„Graue Eminenzen“ in der Kleinstadt
Die Stadtschreiber und Kirchenmeister von Korneuburg1
Kornelia Holzner-Tabisch
In der überschaubaren, engmaschigen Welt einer Kleinstadt bildeten die Ratsbürgerfamilien
eine durch Verwandtschaft, Politik und Geschäftsbeziehungen
überaus eng verbundene Führungsschicht In Korneuburg, im Spätmittelalter
eine der bedeutenderen Donauhandelsstädte im Herzogtum Österreich mit schätzungsweise
2000 Einwohnern, waren es vor allem jene, die von der Prosperität
der Stadt im 14. und 15. Jatu-hundert – Femhandel, Stapel, Märkte, Weinbauprofitierten
: allen voran Fernhändler und Grundbesitzer, aus deren Kreis Stadttichter
und langjälu·ige Ratsmitglieder kamen, und erfolgreiche Gewerbett·eibende
w1d Handwerker wie Krämer, Fleischhacker, Binder oder Schmiede. Sie
treten in den Quellen – Urkunden und Stadtbücher – als führende Akteure des
städtischen Lebens entgegen: in Grundstückstransaktionen, Seelenheilstiftungen,
letztwilligen Verfugungen oder Schuldgeschäften.2 Die in der Stadtpfarrkirche
erhaltenen wappengeschmückten Grabplatten zeugen vom repräsentativen
Selbstbewusstsein dieser Schicht. 3
Im folgenden Beitrag stehen zwei Amtsträger im Mittelpunkt des Interesses,
die im Vergleich zu den Stadtrichtem, Bürgermeistern4 und langjährigen
Ratsmitgliedern hinsichtlich Macht, Reichtum und Repräsentativität nicht unbe-
1 Der vorliegende Beitrag beruht in wesentlichen Teilen auf meiner Dissertation: Kornelia
Holzner-Tobisch, Das älteste Korneuburger Stadtbuch: „Geschafftpuech“ (1401-1444).
Diss. phil., Wien 2011 [ online als E-Book verfügbar: http://bibliothek.univie.ac.at/ (Zugriff:
19.04.2012)].
2 Vgl. ausführlich ebd. 27-35.
3 Beschreibung und Abbildungen bei Albert Starzer, Geschichte der landesfürstlichen Stadt
Korneuburg. Korneuburg 1 899, 537-556; ihm folgend Ludwig Ried, Korneuburg-Kirche
im Wandel der Zeiten. Komeuburg 1991, 89-97, wobei die Inschriften teilweise fehlerhaft
wiedergegeben sind.
4 Das Bilrgcrmeisteramt ist in Korneuburg nur im frilhen 15. Jahrhundert (1406-1422) nachweisbar;
Liste der Bürgenneister bei Holzner-Tobisch, Korneuburger Stadtbuch, Anhang
3a (Quellenbelege in Anhang 3b); vgl. auch Starzer, Korneuburg, 237; Privileg Herzog
Wilhelms für die Bürgermeisterwahl von 1406 ll 16, Org. nicht vorhanden, Kop. Stadtarchiv
Korneuburg (künftig StAK), Urk. n. 1/441, fol. 17rv (Pancarta 1 6 1 0).
5
dingt an der Spitze der kleinstädtischen Elite standen, aber als Akteure im Hintergrund
fur das Funktionieren des kommunalen Lebens von größter Bedeutung
waren: der Stadtschreiber für die Ve1wa ltung und das Schriftwesen und der Kirchenmeister
für das religiös-kirchliche Leben der Stadt.
Stadtschreiber
lste liber est inceptus per Erhardum de Asparn maiori notarium publicum coramque
venerabili consulato civitatis Neunburgi forensi pro tune scribam [ . . . ]5
– mit diesen Worten beginnt ein im Oktober 1444 neu angelegtes Stadtbuch
Korneuburgs, das fur letztw illige Verfügungen – im zeitgenössischen Sprachgebrauch
„Geschäfte“ (geschefft) – vorgesehene zweite Geschäftsbuch, welches
das ältere, Anfang des 15. Jahrhunderts begonnene Buch unmittelbar fortsetzte.6
Bemerkenswert ist allerdings weniger die Anlage dieses Stadtbuchs – Stadtbücher
wurden zu dieser Zeit in vielen niederösterreichischen Kleinstädten geführt7
-, sondern die persönliche Einleitung des Stadtschreibers Erhard von Asparn.
Von seinen Amtskollegen vor und nach ihm ist ein vergleichbarer Eintrag in den
Stadtbüchern8 n icht bekannt, was viel eher der Position eines spätmittelalterlichen
Stadtschreibers entsprach. Als Leiter der städtischen Kanzlei war er zwar
einer der mächtigsten Männer der kommunalen Verwaltung, doch blieb er in der
5 StAK, Hs. 31160, fol. 1 r: !sie liber est inceptus per Erhardum de Asparn maiori notarium
publicum coramque venerabili consulato civitatis Neunburgi forensis pro tune schribam,
pestilencia in tota Austrio regnante anno domini millesimo quadringentesimo quadragesimo
quarto, sacro Basiliensi concilio durante; eodemque anno rexPolonie Biodislaus nomine
intrusus ad regnum Ungarie interfectus est cum pluribus milibus Ungaris, inter quos
quidam solemnis cardinalis Julianus nomine, per Turcos, Fridrico rege Romanorum, duce
Austrie, Stirie etc., tutore Ladislai filii domini Alberti felicis recordacionis olim regis Romanorum,
Ungarie, Bohemie, Dalmacie, Coracie (!] ac ducis Ausn·ie etc. regnante etc.; der
Text gedruckt bei Paul Uiblein (Hg.), Bücherverzeichnisse in Komeuburger, Tullner und
Wiener Neustädter Testamenten (Mittelalterliche Bibliothekskataloge Österreichs, Nachtrag
zu Bd. 1: Niederösterreicb) Wien-Köln-Graz 1969, 16.
6 1 . Geschäftsbuch: StAK, Hs. 31159, angelegt 1403 (Einträge 1401-1444), ediert von Holzner-
Tobisch, Komeuburger Stadtbuch .
7 Siebe tmten Anrn. 1 1.
8 11 Stadtbücher: StAK, Hss. 3/159-3/161 (3 Geschäftsbücher 1401-1521 (Bestand „Testamentsprotokolle“)];
Hs. 3/268 (Stadtbuch um 1440); Hs. 3/267 (Stadtbuch 1499-1514);
Hss. 3/222-3/227 (6 Gnmdbücher); die Handschriften sind mit Ausnahme der Edition von
Hs. 3/159 (Holzner-Tobisch, Komeuburger Stadtbuch) nur auszugsweise ediert: siehe zu
den Hss. 31159-31160 Uiblein, Bücherverzeichnisse (Druck der Testamente mit Büchemennungen);
zu Hs. 3/268 Gustav Winter, Beiträge zur niederösterreichiscben Rechts- und
Verwaltungsgeschichte II, IH, in: Blätter des Vereines fi.ir Landeskunde von Niederösterreich
NF 15 (188 1 ) 405-417 und NF 1 6 (1882) 72-81 (Vogtei-, Ungeld-, Maut- und Zollsacben,
Urfahrangelegenbeiten; zu Hs. 3/267: ders., Beiträge IV, in: Blätter des Vereines fi.ir
Landeskunde von Niederösterreich NF 16 ( 1882) 81-83 (Bürger- und Ratsherreneid); C. M .
Blaas, Bruchstück eines Inventars über Kircbengeräthe vom Anfang des XVI. Jahrhunderts,
in: Mittheilungen der k. k. Central-Commission zur Erforschung und Erhaltung der Kunstund
bistorisehen Denkmale NF 7 ( 1 8 8 1 ) LXXIII-LXXIV (Inventar der Pfarrkirche).
6
Regel im Hintergrund und ist in der Überlieferung vor allem durch seine
Schriftprodukte präsent. Er organisierte die Kanzlei und das Archiv, überwachte
die Buchführung und den Schriftverkehr und war aufgrund der meist vorhandenen
juristischen Kenntnisse einer der wichtigsten Berater des Rats in rechtlichen
und politischen Fragen. Wegen ihrer verantwortungsvollen Tätigkeit stiegen die
Stadtschreiber zu den „grauen Eminenzen der städtischen Obrigkeit“ (Zahnd)
aue
Unbestritten ist die Bedeutung des Amtes flir die Intensivierung der
Schriftproduktion und die Professionalisierung der Verwaltung – ein Prozess,
der ab dem ausgehenden 14. Jahrhundert auch in den niederösterreichischen
Kleinstädten einsetzte. Charakteristisch für die kleinstädtische Quellenlage ist
allerdings eine überaus dünne und lückenhafte Überlieferung an Verwaltungsschriftgut.
