Generic selectors
Exact matches only
Search in title
Search in content
Post Type Selectors
Search in posts
Search in pages
wsarticle
wsjournal
Filter by Categories
Allgemein
MAQ
MAQ-Sonderband
MEMO
MEMO_quer
MEMO-Sonderband

Galgen und Schlachtfelder: Der gewaltsame Tod in den Chroniken der Stadt Augsburg, 1368-1468

Galgen und Schlachtfelder.
Der gewaltsame Tod in den Chroniken der Stadt Augsburg,
1368-1468
Christa Petschko (Graz)
Galgen und Schlachtfelder: Bei der oberflächlichen Durchsicht von Chroniken
kann man vielleicht den Eindruck erhalten, daß diese beiden Orte Angelpunkte
eines spätmittelalterlichen Lebens sein könnten, daß sie im Alltag des spätmittelalterlichen
Städters, in diesem Fall des Augsburgers, eine große Rolle
spielten und daher der Alltag geprägt war von Gewalt und Tod, Schrecknissen
und Grausamkeiten. Da wären wir beim Bild vom finsteren Mittelalter, vor
allem dem Spätmittelalter, dem Herbst des Mittelalters, einer Zeit des
Niedergangs oder zumindest Umbruchs, einer Zeit, in der man sich nicht
wünschen würde zu leben, hätte man den Wunsch frei, sich in eine andere Zeit
versetzen zu können.
Die Fragestellung der vorliegenden Untersuchung ist es, inwieweit der
gewaltsame, oder weiter gefaßt mit einem freilich modernen Begriff, der
unnatürliche Tod, nach den untersuchten Quellen zum Alltag eines spätmittelalterlichen
Augsburgers gehört haben könnte. Das soll anhand der Aufzeichnungen
von vier Chroniken untersucht werden, deren Autoren, wie auch
schon einer der einschlägigen Buchtitel voraussetzt, als Zeitzeugen anzusehen
sind1 • Damit wird der Augsburger, der oben angesprochen wurde, sehr genau
definiert: es handelt sich um die Verfasser der Chroniken, durchwegs wohl
männlichen Geschlechts und sicherlich nicht den Unterschichten zuzurechnen.
Es erhebt sich dann natürlich die Frage, inwieweit das gezeichnete Bild des
städtischen Alltages eines männlichen Angehörigen der Ober- oder Mittelschicht
auf den Alltag und die Alltagserfahrung eines Angehörigen einer anderen
Schicht, eines Juden oder einer Frau umgelegt werden kann.
Ich habe vier Chroniken des 1 5 . Jahrhunderts zur Augsburger Stadtgeschichte
bearbeitet, die alle zumindest bis zur Mitte des 1 5 . Jahrhunderts
reichen oder fortgefiihrt wurden; das sind die Chronik von 1 368 bis 1406
1 Rolf SPRANDEL, Chronisten als Zeitzeugen (Kollektive Einstellungen und sozialer Wandel
im Mittelalter NF 3) Köln 1994. SPRANDELs Werk dient einer Reihe von Untersuchungen,
die unten angefiilut werden, als argumentative Basis.
52
( 1 447)2, die Chronik des Erhard Wahraus ( 1 1 26-1 445)3, die Chronik von der
Gründung der Stadt Augsburg bis zum Jahr 14694 und die Chronik des Burkard
Zink5, die bei weitem umfangreichste der vier untersuchten Chroniken.
Der oder die Verfasser der Chronik von 1 368 bis 1 406, mit einer Lücke
fiir 1389 und Erweiterungen bis 1447, sind unbekannt, dürften aber vermutlich
aus dem juristischen Bereich stammen; darauf weist einerseits der Sprachgebrauch
hin, aber auch die Verwendung von Urkunden und Akten. Es handelt
sich möglicherweise um einen Stadtschreiber oder auch um ein Mitglied der
städtischen Oberschicht, da auch die Nachrichten etwa über Italien und Ungarn
wohl aus Handelsbeziehungen in diesen Raum zu erklären sind6.
Erhard Wahraus nennt sich in einer Notiz zum Jahr 1409 selbst, war
damals junger Bürger; seine Familie ist wohl aus Eichstätt zugewandert, sein
Name begegnet in städtischen Urkunden und Büchern vom Anfang bis zur
Mitte des 1 5. Jahrhunderts. Später gilt er als einer der bedeutendsten Kauf- und
Handelsherren in Augsburg und war auch Ratsherr, 1 442 erscheint er als
Mitglied des Großen Rates. Für die Zeit der Augsburger Chronik 1 368-1406
bringt er Ergänzungen, ansonsten stuft ihn Frensdorff als eher dürftig und
fehlerhaft ein und unterstellt ihm zufallige Auswahl im Vergleich mit den
späteren, vollständigeren Chroniken. Die vorliegende Chronik ist im wesentlichen
in den Jahren 1443-1445 beendet worden, mit einem ersten vorläufigen
Abschluß 1443, dann folgen Zusätze und eine Fortfiihrung bis 14457.
Der Verfasser der Chronik von der Gründung der Stadt bis 1469 gibt sich
durch seine Parteinahme als Mitglied der 1368 in ihrer Macht eingeschränkten
alten Geschlechter Augsburgs zu erkennen8. Die Gründungsgeschichte, wie sie
in der vorliegenden Chronik erzählt wird, wird im weiteren wegen mangelndem
alltagsgeschichtlichen Zusammenhang nicht behandelt werden, sowie auch der
zweite und dritte Teil, die sich mit Papst- und Kaisergeschichte und nebenbei
mit meist sagenhaften Ereignissen aus der Augsburger Stadtgeschichte befassen.
Die Auswertung soll erst mit dem vierten Teil, dem Eintritt ins 14. Jahrhundert
einsetzen. Der Zeit von da an bis 1469 ist in kurzen Notizen aber auch
2 Herausgegeben und eingeleitet von F. FRENSDORFF und M. LEXER in: Die Chroniken der
deutschen Städte 4 . Augsburg I . Leipzig 1865, ND Stuttgart 1 965, S. 2 1 – 1 25.
3 Herausgegeben und eingeleitet von F. FRENSDORFF und M. LEXER in: Die Chroniken der
deutschen Städte 4 . Augsburg I . Leipzig 1865, ND Stuttgart 1965, S. 21 5-24 1 .
4 Herausgegeben und eingeleitet von F. FRENSDORFF in: Die Chroniken der deutschen Städte
4. Augsburg I . Leipzig 1 865, ND Stuttgart 1965, S. 279-332.
5 Herausgegeben und eingeleitet von F. FRENSDORFF und M. LEXER in: Die Chroniken der
deutschen Städte 5. Augsburg 2. Leipzig 1 866, ND Stuttgart 1 965, S. 1-330. Untersucht
wurde diese Chronik in der Dissertation von Kar! ScHNrrn, Die Augsburger Chronik des
Burkhard Zink. Eine Untersuchung zur reichsstädtischen Geschichtsschreibung des 15.
Jahrhunderts. München 1958.
6 Vgl. FRENSDORFF, Chroniken der deutschen Städte 4, Augsburg I, Einleitung, S. 3-1 1 .
1 V gl. FRENSDORFF, Chroniken der deutschen Städte 4 , Augsburg I , Einleitung, S . 201-214.
8 Vgl. FRENSDORFF, Chroniken der deutschen Städte 4, Augsburg I , Einleitung, S. 267-278.
53
ausführlicheren Erzählungen mehr als die Hälfte der Chronik gewidmet. Als
Quellen für diesen vierten Teil der Chronik sind die Chronik von 1 348 bis 1406
zu nennen, nicht aber die des Erhard Wahraus, die Nachrichten aus der ersten
Hälfte des 14. Jahrhunderts zeigen vielmehr eine gemeinsame Quelle mit den
späteren Chroniken des 1 5 . Jahrhunderts (v. a. des Hektor Mülich). Die Chronik
von der Gründung der Stadt bis 1469 greift vor allem auf die zwar als gelehrt
aber auch fabulös zu charakterisierende Chronik des Sigismund Meisterlin
(Chronographia Augustensium) zurück9•
Burkard Zink wurde nach eigener Angabe 1396 in Memmingen geboren,
begann nach einigen Wirrnissen die Kaufmannslehre in Augsburg, mußte die
Stadt verlassen, kehrte 1 4 1 9 wieder zurück und kam in der Folge im Auftrag
des Rates der Stadt wie auch seines Herren, des Kaufmanns Jos Kramer, weit
herum. Seit der Mitte des Jahrhunderts stand er ohne Unterbrechung in
städtischen Diensten bis er wohl an der Wende der Jahre 1 474/75 starb10. In
seinem Werk übernimmt er – wie auch Hektor Mülich – die Chronik von 1 348
bis 1406 als erstes Buch1 1 • Als zweite schriftliche Quelle nennt er ein Gedicht
über das Konstanzer Konzil und König Sigismund des Augsburgers Themas
Prischuch, ansonsten will er seine Informationen aus eigener Zeugenschaft oder
vom ,,Hörensagen“ haben. Tatsächlich hat er jedoch weitere schriftliche Quellen
benutzt, die zum Teil durch eine Sammlung aus dem 16. Jahrhundert überliefert
sind und auch den anderen Augsburger Chroniken als Vorlage gedient haben
dürften12•
Zeitlich habe ich diese Untersuchung auf die hundert Jahre von 1 368 bis
1468 eingeschränkt, also auf die Zeit von der Einführung der Stadtverfassung
mit Zunftbeteiligung im Rat bis kurz vor die Amtszeit des Zunftbürgermeisters
Ulrich Schwarz in den 70er Jahren des 1 5 . Jahrhunderts, unter dem es zu einer
weiteren Veränderung im Stadtregiment kam. Nach 1 368 erlebt auch die
Chronistik in Augsburg einen Aufschwung13• Die zweite Begrenzung entstand
auch durch die Chroniken selbst, die 1 447, 1 445, 1 469 und 1468 enden, aber
auch durch die runde Zahl eines Jahrhunderts, das damit untersucht wurde.
Dieses Bild durch die Chroniken des Hektor Mülich, die anonyme Chronik vom
Ende des 1 5 . Jahrhunderts und die Chroniken des 16. Jahrhunderts abzurunden,
muß Gegenstand weiterer Untersuchungen bleiben. Nicht nur aus diesem Grund
sind die Ergebnisse nur als vorläufig zu betrachten, auch der Vergleich mit
anderen Quellengattungen müßte ausgeweitet werden, um das Bild schärfer zu
machen.
9 Vgl. SCHNITH, Augsburger Chronik, S. 7.
10 Vgl. SCHNITH, Augsburger Chronik, S. 3-S.
11 Vgl. FRENSDORFF, Chroniken der deutschen Städte S, Augsburg 2, Einleitung, S. 1 1-45, hier
s. 13-17.
1 2 SCHNITH, Augsburger Chronik, S. 20 f., zu Einflüssen anderer Augsburger Chroniken
aufeinander s. das Schema ebendort, S. 22.
13 Vgl. SCHNITH, Augsburger Chronik, S. 6.
54
Zunächst zur Terminologie: Die Todesarten, die von mir zur Betrachtung
ausgewählt wurden, lassen sich am besten beschreibend definieren, da es wohl
keinen Begriff gibt, der sie alle wertfrei umfassen würde. Ich habe in die
Tabellen folgende Todesarten aufgenommen: Tod durch gewaltsame Einwirkung
von Menschen (Mord und Totschlag, Hinrichtung, Kampfhandlungen),
Tod durch Unglücksfalle, in Katastrophen, Tod durch seuchenartige Krankheiten
und selbstverursachten Tod.
