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gewürcz wol vnd versalcz nicht. Auf der Suche nach skalaren Erklärungsmodellen zur Verwendung von Gewür­zen in mittelalterlichen Kochrezepten

56
gewürcz wol vnd versalcz nicht.
Auf der Suche nach skalaren Erklärungsmodellen zur
Verwendung von Gewürzen in mittelalterlichen
Kochrezepten
1
Helmut W. Klug
Swas dû uns gîst, daz wurze uns wol,
baz dànne man ze mâze sol,
daz in uns werde ein hitze,
Daz gegen dem trunke gange ein dunst,
als ein rouch von einer brunst,
und daz der man erswitze,
Daz er wæne, daz er faste leke.
schaffe, daz der mund uns als ein apotêke smeke!
2
Dieser Auszug aus dem Herbstlied Steinmars hat in der Neuzeit viele
Interpretationen angeregt,
die der mittelalterlichen Sp
eisekultur nur sehr selten
gerecht werden.
3
Der/ie Mediävist/in hat bei der
Interpretation historischer Texte
nicht nur die Methodik des Faches zu
berücksichtigen, sondern auch ständig
einen oft binären Gegensatz der Kulture
n zu bedenken, denn das 21. Jahrhundert
ist mehr als einen
cultural turn
vom Mittelalter entfernt. Seit den ersten
wissenschaftlichen Untersuchungen zu de
n mittelalterlichen
Kochrezepten hat
es fundamentale inhaltliche und struktur
elle Veränderungen
in der mediävisti-
schen Forschung gegeben, nichtsdestotro
tz prägen antiquierte Lehrmeinungen
heutige Fachtexte, auch wenn si
e seit Jahrzehnten überholt sind.
4
Dem gegen-
1
Diese Arbeit ist im Rahmen des fächerübe
rgreifenden Forschungsprojektes „Kategorien
und Typologien in den Kulturwissenschaften (B
inarität und Skalaritä
t als kulturelle Ord-
nungsmuster)“ entstanden. Für die individuelle
Betreuung sei Ao. Univ. Prof. Dr. Wernfried
Hofmeister, Mag. Dr. Bettina Rabelhofer und
Ao. Univ. Prof. Mag. Dr. Klaus Rieser ge-
dankt.
2
Die Schweizer Minnesänger. Nach der Ausgab
e von Karl Bartsch neu bearb. u. hg. v. Max
Schiendorfer, Bd. 1: Texte. Tübingen
1990, 281: Steinmar, Lied I, VI, 1-8.
3
Vgl. z. B. den vorurteilsbehafteten Kommenta
r in Manfred Lemmer (Hg.), ‘So wirt es gut
und wolgeschmack.’ Alte deutsche
Kochrezepte. 1350-1600. O. O.1991, 16 f.
4
Vgl. besonders Bruno Laurioux, Spices in th
e Medieval Diet: A Ne
w Approach. In: Food &
Foodways 1 (1985) 43 f.
57
über steht aber die geografische Nähe,
in welcher der Unte
rsuchungsgegenstand
angesiedelt ist, sodass darüber leicht
der kritische Abstand, die kulturelle Wende,
verloren geht.
Die mittelalterliche Kultu
r – und damit auch die
mittelalterlichen Speise-
gewohnheiten – wird maßge
blich von religiösen, st
ändischen und regionalen
Werten geprägt; die dadurch bedingte id
eelle Pluralität muss
bei der Arbeit mit
historischen Quellen ständig mitgedach
t werden, was – über Oppositionsbildun-
gen hinaus – nach einem skalaren, d. h.
einem diese Werte abstufend reflektie-
renden Interpretationsansatz verlangt. Di
eser Zugang wird in der vorliegenden
Arbeit in einer einleitenden Grundlag
endiskussion auf das Arbeitsthema
übertragen. In der Ausarb
eitung wird besonderer Wert
darauf gelegt, diesen
Anforderungen auch gerecht zu werden
, da sehr viele Werke der Forschungs-
literatur konträre Zugänge
bevorzugen. Das führt in
Einzelfällen unweigerlich
zu fachwissenschaftlich ‚binären’ Gegens
ätzen mit den hier präsentierten For-
schungsergebnissen. Ich versuc
he jene in der vorliegenden Studie mit einem
praxis- und ergebnisorientierten Ansatz zu
überprüfen, wobei
ich mich auf eine
skalare, auf realen Zahlen
werten basierende Auswertung eines für diese Unter-
suchung zusammengestellten Korpus an
Kochrezepttexten stütze. An die
Beschreibung des Korpus und dessen Genese
schließt eine ausführliche Defini-
tion des Untersuchungsgegenstandes ‚G
ewürz’, der hier im Sinne der
mittelalterlichen Küchenpraxis möglic
hst offen ausgelegt wird; gleichzeitig
muss die Grenzsetzung zur Datenerhebung
festgelegt werden. Die folgende
Diskussion stellt die erarbeiteten
hard facts
den bestehenden Forschungs-
hypothesen gegenüber. Zusätzlich ist de
r Arbeit ein Anhang beigefügt, in dem
die erhobenen Daten tabellari
sch aufbereitet sind.
