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Kirche und Vergnügen: Mäßigung des Vergnügens in theologisch-didaktischen Schriften am Beispiel Bertholds von Regensburg

Kirche und Vergnügen:

Mäßigung des Vergnügens in theologisch-didaktischen Schriften am Beispiel Bertholds von Regensburg

llse Aiglsperger

Eine Untersuchung des Verhältnisses der Kirche zum Vergnügen im Mittelalter gelangt einem Verständnis von Vergnügen, das so ganz w1d gar nicht dem heutigen Denken von Vergnügen entspricht. Demnach ist Vergnügen laut Duden ein „inneres Wohlbehagen, das jemandem ein Tun, eine Beschäftigung, ein An­ blick verschafft“.1 Diesem Denkansatz folgend ist es r die Mittaltetforschung nur logisch, in der mittelalterlichen Stadt Wirthäuser, Badehäuser oder Frauen­ häuser als Stätten des Vergnügens zu untersuchen.2 Das christliche Denken des Mittelalters sucht Vergnügen aber im Sinne eines ümeren Wohlbehagens nicht in diesen Orten, sonde nur einer Ausrichtung des Lebens auf Gott hin und das geht nur in einer Mäßigw1g, im Idealfall einem Verzicht auf irdische Ver­ gnügw1gen.

Wie sich zeigen wird, sind die Wurzeln diese Denkens im christlichen Verständnis vom Sündenfall zu fmden, das in der spätantiken Patristik zu seiner theologischen Ausformung gelangte. Die mittelalterliche Kirche folgt hier der patristischen Tradition. Mittels Tugend- und Lasterkatalogen bekommt dieses Denken einen Schematismus, der den Christenmenschen vom irdischen Vergnü­ gen weg himmlischen leiten soll. Die mittelalterliche Literatur, die in erster Linie eine geistliche Literatur ist, verdeutlicht, wie sehr dieses Denken allgegen­

wärtig war.
Die folgende Arbeit will sich aber nicht auf eine Untersuchung der

hochtheologischen Literatur konzentrieren, deren Rezeption innerhalb der Geistlichkeit blieb. Vielmehr soll nach der Vermittlung des theologischen Den­ kens über Vergnügen an die Laien gefragt werden. Orte dieser Vermittlung wa­ ren vor allem die Volkspredigten in den Städten. Berthold von Regensburg als einer der bekanntesten Prediger des deutschsprachigen Raums wurde daher als Hauptquelle herangezogen. In seinen deutschen Predigten soll nach dem Kon­ text des Vergnügens gesucht werden. Dem vorangestellt sei erstens ein kurzer Abriss über die Stellung des Vergnügens im Denken des Augustinus als jenem Vettreter der Patristik, dessen Schriften im Mittelalter am meisten rezipiert

1 h : .duden.de/rechtschreibung/Vergnuegen.
2 Vgl.dazudenBeitragvonKätheSonnleitnerindiesemBand.

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rden. Zweitens wird die Entwicklung der Lasterkataloge von der Spätantike bis ins Hochmittelalter in den Blick genommen, um so die Traditionen in Bertholds Predigtaufbau, der meist einer Gegenüberstellung von Laste und Tugenden folgt, verdeutlichen können. In einem letzten Teil wird schließlich der Frage nachgegangen, welche Rolle die Erziehung in der Mäßigung des Vergnügens spielte. Den Aus h rungen des Berthold werden dazu jene des Konrad von Megenberg, Konrad Bitschin und Ludovicus Vives gegenüberge­ stel lt.

Eine kirchliche Sicht auf Vergnügen lässt sich nur verstehen vor dem Hintergrund einer christlichen Anthropologie, nach der der Mensch als sünd­ haftes Wesen gegen die irdischen Verführungen zu kämpfen hat, um sich den hinunlischen Lohn zu verdienen und nicht den Weg in die Hölle gehen zu müssen. Antwmten auf die Frage nach dem Ursp ng des sündhaften Menschen und die Möglichkeit seiner Erlösung boten bis ins Hohe Mittelalter die exegetischen Schriften der spätantiken Kirchenväter. Ihre Auslegungen der Ge­ nesistexte über die Erschaffung und den Sündenfall des Menschen, in den Zus e nhang gestellt mit der neutestamentlichen Überlieferung vom Erlöser­ tod Christus, waren prägend für das Denken des Mittelalters. Zweifellos „ein­ flussreichster westlicher Kirchenvater für das Mittelalter“3 war Augustinus von Hippe. Ein Umstand, dem unter anderem die sehr günstige Überlieferungs­ geschichte seiner Schriften zu verdanken ist.