Stadt- oder Ratsbücher10 sind meist nur vereinzelt überliefert, größere
Bestände gibt es nur in Korneuburg, Tulln, Wiener Neustadt und St. Pölten.11
9 Urs Martin Zahnd, Studium und Kanzlei. Der Bildungsweg von Stadt- und Ratsschreibern
in eidgenössischen Städten des ausgehenden Mi:telalters, in: Rainer Christoph Schwinges
(Hg.), Gelehrte im Reich. Zur Sozial- w1d Wirkungsgeschichte akademischer Eliten des 14.
bis 16. Jahrhunderts (Zeitschrift für Historische Forschung, Beiheft 18). Berlin 1996, 453-
476, hier 470: vgl. zu den Österreichischen Stadtschreibern bes. Josef Pauser und Martin
Scheutz, Frühneuzeitliche Stadt- und Marktschreiber in Österreich-ein Aufriss, in: Andrea
Griesebncr, Martin Scheutz und Herwig Weigl (Hg.), Stadt-Macht-Rat 1607. Die Ratsprotokolle
von Perchtoldsdorf, Retz, Waidhafen an der Ybbs und Zwettl im Kontext (Forschungen
zur Landeskunde von Niederösterreich 33). St. Pötten 2008, 51 5-563; Martin
Scheutz, Rathaus, Rats-/Stadtschreiber und Ratsprotokoll-Schrift und Örtlichkeit frühneuzeitlicher
städtischer Herrschaft, in: Cathrin Henmnn, Friede! Moll, Martin Scheutz und
Herwig Weigl (Hg.), Das Zwettler Ratsprotokoll 1553-1563. Edition und Kontext (For10
schungen zur Landeskunde von Niederösterreich 34). St. Pölten 2010, 19-71. Zu Stadtbüchern vgl. grundlegend Ernst Pitz, Sclnift- und Aktenwesen der städtischen Verwalnmg
im Spätmittelalter: Köln- Nümberg-Lübeck. Beitrag zur vergleichenden Städteforschung
und zur spätmittelalterlichen Aktenkunde (Mitteilungen aus dem Stadtarchiv von
Köln 45). Köln 1959, 1 7-32; Hans Patze, Neue Typen des Geschäftsschriftgutes im 14.
Jahrhundert, in: ders. (Hg.), Der deutsche Territorialstaat im 14. Jahrhundert I (Vorträge
und Forschungen 13). Sigmaringen 1970, 9-64, bes. 54-58; weiters Eberhard lsenmann, Die
deutsche Stadt im Spätmittelalter: 1 250-1500. Stadtgestalt, Recht, Stadtregiment, Kirche,
Gesellschaft, Wirtschaft. Stuttgart 1988, 166-170; Thomas Gießmann, Zur Quellentypologie
der Stadtbücher- am Beispiel der Altstadt Hildesheim, in: Lotte Kery, Dietrich Lohrmann
und Harald Müller (Hg.), „Licet preter solitum“. Ludwig Falkenstein zum 65. Geburtstag.
Aachen 1998, 165-175; Dieter Gcuenich, Was sind eigentlich „Stadtbücher“?, in:
Friedhelm Debus (Hg.), Stadtbücher als namenkundliche Quelle (Akademie der Wissenschaften
und der Literatur, Mainz, Abhandlungen der Geistes- und Sozialwissenschaftlichen
Klasse, Einzelveröffentlichung 7). Mainz-Stuttgart 2000, 17-29; zu Österreich bes. Peter
Ernst, Stadtbücher und verwandte Quellen in Österreich, exemplarisch dargestellt, in:
ebd. 501-516; Herwig Wcigl, Schriftlichkeil in einer spätmittelalterlichen Kleinstadt. Verlorene
Quellen und des Kleinstadt-Historikers Not, in: Mitteilungen des Instituts fiir Österreichische
Geschichtsforschung 100/1-4 ( 1992) 254-267, bes. 259-262.
11 Stadtbücher sind aus Waidhofen/Tbaya, Tulln, Mautern, St. Pötten, Wiener Neustadt, Retz,
Dürnstcin, Ybbs und Waidhofen/Ybbs überliefert, Reclmungen aus Weitra und Krems, vgl.
zur Überl ieferungssituation Weigl, Schriftlichkeil 260 f. -Zu den Archivbeständen siebe
7
Für etliche Städte lassen sich verlorene Bücher nachweisen,12 so dass zumindest
fur die zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts von einer vielerorts praktizierten
Buchführung auszugehen ist.13 Die Gründe für die schlechte Überlieferungssituation
liegen vennutlich einerseits in den hohen Verlusten der in der Regel nicht
unbedingt ,repräsentativen‘ Gebrauchshandschriften, die – abgesehen von den
Städtebränden – nicht zuletzt durch „Negligenz und lgnoranz'“4 eine geringe
Überlieferungschance hatten, und andererseits in der sich offenbar nur zögernd
durchsetzenden Verschriftlichung, woftir auch die meist erst im 15. Jahrhundert
einsetzende Etablierung des Stadtschreiberamtes sprechen würde. Allgemein
wird angenonunen, dass die Städte zunächst nur sporadisch einen Schreiber bei
Bedarf engagierten und erst aufgrund des wachsenden Umfangs der Schreibarbeit
einen ständigen Stadtschreiber verpflichteten. Eine „Schreiber“-Nennung
muss daher nicht notwendig auf einen Amtsträger verweisen. Erst die Etablierung
hauptamtlicher Stadtschreiber bildete den Ausgangspunkt für den Ausbau
der Schreibstube (Kanzlei) zur zentralen Institution und gilt daher als wichtiger
Schritt der Professionalisierung der städtischen Verwaltung.15
Helmut Lackner, Dokumentation ungedruckter Quellen zur Geschichte der Städte Österreichs
(Mit Ausnahme der Stadt Wien). Linz/Donau 1993, 45-138.- Editionen/Teildruck:
Otto Stowasser (Hg.), Das Stadtbuch von Waidhafen an der Thaya, in: Jahrbuch fur Landeskunde
von Niederösterreich NF 15116 ( 1 9 16/1917) 1 – 1 1 6; ders., Das älteste Stadtbuch
von Retz und die Rechnungen der Grafschaft Hardegg von 1437, in: Abhandlungen zur Geschichte
und Quellenkunde der Stadt Wien 4 ( 1 932) 113-163; Heinrich Demelius, Aus dem
Stadtbuch von Mautern an der Donau (1432-1550) (Sitzungsberichte der Österreichischen
Akademie der Wissenschaften, phil.-hist. Kl. 277). Wien-Köln-Graz 1 972; Kar! Gutkas,
Ein wiedergefundenes Stadtbuch von St. Pölten, in: Jahrbuch fur Landeskunde von Niederösterreich
NF 59 ( 1 993) 8 1 -91; Gustav Winter, Beiträge zur niederösterreichischen Rechtsund
Verwaltungsgeschichte VIII: Das St. Pöltener Stadtrecht vom Jahre 1338, in: Blätter
des Vereines fur Landeskunde von Niederösterreich NF 17 ( 1 8 83) 4 1 1 -490; das Ybbser
Stadtbuch berücksichtigt bei Joseph Fuchs, Beiträge zur Geschichte der landfurstlichen
Stadtpfarre Ybbs, in: Geschichtliche Beilagen zum St. Pöltner Diözesanblatt 7 (1903) 7 1 –
264; zu Korneuburg siehe oben Arun. 6 und 8 ; die Wiener Neustädter und Tullner Stadtbücher
auszugsweise gedruckt bei Uib1ein, Bücherverzeichnisse (Testamente mit Büchernennungen);
zu den erschlossenen Quellen aus der Finanzadministration siehe Herbert Knittler,
Bauen in der Kleinstadt. Die Baurechnungen der Stadt Weitra von 1431 , 1501 -09 und 1526
(Medium Aevum Quotidianum, Sonderbd. XV). Krems 2005, 23, bes. Arun. 84.
