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Ein brennendes Thema:
Der Destillierhelmfund in der ehemaligen Badestube
von Zwettl-Niederösterreich)
und die Rolle der Destillation
im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit
Ronald Salzer
Einleitung
Im Jahr 1978 stieß Michael Wittmann im Rahmen von Umbauarbeiten im Keller
seines Hauses in der Babenbergergasse Nr. 6, einem schmalen Verbindungsgässchen
zwischen Landstraße und Promenadenweg, im Stadtkern von Zwettl –
Niederösterreich auf etliche Keramikscherben. Der Kellerraum, in dem diese
Relikte geborgen wurden, grenzt direkt an das Nachbarhaus Babenbergergasse
Nr. 4, das als altes Badehaus bekannt ist. Das Fundgut umfasste insgesamt 36
Fragmente frühneuzeitlicher irdener Gefäße, darunter auch einen fast vollständig
erhaltenen Destillierhelm aus Keramik. Nach einem Lokalaugenschein im Jahr
2004 wurde das Fundmaterial vom Verfasser am Institut für Ur- und Frühgeschichte
der Universität Wien wissenschaftlich bearbeitet. In diesem Artikel
werden die wichtigsten Erkenntnisse dieser Studie vorgestellt und der Destillierhelmfund
hinsichtlich der Entwicklungsgeschichte und Bedeutung der Destillation
im Mittelalter und der Frühen Neuzeit kontextualisiert.
Geschichte des Hauses Babenbergergasse Nr. 6
Die Babenbergergasse (vormals Badgasse) ist eine sich im wohl ältesten Stadtteil
von Zwettl befindende schmale Seitengasse, die von der Südwestseite des
großen Dreieckplatzes zu einer ehemaligen Pforte der Stadtmauer führt, die
1824 abgebrochen wurde.1 Als Standort für ein Badhaus, wo zumindest während
des Badebetriebs ein großer Wasserbedarf herrschte, war sie daher insofern
ideal, als sie einerseits nicht nur in der Nähe des Zwettl-Baches lag, sondern
auch durch ein Tor in der Stadtmauer direkt zu diesem Gewässer führte, von
1 Dehio-Handbuch. Niederösterreich nördlich der Donau. Wien 1990, 1342.
28
welchem das für den Badebetrieb aber auch im eventuellen Brandfall zum Löschen
erforderliche Nass einfach und schnell requiriert werden konnte. Andererseits
war sie auch nicht zu weit entfernt vom Stadtzentrum situiert, was damit
der Kundschaft lange Wege ersparte.
Das heutige Objekt Babenbergergasse Nr. 4 ist ein vermutlich aus der ersten
Hälfte des 16. Jahrhunderts stammender, zweigeschossiger und traufständiger
Bau mit einem Flacherker.2 Seit wann das Badergewerbe in dieser Stadt in
der Badgasse ausgeübt wurde, ist unklar. Schon relativ früh muss in Zwettl eine
Badstube bestanden haben. Diese Annahme stützt sich auf Karl Uhlirz, der in
seiner 1895 erschienenen Aufarbeitung der Quellen des Zwettler Stadtarchivs
eine Urkunde aus dem Jahr 1332 beschrieb, in der die peststuben oder badstuben,
beim Stanesser thor zu Zwetl gelegen3 erwähnt wird. Das Originaldokument
lag auch Uhlirz nicht mehr vor, er konnte aber auf die Erwähnung in einem Urkundenverzeichnis
aus dem Jahr 1774 zurückgreifen. Unglücklicherweise ist
aber auch letzteres dem Archiv, wahrscheinlich in den Wirren des Zweiten
Weltkrieges, abhanden gekommen, sodass diese frühe Erwähnung der Badstube,
die als Peststube wohl außerhalb der Stadtmauer gelegen sein musste,4 zwar
nicht ernsthaft angezweifelt, aber auch nicht sicher bestätigt, geschweige denn
weiteren Analysen unterzogen werden kann.
In den folgenden beiden Jahrhunderten verstummen die Quellen zum
Thema Bader, abgesehen von einer Passage im Zwettler Weistum (Banntaiding)
des Jahres 1499, in der es heißt: Halter, pader und feldhueter sein der gemein
diener […].5 Wenn auch relativ dürftig und wenig aufschlussreich, deutet dieser
Vermerk dennoch zumindest auf das Vorhandensein eines Baders in der Stadt
hin. Es dauert dann bis 1553, als mit Augustin Haunold in den Zwettler Ratsprotokollen
erstmals ein Bader namentlich erwähnt wird.6 Danach sind in den
Quellen regelmäßig Bader verzeichnet und in der Zwettler Badstube in der Badgasse
dürften somit, wenn auch unter rege wechselnden Besitzern und Bestandinhabern
(=Pächtern), regelmäßig Badetage abgehalten worden sein. 1718 erwarb
der Bader Joseph Christoph Aßl ein Haus im Grätzl, also im Stadtinneren,
und übertrug auch die Badgerechtigkeit auf sein neues, bis heute allerdings noch
nicht näher lokalisiertes Grundstück. Wenige Jahre später wurde die Badgerechtigkeit
erneut transferiert, diesmal auf ein Anwesen am Neuen Markt.7 Besteht
nun ein Zusammenhang zwischen der ehemaligen Badestube in der Babenbergergasse
Nr. 4 und dem direkt südlich davon angrenzenden Haus Babenbergergasse
Nr. 6, dem Fundort des Destillierhelms?
2 Dehio-Handbuch 1342.
3 Karl Uhlirz, Das Archiv der landesfürstlichen Stadt Zwettl. Zwettl 1895, 10.
4 Berthold Weinrich, Die Bader, Ärzte und Apotheker. In: Hans Hakala und Walter Pongratz,
Zwettl, Niederösterreich 1, Die Kuenringerstadt. Zwettl 1980, 446-476, hier 449.
5 Ebenda.
6 Ebenda.
7 Ebenda 455 f.
29
Schon allein die Schilderung der genauen Fundumstände durch Michael
Wittmann und ein Lokalaugenschein in dem unmittelbar an das Haus Nr. 4 anschließenden
Kellerraum ließen diese Vermutung aufkommen. Es schien daher
lohnenswert, die historischen Quellen des Stadtarchivs Zwettl nach Hinweisen
auf eventuelle Grundstücksteilungen durch Erbfall, Verkauf etc. zu durchforsten,
um so diese Hypothese mit Beweisen untermauern zu können. Tatsächlich
fand sich im sogenannten Gemainer Statt Zwetl Khaüff Protocoll Anno 1710,
dem Zwettler Hauskaufprotokoll zwischen 1710-1727, die Dokumentation eines
am 15. April 1722 getätigten Hauskaufes, bei dem das alte Badhaus involviert
war. Laut diesem Protokoll wurde nämlich das alte badhauß in zwei bürgerliche
Hälften geteilt, wovon der Zimmermanngeselle […] Andreaß Schneider […] den
hintern thaill gegen die Stadtmauer sambt dem halben Fürhaus und dazugehörigen
Boden und Zimern […]8 erwarb. Mit dem alten Badhaus kann nur das heutige
Objekt Babenbergergasse Nr. 4 gemeint sein, das zum Zeitpunkt des Hauskaufs
mindestens schon vier Jahre lang nicht mehr als Badestube in Betrieb war,
da ja, wie schon zuvor dargelegt, der damalige Bader 1718 in ein neues Badehaus
übersiedelte. Folglich muss es sich dann bei dem ehemaligen hinteren Teil
des alten Badhauses um das heutige Gebäude Babenbergergasse Nr. 6 handeln,
das ja unmittelbar in südlicher, also zur Stadtmauer weisender Richtung an das
Nachbarobjekt Nr. 4 anschließt. Harmonisch in dieses Bild fügt sich die auf Basis
der Zwettler Urbare erstellte Hausbesitzerreihe des Hauses Babenbergergasse
Nr. 6, welche im Jahre 1723 mit einem gewissen Andreaß Schneider beginnt.9
Es scheint damit der Nachweis gelungen zu sein, dass das ursprüngliche
Zwettler Badehaus auch das heutige Objekt Babenbergergasse Nr. 6 inkludierte,
womit desgleichen ein Zusammenhang des Destillierhelms mit der ehemaligen
Badestube nicht von der Hand zu weisen sein dürfte. Letzte Zweifel könnten
freilich nur durch bauarchäologische Untersuchungen aus dem Weg geräumt
werden.
Es ist durchaus denkbar, dass die Zwettler Bader den Destillierhut zum
Herstellen von Arzneien verwendeten. Man weiß jedoch auch von einem besonders
geschäftstüchtigen Bader namens Matthias Treitler, der die Zwettler
Badstube gegen Ende des 17. Jahrhunderts betrieb und außerdem das Recht erworben
hatte, nebenher zu leitgeben, also Alkohol auszuschenken, wofür er –
wie in den Zwettler Protokollen vermerkt – zusätzliche Abgaben leisten
musste.10 Es stehen demnach zwei Erklärungsmodelle für das Vorhandensein
eines Destillierhelms in der Zwettler Badestube zur Verfügung: zur Herstellung
von medizinischen Heilmitteln oder zur Produktion von weniger gesundheitsförderndem
Hochprozentigen.
8 Stadtarchiv Zwettl, Sign. 6/5: Gemainer Statt Zwetl Khaüff Prothocoll Anno 1710 (= Hauskaufprotokoll
1710-1727), fol. 58v.
9 Hans Hakala, Zwettler Hausbesitzerreihen (1560)-1632-1980. In: Hakala und Pongratz,
Zwettl 627-664, hier: 630.
10 Weinrich, Bader 453.
30
Der Zwettler Destillierhelm
Abb. 1: Der Zwettler Destilierhelm
Beschreibung
Das Kernstück der Funde aus der Babenbergergasse Nr. 6, welches den gesamten
Fundkomplex zu einer Besonderheit macht, ist mit Sicherheit das als Destillierhelm
anzusprechende Objekt Kat. Nr. 1 (Abb. 1 und 2). Dieser ist aus oxidierend
gebrannter Keramik gefertigt und weist bei einer Höhe von insgesamt
18,5 cm einen glockenförmigen, wohl ursprünglich mit einer knopf- oder ringförmigen
Handhabe versehenen Scheitel sowie ein konisch ausladendes Aufsatzstück
mit einem Durchmesser von 13,2 cm auf. Die Sammelrinne mündet in
einen nur fragmentarisch erhaltenen Schnabel mit einem Durchmesser von 3 cm
und einer lichten Weite von 1,4 cm. Als Dekor finden sich vier paarweise gestellte
umlaufende Rillen am Scheitel, desgleichen ein Rillenpaar am Aufsatzstück.