Grundlagen
Kennzeichnend für die Kultur des Mittelalte
rs sind die drei korrelierenden, den
Alltag prägenden Lebensbe
reiche Religion, Stande
szugehörigkeit und Regiona-
lität – Aspekte, die also auch im Rah
men einer Diskussion der Würzgewohn-
heiten, wie sie uns in den Kochrezepts
ammlungen überliefert sind, berücksich-
tigt werden müssen. Als zentraler Angel
punkt gilt hier, dass sich – entgegen
verschiedenen älteren Theorien – die
Speisekultur des Mittelalters in einem
kontinuierlichen Prozess aus den römi
sch-antiken Ernährungsgewohnheiten
entwickelt hat:
5
Wegen der fast tausendjährigen Kluft zwischen den jüngsten
römischen und den
ältesten mittelalterlichen Üb
erlieferungen können wir die
kulinarischen Entwicklungen aber nur er
schließen, da uns, bedingt durch die
Überlieferungslücke, die nötig
e Evidenz fehlt. Schon in
den ältesten erhaltenen
mittelalterlichen Rezepten, die, wie ei
n Großteil der Überlieferung, den in der
5
Vgl. Laurioux, Spices. 61-66; Helmut Hunds
bichler, Nahrung. In: Harry Kühnel (Hg.),
Alltag im Spätmittelalter. Graz-Wien-Köln 1984, 205.
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Standeshierarchie höher einge
stuften Schichten zuzuschreiben sind, wird eine
außerordentlich kreative Küche präsentie
rt, welche bevorzugt Wert auf Ge-
schmacks-, Farb- und Form
veränderungen der Grundzutat
en legt und den so be-
dingten Überraschungseffekt – was sich
besonders in den
sogenannten ‚Schau-
gerichten’ manifestiert – als ein zentral
es Merkmal beansprucht. Speisen und die
darin verkochten Gewürze sind somit ei
ne Form der sozialen Standortbestim-
mung, ein Repräsentationsmittel, welc
hes nicht nur den
Gastgeber gegenüber
seinen Gästen, sondern auch den Koch
gegenüber seinem He
rrn auszeichnet.
Man kann ohne Zweifel erkenne
n, dass Essen den Zweck
eines rein lebenserhal-
tenden Vorganges längst hinter sich gela
ssen hat und der Unterhaltungswert als
gleichberechtigter, wenn nicht gar wichti
gerer Faktor gesehe
n werden muss. Das
belegen auch kritische christliche Stimme
n, die dieser Entwicklung keine posi-
tiven Aspekte abgewinnen können
6
und einmal mehr zeigen, wie sehr die
Speisekultur von religiösen Einflüssen ge
prägt war. Deshalb muss auch eine in
der Forschung lang tradierte These hint
erfragt werden: Die optische Verände-
rung von Fastenspeisen (in z.
B. typische Fleischspeisen) wird als ein Mittel zur
Erleichterung des Faste
ngebotes interpretiert.
7
Bedenkt man die Religiosität des
mittelalterlichen Menschen sowie dass ä
hnliche Verarbeitung
smethoden für alle
Arten der Lebensmittel bele
gt sind, scheint diese A
nnahme keineswegs haltbar,
sondern aus einem neuzeitlich-christlich
en Unverständnis entstanden. Omniprä-
sent, aber ebensowenig haltbar und mittle
rweile auch in der Forschung einhellig
zurückgewiesen ist die Vermutung, dass Gewürze
en masse
eingesetzt wurden,
um den Geschmack verdorbe
nen oder aus anderem Grund
8
kaum genießbaren
Fleisches zu überdecken: Was demgege
nüber realistische Beweggründe für die
bevorzugte Verwendung teurer Würzmittel
gewesen sein könnten, wird in den
folgenden Absätzen besprochen.
Ein zentraler Aspekt, der Hand in Ha
nd mit den oben angesprochenen Än-
derungen der Grundzutaten in Form, Fa
rbe und Geschmack geht, ist die im
Mittelalter gültige medizinisc
he Lehre, welche in a
llen Bereichen auf antikem
und im späten Mittelalter traditionsbedingt
auch auf arabischem Wissen aufbaut.
6
Siehe einschlägige Stellen bei Bernhard von Cl
airvaux (vgl. Paul H.
Freedman, Out of the
East. Spices and the Medieval Imagin
ation. New Haven 2008, 151.) oder Berthold von
Regensburg [vgl. Christoph Cormeau, Essen
und Trinken in den deutschen Predigten
Bertholds von Regensburg. In: Irmgard Bitsc
h, Trude Ehlert und Xenja von Ertzdorff (Hg.),
Essen und Trinken in Mittelalter
und Neuzeit. Sigmaringen 1987, 77-83].
7
Vgl. z. B. Hanna Dose, Die Geschichte de
s Kochbuchs. Das Kochbuch als geschichtliche
Quelle. In: Gisela Framke (Red.), Beruf de
r Jungfrau: Henriette
Davidis und bürgerliches
Frauenverständnis im 19. Jahrhundert. Ober
hausen 1990, 66; Trude Ehlert, Münchner
Kochbuchhandschriften aus dem 15.
Jahrhundert. Cgm 349, 384, 467, 725, 811 und Clm
15632. Donauwörth 1999, 183 (in der Folge:
Münchner Kochbuchhandschriften); Trude
Ehlert, Das Kochbuch des Mittelalters. Rezepte
aus alter Zeit, eingeleitet, erläutert und
ausprobiert. Düsseldorf 2000.
8
Vgl. Ehlert, Kochbuch des Mittelalters 14: Ge
würze sollen verwendet worden sein, um den
Salzgeschmack von Gepökeltem oder eingesalzenem Gemüse zu überdecken.
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