Alltäglich ist für mich ein Ereignis dann, wenn es in großer Häufigkeit in
einem zeitlichen und, für viele bemerkbar oder öffentlich, also in einem räumlich-
sozialen Rahmen stattfindet. Der räumlich-soziale Rahmen in dieser Untersuchung
soll die Stadt Augsburg sein, wobei nach der Öffentlichkeit je nach Art
des Ereignisses noch gefragt wird, der zeitliche sind die genannten Jahre von
1 368 bis 1468.
Die Untersuchung ist in drei Teile gegliedert:
• Zuerst stelle ich die Ergebnisse der Aufstellung der verschiedenen
Todesarten nach ihrem Vorkommen in den untersuchten Quellen anband
mehrerer Graphiken vor. Daß es sich bei den Zahlen in den Rubriken ,,Mord“
und „Hinrichtung“ mit hoher Wahrscheinlichkeit um Mindestzahlen, in den
Rubriken Kampfhandlungen, Seuchen und Unglücksfalle aber eher um fiktiv
überhöhte oder auch neutral variabel veränderte Zahlen handelt, sei schon
vorweggenommen14. Auch weise ich darauf hin, daß diese Untersuchung nur
das Bild vorstellen will, daß sich aus den genannten Quellen ergibt, und
keineswegs vorgibt mit absoluten Zahlen zu arbeiten, die der Realität und
nicht nur der niedergeschriebenen Vorstellungswelt entsprächen.
• Weiters möchte ich auf die Öffentlichkeit eingehen, die diese Ereignisse
haben konnten.
• In einem dritten und letzten Punkt sollen die Chroniken auf wertende
Äußerungen zu den verschiedenen Todesarten befragt werden.
Die Konkordanz der vier Chroniken (Tab. 1) bietet einen Vergleich der Anzahl
der einschlägigen Berichte mit der Zahl der darin genannten Todesfalle. Unter
Berichten werden hier wie auch im Folgenden Einträge verstanden, die inhaltlich
zusammengehören. Dieselben sind in der Edition oft, aber nicht durchgängig,
durch eigene Absätze markiert. Freilich kann ein Absatz auch mehrere
relevante Berichte enthalten, oder sich eine zusammenhängende Erzählung über
mehrere Absätze ziehen. Die erste der beiden Zahlen weist die Zahl der Berichte
auf, die zweite die der darin genannten Toten. Wenn in mehreren Chroniken
offensichtlich von demselben Ereignis berichtet wird, ist dieses nur als ein
Bericht gewertet, doch sind hier nicht identifizierte Überschneidungen durchaus
möglich. Bei mehreren Berichten desselben Ereignisses wurden im allgemeinen
14 Die Zahlen sind den Chroniken entnommen und stehen nicht fiir die Realität, sondern fiir
die in diesen Quellen gespiegelte Realität, in diesem Rahmen und in keinem anderen
allerdings sind es konkrete Zahlen und haben damit Bedeutung.
55
die höheren Zahlen als die genaueren angesehen. Berichte ohne genaue
Zahlenangaben jedoch mit Hinweis auf Tote erscheinen fettgedruckt.
Die Tabelle bringt in der ersten Rubrik zusätzlich einen Vergleich zur
Zahl der Totschläge aus dem sogenannten Augsburger Achtbuch15, diese Zahlen
erscheinen in Klammer und kursiv.
Tab. I : Konkordanz der vier Chroniken
Übersicht der Berichte und Toten pro Jahr:
Mord und Totschlag
1368 (9)
1369 1 1 1 (3)
1370 1 1 1
1371 I I I (4)
1372 I I I
1373 (4)
1374 114 (3)
1375
1376 (5)
1377 1378 I(J(2) J
1379 I I I (3)
1380 (3)
1381
1382 (I)
1383 (I)
1384* (2)
1385 (3)
1386 1 1 3 (2)
1387 (2)
1388 1 1 2
1389 (1)
1390 (7)
1391
1392
1393
1394 Im 1395 (1)
1396
1397 (2)
1398
1399 1(2) 1400
IS S. Anm. 18-21.
Hinrichtung Kampf
! I I
2 1 32 1
1 / 76 2 1 590
1 1 2
2 1 3 1 1 3
2 1 2 1 1 2
2 1 1 10
1 1 3 2 1 20
I I I
2 1 7
1
2
2 1 12
2 1 1091
I I 42 1311155
1 1 6 1 1 6
2 1 3 1
1 1 2
1
56
Katastrophe
1 I 4
I I I
Seuche Varia
1 1 1
1 1 1
1
I I I
1
1
1401
1402
1403 1404 LOJ
1405
1406
1407 1 1 1 1 1
1408 I (4) I I 5 3 1 6 I I I
1409 I I I 3 1 6 2
1410 1
1411
1412
1413
1414 1
1415 1 1 1 I I 2 I I I
1416 1(1) 1417
1418 (1) I I 400 1
1419
1420 I(1) I I 23 1
1421 (1) 1
1422 (1) 1 1 1
1423 I I I
1424 I I I I I 24
1425 2 I 2 (1) 2 1 4 I I I
1426 I I I (2) 1 1 2 I I I
1427
1428 I I I
1429 I I I 2 1 4
1430 1 1
1431 1
1432 (1) 1433 I I I
1434 I I I
1435 I I I
1436 I I I 1 1 3 I I I
1437
1438 1
1439 1 1 20
1440
1441 2 1 6
1442 1 1 1
1443 2 I 500
1444 2 1 63 I I I
1445 (3)
1446 I I I
1447 (1) I I 1 I I 50
57
1448 1
1449 6 I 215
1450 1 / 1 I / mehr als
300
1451
1452 (JJ 1453
1454
1455
1456 1 1 1 1 / 1
1457 1 / 1
1458 4 / 5 1 1 2
1459 2 / 3f6J 4 / 5
1460 1 I 335 1 1 2 2 / 4
1461
1462 2 / 3 9 / 1 0 1 2
1463 1 / 1 2 / 2 1 1
1464
1465 1 1 3
1466 1 1
1467 1 1 1 1 2 / 9 1
1468 1 / 1
• 1384 = Pogrom
Die Rubrik Kampfhandlungen enthält auch Berichte, die keine Toten enthalten,
weil die Ereignisse an sich in jedem Fall einen Gewaltakt darstellen und
möglicherweise nur die Angabe der Zahl fehlt. Das Verhältnis von Berichten
von Kampfhandlungen ohne Angabe von Toten und anderen Berichten wird als
Anhang an den ersten Teil der vorliegenden Untersuchung in Tabellen für die
einzelnen Chroniken deutlich gemacht.
In der Rubrik Seuchen wurde auf die zweite Zahl verzichtet, weil die
dortigen Angaben oft ungenau sind oder nicht in absoluten Zahlen ausgedrückt
werden können. Aus diesem Grund wurde diese Rubrik auch von der Rubrik
„Katastrophen“ getrennt, da sich dort meist konkrete Zahlenangaben finden.
Die Zahlen gewinnen noch mehr Deutlichkeit, wenn man sie den
wahrscheinlichen Bevölkerungszahlen der Stadt gegenüberstellt. Eine relativ
verläßliche Zahl liegt nach einer Periode des Aufschwungs für das Jahr 1 428
vor, als anläßtich der Erhebung der Hussitensteuer die Zahl der Erwachsenen
(das heißt älter als 1 5 Jahre) mit 1 0.664 Köpfen erfaßt wurde. Danach ist wohl
bis in die 60er Jahre des 1 5 . Jahrhunderts mit einer Stagnation bis Verringerung
58
der Bevölkerungszahlen zu rechnen, die Zahl von 30.000 Einwohnern dürfte
Augsburg im ersten Drittel des 16. Jahrhunderts erreicht haben16•
Um die Ergebnisse optisch zu verdeutlichen, wurden in der zweiten
Tabelle die Zahlen graphisch dargestellt. Da die Zahl der Toten in
Kampfbandlungen die Zahlen der anderen Rubriken um ein Vielfaches
übertrifft, wurde sie hier herausgenommen und wird getrennt präsentiert.
Tab. 2: Konkordanz der vier Chroniken
Tote pro Jahr ausgenommen in Kampfbandlungen
80 I I 76
70 • Mord
• Hinrichtung
60 IJ Katastrophe
IJ Varia
50
40
30
20
10
4 4 1 3 2 1 n.1 1 1 1 1• 0 1- • –
1368 1369 1370 1371 1372 1373 1374 1375 1376 1377
16 Joachim JAHN, Die Augsburger Sozialstruktur im 15. Jahrhundert, in: Geschichte der Stadt
Augsburg von der Römerzeit bis zur Gegenwart, hg. von Gunther GOTTLIEB et al. Stuttgart
1984, S. 1 87-93, hier S. 188.
59
80 I I 70 • Mord
• Hinrichtung
60 D Katastrophe
DVaria
50
40
30
20
12
10 7
3 I 1
3
• 1 0 􀅌 •
1378 1379 1380 1381 1382 1383 1384 1385 1386 1387
80 I I 70 • Mord
• Hinrichtung
60 D Katastrophe
D Varia
50
42
40
31
30
20
10 6
2 I 2
0 • •
1388 1389 1390 1391 1392 1393 1394 1395 1396 1397
60
80
70
60
50
30
20
10
0
80
70
60
50
40
30
20
1 0
0
I I • Mord
• Hinrichtung
0 Katastrophe
OVaria
1398 1399 1400 1401
I I • Mord
• Hinrichtung
0 Katastrophe
OVarla
5 6
.1 􀀘
1 1-
1402 1403 1404 1405 1406 1407
1 2 1 …..,,
1408 1409 1410 1411 1412 1413 1414 1415 1416 1417
61
80 I 70 •Mord
• Hinrichtung
60 0 Katastrophe
OVaria
50
40
30
23 24
20
10
4
1 1 1 2 1!. 1 1
0 􀇡 – —
1418 1419 1420 1421 1422 1423 1424 1425 1426 1427
80 I I 70 • Mord
• Hinrichtung
60 0 Katastrophe
OVaria
50
40
30
20
10
4
1
3
1 1.. 1 1 1 1 1 0 – – ..:..􀁖
1428 1429 1430 1431 1432 1433 1434 1435 1436 1437
62
80
70
60
50
40
30
20
10
0
80
70
60
50
40
30
20
1 0
0
I I • Mord
• Hinrichtung 63
0 Katastrophe
O Varia
50
6
I 1 1 1 1
– 􀇢 –
1438 1439 1440 1441 1442 1443 1444 1445 1446 1447
I I • Mord
• Hinrichtung
0 Katastrophe
OVaria
1 –
1448 1449 1450 1451
1 1
1452 1453 1454 1455 1456 1457
63
Zu den einzelnen Kategorien
Die Erforschung der städtischen Kriminalität ist im deutschsprachigen Raum in
den letzten Jahren in starkem Aufschwung begriffen, doch erzielte sie sehr
unterschiedliche Ergebnisse in Einzelfragen, wie etwa dem Verhältnis von
Verurteilung und Begnadigung oder der Übereinstimmung von gesetzlichen
Normierungen und der Strafrechtsrealität, und in der auch hier tangierten Frage
der Gewalttätigkeit an sich17• Die vorliegende Arbeit ist nicht vorrangig eine
17 Der letzte Punkt wird etwa hinsichtlich von Konflikten, in denen physische Gewalt oder
auch Waffen eingesetzt wurden, von Susanna BURGHARTZ, Disziplinierung oder Konfliktregelung?
Zur Funktion städtischer Gerichte im Spätrnittelalter: Das Zürcher Ratsgericht, in:
Zs. fiir Historische Forschung 16 ( 1 989) S. 385-407 anders gewertet als von Peter
SCHUSTER, Der gelobte Frieden, Täter, Opfer und Herrschaft im spätmittelalterlichen
Konstanz. Konstanz 1995: Während BURGHARTZ meint, daß es fiir die von ihr untersuchte
Zeit (1376-85) typisch sei, daß in einem Streit schnell physische Gewalt eingesetzt wurde,
und daß „täglich … zahlreiche verbale oder gewalttätige Auseinandersetzungen statt
[fanden]“ (S. 405), erklärt SCHUSTER, daß die in seinen Quellen geschilderten Fälle von
gewalttätigen Auseinandersetzungen (aus dem 15. 1 ahrhundert, Basel und Konstanz
betreffend), die häufig im Ziehen des Messers gipfelten, eine Vorgeschichte gehabt hätten,
daß es sich also dabei nicht um eine spontane Bereitschaft zur Gewalt, sondern um einen
regelmäßigen Ablauf von Auseinandersetzungen handle und daß es auch laut der
Schilderungen immer wieder Versuche gab, diesen Ablauf zu stoppen, also beruhigend
einzugreifen. Er weist auch darauf hin, daß in den 1 0 Jahren von 1444 bis 1453 70% der
Messereinsätze unblutig beende! wurden (S. 98-1 07). SCHUSTERs neuere Untersuchung,
64
Untersuchung der städtischen Kriminalität, doch sind im Anmerkungsapparat
einige Ergebnisse dieses Forschungszweiges für den deutschen Raum als
Vergleich angeführt. Allgemein ist zu sagen, daß sich die zitierten Arbeiten mit
unterschiedlichen Zeitabschnitten und Zeiträumen und auch Quellengattungen
befassen, was zusammen mit der räumlichen Differenzierung wohl die große
Unterschiedlichkeit der Ergebnisse erklären mag. Doch dürfte diese
Unterschiedlichkeit auch in der jeweils angewandten Methode zu suchen sein,
oder besser in der Art, wie zum Teil ein- und dieselbe Methode angewandt
wurde. Dabei kommt der quantifizierenden wie auch der deskriptiven Methode
eine wichtige Stellung zu, in dieser Untersuchung soll aber kein Beitrag zur
Diskussion um diese zwei Methoden geleistet werden, die beide als hilfreich
anzusehen sind, wenn im Umgang mit den Quellen die nötige Sorgfalt und
Feinfühligkeit Berücksichtigung findet18•
Die Unterscheidung der oben genannten Todesarten wirft einige Probleme
auf So hängt es für die erste Rubrik Mord und Totschlag zum Teil von der
subjektiven Wertung des Verfassers oder seiner Vorlage ab, ob ein Ereignis
hierzu gezählt wurde. Auch wenn ich nicht jedem Fall einzeln nachgehen
konnte, so gilt für mich ein gewaltsamer Tod dann als Mord oder Totschlag,
wenn er in einem gewaltsamen Angriff auf Leib und Leben ohne den
Hintergrund einer kriegsmäßigen Kampfhandlung oder einen in Gesetzen festgelegten
Rahmen stattfindet, dies zur Unterscheidung von Tod in verschiedenen
Kampfhandlungen und Hinrichtungen. Inwieweit die in den Chroniken als
Mord qualifizierten Handlungen im Rahmen einer Fehde stattfanden, konnte,
wie gesagt, im einzelnen nicht weiter verfolgt werden19•
Eine Stadt vor Gericht. Recht und Alltag im spätmittelalterlichen Konstanz. Paderbom 2000
befaßt sich vor allem mit der Rechtspraxis, von der er in Auswertung von Konstanzer Quellen
ein sehr differenziertes Bild zeichnet.
18 Genau dieser letzte Punkt und nicht die Anwendung der Quantifizierung oder Deskription
scheint der eigentliche Stein des Anstoßes in der Bewertung der einzelnen Arbeiten zu sein.
Vgl. zu dieser Diskussion Gerd SCHWERHOFF, Falsches Spiel. Zur kriminalhistorischen
Auswertung der spätmittelalterlichen Nürnberger Achtbücher, in: Mitteilungen des Vereins
fiir Geschichte der Stadt Nürnberg 82 ( 1 995) S. 23-35; Martin SCHÜSSLER, Quantifizierung,
Impressionismus und Rechtstheorie. Ein Bericht zur Geschichte und zum heutigen Stand der
Forschung über Kriminalität im Europa des Spätmittelalters und der frühen Neuzeit. in:
ZRG, Germ. Abt. 1 1 3 ( 1 996) S. 247-278; und ders., Quantifizierung, Impressionismus und
Rechtstheorie. Ein Bericht zur Geschichte und zum heutigen Stand der Forschung über
Kriminalität im Europa des Spätmittelalters und der frühen Neuzeit ll, in: ZRG, Germ. Abt.
1 1 6 ( 1 999) S. 482-497. Die genannten Arbeiten sind aber darüber hinaus auch der Ausdruck
eines nicht sehr fruchtbaren, nichtsdestoweniger aber interessanten Gelehrtenstreites, in dem
vor allem SCHÜSSLER seinen Argumenten Gewicht durch Wiederholungen und Auflistungen
zu geben versucht.
19 Den Augsburger Bürgern war nach einem Eintrag in das Stadtbuch aus dem Jahr 1372 sogar
die Teilnahme an fremden Fehden grundsätzlich verboten, das Übertreten dieses Gebotes
wurde mit Stadtverbot geahndet. Karin SCHNEIDER-FERBER, Das Achtbuch als Spiegel fiir
städtische Konfliktsituationen? Kriminalität in Augsburg ( 1 348-1378), in: Zeitschrift des
65
Als Vergleichswert habe ich die Totschläge in den einzelnen Jahren, die
im Achtbuch der Stadt Augsburg im Teil Ächtungen verzeichnet sind20,
herangezogen, sie finden sich in der Aufstellung in Klammer und kursiv21 •
Einer der häufigsten Gründe für die Verhängung der Acht durch das
Vogtsgericht22 war Totschlag23. Die wesentlichen Elemente für die Wertung als
Totschlag sind, daß jemand ohne Schuld und ohne Recht im Stadtfrieden, meist
bei Nacht, getötet wird24• Der Teil Ächtungen des Achtbuchs verzeichnet
allerdings nur die Fälle, in denen die Angeklagten nicht vor dem zuständigen
Vogtsgericht erschienen sind und in denen keine Todes-, Leibes- oder
Historischen Vereins fiir Schwaben 86 ( 1 993) S. 45- 1 1 4, hier S. 86 f. und Adolf SUFF,
Verbrechen und Verbrecher zu Augsburg in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts, in:
Zeitschrift des Historischen Vereins fiir Schwaben und Neuburg 4 ( 1 877) S. 160-23 1 , hier
S.l 69. Christoph HEIDUK stellt in den von ihm bearbeiteten Chroniken eine Kriminalisierung
der Fehde fest, als Gründe dafiir fiihrt er die Rechtsunsicherheit infolge der
Hussitenkriege und der Auseinandersetzungen um das Königtum Georgs von Podiebrad an;
s. Die Diskussion über das Strafrecht in spätmittelalterlichen Chroniken Schlesiens und der
Lausitz, in: Christoph HEIDUK – Airnut HöFERT – Cord ULRICHS, Krieg und Verbrechen
nach spätmittelalterlichen Chroniken (Kollektive Einstellungen und sozialer Wandel im
Mittelalter NF 4) Köln 1997, S. 9-109, hier S. 55-57.
20 Augsburger Stadtarchiv, Schätze 8 1 , fol. 2-46.
21 Dazu die Untersuchungen von SCHNEIDER-FERBER, Achtbuch, und SUFF, Verbrechen.
22 SCHNEIDER-FERBER nimmt an, daß die Acht normalerweise durch die im Stadtbuch
vorgesehene Instanz, das Vogtsgericht, verhängt wurde, doch finden sich im Achtbuch
selten Einträge, die darauf hinweisen, wer die Acht verhängte. ln Einzelfällen scheinen auch
Bürgermeister oder Mitglieder des Rates anstatt des Vogtsgerichtes auf, doch dürfte das nur
in Fällen geschehen sein, wo es keinen Kläger gab (Achtbuch, S. I 02).
23 Doch wurde in Augsburg daneben die Acht auch fiir Mord, Raub, schwere Körperverletzung
oder Landfiiedensbruch verhängt. Das Achtbuch, vom Stadtschreiber gefiihrt,
enthält allerdings auch nur die Fälle, in denen der Täter ermittelt werden konnte, und nimmt
weiters Fälle aus, die mit Todes-, Leibes- oder Geldstrafen belegt wurden. Vgl. SCHNEIDERFERBER,
Achtbuch, S. 47. Für den Vorarlberger Raum stellt übrigens Andreas BAUER eine
andere Sachlage fest, daß nämlich wegen der sehr geringen Anzahl an Urfehdebriefen wegen
Totschlags die Ahndung dieses Delikts bis zum Ende des 1 6 . Jahrhunderts der privaten
Initiative durch Sühneverträge überlassen blieb, was er auch durch die Untersuchungen
Alois NIEDERSTÄTTERs bestätigt sieht: Das Gnadenbitten in der Strafrechtspflege des 15.
und 16. Jahrhunderts. Dargestellt unter Berücksichtigung von Quellen der Vorarlberger
Gerichtsbezirke Feldkirch und des Hinteren Bregenzerwaldes (Rechtshistorische Reihe 143)
Frankfurt 1996, S. 122 und ders., Vorarlberger Urfehdebriefe bis zum Ende des 1 6 .
Jahrhunderts (Forschungen zur Geschichte Vorartbergs 6) Domhirn 1985, S. 47, 8 7 und 1 0 0
f.
24 Häufige Formulierungen sind ze tod erschlagen (haunt) in der statfrid …. an schuld und an
recht ….. von clag wegen … . Ab den 30em des 14. Jahrhunderts wurden im Achtbuch nicht
mehr nur die Täter, sondern auch die Kläger und die verübten Straftaten verzeichnet:
HOFFMANN, Strukturen und SCHNEIDER-FERBER, Achtbuch, S. 58. BUFF hat fiir die zweite
Hälfte des 14. Jahrhunderts auch darauf hingewiesen, daß häufig Trinkstuben Ausgangspunkte
fiir tätliche Auseinandersetzungen in Augsburg waren, welch letztere dann auf der
Straße weitergefiihrt wurden und fiir einen der Kontrahenten tödlich endeten (Verbrechen, S.
175).
66
Geldstrafen verhängt wurden. Der Eintrag ins Achtbuch zeigt also an, daß die
Täter, meist auch im Schutz der Nacht, die Flucht ergriffen. Die häufigen
Streichungen aus dem Achtbuch deuten darauf hin, daß viele Täter dann einen
öffentlichen Ausgleich mit dem Kläger suchten und aus der Acht gelöst
wurden25• Aus dem Achtbuch ist weiters eine mögliche Unterscheidung zwischen
Mord und Totschlag ersichtlich: Zum Mord wird ein Totschlag dann,
wenn der Täter persönliche Beziehungen zum Opfer hatte26. Nach dem Jahr
1 368 sind die Einträge ins Achtbuch allerdings allgemein rückläufig27, die
Beteiligung der Zünfte am Stadtregiment könnte fiir eine Verschiebung der
Rechtssprechung hin zu den Stadtverboten verantwortlich sein28.
Der erste Blick zeigt, daß das Achtbuch eine größere Zahl von Mord- und
Totschlagsfallen ausweist. Einige der Morde aus den Chroniken führten zu
Hinrichtungen, daher die verschiedenen Nachrichten, die sich aus der Nichtaufnahme
dieser Fälle in das Achtbuch, Teil Ächtungen, ergibt. Eine Hochrechnung
der durchschnittlichen Zahl an Morden und Totschlägen, mit der Gefahr
der Überschneidung der Zahlen aus den beiden Quellengattungen, ergibt einen
Wert von etwas mehr als 1 Mordffotschlag pro Jahr9. Dabei handelt es sich mit
25 Vgl. SCHNEIDER-FERBER, die erklärt, daß vennutlich ein hoher Prozentsatz der Straftäter die
Flucht ergriff und somit versuchte, sich der Strafe zu entziehen. Von der Acht konnte man,
wie auch im Deutschenspiegel und Schwabenspiegel niedergelegt, die für das Augsburger
Stadtbuch von Wichtigkeit waren, durch Sühne bzw. Versöhnung mit dem Kläger durch das
Vogtsgericht wieder gelöst werden (Achtbuch, S. 52 f. und 99 f.).
26 Vgl. SCHNEIDER-FERBER, Achtbuch, S. 50 und 60 ff., die auch auf die Hinrichtungsart für
diese Straftat nach dem Strafenkatalog des Vogtsgerichts im Augsburger Stadtbuch von
1 276 hinweist: Der Delinquent soll gerädert werden. Dies steht im Gegensatz etwa zum
Befund MARTINs für Nümberg, der eine mögliche Unterscheidung der beiden Verbrechen
eher auf die bedachtsame und „hinterhältige“ Ausführung der Tat zurückführt. Er stellt zum
Beispiel fest, daß eine Handlung im Affekt als Milderungsgrund gelten konnte, daß aber
allein der Plan eines Mordes, wenn auch nicht ausgeführt, zu einer schwereren Bestrafung
führen konnte als ein einfacher Totschlag. Darüber hinaus werden gerade Giftanschläge oder
Giftmorde wegen ihrer Heimtücke besonders hart gestraft, damit steht MARTIN in einem
gewissen Gegensatz zu Rudolf HIS, Das Strafrecht des deutschen Mittelalters II: Die einzelnen
Verbrechen. Weimar 1935, S. 29, der den Giftmord als Zauberei wertet und nicht als
Mord (Helmut MARTIN, Verbrechen und Strafen in der spätmittelalterlichen Chronistik
Nümbergs. Köln-Wien 1 996, S. 99-102 und S. 1 10-11).
27 Nach SCHNEIDER-FERBER lag die Totschlagsrate vor 1368 bei vier bis fünf pro Jahr, danach
bei drei bis vier (Achtbuch, S. 1 10).
28 Das Stadtverbot wurde vom städtischen Rat verhängt, die Acht vom Vogtsgericht SCHNEIDER-
FERBER weist darauf hin, daß sich das Verhältnis Verbannungen vs. peinliche Strafen
im Spätmittelalter immer mehr hin zu den unblutigen Strafen verschob, weil sich der Rat als
Rechtssprechungsinstanz gegenüber dem Vogtsgericht immer mehr durchsetzte; auch
gewann der Rat der Stadt großen Einfluß auf die Vogtei ( Achtbuch S. 55, 57 und I 04 f., und
HIS, Strafrecht, S. 556).
29 KOLMER spricht von 3-5 Morden und auch Hinrichtungen pro Jahr in Regensburg für die
Jahre 1404-1480 mit einer Lücke von 12 Jahren um 1450. Quelle für diese Zahlen sind das
sogenannte Wundenbuch und die Ausgabenbücher der Stadt bezüglich der Hinrichtungen
67
großer Wahrscheinlichkeit um eine Mindestzahl, da, wie schon an verschiedenen
Stellen festgestellt, keine der beiden Quellengruppen Anspruch erhebt,
alle Fälle von Mord und Totschlag zu verzeichnen30. Freilich ist auch festzustellen,
daß man keineswegs von einer erdrückenden Kriminalitätsrate
sprechen kann31 , wenn auch im Vergleich zu heute eine vergleichsweise höhere
Bereitschaft zur klassischen, tätlichen Gewalt nicht geleugnet werden kann, die
durch das Tragen von Waffen dann auch andere Folgen zeitigte32.
(Gewalttätige Öffentlichkeit und Öffentliche Gewalt. Zur städtischen Kriminalität im späten
Mittelalter. in: ZRG Germ. 1 1 4 { 1 997) S. 26 1-295, hier S. 276 f.).
30 SCHNEJOER-FERBER hält fest, daß Angehörige der Oberschicht besonders selten im
Achtbuch aufscheinen, sie zählt drei Totschläge, die in diese Kategorie fallen. Sie vermutet
auch, daß dies durch die Schwierigkeit der Durchsetzung der Strafverfolgung gegenüber
städtischen Patriziern und Landadeligen zu erklären sei (Achtbuch, S. 84-87). MARTIN steHt
hiezu für Nümberg auch fest, daß besondere Lücken schichtenspezifisch für die städtische
Oberschicht und die untere Unterschicht festzustelJen sind, da erstere durch eine gezielte
Informationspolitik das Bekanntwerden von Straftaten wohl in den meisten Fällen zu
verhindem wußte. Straftaten, die die untere Unterschicht Nümbergs betrafen, waren
wiederum nur in einer begrenzten Anzahl von Fällen den Chronisten bekannt oder fiir sie
von Interesse, doch ordnet er die Fälle, die in den Chroniken sozusagen anonym blieben, da
dem Autor weder der Täter noch das Opfer bekannt waren, tendenziell den Unterschichten
zu (Verbrechen, S. 107-109 und 1 99-202). KOLMER erklärt die Tatsache, daß Delikte der
städtischen Oberschichten in den Quellen kaum aufscheinen auch damit, daß diese nach den
festgesetzten Normen, die durch den eben in dieser Schicht gerade herrschenden Diskurs
modifiziert wurden, über die anderen Recht sprachen (Gewalttätige Öffentlichkeit, S. 295).
Die Situation in Nümberg ist freilich nicht einfach auf Augsburg zu übertragen, da hier das
Stadtregiment nicht nur fiir die patrizische Oberschicht zugänglich war und sich die
„Interessensgemeinschaften“ damit anders zusammensetzten, und weil MARTIN vor allem
aufNotizen der zweiten Hälfte des 15. und vom Anfang des 16. Jahrhunderts verweist. Was
die Öffentlichkeit der Delikte angeht, so ist auch zu vermerken, daß nach den Untersuchungen
KOLMERS fiir Regensburg die straffälligen, also normwidrigen Taten (hier nicht
auf Mord und Totschlag beschränkt) recht selten im Zentrum der Stadt, sondern vielmehr an
den Wohnorten bzw. Arbeitsstätten der Delinquenten aus der Mittel- und Unterschicht zu
lokalisieren sind und damit in die Erlebniswelt dieser Schichten und nicht der städtischen
Oberschichten zu rechnen sind (Gewalttätige Öffentlichkeit, S. 274): „die örtliche Verteilung
der Delikte entspricht damit den bisherigen Befunden der europäischen Forschung“.
Das stellt auch SCHNEIDER-FERBER indirekt fest, wenn sie hervorhebt, daß bei Totschlagsdelikten
die Opfer meist aus dem sozialen Umfeld der Täter stammten {Achtbuch, S. 90).
31 Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt MARTIN für die Nürnberger Chronistik: „es (ist)
vielleicht das erstaunlichste Ergebnis dieser Untersuchung, daß sich ein das Bewußtsein
besetzender Problemdruck, bedingt durch eine unerträgliche Steigerung der Kriminalitätsrate
im Spiegel der spätmittelalterlichen Chronistik Nümbergs, nicht nachweisen läßt“ (Verbrechen,
S. 244).
32 KOLMER deutet mit dem Verweis auf Ergebnisse aus Florenz und Oxford darauf hin, daß
die Mordrate pro Einwohner in mittelalterlichen Städten im Durchschnitt wohl um das
Zehnfache höher liegen dürfte als im heutigen Europa. Oxford kommt dabei die höchste
Mordrate der bislang untersuchten Städte zu (Gewalttätige Öffentlichkeit, S. 290). Für die
Fragestellung der vorliegenden Untersuchung freilich scheint die Gesamtzahl der Vorkomm-
68
Die chronologische Verteilung der Berichte läßt nur die Beobachtung zu,
daß sich in den Chroniken im Gegensatz zum Achtbuch mehr eintraglose Jahre
finden, was auch der größeren Zahl an Delikten nach dem Achtbuch entspricht.
Eine besonders große Lücke nach den Chroniken erscheint in den Jahren 1 389-
1406, auf die nach zwei Einträgen eine weitere für die Jahre 1 4 1 0 bis 1424
folgt. Die Jahre 1458 und 1467 stechen durch die relativ hohe Anzahl an in den
Chroniken verzeichneten Delikten hervor. Dabei entfallen die fünf Mordeffotschläge
des Jahres 1458 auf vier Berichte, in deren Mittelpunkt Hans
Kistler steht33. Die I I Morde des Jahres 1467 gehen auf das Konto eines
Mörders, der in diesem Jahr überführt wurde, doch sind sie auf die zehn Jahre
davor aufzuteilen und nur der Einfachheit halber für dieses eine Jahr
zusammengefaßt, weil Zink keine genauen Angaben darüber liefert34.
Unter Hinrichtungen wurden solche von Verbrechern, Ketzern, aber
auch im Gefolge von Kriegszügen aufgenommen, es wurde also nicht nach
Verbrechenskategorien differenziert. Ausschlaggebend war die Terminologie,
die auf die Hinrichtungsarten hindeutet, die von Köpfen, Hängen, Rädern,
Verbrennen, den häufigeren Hinrichtungsarten, bis zu lebendig vergraben,
verhungern lassen, sieden und in Kalköfen werfen reichen. Ich kann hier weder
auf die Bedeutung der verschiedenen Hinrichtungsarten eingehen35, zu diesem
Thema gibt es andernorts einige Überlegungen, noch auf den Stellenwert der
Hinrichtung als einer der „peinlichen Strafen“ im Rechtssystem des spätmittelalterlichen
Augsburg. Doch sei darauf hingewiesen, daß die Frage nach der
Entwicklung und Stellung der „peinlichen Strafen“ im allgemeinen schon seit
längerem neu diskutiert wird36•
Als Durchschnittswert ergeben sich etwa 3 Hinrichtungen pro Jahr. Diese
Zahl schließt aber Hinrichtungen ein, die außerhalb des oben definierten
Erlebnishorizontes eines durchschnittlichen Augsburgers lagen, wie etwa Hinnisse
und deren Bekanntheitsgrad fiir ein Empfinden als alltäglich wichtiger zu sein als eine
auf einer Hochrechnung auf die Bevölkerungszahlen erstellte Mordrate.
33 Bei Burkard Zink, Die Chroniken der deutschen Städte 5. Augsburg 2, S. 2 1 5-17.
34 Die Chroniken der deutschen Städte 5. Augsburg 2, S. 315-17.
3 5 Für Augsburg speziell s. SCHNEIDER-FERBER, Achtbuch, S. 50 f., fiir Nürnberg s. Hermann
KNAPP, Das alte Nürnberger Kriminalverfahren bis zur Einführung der Karolina. Nach
Rathsurkunden erläutert. in: Zeitschrift für die gesamte Strafrechstwissenschaft 1 2 ( 1 892) S.
200-276 und 473-552; sowie ders., Das alte Nürnberger Kriminalrecht. Nach Rats-Urkunden
erläutert. Berlin 1896; für das Bild der Strafrechtspraxis in den Nürnberger Städtechroniken:
MARTIN, Verbrechen. Allgemein auch Franz lRS!GLER – Amold LASSOTTA, Bettler und
Gaukler, Dirnen und Henker. Randgruppen und Außenseiter in Köln 1300-1600. Köln 1 984,
S. 254 ff. und Norbert ÜHLER, Sterben und Tod im Mittelalter. Zürich/München 1 990, S.
2 1 4 ff. Die Arbeit von Reinhold SCHORER, Die Strafgerichtsbarkeit … . Köln 2000 war mir
noch nicht zugänglich.