12 Verlorene, aber erschließbare Bücher sind aus Hainburg, Klostemeuburg, Krems, wahrscheinlich
Laa!Thaya, St. Pölten und Weitra bekannt; vgl. Weigl, Schriftlichkeil 2 6 1 . Im
Jahr 1991 wurde eines der verlorenen St. Pöltener Stadtbücher wiedergefunden, zwei weitere
Bücher sind erschließbar; vgl. Gutkas, Ein wiedergefundenes Stadtbuch 84, Anm. 8.
13 Stowasser, Stadtbuch Waidhafen 28, geht davon aus, dass nach dem Vorbild Wiens Stadtbücher
eine allgemeine Erscheinung im Wien er Rechtskreis waren.
14 Weigl, Schrifilichkeit 259.
15 Vgl. Jeannette Rauschert, Herrschaft und Schrift. Strategien der Inszenierung tmd Funktionalisierung
von Texten in Luzern und Bern am Ende des Mittelalters. Berlin-New York
2006, 78; lsenmann, Stadt 143 f.; Mark Mersiowsky, Städtisches Urkundenwesen und
Schriftgut in Westfalen vor 1500, in: Wa!ter Prevenier und Therese de Hemptinne (Hg.), La
diplomatique urbaine en Europe au moyen äge (Studies in Urban Social, Economic and Po-
8
Die Entwicklung des Amtes des Stadtschreibers – des „realen Produzenten“
16 des städtischen Sclu-iftguts- spiegelt daher in gewisser Weise das Niveau
des regionalen und lokalen Schriftwesens wider. Auch wenn bislang die Stadtschreiber
für die Städte ob und unter der Enns nur punktuell erfasst sind – eine
systematische Untersuchung fur die Österreichischen Länder steht noch aus -,
entspricht die festzustellende Entwicklungstendenz auffallend der – offenbar
keineswegs nur zufalligen, dw-ch Verluste zu erklärenden – Überlieferungslage
des Yerwaltungsschriftguts: Schreiber werden vetmehrt, aber nur punktuell, im
14. Jahrhundert genannt und sind dann verstärkt ab dem 1 5 . Jahrhundert zu fassen.
17
Der enge Konnex zwischen Institutionalisierung des Amtes und Intensivierung
der Yerschriftlichungsprozesse lässt sich auch fiir Korneuburg feststellen.
Während die städtische Überlieferung für das 14. Jahrhundert schmal ist
und sich heute auf relativ wenige erhaltene Originalurkunden (33) besclu·änkt, 18
setzt mit dem Auftreten der Stadtschreiber im frühen 15. Jahrhundett eine kontinuierliche
und ab den 1430er-Jahren sprunghafte Zunahme des überlieferten
Schriftguts ein. Aus dem 15. Jahrhundert sind elf Stadtbücher und lmapp 300
Urkunden (298) vorhanden, was selbst unter Berücksichtigung der zweifellos
hohen Verluste an Schriftgut aus der Zeit davor – möglichetweise durch den
Stadtbrand 1 4 1 7’9- eine überproportionale Steigerung bedeutet und nur das Erlitical
History of the Medieval and Modern Low Countries 9). Leuven-Apeldoom 2000,
321-356, 353.
16 Begriff nach Elisabeth Gruber, Städtische Verwaltungspraxis im spätmittelalterlichen Freistadt
(OÖ): Eine Bestandsaufnahme, in: Mitteilungen des Oberösterreichischen Landesarchivs
22 (20 1 1 ) 183-210, 187.
17 Vgl. Pauser und Scheutz, Stadt- und Marktschreiber 5 15-518, die fur das 14. Jahrhundert
Stadtschreiber in l nach Richard Perger sind auch für Klostemeuburg Stadtschreiber seit dem frühen
14. Jahrhundert belegt, zunächst fiir einzelne Jahre und ab den 1 380er-Jahren regelmäßig;
vgl. Richard Perger, Klosterneuburg im Mittelalter, in: Floridus Röhrig, Gustav Otntba und
Michael Duscher (Hg.). Klostemeuburg. Geschichte und Kultur I: Die Stadt. Kloslerneuburg-
Wien 1992, 139-208, 160 (Liste der Stadtschreiber).
18 Die Urkundenreihe des StAK umfasst 38 Stücke fiir die Zeit von 1 3 0 1 -1399 (Urk. n. 1 / 1 –
1/37), davon sind 5 Urkunden spätere Abschriften (Urk. n . 114, 1/5, 1 17, 1/8), wobei Urk. n.
117 eine Abschrift zweier Urkunden ist. Weitere I I landesfi.irstliche Urkunden sind kopia1
überliefert, insbesondere in der Pancarta des Königs Mattbias von 1 6 1 0 (Urk. n. 1/441),
weiters in Urk. n. l/371 (Vidimus 1 516), 1 1 144 (Kop. 1616, 1 816) und 11377 (Kop. 17./18.
Jh.); zwei weitere verlorene Stücke sind aus einem Urkundenverzeichnis des
19. Jahrhunderts bekannt (insgesamt 51). Eine überaus wcrrvolle Quelle fur das
14. Jahrhundert ist ein heute im Niederösterreichischen Landesarchiv verwahrtes Kopialbuch
des Komeuburger Augustinerklosters (Sign. NÖLA, Hs. 6 1 0 I bis Ende des 19. Jhs.
im StAK unter der Sign. ,.Codex V“), das zahlreiche Urkunden der Komeuburger Bürgerschaft
zugunsten des Klosters enthält; vgl. zur Korneuburger Überliefemng ausfuhrlieh
19 Holzner-Tobisch, Komeuburger Stadtbuch 42-51. Über den bei einem Drechsler ausgebrochenen Brand von 1 4 1 7 berichtet die Klosterneuburger
Chronik: Diß jar da prann Corneuburg gar nahen/ alls auß und erhebt sich bei ainem
dräxler, in: Hermann MASCHEK (Hg.), Deutsche Chroniken (Deutsche Literatur, Reihe
9
gebnis professioneller Verwaltungstätigkeit sein kann. Zu bedenken ist zudem,
dass der mit elf Handschriften im regionalen Vergleich verhältnismäßig umfangreiche
Bestand an Stadtbüchern tatsächlich nur einen (geringen?) Teil des Verwaltungsschriftguts
umfasst, da sich beispielsweise keinerlei Material aus der
Finanzadministration, dem Stadtgericht, der Kirchengutverwaltung oder dem
Bürgerspital erhalten hat.
Die Reihe der bekmmten Komeuburger Stadtschreiber beginnt mit Hans
von Pollau (Paulaw I Pavlov, Mähren), der ab 1411 bis in die 1420er-Jahre in
dieser Funktion genannt wird (belegt bis 1424).20 MöglicheJweise amtierte er
schon früher oder hatte einen nicht bekannten Vorgänger, woflir die Anlage des
ältesten überlieferten Stadtbuchs (Geschäftsbuch) im Jahr 1403 sprechen würde.
21 Er war auch Mitglied des Rats, was von seinen beiden Nachfolgern Hans
Schenkwitzer (belegt 1432, 1443) und Jobst Stiglitz – ab 1433 vermutlich
durchgehend bis 1442, aber nicht für jedes Jahr belegt- nicht bekamlt ist und, so
die derzeitige Forschungsmeinung,22 im Spätmittelalter eher unüblich war. Ihm
folgte 1444 bis 1453 der eingangs erwähnte Erhard von Aspam, der erste Notar
und akademisch Gebildete im Amt.23 Er studierte in Bologna und ab 1441 an der
juridischen Fakultät in Wien,24 war also vermutlich noch relativ jung, als er drei
Jahre später das Stadtschreiberamt übernahm. So wie er, hatte auch sein Nachfolger
Jeronim Tonpeck (Tonpekch) das Amt viele Jahre inne, mehr als ein Jahrzehnt
bis 1468.25 Im letzten Drittel des Jahrhunderts wechselten die Schreiber
hingegen häufig und sind zudem lückenhaft belegt: Augustirr Mendl, Lucas
Realistik des Spätmittelalters 5). Leipzig 1936, 305; nach Starzer, Korneuburg 72, brannte
auch das Rathaus nieder (ohne Quellenangabe). Größere Verluste hatten die Archivbestände
im Zweiten Weltkrieg durch die Auslagerung nach Schloss Steinabrunn (Großmugl,
NÖ) erlitten; vgl. den Bericht von Oberarchivrat Rudolf Steuer vom 20. August 1954 im
Repertorium des StAK.
