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MEMO-Sonderband

Migration in der Feudalgesellschaft

Migration in der Feudalgesellschaft
Ludwig-Boltzmann-Institut
für Historische Sozialwissenschaft:
Studien zur Historischen Sozialwissenschaft
Band 8
Herausgegeben von Gerhard Botz
Gerhard J aritz, geb . 1949.􀁋 Historiker, arb.􀁌itet am Institut für mittelalterliche
Realienkunde Osterreichs der Osterreichischen Akademie
der Wissenschaften in Krems an der Donau.
Albert Müller, geb. 1959, Historiker, arbeitet am Ludwig-BoltzmannInstitut
für Historische Sozialwissenschaft, Universität Salzburg.
Gerhardjaritz, Albert Müller (Hg.)
Migration in der
Feudalgesellschaft
Campus Verlag
Frankfurt/New York
Gefördert von der Internationalen Gesellschaft •Medium Aevum Quotidianum«,
Krems an der Donau und vom Ludwig-Boltzmann-Institut für Historische
Sozialwissenschaft, Salzburg
CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek
Migration in der Feudalgesellschaft I Gerhardj aritz ;
Albert Müller (Hg.).- Frankfurt/Main; New York :
Campus Verlag, 1988
(Studien zur historischen Sozialwissenschaft ; Bd. 8)
ISBN 3-593-33883-1
NE:Jaritz, Gerhard (Hrsg.); GT
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt.
Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere
für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung
und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Copyright © 1988 Campus Verlag GmbH, Frankfurt/Main
Umschlaggestaltung: Atelier Warrninski, Büdingen
Druck und Bindung: Druckhaus Beltz, Herosbach
Printed in Gerrnany
VORWORT
Nocte dieque gemo, quia sum peregrinus et egens
(Lamentum refugae cuiusdam, Irland, 9.Jh.)
Die vorliegende Publikation enthält die Beiträge einer Tagung, die unter
dem Titel “ Horizontale Mobilität und Migration vom Mittelalter bis zum
Ende des Ancien Regime“ von 3. bis 5. Oktober 1985 an der Universität
Salzburg stattfand.
Getragen und gefördert wurde diese Tagung vom Ludwig-BoltzmannInstitut
für Historische Sozialwissenschaft (Salzburg) und der Internationalen
Gesellschaft “ Medium Aevum Quotidianum“ (Krems/Donau). Für
vielerlei Unterstützung danken wir Gerhard Botz, dem Direktor des Satzburger
Institutes, und Harry Kühnel, dem stellvertretenden Vorsitzenden
der Kremser Gesellschaft.
Unser besonderer Dank gilt jedoch den Autoren der Beiträge für ihr
Engagement, ihre Mühen und ihre große Geduld mit den Herausgebern.
Ohne mannigfache Hilfen von Birgit Karl, Elisabeth Polndorfer und
Gundi Tarcsay wäre die Publikation nicht zustande gekommen. Ihnen zu
danken ist für uns ein besonderes Bedürfnis.
Salzburg und Krems, im August 1987
Gerhard Jaritz Albert Müller
7

MIGRATIONSGESCHICHTE
Zur Rekonzeptionalisierung historiographischer Traditionen
für neue sozialgeschichtliche Fragestellungen
GERHARD JARITZ – ALBERT MÜLLER
Migrationsgeschichte der vorindustriellen Zeit ist modern geworden { 1 ) .