36 S. dazu auch folgende Beiträge: Gerhard D!LCHER, Friede durch Recht, in: Träger und
Instrumentarien des Friedens im hohen und späten Mittelalter, hg. von Johannes FR!ED
(Vorträge und Forschungen 43) Sigmaringen 1 996, S. 203-227 und Elmar W ADLE, Die
peinliche Strafe als Instrument des Friedens, in: ebd., S. 229-247.
69
richtungen im Zuge der Hussitenkriege, der Einnahme der Stadt Verona, oder
andere angebliche Strafmaßnahmen von Siegern. Rechnet man alle
Hinrichtungen ab, die nicht in Augsburg selbst oder in der unmittelbaren
Umgebung stattfanden oder aufgrund von Verbrechen, die in Augsburg oder
von Augsburgern begangen wurden, bleibt ein Durchschnitt von etwas mehr als
einer Hinrichtung pro Jahr37• Dieser Wert entspricht demnach kaum dem alten
Bild von der mittelalterlichen Justiz; es weist sie nicht als „exzessiv, blutigst,
grausamst“38 aus, wie aufgrund der normativen Quellen immer wieder
angenommen wurde. Allzu häufige Inszenierung wäre ja auch dem Zweck der
Abschreckung durch das Spektakel einer Hinrichtung nicht dienlich39.
Ein besonderes Interesse an Hinrichtungen hat übrigens der Verfasser der
Chronik von der Gründung der Stadt bis zum Jahr 1469, dessen Werk anders als
die anderen Chroniken einen höheren Anteil an Berichten über Hinrichtungen
als über Kämpfe aufweist.
Eine zeitliche Gliederung läßt sich nach den Angaben der Chroniken
meines Erachtens schwer vornehmen. Es folgen relativ regelmäßig auf einige
Jahre ohne Eintrag Gruppen von Einträgen und so würde ich die relative Dichte
von Mitteilungen in den letzten zehn Jahren des Betrachtungszeitraumes nicht
in Richtung einer Verschärfung der Anwendung peinlicher Strafen interpre-
37 Urteile und damit auch Todesurteile finden sich fiir Augsburg noch mehr oder weniger dicht
in den Ratsbüchern ab Anfang des 1 5 . Jahrhunderts, regelrechte Strafbücher des Rates gibt
es ab 1 509. Diese Quellen wurden in dieser Untersuchung aber nicht berücksichtigt.
38 So etwa bei Rudolf HIS, Geschichte des deutschen Strafrechts bis zur Karolina. Weimar
1928, S. 70. Vgl. auch KOLMER, Gewalttätige Öffentlichkeit, S. 2 8 1 .
39 KOLMER fiihrt die Einschätzung der älteren Forschung darauf zurück, daß man die in den
normativen Quellen aufgelisteten Strafen fiir tatsächlich angewandt hielt, doch stellt er für
Regensburg fest, daß Begnadigungen von Straftätern die Zahl der Hinrichtungen überwogen
(Gewalttätige Öffentlichkeit, S. 281-82 und 288). Anders jedoch SCHUSTER, Der gelobte
Frieden, bes. S. 1 1 9-148; er stellt fiir den Zeitraum zwischen 1430 und 1460 fest, daß nur
5% der überfiihrten Delinquenten die Strafe erlassen oder gemildert wurde, doch muß man
auch die Fälle hinzurechnen, die durch Urfehde vor dem Urteil geregelt wurden (S. 137, und
auch HEIDUK fiir Breslau, wo in den 50 Jahren zwischen 1456 bis 1 506 50 Begnadigungen
303 vollzogenen Todesurteilen gegenüberstehen, Diskussion, S. 64). SCHNEIDER-FERBER
stellt fiir Augsburg eine Übereinstimmung zwischen den Bestimmungen des Stadtbuches
und den Fällen des Achtbuches insofern fest, als in den meisten Fällen die fiir ein Delikt
vorgesehen Strafe verhängt wurde, eine Ausnahme bilden Fälle von Betrug, Meineid und
Heimsuchung, deren peinliche Strafen gerne in Stadtverweise abgemildert wurden, jedoch
unter Androhung von Todes- und Leibesstrafen bei Nichteinhaltung der Bestimmung
(Achtbuch, S . 101). Vermutlich ist hier aber auch eine zeitliche und regionale Differenzierung
vorzunehmen. Leider werden mit Ausnahme von KOLMER in den genannten Arbeiten
kaum Vergleichszahlen genannt. Allgemein zur Praxis der Begnadigungen s. auch BAUER,
Gnadenbitten, der fiir den Bregenzer Wald feststellt, daß im 15. und 16. Jahrhundert 9 nach
strengem Recht vollzogenen Urteilen 42 Gnadenerweise gegenüberstehen, doch wurden vor
allem schwere Delikte wie Mord, Diebstahl und wiederholter Urdehdebruch von Gnadenerweisen
besonders im 16. Jahrhundert ausgenommen. In Feldkirch ist ein Rückgang der
Gnadenerweise vom 1 5 . auf das 16. Jahrhundert zu erkennen (S. 1 8 6-99).
70
tieren wollen, so nicht zeitlich anschließende Studien diese Entwicklung als
weiterfuhrend erweisen sollten.
Eine außergewöhnlich hohe Anzahl von Hinrichtungen weisen die Jahre
1 373 mit 76, 1 388 mit 42, 1 393 mit 3 1 und 1 444 mit 63 Hinrichtungen auf,
womit diese Rubrik in Tabelle 2 durch die Höhe der Einträge eine Ausnahmestellung
einnimmt. Bei den Hinrichtungen des Jahres 1 373 handelt es sich um
die in der Chronik von 1 368 bis 1 406 geschilderten Verurteilungen der Eroberer
einer ungenannten Stadt, wohl Herlisheim bei Kolmar, die von einem von
Walsee im Dienste der Herzogs von Österreich, dem späteren steirischen
Landeshauptmann Rudolf 1.40, zurückgewonnen wurde41, also um ein Ereignis,
das nicht unbedingt in den unmittelbaren Erlebnishorizont eines Augsburgers zu
rechnen ist. Auch die 42 Hinrichtungen des Jahres 1388 sind Folge
kriegerischer Handlungen42 und wurden wie die des Jahres 1 373 wegen der
verwendeten Terminologie – …. in den ka/kofen geworfen – in diese Rubrik
aufgenommen. Die 3 1 Hinrichtungen des Jahres 1 393 beziehen sich auf das
Verbrennen von Ketzern, die in diesem Jahr ausgeforscht worden waren43• Die
63 Hinrichtungen des Jahres 1 444 sind aufzwei Berichte aufgeteilt, deren einer
62 von den Zürchern hingerichtete Söldner erwähnt44. Die hervorstechenden
großen Zahlen der Tabelle mit Ausnahme der Ketzerverbennung von I 393 sind
also weder dem unmittelbaren Erlebniskreis eines Augsburgers noch der
städtischen Gerichtsbarkeit zuzuordnen, sondern im Zusammenhang mit
kriegerischen Handlungen zu verstehen.
Unter den Einträgen der Rubrik Katastrophen nimmt das Jahr 1450
einen besonderen Platz ein: Burkard Zink berichtet von den Ereignissen in Rom
anläßtich des Jubeljahres. Augsburger Bürger entkamen da nur knapp dem Tod
durch Ertrinken oder Erdrücken in den Menschenmassen auf der Tiberbrücke
40 Rudolf I. von Walsee-Enns erhielt 1372 die Landvogtei in Elsaß und Schwaben auf
eineinhalb Jahre übertragen und erwies sich als auf Seiten der Städte stehend; im Sommer
1373 wurde Rudolf das Amt des steirischen Landeshauptmannes übertragen. S. Max
DOBLINGER, Die Herren von Walsee. Ein Beitrag zur Österreichischen Adelsgeschichte, in:
Archiv fiir Österreichische Geschichte 95 ( 1 906) S. 235-578, hier S. 309-10.
41 Die Chroniken der deutschen Städte 4. Augsburg I, S. 33.
42 Die Zahl 42 findet sich in der Chronik von 1368 bis 1408 (Die Chroniken der deutschen
Städte 4. Augsburg I, S. 89), bei Burkard Zink tritt die Zahl 40 auf (Die Chroniken der
deutschen Städte 5. Augsburg 2, S. 42).
43 Die Chronik von 1368 bis 1406 datiert in das Jahr 1393 (Die Chroniken der deutschen
Städte 4. Augsburg I, S. 97); Erhard Wahraus datiert dieses Ereignis zuerst in das Jahr 1 394,
nennt aber keine Zahlen, im Nachtrag in das Jahr 1393 (Die Chroniken der deutschen Städte
4. Augsburg I, S. 228 und 249); die Chronik von der Gründung der Stadt bis 1469 datiert
das Ereignis in das Jahr 1393, nennt aber keine Zahlen (Die Chroniken der deutschen Städte
4. Augsburg I, S. 3 1 5); Burkard Zink gibt auch das Jahr 1394 an und insgesamt 3 1
Verbrennungen (Die Chroniken der deutschen Städte 5. Augsburg 2, S. 45 f.). Das Verhältnis
von drei zu zwei Datierungen hat mich bewogen, diese Hinrichtungen in das Jahr 1393
zu rechnen.
44 Bei Burkard Zink, Die Chroniken der deutschen Städte 5. Augsburg 2, S. 1 7 1 -72.
7 1
(Engelsbrücke), berichten aber offenbar von mehr als 300 Toten45• Für das Jahr
1447 beschreibt Zink den Brand der Stadt Hall in Tirol, bei dem 50 Menschen
ums Leben kamen46. Neben diesen großen Katastrophen fanden auch Unfälle
Eingang in diese Rubrik.
In den Berichten von Seuchen fehlen, wie schon zu Beginn vermerkt, die
genaueren Zahlenangaben oder sie sind übertrieben. Typisch fiir Berichte von
Seuchen ist die Angabe, daß mehr als die Hälfte der jeweiligen Bevölkerung
gestorben sei47• Für die Seuche des Jahres 1 420 spricht Erhard Wahraus von
etwa 1 6.000 Toten in Augsburg48. Zink berichtet, ein Mann habe nach der
Seuche der Jahre 1 462/63 eine Umfrage in den Pfarren veranlaßt und sei so auf
eine Zahl von 1 1 .000 Toten gekommen49• Die Krankheit selbst wird nur selten,
am genauesten bei Zink, beschrieben, zuweilen erscheint die Seuche nur auf
einen bestimmten Teil der Bevölkerung beschränkt, etwa auf Kinder50. Seuchen
erscheinen bei Zink kaum als Strafe Gottes fiir den sündhaften Lebenswandel,
eine Bemerkung in diese Richtung findet sich nur fiir die Epidemien der Jahre
1462/63, doch beziehen sie sich auf den Lebenswandel der Leute während der
Zeit der Epidernie51• Von den Chronisten ist zumindest Burkard Zink persönlich
betroffen, da er in den autobiographischen Ausführungen vermerkt, daß
Mitglieder seiner Familie an Seuchen gestorben seien52, er ist auch deijenige der
Chronisten, der sich am intensivsten mit diesem Thema befaßte.
In die Rubrik Varia wurden vor allem Selbstmorde aufgenommen; die
Zahl der Berichte ist in den Chroniken sehr gering. Es finden sich 1 4
Selbstmorde zusätzlich einer ungenannten Zahl aus dem Jahr 1 43 1 .
45 Die Chroniken der deutschen Städte 5. Augsburg 2, S. 1 95-96. Ferdinand GREGOROVJUS
spricht von etwa 200 Toten, die das Gedränge auf der Tiberbtiicke gefordert habe
(Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter, Bd. 3. München 1978, Überarbeitung der
deutschen Ausgabe von 1 953-57, S. 54).
46 Die Chroniken der deutschen Städte 5. Augsburg 2, S. 182-83. S. auch Franz-Heinz HYE,
Hall in Tirol. Politischer Bezirk Innsbruck-Land, in: Österreichisches Städtebuch 5, Die
Städte Tirols I : Bundesland Tirol, hg. von Franz-Heinz HYE. Wien 1980, S. 35.
47 Etwa für das Jahr 1380: was ein so gar grosz sterb hie zu Augsburg und uberall auf dem
land, als sein ie gedacht warde, es starb auf dem land mer dann halbes volk, aus: Burkard
Zink, Die Chroniken der deutschen Städte 5. Augsburg 2, S . 26.
48 Die Chroniken der deutschen Städte 4. Augsburg I , S. 232.
49 Die Chroniken der deutschen Städte 5. Augsburg 2, S. 293.
50 Die Chronik von 1368 bis 1406 berichtet von einer Seuche im Jahr 1 4 1 8 (in der Erweiterung),
die vor allemjungs volk dahinraffte (Die Chroniken der deutschen Städte 4. Augsburg
1, S. 1 1 9). Nach Zink tötete 1466 eine Seuche vor allem kleine Kinder, die Blut und Eiter
husteten (Die Chroniken der deutschen Städte 5. Augsburg 2, S. 3 1 2).
51 Die Chroniken der deutschen Städte 5. Augsburg 2, S. 293.
52 Sein Vater starb 1418 in Memmingen an einer Seuche, seine Schwester ein Jahr darauf,
1430 stirbt eines der Kinder an der pestilentz, ein Jahr darauf ein weiteres Kind, 1438 stirbt
ein Sohn Zinks an einer Seuche (Die Chroniken der deutschen Städte 5. Augsburg 2, S. 129-
30 und 135).
72
Aus den Chroniken ergibt sich eine meines Erachtens relativ geringe
Anzahl von unnatürlichen Todesf Ereigniskumulationen über die Kategorien hinweg lassen sich fiir die Jahre
1 369-1376, 1 408/9, 1423-29, 1433-36 und 1 458-69 feststellen, daneben ragen
die Jahre 1 444 mit der hohen Anzahl an Hinrichtungen und 1447 mit den Toten
der Brandkatastrophe in Hall heraus, die oben in den einzelnen Kategorien
schon besprochen wurden. Am Anfang und Ende des betrachteten Zeitraumes
finden sich also mehrere Jahre mit verhältnismäßig dichten, relevanten
Einträgen, was möglicherweise im ersten Fall durch die politische Änderung zu
erklären ist, doch trifft das sicherlich auf die einzelnen Kategorien verschieden
stark zu. Aus der relativen Dichte der Einträge zu Beginn des Betrachtungszeitraumes
läßt sich jedenfalls ein Argument gegen eine allzu deutliche
subjektive Verdichtung der Informationen zum Zeitpunkt der Verfassung der
Chroniken hin gewinnen. Da Mord und Totschlag nicht die einzigen und wohl
auch nicht die wichtigsten Straftaten waren, die zu einer Hinrichtung fiihrten,
lassen sich auch keine Koppelungen dieser beiden Kategorien feststellen.
Tab. 3: Tote in Kampfhandlungen
und andere gewaltsame bzw. unnatürliche Todesfälle.
Konkordanz der vier Chroniken
1200 I I 1091
􀀭􀀮Kampf DAndere
1000
800
600 90
400
21
200
‚7 10
1 6 1 1 2 4 3 2 1 􀁕03 1 7 1􀁢 3
0
73
1400
􀁔55 I I 1200 1•Kampf 1000 Cl Anderes
800
600
400
200
14< 6 31 2 1 0 ,…,
1200
I I 􀀫􀀬Kampf CJ Anderes
1000
800
600
400 100
200
0 66 7 4 2,.3 ., 1 1 2,.5 ., 7 4
74
1200 I I I 􀀩􀀪Kampf D Anderes
1000
800
600
400
200
0 1 5 1 1
1200
I I I 1•Kampf ,I DAnderes
1000
800
600
400
75
200
0 1
1 1 5
1 1
120
35
7 8 6
6 1
1􀁓)12
3 3
00
().<
r
1 51 r
u 1 􀅋
Ähnlich wie in den letzten Rubriken sind auch in der nächsten, den Toten in
Kampfhandlungen, diejenigen Ereignisse aus den Tabellen auszusondern, die
75
nicht dem unmittelbaren Erlebnishorizont entsprechen. Eine Aussonderung der
Ereignisse, die nicht im Kerngebiet des Reiches stattgefunden haben, wurde
schon vor der Erstellung der Tabellen vollzogen: das heißt in diesem Fall
Kampfhandlungen ohne Teilnahme von Augsburgern und solche, die geographisch
aus dem Erlebnishorizont fallen. Fraglich ist hier, wieweit Berichte
umherziehender Söldner, wie Zink sie in seine Chronik aufnimmt, in diesen
Erlebnishorizont eingedrungen sind. Das gilt eingeschränkt fiir die Schlacht von
Sempach 1 38653, eindeutiger aber fiir die Schlacht an der Brenta zwischen
Antonio della Scala und den Paduanern, die in dasselbe Jahr zu datieren ist54.
Die Zahl der Toten der Auseinandersetzungen im Jahr 1 388 und 1 462 sind mit
Vorbehalten zu versehen, da bei den zahlreichen Nachrichten Überschneidungen
sehr wahrscheinlich sind.
Es ergibt sich ein Jahresdurchschnittswert von etwa 47 Toten pro Jahr. In
diesem Schnitt sind aber die Toten beider Seiten beinhaltet sowie Tote bei
Konflikten, die in der Nähe Augsburgs von Dritten ausgetragen wurden. Es
stellt sich im weiteren die Frage, ob die Gruppe der Söldner, die einen großen
Anteil an diesen Toten hat, da sie ja auch in der Hauptsache, und weniger die
Bürger der Stadt selbst, seit dem Ende des 14. Jahrhunderts kriegerische Aufgaben
übernahmen55, in den zu Anfang gesteckten Rahmen fallt.
53 Chronik von 1368 bis 1406 (Die Chroniken der deutschen Städte 4. Augsburg I , S. 78-79);
Erhard Wahraus (Die Chroniken der deutschen Städte 4. Augs-burg I , S. 227); Chronik von
der Gründung der Stadt bis 1469 (Die Chroniken der deutschen Städte 4. Augsburg I , S.
3 1 4); Burkard Zink (Die Chroniken der deutschen Städte 5. Augsburg 2, S. 32); von einer
Beteiligung Augsburger Söldner im Dienste des Habsburgers ist mir nichts bekannt.
54 Chronik von 1368 bis 1 406 (Die Chroniken der deutschen Städte 4. Augsburg I , S. 78).
55 Die aktive Kriegsfiilrrung wurde zum größeren Teil von Söldnern oder in Augsburg je nach
der Steuerhöhe von einer bestimmten Anzahl von bezahlten „Ersatzkämpfern“ – besoldeten
Knechten auf eigenen Pferden- getragen, die Bürger wurden vor allem fiir Wachdienste und
zur Verteidigung der eigenen Stadt herangezogen, was natürlich aber wieder die Kosten
steigen ließ. Anders stand es da mit den Gesellen, auf die, wie das Nürnberger Beispiel fiir
den Reichskrieg 1433 gegen die Hussiten und fiir die große Fehde der Jahre 1449/50
nahelegt, besonders bei hohen Aufgeboten zurückgegriffen wurde. S. Gerhard FOUQUET,
Die Finanzierung von Krieg und Verteidigung in oberdeutschen Städten des späten
Mittelalters (1400-1500), in: Stadt und Krieg, hg. von Bernhard K!RCHGÄSSNER – Günter
SCHOLZ (Stadt in der Geschichte 15) Sigmaringen 1989, S. 4 1 -82, hier S. 42-44, 63 und 66.
In Augsburg entstand das erste Söldnerbuch im Jahr 1360 (heute Augsburger Stadtarchiv,
Schätze 1 3 7 a), doch ist das Söldnerwesen weiter zurückzudatieren, da die Stadt schon 1 3 1 6
König Ludwig den Bayern mit einer Truppe Söldner unterstützt hatte. Nach dieser Quelle
besoldete die Stadt 1360 124 Bogenschützen und zwei Armbrustschützen. Das Baumeisterrechnungsbuch
von 1 320/2 1 verzeichnet Söldner aus dem Augsburger Bürgerturn und den
umliegenden Ministerialengesch!echtern, die im Sold des Baumeisters standen, einem
städtischen Beamten, der in Augsburg eher als Finanzverwalter denn nur als Aufseher über
die öffentlichen Bauten anzusehen ist. S. Uta LINDGREN, Stadtrecht als Ursache und
Wirkung der Verwaltung. Über die Entwicklung von Verwaltungsformen im mittelalterlichen
Augsburg. in: HJb 99 ( 1 979) S. 133-160, hier S. 1 54-56 und S. 1 58-59. Es wäre dem-
76
Die Aufstellung in Tab. 1 zeigt daneben auch die Anzahl der Berichte, wo
keine Zahlen, wohl aber Tote verzeichnet wurden, nicht aber die nicht geringe
Zahl der Berichte, wo gar keine Toten erwähnt wurden. Ob diese Kampfhandlungen
tatsächlich ohne Tote vor sich gingen, kann nicht festgestellt werden.
Gemäß der Todesart gibt es hier in einzelnen Jahren und Ereignissen
herausragende Spitzenwerte, die die Alltäglichkeit solcher Ereignisse in Frage
stellen. Als herausragende Ereignisse sind hier die Niederlage der Reichsstädte
i m Jahr 1 38856, der ,,Zweite Städtekrieg“ des Schwäbischen Städtebundes ( 1 445
zählte er über 30 Mitglieder) gegen einen Fürstenbund unter dem Ansbacher
Markgrafen Albrecht Achilles von Hohenzollern 1 449/50 und der „Reichskrieg“
des Ansbacher Markgrafen gegen Herzog Ludwig den Reichen von Bayern-
Landshut aus dem Jahr 1 462 zu nennen57•
Das offensichtliche Interesse der Chroniken an Kampfhandlungen ist
auch als Spiegel der relativ großen Wichtigkeit der Aufwände der Städte für die
Kriegsführung zu verstehen, die sich als eine der Hauptaufgaben der Reichswie
auch Territorialstädte im späten Mittelalter darstellen läßt58• Nach dem Bild
der untersuchten Chroniken wäre Augsburg im genannten Zeitraum nicht so oft
in Kampfhandlungen involviert gewesen wie die Reichsstadt Frankfurt, für die
nach Kopialbüchern im Zeitraum von 1390 bis 1 490 nur 1 1 ,,kriegsfreie“ Jahre
zu verzeichnen sind59. Dem stehen für Augsburg 36 Jahre gegenüber, für die es
keine Nachricht von Kampfhandlungen mit oder ohne Angabe von Toten in den
vier Chroniken gab60. Als längsten Zeitraum ohne Berichte von Kampfhandlungen
erweist sich die Zeit von 1464 bis 1468, ein Zeitraum von nur fünf
Jahren. 1402 bis 1405 und 1425 bis 1428 lassen sich zwei Mal vier Jahre ohne
solche Berichte feststellen. Diese Ergebnisse deuten auf eine Regelmäßigkeit
und Häufigkeit der genannten Kategorie an Ereignissen, doch sind die am
nach zu bemerken, daß die Bürger mehr durch ihre Abgaben, also durch ihr Säckel als mit
dem eigenen Kopf in Kampfhandlungen involviert gewesen seien.
56 Chronik von 1368 bis 1406 (Die Chroniken der deutschen Städte 4. Augsburg 1, S. 86-87);
Erhard Wahraus (Die Chroniken der deutschen Städte 4. Augsburg 1 , S. 227); Chronik von
der Gründung der Stadt bis 1469 (Die Chroniken der deutschen Städte 4. Augsburg I , S.
3 1 5); Burkard Zink (Die Chroniken der deutschen Städte 5. Augsburg 2, S. 39-40).