Für Augustinus besaß der Mensch „in seinem paradiesischen Urzustand in Gott den höchsten möglichen Grad an Einheit“4 und kannte daher nur das Gefühl der Freude und Liebe. Krankheit, Schmerz und Traurigkeit waren für ihn eine Folge des Sündenfalls, durch den der Mensch seine Einheit mit Gott verloren hatte. Damit verlor er auch die Einheit über Körper und Seele und hat nun keine Kontrolle mehr über seine Affekte. Daher sind es vor allem die vom Leib her kommenden Affekte, wie Hunger, Durst und sexuelles Begehren, denen der Mensch am stärksten ausgesetzt ist. Schaulust, Ehrgeiz, Ruhmsucht und Geldgier ne1mt er als weitere Versuchungen.5 Das sexuelle Begehren nimmt bei Augustins eine Sonderstellung ein. Augustinus folgt hier, wie fast aus­ schließlich alle Theologen der Spätantike, dem dualistischen Denken des Neu­ platonismus und der Stoa, welches den Körper gegenüber der Seele abwertet. Aber auch Augustmus persönliche Biographie darf in diesem Fall nicht negiert werden. Er selbst war, wie er in seinen Confessiones beschreibt, getrieben von seiner sexuellen Lust. Für Augustinus zeigt sich in keinem Begehren so deutlich das Auseinanderbrechen der paradiesischen Einheit von Körper und Seele, wie

3 Elisabeth Gössmann, Hildegard von Bingen. Versuch einer mähe ng (= Archiv phi­ losophie- und theologie-geschichtliche Frauenforschung, Sonderband) München 1995, 26.
4 Johannes Brachtendorf, Die Emotionen bei Augustinus, in: Christian Schäfer und Martin

Thurner (Hg.), Passiones animae. Die „Leidenscha en der Seele“ in der mittelalterlichen Theologie und Philosophie (= Verö entlichungen des Grabmann-Institutes zur Erforschung der mittelalterlichen Theologie und Philosophie 53) Berlin 2013, 13-30, 20.

5 Ebd. 25.

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im sexuellen Begehren, der conc iscentio bzw. Iibido, wie er es nennt. Kannten die ersten Menschen im Paradies noch einen Geschlechtsverkehr, der durch die Vernunft gesteuert werden konnte, so müssen die Menschen seit dem Sündenfall und ihrer Vertreibung aus dem Paradies gegen die sexuelle Lust ankämpfen, die ihre Ve unft aussetzen lässt. Eine Befreiung von seinen Begierden kann der Mensch nur finden, we1m er sein Leben nach Gott ausrichtet. Im Gegensatz zum Denken der Neuplatoniker, reicht r Augustinus die Ve unft allein nicht aus, seine Begierden und Affekte unter Kontrolle bringen. Für muss an erster Stelle die Demut stehen und damit eine Anerkennung Gottes als höchstes Gut.6 Für Augustinus ist der Mensch seit dem Sündenfall mit der Ursünde der Begierde befleckt und gibt diese bei jedem geschlechtlichen Akt auch an die Nachkommenschaft weiter. Zwar wird man bei der Taufe von der Schuld dieser Sünde befreit, die Begierde und damit die Tendenz z Sünde bleiben aber. Nur mit Hilfe der Tugenden kann man versuchen, seine Begierden zu kontrollieren.