20 Quellenbelege zu Hans von Pollau sowie Hans Schenkwitzer und Jobst Stig1itz (Stadtschreiber
bis 1444) in Holzner-Tobisch, Komeuburger Stadtbuch, Anhang 3b.
21
Siehe oben Anm. 6.
22 Vgl. Pauser und Scheutz, Stadt- und Marktschreiber 532.
23 Erhard von Aspam als Siegier belegt: StAK, Urk. n. 1/87 ( 1 445); 1/89-1192, 1195, 1196
(1446); 1 1 1 07, 11109 (1447); 1/117, 1/120 (1450); 1 / 1 24-11128 (1451), 1/131, 1/333, 1 / 1 34,
1/138 (1452); 1/141, 11146, 1/147 ( 1 453); fiir die Jahre 1444, 1 448, 1449 belegt als Zeuge
letztwilliger Verfiigungen, ebd. Hs. 3/160, fol. Ir, 20v, 24v, 31 v.
24 Erhard von Asparn wurde 1437 als Bacc. art. in Bologna und 1441 an der Wiener rechtswissenschaftlichen
Fakultät immatrikuliert; vgl. Uiblein, Bücherverzeichnisse 16, Anm. 33;
wo tmd wann er Bacc. art. wurde, ist nicht bekannt.
25 Jeronim Tonpeck belegt ftir die Jahre 1455, 1457-1568: als Siegier StAK, Urk. n. 1 / 1 6 1
(1455); 11166, 11174, 11175 ( 1 457); 1 / 1 7 5 (1458); 1/177, 11179, 1/187 (1459); 1/189, 1/190
(1460); 1/191 (1461); 1 1 1 94 ( 1 462); 1/202, 1/204 ( 1 464); 11210, 1/213 (1465); 1/214-11216
(1466); 1/218-1/220 (1467); 11222 ( 1 468); ftir 1 463 belegt als Zeuge in Hs. 3/160, fol. 99v.
Im Jahr 1475 wird er als verstorben erwähnt, siehe das Geschäft seiner Witwe Dorothe ebd.
fol. 136r (Eintrag 1475 V 12).
10
Stainmaissel, Heinrich Rekenpach, Augustin Lawsser, mit Johann Hailmann
wieder ein Notar und Wolfgang Suessenpeck (Suessenpekch).26
Wirkungsstätte der Stadtschreiber war das Rathaus, darüber hinaus lässt
sich weder über die räumliche Größe noch die interne Organisation der Kanzlei,
wie etwa die Anzahl niederrangiger Sclueiber – in den Stadtbüchern sind mehrere
Schreiber feststellbar -, etwas sagen. Die Kanzlei ist, abgesehen von den
Schriftprodukten, nur durch die Person des Stadtschreibers – als Zeuge letztwilliger
VertUgungen und als Siegier von Urkunden – in den Quellen präsent. Als
Archiv wird einmal das gewe/b genannt, ein in der Regel feuersicherer Raum im
Rathaus mit der Archivtruhe bzw. dem Archivkasten. Das Archiv oder ein Teil
davon konnte sich allerdings auch an anderen sicheren Orten befunden haben,
wie etwa in dem 1447 fertiggestellten Stadtturm am Hauptplatz in unmittelbarer
Nähe des Rathauses?7
Über Voraussetzungen (Kenntnisse und Fähigkeiten), Pflichten und Rechte
des Stadtschreiberamtes in den Österreichischen Städten geben erst die frühneuzeitlichen
Ratsprotokolle, die im Laufe des 16. Jahrhunderts auch in den
meisten Kleinstädten konsequent gefiihrt wurden/8 gerrauere Auskunft; fiir das
Spätmittelalter ist über die namentliche Nennung hinaus kaum etwas bekannt.
Zum Anforderungsprofil wird wohl auch im 15. Jahrhundert eheliche Geburt,
guter Leumund und eine entsprechende Bildung (Lese- und Lateinkenntnisse,
saubere Scluift) gehölt haben, zu den Pflichten außer Treue und Gehorsam gegenüber
Richter und Rar29 die Anwesenheit bei den Ratssitzungen und vor allem
Verschwiegenheit, denn dye schreiher daz sint dy augen, wie es im Ratsgedicht
des Johanne Rothe um 1400 heißt.30 Ein t:niversitätsstudium, im Idealfall ein
26 Augustin Mendl 1472/73: StAK, Hs. 3/1 60, fol. 122v, 129v; Lukas Stainmaissel 1 479-
1483: ebd. fol. 148r, 1 52r, 155r, 155v, 164r, 165v; Heinrieb Rekenpach 1490 (vcrst. 1492);
ebd. fol. 1 88v, sein Testament fol. 190v (Eintrag 1492 V ll26); Augustin Lawsser 1494/95:
Urk. n. 1/292, Hs. 3/1 6 1 , fol. 6r; Johann Hailmann, Notar, 1497/98: Urk. n. 1/310, 1/314,
11316, 1/3 18, 1/320; Wolfgang Suessenpeck 149911500: Hs. 3/ 1 6 1 , fol. 34v, 37v.
27 StAK, Hs. 3/160, fol. 170v: das bemelt gesche/ft in dem gewe/b (Eintrag undatien, vermutlich
1480er-Jahre); zur städtischen Archivierung Manin Scheutz, Herrschaft oder nur „arme“
Ratsherren in mickrigen Rathäusern? Wahl, Prestige und Machträume in den frühneuzeitlichen
Österreichischen Kleinstädten, in: Ferdinand Opll und Christoph Sonnlechner
(Hg.), Europäische Städte im Mittelalter (Forschungen und Beiträge zur Wiener Stadtgeschichte
52= Veröffentlichungen des Wiener Stadt- und Landesarchivs C/14). lnnsbruck28
Wien-Bozen 20 I 0, 281-312, bes. 295; Rauschen, Herrschaft und Schrift, bes. 88. Zur Quellengattung der frühneuzeitlichen Ratsprotokolle vgl. bes. Martin Scheutz und Herwig
Weigl, Ratsprotokolle österreichischer Städte, in: Josef Pauser, Manin Scheutz und
Themas Winkelbauer, Quellenkunde der Habsburgermonarchie (16.-18. Jahrhundert). Ein
exemplarisches Handbuch. Wien-München 2004, 590-610; Scheutz, Rathaus 49-70. – Siehe
weiters die oben in Anm. 9 genannten Editionen von Hermann u. a., Zwettler Ratsprotokolle,
und Griesebner u. a. Stadt – Macht – Rat 1607.
29 Der Eid des Stadtschreibers erwähnt in StAK, Hs. 3/160, fol. 1 22v.
30 Zit. nach Scheutz, Rathaus 36; zum Anforderungsprofil ebd. 30, und Pauser und Scheutz,
Stadt- und Marktschreiber 518 f.
I I
Rechtsstudium, gehörte noch nicht „zum unabdingbaren Rüstzeug“ des Amtes.31
Im Spätmittelalter sind nach derzeitigem Forschungsstand akademisch gebildete
Stadtschreiber nur für Wien mit dem Juristen Ulrich Griessenpeck (ab
1457/61)32 und für Korneuburg mit Erhard von Aspam bekannt. Auch wenn
Letzterer als Hochschulabschluss nur einen Baccalarius artium aufweisen kann,
ist sein Bildtmgshorizont fli.r kleinstädtische Schreiber ungewöhnlich; eine juristische
Ausbildung war auch in Korneuburg erst im 17. Jahrhundett die Rege\.33
Die nicht-akademischen Schreiber verfugten üblicherweise über eine kanzleiinteme,
praktische Ausbildung, die einer Berufslehre entsprach und ihnen die erforderlichen
Kompetenzen im Umgang mit Schrift und Recht vermittelte.34
Zentrale Aufgabe des Stadtschreibers war die Leitung der Kanzlei. Von
dessen breiten Tätigkeitsfeldern sind in den Komeuburger Quellen die Führung
der Stadtbücher, Urkundenausfertigung, die Sammlung von Rechtstexten,
Schriftverkehr und Registratur zumindest indirekt fassbar, Protokollfühlung in
den Ratssitzungen, die Leitung des Kanzleipersonals und die Betreuung des Archivs
ist mit Sicherheit anzunehmen35 Belegt ist zudem für Anfang des
16. Jahrhunderts die Mitwirkung an landesfürstlichen Privilegienbestätigungen –
1502 reisten Stadtrichter und Stadtschreiber aus diesem Grund zu Kaiser Maximilian
1.36 Weitere repräsentativ-politische Tätigkeiten im Auftrag des Rats wie
Gesandtschaften, Empfänge, Landtage, Verhandlungen usw. werden vetmutlich
auch in Korneuburg zumindest fallweise zu den Aufgaben des Stadtschreibers
gehört haben. Über die Besoldung ist nichts bekannt, sie wird wohl mit Freistadt
vergleichbar sein, wo der Stadtschreiber Mitte des Jahrhunderts zehn Pfund jährlich
erhielt, ergänzt um Sonderzahlungen für Auftragsarbeiten.37 In der frühen
Neuzeit bestand in Korneuburg die Bezahlung aus Geld tmd Naturalien, einem
Drittel der Taxen für die Ausfertigung der Schriftstücke und freier Wohnung im
Rathaus.38
Die Professionalisierung der Verwaltungstätigkeit war verbunden mit der
Entwicklung einer zunehmend differenzietten Scru·iftgutorganisation, mitunter
eng verknüpft mit der Person einzelner Stadtschreiber und deren innovativen
31 Zahnd, Studium und Kanzlei 463, dem Pauser und Scheutz, Stadt- und Marktschreiber 519
folgen.