Der Destillierhelm ist außen wie innen – etwa bis zum oberen Aufsatzstückansatz
– grün glasiert, ansonsten ist das Innere mit einer weißen Patina
überzogen, was wahrscheinlich auf Destillatrückstände zurückzuführen ist. Zu
dem Destillierhelm gehören außerdem ein etwa 4,9 cm langes Schnabelbruchstück
(Kat. Nr. 2) sowie zwei kleine Wandfragmente (Kat. Nr. 3-4).
31
Abb. 2: Destillierhelm und Topffragment
Datierung
Laborkeramische Geräte, und darunter vor allem Destillierhelme, gehören zu
jener Kategorie archäologischer Funde, die sich chronologisch und chorologisch
nur ausgesprochen schwer einordnen lassen. Dies liegt zum einen daran, dass –
wie später noch genauer veranschaulicht werden wird – europaweit betrachtet
bis jetzt nur relativ wenige solcher irdener Destillierhelme publiziert sind und
damit als Vergleichsobjekt zur Verfügung stehen. Dies spricht höchstwahrscheinlich
nicht für deren seltenen Gebrauch, sondern ist eher Ausdruck eines
rudimentären Forschungsstandes. Zum anderen zeichnen sich die nicht gerade
zahlreichen vorhandenen Objekte, selbst wenn sie aus geographisch weit von
einander entfernt liegenden Gebieten stammen, meist durch ein frappierend
ähnliches Aussehen aus. Als technisch-funktionale Keramik unterlagen Destillierhelme
keinen Modeströmungen, sondern einige wenige sich bewährende
Formen wurden Jahrhunderte lang – teilweise sogar bis ins 19. oder 20. Jahr32
hundert hinein – weitertradiert.11 Andere Gründe für die Uniformität dürften in
der durch die Buchdruckkunst stark begünstigten Verbreitung von Destillierbüchern
oder anderen Schriften und den darin abgebildeten Formen, welche als
Vorbilder dienten, sowie den weit reichenden persönlichen Kontakten „eingeweihter“
Alchemisten, die für die Verbreitung bestimmter Typen sorgten, zu
suchen sein.12 Eine Unterscheidung von regionalen Typen ist daher schwer möglich
und ein damit verbundener Datierungsansatz zum Scheitern verurteilt.
So bleibt in diesem Fall des Destillierhelms aus Zwettl auf Grund einer
nicht vorhandenen archäologischen Stratigraphie und der soeben beschriebenen
Schwierigkeit als einzige Möglichkeit nur mehr die der chronologischen Einordnung
über die Begleitfunde. Bedingt durch die spezifischen Bergungsumstände
hat sich jedoch, abgesehen von der glücklichen Ausnahme des Destillieraufsatzes,
kein weiteres, auch nur annähernd vollständig erhaltenes Gefäß erhalten.
Das restliche Fundinventar des Hauses Babenbergergasse Nr. 6 besteht
somit aus 35 Keramikfragmenten der verschiedensten Größen, von welchen lediglich
ein Bruchteil für chronologische Untersuchungen verwertbar war. Zu
diesen auserwählten Stücken zählen: die Fragmente von vier innen glasierten
Töpfen (Kat. Nr. 5, 6, 8, 9), zweier unglasierter Töpfe (Kat. Nr. 7, 10), das
Randstück einer Pfanne (Kat. Nr. 11), der Fuß einer Dreifußpfanne (Kat. Nr.
12), die Reste von acht glasierten Tellern (Kat. Nr. 13-20), sowie das Blatt-
(Kat. Nr. 35) und Zargenfragment (Kat. Nr. 36) einer grün glasierten Kachel.
Für den mit einem Bandhenkel versehenen Topf Kat. Nr. 5 (Abb. 2) lässt
sich ebenso wie für den Topf Kat. Nr. 9 (Abb. 4) durch einige Vergleichsfunde
eine Datierung vom 16. bis ins frühe 18. Jahrhundert erschließen.13 Der einen
Bandhenkel aufweisende Topf Kat. Nr. 6 (Abb. 3) kann chronologisch nur grob
zwischen dem 17. und dem 19. Jahrhundert eingegrenzt werden. Gleiches gilt
für den ebenfalls mit einem Bandhenkel ausgestatteten Topf Kat. Nr. 7 (Abb. 3).
Bezüglich des Topfes Kat. Nr. 8 (Abb. 3) scheint auf Grund zahlreicher Vergleichsbeispiele
eine Datierung in das 16./17. Jahrhundert angebracht.
Bei dem Keramikfragment Kat. Nr. 10 (Abb. 4) mit der markant ausladenden
Randform könnte es sich trotz fehlender Innenglasur um einen – chronologisch
wenig sensiblen – Nachttopf handeln, für den sich nur ein dement-
11 Vgl. den erst kürzlich publizierten, beinahe vollständig erhaltenen Destillierhelm aus dem
oberösterreichischen Salzkammergut, bei dem es sich nicht um einen Bodenfund handelt
und der laut freundlicher Auskunft des Besitzers, Heinz Gruber, in das 19. oder 20. Jahrhundert
zu datieren sein dürfte [Nikolaus Hofer, Handbuch zur Terminologie der mittelalterlichen
und neuzeitlichen Keramik in Österreich (Fundberichte aus Österreich, Materialhefte,
Reihe A, 12) Wien 2010, 72].
12 Peter Kurzmann, Die Destillation im Mittelalter (Lehr- und Arbeitsmaterialien zur
Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit 2) Schloss Hohentübingen 2000, 51.
13 Für eine ausführliche Datierungsdiskussion dieser und folgender Funde vgl. Ronald Salzer,
Der Destillierhelm von Zwettl. Ungedruckte Proseminararbeit Institut für Ur- und Frühgeschichte,
Universität Wien 2005, 26-34.
33
sprechend unpräziser Datierungszeitraum zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert
erwägen lässt.
Abb.3: Topffragmente
Abb. 4: Topf- und Pfannenfragmente
34
Noch mehr Rätsel wirft das Objekt Kat. Nr. 11 (Abb. 4) auf. Dank seines
bogig einziehenden, abgestrichenen Randes ruft es zunächst – auch durch das
Vorhandensein des Destillierhelms nicht abwegig erscheinende – Assoziationen
mit destillationskeramischen Sonderformen hervor, doch wahrscheinlich handelt
es sich – bei aller Vorsicht ob der Ungewissheit des weiteren Gefäßaufbaus –
eher um das Randstück eines Pfannen- bzw. Schüsselgefäßes aus dem 17. Jahrhundert.
Ein Zusammenhang mit Kat. Nr. 12 (Abb. 4), bei der es sich mit Sicherheit
um den Fuß einer – vom 16. bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts
nahezu unverändert verbreiteten – Dreifußpfanne handelt, ist deshalb
denkbar.
Abb. 5: Tellerfragmente
Abb. 6: Tellerfragmente
35
Die bunt glasierten Teller Kat. Nr. 13 bis 17 (Abb. 5 und 6), von denen
die beiden Objekte Kat. Nr. 14 und 15 vermutlich Fragmente ein und desselben
Gefäßes sind, gehören zum Typus der so genannten Malhornware, welche allgemein
in die zweite Hälfte des 16. bis in die erste Hälfte des 17. Jahrhunderts
datiert wird. Bei den beiden, jeweils eine weißgraue Glasur aufweisenden Tellerfragmenten
Kat. Nr. 18 und 19 (Abb. 6) handelt es sich möglicherweise um
die Reste eines mit einem Ösenhenkel ausgestatteten Fayencetellers bzw. eines
Fayence nachahmenden Gefäßes. Ein einziges vergleichbares Objekt stammt aus
dem 17. Jahrhundert; gleiches gilt für den grün glasierten Teller Kat.Nr. 20
(Abb. 6).
Abb. 7: Kachelfragment
Das Kachelblattfragment Kat. Nr. 35 sowie das sich aus Leiste und Zarge
zusammensetzende Bruchstück Kat. Nr. 36 (Abb. 7) können mit ziemlicher Sicherheit
als die Reste einer grün glasierten Medaillonkachel angesprochen werden.
Hinsichtlich der Motivik sind auf Kat. Nr. 35 nur mehr die Reste eines von
einem Kranz gebildeten und von einer Ziermaske sowie einer Fruchtgirlande
umrahmten Medaillons erkennbar, in dem sich drei gezacktrandige Blätter befinden.
Wegen des unvollständigen Erhaltungszustandes des Kachelblattes lässt
sich die ursprünglich darauf abgebildete Motivik in seiner Gesamtheit leider
nicht mehr erschließen, was den Vergleich mit anderen Kachelmotiven erschwert.
Die wenigen, aber einstimmig eine Datierung in das späte 16. bzw. in
das frühe 17. Jahrhundert vorschlagenden Vergleichsbeispiele, lassen auch für
die Zwettler Kachel ruhigen Gewissens eine ähnliche Zeitstellung annehmen.
36
Resümierend betrachtet ergibt sich somit anhand der Datierung der Begleitfunde
für die chronologische Einordnung des Zwettler Destillierhelms ein
auf den ersten Blick wenig aussagekräftiger chronologischer Zeitrahmen, der
vom 16. bis ins 18., wenn nicht gar in das 19. Jahrhundert reicht. Dieses Ergebnis
belegt einerseits den schlechten Forschungsstand sowie den immer noch
großen Nachholbedarf der relativ jungen Disziplin der frühneuzeitlichen Archäologie,
was Keramik betrifft, andererseits spiegelt es die infolge der Langlebigkeit
vieler frühneuzeitlicher Keramikformen bedingten schlechten Datierungsmöglichkeiten
wider. Vor allem wegen der vier Malhornteller, der Kachel,
eines vermutlich als Dreifußschüssel anzusprechenden Randstücks und einiger
Töpfe ergibt sich jedoch eine Konzentration zwischen dem späten 16. und dem
frühen 18. Jahrhundert, was das ernüchternde Bild der scheinbaren chronologischen
Beliebigkeit zumindest etwas mildert. Außerdem handelt es sich bei dem
Zwettler Fundkomplex ja höchstwahrscheinlich nicht um einen geschlossenen
Fund, womit chronologische „Ausreißer“ auch als Reste früher bzw. später entsorgter
Abfälle gedeutet werden können.