Das spätantike Denken des Augustinus, der in seinen Schriften die philo­ sophischen Strömungen seiner Zeit in einen Zusammenhang stellt mit einer biblischen Exegese, findet sich das ganze Mittelalter hindurch in zahlreichen schriftlichen sowie bildliehen Quellen. Einhellig wird erklärt, wie der Mensch durch den Sündenfall sein „paradiesisches Glück“7 verspielte. Die Mühsal der beit, die Schmerzen bei der Geburt, Sterblichkeit und Krankheit sowie die Herrschaft des Mannes über die Frau werden in Anlehnung an die Genesistexte als Folgen des Sündenfalls genannt. Das paradiesische Glück kann der Mensch auf Erden nicht mehr wiederfinden. Daher werden auch irdische Vergnügungen, wie Essen, Trinken, sexuelle Lust, Spiel, Tanz und Gesang von den mittelalter­ lichen Theologen aufs schärfste verurteilt. Sie sind Zeugnis r die auseinander gebrochene Einheit des Menschen mit Gott sowie des Kö ers und der Seele und sind daher im augustinischen Denken jene Affekte, die Menschen ganz beson­ ders stark angreifen. Nur in der Enthaltsamkeit von diesen Vergnügungen lässt sich das paradiesische Glück, das nur im Himmel zu tinden ist, wieder gewin­ nen. Es war nun Aufgabe der Kirche, den sündigen Menschen vor seinem Verderben bewahren und ihn immer wieder einer christlichen Lebens­ weise ermalmen, ja ihn sogar zu einer solchen erziehen. Vorbild r ein gutes und tugendhaftes Leben waren Jesus, Maria und die Heiligen. Keuschheit, Fasten und Leiden werden als christliche Tugenden gesehen. Freude an der Sexualität, an Essen und Trinken, Tanz und Spiel sind Laster, die den Menschen einer sündigen Lebensweise ver hren. Durch die gesamte patristische und scholastische Literatur zieht sich die Frage, was der sündige Mensch ist und wie er auf den Weg des Heiles gebrachte werden kann. Die Antworten auf

6 Ebd. 24.
7 KlausSchreiner,Sihomononpecasset…DerSüncenfallAdamsundEvasinseinerBedeu­

tung r die soziale, seelische d körperliche Verfasstheil des Menschen, in: Klaus Schrei­ ner und Norbert Schnitzler, (Hg.), gepeinigt, begehrt, vergessen. Symbolik und Sozialbezug des Körpers im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit. München 1992, 41-69, 41.

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letztgenanntes finden sich in den Gegenüberstellungen von Sünden- bzw. Lasterkatalogen und Tugendkatalogen.

Laster- und Tugendkataloge haben ihren Ursprung in den Anfängen des

Mönchtums. Im vor allem in Ägypten verbreiteten Eremitentu ist es das Ziel

der Mönche „in einem geistigen Aufstieg zur einer vollkommenen und reinen

8 … Wesensschau Gottes zu gelangen“. Der Weg erfolgt über d1e Ubung der

Tugenden und der Abwehr der Laster, die als dämonische Angriffe verstanden werden.9 Dies ist ein Gedankengut, das auch der antiken Philosophie bekannt war. Evagrins Ponticus ist es zu verdanken, dass dieses Denken in seiner christlichen Ausformung verschriftlicht wurde. Er verlangt, dass der Mönch die inneren sowie äußeren Gefahren, die dämonischen Versuchungen, die sein Leben bedrohen, genau kennt. Aus dieser Motivation heraus entsteht Evagrius Lasterschema, in dem er acht Hauptlaster und viele von diesen abhängige Nebenlaster nennt. Über Johannes Cassian fand Evagrius Lasterlehre Einzug ins westliche Zönobitische Mönchstum. Als die acht Hauptlaster nennt Cassian gastrima��ia, fo icatio, largryia, ira, tristitia, acedia, cendoxia und superbia. 1 Über zwei erlieferungsstränge wird das Lasterschema im 6. Jahrhundert schließlich aus seiner ausschließlichen Verwendung fur den Mönchsstand herausgelöst w1d ndet immer mehr Verbreitung in einer morali­ schen Unterweisung der Laien1 1 . Ein Überlieferungsstrang geht über lsidor von Sevilla, der die Achtzahl des Lasterschemas beibehält. Ein zweiter Strang erfolgt über Gregor den Großen, der die acht Laster auf sieben reduziert, indem er die superbia herauslöst und dem ganzen Schema voranstellt. In den folgenden Jahrhunderten waren beide Schemata in unterschiedlichsten Anordmmgen, sel­ ten in ihrer Reinform, 12 vor allem in den Bußbüchem verbreitet. Erst im 1 2 . Jahrhundert setzt sich das Lastersepteaar des Gregor gegenüber Cassians Oktonar durch. Die Sonderstellung, die Gregor dem Stolz zu Teil werden ließ, widerspticht dem augustinischen Denken, das der Begierde den Urspmng aller Sünden zuschreibt. ln der weiteren Rezeption nden sich oft beide Ansichten in ein und demselben Werk – Berthold von Regensburg ist, wie es sich noch zeigen wird, ein Beispiel dafur. Völlerei, Unzucht und Eitelkeit haben in allen Laster­ katalogen einen Platz. Sie sind jene Laster unter denen immer wieder die irdi­ schen Vergnügungen Sexualität, am Essen und Trinken, am Tanzen und Spielen oder an schöner Kleidung zu fmden sind. Unabhängig davon, ob der Stolz oder die Begierde an den Anfang aller Sünden und Laster gestellt wird, eine Verurteilung des Vergnügens wird man bei allen Theologen nden.

8 Rainer Jehl, Die Geschichte des Lasterschemas und seiner Funktion, in: Franziskanische Studien 64 (1982) 261-359, 278.

9 Vgl. ebd. 285.
10 Ebd. 291.
1 1 Vgl. Brachtendorf, Emotionen 357. 12 Vgl. Jehl, Geschichte 324.

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Zur Belehrung der Laien diente im Hochmittelalter vor allem die Predigt, im Spätmittelalter treten in immer größerer Zahl Erziehungslehren hinzu. Im städti­ schen Bereich wird ab dem 13. Jahrhundert an vielen Plätzen Europas das Phä­ nomen der Wanderprediger greifbar. Sie gehörten meist den Bettelorden der Dominikaner oder Franziskaner an und konnten durch die Predigt eine große Menge an Menschen aus den unterschiedlichsten sozialen Schichten der Städte erreichen. Sie reagierten auf eine intensiver werdende Religiosität der Bevöl­ kerung, die auf ihrer Suche nach einer christlichen Vollkommenheit den Glau­ ben verstehen wollte.13 Die Wanderprediger gaben den Menschen in einer leicht verständlichen Sprache zu verstehen, was in den theoretischen Schriften stand. Nahe am Lebensbereich der städtischen Bevölkerung, klärten sie ihre Zuhö­ rerschaft über den richtigen Weg zu einer christlichen Lebensweise auf und wa ten sie vor den Folgen eines sündhaften Daseins. Dabei wiederholen sich inuner wieder Aufrufe zur Mäßigung des Vergnügens. 14

Der Franziskaner Berthold von Regensburg (um 1210-1272) „bedeutendster franziskanischer Prediger deutscher Sprache“.15 Seine Erzie­ hung, Ausbildung und den theologischen Feinschliff erlangte er vermutlich im Minoritenkloster von Magdeburg, eine der frühesten Minoritengründungen in Deutschland. Über zehn Jahre lässt sich seine Predigttätigkeit nachweisen. Sie führte durch den gesamten süddeutschen Raum, die Rheinlande bis in die Schweiz. Später wandte er sich dem Osten zu und predigte in Östeneich, Böh­ men, Mähren und auch Unga . Chronisten seiner Zeit bestätigen ihm eine große Anziehungskraf So sollen ihm oft über I00.000 Leute nachgezogen sein. 1 6 Die Quellen berichten außerdem über die große Wirkmacht seiner Predigten, die unter anderem Folge hatten, dass Sünder am Ort der Predigt ohnmächtig wurden. 17

Von Berthold selbst ist uns seine Sammlung lateinischer Predigten über­ liefert, die er als ein homiletisches Handbuch r Priester verfasst hat. Seine deutschen Predigten18 wurden von Zuhörem niedergeschrieben. Erste Sammlun­ gen sind vermutlich schon zu seinen Lebzeiten angelegt worden. Auch wenn man annehmen kann, dass sie nicht immer dem genauen Wortlaut des Berthold entsprachen, so zeichnen sie doch ein sehr deutliches Bild seiner Redegewandt­ heiL Berthold gelingt es, die theologischen Grundlagen dem Volk mittels fass­ barer Beispiele aus seinem Lebensumfeld näher bringen. Im Gegensatz zu seinen lateinischen Predigten, in denen er der Exegese und dem Zitieren der

13 Vgl. Amold Angenendt, Geschichte der Religiosität im Mittelalter. Darmstadt 2009, 479.
14 Volker Mertens, Berthold von Regensburg, in: Lexikon des Mittelalters I. München 1980,

Sp. 2035-2036.

15 Ebd. Sp. 2035.
16 Vgl. Franz Höbel, Die Predigten des Franziskaners Berthold von Regensburg. München

1904, 5.