32 Ebd. 520.
33 So auch Zahnd, Studium und Kanzlei 460 für die Schweizer Schreiber; zu Korneuburg
Starzer, Korneuburg 252.
34 Vgl. Zahnd, Studium und Kanzlei 464-466.
35 Ygl. ausführlich Scheutz, Rathaus 36-43 (frühe Neuzeit), der als weitere Aufgaben u. a.
Organisation der Ratssitzungen, Rechntmgsprüfung, Verwaltung der Steuer- und Raitbücher,
Beschautätigkeit, Kontrolle der Fleischbänke und Fische, Kontrolle der Maße und
Gewichte nennt (38 f.); weiters Zahnd, Studium und Kanzlei 458 (Bern); Jsenmann, Stadt
143; Gruber, Städtische Verwaltungspraxis 188 f.
36 StAK, Hs. 3/267, fol . 166v; die Reise erwähnt bei Starzer, Korneuburg 292.
37 Gruber, Städtische Verwaltungspraxis 187.
38 Starzer, Komeuburg 252.
1 2
Konzepten hinsichtlich Schriftgutproduktion und -bewahrung.39 Aufgrund der
lückenhaften Überlieferungslage sind Entwicklungsschritte im Organisationsniveau
des 15. Jahrhundet1S in Komeuburg zwar nur eingesclu·änkt feststellbar,
doch Jassen sich – mit aller Vorsicht – Schwerpunktsetzungen erkennen.
Die Grundlagen der Kanzleiorganisationen sind wohl unter Hans von Pollau
in den ersten zwei Jalu·zehnten gelegt worden, wofür der Beginn der Führung
von Stadtbüchem – das erste Geschäftsbuch, ein Grundbuch ist erschließbar40
– spricht. Einen Professionalisierungsschub dürfte das Verwaltungswesen
vor allem in der Amtszeit des Jobst Stiglitz (1433-1442), möglicherweise gefördert
durch den damaligen langjährigen Stadtrichter Niklas Engelgershauser,41
erfahren haben, die durch die bereits erwähnte starke Zunahme der Schriftproduktion
hervorsticht. Die in den Dreißiger-Jah.ren einsetzende, dichte urkundliche
Überlieferung korrespondiert mit einer nahezu 50-prozentigen Steigenmg
der Testamentseinträge im Geschäftsbuch, während diese in den Jahrzehnten
davor eher ,tröpfchenweise‘ erfolgten.42 In seine Zeit fällt auch die Anlage
zweier neuer Grundbücher, vermutlich auch eines Stadtrechtsbuchs (um 1440),
das unter anderem die Abschrift des Komeuburger Stadtrechts enthält.43 Auf
eine verbesserte Schriftgutorganisation verweisen die erschließbare Anlage von
Indices der eingetragenen Rechtsgeschäfte sowie Querverweise innerhalb der
Bücher.44 Auch die Buchfühnmg macht, was das Schriftbild betrifft, den Eindmck
von zunehmender Routine und Effizienz. Stärkere Kursivierung, Tilgungen,
bedarfsorientierte Sclu·iftraumnutzung machten die Bücher zu typischen
Gebrauchshandschriften der Vetwaltung.45 Verweist die sich verdichtende Ur-
39 Vgl. Mersiowsky, Urkundenwesen 353 f. (mit Beispielen aus Westfalen).
40 1 4 1 9 wird ein Grundbuch envähnt; Holzner-Tobisch, Komeuburger Stadtbuch n. 21: Item
so hat er geschafft, das man sein hausfrawn Agnesen umb all ekchiu·, de si mit gesampter
hant mit im gechauffi hat, nucz und gewer sol schreyben in das gnmtpuch, … (Geschäft des
Hans Kramer, Eintrag 1 4 1 9 XII 2).
41 Stadtrichter 1420-1427, 1429-1438; siehe Holzner-Tobisch, Korneuburger Stadtbuch, Anhang
3; vgl. Starzer, Korneuburg 273 und bes. 292, demzufolge er Ordnung in den Stadthaushalt
gebracht haben soll.
42 StAK, Hs. 3 / 1 59: In den ersten zwei Jahrzehnten ein bis maximal drei Einträge pro Jahr:
1401 (1), 1405 (1), 1406 (1), 1407 (3), 1408 (1), 1 4 1 0 (1), 1411 (1), 1 4 1 2 (2), 1 4 1 3 (2),
1414 (2); deutliche Steigerung ab 1425 (7) und fast Verdoppelung in den 1430er-Jahren
(53) gegenüber dem Jahrzehnt davor (28).
43 StAK, Hs. 3/222 (Dienst- und Satzbuch), begonnen 1432/33; Hs. 3/224 (Weingärten am
Bisamberg), aus Anlass der Überantwortung der Güter an den Bergherrn Wolfgang
Muestinger 1434; Hs. 3/268 enthält Verzeichnisse der Vogteiabgaben und der Dörfer des
Ungeldbezirks Komeuburg, Maut- und Zollsatzungen, Urfahrangelegenhciten sowie die
Abschrift des Stadtrechtsprivilegs Friedrichs des Schönen von 6. Dezember 131 1 (fol. 49r-
64r); vgl. Holzner-Tobisch, Komeuburger Stadtbuch 48-50.
44 Siehe StAK, Hs. 31159: Die letztwilligen Verfügungen wurden in dieser Zeit nachträglich
mit Überschriften (Name der Erblasser) verseheJ, was mit hoher Wahrscheinlichkeit auf
die Anlage eines Registers schließen lässt. Das Grundbuch über die Weingärten am Bisamberg
(Hs. 3/224) hat im tabellarischen Verzeichnis Folio-Vef’Veise auf das daran anschlie·
ßende Gewäh.rbucb.
45 Vgl. Holzner-Tobisch, Korneuburger Stadtbuch 60 f.
13
kundenüberlieferung auf eine funktionierende Archivierung, könnte der Anstieg
der Stadtbucheinträge ein Indiz dafür sein, dass seitens der Stadt der sogenannte
Buchungszwang – der verpflichtende Eintrag des privaten Rechtsgeschäfts –
ztmehmend als rechtskonstitutiv durchgesetzt werden konnte.46 Die Stadt fungierte
damit als rechtssichemde Instanz, da dem Bucheintrag Beweiskraft zukam,
was wiederum eine funktionierende Kanzlei voraussetzte.
Die akademische B ildung und juridische Kompetenz Erhards von Aspam
(1444-1453) scheint vor allem das ,inhaltliche‘ Niveau der Kanzlei beeinflusst
zu haben: Die Buchführung seiner Zeit, insbesondere das von ihm begonnene
Geschäftsbuch,47 zeichnet sich durch Regelmäßigkeit, Übersichtlichkeit und besondere
Sorgfalt hinsichtlich der am Wiener Standard orientierten Einheitlichkeit
des Formulars aus, insbesondere in der Angabe der rechtsrelevanten Daten
(Fom1 der Einbringung, Eidesformel usw.), die zuvor je nach Schreiber uneinheitlich
erfolgte. Mitunter dürfte sein Interesse am äußeren Erscheinungsbild der
Bücher allerdings schlicht am Kanzleialltag gescheitert sein, wie im Falle eines
neuen, schön gestalteten Gmndbuchs von 1448, das dann nie benutzt wurde;
man führte das alte Buch einfach weiter.48 Sein Nachfolger Jeronim Tonpeck,
soweit bekannt nicht akademisch gebildet, hat die Form der Buchführung seines
Vorgängers fortgesetzt, vielleicht wurde er sogar von Erhard von Aspam ausgebildet.
