da Qualitätsbestimmungen zum Beispiel in Zunftoder
Gewerbeordnungen in der Regel allgemein oder formelhaft verfasst wurden.
Diese gelten zudem nur für einzelne Handwerkssektoren, wie das Nahrungs-,
Textil- oder Metallgewerbe. Hier bilden die archäologischen Quellen
nicht nur Ergänzung und Korrektiv, sondern sie erlauben einen Zugriff auf
Erkenntnisse, die dem Historiker verwehrt bleiben.
5
Mein Dank gilt den Autorinnen und Autoren, die Ihre Beiträge zur Verfügung
gestellt haben, sowie Medium Aevum Quotidianum für die Aufuahme derselben
in sein Publikationsorgan. Es ist erfreulich, dass neben den Vorträgen
von zwei Treffen des Arbeitskreises1 nun die Ergebnisse einer weiteren Tagung
publiziert werden konnten. Es bleibt zu hoffen, dass damit die erst in Ansätzen
greifbaren archäologischen Erkenntnisse zum mittelalterlichen Handwerk
vertieft und ausgebaut werden können.
Konstanz,
im Juni 2002
Ralph Röber
Leiter des ,,Archäologischen Arbeitskreises
zur Erforschung des mittelalterlichen Handwerks“
1 Archäologisches Landesmuseum Baden-Württemberg (Hg.), Von Schmieden, Würflern und
Schreinern – Städtisches Handwerk im Mittelalter (ALManach 4) Stuttgart 1999; Ralph
Röber (Hg.), Mittelalterliche Öfen und Feuerungsanlagen. Beiträge des 3. Kolloquiums des
Arbeitskreises zur archäologischen Erforschung des mittelalterlichen Handwerks (Materialhefte
zur Archäologie in Baden-Württemberg 62) Stuttgart 2002.
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