57 Karl SCHNITH, Die Reichsstadt Augsburg im Spätmittelalter ( 1 368-1493), in: Geschichte
der Stadt Augsburg, S. 153-165, hier S. 1 6 1 .
58 FOUQUET, Finanzierung S . 49-59, der den Anteil der städtischen Ausgaben fiir die Kriegsfiihrung
im weiteren Sinne fiir die Reichsstädte Frankfurt, Nümberg, Schwäbisch Hall und
Basel und die landesherrlichen Städte Wien, München und Marburg untersucht.
59 S. Volker SCHMIDTCHEN, Kriegswesen im späten Mittelalter. Technik, Taktik, Theorie
(Acta Humaniora) Weinheim 1 990, S. 34.
60 Es sind die Jahre 1 369, 1389, 1400, 1402-1405, 141 1 , 1419, 1420, 1423, 1425-1428, 1434-
1436, 1440-1442, 1446-1448, 1451, 1452, 1454-1456, 1458, 1464-1468. Die fiir die beiden
Städte herangezogenen unterschiedlichen Quellengattungen erschweren den direkten
Vergleich natürlich, so ist für Augsburg letztlich doch mit einer höheren Zahl zu rechnen,
während die Zahl fiir Frankfurt weniger anfechtbar erscheint.
77
Anfang der Betrachtung der Rubrik erläuterten Vorbehalte bezüglich des
Erlebnishorizontes nicht zu übergehen.
Tab. 4: Berichte von unnatürlichem Tod im Verhältnis zu anderen Berichten61,
zu Tod in Kämpfen und zu Kämpfen ohne Angabe von Toten,
1368-1468
Chronik von 1368 bis 1 406 (1447)
Kampf
Kampf
ohne
Tote
mit
Toten
17%
unnatürandere
51%
licher
Tod
13%
Chronik des Erhard Wahraus
Kampf
ohne
Tote
andere
36%
Kampf
mit
Toten
15%
unnatürlicher
Tod
24%
61 Die Kategorie ,andere Berichte‘ wnfaßt dabei alle Einträge, die nicht den untersuchten Kategorien
zugerechnet werden können.
78
Chronik von der Gründung der Stadt bis 1469
Kampf
Kampf
ohne
mit
Tote
Toten
8%
unnatürlicher
Tod
20%
Chronik Burkard Zinks
Kampf
ohne
Tote
andere
57%
Kampf
mit
Toten
12%
unnatürlicher
Tod
1 1 %
Ein Vergleich der Tabellen zeigt, daß das Verhältnis der einzelnen hier
ausgewiesenen Berichte in den vier Chroniken unterschiedlich ist. Die meisten
Einträge, die weder gewaltsame Tode noch Kampfhandlungen enthalten, finden
sich in der Chronik von der Gründung der Stadt bis 1469, Berichte, die
gewaltsame Tode enthalten, machen insgesamt nur 26 Prozent der Chronik im
Zeitraum von 1368 bis 1468 aus, dabei nehmen Kampfhandlungen, ob jetzt mit
oder ohne Tote, nur 14 Prozent ein, der mit Abstand geringste Prozentsatz aller
vier Chroniken.
Burkard Zink hingegen berichtet anteilsmäßig am seltensten von gewaltsamen
Toden. Der Tod in Kampfhandlungen und andere Todesarten halten in
79
etwa das Gleichgewicht. Doch enthält seine Chronik mit 20 Prozent der
Berichte viele Informationen zu Kampfhandlungen, und so wird der Anteil der
Belege ohne Tote und Kampfbandlungen auf 57 Prozent gedrückt.
In der Chronik von 1 368 bis 1 406 finden sich in etwas weniger als der
Hälfte der Fälle Informationen zu gewaltsamen Toden oder Kampfhandlungen,
dieser Prozentsatz teilt sich zu einem größeren Teil in Berichte von Kampfhandlungen
ohne Tote, einen etwas kleineren Teil von Kämpfen mit Angaben
von Toten und schließlich zum kleinsten Teil von anderen Arten gewaltsamen
Todes. Die Chronik bringt also relativ viele Berichte mit Toten und gleichzeitig
sehr viele Informationen zu Kämpfen.
Die meisten Berichte von gewaltsamen Toden und Toten in Kampfhandlungen
hält die Chronik des Erhard Wahraus mit einem Anteil von 39 Prozent
bereit, ebenso enthält sie mit 40 Prozent anteilsmäßig gesehen die meisten
Einträge von Kampfbandlungen mit und ohne Angabe von Toten. Insgesamt
machen Berichte von Kampfbandlungen und gewaltsamen Toden 64 Prozent
aus, damit ist Wahraus derjenige der Autoren, der sich offenbar am meisten für
Kampfund Tod interessierte.
Die Öffentlichkeit der Ereignisse und die Betroffenheit
durch die verschiedenen Todesarten
Die Untersuchungen Schneider-Ferbers zum Achtbuch zeigen, daß Totschlag
und Mord im eigenen sozialen Umfeld, der Familie oder Berufsgruppe verübt
wurden, vor allem von Handwerkern der Mittelschicht und Angehörigen der
Unterschicht62. Angehörige der Oberschicht finden sich im Achtbuch nur
dreimal63• Die meist spektakulären Mordfälle der Chroniken lassen wegen der
geringen Zahl hier keine Aussagen zu. Die Tat selbst findet nicht in einer wie
immer gearteten Öffentlichkeit statt. Neben Täter, Opfer und dessen Angehörigen,
die die Tat einklagen mußten, waren mit diesen Vorkommnissen die rechtssprechenden
Instanzen befaßt: diejenigen der Ratsbürger, die die Acht und Verbannung
verhängten und die dem Vogt im Vogtgericht, das u. a. als einzige
Instanz Leibes- und Todesstrafen verhängte, als Beisitzer dienten. Die Kunde
von den einzelnen Fällen dürfte sich freilich je nach dem Interesse des
einzelnen Falles rasch verbreitet haben.
Eindeutig große Öffentlichkeit hatten hingegen Hinrichtungen. Der
Vollzug einer Hinrichtung wurde in den letzten Jahrzehnten von Historikern
gerne als „Schauspiel des Todes“ oder ähnliches bezeichnet64• Das Vorgehen
des Rates gegen Ulrich Tendrich, den städtischen Baumeister, endete nach Zink
62 SCHNEIDER-FERBER, Achtbuch, S. 87 ff.
63 SCHNEIDER-FERBER, Achtbuch, S. 84.
64 Etwa Richard VAN DÜLMEN, Theater des Schreckens. Gerichtspraxis und Strafrituale in der
frühen Neuzeit, 2. Aufl. München 1988.
80
mit einer Urteilsverkündung vor den versammelten Bürgern, deren Zahl der
Chronist auf mehr als 8.000 Männer und Frauen schätzt65 – dabei handelte es
sich zwar um keine Hinrichtung, doch kann diese Schätzung als Vergleichszahl
gelten. Der Delinquent wurde in Augsburg fallweise zur besonderen Erregung
von Aufmerksamkeit vom Perlachturm in der Stadtmitte zum Hinrichtungsplatz
außerhalb der Stadt geschleift, was nicht nur die Zuschauer der folgenden
Hinrichtung Anteil haben ließ, sondern alle am Weg sich aufhaltenden Personen.
Offensichtlich verblieben auch die Leichen von Gehängten oder Geräderten
eine Zeitlang dort.
Der Krieg war wohl Teil des Lebenshorizontes eines Bürgers der Stadt
Augsburg und wurde als solcher auch in den hier untersuchten Quellen nicht
hinterfragt66. Außerhalb der eigentlichen Kampfhandlungen war der Bürger in
den Bau der Befestigungsanlagen, den Unterhalt der Pferde für die Reisigen, die
berittene ,,Bürgertruppe“, die Bevorratung für den Kriegsfall und auch in die
regelmäßigen Übungen der Schützen, die sich nicht selten aus Einwohnern der
Städte rekrutierten67, mit einbezogen, doch sind dies alles Bereiche, die die
Fragestellung der Untersuchung nur sehr am Rande berühren. Kampfhandlungen
inkludierten nicht nur kämpfende Bürger und Söldner, sie betrafen auch
die ländliche Bevölkerung des zugehörigen Umlandes mehr oder weniger
direkt. Zu den gebräuchlichen Kriegsmitteln gehörten ja bekanntlich neben
offenem Kampf, Belagerung und Überfallen nicht nur das Niederbrennen von
Dörfern, das Verwüsten von Feldern und Obst- und Weingärten, sondern auch
Überfalle auf die Viehherden und Wagen mit verschiedensten Frachten. In den
angeführten Fällen wurden auch nichtbewaffnete Personen getötet.
Seuchen verschonten im Normalfall weder diverse Altersgruppen noch
soziale Schichten, so man nicht rechtzeitig der Gefahr entrinnen konnte.
Katastrophen und Unglücksfalle in ihrer zufälligen Erscheinung und dem
daraus entstehenden Erklärungsbedarf dürften auch einen hohen Grad an
Öffentlichkeit erreicht haben.
65 Chronik des Burkard Zink, Die Chroniken der deu tschen Städte 5. Augsbu rg 2, S. 284; vgl.
SCHNITH, Au gsbu rger Chronik, S. 48.
66 Vgl. Airnut HÖFERT, Der Krieg in der Individu alperspektive von Patriziat und Adel, in:
Krieg und V erbrechen, S. 1 1 1 -184, hier S. 183 f. Sie führt weiter aus, daß

der Krieg zur
Alltagswelt der städtischen Oberschicht“ gehört habe. Gemeint sind die Oberschichten der
Städte Nümberg u nd Frankfurt, deren Sicht des Krieges anband einiger städtischer
Geschichtswerke des 14. u nd 15. Jahrhunderts, vor allem autobiographischen Charakters,
untersu cht u nd der Darstellu ng in der Autobiographie des Georg von Ehingen als adeligem
Gegenpol gegenübergestellt wu rden. Diese Au ssage wird freilich nicht näher erläutert und
bezieht sich wohl eher auf die fehlenden negativen Kommentare der behandelten Quellen als
au f die tatsächliche Häu figkeit der Ereignisse.
67 FOUQUET, Finanzierung, S. 65.
8 1
Bewertungen des gewaltsamen Todes in den Chroniken
Nur in zwei der Chroniken finden sich Bewertungen der Berichte, nämlich bei
Erhard Wahraus und bei Burkard Zink. Für Wahraus ist es der plötzliche, der
unerwartete und unvorbereitete Tod, der neben dem unkommentierten, also
normalen Tod steht. So beschreibt Wahraus den Tod des ein paar Monate zuvor
zum böhmischen König gewählten Sohn Albrechts, Friedrich 1 307 als
unzeit/ich, den Tod Ludwig des Bayern als behenrf8. 1408 wurde nach Wahraus
ein frisch vermählter Bräutigam erschlagen, sein Tod wird mit dem Adjektiv
unverwon d versehen und so aus der Zahl der gänzlich unkommentierten Tode
herausgehoben69. Für das Jahr 1 370 ersc􀁡einen drei Unglücksfalle: Zum c;:inen
stirbt ein Bürger während der Messe, dann werden drei Frauen auf dem Feld
vom Blitz erschlagen und schließlich ertrinkt ein Mann im Lech. Wahraus
schließt die Berichte über diese Ereignisse mit einem Stoßgebet ab: das uns got
behüt vor eim gächen end70•
Zink ruft hier und da Gottes Gnade für die Toten einer Schlacht an, vor
allem, wenn die Verluste groß waren. Gottes Erbarmen evoziert er über die
Toten auf der Engelsbrücke im Jahr 1450 und ebenso über die vielen Toten der
Epidemie des Jahres 1 462/63. In wenigen Fällen gehen seine Stellungnahmen
darüber hinaus. Dies betrifft etwa seinen Kommentar zur Hinrichtung von vier
Geistlichen aus dem Jahr 1 409, die vom Bischof der städtischen Gerichtsbarkeit
überantwortet wurden71 mit der Bemerkung, dasz sie den pfa.ffen tätten, was sie
verschuld! hetten. Sie wurden in einen Käfig eingeschrniedet, der am
Perlachturm aufgehängt wurde, und man ließ sie dort verhungern, ein offenbar
auch in diesen Fall verwickelter Laie hingegen wurde etwas später verbrannt.