Im letzten Drittel des Jahrhunderts lassen sich aufgmnd des häufigen
Wechsels der Stadtschreiber keine Akzentsetzungen feststellen. Auffallend ist
eine zunehmende Uneinheitlichkeit in der Buchfiihrung, möglicherweise bedingt
durch den Wechsel der Kanzleileitung, wie auch ein sinkendes Fommiveau, was
aber auch Folge intensiver Schriftproduktion sein konnte.
Die mächtige Stellung der Stadtschreiber innerhalb der Kommune ergab
sich aus ihrer Kenntnis aller Interna des Rathauses sowie ihrer Kontrollfunktion
in den kommunikativen Prozessen zwischen Rathaus und Bürgerschaft. Das
Rathaus war eines der wichtigsten Kommunikationszentren der Stadt, wo ständig
Informationen gesammelt und Entscheidungen getroffen und mitgeteilt wurden,
wo ein permanenter Wechsel zw·ischen „input“ (Einwolmer) und „output“
(Obrigkeit) stattfand.49 Die Kanzlei bzw. der Kanzleivorsteher waren ,Drehscheibe‘
für alle vor den Rat eingebrachten Bittschriften, Rechtsgeschäfte und
Anliegen sowie fiir den ausgehenden Schriftverkehr wie etwa Verlautbanmgen,
46Vgl. Isenmaru1, Stadt 168.
47 StAK, Hs. 3/160, fol. 2r-50v (Okt. 1444 bis Okt. 1453), Einträge von einer Hand.
48 Dienst- und Satzbuch, StAK, Hs. 3/223: Im Dienstbuch (fol. 3r-44r) wurde nur mit dem
Übertrag der Grundbesitzer aus dem alten Dienstbuch (Hs. 3/222) begonnen (fol. 3r-8v),
fol. 9r-23v blieben leer; fiir die Einträge der Grunddienste vor der Stadt waren mit roten
Überschriften versehene Kapitel vorgesehen. – Das an das fragmentarische Dienstbuch anschließende
Satzbuch (ab fol. 47r) wurde hingegen bis 1453 gefiihrt.
49 So die Charakterisierung der kommunikativen Prozesse von Christopher R. Friedrichs, Das
städtische Rathaus als kommunikativer Raum in europäischer Perspektive, in: Johannes
Burkhardt und Christine Werkstetter (Hg.), Kommunikation und Medien in der Frühen
Neuzeit. München 2005, 159-174, 166; vgl. auch Scheutz, Ratsherren 295.
14
Mandate, Urkunden, Korrespondenz oder Urteile, was mit großer Verantwortung
verbunden war. Fachliche oder formale Fehler in der Ausfertigung konnten
schwerwiegende Folgen haben.50 Das häufige Auftreten der Stadtschreiber als
Zeugen letztwilliger Verfügungen, insbesondere von Mitgliedern der Ratsbürgerfamilien,
lässt annehmen, dass ihre schrift- und rechtskundigen Kompetenzen
sie auch außerhalb des Rathauses zu Vertrauenspersonen der Bürgerschaft in
Rechtsangelegenheiten machten.
Das Amt besaß im Spätmittelalter hohes Sozialprestige und wurde
schließlich zum „Inbegriff der Verfügungsgewalt über Schrift und Schriftkompetenz“,
das Herrschaft vermittelte und repräsentie1te.51 Die Stadtschreiber gehörten
zur „Iiteraten Elite“ einer Stadt,52 in Korneuburg allen voran Erhard von
Asparn. Als einziger Stadtschreiber des 15. Jahrhunderts hat er die Stadtbücher
als Möglichkeit der Selbstinszenierung genutzt und sich in Form einer persönlichen
Einleitung in Ich-Form in ein Stadtbuch eingeschrieben, was vom Selbstbewusstsein
des Amtsinhabers zeugt. Im Unterschied zu seinen Vorgängern fungierte
er zudem regelmäßig neben dem Stadtrichter oder einem Ratsherrn als
Mitsiegier von Urkunden (vor allem Kauf- und Satzbriefe), was zwar mit seiner
Stellung als öffentlicher Notar begründbar ist, aber auch Indiz flir eine erfolgreiche
Positionierung des Amtes innerhalb der Rathaus-Hierarchie sein könnte, da
nach ihm auch Jeronim Tonpeck häufig als Siegier fungierte. Die Stadtschreiber
des ausgehenden 5. Jahrhunderts sind hingegen mit Ausnahme des otars Johannes
Hailmann in dieser Funktion kaum belegt, möglicherweise Ausdruck
eines Positionsverlusts. 53
Von allen Komeuburger Stadtschreibern des 15. Jahrhunderts ist Erhard
von Aspam die historisch sichtbarste Persönlichkeit, von der mehr als nur der
Name und dessen Schriftprodukte überliefert sind. Er hatte nicht nw· Hochschulbildung
in sein Amt eingebracht, sondern offenbar auch Beziehungen zum
Hof. Von Friedrich III. hatte er ein Haus in Korneuburg erhalten – der Hintergnmd
ist nicht bekannt -, das er 1454 der Stadt verkaufte. 54 Angeblich soll er
auch, so die lokale Tradition, 1447 die Bestätigung des Niederlagsprivilcgs von
Friedrich lll. erwirkt haben.55 Auch wenn sich dafür in der urkundlichen Über-
50 Beispi elsweise wurde der Berner Twingherrens treit von Diepold Schilling auf eine unbedachte
Formulierung des Schreibers im umstrittenen Kleidem1andat zutückgefiihrt; 1511
musste sieb ein Luzerner Schreiber wegen Formfehler verantworten, vgl. Z ahnd, Studium
und Kanzlei 458 f.
51 Rauschert, Herrschaft und Schrift 88; vgl. Zahnd, S tudium und Kanzle i 471.
52 Scheutz, Rathaus 31.
53 Zu den Quellenbelegen siehe oben Anm. 23, 25, 26.
54 Zum Haus s iehe den Eintrag i m Dienstb uch, StAK, Hs. 3/222, fol. 12r: Erhart von Asparen
Karerina uxor von sundern gnaden geben per regem Fridericem; zum Verkauf des Hauses
Urk. n. 1/152 ( 1 454 IV 8).
55 So Starzer, Korneuburg 292, ohne Angabe eines Belegs; ihm fast wor twörtlich folgend
Ludwig Ried, 100 Jahre Komeuburger Rathaus 1 895-1995. Korneuburg (1995), 29. In der
Urkunde von 1 447 X 17 (Bestätigung des Verbots der Niederlage und Anschürtung zwi-
15
Iieferung keine Anhaltspunkte fmden – als Stadtschreiber wird er im Auftrag des
Rats vermutlich daran beteiligt gewesen sein -, könnten seine Verbindungen
zum Hof ein Grund für seine Mitgliedschaft im Rat gewesen sein, 56 die mit Ausnahme
von Hans von Pollau für die Komeuburger Stadtschreiber sonst nicht üblich
war. Erhard von Aspam starb bereits im Jahr 1 455, elf Jahre nach seinem
unmittelbar oder bald nach seinem Studium erfolgten Amtsantritt, und hinterließ
seine Frau Kathrei und zwei minderjälu·ige Kinder.57 Sein Name findet sich sogar
im Kreis der verdienstvollsten Mäilller in der Geschichte der Stadt auf der
Wappendecke des Ende des 19. Jahrhunderts errichteten Rathauses (Eingangshalle).
Obwohl er sich im wahrsten Sinne des Wortes in das ,Gedächtnis‘ der
Stadt eingeschrieben hatte, galt die Jahrhunderte überdauernde Erinnerung nicht
seiner langjährigen Kanzleitätigkeit tmd Buchführung im Hintergrund, sondem
den ilun zugeschriebenen politischen Verdiensten im Vordergrund, sprich den
Beziehungen zum Landesfiirsten.58
Kirchenmeister
War der Stadtschreiber die graue Eminenz der städtischen Verwaltung, so könnte
man den Kirchenmeister als ,graue Eminenz‘ des religiös-kirchlichen Lebens
der Stadt bezeichnen. Als Verwalter der Kirchenfabrik (Pfarrkirche und Kapellen)
schuf er im Prinzip die Ralunenbedingungen fur ein funktionierendes kirchliches
Leben, dessen Abläufe er im Auftrag des Rats verwaltete und kontrollierte.