17Ebd.
18 Franz Pfeiffer (Hg.), Berthold von Regensburg, Vollständige Ausgabe seiner Predigten, 2

Bde. Wien 1862, 1880, abgekürzt: B I, B II. 41

gilt als

kirchlichen Autoritäten wesentlich mehr Platz gibt, bedient er sich in seinen deutschen Predigten einer einfachen theologischen St1uktur, verwendet viele Redensarten oder Sprichwörter aus der Volksprache und adressiert seine Zuhörer direkt durch Fragen oder Au ufe.

Im Aufbau seiner Predigten folgt Berthold fast immer einer Gegen­ überstellung von Laste und Tugenden. In Anzahl und Anordnung unter­ scheidet er sich immer wieder. Dadurch gibt er seinen Predigten eine sehr klare, gut nachvollziehbare Struktur. Berthold bedient sich der biblischen Gestalten, Heiligen, Engel und Teufel, um die Träger der Tugenden und Laster zu veran­ schaulichen und sie in der christlichen Tradition zu verankern. Sein Geschick liegt aber im Besonderen darin, die theologischen Lehrsätze Beispielen aus dem Alltag seiner Zuhörerschaft zu verdeutlichen. Er zeigt seinem Publikum, wo in ihrer direkten Umwelt die Laster lauem und wie man.nach den Tugenden leben kann. Drei Laster werden von ihm aber immer wieder besonders verteu­ felt, nämlich der Hochmut, die Unzucht und die Gier. An den ersten zwei Laste lässt sich deutlich die augusteische und gregorianische Tradition ablesen. Die häu ge Nennung der Gier ist ein Charakteristikum der Franzis­ kanerpredigt19 und muss aus dem städtischen Umfeld heraus verstanden werden, vor dem er predigt.

Immer wieder wa t er seine Zuhörer vor den Sünden, den Untugenden, die als lagen, stricke20 und Verführungen des Teufels lauem und bestärkt sie. durch die Tugenden dagegen anzukämpfen. Innerhalb des Konfliktes von Tugenden und Untugenden lässt sich auch Bettholds Zugang zum Vergnügen wieder nden. Positive Ausdrücke des Vergnügens oder der Freude nennt er nur im Zusammenhang mit dem himmlischen Leben. Weltliche Vergnügen, wie das übermäßige Essen und Ttinken, sexuelles Vergnügen, Tanz und Spiel oder die Pflege der Schönheit werden von ihm hingegen scharf verurteilt und immer im Zusammenhang mit den Sünden der Völlerei (unmaze des mundes an ezzens und trinken21oderfrazheit),22 der h6hvarr3 (auch üppikeit genannt),24 und unkiusche­ keir5 oder wollust26 genannt. Sie zählen r Berthold zu den übergr6zen21 Sün­ den, die er auch als houbetsünde28 (wenn, ein ledic man bf einem ledig wfbe lft), schedlfche,29 ruofende30 oder t6tsünde31 bezeichnet. Damit steht er ganz in der

19 Me ens, Berthold Sp. 2035. 20 B I, 29
21BI I03.
22 B I: 468

21 B I, 104, 468.
24 B I, 83.
25 B I, 82, 105, 469. 26 BI,396.
27 B I, 196.
28 B I, 204, 430.
29 B I, 424.
30 B I 79 f
31 B r:430

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Tradition seiner Zeit. Völlerei, Unkeuschheit oder Hoffart hatten – wie oben be­ reits ange hrt – von der Spätantike an immer einen Platz in den Lasterkatalogen und werden auch von Augustinus als besonders negative Angriffe auf die Seele verstanden. In seinen Be ündungen, warum man diese Sünden unterlassen sollte, folgt Betthold nicht nur einer theologischen Argwnentation, sondern nimmt auch Bezug auf die Lebenslage seiner Zuhörerscha . Er wa t vor der Völlerei, die er als unmdze des mundes an ezzens und trinken, fr6zheit32 oder überezzen und übertrinken33 bezeichnet, und den Konsequenzen die Mitmen­ schen. Diese fr ze, so heißt es, llent in sich ir einer etewenne eins tages, daz sich drfe oder sehse schone da von betrüegen.34 Mit dieser Kritik richtet er sich an die reiche Schicht, die die armen liute35 so hunge lässt. Doch auch die Armen sind, wenn auch nicht in so großem Maße, vor der Völlerei nicht gefeit. Für sie lauert die Gefahr weiterer Sünden. Denn ist etelfcher einfr z der vif arm ist, so gewinne/ e e mit liegen unde mit triegen, mit diepheit unde mit raube undgedenke! in manigen enden, daz er sinefrazheit vollbringe.36 Auch vor den gesundheitlichen Auswirkungen wa t er und erklärt medizinisch, welche schlechten Auswirkungen übe äßiges Essen auf den Körper hat.37