Spielte und spielt sie in Teilbereichen der historischen Wissenschaften
schon seit langem eine 􀛂ichtige Rolle,_ so wu􀛃de ihre davon abgehobene und
übergreifende Relevanz erst jüngst (wieder) entdeckt {2), ohne daß diese
Entdeckung allerdings besonders zelebriert worden wäre oder breitere Resonanz
gefunden hätte. Eine Theorie- und Methodendebatte trat nur
spärlich auf (3). Die soziologische Migrationsdiskussion wurde kaum rezipiert
{4). Die Modeentwicklungen der Alltags- und Volkskultursgeschichte
(5) erwiesen sich überdies noch publikumsträchtiger als die Geschichte der
Migration. Migration wurde allerdings teilweise von den Vertretern der
Alltagsgeschichte vereinnahmt und erhielt damit indirekt auch ihren Anteil
am Kuchen der Popularität (6), vor allem im Zusammenhang mit der
weithin geäußerten und akzeptierten “ Einladung ins Mittelalter“ (7). In
Verbindung damit entstand eine Reihe von zum Teil populär und/oder
sehr pauschal gefaßten Überblicken, die sich vor allem dem Reisen widmeten
(8). In die gleiche Richtung der ‚Reise im Mittelalter‘ führte eine
Anzahl von jüngst publizierten {Neu)Editionen zeitgenössischer Reiseberichte
{9).
Der Schwerpunkt jedoch, in welchem bis heute Migrationsgeschichte
der Feudalgesellschaft { 1 0) betrieben wird, ist auf zahlreiche Spezialfelder
und -thematiken der historischen Wissenschaften verteilt, die Migration
zumeist ausschließlich in ihrem eigenen Forschungskontext behandeln, und
zwar mit sehr unterschiedlicher Gewichtung. Eine Reihe von Bereichen
sei angeführt:
1) Migration im Kontext der historischen Demographie { 1 1 ) , die zwar in
der deutschsprachigen Forschung über keine ausgeprägte explizite Tradition
verfügt, innerhalb der franko- und anglophonen Forschungstradition
aber wichtige Beiträge auch für das Mittelalter und die Frühe Neuzeit geleistet
hat. Für sie sind Wanderungszahlen von Bedeutung, da sich über
diese möglichst vollständige Bevölkerungsbilanzen errechnen lassen.
2) Im Kontext der Handwerksgeschichte ergaben sich zwei unterschiedliche
Perspektiven: Einerseits hatte die Geschichte der obligatorischen
9
Wanderungen von Gesellen mit all den spezifisch an dieses Phänomen
geknüpften Koinzidentien – sei es die Organisierung der Gesellen oder
seien es die Probleme ihrer Unterbringung entweder in Gesellenhäusern
oder in den Haushalten der Meister mit den daran geknüpften Problemen
– seit langem das weite Feld der Handwerksgeschichte bestimmt und
ist heute eines der Modethemen in der Untersuchung der vorindustriellen
Gesellschaft (12). Andererseits war die Wanderung von Meistern
vor allem des relativ spezialisierten Handwerks ( Bauhandwerker, Steinmetze,
Kunsthandwerker, Plattner, bis zu den Uhrmachern) ein Thema
der Handwerks- und Gewerbegeschichte (aber auch anderer Subdisziplinen
wie der Kunst- oder der Technikgeschichte) (13).
3) Oft im engen Konnex mit der Handwerksgeschichte ist die Geschichte
des mittelalterlichen Handels zu berücksichtigen, die sich in starkem Maße
auf großräumige, internationale Verbindungen führender Händler bzw.
Handelsgesellschaften oder auf bestimmte Handelsgüter konzentriert ( 14) .
4) Auch das traditionsreiche Gebiet der Universitäts- und Studentengeschichte
befaßt sich seit langem unter unterschiedlichen Auspizien mit
dem Problem der Migration. Während die Erfassung der Herkunft von
Studenten bereits seit dem 19.Jahrhundert zumindest implizit auf die Zusammensetzung
sozialer Gruppen abzielte ( 15), war die Erforschung von
Wanderungen von Mitgliedern des Lehrkörpers stark mit ideen- und geistesgeschichtlichen
Ansätzen verknüpft (16).
5) Ideengeschichte, Wissenschaftsgeschichte und Kunstgeschichte hatten
ihr eigenes Interesse an Migration: Mit Hilfe von – mitunter aus detaillierten
Quellenstudien nachgewiesenen – Wanderungen erklärten sie
auf einer Ebene den Transfer bestimmter Wissens- und Bildungsgüter respektive
gewisser stilistischer Elemente im Bereich der Kunst ( 17). Auf
einer anderen, individuellen Ebene ging es ihr darum, für Einzelpersonen
deren jeweiliges Wissen und deren Fertigkeit durch Reisen und Kontaktaufnahmen
mit vergleichsweise „fremden“ Kulturen zu begründen (etwa
die Kontakte deutschsprachiger bildender Künstler am Ende des 15. Jahrhunderts
nach Oberitalien, etc.) ( 18).
6) Ähnliche Erklärungsmuster wurden in der Religions- und Kirchengeschichte
herangezogen: Die Anwendungsbeispiele reichen hier von der
Geschichte mittelalterlicher Klosterreformen über die Verbreitung franziskanieeher
Glaubensinhalte bis zur Diffundierung lutherischer und täuferischer
Lehren ( 1 9).
7) Als Spezialgebiet der Religionsgeschichte verordnete sich die Pilgergeschichte
und die Geschichte von Wallfahrten ganz spezifischen Aspekten
der Migrationsgeschichte (20). Gerade hier haben die Quellen immer wie-
10
der Anreiz und Anlaß geboten, das Phänomen der Massenhaftigkeit zu
betonen.
8) Im Überschneidungsbereich einiger teilweise schon genannter Felder
liegen die (traditionelle) Genealogie und neue Prosopographie ( 2 1 ) .
Gerade prosopographische Arbeiten – etwa z u bestimmten gesellschaftlichen
Eliten – zogen das Argument der räumlichen Herkunft häufig als
Indikator für die Erklärung internaler Gruppenstrukturen, aber auch für
die Erklärung von kollektivem Verhalten und von Entscheidungsprozessen
heran (22). Ein dabei zu berücksichtigender Teilbereich sind die U ntersuchungen
zur personellen Zusammensetzung von geistlichen oder weltlichen
Gruppen und Kommunitäten, die sich – wie diesbezügliche Arbeiten
zur Studenten- und Universitätsgeschichte – bis ins vorige Jahrhundert
zurückverfolgen lassen (23).
9) Darüber hinaus läßt sich eine nicht abzugrenzende weitere Anzahl
von Fachbereichen nennen, die Phänomene von Migration in ihre Konzepte
und Inhalte aufnahmen, sei es Literaturgeschichte (24), Rechts- und
Kriminalitätsgeschichte (25 ), Verkehrsgeschichte (26), Kostümgeschichte
(27), Ernährungsgeschichte (28), Medizingeschichte (29), etc.
All die hier angeführten Beispiele haben im Hinblick auf unsere Problematik
einige Attitüden gemeinsam:
1) Das Phänomen der Wanderung von Gruppen als auch von Einzelpersonen
wurde wie selbstverständlich – und häufig unreflektiert – als
Argument in Begründungszusammenhängen für verschiedenste davon getrennte
historische Sachverhalte verwendet.
2) Diese Verwendung von Wanderung als Argument entsprach einem auf
„Alltagswissen“ basierendem Vorverständnis der Migration. Das Wanderungsargument
war häufig Bestandteil von ad hoc-Theorien über den
jeweiligen Untersuchungsgegenstand.
3) Ein explizites Interesse an Migration selbst kann zumeist nicht festgestellt
werden, sosehr auch manche ältere Arbeiten Material für systematische
Forschungen beinhalten.
Wie wichtig ist nun eine systematische Erfassung von Migration in der
Feudalgesellschaft?
Die systematische Erforschung von Migration läßt sich auf verschiedenen
Ebenen begründen, die sich auf der Basis von theoretisch-disziplinären
Überlegungen – auf eine allerdings wohl etwas synkretistische Weise – in
einen Bedeutungszusammenhang überführen lassen :
A : Ebenen ganzer Gesellschaften – Makro-analytische Zugänge
1. Die systematische Untersuchung von Migrationsprozessen in der Feudalgesellschaft
ist als eines der Probleme für die Klärung der Verhältnisse
1 1
von sozialen Einheiten zueinander von Bedeutung (30).
2. Die Untersuchung von Migrationsgeschichte der Feudalgesellschaft
ist bedeutsam für die Klärung des Verhältnisses von einer spezifischen
Gesellschaft (der Feudalgesellschaft) zu anderen Gesellschaften, sowohl
im Sinn einer diachronischen Betrachtungsweise, die historische Prozesse
ins Auge faßt, als auch unter einer “ asynchronischen“ , interkulturell vergleichenden
Perspektive.
Beide Punkte lassen sich durch einfache Beispiele illustrieren: Es gehört
etwa zum Proseminarwissen jedes Rechtshistorikers, daß die große bäuerliche
Bevölkerungsgruppe weitgehend „an die Scholle gebunden“ war und
deshalb häufig als immobile Bevölkerungsschicht ausgewiesen wird. Nähere
Untersuchungen, etwa auch die Andras Kubinyi’s in diesem Band,
verweisen diesen Gemeinplatz der Geschichte des Mittelalters mehr oder
minder in den Bereich der historischen Mythen (31). – Modernisierungstheoretisch
inspirierte sozialgeschichtliche Darstellungen bringen die Entwicklung
der vormodernen zur modernen Gesellschaft immer wieder in
Zusammenhang mit radikal zunehmender Migration im Kontext der Urbanisierung
im 19. Jahrhundert. Für diese Hypothese wird häufig die
Folie einer räumlich “ stabilen“ , “ immobilen“ vormodernen Gesellschaft
ins Treffen geführt. Der ursprüngliche Befund zahlreicher der in diesem
Band enthaltenen Beiträge spricht gegen die Aufrechterhaltung dieser Folie.
Dies erscheint uns insgesamt ein wichtiger Punkt zu sein, da davon
zahlreiche modernisierungstheoretische Ansätze betroffen sind (32) .
B: Ebene mittlerer und kleiner Sozialsysteme – Mikroanalytische Zugänge:
Auf dieser Ebene sind die „individuellen Aspekte“ von Migrationsgeschichte
anzusiedeln. Diese umfassen ein breites Spektrum, wie z.B.
1 . Erfahrung, Wissen und Vermutungen von Individuen und Gruppen
über Wandern und/oder über auf Wanderungen basierende Phänomene;
2. Migration im Kontext von “ Karrieren“ von Gruppen und Individuen.
3. Das Rollenverhalten von Migranten und die Einstellung von “ seßhaften“
Individuen und Gruppen zu ihnen.
4. Einfluß von Migration auf die kulturelle Entwicklung von Individuen
und Gruppen (33).
5. Migration im Zusammenhang mit dem “ Reiz des Fremden“.
6. Einfluß von Migration auf die Stabilität betroffener Systemkomponenten.
7. Einfluß von Migration auf Regionalisierungen bzw. „lnterna.tionalisierungen“
im Rahmen des Systems.
8. Einfluß der Idee des “ Homo viator“ (34) auf migrante Individuen
12
und Gruppen.
Erst makro- und mikroanalytische Perspektiven gemeinsam können Migrationsgeschichte
zu einem Teile dessen machen, was als Gesellschaftsgeschichte
angesehen werden kann.
Nicht zuletzt darum geht es in diesem Buch. Waren wir uns auch
bewußt, daß andere historische Teildisziplinen die Schwerpunkte unserer
Diskussion liefern werden, so versuchten wir im Rahmen der dem vorliegenden
Band zugrundeliegenden Tagung dennoch, diese im Konnex eines
migrationsgeschichtlichen Konzeptes zu Wort kommen zu lassen. Die Themen
sowie die Abfolge der Aufsätze im Buch stellen einen diesbezüglichen
Ansatz dar. Grundlagen für den Diskurs sollte die Migrationstheorie der
Soziologie liefern (Beitrag H.-J. Hoffmann-Nowotny ). Danach folgt die
Auseinandersetzung mit der Frage, inwieweit Normen der Feudalgesellschaft
auf Migration und Migrationsverhalten Einfluß nehmen (Beiträge
G. Jacobsen, H. Mandl-Neumann, R. Scribner) (35). Zur Frage der Rekrutierungsbereiche
von Sozietäten äußern sich besonders die Beiträge von A.
Müller und A. Kubinyi. Anschließend stehen Schwerpunkte in der Analyse
des Problems von Migration und Austausch, d.h. der kommunikativen
Aspekte räumlicher Mobilität (R. Ch. Schwinges, G. Jaritz). Kollektiven
und individuellen Motivstrukturen in Migrationsbewegungen widmen
sich die Aufsätze von W. Reininghaus, H. Bräuer und J. Ehmer in bezug
auf Handwerksgesellen, von A. Schluchter in bezug auf Arbeitsmigration
sowie von L. Schmugge hinsichtlich mittelalterlicher Pilger. Schließlich
beschäftigen sich drei Autoren mit Migration als Funktion individueller
Karrieren (G. Dohrn-van Rossum, W. Schmid, H. Hundsbichler). Eine
Zusammenfassung der Ergebnisse, der offen gebliebenen Probleme und
Desiderata bietet R. Elkar. Als Anhang wurde außerdem ein Thesaurus
zur Terminologie und Typologie von Migration aufgenommen (Cl. Billot),
der vielleicht eine erste Basis für eine breitere, systematische und quellenbezogene
Auseinandersetzung mit dem Phänomen räumlicher Mobilität
darstellen kann.
Gerade in dieser Beziehung ist noch ein weiter Weg zu gehen, besonders
dann, wenn sich unsere Intention dahin richtet, Migrationsgeschichte nicht
mehr hauptsächlich gestützt auf Teilergebnisse anderer Spezialdisziplinen
historischer Forschung zu betreiben.
Migrationsgeschichte braucht somit auch einen neuen, breiteren und
nach zusätzlichen Kriterien selektierenden Zugang zu den Quellen. Besonders
das Spannungsfeld zwischen kollektiven und individuellen Motivstrukturen
macht die Anwendung quantitativer Ansätz neben qualitativen
Methoden notwendig; allerdings nicht allein basierend auf den bereits
1 3
zum Teil weitgehend herangezogenen und untersuchten seriellen Quellen,
wie Universitätsmatrikel, Gesellenlisten oder Neubürgerverzeichnissen.
Vor allem die zahlreichen verstre1􀚿􀛀en Mitteilungen und Belege in
Rechnungsbüchern, in der urkundlichen Uberlieferung, vorrangig etwa Testamente,
in Mirakelbüchern, in Chroniken, Briefen, Gerichtsbüchern etc.
machen einerseits eine systematische Aufarbeitung nötig. Andererseits
führen sie zwangsläufig dazu, daß wir Migration nur aus einer großen
Zahl von Einzelfällen legitim rekonstruieren können (36). Die Behandlung
dieser Einzelfälle, der Vergleich jener und die darauf aufbauenden
theorie- und methodenorientierten Analysen – also eine umfassende Zahl
mikroanalytischer U ntersuchungen – werden ein nächster oder mitunter
vielleicht ein erster Schritt sein müssen. Darauf aufbauend kann es gelingen,
den Migrationshistoriker nicht nur als einen Partizipator und Rezipienten
von anderen Disziplinen, sondern vor allem als Produzenten von
Ergebnissen für diese und die gesamte historische Sozialwissenschaft sehen
zu können.
ANMERKUNGEN:
(1) Vgl. z.B. K. Bosl, Die horizontale Mobilität der europäischen Gesellschaft im
Mittelalter und ihre Konununikntionsmittel. In: Zwischen Donnu und Alpen. Festschrift
für Norbert Lieb zum 65.Geburtstng (Zeitschrift für bnyerische Landesgeschichte
36/1) München 1972, 40-56; H. Hundsbichler, Reise, Gastlichkeit und Nahrung im Spiegel
der Reisetagebücher des Pnolo Santoruno (1485-1487) Phi!. Diss. Wien 1979; P.
Moraw (Hg.), Unterwegssein im Spätmittelalter (Zeitschrift für Historische Forschung,
Beiheft 1) Berlin 1985; G. Jnritz- A. Müller, Historin Vagn. Ein computergestütztes
Projekt zur Migrationsgeschichte des 15. und 16.Jahrhunderts. In: Dntenbnnken
und Datenverwaltungssysteme als Werkzeuge historischer Forschung. Ed. M. Thaller
(Historisch-Sozialwissenschaftliche Forschungen 20) St. Kathnrinen 1986, 93-123; A.P.
Newton, Trnvel nnd Truvellers of the Middle Ages. Neudruck der 3. Auflage 1969.
London 1968; J. Patten, Patterns of Migration and Movement of Labour to Three
Pre-industrial East Anglinn Towns. In: Journal of Historien! Geography 2 (1976) 111-
129; P. McClure, Patterns of Migration in the Late Middle Ages: The Evidence of
English Plnce-Name Surnnmes. In: Economic History Review 32 (1979) 167-182; A.
G. MncPherson, Migration Fields in a Trnditional Highland Conununity, 1350-1850.
In: Journal of Historien! Geogrnphy 10 (1984) 1-14; verschiedene Beiträge in: Strutture
fnmilinri, epidemie, migrnzioni nell’Ilnlin medievnle. Ed. R. Combn, G. Piccinni und
G. Pinto (Nuove Ricerche di Storin 2) Napoli 1984; J. Richnrd, Les recits de voynges
et de pelerinnges (Typologie des sources du moyen äge occidenta.l 38) Turnhout 1981;
Cl. Billot, Le migrnnt en Fra.nce a Ia fin du Moyen Age. In: Medieva.l Lives a.nd
the Historinn. Studies in Medieval Prosopography. Ed. N. Bulst und J.-Ph. Genet
(Kalnmnzoo 1986) 236-242 (dort sind auch weitere migrationsgeschichtliche Arbeiten
14
der Autorin zitiert) ; M. Aymord, Migrations. In: La mediterranee. Les honunes et
l’heritoge. Ed. F. Braudel. 2.ed. Paris 1986, 121-155.
(2) Wie der vorliegende Bond widmen sich auch andere Beitrogssommlungen dem
Thema der Migration vorrangig ausgehend von den angeführten Speziolbereichen. Vgl.
z.B. Combo et ol., Strutture fomiliori; Morow, Unterwegssein. Siehe etwa auch die
diesbezüglich auftretende Problematik im stark additiv argumentierenden Beitrag von
K. Schulz, Unterwegssein im Spiitmittelalter. Einleitende Bemerkungen. In: Moraw,
Unterwegssein 9-15, der neben den in diesem Sammelband behandelten Gruppen der
Pilger, Studenten, Handwerksgesellen und Randständigen den Herrscher und sein Gefolge,
den ritterlichen Adel, Söldner, Welt- und Ordensklerus und die Badereisenden
(!) erwähnt.
(3) Vgl dazu auch den Beitrag von R. Ellrer in diesem Bond.
( 4) Zu dieser vgl. den Beitrog von H.J. Hoffmnnn-Nowotny in diesem Bond.
(5) Auf die diesbezügliche umfassende Diskussion. kann hier nicht eingegangen werden.
Vgl. zuletzt P. Borscheid, Alltagsgeschichte – Modetorheit oder neues Tor in
die Vergnngenheit. In: Sozialgeschichte in Deutschland III. Ed. W. Schieder und V.
Sellin. Göttingen 1987, 78-100; H. Bausinger, Volkskultur und Sozialgeschichte. In: ebd. 32-49.
(6) Vgl. z.B. A. Borst, Lebensformen im Mittelalter. Fronkfurt/Main – Berlin
1973, bes. 133-173; 0. Borst, Alltagsleben im Mittelalter. Frankfurt/Main 1983, 630-
562 (Kapitel ‚Kommunikation ohne Verviellaltigung‘); H. Kühne!, Mobile Menschen in
„quasistatischer“ Gesellschaft. In: ders. (Hg.), Alltag im Mittelalter, 3.Aufi. GrazWien-
Köln 1986, 114-120; D. Denecke, Straße und Weg im Mittelalter als Lebensraum
und Vermittler zwischen entfernten Orten. In: B. Herrmann (Hg.), Mensch und Umwelt
im Mittelalter. Stuttgart 1986, 207-223.
(7) Vgl. jüngst H. Fuhrmann, Einladung ins Mittelalter. München 1986.
(8) Vgl. z.B. M. Rowling, Everyday Life of Medieval Trovellers. London-New York
1971; A. Maczok, Zycie codzienne w podrozach po Europie XVI i XVII wieku (Alltogsleben
von Reisenden im Europo des 16. und 17.Jahrhunderts]. Warszawa 1978;
M. Wade Labarge, Medievol Travellers. Toronto 1982; N. Foster, Die Pilger. Reiselust
in Gottes Namen. Frankfurt/Main 1982; J.-P. Leguoy, La rue au Moyen Age. Rennes
1984; N. Ohler, Reisen im Mittelalter. München-Zürich 1986; H. Boehncke- R. Johannsrneier,
Das Buch der Vaganten. Spieler, Huren, Leutbetrüger. Frankfurt 1987.
Vgl. auch M. Mollat, Les exploroteurs du XIIIe au XVIe siede: premiers regards sur
des rnondes nouveaux. Paris 1984.
(9) Wonderbüchlein des Johonnes Butzbach, genannt Piernontanus. Aus dem Leben
eines fahrenden Schülers. Ed. L. Hoffrnann. Berlin 1984; Johonn von Mandeville,
Von seltsamen Ländern und wunderlichen Völkern. Ein Reisebuch von 1366. Ed. G.
Grünuner. Leipzig 1986 (Reihe ‚Klassisches Reisen‘); Christoph Columbus, Schiffstagebuch.
4. Aufi. Leipzig 1986; Hans Dernschwarn’s Tagebuch einer Reise nach
Konstantinopel und Kleinasien (1553/66). Ed. F. Babinger (Studien zur FuggerGeschichte
7) München- Leipzig 1923 (Ndr. Berlin- München 1986); E. Funada, Ein
mittelalterliches Reisetagebuch aus den Ostalpen. 1486, 1486, 1487 (japanisch). Tokyo
1987.
(10) Wir verwenden hier den Begriff „Feudolgesellschaft“ zur Kennzeichnung des
Zeitraums bis zum 18. Jahrhundert. Die Diskussion über diesen Begriff wird seit
Iangern intensiv geführt. Zur Darstellung nrschiedener Positionenen vgl. z. B. den
Sammelband Feudalismus. Materiolien zur Theorie und Geschichte, hg. v. Ludolf Kuchenbuch,
Frankfurt/M. 1977. Aloin Guerreau, Le feodalisrne. Un horizon theorique,
Paris 1980.
15
(11) Vgl. etwa J. C. Russe!, British Medievol Population. Albuquerce 1948; J.
Patten, English Towns 1500-1700 (Studies in Historien! Geogrophy) 1978.
(12) Vgl. im deutschsproehigen Raum vor ollem die Arbeiten von H. Bröuer, R.
Elkar, W. Reininghous (s. deren Beitröge mit weiterführender Literatur) und K.
Schulz, Handwerksgesellen und Lohnarbeiter. Untersuchungen zur oberrheinischen und
oberdeutschen Stadtgeschichte vom 14.-17.Johrhundert. Sigmaringen 1985; ders., Die
Handwerksgesellen, in: Moraw, Unterwegssein 71-92. Vgl. bes. auch B. Geremek,
Les migrations des compagnons au bos moyen iige. In: Studio historioe oeconomicae
(Poznari. 1970) 61-79 sowie verschiedene Beitröge in den Tagungsbänden Internationales
handwerksgeschichtliches Symposium, Veszprem 20.-24.11.1978. Veszprem 1979
und lnternationoles handwerksgeschichtliches Symposium. Veszprem 21.8.-26.8.1982,
2 Bde. Veszprem 1983.
(13) Vgl. den Beitrog von G. Dohrn-van Rossum in diesem Bond. Vgl. z. B. auch R.
Sprandel, Die Ausbreitung des deutschen Handwerks im mittelolterlichen Frankreich.
In: Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 51 (1964) 64-100; R. W.
Lightbown, Secular Goldsmith’s Work in Medieval France: a History (Reports of the
Research Committee of the Society of Antiquaries of London XXXVI) London 1978,
bes. 83-94. Vgl. auch den Beitrog von W. Reininghaus in diesem Bond.
(14) Hier sind bereits frühe umfassende Darstellungen anzuführen. Vgl. z.B. W.
Heyd, Geschichte des Levantehandels im Mittelalter, 2 Bde. Stuttgort 1879 (Ndr.
Hildesheim- New York 1971); A. Schulte, Geschichte des mittelalterlichen Handels
und Verkehrs zwischen Westdeutschland und Italien mit Ausschluß von Venedig, 2
Bde. Leipzig 1900; ders., Geschichte der Großen Ravensburger Hondelsgesellschoft,
2 Bde. Stuttgort – Berlin 1923. Als vorbildhafte neuere Arbeit vgl. R. Delort, Le
commerce des fourrures en Occident 8 lo fin du Moyen Age (vers 1300- vers 1450)
2 Bde. (Bibliotheque des Ecoles frnn􀆺oises d’Athenes et de Rome 136) Rom 1978.
Vgl. auch W. Schnyder, Handel und Verkehr über die Bündner Pässe im Mittelalter
zwischen Deutschland, der Schweiz und Oberitnlien, 2 Bde. Zürich 1973; W. Eikenberg,
Dos Handelshaus der Runtinger zu Regensburg. Ein Spiegel süddeutschen Rechts-,
Handels- und Wirtschaftslebens im ausgehenden 14.Johrhundert (Veröffentlichungen
des Max-Planck-lnstituts für Geschichte 43) Göttingen 1976; Beitröge in C. Meckseper
(Hg.), Stadt im Wandel. Kunst und Kultur des Bürgertums in Norddeutschland 1150-
1650, 3.Bd. ( Landesousstellung Niedersachsen 1985) 221-440 (Wirtschaft).
(15) Vgl. den Beitrag von R. Ch. Schwinges in diesem Band und bes. ders., Universitötsbesucher
im 14. und 15.Johrhundert. Studien zur Sozialgeschichte des Alten
Reiches (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Abteilung
Un.ivers«>lgesch.ichte 123 = Beiträge zur Sozial- und Verfassungsgeschichte des Alten
Reiches 6) Stuttgart 1986. Vgl. u.a. auch A. L. Gabriel, Les etudiants etrangers l’Universite de Paris au XVe siede. In: Armnies de l’Universite de Paris 29 (19598)
377-400; G. Langer u.a. (Bearb.), Vom Einzugsbereich der Universität Wittenberg
(Kartographische Darstellung und Ortsregister), 2 Teile (Arbeiten aus der Universitäts-
und L«>ndesbibliothek Sachsen-Anhalt in Halle an der Saale 7 und 13) Halle
1967 und 1973; W. Kuhn, Die Studenten der Universität Tübingen zwischen 1477 und
1534. Ihr Studium und ihre spätere Lebensstellung, 2 Teile (Göppinger Akademische
Beiträge 37 /38) Göppingen 1971; A. Luschin v. Ebengreuth, Österreicher an italienischen
Universitäten zur Zeit der Rezeption des römischen Rechts. In: Blätter des
Vereins für Landeskunde von Niederösterreich XIV (1880) 228-252, 401-420, XV (1881)
83-113, 250-264, 379-402, 417-428, XVI (1882) 54-72, 236-273, XVII (1883) 393-411,
490-516, XVIII (1884) 271-316, 431-446, XIX {1885) 503-558; W. Dotzauer, Deutsches
Studium und deutsche Studenten an europäischen Hochschulen (Frankreich, Italien)
16
und die nachfolgende Tätigkeit in Stadt, Kirche und Territorium in Deutschland. In: E. Maschke- J. Sydow (Hgg.), Stadt und Universität im Mittelalter und in der früheren
Neuzeit (Stadt in der Geschichte 3) Sigmaringen 1977, 112-141; verschiedene Beiträge
in J. