Die Heiligen und ihre Klienten.
Zur Verwendung hagiographischer Quellen
in der Alltagsgeschichte des Mittelalters *
CHRISTIA KRÖTZL. TA:..tPERE
Im .Jahr<‚ 1-103 fid in <‚iner schw<‚dischE.’n LandgE.’meinde ein Kessel mit hc>if.km \\’ass<‚r Yom Kiich<’nhNd, so daß die sPeilsjährige Cristina schwere
Y<‚rhn’mnm<’n an d<>n ß<>in<>n <>rlitt. Als nach fünf Tagen noch keine Bessernng
f’ill<>trPt<’n war. legte man drei Losr in eÜH‘ Schüssel: je eines für die
Sknlptnr ßirgitta von \’adst<’na sowiP für ßrynolph von Skara. Das Los der 1\:reuzahnalmw
Christi wnrd<‚ durch das r-..fäddwn sf’lhst dreimal hintereinander
ß’ZOp;<‚lL ’nmmf di<‚ 1ntter <>in Votnm abgab: sollt.e die Heilung eintreten,
„“<‚rrfahrt nach Stockholm
nntf’rnrlml<’n. ach Nfolgt<‚r H<>ilnng erschie1wn l)(‚icle in der St.ockholmer
„“allfahrtskird 1e nnd lif’ßeu ihrf‘ Erzählung notif’rPn. Zwei St.ockholmer
ßiirg(‚r IH’stiüigt<’n die RE’chtmäßigkC’it. dE.’r Erzählnng 1 .
Ist dies<‚. in <>in<‚r StockholnH’r :t\Iirakrlsammlnng aus dem 15. Jahrhuntkrt
zn fill<lf’mk Erzählung ein Beispid fiir den mittelalterlichen Alltag, eine
miip;lidtr Qndl<‚ zu seinE’r Erforschung? Oc!Pr ein singuläres, für den einzelum
:\Imsdwn sow ir für die GC’meinschaft völlig aus dem Rahmen fallendes
und damit nicht dem Alltag znzurPchnPncl<’s Gesdwhen? \Vas sagt sie aus?
Sind hagiop;raphische Qndknhelege iiherhanpt für die Erforschung des Alltags
Vf’J’\\“f’IHlhar·: Üringfügig variierte
Wie<krgal)(‚ von Topoi aus Spätantike und Frülunit telalter, die vielleicht
allgenwinPrP nlC’ntalf‘ Iuster wiedergeben, jedoch nicht als repräsentativ
fiir Das h<lp;iographischf‘ Qn<>llenmaterial kann quantitativ – d. h. bezüglich
<l<‚r iihrrlidf’rten Ienge an Trxten – als eine der reichsten Quellengatt.ungrn
cks Mittdalters angf’sehen werden und lohnt schon deshalb eine nähere
* Überarlwit\’tf‘ und ins Deutsche iibers<‚tztc Fassung eines Vortragesam ‚International
!\1P<li<“·;ll C’ongrPss·, Let>(ls. Juli 1994.
1 Iiracnla Dd’ixiouis Domini. <‚0. T. LUDE. in: GötPhorgs Högskolas Arsskrift
19-!9:-! (19:SO). S. 50 :)2.
9
ßl’schiift il-!:11111. G<‚rad<‚ fiir akt11<‚lk FragPstt>lhmgPn und BerE>iche d<>r Geschichts“
·issf’usdmft. wi<‚ di0 ’Ientalitäts- und Alltagsgeschichte, können
<lif‘ hagiographisrh0n Qndku w<>srntlid.J.<‚ Aufschlüsse liefern. Selbst für die
Erc·ip;uis- nucl n c•chts(‚SChichtE‘ od<‚r die G<>srhichte kirchlicher und wdtlidlC’r
Institntiml<‚ll sind cli<‚ Anssagnuöglichk<‚it<>n keineswegs als erschöpft
zn lwtradlt<’n:1. DiE‘ jahrzdmtdangP. mit qndlenkritischen Argumenten
heriind0tE‘ Gf’rinp;schätzung des hagiograph.isch<>n Materials kann als überholt
ang<’sC‘!lC’ll wE’nkn. AllgC’mC’iu anrrkanntE‘ AnswertnngskritE>ricn für hagiographische Quelkn
rxisti<‚I'<‚ll j<>clodtuicht. und selbst über den Quellenwert der verschieden<‚ n hagiographisdwn U ntrrgattungC’n hE>steht wE>itgf’hende Uneinigkeit. Es
ist zwar wichtig. <liC’sP Prohkmc. Dcsicl(‚rata nncl unterschiedlichPn vVertung<‚
u zu konstatiNC’U nnd zu lwrücksichtigf’n, si<> sollen jedoch der Verwendung
ckr Qnc>lkn nicht im ‚\’ege stehen. ehensowenig wie unterschiedliche
Ansätze di0 ‚l:nt<>rsnclmng der Alltagsgeschichte an sich verunmöglichen4.
2 NC’nC’n‘ Eins(‚hiit7.un)1;t>n sehen in der Hagiographie gar ein „Hoffnnngsgebiet der Geschichtsfors(‚
hnnp;“. G. SCHEIDELilEITEil. Das ‚vVundC’r als Mittel der Konfliktbereinignnp;.
in: AKG i-! ( 1!l!l2). S. 2.‘)7. Zu Heiligenkult und Hagiographie im allgemeinen s. S.
DOESCH GA.TANO (NI.). Agiografia altomedioevale, Bologna 1976; S. WILSON (cd. ),
S:tints aml their Cults. Studi<’s in Ileligious Sociology, Folklore and History, Cambridge
1083: P. DIXZELDACHER & D.Il. BAUER (edd.). Heiligenverehrung in Geschichte und
Gep,Pnwart. OsttildPrn 19!)0: F. LüTTER. 1\lethodisches zur Gewinnung historischer ErkC’nntniss<‚
aus hap;iographisch<’n Quellen. in: HZ 229 (1979), S. 298-356; J. DUBOIS,
Hnp;io)!;raphiC‘. in: Dictionnaire d’Hist.oire et d<‚ Gt’ographie Ecclesiastiques, t. XXIII, Paris
1!l!l0. col. -10-56: LC’xikon d0s ).1itt!’ialters, Bel. III, col. 1840 ff.
3 .-\ls nmfassPudC‘ ‚-„‚iirdigung der DedPutung von Heiligenverehrung und Hagiographie
fiir dir politiscltC‘ ErC’i)!;nisgeschichte s. den I\onstanzer Tagungsband J. PETERSOHN
(ed .) . Politik und H<‚iligenverehrung im Hochmit.telalter (Vorträge und Forschungen, Bd. XLII). Sigmaring�>n 1094.
4 Zm metho<lich-t heoretischen Eingrenznng des mittelalterlichen Alltags s. insbesondE’re H. -‚v\‘. GOETZ. G�>schichte des mittelalterlichen Alltags. Theorie-Methoden-Bilanz
dC’r Forschung. in: 1\IE’nsch und Objekt iu Mittelalter und früher Neuzeit. Leben-AlltagKnltnr
(\’C’röffcntlidmngE’n des Institnts für Realienkunde des Mitt.elalters und der frühen
l'(euzeit :-Ir. 1.3 = Österreichische AkademiC‘ der Wissenschaften, Phil.-hist. Klasse, Sitzungsherichte,
Bd . .‘) 68), Wien 1990. S. 6i-99. Zur Alltagsgeschichte im allgemeinen s.
A. Ll:DTKE (PCI.). Alltagsg<’schichte. 1989; G. JARITZ, Zwischen Augmblick un Ewigkf’it.
Eiufiihmng in rlif‘ Alltagsgeschichte des :\’littelalters. Köln-Wien 1989: H. KUHNEL
(C’d.). Alltag im SpiitmittE’lalier. Graz 1984.
10
Dri ckr Alltap;sgrschicht.e stellt sich in hf’sonderf’m Maße und gf’rade
fiir dns :\Iittrlaltf’r clas Prohkm df’f gPeignf’t<.’n Qnellen. Von zentraler Be<
kntnng ist dabei dPrt’n Intention oder vielmehr fehlende Int.ention: 1\:eine
Quellr des :\IittrlaltPrs wolltP rlen Alltag an sich dokumentieren. sämtlirhe
p;r<‚ip;n<‚t<‚ Qnel!C’n hatten eine anrlere Zirlsetznng als die Darstellung oder
Deknchtnng df’s Alltags. DiPse an sich banale qncllenkritische Festst.ellnng
ist jeclorh g<>rad<> hC’i d0r VenvPndnng der hagiographischen Qut>llen in
lwsondC’r<‚m :\Iaße zn hf’riicksichtigen. Im Gegensatz zu manrhen anderen,
fiir die .-\.lltagsgC’srhirhtP gPeignPt.en QudlEmgat.tnngPn. deren Intentionalität
als Piudimeusional angesC’hf’n werden kann – wie im Falle von Gerichtsprotokollen
o QnC’liPn von f’inPr vielschirhtigf’n und hE’i jf’dPm Text von neuem festznlrgrnd<‚
n Intf’ntionalität anszngehrn. Von wesentlidwr Bedent.ung ist hei
d0r alltilp;sppschichtlichf’n Auswertnng hagiographisrher Quellen aurh die
ßf’riicksirbtnng C’itwr eingehPnden m0diävistischen Quellenkritik. ohne die
sic-h IntentionC’ll d0r Qn0lk gar nicht ff’st.legC’Il lassen·5.
QUELLEN
Als hagiographischr Qnelkn bezeichnet. man im allgemeinen jene Tf’xte,
dir zm Fiirdrrung. Verhr0itnng uurl Propagif’nmg des Kultes von Heiligen
mtstandC’Il. \\“iC‘ drr H0ilig<>nkult. an sich sinrl auch hagiographischC‘ Quellen
0hrnso alt \YiC‘ das Christf’nt.nm seihst .. Dabri ist als Frühform – neben der
Dihrl ·vor allrm anf dir friihchristlidH‘ Apokr:vphenlit.f’ratnr zu verweisf’n6.
Drn Dc·griff d0s HC’iligrn möchte ich in diesem Zusammenhang ausdrücklich
ni<„ht von ein· tatsächlich 0rfolgten päpstlichen Kanonisation abhängig
madH’IL Das päpstliche. ah 123-l kanouisch v<.>rankerte Vorrecht
7.1\(km fiir 1ms<.>r<> Fragpstellung nm von unterg<.>ordneter Bedeutung: Für
“
Zn dC’n Intention<‚U alltagsgeschicht.lichPr QuPilen sowie zum Postulat einer eingehenden
Qndl!’nkritik s. GOETZ. Gt-schichte des mittelaltt-rlichen Alltags, S. 87. Zur Quellenkritik.
insh<’s. zur FragP dPr Mannskriptiiberlicfernng s. M. HEINZELMA)I;’I! (ed.),
!\1anuscrits hagiop;raphiqut-s et travail des hagiographes (Beihefte der Francia, Bd. 24),
Sigmarington 1992.
ü Ein Eing!’h!’n auf cliP zahlreirht-n vor· und außerchristlicht-n Vorgänger und Paralle!
Pn – in df’u ;mtik!’n RP!igiont-n. im Hinduismus. im Islam – erübrigt sich in diesem
Z11Salttlll!‘!tl1ang.
1 1
di<‚ .-\lltas<‚S(‚hichtf‘ sind T<‚xte w nicht päpstlich kanonisierten Heiligen smmhl vor als anch nach 12.3-f von 0henso großem l nteresse7 . Im HiHl•lick anf ihn· alltagsgeschichtliche Vt>rwendbarkeit bestelwn bei
dt>11 hagioraphisch<’n Qndkn ht>ckutendf‘ Difff’renzen. Dabei lassC’n sich
– n<‚lwn ckr I3<‚riicksichtigung der üblichen mf’diävistischen Quellf’nkritik –
folg<’n — Z<•itpu11kt und Ort drr Entstehnng hzw. Kompilation; — ZC’itlidH’r Ahstaucl zmn lwschriebenen Vorgang; – geo�-?:raphischer Abstand (des Ahfassungsortt>s) zum Handlungsort;
Einschiitwng nnd Hintf’rgnmd .;<‚l><‚r nnd I3rnutzf’r tlf’s T!:’xt.es;
explizit<‚ nnd implizite Funktionen des Textes zum Zeitpunkt seiner
Ahfassnng;. „·ie z. B. litnrgischf’r Gehrauch im Kloster bzw. beim \Veltkkrus.
L<’slmg. privat<> Andacht;
– Stclhmg im Rahmeu eines 1\:anonisatiousprozesses, d. h. Stadium des
Proz<>ss<>s zmn Zt>itpnnkt der Tf’xtentstehun g;
– Ansmaß der h<‚wußten nnd unh0wußtf’n Vf’rwendung von Vorlagen:
– Ansmaß nnd Art df’r Kürzung sowi<> Stilisierung;
— sozialf’s nu Di<’sf‘ List<‚ ist als idC’altypisch ammsehen. BC’i viekn Texten wird sich ein
Großtf’il g<>strllt wPnlf’n.
Ein wichtiger Gesichtspunkt ist zudem die Art der alltagsgeschichtlichm
Aussag(‚!} . die man Prhalten möchte. Dabei lassE:>n sich zwei Hauptmöp;lichk<‚
itf’u postuli!:’ren :
– koukrf’t<‚ Informationen zu beschriebenen Verhaltensweisen aufgrund 7 GrnudiP)!;f’nd 7.n Heilip;enknlt und Kanonisat.ion A. VAUCHEZ, La saintete en Occident aux df!rniers sii-cks du moven ä.ge d’aprf.s !es proces de canonisation et !es documents hap;iographiques (Bihliothf>qne des Ecoles franc;aises d’Athenes et de Rome. t. 241), Rom
1!)88. Zur Entwicklunp; des Kanonisationsverfahrens s. zudem E.·w. KEMP. Canonization
an The id<‚al of saiuthood in t.he thirt.eenth centnr:v (Monographien zur Geschichte des Mittf’laltf’rs
25). Stntt?;art 1!)82. inslws. S. 21-47: B. SCHI1:YIELPFENNIG, Heilige Päpste
– päpstlida• Kauouisationspolitik. in: .J. PETETISOH (C’d.). Politik und Heiligenverehrnng,
S. 73·100.
12
f’iuf’r sNil’lkn Anab’sf‘ f’inf’r größeren Anzahl von ähnlichen Quellen,
odPr
– Anssagf’n iiher normative Vorstf’llungen des erwünschten bzw. venutf’iltf’n
\'<>rhalt<>ns.
Im l<>tzt<‚rf’H Falk läßt sich ein wesf’ut lieh wf’iteres Sp<‚ktrum hagiographischf’r
Qnrlkn Yf’l’W<‚lldf’n. die dalwi jNiorh mit besonderer Vorsicht zu intrrpreti<‚
r<‚u sind.
D1·i Deriirksichtignng dif’s<‚r Krit<>ricn möcht<> ich folgende Einteilung
df’s znHf’lmwnclf’n alltag;sgf’schichtlichen W<‚rtt?s hagiographischer Quellen
postnli<‚rf’u:�<
1.
·- \’itrn. cli<‚ in sehr groß<‚m 1\f’itlichen Abstand zur beschri<>benen
Handlung Vf’rfaßt, ahgesrhri<‚hen odt>r zusammengestellt wurden,
wif‘ z. D. di<> ans df’m Hodunittdalter stammenden Viten und Passionf’n
frühchristlicher l\1ärt:vrer nnd Glaubensz<‚ugen. Indirekt
lassf’n sil’h natürlich auch dif’se fiir dif‘ Alltagsgeschichte Vf’rwenrkn.
da sif‘ nonnativr V<‚rhnltf’nswf’is<‚u wied<‚rgehen. die zum Zt>itpnnkt
df’r A hfa.c;;sungszf’i t f’rwiinscht ( hzw. nicht erwünscht) wareJL
T<‚ilr friih<‚r<‚r Schild<’nmgen konnten auch abgeändert bzw.
fd!lrHck Tf’ile t?rsf’t/\t W<’nkn;
:\lartTologi<’n und Leg<’ndare. di<‚ in den meisten Fällen Zusamm<‚
nstdlnngen nnd Kiirznngen von Viten aus sehr nnterschif’dlichf’n
Zf’itperiod<’n darstt>ll<’n; – Zf’itpuössische Viten, die t>indeutig in enger !.\Tachahmnng frühen•r
:\loddlf‘ – wiE‘ z. B. der Antoniusvita oder der Martinsvit.a des
Snlpicins S<‚v<>rns – verfaßt wurden;
– wesrntlil’h n•1ügif’rte hagiographische Texte, die Teile der Liturgi<‚
hil<IC’tf’n (Hymnen, Lieder. Lectionarien u. ä.) und aus dies<‚ m Grnncle stark verfremdet bzw. angepaßt wurden: Reimform, VC’rkiir7.11ng. Danmtt>r fallen auch TE’xt.zusammenst.ellungen wie
Ex<‚mplasammlungen, die als Predigthilff’n dienten;
1:‘ Zn v<>rsrhi<‚ciPIH’n Artt>u hagiographischer Quclkn s. G. PHILIPPART , Les lcgendi<>
rs latins l’t autr<>s maunscrit.s hagio,e;raphiqnes (Typologie des sources du Moyen Age
orrirlPntal. i. 24· 25 ). Turnhont 19i9, 1985; !\’1. HEINZELMANN. Translationsberichte
nncl andcr<‚ Qn<‚llf’u dPs H<>iligenknltPS (T·pologiE‘ dE>s sourcE’s du l\1oyen Age occidental,
r. 33). Turnhont 1979.
13
2.
3.
Translationslwrichte. d. h. clif‘ Dericht.e zu den im1entiones, elevati011f’S
nnd tm11slntiones reliquiar-um als Darstrllungen einzigart.igrr.
anfkrgf’wöhulidH•r Vorgänge. Dei S<‚rieller Untersuchung lasS<‚
n sich daraus jf’doch ebf’nfalls alltagsgeschichtliche Erkenntnisse
zirhrn.
GPra<l<• h<‚i di<•sm – m. E. dE’n geringstl:’n alltagsgeschichtlichen \Vert
anfwPis<‚lllkn Kat.c•goriPn hagiographisrher Quellen ist jE’doch auf den
antononH’ll :’\ntzf’n ckr (rlwrlief<•nmgsarten und -stufen zu verweisen.
Die Art <ll’r tlwrli<‚f<’nmg oder vielmehr der Veränderung eines Text<‚
s iilwr .T ahrhnnclf’rtP hinweg kann – bei Vorliegen einer chronologisch
<kck<’n Ikl<·,· Zc•itpnnkt V<‚riiud<‚rt. in W<‚lch<‚m Sinne, aus welchen Gründen? Das
traclitimwlk P zn – H<•ili!!;Pll\“itPn d<>s Friih- his Spätmi tt<‚laltrrs, die nicht im Hinblick
auf Kanonisationsproz<’sse mtst.anden.
– hoch- nn in ·uita. di<‚ im Hinblick anf Kanonisationsprozesse entstanden und
durrh Pilwn FragPnkatalog sowie Zengenverhöre abgesichert wur<
kn: HiPr fincku sich vor allem alltagsgeschichtliche Informatio-
11<’11 znr Funktion des H<„ilig<>n in der Gemeinschaft sowie zu den
ß<•<liirfnissm, dil‘ an ihn herang<‚tragen wurden. Die Vitentexte liq>;<>n oft in versrhif•df’nm R<‚daktionen vor, deren vergleichende
!) Als Ansclrnck C’iner Umkehmng des Erkenntnisinteresses s. den von M. HEINZEL
IA)I C’di<‚rt<’n Dand :‘-.1anuscrits hagiographiques (s. Anm. 5 ) , darin insbes. id., Manusnits
ha)!;io)!;raphiqnes f’t travail dPs hagiographes: l’exemple de Ia tradition manuscrite
dC’s \’iPs anciPnnes d<‚ sainte Gf’nevieve de Paris, S. 9-16 sowie G. PHILIPPART, Le
manuscrit ha)!;iographi(j\le Jatin comme gisPment document aire, ?:ur Frage der Textmetamorphosp
insbPs. S. JJ-·36. ebenso im gleichen Band F. DOLBEAU, Les hagiographes
au travail: co!kctc et t.raitemPnt des documents ecrits (IXe-XIIe siecles) , S. 49-76. Es
gdtt jC’doch stf’ts mu dif‘- zweifdlos notwewlige- Untersuchung textueller, semantischer
odf’r grammatikalisdt<‚r Vf’rändf’rnngen und Zwisclwnstufen. Die alltagsgeschichtlich relc\“
antf‘ Cntf’t·surhung inhaltlicher VerändPrnngen und Anpassungen bleibt weiterhin ein
Wf’sf’ntlichf’s Df’sid<>ratnm dc>r Forschung.
14
4.
Cnt!’l’Sndnmg von alltagsp;rsdlirhtlidwm Interesse sein kann. In
dif’s<‚m Znsamm<’nhang ist anch hish0r noch kaum beriicksichtigtm Qn<‚llenwert der Zeugenanssagen
zu Yf’rwPisen: di<>se liefern oft znsätzliche und sich widerstreiten<
k lnformatimwn. die im Fragenkatalog gar nicht aufscheinen.
Ein<‚ getrPnnte Untersndmng von Inhalt und Charakteristik der
Z<‚H)!;f’Uaussagen t•iner größeren Zahl bzw. einer Gmppe von HeiligruYiten
st.0llt ein Desideratum dar.
Smmuhmgen postimmer ?1’1irakrl des gesamten Mittelalters. Ber<‚
its in n friihmitt.elalt0rlidwn Sammlungen, die vorwiegend
ßittpilg!•rfahrten nnd l\·1irakd bei d<:>n Reliquien referieren, finden
sich. wie l)(‚i Grrgor von Tonrs. ein<‚ Vielzahl alltagsgeschichtlicher
Information<’n10 . Di<> im Hoch- und vor alkm im Spätmittelalter
zn lwoharht<‚ud<> Verschi<:>hung von den Dittpilgt>rfahrten mit Reliquienmirakeln
zu dm Distanzrnirakdn mit anschlit>ßrnden Dankpilgf’rfahrten
ging mit <‚Ülf’r ,.,,.es0ntlidwn Ausweitung dt>r Alltagsberf’iche
einhPr. di<:> vom Glaulwn an die \Vunderkraft d<’s Heiligen
lwstimmt waren. Das Aktionsfeld ·’fies posthumen Heiligen“ weitete
sich sowohl geographisch als auch thematisch aus: 1\.firakel
konntPn auch w<:>itah von den Reliquien erfolgen und b<:>trafen Der<‚
irh<‚ d(•s Alltags. di0 in friilwrrn .\1irakelsammlnngen nicht aufscheinf’n11
. Anrh bei diespr, alltagsgPschichtlich gut auswertbaren
Kat<>gorie der hagiographischen Quellen sind jedoch neben den
10 Zn df’ß !\1artinsmirak<‚ln s. L. PIETRI. La vilk de Tonrs du IVe au Vle siede: naissanr!‘ d’une citf> rhrc\tienne (Collection de J’Ecole Fran<;aise de Rome. t. 69), Rome 1983; !\1. HEI:’\ZEL:-.1A!\‘;>/. Une source de base de Ia Iitterature hagiographique latine: Je recu!‘
il d!‘ miracles, in: Hagiographie, Cultnres et Societes. IVe-XIIe siecles. Actes du Colloqn!‘
organisc\ it Nant.!’rre et. a Paris (2-5 mai 1979). Paris 1981: M. ROUCHE, Miracles,
maladi!’s !’t ps·chologie de Ia foi a l’epoque carolingienne en France, in: Hagiographie.
Cultur!’s et Socic\tc\s. S. 319-335. Eigmtliche primär alltagsgeschichtlich ausgerichtete
Vnt!’rsuchun!!;en friihmittelalterlichPr posthumer Mirakelsammlungen liegen jedoch bish!‘
r nicht vor.
11 Znr alltags!!;PSchichtlichen Auswertung von Mirak!’lsammlungen des 12.-15. Jahrhun!
krts sowi<‚ znr Vf’rsdli!’lmng von d<’n R<‚liquien- zu den Distanzmirakeln cf. Ch. KRÖTZL. PilgPr. !\Iirakd und Alltag. Formen rlc.>s Verhaltens im skandinavischen Mitt<‚
lalt(‚l‘ (SociNas Historica Finlandia.e, St.udia Historica 46). Tampen‘ 1994.
15
oft lUitPrsdlil.’dlich<’n Rrdaktioncn auch die Art und der Kontext
o dar: f’Ülf‘ strf’ng<‚. auf den erf’ignisgeschichtlichen Nutzen ausgf’richtf’tf‘
Quf’llenkritik hat in vif’kn Fällen dazu geführt, daß die
Edi tor<’n V<’nnrint lieh „wf’rt losf'“ l\1irakelsammlungf’n wf’ggdassen
odrr p;d-:ürzt hahen12.
:..Iirakdsannuhmp;<‚tl. di<‚ vom 12. Jahrlmndf’rt an im Hinblick auf Kanonisationsv<‚
rfahr<‚ll <‚Utstandf’n und dnrch ausgPddmte Zeugenverhöre abgesidlf’rt
wunkn. lassf’n sich als alltags- und sozialgeschichtliche Quellen in
,·i<•lf’r Hinsicht mit Inqnisitionsprot.okolkn13 oder mit den englischen Corouars
rolls14 vPrp;kicheu.
ZUR FORSCHU:-,rGSLAGE
.-\lltagsg<•sdticht lieh ausgf’richt.ete Unt.ersudmng<’n hagiographischer Quell<‚
n liPg<’n hish<‚r <‚rst in gf’ringPm Ansmaße vor. Viele der neuerf’n Forsdnmg<‚
n zn alltagsgf’sdlichtlich r<‚l<>vatltf‘ Bdundf‘ an. selbst wenn die Arbeit in ihrer
Zids<‚tzung nicht am Alltag interessil“rt ist. Dies betrifft übergreifende Darstdlnngf’n
’• odf’r Vntf’rsndmngf’n zur Stellung der Heiligen in Gerneinschaft
nud Gl“sdlschaft 16.
12 Zur V.1eglassnng dner allt.agsgeschichtlic-h ergiebigen Mirakelsammlung (Vitalis, Salzburg.
12. Jh.) dnrch \Y. Wattenbach s. A. WE:‘-1Z-HAUBFLEISCH, Die älteste Überlieferung
der !\Iirakel d<>s hl. Vitalis im Cod. 339 der Österreichischen Nationalbibliothek
in ·wiE>n, in: l\1itteilungen der Gesellschaft für Salzbur)!;er Landeskunde 134 (1994), S.
16i 1i2.
13 Als wohl h<„kauntestps Deispiel die Answertung der Inquisitionsprotokolle des Bischofs \“Oll Pami!’rs . .J acqtH’S Fonrnier, dnrch E. LE ROY LADUIUE, Montaillou, village occitan d(‚ 1294 a 1324. Paris 1975. 14 t:ntersucht von B. HANAWALT, The ties that honnd: peasant families in Medieval Englaud. Laudon 1986. 15 So diE> )!;l“tlllCll(‚gf‘!ld<‚ Arbeit von F. GRAUS zum Friihmittelalter, Volk, Herrscher und
H(‚iliger im R(‚ich der Merowinger. Studien zur Hagiographie der Merowingerzeit, Prag
1965.
16 P. DELOOZ. Sociologif‘ et canouisations. Liege 1969: D. WEINSTEIN & R. BELL,
Saints and SociN·. Thr Two \Yorlds of Western Christ!’ndom, 1000-1700, Chicago 1987;
16
ßpj t!f’n alltnp;sgf’schichtlich S<‚hr Prgi<‚higen l\.firakelsammlung<’n hat.
<Ii<‚ in igk<>it Zll C’ÜlC’r nf’ihf‘ von lokalen. regional<‚Il und iihPrgrcifenden Untrrsndmnp;Pn
mit nnterschi<‚dlichen Ziels<>tzungen geführt. Neben Arbeitf’n
zn knltnrC’l!C’n. mf’thoclischen und tht-or<>tischen Aspekten der Auswertnng
1 1 sind anch nmfnssPncl<>rt> Untt>rsndmngen zu den Protagonisten der
AulagP Yon lirakPlsammlnngen sowi<> zu ihrf’n Funktionen in d<‚r lokalf’n
hzw. rPgiouaku G<’sf’llsrhaft erschiPnen bzw. im Druck18. Bewußt alltagsg<‚ schichtlirh ansp;f’richtf’te Arbeiten zn 1irakdquellen liegen bisher nur ‚wuip;P Yor 1!>. Von groß<‚m lntPressP sind anch Untersuchungen. bei denen Iirakdsammlnnp;Pn diP hanptsärhlicht> hzw. eint> wichtig<‚ Quelle darstellPn.
DalH’i könuPn Arl)(‚itC’n znm Francnalltag20 oder zu Schlaf, Tranm und
T. HEAD. H<,c;iop;rllph· aud th<‚ Cult of Saints. Th<‚ Diocese of Orleans. 800-1200,
C’amhri<i.c;<‚ 1990.
1 1 D. \\’ATID. liradrs aud th<‚ MN\i(‚val Mine!: Theor:v. Tlecord and Event 1000-1215,
London 1982: D. SCHUH. „\’on vilen und manrlwrl!•:v selt.zamen Wunderzaichen“: die
.l.nal·s<‚ \·on }.lirak!’lhiidwrn und \’\’allfahrtsquell�>n (1ax-Planck-Institut für Geschichte,
Halh?,raul‘ R<‚ilw zur Historischen Fachinformatik. S<‚rie A. Dd. 4 ). Göttingen 1989.
II< A.b rinp;dl<‚U<l<‚ l’mrrsuchung von Hf’iliv,<’nkult und Entstehungskontext d!i’r Mirakrbanuulungrn
t’Üli’S f’in7.1i’lnen Bistums s. A. FRÖ.JMARK. ‚\1irakler och helgonkult.
Liuköpiup;s hiskopsdöme nnd<‚r senmed<‚lr iclt’n (St udi<1 Historica Upsaliensia I Tl). Uppsal<
l 1992. als nmf<ISf’lHie Arbeit zu den Funktionen von städtischen Madenmirakeln
s. G. SJG:’\Ofl l. 1aria zwisdtPn Kathedrale. Kloster und Welt, Sigmaringen (vorauss. )
199.J.
J !) ;\‘. OHLER. Alltag im Iarburger Raum zur Zeit der heiligen Elisabeth, in: AKG
Gi ( 1985). 1 .JO: Tl. FI;\t.:CANE, Pilgrimage in Daily Life. Aspects of medieval commnnication
r<‚flPctM in the newl:v-established cult of Thomas Cantilupe ( d. 1282), its
clisc•miuation aud df<‚ct npon outl·ing H<‚refordshirE‘ villagers. in: Wallfahrt und Alltag
in :\1ittdait<‚r UJI(\ Friih<‚r Nt’H:>:eit, S. 165-217; C. J..:TIÖTZL, Pilger, Mirakel und Alltag
(\·p;l. Anm. 1 1 ) .
:.!0 C. OPITZ. Frllnf’nalltag im MittelaltPr. Diographien des 13. und 14. Jahrhunderts
(Er.c;<‚hniss<‚ d<‚r FraH<’nforschung, Bd. 5), Weinheim – BasE’l 1987. Eine auf Mirakelh<‚
ridltPn basif’rt’IHI<‚ Untersuchung der weiblichen Mobilität: G . SIGNOR I, Ländliche
Zwäng<‚ – städtisch<‚ Fr<‚ih!’it.f’ll? Weiblich<‚ Mohilität und Geselligkeit im Spiegel spätmitt<‚
laltf’rlichrr larif’nwallfahrt.E’n. in: FrauPn Hnd ÖffE’ntlichkeit. Beiträge der 6. SchweiZ<‚
risdH·n Historikc•rillllt’llta.e,,mF;. Ziirich 1991. S. 29- 6 1 .
1 7
damit Y<•rhtm<ktH’Il psychologischen AspPkten un Mittelalter21 angeführt „‚(‚l’df‘!l. Anch di0 loka!Pn nnd rPgionakn Vnt�>rsndmngen einzelner SammlungPn
ans England nnd FraukrPich22. Drntschland23, Italien24, der Schweiz25,
2 1 :\I. Bt:TSC’H. Historische uncl psychologische Aspekte mittelalterlicher Mirakelberichtl‘.
in: Z<‚itschrift fiir Pamps·chologie nnd Grenzgebiete der Psychologie 27 ( 1 985),
S. 209 233: Eacl.. Zur Bf’clentung von Schlaf und Traum im Mittelalter ( Medium Aevum
Qnoticliaumu. Sondf’rhand I). Krems 1990.
:!:! P. -A. SIG.\L. Lf’s mintdes de saint Gibricn a Reims. in: AESC 24 {1969), S. 1522-
1539: D. GO:\’THIEfl & C. LE DAS, Analyse socio-economique de quelques recueils de
miradf’s claus Ia onnandie du XIe au XIIe siede, in: Annales de Normandie 24 ( 1 974),
S. 3 36: R. FOfl EVILLE. Lf’s ‚Miracula S. Thomae Cantuariensis‘, in: Actes du 97e
Congri-s !'(arional clf’s SociPtt\s Savantes. Nantes 1972. Section de philologie et d’histoire
jnsqu’a 1610. Paris 1979. S. 443-468; Ead .. La diffusion du culte de Thomas Becket dans
la Francf‘ elf‘ ronest avant Ia fin dn XIIe sicdP. in: Cahi<‚rS de civilisation medievale
XIX ( 1976 ). S. 347- 369: G. SIGNORI, Hagiographie, Architektur und Pilgerwesen im
Spannnngsff’ld städtischen LPgit.imations- und Integrationsstrebens. Gottfried von Ensmingf’ns
St.raßlmrr;er Wunderbuch der ‚heiligen Maria‘ ( 1290). in: ZfHF 17 ( 1990), S.
2.57· 279.
23 Als Yolkskuudliche Vuteisnchung D. HARMEING. Fränkische Mirakelbücher. Quellen
nncl t:utersndmnr;en zur histoiischen \’olkskunde und Geschichte der Volksfrömmigkc•
it. in: WiiizhnrgPr Diözesan-Geschichtshlätter 27 (1965). S. 25-240: N. OHLER, Zuflucht
der Armen. Zn den Mirakeln des Heiligen Anno, in: Rheinische Vierteljahresblätter
48 ( 1984). s. 1 ·33.
24 A. \’VOLO. Una testimonia.nza agiografica na.poletana: il ‚Libellus miraculorum s.
Agn<‚lli‘ (sec. X ) ( Pnbblicazioni d(‚ll’Universita degli Studi di Salerno, Sezione di studi
storici. vol. 4). Napoli Roma 1987; Id., I ‚Libelli miraculorum‘ tra religiosita e politica
(!\’apoli. serc IX-XII). Napoli 1990.
2″ G. SIGNORI, G<‚walt und Frömmigkeit. Die Waadtländer Landschaft im Spi(‚gel Conon
von Estava:vers ’und(‚rbiicher “Unserer Lieben Frau von Lausanne“ ( 1 232-1242).
Ein Deit.rag 7.nr sm:ialr;Pscllic:htlichen Erforschung hoch- und spätmittelalterlicher Mirakellitc’ratnr.
in: SZG 40 ( 1 990). S. 127-152; Ead., Bauern, Wallfahrt und Familie:
Famili<’nl)(‚wußtsf’Ül und familiäre Verantwortungsbereitschaft im Spiegel der spätmitt.
dalterlichen ’nnd(‚I·hiicher „Unserer Lieben Frau im Gatter im Münster von Sankt
Gallrn“ ( 1479 1-t85 ), in: Zeitschrift für Schweizerische Kirchengeschicl1te 86 ( 1992), S.
1 2 1 158.
18
<1<’11 :\’i<‚<krland(•u26. Skandinavif’1121 sowif‘ aus anderen T<.’ilen Europas biet<‚
u. seihst \\'<‚llll sif‘ nicht alltagsgrsdlichtlich ansgl’richtet sind. vielfältigr
AnfschliissP. ehf’nso wif‘ diP hisher vorli<>grnden regionalen. übergreifenden
Arl)(‚it<’n:!�<.
ßri dirsen L’ntPrsuchungPn ist jf’doch Prst Pin g<‚ringer Teil der edierten
nml unrdi<‚rtrn :\Iirakdsammlungen des enropiischen Mittelalters verwendPt
word<’11. Trot z der intPnsiven ForsdmngstätigkPit der letzten Jahre sind
noch k0inP s’stematischen I\:ritf’rim odf’r Ansatzpnnkt.e zur Analyse und Interpretation
,·on \lirakdbPrichtf’n als historisclH‘ Qnf’llengat tung erarbf’itf’t
WOrlkll.
fORSCHl’XGSBEREICHE
„·dches sind 111111 Tlwm<’n der Alltagsg<•schichte, die sich mit Hilfe hagiop;raphisdH’r
QndlPn n11t.f’rsnchf’n lassen?
OluH‘ Ansprnch auf Vollständigkeit möchte ich dabei folgende Bereiche
ski zzif’r<’n: 1. Alltaskhc>u dn Hciligr11 srlbst . .
Di<‚ CntPrsnclnmp; von Alltagsld)(’n n11d LPhmszyklus df’r Heiligen ersch<‚
int auf sich dnrch llie seridk A11al·se Pinf’r {!;f’wissm Anzahl von Heiligenviten
lösm li1ßt . Dal)(‚i stdlt sich jedoch dif‘ gnmdsätzliche Frage. in weldt<‚
m :\Iafk <l<‚r kl)(’nde. herf’it.s als Hciligf’r angf’sf’henf‘ !\lensd1 – als
anß<‚ronkntliclw. i<kalisif’rte A11snahmf’fignr – ülwrhaupt. Ohj<.’kt der
Alltagsp;rsC’hiC ‚hte srin kann. \’\’iP alltäglich war die Fignr df’s „lebenden
H(•ilig(‚Jl .. z. ß. in f’ÜH’r italif’nisdtr11 Stadt cl<>s 13. oder 14. Jh.? Oder
:!G P . .J . A. NISSE;\. Nil’d<‚rliiudisrhe Mirak<‚lhiichl’r aus dem Spätmittelalter. insbesondl’rl‘ da.‘> Arnhl’imt>r :–Iirakl’lhurh dt>s heiligt>n Eus<>bius. als Quelle für den Volksglauben,
in: P. DI:’\ZELDACHER & D.R. BAUER (edd.), Volksreligion im hohen und spät.en
:\litt<‚ialt<‚r. S. 275-305.
2 1 E. ÖSTERDEflG. :\Iiinniskor och mirakler i m€’deltid€’ns Sverige, in: Studier i äldre
historia tillii�?;nad<‚ H . SCH’C’CI\. Stockhohn 1985. S. 141-157. S. zudem A. FRÖJl\1ARK
(Yp;l. Anm. 1 7 ) sowi<‚ C. KflÖTZL (vgl. Anm. 1 1 ) .
2�-‚ n . Fl:\ L‘ C A:\’E. Mirades and Pilp;rims. Popular beliefs i n Medieval England. London:–
Jdhounw· Toronto 1977; C. RENDTEL. Hochmittelalterliche Mirakelberichte als Quelle
znr Sozial- uncl l\kntalitätsgPschirht.e unct zur Geschieht!‘ der Hl’iligenverC’hrung. Diss.
phil. FC DPrlin 1982. Diissdclorf 1985: P.-A. SIGAL. L’honune et le miracle dans Ia
Franc!‘ m<‚dih·al<‚. Paris 1985; C. 1\RÖTZL, Pilg<‚r. :\’Iirakd und Alltag (s. Anm. 1 1 ) .
1 9
im Friih- nud HodunittdaltC’r? Otkr auf <‚ll<‚r<’n ockr wC’itPrC’n Erfahmngshercich einiger bzw. einer Mehrheit
allC’r :‘.I<’nschrn? „‚ie stark wnrdP die Vita als Text mit idealisierender,
uormatiw•r nud piidagogisdwr Zidsetzung vPrfremdf’t? „Der Alltag df’s
H<‚ili<’n·· liißt sich kanm nnt.PrslKhen nncl bleibt selbst bei seridlcr Bearlwitnng
<‚in<‚r groß<’n Anzahl von Viten eine weitgehend ahistorische
Fiktion. da die‘ Schicksal<‚ und Darstellungen zu unterschiedlich und zu
sehr iilt0ren Topoi vf’rhaftPt sind29. Falls das Leben des Heiligm (laut
ckr Vita) nicht von Anfang an auf die Hf’iligwerdung und Kanonisation
ansp;<‚ridltet war. wird df’r ’normale‘ erste Teil des Lebens in der Schilckrnu
m0ist nnr gestr0ift. so daß alltagsgeschichtlichP Rückschlüsse
kaum mii{:!;lich sind. 1-indlwit nnd Jugend von zukünftigen Heiligen
W<‚r hiinfig lwtontPs ernstes, erwarhsenes Verhalten bereits vom frühen
Alter an: Das Kind spielte nicht mit anderen lindern, betete, ging
hänfig in die E:irchP;
– ask<‚tischC’s VNhaltC’n von Kindt>rn nnd Jugendlichen: Enthaltsamkeit
hei Speis<>n. Selhstkast<‚inng. Tragen von groben Kleidern,
Wachm. sexuf’ll<‚ Abstinenz berPits vom frühen Alter an. insbes.
b<‚i :\ Iiiddt<’n.
Diese oft klisdt<‚PartigP Schildt•nmg PröffnC’t jedoch die Möglichkeit einer
·Kontrastanalrse‘, d. h. d<‚r Untersuchung der in den Viten beschrid><•
nen V<‚rhaltensweisen als atypischPs, nicht alltägliches Muster,
„·oraus sich „·iedPrmn RiickschlüssP auf das Alltagsverhalten ziehen
lassC’n. z. B. Spiekn und AhlPlumng von Askese als ’normales‘ Verhalt<‚
n. im GPp;ensatz zum abweichenden normwidrigen Verhalten der
zukiiuftip;m H<‚ilig<’n.
Neb0n ErkenntnissP zur Gemeinschaft ziehen, in wekher die
Heilig<’n wirktf’n. \Vie hereit.s bei den syrischen Styliten beschrieben,
war dif‘ ab h<‚ilig angPsPhPnf‘ PPrson Anlaufstelle für Alltagsbedürfnisse 2!J Zm irlf’altypischen Rekonstruktion von L{‚benslänfen heiliger Frauen und Männcr s. D. \\“El)ISTEI:\ & R . DELL. Saints and SociE>ty. The Two Worlds of Medieval Christendom,
1000 – 1700. Chira)!;o 1987.
20
ckr vrrschirdmst<>n Art: Hrilung von I\rankheit .. Ratschläge der verschircknstrn
Art. spirituelle Stiirkung30 .
2. Dir Art itrn‘ I\rC’iS<‚ zirlwnde. biblisch kaum abgestützte Schilderung Annas,
ihrPr Eh<‚miimwr und ihrer gesamten Sippschaft kann als Ausdruck
eiiH’s \Yandf’ls in df’r Einstellung zu l\futterschaft und zur Rol!P der
Fnm im allg<‚lll<‚in<’n intPrpretiPrt werden3 1 .
3. Alltap;swrhal t<’n in Iirakrlsarnmlnngen.
Di<‚ Sauuuhmr;<’n posthumrr nnd andf’rer. z. D. der Mariamirakel – die von
n cks ;\littrlaltf’rs. in denen untere soziale Schichten ( Bauern,
stiidtisc·hp Cntrrsrhichtrn). FrauPn. Kineier und Jugendliche in stärkerem
Ausmaß<‚ V<‚rtret<’n sind.
ß<‚r<‚irhc• cks Alltap;slrb<’ns, dir sich mit. dif’sen Quellen unt.ersuchen
lass(’n. sind unt<‚r andPn·m:
– da.s Pilp;c•rwf’srn. d. h. vor alkm iu seiner lokalen und rrgionalen
A nsrst alt ung: Verhaltrnsweisrn. Funktionen, typologische Ent.wicklung:
11:
drr H<‚ilip;f’nkult , d. h. inshesond<>re die Stellung des verstorbenen
Hrilig<’n im Alltagslcben: Pilgerfahrt bzw. Anrufung, Votum
nnd ( <‚rwiiitscht<’s) l\firakd als ständig präsente. bei Bedarf abntfl>a
rC‘ :\Inst<‚r d<’s AlltagsV<‚rhaltf’ns. Dalwi stellt sich auch die
lwdeutnngsvolk Frage der Gr<’nze zwischen real und irreal für den
mittrlaltrrlichf’n Mens•hen: Wie sind Visionen und Schilderungen
rlrs konkrrt<>ll Auftr<>tf’ns von Hriligen und Dämonen zu bewerten?
30 Als B<‚ispi<‚l fiir das vVirkt>n und die Funktionen drE>ier als heilig angesehener Frauen
im ßom dt>s ausp;t>hendcn 14. Jahrhunderts s. A. ESCH. Tre saute ed il loro amhiente
sociale a Roma: S. Franct>sca, S. Brip;icia di Svezia <‚ S. Caterina di Siena, in: D. MAFFEI
& P. !\ARDI ( <‚<!.). Atti df’l Simposio internazionalf‘ Cateriniano-Bernardino, Siena 17-20
April<‚ 1()80. Si<>na 1!)82.
31 \’gl. clit> UntPrsudmngE’n von T. BRANDE!\BERG zum Anna-Kult in Flandern.
:12 S . dazu C. 1\TIÖTZL. Pilp;<‚r, l\1irakel nnd Alltag {s. Amn. 1 1 ).
2 1
Di<‚ \rPlt d<‚r \’orst<·lhlll!!;(‚ll ist (•lwufalls von alltagsgt>schichtlicher
TIPIPnmz:
h:ommnnikation nud 1achtstruktnrl?n in Gemeinschaft und Gesdlschnft:
GPwalt nnwt>nduug:33. GPfangenenhefreiungen, feudale
\ ‚Prpftich t llllp;en:
L<‚h<’nsz·klns: GPlmrt. KiiHllH’it. Jugend34 , Familienrollen und
-strnktnrc•u. St0llnng c.kr Frau. Krankheiten, iobilität, Notlagen
V<‚l’S(‚hi<‚<l<>nster Art. SterhPn und Tod35 .
FAZIT
F<’stzustdku ist f’irH‘ lwi sorgfiiltiger Analyse sehr große alltagsgeschichtlichr
.-\ussa)!;Pkraft ckr hagiographischen Quellen. Diese sollten jedoch nicht
als .. St<‚inhriidH•
.. fiir pittorC’skP DPtails zum Alltag ausgeschöpft. sondern
sYstrumtisch und untn ßPriicksichtignng des jeweiligen Kontextes analysi<‚
rt W<’nkn. Es steht zu hoffPn. daß die Phase der eklektischen Anhäufung
von D0tails ohul‘ ß0riick::;ichtiguug des Kont.C’xtes in der alltagsgeschichtlidwu
Forsdnmg- und Darstdlung36 ohnehin als abgeschlossen betrachtet
\\·c·rdPu kann. l’m in rkr allta.gsgC’schichtlichen Forschung weiterzukommm.
miiss0u <J1H’ll<’nkritisch sorgfältig ahg0sichertt>, geographisch und zeitli(‚
h l)(‚p;r0nzt r l’ut0rsuchnngen mit. <‚int>r Quelkngattung bzw. mit. zusam-
3:3 C. 1\f! ÜTZL. ·Crtl(lf’liter afflkta‘. Zur Darstellung von Gf’walt und Grausamkeit in
mitt<‚laltc>rlidi“Il ::\1irakf’lhPrichten. in: Crudditas. The Politics of Cruelty in the Ancient
an<! ::\l<‚cli<‚Yal \\’orlcl. ProcePdings of thf‘ International Confprence, Turku. Ma:v 1991
( ::\ lrdinm A!’Ynm Quotidianum. Sonderhand 2 ) , Krems 1992, S. 121-138: G. SIGNORI,
G!’walt und Frönunip;keit (Ygl . Anm. 25).
:3-1 S. c\a;;o;n sowie zm \Vid<‚rlep;ung der ThPsen einPr fehlenden bzw. vernachlässigten
1\:indhrit im :\1itt!’laltPr C .. KRÖTZL. Parent-Child-Relations in Medieval Scandinavia
acconlinp; to l\1imclf‘ Colkctions, in: Scandinavian Journal of History 14 (1989), S. 2 1-37.
35 Zum letzter!’n s. C. I\f!ÖTZL, Evidentissima signa mortis. Zu Tod und Todesfeststelhmg
in mittdaltf’rlidl<‚ll Mirakelherichten, in: G. JAf!ITZ (ed.). Symbole des Allt ags – Alltag dc>r SYmbole. fpstschrift H. r..:ÜHNEL, Graz 1992. s. 76.5-775. Als bewußt
auf Thc>m<’n dc>s LehPns;;o;,·klns ( Frauen. Eh!‘. Kindheit, Fest ) ausgerichtete statistische
und inhaltlichr Anal·se der schwedischen Mirakelsammlungen s. J. MYRDAL & G.
DAAfi::“:HIEL::\1. 1-(vinnor, barn & fester i medeltida mirakelberättelser (Skrifter fran
Skarahorp;s länsmusf’nm nr. 10), Skara 1904.
3ß ßpanst and<‚t n.a. von H.-W. GOETZ. GPschicht!‘ d!’s mittelalterlichen Alltags. Theorie•
::\fetho(!Pn Dilam d<‚r Forschung (s. Anm. 4 ) .
22
llH’HhiiH!’Jt<l!’ll :\Iat<‚riali<‚ll vPrschi(‚dC’Jlf’r Art dnrchgeführt Wf’rden: materidk.
archiiologisdt<‚. ikoHographisdw. jmidisdtr. hagiographische Qndlm. 23 MED IUM AEVUM QUOTIDIANUM 31 KREMS 1994 HERAVSGEGEI3E YO GERHARD JARITZ GEDRCCKT 1IT 1:.::-\TERSTÜTZUNG DER KULTURABTEILUNG DES A:\1TES DER :\IEDERÖSTERREICHISCHE!’J LANDESREGIERUNG Titelgraphik Stt>phau J. Tramer
H<‚ransgt>bt>r: l\1edium Aevum Quot.idiannm. Gesellschaft zur Erforschung der materiellen
Knltnr des 1ittelalters. Körnermarkt 13, A-3500 Krems, Österreich. – Für den
Inhalt verantwortlich zeichnen die Autoren, ohne deren ausdrückliche Zustimmung jeglichf’r
Xachdrnck. auch in AusziigPn. nicht p;Pstattet ist. – Druck: I WiPdn<‚r Hanptstraßt> 8·-10. A-1050 Wien.
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
CHIUSTL-\:’\ KnÖTZL, Die Heiligen und ihrr Klienten. Zur
VPr\\·rrHinng hagiograpbischer Qudlen in der Alltagsge-
7
schichte c!Ps Iitt<‚lalt.ers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9
GERHARD .JARITZ, „Popular“ Medicine and t.he „Elites“ in
t hr Lat<‚ :\1iddl<‚ Ages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24
.JA:\ STE.TSKAL. Dr Lituania
ßomsu.v GRGI:’\. ThP lnventoriPs of ZagrPb Cathedral
A:-:Kl‘:’\DIGl“:’\GE:-<
5
45
59
71
Vorwort
Das Yorli<‚gf’udr H<‚ft vou Merli·um Ae·11um Q·uotidiamtm setzt zum t.’inen die
Pnhlikation von VorträgPn am International Medie11al Congress in Leeds mit
<l<‚lll ßcitrag von Christ.ian Erötzl fort.. Zun anderen kommt ein Referat
Miwl zum Ab }.fittrlaltrrprogramms an der Central Emopean University in Budapest.
:’\ahrzn kichzritig mit Medi·urn Ae·11urn Quotidianum 31 erscheint Son< krhand IV nnserer Reihe, dt>r sich mit dem Alltag von Lehrlingen in SachSf‘!
l vom 13. his znm 18 . .Jahrhundert anseinandersetzt. Sonderband V wird
<‚ine Arlwit von Frau Fl’l1se, einer Schülerin von Hans-\Verner Goetz, Hamhnrg.
hrinhaltf’n nnd sich d<•r Behandlung des Alltags in mittelalterlichen
Stadtchronik<‚u widmen.
VPrhawllungen hinsichtlich Sond<:>rhand VI und VII sind im Gange.
\Yir hoff(‚ll. Ihnf’n zu Beginn des .Jahres 1995 genaueres mitteilen zu können.
Hf’ft 32 „·in! im Fdm1ar 1995 znm ErsdJf’in<:>n gelangen.
\\’ir möcht<‚ll di<‚ Gekgrnheit wahnwhmen, unseren Mitglieder ein froh<‚
s \\'<‚iuachtsff’st sowi<‚ Erfolg und Ruhe für das Jahr 1995 zu wünschen.
Anß<’nkm mö(‚htf’ll wir si<:> nnwrlich h<>rzlich f’inladen, uns Beiträge für unS<‚
r<:> Pnblikationsorganf‘ zu Üh<‚rmitt<>ln. \\’ir werckn uns bemühen, diese
nach grgelwnen :.Iöglichk<‚it<’n rasch zu publizif’ren.
Gf’rhard J arit.z, Herausgeber
7