59 Wie andernorts auch, war er in Komeuburg in der Regel ein Mitglied
sehen Krems und Komeuburg, StAK, Urk. n. 1/106) wird eine besondere Mitwirkung Erhards
von Aspam nicht erwähnt.
56 Nach Starzer, Korneuburg 242, Anm. 4, wird Erhard von Aspam in einer (nicht mehr vorhandenen)
Urkunde aus dem Jahr 1 438 (?) als Stadtschreiber und Ratsherr genannt; vermutlich
ist das Jahr 1448 gemeint, da 1438 Jobst Stiglitz Stadtschreiber war tmd Erhard von
Aspam zu dieser Zeit wohl noch in Bologna (1437 immatrikuliert) studierte (siehe oben
Anm. 24).
57 Er starb vermutlich Anfang 1455, sein Testament ist überliefert in StAK, Hs. 3/160, fol.
55v (errichtet 1454 XII 21, Eintrag 1455 lii 5).
58 Vgl. Starzer, Korneuburg 292.
59 Vgl. zum Kirchenmeisteramt im deutschsprachigen Raum die umfassende Darstellung von
Amd Reitemeier, Pfarrkirchen in der Stadt des späten Mittelalters: Politik, Winschaft und
Verwaltung (Vierteljahresschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Beihefte 177).
Stuttgart 2005 ; knapp Hans Lentze. Begräbnis und Jahrtag im spätmittelalterlichen Wien,
in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Kan. Abt. 36 (1950) 328-364,
363 f., und ders., Die Erblaststiftung im mittelalterlichen Wien, in: Mitteilungen des Instituts
filr Österreichische Geschichtsforschung 68 (1960) 445-456, 446; zu Wien bes. Kar!
Uhlirz, Die Rechnungen des Kirchmeisteramtes von St. Stephan zu Wien, 2 Bde. Wien
1901 /02 (Edition der Kirchenmeisterrechnungen von St. Stephan), bes. die Einleitung zu
Bd. 2, XI-XLIII; zu Korneuburg Starzer, Korneuburg 485-494 (ab früher Neuzeit); Komelia
Holzner-Tobisch, Investitionen für die Ewigkeit. Die Seelenheilstiftungen in den letztwilligen
Verfügungen der Stadt Korneuburg im 15. Jahrhundert (Medium Aevurn Quotidianum,
Sonderbd. XIX). Krems 2007, 118-120.
16
des Rats und diesem gegenüber verantwortlich.60 Er war zuständig für die Verwaltung
des Kirchenvermögens (Gnmdbesitz, Dienste, Einnahmen und Ausgaben)
, den Kirchenbau (Reparaturen, Bauvorhaben), die Sammlungen, die Kirchenausstattung,
61 insbesondere die Sak.tistei mit dem Kirchenschatz, den Paramenten,
liturgischen Objekten, Handschriften usw., fi.lr die Beleuchtung, die
Glocken und die liturgische Ausstattung und Gestaltung (Kerzen, Opferwein,
Hostien, Geläut, Musik), und vermutlich auch fur den Friedhof (Grabstellen,
Beinhäuser). Im Bereich des Stiftungswesens war er verantwortlich für die
Vermächtnisse an die Kirchenfabrik – Geldbeträge, Liegenschaften oder wertvolle
Objekte zu dem paw oder in den sagrer (Sakristei) -, ve1waltete die unter
Ratspatronanz stehenden Benefizien bzw. kontrollierte die Erfüllung der Stiftungsverpflichtungen,
eine seiner wichtigsten Aufgaben,62 und richtete die Anniversarien
aus.63 Ihm zur Seite standen der Mesner, der das beim Friedhof liegende
Mesnerhaus bewohnte, der Schulmeister für die Musik – ein Organist wird
nicht genannt – und die Totengräber. 64
Die Ve1waltungs- und Organisationsaufgaben inkludierten die Position
eines Arbeitgebers vor Ort für den laufenden Betrieb (z. B. Kerzenmacher, Glaser,
Tischler, Binder, Steinmetzen) und eines ,Bauhen11′ großer Projekte, wie
die Umbauten der Pfarrkirche in der ersten Hälfte und im letzten Drittel des
15. Jahrhunderts, bei denen sicher zahlreiche auswärtige Handwerker beschäftigt
60 Vgl. Starzer, Korneuburg 485. Die für die erste Hälfte des 15. Jahrhunderts bekannten Kirchenmeister
(siehe unten Anm. 69) waren alle Ratsbürger und vermutlich gleichzeitig
Ratsm itglieder, auch wenn dies nur für Peter Bengelperger beleg t ist.
61 Reitemeier, Pfarrkirchen 219, gliedert die Kirchenausstattung i n sieben Kategorien, die den
von ihm untersuchten Kirchenmeisterrechnungen folgen: I. Altäre, Bilder, Tafeln und
Skulpturen; 2. Kirchenschatz mit den Reliquien und den Gefäßen mit heiligen Substanzen
(Hostien, Wein, Öl); 3. Paramente (Tücher und Gewänder); 4. Gegenstände fiir liturgische
Handlungen (z. B. Kanzel, Be ichts tuhl, Leuchter. L am pen); 5. Handschriften und Bücher;
6. Glocke, Uhr, Musikinstrumente (Orgel); 7. Sicherheit der Kirche und Schutz des Kir62
chenbesitzes; im Detail ebd. 220-305.
Ebd. 96 f., 3 6 1 . Die Kontrollfunktion fiir die Messbenefizien wird im Testament des Achaz
von Perg (1468) genannt, wonach bei Versäumnis einer Messe dem Kirchenmeister eine
Strafe zu zahlen war und dieser davon Messen zu lesen hatte; StAK, Hs. 3/160, fol. ! l3r.
63 Zur mehrmals genannten Ausrichtung von Jahrtagen siehe unten Anm. 7 1 ; zu den Rechtsformen
der J ahrtagsstiftung vgl. Lentze, Erblaststiftung, bes. 446 f. – Wurden Seelenmessen
und Fürbitte aus Vermächtnissen an die Kirchenfa bri k bezahlt, war wohl auch
der Kircheruneister fiir die Entlohnung der Geistlichen zuständig, in den Korneuburger Testamentsbüchern
ist dies allerdings selten belegt: Bezahlung der Gesellpriester für Seelengebet
z. B. in Hs. 3/159; Holzner-Tobisch, Korneuburger Stadtbuch n. 146 (Geschäft
Wolfgang Molter), und in Hs. 3/160, fol. 54v (Geschäft Hans Dan iel); Reitemeier, Pfarrkirchen
365 f., nimmt an, dass die Priester in der Regel direkt von den Willensvollstreckern
entlohnt wurden.
64 Zum Mesnerhaus Starzer, Korneuburg 285; Kauf des Hauses durch die Stadt 1423 (Org.
nicht mehr vorhanden). Das Mesnerhaus wird auch genannt im Dienstbuch (1433); StAK,
Hs. 3/222, fol. I I r. – Für den Organisten ist erst aus dem Jahr 1589 eine Instruktion überliefert,
Starzer, Korneuburg 488 f.
17
waren.65 Der Kirchenmeister war somit zum einen eine finanzielle ,Drehscheibe‘
für die Geldflüsse der Stadt – vergleichbar mit dem Stadtschreiber als
,Drehscheibe‘ des Schriftwesens -, und zum anderen ein wichtiger Akteur im
System der Heilsvorsorge: Neben der Betreuung der Messstiftungen und der
Ausrichtung der Jahrtage lag es i.n seiner alleinigen Verantwortung, die Legate
fiir den Bau und die Sakristei bzw. fur konkrete Bauprojekte – genannt werden
etwa Altar, Dach, Fenster, Abseite66 – zum pessten nucz der Kirche, wie es ein
Ratsbürger formuliert, 67 flir das Seelenheil der Stifter zu investieren.