Destillation
Definition
Unter Destillation versteht man ein Verfahren, bei dem ein aus flüssigen oder
festen Bestandteilen zusammengesetztes Stoffgemisch langsam zum Sieden gebracht
wird, wobei eine der Stoffkomponenten einen geringeren Siede- oder
Schmelzpunkt aufweist und somit eher verdampft. Es kann daher ein von den
übrigen Stoffen getrenntes und durch Kühlung zumeist flüssiges, gereinigtes
Destillat gewonnen werden. Bei einer Destillation handelt es sich also um ein
Trennungs- und Reinigungsverfahren.14
Grundlage für das Verständnis historischer Destillationsverfahren und der
dabei zur Anwendung gekommenen Geräte sind bis heute die beiden Destillierbücher
des Straßburger Wundarztes Hieronymus Brunschwig (1450-1512): das
1500 erschienene „Kleine Destillierbuch“ (Liber de arte distillandi de simplicibus)
sowie das wesentlich umfangreichere, 1512 herausgegebene „Große Destillierbuch“
(Liber de arte distillandi de compositis). Diese durchwegs in deutscher
Sprache verfassten, reich illustrierten Bücher waren derart populär, dass
sie viele Auflagen erfuhren, in mehrere Sprachen übersetzt und maßgeblich für
die nachfolgende Literatur auf diesem Gebiet wurden.15
Eine Destillationsapparatur setzt sich grundsätzlich aus dem die zu destillierende
Flüssigkeit enthaltenden Gefäß (Kolben oder cucurbita, Schale/Pfanne
14 Gerhard Pfeiffer, Technologische Entwicklung von Destilliergeräten vom Spätmittelalter
bis zur Neuzeit. Diss. Univ. Regensburg 1986, 5.
15 Gundolf Keil, Brunschwig, Hieronymus. In: Lexikon des Mittelalters 2 [CD-ROM-Ausgabe].
Stuttgart 2000, 793 f.
37
oder patina), dem Destillierhelm (Alembik oder alembicus, Rosenhut, Hut oder
pileus, Glocke oder campana, Schale oder patina) und einem Auffanggefäß
(auch Vorlage oder Rezipient bzw. receptaculum bezeichnet) zusammen. Eine
später aufkommende Sonderform stellt die Retorte (cucurbita retorta, cornus
Hermetis, Storchschnabel) dar, bei der – funktionell gesehen – Kolben und
Helm zu einer Einheit verschmolzen sind. Um die nicht selten aus Glas oder Keramik
bestehenden Destillationsgeräte vor etwaigen, durch die direkte Einwirkung
des Feuers entstehenden Schäden zu schützen, wurden diese häufig verlutiert,
also mit lutum, einer nach verschiedenen Rezepturen, jedoch hauptsächlich
aus Lehm, Leim und Faser hergestellten Dichtungsmasse, versehen.16 Das lutum
konnte aber auch als Klebesubstanz fungieren, welche dazu diente, die Verbindungsstellen
zwischen Destillationsgefäß und Destillierhelm abzudichten.17
Für eine Entscheidung der Frage, welcher Kategorie der Zwettler Fund
zuzuordnen ist, sollen im Folgenden die wichtigsten Destillierhelmtypen, nämlich
Rosenhut bzw. Glocke und Alembik sowie ihre Anwendungsgebiete vorgestellt
werden. Nicht näher eingegangen wird auf die Schale (patina), da es sich
hierbei um ein einfaches Gefäß ohne Rinne handelt, das umgekehrt auf eine anderes
Gefäß gestülpt wurde.18
Rosenhut (Hut, pileus) oder Glocke (campana)
Unter diesen Begriffen versteht man spezielle kegel- oder glockenförmige Destillierhelme,
deren Rinne meist von dem umgeschlagenen oder umgeformten
unteren Rand gebildet wird. Die Rinne eines Rosenhuts ist in der Regel gegen
die Horizontale geneigt, um für einen schnellen Abfluss des Destillates in Richtung
der oberen Schnauzenöffnung zu sorgen. Ein ähnlicher Effekt lässt sich
aber auch bei einer horizontal liegenden Rinne mühelos durch eine leichte
Schrägstellung der gesamten Apparatur erreichen. Die nach unten weisende
Schnauze des Rosenhuts ist so platziert, dass sie mit ihrer oberen Öffnung die
sich in der Rinne sammelnde kondensierte Flüssigkeit aufnehmen und direkt in
das jeweilige Auffanggefäß leiten kann.
Die Gründe für die charakteristische hohe Form eines Rosenhutes liegen
in zwei entscheidenden Vorteilen: Sie bewirkt zum einen infolge der größeren
Oberfläche eine relativ gute Kühlwirkung durch die umgebende Luft und zum
anderen lässt sie die kondensierten Flüssigkeitströpfchen an der steilen Wand
abfließen und so in die Rinne gelangen. Bei einer weniger steilen Wand bestünde
die Gefahr, dass die Tröpfchen hängen blieben und schließlich in das
Destilliergefäß zurückfielen.19
16 Kurzmann, Destillation 36 f.
17 Pfeiffer, Technologische Entwicklung 274.
18 Kurzmann, Destillation 42.
19 Ebenda 39.
38
Der Scheitel eines Rosenhutes wird meist von einer knopfartigen Handhabe
bekrönt, die weniger dekorativ als funktional gedacht war, da an dieser
etwa ein Draht oder Faden befestigt werden konnte, der es erlaubte, die Vorlage
besser zu fixieren oder im Bedarfsfall den noch heißen Destillierhelm rasch zu
entfernen.20
Der Rosenhut wurde üblicherweise auf ein schalenförmiges Gefäß mit
weiter Öffnung, also einer Schale (patina) oder Pfanne, gesetzt, dessen oberer
Rand eine Rinne zur Aufnahme des Helms trug, oft mit einer ausgussartigen
Ausbuchtung für die Schnauze.21 Geht es nach den häufigen Erwähnungen in
den einschlägigen Schriftquellen, scheint sich die Verwendung eines Rosenhuts,
zumindest im 15. und 16. Jahrhundert, großer Beliebtheit erfreut zu haben.22 So
beschrieb etwa Brunschwig in seinem „Großen Destillierbuch“ einen Rosenhut
folgendermaßen:
Du solt ouch haben gemeine helm / genant Rosenhût gemacht von kupffer
und inwendig wol verzint und von bly zin oder von erden / inwendig und
ußwendig zu dem zweiten mal verglasurt / und dar under pfannen deren
figur hie nach stot.23
Abb. 8: Darstellung eines Rosenhutes sowie einer kompletten Destillationsapparatur bestehend
aus Ofen, Rosenhut, Schale und Auffanggefäß bei Brunschwig (1512).
Aus: Kurzmann, Destillation 49
Danach folgte eine Zeichnung eines möglicherweise aus Zinn gegossenen
Rosenhutes ohne Ofen, anhand derer es aber nicht möglich ist, die Lage der
20 Ebenda 61.
21 Ebenda 39.
22 Pfeiffer, Technologische Entwicklung 199.
23 Brunschwig zitiert nach Kurzmann, Destillation 50.
39
Rinne zu eruieren (Abb. 8).24 Als ein Indiz für eine gewisse Normierung in Gestalt
und Produktionsmaterial von Rosenhüten kann die Tatsache gewertet werden,
dass auch noch Ende des 16. Jahrhunderts Matthiolus sich in ähnlicher
Weise zu diesen äußerte:
[Solche Destillationshelme] nennet man im Latein Campanas rostratas,
darumb / daß die Helme formiert sind wie geschnautzte Glocken. Deutsch
nennt mans Rosenhüte. Man hat sie gemeiniglich von Zin gemacht. Die
Töpfer oder Hafner machens auch jetzund von Lett oder Thon / innwendig
verglasirt wie andere Töpffe.25
Laut Brunschwig und Matthiolus konnten Rosenhüte also sowohl aus Metall als
auch aus Keramik gefertigt sein, jedoch sind an Bodenfunden bis jetzt nur Keramik-
Glocken aufgetaucht, was aber nicht notwendigerweise die Existenz von
Rosenhüten aus Metall ausschließen muss, da ja solche Glocken nicht einfach
achtlos entsorgt, sondern wegen ihres Metallwerts mit hoher Wahrscheinlichkeit
wieder eingeschmolzen wurden. Glas-Rosenhüte scheinen ebenfalls durchaus
denkbar.26
Die Destillation mit einem Rosenhut (destillatio per campanam)
Neben der destillatio per alembicum, destillatio per patinam und der destillatio
per retortam wird von spätmittelalterlichen bzw. frühneuzeitlichen Autoren
auch die so genannte destillatio per campanam erwähnt, worunter man die Destillation
mit Hilfe des Rosenhutes verstand (Abb. 8). Da das Destillationsgefäß
(eine patina oder ein entsprechender Topf) meist einen sehr großen Durchmesser
aufwies, ermöglichte diese Destillationsmethode auch das Bearbeiten eines
grobe Stücke aufweisenden Destillationsgutes. Darüber hinaus konnte die
destillatio per campanam, im Gegensatz zu den anderen erwähnten Methoden,
nicht nur auf speziellen Laboratoriumsöfen, sondern auch auf normalen Küchenherden,
und daher von nahezu jedermann, durchgeführt werden. Mit Hilfe
dieser Destillationsvariante war es möglich, sowohl Branntwein herzustellen als
auch Extrakte zu gewinnen, die aus den verschiedensten Ingredienzen, wie etwa
Kräutern, Blättern, Wurzeln, Früchten, Samen und natürlich diversen tierischen
Zutaten, bestehen konnten. Die in den Schriftquellen überlieferten Vorschriften
und Rezepte wirken oft recht willkürlich und verwirrend und lassen häufig eine
individuelle Arbeitsweise ausdrücklich zu.27
24 Ebenda.
25 Petrus Andreas Matthiolus, Commentarii in VI Libros Pedacii Dioscurides Anazarbei de
materia medica. Venedig 1583, 456 zitiert nach Pfeiffer, Technologische Entwicklung 197.
26 Kurzmann, Destillation 42.
27 Kurzmann, Destillation 43-46.
40
Der Alembik (alembicus) und die destillatio per alembicum
Eine andere Variante eines Destillierhelms stellt der so genannte Alembik
(alembicus)28 dar. In Zedlers Universallexikon, einer zwar vergleichsweise späten,
aber dafür umso ergiebigeren Quelle, wird ein Alembik folgendermaßen
beschrieben:
Ein Brenn-Kolbe, Helm, Blasen-Hut, Alembick ist ein von Glas, Zinn oder
Kupfer gemachtes Gefäß, welches inwendig hohl, gewölbt oder concav,
auswendig aber convex, ist, und beym destilliren, laboriren, und Brandtweinbrennen
auf die gläserne oder irdene Kolben und kupfernen Blasen
gesetzet […] [wird].29
Der Alembik zeichnet sich üblicherweise durch eine mehr oder weniger kugelförmige
bis zylindrische Form und ein einfaches glattes, verschieden stark ausgeprägtes
Rand- bzw. Aufsatzstück aus, das zum Einsetzen auf oder in die Mündung
eines eher enghalsigen Destilliergefäßes, also vorzugsweise eines Kolbens
(cucurbita) aus Glas oder Keramik, dient. Wie bei dem zuvor beschriebenen Rosenhut,
ist auch der abwärts weisende Schnabel des Alembiks so platziert, dass
die sich in der umlaufenden Rinne sammelnde Flüssigkeit durch ihn abfließen
kann, generell ist dieser aber im Vergleich zu einem Rosenhut etwas länger.
Auch der Alembik besitzt meist einen sowohl funktionalen als auch dekorativen
Zwecken dienenden Knopf an seiner Spitze (Abb. 9).
Abb. 9: Darstellung eines Alembiks als Teil einer kompletten Destillationsapparatur
bei Brunschwig (1512). Aus Kurzmann, Destillation 49.
28 Das Wort alembicus soll sich aus dem griechischen ambix für Schale sowie dem arabischen
al-anbiq ableiten (Pfeiffer, Technologische Entwicklung 20).
29 Johann Heinrich Zedler, Großes Vollständiges Universal-Lexikon aller Wissenschaften und
Künste 1. Halle-Leipzig 1732, 1126.
41
Passend zu Zedlers Definition, in welcher als Herstellungsmaterialien für
diesen Destillierhelm zwar Glas, Zinn und Kupfer, nicht aber Keramik genannt
werden, überwiegen sowohl bei archäologischen Funden als auch in den musealen
Beständen aus Glas hergestellte Alembiken bei weitem; nur selten finden
sich solche Destillierhelme aus Keramik. Auch in der frühen Literatur werden
fast ausschließlich gläserne Alembiken erwähnt, es existieren zwar dort gleichfalls
Hinweise auf solche aus Keramik oder Metall, diese sind aber sporadisch
und zudem nicht immer eindeutig.30
Die Gründe für das auffallend seltene Vorkommen von irdenen Alembiken
sind nicht ganz klar. Natürlich kann auch hier bis zu einem gewissem Maße
der schlechte Forschungsstand verantwortlich gemacht werden, allerdings passt
dazu die vergleichsweise große Anzahl an keramischen Rosenhüten und gläsernen
Alembiken nicht so recht ins Bild. Ein unbestreitbarer Vorteil von Glas liegt
in dessen Durchsichtigkeit, die ein direktes Beobachten der Destillationsprozesse
ermöglichte.31 Es liegt daher der Schluss nahe, dass sich offensichtlich
Glas im Gegensatz zu Keramik besser als Ausgangsmaterial für Alembiken und
die damit durchzuführenden spezifischen Destillationsvorgänge eignete und somit
auch mehr gläserne Alembiken produziert und verwendet wurden.
Die Destillation mit einem Alembik (destillatio per alembicum)
Die destillatio per allembicum ist die am häufigsten dargestellte und war, zumindest
in Fachkreisen, wohl auch die am häufigsten angewandte Destillationsart
(Abb. 9). Bei dieser kamen ein Alembik und ein Kolben zum Einsatz. Die
langen Hälse der Kolben hatten mehrere Vorteile: Einerseits führten sie zu einer
gewissen Rektifikation, also einer besseren Trennung der Flüssigkeitsgemische
bei mehrmaliger Destillation, andererseits verhinderten sie auch ein eventuelles
Hinüberspritzen der zu destillierenden Flüssigkeit. Der Alembik konnte, je nach
Fertigung, sowohl über als auch in den Kolbenhals gesteckt werden, wobei für
die letztere Variante sprach, dass bei dieser die herunterfließende, kondensierte
Flüssigkeit nicht mit dem lutum in Berührung kam. Das Destillationsverfahren
mit einem Alembik war technisch gesehen die beste und effektivste Lösung;
nicht umsonst wurde diese Methode von den Alchemisten sehr geschätzt und
dementsprechend in ihren Destillierbüchern besonders empfohlen. Doch konnte
dieses Verfahren – zumindest nach der Fachliteratur – im Gegensatz zur destillatio
per campanam nicht auf einem normalen Küchenherd durchgeführt werden,
sondern bedurfte eines speziellen Ofens sowie besonderer Vorrichtungen
zum Festhalten des Kolbens.32
30 Kurzmann, Destillation 38 f.
31 Ebenda 38-43.
32 Ebenda 43.
42
Die Schwierigkeit der praktischen Differenzierung zwischen Alembik
und Rosenhut
Die Grenzen zwischen Rosenhüten und Alembiken sind jedoch nicht dermaßen
eindeutig abgesteckt, wie es auf den ersten Blick scheinen mag. Denn Mischoder
Übergangsformen, also Destillierhelme, deren Scheitel zwar einerseits die
für Rosenhüte charakteristische kegel- oder glockenförmige Gestalt besitzen, die
aber außerdem, ähnlich wie bei Alembiken, ein mehr oder weniger zylindrisches
Aufsatzstück aufweisen, lassen sich nicht so recht in die von einigen Autoren
vorgegebenen Schemata einordnen. Sie werden daher, je nach Bearbeiter, mit
einigen Bedenken entweder als Alembik oder als Rosenhut angesprochen. Eingedenk
dieser offensichtlichen Unzulänglichkeiten der derzeit gängigen Definitionen
ist es durchaus gerechtfertigt, die Grundlagen derselben etwas näher zu
beleuchten und nach Alternativen zu suchen.
Bis in das 15. Jahrhundert sind kaum schriftliche Aufzeichnungen zur
Destillation, geschweige denn zu den dabei zur Verwendung gekommenen Geräten
bekannt, sodass die alten Bezeichnungen dieser nur äußerst lückenhaft
oder überhaupt nicht bekannt sind.33 Ab dem 16. Jahrhundert gab es zwar schon
zahlreiche Autoren, die der Destillation ganze Bücher widmeten, allerdings
brachte diese Vielzahl an Quellen auch eine Unmenge an verschiedenen Termini
mit sich, die häufig nur vage unterschieden oder einfach synonym verwendet
wurden. So schrieb etwa Brunschwig in seinem „Großen Destillierbuch“ einfach
tu es in ein alembicum34 und meinte damit hier ausnahmsweise nicht den
Destillierhelm, sondern entweder den Kolben oder, als pars pro toto, die ganze
Destillationsapparatur. Diese mangelnde Sensibilität, was präzise Begriffsunterscheidungen
betrifft, sowie das fehlende Bestreben, eine Destillationsapparatur
in allen Details zu beschreiben, kann aber auch Ausdruck dafür sein, dass die
Autoren ihren Lesern bewusst Raum für individuelles Arbeiten ließen, da sich
der gewünschte Effekt eines Destillationsvorgangs meist unter Zuhilfenahme
verschiedener Methoden und Geräte erreichen ließ,35 oder wie es Libavius ausdrückte,
„je nach dem Geschick und dem Ziel des Scheidekünstlers sowie nach
der Natur der Stoffe.“36
Nicht minder große Probleme bereitet der Versuch, anhand zeitgenössischer
Bildquellen eine exakte Identifikation bestimmter Gerätetypen im Allgemeinen
sowie von Destillierhelmen im Speziellen zu erreichen. Zwar sind in
manchen Destillierbüchern, wie etwa von Brunschwig oder Libavius, den Beschreibungen
gewisser Verfahren und Gerätschaften Zeichnungen beigefügt,
doch sind auch diese, ähnlich wie die Texte, die sie illustrieren sollen, wenig
33 Ebenda 35.
34 Brunschwig zitiert nach ebenda 47.
35 Ebenda 47 f.
36 Andreas Libavius, Alchemie. Frankfurt/Main 1597, 80 zitiert nach Kurzmann, Destillation
47.
43
detailgetreu und nur sehr schematisch. Sie lassen kaum Rückschlüsse auf das
verwendete Material zu und dank fehlender Schnittzeichnungen sind für die
Klassifizierung von Destillierhelmen so wichtige funktionelle Einzelheiten, wie
etwa die Position der Sammelrinne oder die Beschaffenheit der Schale bzw. des
Kolbens, schlichtweg nicht erkennbar.
Vermag also in dieser Hinsicht selbst die alchemistische Fachliteratur der
Archäologie bei der Bewertung ihrer Funde nicht sonderlich zu helfen, dann ist
es nicht weiter überraschend, wenn auch in andere Bereiche der Ikonographie
führende Nachforschungen wenig fruchten. Vom 16. bis ins 19. Jahrhundert ließen
sich zwar viele Künstler, darunter auch Pieter Brueghel der Ältere, von dem
geheimnisumwitterten Treiben der Alchemisten inspirieren und stellten in ihren
Werken Laborinventar, wie zum Beispiel Destillierhelme, dar. Allerdings müssen
diese abgebildeten Geräte ebenfalls mit Vorsicht interpretiert werden, da
man sich vielfach bestimmter idealtypischer Formen bediente, die immer wieder
kopiert wurden und entweder in dieser Gestalt nie existierten oder einen veralteten,
zur Entstehungszeit des Bildes in keinem Labor mehr zu findenden Stand
wiedergaben.37
Es überrascht daher nur wenig, wenn es für viele Bearbeiter laborkeramischer
Funde, ganz besonders aber von Destillierhelmen, oftmals ein Ding der
Unmöglichkeit ist, diese mit Sicherheit zu klassifizieren. Ein Blick in die sich
mit diesem Metier befassende wissenschaftliche Literatur erleichtert die Aufgabe
meist auch nicht gerade, findet sich dort doch ebenfalls ein wahres Sammelsurium
an unterschiedlichen Bezeichnungen, das nicht zufällig an das der
zuvor erwähnten Destillierbücher erinnert, wurden doch vielfach von frühneuzeitlichen
Autoren geprägte Begriffe, wie etwa Alembik, Rosenhut oder Glocke,
mit all ihren nur unscharf abgegrenzten Bedeutungen auf bestimmte archäologische
Funde übertragen. Dadurch wird in der modernen Forschung bis heute ein
gewisses Maß an Opazität prolongiert.
Einige Wissenschaftler haben in den letzten Jahrzehnten versucht, diesem
Zustand mit Hilfe neuer Definitionen Abhilfe zu schaffen, wobei deren Ergebnisse
im Folgenden kurz zusammengefasst werden sollen. Stephen Moorhouse
unterschied bei keramischen Destillationshelmen folgende Typen:
• Alembik Typ I: Eine Kopie der typischen Glasalembiken, mit einem mehr
oder weniger „kuppelförmigen“ Kopf und einem hohlen, sich verbreiternden,
„sockelartigen Ring“, womit ein Aufsatzstück gemeint ist.
• Alembik Typ II: Dieser – auf Keramik beschränkte – Typ entspricht in
Form und Aussehen dem Typ I, abgesehen von dem fehlenden Aufsatzstück
und dem „ausschließlich“ in der Form eines hohen Kegels gestalteten
Helmoberteil.38
37 Pfeiffer, Technologische Entwicklung 465 ff.
38 Stephen Moorhouse, Medieval distilling-apparatus of glass and pottery. In: Medieval Archaeology
(1972) 79-121, hier: 107 ff.
44
Gerhard Pfeiffer dagegen verwendete statt der neutralen Bezeichnungen Typ I
und Typ II die alten überlieferten Namen Alembik und Rosenhut und ging bei
deren Klassifizierung folgendermaßen vor:
1. Alembiken aus Glas:
• Form 1: Glockenform, nach oben spitz zulaufend, schräge Seitenwände;
• Form 2: Glockenform, nach oben deutlich abgerundet und dadurch
mit geringerer Höhe, (leicht) schräge Seitenwände;
• Form 3: Zylinderform, oben abgerundet, Seitenwände (fast) gerade.
39
2. Keramische Alembiken: Pfeiffer widmete diesen ein eigenes Unterkapitel,
trug aber zur Verwirrung bei, indem er dieses mit der nachfolgenden
Feststellung begann: „Eine typische Form für aus Ton verfertigte Destilliergeräte
bzw. -aufsätze stellt der Rosenhut dar.“40 Im nächsten Absatz
wurde dann vermerkt, dass Alembiken aus Keramik in ihrer Gestalt den
bekannten Formen aus Glas entsprechen.41
3. Rosenhut: Für Pfeiffer fiel unter diese Kategorie ein hoher, oben spitz zulaufender,
kegelartiger Destillieraufsatz, der im Gegensatz zum Alembik
kein Aufsatzstück aufweist.42
Den bislang letzen Versuch einer Typisierung von Destillierhelmen unternahm
Peter Kurzmann. Er schlug vor, ganz im Gegensatz zu den beiden zuvor erwähnten
Autoren, nicht im Vorhandensein eines Aufsatzstückes, sondern in dem
unteren äußeren Durchmesser der Helme das entscheidende Kriterium bei der
Differenzierung zwischen einem Alembik und einem Rosenhut zu sehen und
versuchte dies auch mit einer Stichprobe von 25 Alembiken aus Glas und vier
aus Keramik sowie 15 keramischen Rosenhüten zu unterlegen.
• Alembik: dient als Aufsatzgefäß für eine cucurbita und hat daher einen
geringeren äußeren Durchmesser (bei Keramik: ein Mittelwert von 10,15
cm bei einer Standardabweichung von 1,59 cm; bei Glas: ein Mittelwert
von 7,73 cm bei einer Standardabweichung von 2,06 cm);
• Rosenhut: wird bei der Destillation aus einer patina verwendet und besitzt
daher einen größeren äußeren Durchmesser (der Mittelwert beträgt 21,89
cm bei einer Standardabweichung von 2,67 cm).43
Wendet man die dargestellten Klassifizierungskriterien auf den Zwettler Fund
an, so wäre dieser nach Moorhouse demnach ein „Alembik Typ I“ und laut
Pfeiffer wohl ein „Alembik der Form 2“. Nicht so eindeutig fällt das Ergebnis
bei Anwendung des von Kurzmann vorgeschlagenen Unterscheidungskriteriums,
nämlich des unteren äußeren Durchmessers, aus. Denn der unterste
39 Pfeiffer, Technologische Entwicklung 117-141.
40 Ebenda 145.
41 Ebenda 145 f.
42 Ebenda 192.
43 Kurzmann, Destillation 48-61.
45
Durchmesser des Standrings bzw. Aufsatzstücks beim Zwettler Destillationsgefäß
beträgt ca. 13,2 cm, was dieses unter Berücksichtigung der Standardabweichung
somit scheinbar eindeutig als Alembik ausweist. Allerdings ist das Aufsatzstück
nur unvollständig erhalten, sodass der ursprüngliche Durchmesser
wahrscheinlich mindestens noch 1-2 cm größer gewesen ist und den Zwettler
Fund damit genau zwischen den für Alembik und Rosenhut statistisch eruierten
Mittelwerten belässt. Zwar geht hinsichtlich der Ansprache des Destillationsgefäßes
aus Zwettl auf Grund der von Moorhouse und Pfeiffer vorgelegten Definitionen
die Tendenz in Richtung Alembik, jedoch zeigt das Beispiel des
Kurzmann’schen Typologieversuchs eindrucksvoll, wie schnell solche Klassifizierungen
durch Neufunde an ihre Grenzen stoßen und den Bearbeiter erst recht
vor große Probleme stellen können.
Abschließend betrachtet gilt es daher festzustellen, dass keiner der eben
vorgestellten Vorschläge die so genannte „Wort-Bild-Objekt“-Problematik, also
die bereits oben beschriebene Schwierigkeit, archäologische Objekte in Einklang
mit schriftlichen und bildlichen Quellen zu bringen, befriedigend zu lösen
im Stande ist, da jeder einzelne von ihnen Fragezeichen und Unzulänglichkeiten
aufweist. Der Verfasser schlägt daher vor, bei der archäologischen Ansprache
von Destilliergeräten auf die in frühneuzeitlichen Schriften mit nur sehr vagen
Definitionen überlieferten Begriffe, wie etwa Alembik oder Rosenhut, zu verzichten
und statt dessen neutrale Termini, wie zum Beispiel Destillierhelm,
Destillierhut oder Destillationsaufsatz zu verwenden. Zwar werden dadurch
zwei Typen in einen Topf geworfen, zwischen welchen die Zeitgenossen auf
Grund ihrer unterschiedlichen Anwendungsgebiete mit größter Wahrscheinlichkeit
differenziert haben dürften; allerdings sind die genauen Differenzierungskriterien,
sofern es diese wirklich gegeben hat, für uns heute nicht mehr nachvollziehbar,
weshalb es angebracht scheint, auf eine neutrale Bezeichnung auszuweichen,
die aber dafür eindeutig definiert und zutreffender ist.
Die Verbreitung irdener Destillierhelme in Europa vom Mittelalter
bis ins 18. Jahrhundert
Die in Tabelle 1 veranschaulichte Auflistung von Destillationshüten aus Keramik
bis ins 18. Jahrhundert stützt sich im Wesentlichen auf die von Peter Kurzmann
erstellte Kompilation44 von in der Literatur ab ca. 1910 beschriebenen
Funden, die von Seiten des Verfassers mit den seither publizierten Exemplaren
ergänzt wurde.45
Eine Betrachtung der Liste hinsichtlich des Fundorts veranschaulicht auf
den ersten Blick einerseits, dass Destillierhelme in bestimmten Ländern gar
nicht oder mit vergleichsweise auffallend wenigen Funden vertreten sind, was
44 Ebenda 52-56.
45 Nur diese Neuentdeckungen wurden mit einem eigenen Literaturverweis versehen.
46
aber sicher nicht für eine derartig geringe Verbreitung in diesen Regionen
spricht, sondern wahrscheinlicher auf den dürftigen Forschungsstand zurückzuführen
ist. Denn viele bei Ausgrabungen zu Tage getretenen laborkeramischen
Stücke wurden und werden oftmals nicht als solche erkannt und harren in diversen
Museen oder Depots immer noch ihrer Entdeckung.46 Die besten Chancen
auf eine Ansprache als Destillierhelm haben solche Funde meist, wenn sich die
Sammelrinne und ein Teil der Schnauze bzw. des Schnabels erhalten haben. Die
Hoffnung auf Besserung der Situation scheint jedoch berechtigt. Alleine seit
Kurzmanns Zusammenstellung im Jahr 2000 wurden dem Verfasser mindestens
14 neue keramische Destillierhelme bekannt. Es ist also davon auszugehen, dass
in den nächsten Jahren noch zahlreiche weitere Stücke auftauchen werden, mittels
derer es dann eventuell möglich sein wird, einige von der Forschung künstlich
geschaffene „weiße Flecken“ auf der Landkarte – z. B. in Süd- und Osteuropa
– beseitigen zu können.
Tabelle 1
Fundort Datierung Fundzusammenhang
Österreich
Hard bei Thaya, NÖ 14. Jh. Herrenhof in Dorf
Lanzenkirchen, NÖ 15. Jh. Burg
Burg Haßbach, NÖ47 15. Jh. Burg
Wiener Neustadt, NÖ 15.-16. Jh. Bürgerhaus
Bregenz 16. Jh. Römischer Friedhof
Innsbruck, Hofburg48 16. Jh. Burg oder städt. Umfeld
Oberstockstall, NÖ 2. Hälfte 16. Jh. Alchemistisches Laboratorium in
Schloss
Zwettl-Niederösterreich,
Babenbergergasse Nr. 6
16.-18. Jh. Badestube
Kaiserebersdorf, Wien49 17. Jh. Habsburgerresidenz
Loretto-Kapelle, Burg
Kapfenberg, Stmk.50
17. Jh. Probierstube eines Alchemisten
Deutschland
Konstanz, Obere Augustinergasse
14. Jh. Bürgerhaus
46 Kurzmann, Destillation 51.
47 Thomas Pototschnig, Der Abfallschacht der Burgruine Haßbach. Ein Beitrag zur spätmittelalterlichen
Sachkultur im Süden Niederösterreichs. Ungedruckte Diplomarbeit Univ. Wien
2007, 70-76.
48 Thomas Tischer, Ausgrabungen vor der Innsbrucker Hofburg. Studien zur Keramik des 16.
bis 18. Jahrhunderts in Tirol (Nearchos 7) Innsbruck 1999, 40 u. 82.
49 Gabriele Scharrer-Liška, Die Keramik aus den Grabungen 1994-1995 im Schloss Kaiserebersdorf.
In: Michaela Müller et al., Die archäologischen und bauhistorischen Untersuchungen
im Schloss Kaiserebersdorf 1 (Monografien der Stadt Wien 3) Wien 2008, 259-
331, hier: 297-299.
50 Sigrid von Osten, Kapfenberg-Loretto 2006 – Archäologische Befunde und Funde. In: Beiträge
zur Mittelalterarchäologie in Österreich 24 (2008) 121-129.
47
Konstanz, Münzgasse 14. Jh. Bürgerhaus
Jena51, ehm. Vorstadt Zweifelbach
2. Hälfte 14. Jh. Töpferei
Regensburg-Prebrunn 1400-1450
Regensburg, Auergasse 1052 15. Jh. Latrine in einer ehemaligen Schänke
Regensburg, Grasgasse 15.-16. Jh. Wohngebiet
Landshut 15.-16. Jh. Altstadt
Nürnberg, Kreuzgassenviertel53
15.-16. Jh. Wohngebiet
Straubing vorm nidern Tor 1560-1570 Hafnerwerkstatt
Köln spätes 16. Jh. Alchemistisches Laboratorium
Burg Kuchenheim, Lkr.
Euskirchen54
16./17. Jh. Burg
Straubing, vorm obern Tor um 1600 Hafnerwerkstatt
Straubing, vorm obern Tor
(2 Stk.)
um 1600
Hafnerwerkstatt
Leipzig, „Thüringer Hof“ 55, Mitte 17. Jh. Alchemisteninventar in Bürgerhaus
Schweiz
Scheidegg, Kant. Basel-
Land.
Anfang 14. Jh. Burg
Ungarn
Sopron 13.-14. Jh. Burg
Buda (2 Stk.) 14. Jh. Hof des königlichen Schlosses
Köszeg (2 Stk.) Anfang 16. Jh. Stadtburg
Tschechien
Křivoklát, Mittelböhmen56 Ende 13. Jh. Burg
Lelekovice, Mähren 14.-15. Jh. Burg
Niederlande
Utrecht 15.-16. Jh. Kloster Mariendael
Frankreich
51 M. Rupp und S. Schneider, Von der „Kunst des Destillierens“. In: Archäologie in Deutschland
4 (2008) 53.
52 Werner Endres und Harald Millitzer, Keramikfunde aus der „Großen Latrine“ im Anwesen
Auergasse 10 in Regensburg. In: Andreas Boos (Hg.), Wirtshauskultur. Archäologie, Geschichte
und Hinterlassenschaft einer alten Regensburger Schänke. Regensburg 2002, 29-
96.
53 Markus Sanke, Ausgrabungen im Nürnberger Kreuzgassenviertel. In: Birgit Friedel und
Claudia Frieser (Hg.),“…nicht eine einzige Stadt, sondern eine ganze Welt…“. Nürnberg –
Archäologie und Kulturgeschichte. Büchenbach 1999, 71-104.
54 Jürgen Weiner, Riza Smani und Petra Tutlies, Alambik – ein einzigartiger Fund von der
Wasserburg Kuchenheim. In: Ausgrabungen im Rheinland (2006) 193 ff.
55 Ralf Kluttig-Altmann, Leipziger Keramik des 14.-18. Jahrhunderts im Spannungsfeld von
Herstellung, Gebrauch und Entsorgung. In: Matthias Untermann und Michaela Jansen
(Red.), Archäologie der frühen Neuzeit (Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für Archäologie
des Mittelalters und der Neuzeit 18) Paderborn 2007, 101-106, hier: 104 ff.
56 Tomáš Durdík, Bier und weitere alkoholische Getränke auf den Burgen. In: Harmut
Hofrichter (Red.), Alltag auf Burgen im Mittelalter (Veröffentlichungen der Deutschen
Burgenvereinigung e.V. Reihe B: Schriften 10) Braubach 2006 171-176, hier 175 ff.
48
Lisieux, Normandie57 Ende 13. Jh.-14. Jh. Wohngebiet
Straßburg 16. Jh. Latrine in einer Apotheke (?)
Belgien
Raeren, Stadt Eupen58 1. Hälfte 16. Jh. Töpferei
Dänemark
Bjǿrnkær, Jütland (16 Stk,
aber teils „Trichter“)59
14. Jh. Burg
Großbritannien
Nottingham, Friary Lane spätes MA? Kloster
Selborne Priory, Hants
spätes MA? Priorei (Kloster)
Oxford, Bodleian Library
Tunnel
spätes MA?
London, Surrey Street 16. Jh.
London, Fenchurch Street spätes MA? Wohngebiet
Nuneaton Kiln Site,
Warwsh.
15. Jh. Keramikproduktionsstätte
Bodiam Castle, Sussex 15.-16. Jh. Burg/Schloss
Hailes Abbey, Glos. 1550-1650 Kloster
USA
Martins Hundred, Virginia 17. Jh. Gefunden in einer von Indianern zerstörten
niederländischen Siedlung
Andererseits zeigt die Tabelle schon jetzt eine beachtliche geographische
Streuung von Destillierhelmen, die von Großbritannien, Dänemark, Frankreich,
Belgien und Deutschland bis nach Österreich, die Schweiz, Ungarn und Tschechien,
ja sogar in die Vereinigten Staaten reicht. Der von insgesamt mindestens
47 Destillierhelmen größte Anteil an Funden ist mit 15 Stück in Deutschland zu
verzeichnen, gefolgt von Österreich mit zehn, Großbritannien mit acht und Ungarn
mit fünf Objekten. Eine Sonderstellung nimmt Dänemark mit seiner Fundstelle
Bjǿrnkær ein, wo Anfang der 1930er Jahre 16 trichterförmige Gefäße unterschiedlicher
Größe ergraben wurden. Kurzmann interpretierte diese teils als
Destillierhelme, teils als Trichter, die zum Umfüllen von Flüssigkeiten oder als
Kühlgefäße dienten. Da auch Kurzmann die genaue Unterscheidung als schwierig
bezeichnete und sich auf keine absoluten Zahlen festlegen wollte, muss die
genaue Zahl der dänischen Destillieraufsätze mit dem Hinweis auf eine potentiell
sehr beachtliche Menge an Exemplaren vorerst offen bleiben.60
57 Sandrine Berthelot, Jean-Yves Marin und Monique Rey-Delqué (Hg.), Vivre au Moyen
Âge. Archéologie du quotidien en Normandie, XIIIe-XVe siècles. Mailand 2002.
58 Ralph Mennicken, Hochprozentiges und Hexengebräu? Zwei ungewöhnliche Gerätschaften
aus Raerener Steinzeug. In: Friederike Lichtwark (Red.), Keramik auf Sonderwegen. 37.
Internationales Hafnerei-Symposium, Herne 19. bis 25. September 2004 (Denkmalpflege
und Forschung in Westfalen 44) Mainz 2007, 53-64, hier: 53-59.
59 Peter Kurzmann, Neues über die Destillation im Mittelalter In: Zeitschrift für Archäologie
des Mittelalters 35 (2007) 87-100.
60 Ebenda 87-89.
49
In Bezug auf die Datierung der Destillierhelme weist die Tabelle einen
klaren Schwerpunkt im 15. und 16. Jahrhundert aus, denn von insgesamt 44
Fundorten haben 23 eine eindeutige chronologische Zuordnung in einem dieser
beiden Jahrhunderte vorzuweisen. Die ältesten Exemplare sind der Destillierhut
aus der tschechischen Burg Křivoklát, die jeweils ins 13. bis 14. Jahrhundert datierten
Destillierhelme aus der Burg von Sopron in Ungarn und aus dem französischen
Lisieux sowie ein aus dem Anfang des 14. Jahrhunderts stammendes
Objekt aus der Burg Scheidegg. Bei Hinzuzählung der ins späte Mittelalter datierten
britischen Destillieraufsätze ergeben sich noch etwa 13 weitere Exemplare,
die vor 1500 datieren. Nur acht Funde fallen in das 17. Jahrhundert und danach,
was somit den Zwettler Destillierhelm zu einem der jüngsten Vertreter
seiner Art macht. Ob für diesen Abwärtstrend der schon zur Genüge herangezogene
bescheidene Forschungsstand oder vielmehr eine spätestens im 17. Jahrhundert
einsetzende Tendenz einer Umstellung von irdenen Destillierhelmen zu
solchen aus Glas oder anderen Materialen verantwortlich zu machen ist, werden
zukünftige Funde beantworten können.
Bei einer Analyse der insgesamt 47 oben aufgelisteten Destillierhelme bezüglich
ihres Fundzusammenhanges ergibt sich folgendes Bild: 22 solcher Geräte
wurden in Siedlungsmilieus (sowohl Städte als auch Dörfer) gefunden, 18
stammen aus Burgen, Schlössern oder herrschaftlichen Residenzen, vier aus
Klöstern und bei drei Objekten konnte der konkrete Fundkontext nicht eruiert
werden. Die – wenn auch knappe – Mehrheit von Destillierhelmfunden im Bereich
von Siedlungen ist eine Bestätigung für die Theorie, dass solche Destillationsapparaturen
ab dem späten Mittelalter nicht mehr nur bei elitären Kreisen
verbreitet waren, sondern auch immer mehr in bürgerlichen Schichten Verwendung
fanden, was einerseits Grundkenntnisse der Destillierkunst auch in solchen
Bevölkerungsschichten, andererseits die Erschwinglichkeit derartiger technischer
Geräte voraussetzt. In einigen Fällen lassen sich sogar Rückschlüsse auf
mögliche Verwendungsgebiete ziehen, wie etwa bei dem Helm aus der Auergasse
in Regensburg, der in einer ehemaligen Schänke gefunden wurde und daher
auf eine Branntweinherstellung hindeutet, sowie bei dem Fund aus Straßburg,
welcher möglicherweise im Zusammenhang mit einer Apotheke stehen
und an eine Arzneiproduktion mit Hilfe solcher Destillierhelme denken lässt,
oder bei dem Stück aus Zwettl. Insgesamt sieben Exemplare, und zwar aus
Straubing, Jena, Nuneaton Kiln Site in England und dem belgischen Raeren,
wurden sogar direkt in Hafnerwerkstätten gefunden, was für eine in großem
Umfang stattfindende Produktion solcher Destillierhelme und eine dementsprechende
Nachfrage spricht. In Köln und Leipzig waren Destillieraufsätze wohl
Bestandteile von bürgerlichen Alchemistenlaboratorien. Die restlichen im Bereich
von Siedlungen geborgenen Destillierhelme traten meist in herkömmlichen
Bürgerhäusern zu Tage oder ließen auf Grund der Befundsituation keine weiteren
Schlüsse auf die ehemaligen Besitzer zu.
50
Wenig überraschend ist die mit mindestens 18 Fundstücken – die sicherlich
höhere Stückzahl in Bjǿrnkær ist dabei nur mit einem Exemplar berücksichtigt
– zweithäufigste Verbreitung von Destillierhelmen in Burgen und
Schlössern. Adelige konnten ja aus den verschiedensten Gründen, allen voran
der Alkoholherstellung, an der Destillation interessiert sein und ihnen fiel überdies
der Erwerb einer dafür nötigen Apparatur sowie des theoretischen Wissens
sicherlich nicht schwer. Interessant ist dabei die chronologische Komponente:
Der älteste Destillierhelm, nämlich aus Křivoklát, und insgesamt drei der vier
ältesten Destillierhüte stammen aus Burgen, was für eine Innovationsfreude des
Adels und seine wichtige Rolle bei der Verbreitung und Anwendung der Kenntnis
von Destillationsprozessen spricht. Auch in der Folgezeit sind Destilliergeräte
auf Burgen nicht selten und noch bis ins 17. Jahrhundert sind Destillieraufsätze
aus Keramik mehrfach in adeligen Residenzen zu finden.
Besonders auffallend ist außerdem die Tatsache, dass mit den beiden im
Hof des königlichen Schlosses von Buda aufgefundenen Stücken, dem Exemplar
aus Kaiserebersdorf sowie unter Einrechnung des Objekts aus Innsbruck vier
Destillierhelme aus dem direkten Umfeld landesfürstlicher Herrschaft entstammen,
was einerseits als ein Beleg für die weite, sogar bis in allerhöchste Kreise
reichende Verbreitung von Destillierhelmen zu werten ist, andererseits wieder
zwangsläufig Fragen zu deren dortigem Verwendungszweck aufwirft, die vorerst
jedoch nur mit den üblichen Spekulationen, die zumeist in den Bereich von
Branntwein- und Arzneiproduktion, oder sogar alchemistischer Umtriebe gehen,
beantwortet werden können.
Mit vier Exemplaren tun sich in der Tabelle des Weiteren Klöster als prominente
Fundstätten hervor, wobei allein drei davon auf England entfallen, was
aber mit Hinblick auf den noch dürftigen Forschungsstand nicht unbedingt auf
eine britische Besonderheit hinweisen muss; Alkoholherstellung ist in vielen
Klöstern Europas kein unbekanntes Phänomen, ebenso ist mit der Produktion
von Pflanzen- und Kräuterextrakten ein anderes, bestens in dieses Umfeld passendes
Motiv für die Verwendung von Destillationsapparaturen gegeben.
Nur bei vier Destillierhelmen ließ sich eindeutig ein Zusammenhang mit
alchemistischen Tätigkeiten nachweisen, und zwar paritätisch in adeligem Zusammenhang
in Oberstockstall und Kapfenberg einesteils und, wie schon erwähnt,
im bürgerlichen Kontext in Köln und Leipzig andernteils. Natürlich sind
keramische Destillierhauben gerade auch in diesem Zusammenhang verwendet
worden und eine Interpretation solcher Geräte als Relikte alchemistischer Tätigkeit
darf daher nicht prinzipiell ausgeschlossen werden. Dennoch macht die
obige Auflistung sehr deutlich, wie beträchtlich das Übergewicht zu Gunsten
anderer Nutzungen ausfällt und in welchem Ausmaß sich solche Destillationsapparaturen
von reinen alchemistischen Gerätschaften beinahe zu Alltagsgegenständen
entwickelt hatten. Dies beweist ferner, dass keineswegs nur alchemistische
Spezialisten sondern mindestens seit Ende des 13. Jahrhunderts zunehmend
ebenso Laien in der Lage waren, sich nicht nur das erforderliche theo51
retische Wissen, sondern auch die nötigen technischen Gerätschaften für Destillationsprozesse
anzueignen. Unter Berücksichtigung der experimentellen Versuche
von Peter Kurzmann, dem es gelang, mit den Repliken diverser Destillierhelme
problemlos alkoholhältige Destillate zu erzeugen,61 zeigt die hohe
Verbreitung von Destillationsaufsätzen, dass die Menschen des Mittelalters und
der Frühen Neuzeit alkoholische Destillate wie Branntwein relativ einfach selbst
herstellen konnten – selbst ohne spezielle Küchenherde.
Für eine Gesamtbetrachtung des archäologischen Niederschlags der Destillation
wäre freilich die Hinzuziehung von Destillierhelmen aus Glas und anderen
Materialien sowie aller sonstigen – mitunter aber schwer als solche identifizierbaren
– Destilliergeräte erforderlich. Eine derartige Studie würde ein ungleich
bunteres Bild ergeben und wäre ein interessantes Desiderat für die Zukunft.
Die Bedeutung der Destillation im Spätmittelalter
und in der frühen Neuzeit
Das Wissen um die Destillation dürfte schon ziemlich früh bekannt gewesen
sein, wie in die Mitte des 4. Jahrtausends v. Chr. datierte Funde aus Mesopotamien
belegen.62 Über Vermittlung der Araber gelangte die Kenntnis des
Destillierens im späten 12. und frühen 13. Jahrhundert dann in den Westen, wobei
die Übersetzungsschulen von Salerno und Toledo eine besonders wichtige
Rolle spielten.63 In der muslimischen Welt wurde das Alkoholverbot jahrhundertelang
höchst unterschiedlich gehandhabt, sodass speziell Angehörige der
reichen Schichten stets mehr oder weniger heimlich dem Genuss von gebrannten
und gegorenen Getränken frönen konnten.64
Im Mittelalter bediente man sich des Destillationsverfahrens vor allem in
zwei großen Anwendungsgebieten:
• einerseits bei der Erzeugung von Mineralsäuren wie etwa Schwefel- bzw.
Salpetersäure, die als „Scheidewässer“ bei der Trennung von Gold und
Silber dienen sollten, oder Königswasser, einem Gemisch aus Salpeterund
Salzsäure zum Auflösen von Gold;
• andererseits bei der Produktion von organischen Präparaten oder, wie es
die Alchemisten bezeichneten, Extrakten, die – mit unterschiedlichem Erfolg
– vorwiegend im medizinischen Bereich zur Anwendung kamen,
61 Kurzmann, Destillation 96 f.
62 Ebenda 27.
63 Christoph Zauner, Geschichte der Destillation. Ungedruckte Diplomarbeit Univ. Wien
2002, 35.
64 Gert von Paczensky und Anna Dünnebier, Kulturgeschichte des Essens und Trinkens. München
1999, 165.
52
aber auch, wie es etwa beim Branntwein der Fall war, für den alltäglichen
Konsum hergestellt werden konnten.65
Am Beginn der Praxisgeschichte des Brennens bzw. Destillierens – diese beiden
Begriffe waren schon im Mittelalter synonym66 – stand in Europa zunächst das
Rosenwasser. Zu dessen Herstellung bediente man sich eines anspruchslosen
Destillierverfahrens, bei dem mit Wasser angesetzte Rosenblüten erhitzt und die
ätherischen Dämpfe mit einem einfachen Destillierhelm – daher der Name Rosenhut
– aufgefangen wurden. Das so gewonnene Rosenwasser erhielt den Ruf
eines vorzüglichen Heilmittels und nach kurzer Zeit wurden viele ähnlich gebrannte
Wässer aus den verschiedensten Kräutern, Blumen, Wurzeln und Beeren
hergestellt – in Brunschwigs „Kleinem Destillierbuch“ werden allein über 140
Sorten gebrannter Wässer aufgezählt.67 Dieser Prozess dürfte in Mitteleuropa
um 1190 begonnen haben; 1257 ist in Rostock etwa ein Hermannus Rosenwater
nachgewiesen. Ab 1317 tauchte im niederdeutschen Bereich der Berufsname
Bernewater auf, etwas später findet sich 1363 in der Colmarer Bürgerliste mit
Klaus Winbrenner das erste „hochdeutsche“ Äquivalent. Diese Berufsbezeichnungen
spiegeln schon eine bedeutende Weiterentwicklung in der Destillierkunst
wider, nämlich die Herstellung von gebranntem Wein.68 Seiner
Eigenschaften gemäß – eine klare, „wasserartige“ Flüssigkeit, die verbrennen
kann – wurde Branntwein in den lateinischen Quellen als aqua ardens bezeichnet,
später bürgerten sich auf Grund der mannigfaltigen positiven Eigenschaften,
die diesem zugeschrieben wurden, die Begriffe aqua vitae69 oder quinta essentia
ein. Wie sich schon allein aus den seit dem 13. Jahrhundert weit verbreiteten
Branntweintraktaten, in denen die Wirkung des unvermischten Branntweins gegen
allerlei Gebrechen des menschlichen Körpers in euphorischer Weise beschrieben
wurde, ablesen lässt, genoss diese neu entdeckte Essenz zunächst in
der Fachwelt und dann in immer breiteren Bevölkerungsschichten – vermutlich
wesentlich begünstigt durch die konstant schwelende Angst vor der seit 1348
immer wieder grassierenden Pest – den Ruf eines wahren Wundermittels.70
Man setzte dieses Getränk nicht nur zur Heilung bereits bestehender
Krankheiten ein, vor allem weil diesem eine die Abwehr der Krankheit wesentlich
begünstigende Verbesserung des psychischen Zustandes des Patienten
nachgesagt wurde, sondern auch als körperlich wirksames Prophylaktikum, das
65 Kurzmann, Destillation 27.
66 Astrid Müller-Grzenda, Pflanzenwässer und gebrannter Wein als Arzneimittel zu Beginn
der Neuzeit. Herstellungsverfahren, Hersteller und Handel, Beschaffenheit und Bedeutung
für die Materia medica (Braunschweiger Veröffentlichungen zur Geschichte der Pharmazie
und der Naturwissenschaften 38) Stuttgart 1996, 40-43.
67 Ernst Schubert, Essen und Trinken im Mittelalter. Darmstadt 2006, 234.
68 Helmut Arntz, Weinbrenner. Die Geschichte vom Geist des Weines. Stuttgart 1975, 16-25.
69 Davon leitet sich nicht nur der Aquavit ab, selbst der Whisky verdankt seinen Namen dem
gälischen Äquivalent zu Lebenswasser, uisge beatha. Vgl. Schubert, Essen und Trinken
233.
70 Müller-Grzenda, Pflanzenwässer, 143-147.
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den Organismus vor allerlei Unpässlichkeiten schützen sollte. Es gab im 14. und
15. Jahrhundert daher nur wenige Krankheiten und Gebrechen, bei denen
Branntwein nicht als Heilmittel empfohlen wurde, egal ob es sich um Mundgeruch,
Ergrauen der Haare, Melancholie und Zahnausfall oder um Leiden wie
Taubstummheit, eheliche Unfruchtbarkeit und Menstruationsbeschwerden handelte.
71 Daneben hatte Branntwein auch hungerdämpfende Eigenschaften und
diente so während immer wiederkehrender Versorgungskrisen als Nahrungsersatz.
72
Ein Beleg für die hohe Erwartungshaltung, die man von Seiten der damaligen
Arzneikunde dem Branntwein entgegenbrachte, ist ein im Jahre 1455 verfasstes
und allein bis 1500 44 Auflagen erreichendes Büchlein namens Nützlich
Büchlein von Kunst und Tugend der gebrannten Wassern des österreichischen
Arztes Michael Puff von Schrick (1400-1472)73, wo unter anderem folgender
Satz zu lesen ist: „Auch wer alle morgen trinkt den geprannten wein ain halben
löffel voll, der wirt nymmer kranck“.74 Das Elixier wurde zwar meist als Getränk
zu sich genommen, häufig dürfte es aber auch äußerlich in Form von Einreibungen,
Umschlägen oder als Bestandteil von Salben zur Anwendung gekommen
sein. Weitere für den Menschen nützliche Anwendungsmöglichkeiten des
Branntweins lagen in der Beseitigung von Parasiten, der Konservierung von Lebensmitteln
sowie der Genießbarmachung von verdorbenem Wein.75 In der
Volksmedizin scheint man längere Zeit auf dieses traditionelle Heilgetränk zurückgegriffen
zu haben, da zum Beispiel noch in einem steirischen Arzneibuch
aus dem frühen 17. Jahrhundert Branntwein gegen Heiserkeit verschrieben
wurde. Im späten Mittelalter machten durch Destillation hergestellte Pharmazeutika
schätzungsweise etwa 10 Prozent der verwendeten Arzneien aus, im 16.
Jahrhundert waren es schon 16,8 und im 17. Jahrhundert steigerte sich dieser
Wert auf beachtliche 21 Prozent.76 Desgleichen sprechen beispielsweise die gewaltigen
Mengen an Branntweinlieferungen Bände, die in den Rechnungsbüchern
der Ratsapotheke von Braunschweig (1537-1555) aufscheinen.77
Mit der im Laufe des Spätmittelalters stetig steigenden Verbreitung des
Branntweines, die sicherlich unter anderem auf die in breiteren Schichten zunehmende
Vertrautheit mit Destillationsapparaturen zurückgeführt werden kann,
ging allmählich auch die ungefähr seit dem Ende des 15. Jahrhunderts abgeschlossene
Entwicklung dieses Getränks zu einem Genussmittel einher, was aber
71 Zauner, Geschichte 48; Schubert, Essen und Trinken 234 f.
72 Müller-Grzenda, Pflanzenwässer 177.
73 Julius Pagel, Schrick, Michael Puff von. In: Allgemeine Deutsche Biographie 32. Leipzig
1891, 497-498. (http://www.deutsche-biographie.de/artikelADB_pnd118917676.html) letzter
Zugriff 29.11.2010.
74 Michael Puff von Schrick zitiert nach Gerald Mülleder, Alkohol-Konsum im 15., 16. und
17. Jahrhundert. In: Unsere Heimat 60/3 (1989) 198-213, hier: 208.
75 Ebenda 207-209.
76 Zauner, Geschichte 48 f.
77 Müller-Grzenda, Pflanzenwässer 111.
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keineswegs einen Widerspruch zu dessen Arzneifunktion bildete, denn die beiden
Hauptmotive für den Verzehr von Branntwein – Gesundheit und Genuss –
bildeten eine im Einzelfall nur schwer von einander zu trennende Einheit. Wegen
der leichten Zugänglichkeit und der mannigfaltigen für den Konsum von
Branntwein sprechenden Gründe kam es daraufhin nicht selten zu dessen Überkonsum,
dem die Obrigkeit in manchen Fällen mit Hilfe von Verboten Herr zu
werden versuchte. Bereits gegen Ende des 15. Jahrhunderts war der Konsum
von Branntwein in vielen deutschen Städten untersagt bzw. Beschränkungen
unterworfen.78
Als Grundstoff für die Branntweinerzeugung wurden anfangs nahezu ausschließlich
Weine verwendet, man hatte aber schon früh auch die Eignung von
vergorenem Obst, Bier, Wein- und Bierhefen sowie fermentiertem Getreide für
die Alkoholherstellung erkannt. Vor allem die Getreidebrennerei ist in der Frühen
Neuzeit gut dokumentiert, weil sie von den Obrigkeiten wegen des hohen
Kornbedarfs, der infolge der Bedeutung von Getreide als Grundnahrungsmittel
und angesichts periodischer Mangelzeiten nicht zu rechtfertigen war, im 16. und
17. Jahrhundert oft verboten wurde. Erst danach wurden allmählich gewerbliche
Getreidebrennereien von der Obrigkeit zugelassen, wiewohl in der Gesetzgebung
noch lange Misstrauen und Vorurteile gegenüber aus anderen Rohstoffen
als aus Wein hergestelltem Branntwein bestehen blieben.79
Das in Tabelle 1 veranschaulichte Vorkommen von keramischen Destillierhelmen
in adeligen aber auch schon in bürgerlichen Haushalten ab dem 13.
Jahrhundert zeigt, dass das Wissen um die Destillation und die den verschiedensten
Gründen geschuldete Nachfrage nach Destillaten bereits weit früher in
breiten Bevölkerungsschichten verbreitet waren, als sich dies allein aus den
Schriftquellen nachvollziehen lässt. Wenngleich etwa die Branntweinerzeugung
vor dem 15. Jahrhundert sicher kein Massenphänomen war, scheint eine autarke
Kleinproduktion sowohl auf Burgen als auch im städtischen Bereich schon
deutlich früher Usus gewesen zu sein.80 Der dann ab dem 15. Jahrhundert einsetzende
Destillationsboom findet zudem in den Funden keramischer Destillierhelme
Niederschlag.
Die Auffindung eines Destilliergeräts in einer Badestube – traditionell ein
Ort der Hygiene wie der Gesundheitsversorgung – sollte in Anbetracht der gesundheitlichen
Bedeutung der Destillation daher nicht überraschen. In ihrer den
Badehäusern vom Mittelalter bis in die Neuzeit gewidmeten Dissertation ging
Birgit Tuchen unter anderem auf Mobiliar und Gerätschaften von Badestuben
ein, wobei sie nicht nur archäologische Funde, sondern auch Schriftquellen, wie
etwa Nennungen diverser Geräte in Rechnungsbüchern oder Badernachlässen,
sowie bildliche Darstellungen des mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Badebetriebs
heranzog. Interessanterweise fanden sich laut ihrem Befund in keiner
78 Mülleder, Alkohol-Konsum 209.
79 Müller-Grzenda, Pflanzenwässer 145 f.; Mülleder, Alkohol-Konsum 211-213.
80 Durdík, Bier 175 f.
55
dieser drei Quellengattungen Hinweise auf eine Destillierapparatur oder Ähnliches.
81 Das bedeutet also, dass Destilliergefäße im Zusammenhang mit Badern
oder Badstuben bislang noch nicht nachgewiesen werden konnten. Zum Vergleich:
In Apotheken sind Verkauf und Herstellung von Destillaten durch
schriftliche Quellen zwar bestens erschlossen, jedoch gibt es nur einen einzigen
keramischen Destillierhelm, der einer Apotheke zugeordnet werden kann. Folglich
fällt dem archäologischen Fund eines Destillierhelms in Zwettl noch zusätzliche
Bedeutung zu, da er den ersten Nachweis überhaupt für die praktische
Anwendung von Destillation in einem Badhaus darstellt und damit sowohl der
Geschichte des Baderwesens als auch der Destillation einen neuen Aspekt hinzufügt.
Was genau mit Hilfe dieses Geräts in der Badestube hergestellt wurde,
lässt sich nicht klären. Vermutungen über potentielle Verwendungszwecke, wie
etwa zur Arznei- oder Branntweinherstellung oder gar für die Erzeugung von
Kräuterbädern, sind zwar durchaus plausibel, könnten aber nur durch eventuelle
chemische Analysen der Destillatsrückstände an der Innenseite des Destillierhelms
verifiziert und aus dem Rang der Spekulation gehoben werden.
Zusammenfassung
Der in diesem Artikel präsentierte Fund eines Destillierhelms in Zwettl (Niederösterreich)
konnte auf Grund der Gleichförmigkeit der Formen und des unzureichenden
Forschungsstands nur mit Hilfe seiner Begleitfunde datiert werden, die
eine chronologische Einordnung zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert wahrscheinlich
machen. Mittels historischer Quellen wurde die Identifizierung des
Fundortes als alte Badestube und somit ein Zusammenhang des Destillierhelms
mit dem Baderwesen erkannt. Das Zusammenwirken der Disziplinen Archäologie
und Geschichte ermöglichte demnach den ersten und bislang einzigen
Nachweis eines Destilliergeräts in einem Badehaus.
Anhand des Zwettler Fundstücks wurde ferner die Schwierigkeit der korrekten
Ansprache von Destilliergeräten gezeigt und die Verwendung neutraler
Begriffe Destillierhelm, Destillierhut oder Destillationsaufsatz vorgeschlagen.
Eine Auflistung sämtlicher keramischer Destillierhelme zeigte – trotz gravierender
Forschungslücken – nicht nur eine besonders frühe, sondern auch beachtliche
geographische und soziale Verbreitung dieser Destilliergeräte, was das Wissen
um die Verfügbarkeit von als Gesundheits- wie Genussmittel so wichtigen
Destillaten wie etwa dem Branntwein erweitert.
81 Birgit Tuchen, Öffentliche Badhäuser in Deutschland und der Schweiz im Mittelalter und
der Frühen Neuzeit (Dissertation Tübingen 1999) Petersberg 2003, 112-122.
M E D I U M A E V U M
Q U O T I D I A N U M
61
KREMS 2010
HERAUSGEGEBEN
VON GERHARD JARITZ
GEDRUCKT MIT UNTERSTÜTZUNG DER KULTURABTEILUNG
DES AMTES DER NIEDERÖSTERREICHISCHEN LANDESREGIERUNG
Titelgraphik: Stephan J. Tramèr
ISSN 1029-0737
Herausgeber: Medium Aevum Quotidianum. Gesellschaft zur Erforschung der
materiellen Kultur des Mittelalters, Körnermarkt 13, 3500 Krems, Österreich.
Für den Inhalt verantwortlich zeichnen die Autoren, ohne deren ausdrückliche
Zustimmung jeglicher Nachdruck, auch in Auszügen, nicht gestattet ist. –
Druck: Grafisches Zentrum an der Technischen Universität Wien, Wiedner
Hauptstraße 8-10, 1040 Wien.
Inhaltsverzeichnis
Vorwort ……………………………………………………..…………….…… 4
András Vadas, Volcanoes, Meteors and Famines. The Perception of Nature
in the Writings of an Eleventh-Century Monk ………….……….……… 5
Ronald Salzer, Ein brennendes Thema: Der Destillierhelmfund
in der ehemaligen Badestube von Zwettl-Niederösterreich) und
die Rolle der Destillation im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit …… 27
Helmut W. Klug, gewürcz wol vnd versalcz nicht.
Auf der Suche nach skalaren Erklärungsmodellen
zur Verwendung von Gewürzen in mittelalterlichen Kochrezepten ..… 56
Isabella Nicka, Raum für Heilige und Heilsgeschehen.
Fragen zu Bild-Settings des Passionsaltars
der heutigen Pfarrkirche in Pöggstall (Niederösterreich) ……..……….. 84
Buchbesprechung …..……………………………………………………….. 101
Anschriften der Autoren …………………………………….……..…….….. 103
4
Vorwort
Der vorliegende Band von Medium Aevum Qutidianum widmet sich Untersuchungsergebnissen
zu Alltag und materieller Kultur des Mittelalters und der
Frühen Neuzeit, die aus Forschungen zu archäologischem, textlichem und bildlichem
Quellenmaterial hervorgegangen sind, welche in Österreich und Ungarn
durchgeführt wurden.
Ausgehend von einem Fund im nördlichen Niederösterreich widmet sich
Ronald Salzer der Analyse frühneuzeitlicher keramischer Destilliergefäße. Helmut
W. Klug präsentiert eine Untersuchung der Gewürzkultur, wie sie sich in
mittelalterlichen Kochrezeptsammlungen darstellt. An Hand eines zu Ende des
15. Jahrhunderts geschaffenen Flügelaltars analysiert Isabella Nicka die „Räume“
der dargestellten Heiligen und deren beabsichtigte Wirkung auf ihr
Publikum. András Vadas hingegen zieht für seine Untersuchung das berühmte
chronikalische Werk des burgundischen Benediktinermönches Rodulfus Glaber
aus dem 11. Jahrhundert heran um herauszufinden, in welchem Maße sich der
Autor mit der Natur und Naturerscheinungen seiner Zeit auseinandersetzte.
Gerhard Jaritz