Das Verbrechen, das zu dieser außergewöhnlichen Strafe führte, wird als ketze-
68 Die Chroniken der deutschen Städte 4. Augsburg I , S. 2 1 9 und 220.
69 Der Frischvermählte war Burkard Schellenberg, der Peter Egens Tochter geheiratet hatte.
Nach diesem unglücklichen Vorfall heiratete diese Hans von Kungseck (Die Chroniken der
deutschen Städte 4. Augsburg I , S. 230 und Anm. 6; von diesem Ereignis berichtet auch die
Chronik von 1368 bis 1406, Die Chroniken der deutschen Städte 4. Augsburg I, S. I I I ).
70 Die Chroniken der deutschen Städte 4. Augsburg I, S. 222.
71 Die Geistlichen wurden von der städtischen Gerichtsbarkeit verurteilt, auch wenn
SCHNEIDER-FERBER in Augsburg fiir das 14. Jahrhundert noch eine strengere Trennung von
geistlicher und weltlicher Gerichtsbarkeit feststellt (Achtbuch, S. 92-93). Dies fiigt sich
jedoch in die Tendenz, die MARTIN fiir Nürnberg herausarbeitet, daß nämlich die städtische
Jurisdiktion versucht, ein Monopol über die Gerichtsbarkeit zu erlangen (Verbrechen, S.
221-26 im Sinne Rolf SPRANDELS, dessen Vortrag „Die vier neuralgischen Punkte in der
Strafrechtswirklichkeit des Spätrnittelalters“, gehalten auf der Tagung ,,Die Entstehung des
öffentlichen Strafrechts“, 2. 4. – 5. 4. 1995 er S. 247 f. affirmativ zitiert). HEIDUK fiihrt ltier
auch ins Treffen, daß etwa Breslau ein Papstprivileg aus dem Jahr 1365 besaß, das verfUgte,
daß alle Untertanen des Bischofs und des Kapitels, die Verbrechen begangen hatten, vom
Stadtgericht abgeurteilt werden durften, auch wenn er fiir 1503 einen Fall erwähnt, in dem
der Bischof Einspruch gegen die Verurteilung von Klerikern erhob, wohl aufgrund eines
„Formalfehlers“. Ähnliches ist auch aus Krakau 1456 belegt.
82
rei benannt72• Zink zeigt hier Mitleid mit den Delinquenten, das er sonst fiir
keinen der Hingerichteten zu empfinden scheint73• Möglicherweise wurde
dieses Mitleid durch ein Gefühl der Unangemessenheit der Strafe hervorgerufen,
doch dürfte ihn eher das Ungewöhnliche der Hinrichtungsart berührt
haben74• Das Empfinden von Mitleid mit Delinquenten scheint allgemein
keineswegs ausgeschlossen, sonst könnte nicht in der alten Hochgerichtsordnung
von Schwyz aus dem 1 5. Jahrhundert eine Bittformel enthalten sein,
die an das Mitleid appelliert, indem sie den Zustand der Todesangst vor der
Hinrichtung beschreibt und so Gnade zu erreichen hofft75•
Kriegerische Auseinandersetzungen werden dann kritisiert, wenn sie
wider got, er und recht sind – wenn etwa keine Absage ausgesprochen wurde76;
oder sie werden bedauert, wenn die eigene Partei eine Niederlage oder hohe
Verluste erleidet.
Zinks Kommentar zum zweiten Städtekrieg: . .. . es ist uns sicher ain
schedlicher krieg und ain verderben vi/er leut; gott herr foeg es noch zum
pesten …. 77 ist eher als Klage über die unnötig vernichtende Niederlage der
Städte aufgrund des Verrates eines Söldnerführers zu verstehen, und nicht als
Kritik am Krieg im allgemeinen.
Zusammenfassung
Entgegen des „landläufigen“ Bildes des Spätmittelalters weisen Chroniken
keine ausgesprochen hohe Zahl an gewaltsamen und unnatürlichen Todesfällen
in unserem heutigen Verständnis auf, und sie beurteilen diese Todesarten nicht
in derselben Weise, wie wir das heute tun. Sie kennen unsere Konzeption des
gewaltsamen oder unnatürlichen Todes nicht. Der plötzliche, vorzeitige, uner-
72 Nach der Aussage Zinks stellt dies eine ,spiegelnde Strafe‘ dar. Da die Geistlichen in ein
,Vogelhaus‘ geschmiedet werden, liegt es nahe, daß es sich bei ihrem Vergehen um ein
sexuelles handelte, sie also für ,Vögeln‘ bestraft wurden.
73 Chronik des Burkard Zink, Die Chroniken der deutschen Städte 5. Augsburg 2, S. 67: das
was sicher ein ellender harter tod. Entgegen SCHNITH bin ich der Meinung, daß durch diese
Formulierung sehr wohl Mitgefühl mit den Verurteilten zum Ausdruck kommt (Augsburger
Chronik, S. 43).
74 HEIDUK erwähnt einen Fall aus Breslau vom Jahr 1 5 1 1, wo ein Priester durch Verhungern
hingerichtet wurde, weil er einen anderen Priester ermordet hatte (Diskussion, S. 100). Zu
dieser speziellen Hinrichtungsart vermerkt HEIDUK (ebd. S. 1 02) leider ohne weitere Hinweise:
„Einige vormals fraglos akzeptierte Formen der Gewalt Wie das Verhungernlassen
festgesetzter Gegner erscheinen den Chronisten in einem zweifelhaften Licht“.
75 BAUER, Gnadenbitten, S. 54 f.
76 Etwa Chronik des Burkard Zink, Die Chroniken der deutschen Städte 5. Augsburg 2, S.
217, 228, 237.
77 Bei Burkard Zink, Die Chroniken der deutschen Städte 5. Augsburg 2, S. 2 8 1 .
83
wartete und unvorbereitete Tod, der zufällig, aus Unglück oder als Folge oder
Strafe für Missetaten herantritt, erscheint als Gegenstück zu einem „guten Tod“.
Auch wenn in den Chroniken sicherlich keine Vollständigkeit in der
Informationsvermittlung erreicht wurde, so zeigt doch das meist hohe Interesse
am gewaltsamen Tod, daß es sich um kein vernachlässigtes Thema der
Berichterstattung gehandelt haben kann.
Reale Gewalt war sicherlich wie auch der Tod ganz allgemein im
städtischen Alltagsleben präsenter als beute, doch kann von einer hemmungslosen
Gewaltausübung wohl auch keine Rede sein, und hinsichtlich der fiktiven
und medialen Präsenz von Gewalt und Tod ist die heutige Zeit der untersuchten
Epoche und Quellengruppe sowohl in Quantität als auch in Qualität und
Detailfreude um vieles voraus.
Für manche Personengruppe wie berufsmäßige Krieger, also Söldner und
Angehörige des kämpfenden Standes aus dem Umkreis der Stadt, oder Henker
und ihre Gehilfen gehörte der gewaltsame Tod sozusagen zum Berufsbild, für
den spätmittelalterlichen Städter war er zumindest durch die Hinrichtungsstätten
Teil des erweiterten Stadtbildes, doch war er nach den untersuchten Chroniken
nicht im strengeren Sinn Bestandteil der alltäglichen Lebenswelt derjenigen,
deren Erfahrung sich in diesen Quellen widerspiegelt.
84
MEDIUM AEVUM
QUOTIDIANUM
42
KREMS 2000
HERAUSGEGEBEN
VON GERHARD JARITZ
GEDRUCKT MIT UNTERSTÜTZUNG DER KULTURABTEILUNG
DES AMTES DER NIEDERÖSTERREICHISCHEN LANDESREGIERUNG
Titelgraphik: Stephan J. Tramer
Herausgeber: Medium Aevum Quotidianum. Gesellschaft zur Erforschung
der materiellen Kultur des Mittelalters, Körnermarkt 13, A-3500
Krems, Österreich. Für den Inhalt verantwortlich zeichnen die Autoren,
ohne deren ausdrückliche Zustimmung jeglicher Nachdruck, auch in
Auszügen, nicht gestattet ist. – Druck: KOPITU Ges. m. b. H., Wiedner
Hauptstraße 8-10, A-1050 Wien.
Inhalt
Vorwort …….. ………………………………………………………………………………………….. 5
Rostyslav Paranko, Standards of Living, Order, and Prestige:
Public Facilities in Early Fifteenth-Century Lviv (Lemberg) ………………. 7
Christa Petschko, Galgen und Schlachtfelder. Der gewaltsame Tod
in den Chroniken der Stadt Augsburg, 1368-1468 ………… …………….. ….. 52
Buchbesprechungen ………………………………………………………………………………. 85
Ankündigungen …………………………………………. ………………………………………… 90

Vorwort
Das vorliegende Heft von Medium Aevum Quotidianum beschäftigt sich
vorrangig mit Alltag im städtischen Raum des Spätmittelalters. Die Arbeit von
Rostyslav Paranke (Lviv) ist aus einer MA-Tbesis hervorgegangen, welche der
Autor an Central European University (Budapest) abgeschlossen und verteidigt
hat. Er beschäftigt sich darin vor allem mit der Rolle, Finanzierung und
Kontrolle öffentlicher Einrichtungen im Lviv (Lemberg) des 15. Jahrhunderts.
Christa Petschko (Graz) setzt sich mit dem Phänomen des gewaltsamen Todes
und seinen unterschiedlichen Ausformungen auseinander, wie sie in den
städtischen Chroniken Augsburgs im 14. und 15. Jahrhundert rezipiert, konstruiert
und vermittelt wurden.
Das nächste Heft unserer Reihe wird noch im Jahre 2000 als Sonderband
erscheinen und sich – wie bereits angekündigt- alltagsrelevanten Bereichen der
„Neithard-Rezeption in Wort und Bild“ (Herausgeberin: Gertrud Blaschitz,
Krems) widmen. Die Bildüberlieferung wird mit Hilfe einer dem Band
beiliegenden CD-Rom zugänglich gemacht werden. Im Februar/März 2001 wird
ein weiterer schon angekündigter Sonderband zur Auslieferung gelangen, und
zwar die unter der Herausgeberschaft von Detlev Kraack (Berlin) stehende
internationale Bibliographie zu den Graffiti des Mittelalters und der frühen
Neuzeit.
5
Gerhard Jaritz
Herausgeber

/* function WSArticle_content_before() { $t_abstract_german = get_field( 'abstract' ); $t_abstract_english = get_field( 'abstract_english' ); $wsa_language = WSA_get_language(); if ( $wsa_language == "de" ) { if ( $t_abstract_german ) { $t_abstract1 = '

' . WSA_translate_string( 'Abstract' ) . '

' . $t_abstract_german; } if ( $t_abstract_english ) { $t_abstract2 = '

' . WSA_translate_string( 'Abstract (englisch)' ) . '

' . $t_abstract_english; } } else { if ( $t_abstract_english ) { $t_abstract1 = '

' . WSA_translate_string( 'Abstract' ) . '

' . $t_abstract_english; } if ( $t_abstract_german ) { $t_abstract2 = '

' . WSA_translate_string( 'Abstract (deutsch)' ) . '

' . $t_abstract_german; } } $beforecontent = ''; echo $beforecontent; } ?> */