Die Bedeutung des Kirchenmeisters für die städtische Heilsvorsorge und
dessen Rolle in der carta pia68 der Stadt ist allerdings in den letztwilligen Verfügungen
– Quellen, in denen das Seelenheil immerhin einen Schwerpunkt bildet
– nur indirekt erkennbar. In ihrer Funktion werden die Kirchenmeister nicht
sehr häufig genannt, namentlich sind für das 1 5 . Jahrhunden nur wenige Kirchenmeister
für einzelne Jahre bekannt,69 was vermutlich damit zusammenhängt,
dass dieses Amt vor allem bei der praktischen Durchftihmng der Seelgeräte
zum Zuge kam, die aber nur in Ausnahmefällen vermerkt ist;70 die Willensvollstreckung
letztwilliger Verfügungen ist in der Regel nicht dokumentiert. In
den meisten Fällen wird der Kirchenmeister ausdrücklich im Zusammenhang
mit Anniversarien genannt, mitunter mit genauen Anweisungen zur Geldverteilung,
71 häufig bleibt er aber – weil selbstverständlich – ungenannt, so bei vielen
65 Nach Adalbert Klaar, Die Stadtpfarrkirche von Komeuburg, in: Unsere Heimat 32 (1961)
123-126, 124, erfolgte in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts der Neubau des südlichen
und Ende des Jahrhunderts des nördlichen Seitenschiffs ( 1476-1 498). – In den Kirchenmeisterrechnungen
von St. Stephan (Uhlirz, Rechnungen 2) werden regelmäßig Steinmetzen,
Steinbrecher, Wagenknechte, Zimmerleute, Tischler, Binder, Schlosser, Seiler, Wachsgießer,
Schmiede und Glaser genannt.
66 Siehe Holzner-Tobisch, Komeuburger Stadtbuch n. 1 1 3 (Bau eines Altars in der St. Niklaskapelle),
n. 23 (Dach der St. Katharinenkapelle/Pfarrkirche), n. 89 (Abseite oder Fenster in
der Pfarrkirche); fiir die Sakristei neben Geldbeträgen z. B. Mettenbücher und Psalter (n.
70), ein vergoldeter „Kopf‘ (n. 1 09), Monstranz und Kreuze (n. 1 15), Geld für Öl (n. 100).
67 So Hans Snabel in seinem Geschäft, ebd. n. 143 (Eintrag 1444 II 18); vgl. Holzner-Tobisch,
Investitionen 1 1 9 f. 68
Begriff nach Linda Guzzetti, Testamentsforschung in Europa seit den 1 970er Jahren: Bibliographischer
Überblick, in: Markwart Herzog und Cecilie Hollberg, Seelenheil und irdischer
Besitz. Testamente als Quellen fur den Umgang mit den „letzten Dingen“. Konstanz
2007, 17-33, 27.
69 Für die erste Hälfte des 15. Jahrhunderts Andre Kursner ( 1 424), Sirnon Krumbel (1429),
Michel Volk ( 1 432) und Peter Hengelperger (1438); siehe Holzner-Tobisch, Korneuburger
Stadtbuch, Anhang 3 ; fur die zweite Jahrhunderthälfte ist das Quellenmaterial noch nicht
systematisch gesichtet, bekannt sind derzeit fur 1486 Stephan Helmar [StAK, Hs. 3/160,
fol. 1 76v ( Ausrichtungsvermerk zum Geschäft des Wilham Pekchen)], und fur 1495 Michel
Kaser (Hs. 3/1 6 1 , fol. 7v, Geschäft des Erhard Otterer).
70 Siehe z. 8. die Ausrichnmgsvermerke in Holzner-Tobiscb, Korneuburger Stadtbuch, n. 3 1 ,
32, 92, 109 (StAK, Hs. 3/159, fol. 23r, 24r, 6 1v , 71 r).
71 Jahrtage „vom Kirchenmeister zu begehen“: ebd. n. 90, 93, 94, 107, 109, detailliert ausgeführt
in n. 23 und n. 38: Verteilung des Jahrtaggeldes an Pfarrer, Gesellpriester, Schulmeister
und Mesner sowie fur Wachs an den Kirchenmeister. – Weitere Nennungen des
18
Legaten fur den Bau und die Sakristei, aber auch bei Jahrtagsstiftungen in die
Pfarrkirche.
Als ,Knotenpunkt‘ der Kirchenorganisation wie auch der städtischen
Kommunikationsstrukturen, insbesondere zwischen Rat, Klems, Bürgerschaft
und Handwerk, war der Kirchenmeister zweifellos einer der wichtigsten Akteure
des kleinstädtischen Lebens, dessen breites Wirkungsfeld durch die ÜberlieferungsJage
aber nahezu unsichtbar bleibt. In den Quellen erscheint er vielleicht
noch mehr als der Stadtschreiber als ,graue Eminenz‘ – völlig im Hintergrund
und doch unausgesprochen präsent -, dessen verantwortungsvolle Tätigkeit zuweilen
nur mit wenigen, aber offenbar völlig ausreichenden Wmien angedeutet
wurde, wie bei der Jahrtagsstiftung einer Ratsbürgerin, die auch den Kirchenmeister
for sein mue mit einer Geldsumme bedachte. 72
Kirchenmeisters in n. 3 1 (Erhalt von Geld für die Sakristei), n. 70 (Verleihung der in die
Sakristei gestifteten Mettenbücher und Psalter an bedürftige Priester), n. 98 (Ausrichtung
von in die Sakristei gestiftetem Ewiggeld nach Bedarf), n. 100 (Geld flir Öl), n. 146 (Ausstellung
einer Urktmde über die Ausrichtung der Seelenheilstiftungen).
72 Geschäft der Margret Nechel, ebd. n. 23 (Eintrag 1419 XII 2).
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MEDIUM AEVUM
QUOTIDIANUM
63
KREMS 2012
HERAUSGEGEBEN
VON GERHARD J ARITZ
GEDRUCKT MIT UNTERSTÜTZUNG DERKULTURABTEILUNG
DES AMTES DER IEDERÖSTERREICHISCHEN LAl\TDESREGIERUNG
KULTUR m NIEDEROSTERREICH ‚W
Titelgraph ik: Stephan J. Tramer
ISS 1029-0737
Herausgeber: Medium Aevum Quotidianwn. Gesellschaft zur Erforschung der
materiellen Kultur des Mittelalters, Körnermarkt 1 3 , 3500 Krems, Österreich.
Für den hilialt verantwortlich zeichnen die Autoren, ohne d eren ausdrückliche
Zustimmung jeglicher Nachdruck, auch in AusZÜgen, nicht gestattet ist. –
Druck: Grafisches Zentrum an der Technischen Universität Wien, Wiedner
Hauptstraße 8-10, 1 040 W ien.
Inhaltsverzeichnis
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4
Komelia Holzner-Tobisch, „Graue Eminenzen“ in der Kleinstadt.
Die Stadtschreiber und Kirchenmeister von Korneuburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5
Adriana Vignazia, Die Mariegala der Bäcker in der Biblioteca civica
von Padua . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20
Helmut Bräuer, Vorworte. Struktur, Funktion und Quellenwert
in der stadtgeschichtlichen Literatur der frühen Neuzeit
am Beispiel Obersachsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 1
Buchbesprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 0 1
Anschriften der Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104
Vorwort
Das vorliegende Heft enthält vonangig die Resultate der F01tsetzung von Forschungsprojekten,
von denen Teilergebnisse bereits in Medium Aevum Quotidianum
präsentiert werden konnten. Im ersten Beitrag vermittelt Komelia Holzner-
Tobisch neue Analysen zur Sozial- und Kulturgeschichte der niederösterreichischen
Kleinstadt Korneuburg, zu welcher sie bereits im Jahre 2007 eine umfassendere
Studie geboten hat.1 Adriana Vignazia beschäftigte sich im Jahre
2010 mit einer Mariegala der Bäcker von Padua.2 In diesem Heft untersucht und
teiledielt sie eine weitere, später entstandene Mariegala der Paduaner Bäckerzunft.
Schließlich untersucht Helmut Bräuer mit Hilfe frühneuzeitlicher Belege
aus Obersachsen eine Textgattung, die von der historischen Forschung nur
selten berücksichtigt wird: die Vorworte. Er konstatiert, dass dieselben keineswegs
als belanglos anzusehen sind, sondem „bei der Ent\:vicklung von Fragen
und skeptischen Überprüfungen der Autorentexte“ behilflich sein können.
Gerhard Jaritz
1 Investitionen fiir die Ewigkeit. Die Seelenheilstiftungen in den letztwilligen Verfiigungen
der Stadt Korneuburg im 15. Jahrhundert (Medium Aevum Quotidianum, Sonderband XIX)
Krems 2007.
2 Die Mariegola der Bäcker von Padua (15. bis 1 7 . Jahrhundert) (Medium Aevum Quotidianum,
Sonderband XXV) Krems 2010.
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