An anderer Stelle spricht Betthold von der untriuwe38 und meint damit den Betrug der knehte unde die e an ilu·er herschefte. Neben Diebstahl stelnt und vermarken! es heimlfch39 kritisiert er auch die jrfheit oder verl zenheit. Sie hält die e und knehte von ihrem Werk ab und ist daher ein Vergnügen, das es zu venneiden gilt.40 Berthold zeigt sich also in seinen Predigten nicht nur als Theologe, sonde auch als Kenner der Lebenswelt seiner Zuhörer.

Sein Ziel ist es nicht, den Menschen ein Bild ihrer eigenen Sündhaftigkeit zu präsentieren, sonde ihnen einen Ausweg daraus zu zeigen und der über die Tugenden. M ze,41 demüetikeit42 und kiusche43 sind jene Tugenden, durch die das sündige Vergnügen ve1mieden werden krum. Besonders hoch schätzt er die kiusche, die er als der edelsten tugende einiu, sie selbe sibende, die diu werft ie gewan sft got die werft geschuof oder iemer me gewinnen mac, 44 bezeichnet. Kann man sie bewahren, erwartet einen der h hsten Ion, der in dem

32 B I, 430. 33 B I, 103. 34 B !.431. 35 BI 430 36 8 1:431: 37 B I 432 f. 38 B1:84.

39 B I, 84. 40 B I, 85. 41 BI,103. 42 B I. 105. 43 B I, 105. 44 B I, 105.

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himmel ist.45 So lassen sich die Vergnügungen des Himmels nur erwerben, indem man aufdie irdischen Vergnügen verzichtet.

Ein wichtiger Grundstein r ein tugendhaftes Leben wird ir Berthold in der Erziehung gelegt. Der tiuvel legt bereits Kleinkinde , Neugeborenen und sogar den ungeborenen Kinde seine lagen. Es ist daher Aufgabe der Eltem, die Seele des Kindes zu schützen.46 Sie sollen ihre Kinder in zuht unde tugent unde gewizzenheit erziehen.47 Er wamt davor, die Kinder Ieekerfe und schalkeil zu lehren, da sie davon iemer mer sin ein lecker und ein schate8 Auch soll man den Kindem nicht zu früh davon erzählen, was frouwen unde man habent.49 Völlerei und Unzucht werden hier von Betthold wieder als die primäre Gefahr genannt. Wer seine Kinder unzuht lere[nt} unde b siu wort macht sich an s er sele schuldie und ouch an sinem libe.50 Wenn in weiterer Folge die Konse­ quenzen daraus genannt werden, steht die frazheit an erster Stelle, noch vor der Sorge, dass Kind könnte ein diep oder ein sluch oder ein apreeher werden.51 Als Mittel für eine richtige Erziehung rät Berthold den reichen Familien zu einem zuhtmeister.52 Arme Leute müssen es selbst in die Hand nehmen. Das rüetelfn soll man anwenden, wenn das Kind b siu wort sprichet.53 Bei der Erziehung der Mädchen empfiehlt er, besonders darauf Acht zu geben, dass sie nicht der unkuische54 oder der hohvart und itelkeif5 verfallen. Die Unkeuschheit bezeich­ net Berthold als jene Sünde, der junge Leute am leichtesten verfallen ungen liuten geleil besunder).56 Deswegen soll man sie auch von b ser gesellscha unde vor b ser heimelikteit unde vor allen üppigen dingen, tanze und dem heimgarten femhalten.57 Der erzieherische Charakter ist in seinen Predigten immer wieder spürbar und Lehren flir eine richtige tugendhafte Erziehung sind sogar wesentlicher Bestandteil.

Die Nähe der Prediger zum Alltag der unterschiedlichen Bevölkerungs­ schichten, der Wille sie zu guten Menschen zu erziehen, ist eine mentalitätsge­ schichtliche Entwicklung, die sich an der Wende vom Hoch- zum Spätmittel­ alter immer mehr intensiviert. Das zeigt sich im Besonderen an der großen

45 B I, I 05; Zum Thema Unkeuschheit vgl. Käthe Sonnleitner, Die Wertung der Geschlechter und Geschlechterbeziehungen bei Berthold von Regensburg, in: Herwig Ebner u.a. (Hg.), ForschungenzurGeschichtedesAlpen-Adria-Rau es,FestgabefurOt arPick! 70. Gebu Stag {=Schriften des Instituts r Geschichte 9) Graz 1 1 97, 3 7 1 -390.

46 B II, 29 f. B I, 84 f. 47 B I, 34.
48BI 34
49 s r: 34:

50 B I, 35.

SI B l, 35.
52 B 1, 34.
53 B I, 35.
54 B I, 469 f.
55 B I, 414.
56B I,411,480. 51 B I, 481.

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Verbreitung von didaktischen und pädagogischen Schriften. Die Literatur des christlichen Mittelalters hat im Allgemeinen eine „grundsätzliche Nähe zur Di­ d e“58, die aus dem heilsgeschichtlichen Konzept des Christentums heraus zu verstehen ist. Dem sündhaften Menschen soll durch die Lehre der christlichen Tugenden auf dem Weg zum Heil geholfen werden. Wie am Beispiel des Bert­ hold bereits verdeutlicht wird den Kindem eine besondere erzieherische Auf­ merksamkeit zuteil. Durch die Taufe von der Sünde reingewaschen leben Kinder noch am ehesten das Ideal der paradiesischen Reinheit und Unschuld. Ihre Un­ kenntnis von Sünde und Laster ist daher eine Chance, zugleich aber auch ein Gefahr, da sie viel leichter verfühlt werden konnten.59 Durch eine möglichst frühe tugendhafte Erziehung kann die Reinheit der Kindheit erhalten bleiben.60

Für die Entstehung von „explizit moralisch-didaktisch intendierten Tex­ ten“61 muss aber auch die Ausbildung der hö schen Ideale in den Blick ge­ nommen werden. Durch die Erziehungslehren erhalten die jungen Männer und Frauen Regeln, wie sie sich in der Gesellschaft zu verhalten haben und sich dabei an ein gottgefälliges Leben halten. Neben Predigten finden sich Erzie­ hungslehren vor allem in der Dichtung, der „Welsche Gast“ des Thomasin von Zirclaere sei hier genannt,62 und ab dem 14. und 15. Jahrhundert in didaktisch­ pädagogischen Werken. Konrad von Megenbergs Ökonomik sowie die Pädago­ gik des Konrad Bitschin oder Ludovicus Vives sollen hier als Beispiele ange­ werden.

Als gemeinsamer Tenor zeigt sich in den Erziehungslehren, dass Vergnügen bereits im Kindesalter durch Erziehung reglementiert werden soll. Konrad von Megenberg, nach dem eine sittliche Bildung ab dem 7. Lebensjahr beginnen sollte, rät, das Kind „mit geziemenden Spielen und zuträglicher Bewe-

58 Ingrid Bennewitz, „Darumb lieben Toechter, seyt nicht zu gar fürwitzig…“ Deutschspra­ chige moralisch-didaktische Literatur des 13.-15. Jahrhunderts, in: Elke K.leinau und Clau­ dia Opitz, Geschichte der Mädchen- und Frauenbildung Bdl : Vom Mittelalter bis zur Auf­ klärung. Frank rt a.M./New York 1996, 23-4 1 .

59 Vgl. Eva Schlotheuber, Kindheit und Erziehung im Spiegel der spätmittelalterlichen biogra­ phischen und autobiographischen Literatur, in: lnes Heiser und Andreas Meyer, Aufblühen und Verwelken. Mediävistische Forschungen zu Kindheit und Alter. Leipzig 2009, 27-53,

60 28.
Zur Kindheit und Erziehung im Mittelalter vgl. Klaus Amold, Kindheit im Europäischen Mittelalter, in: Jochen Martin Lmd August Nitschke, Zur Sozialgeschichte der Kindheit (= Veröffentlichungen des „Instituts r historische Anthropologie e.V.“ 8. 4) Freiburg Breisgau/München 1983, 443-467; Edmund Hermsen und Tilmann Walter, Faktor Reli­ gion. Die Geschichte der Kindheit vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Köln 2006; Eugen Paul, Geschichte der christlichen Erziehung B1, Antike und Mittelalter. Freiburg im Breis­ gau 1993.

61 Bennewitz, „Darumb lieben Toechter“ 23.
62 Zu Untersuchungen zur Bedeutung des Vergnügens in der belehrenden Dichtung vgl.

Gertrud Blaschitz, Spiel und Didaxe, in: Gerhard Jaritz (Hg.), Disziplinierung im Alltag des Mittelalters und der frühen Neuzeit, Wien 1999, 205-227.

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gung zu beschäftigen.“63 Auch Ludovicus Vives verlangt von den Elte , dem Kind bereits durch Erzählungen „die Tugenden loben und die Laster zu tadeln und ihm reine christliche Ansichten“ beizubringen.64 Außerdem betont er, auf die Mädchen ganz besonderen zu achten und „sie ohne jeder Nachsicht zu erziehen. Während Männer durch Nachsicht schlechter werden, werden Frauen gottlos, weil ihr zu Genuss und Leidenschaft neigender Geist sie kop ber in tausend Schlechtigkeiten stürzt.“65 Dass Frauen viel eher dazu neigen, den schändlichen Vergnügungen zu verfallen, zeigt sich auch in vielen anderen Erziehungslehren. Konrad Bitschin zum Beispiel meint, dass Mädchen am „zu häufigen Umherspazieren und Umherschweifen“66 gehindert werden sollen. Auch bei Berthold ist die größere Sorge um die Mädchen und Frauen bereits angeklungen, doch sieht er im allgemeinen die Frauen in der Sünde der Un­ keuschheit nicht als gefährdeter, sonde er nennt sie an einer Stelle sogar als sittsamer als die Männer.67

Die Vergnügen, vor denen die Kinder durch eine tugendha e Erziehung geschützt werden sollen, sind fast immer sexuelle Vergnügen. Die Angst vor der Unkeuschheit ist bei allen Erziehungslehren ständig präsent. Der Tanz, das Spiel oder auch das Tragen von schönen Kleidem sind Vergnügungen, bei denen die Gefahr der Unkeuschheit lauert. Hier sieht man die große Wirkmacht der Erb­ sündenlehre des Augustinus.

Die meisten Erziehungslehren stammen aus der Hand von Geistlichen. Ihr Grundtenor ist, den Menschen von Laste fern zu halten und zu einem tugend­ haften Leben zu erziehen. Deru10ch ist in vielen der Argumentationen ein prak­ tischer Ansatz erkennbar, der sich auf das gesellschaftliche Zusammenleben aus­ richtet.

Ein Vergleich der städtischen Ordnungen mitPredigten und Erziehungs­ lehren zeigt, wie stark die Stadträte von den kirchlichen Lehren beeinflusst waren. Auch das städtische Leben stand letztendlich unter dem Schutze Gottes und der Stadtheiligen. Unglücke wie Seuchen, Brand, Krieg oder andere Kata-

63 Konrad von Megenberg, Oekonomika – Hausbuch. Zitiert nach: Klaus Amold, Kind und Gesellscha in Mittelalter und Renaissance (= Sammlung Zebra. Schriften zur Entwicklung und Erziehung im Kleinkind- und Vorschulalter) Paderbom 1980, 139.

Johnnes Ludowicus Vives, Über Kindererziehung. Zitiert nach: Klaus Amold, Kind und Gesellscha in Mittelalter und Renaissance (= Sammlung Zebra. Schriften zur Entwicklung und Erziehung im Kleinkind- und Vorschulalter) Paderbo 1980, 177.

65 Ebd. 178.
66 Konrad von Bitschin über die Erziehung der Mädchen. Zitiert nach Peter Ketsch, Frauen im

Mittelalter Bd. 2 (= Studien, Materialien, Geschichtsdidaktik, Bd. 19) Düsseldorf 1984,

247.

67 B 1, 4 1 4 . Vgl. Klaus A old, Mentalität und Erziehung – Geschlechtsspezifische Arbeitstei­ lung und Geschlechtersphären als Gegenstand der Sozialisation im Mittelalter, in: Frantisek Graus (Hg.), Mentalitäten im Mittelalter. Methodische und inhaltliche Probleme, (= Vorträ­ ge und Forschunge Konstanzer Arbeitskreis r mittelalterliche Geschichte 35) Sigmarin­ gen 1987, 257-288.

46

strophen werden im dem mittelalterlichen Denken als Strafe Gottes gesehen. Deswegen hat der städtische Rat zum Schutze der Stadt auch die Verantwottung, auf das gottgefällige Leben der Bewohner zu achten.

47

 

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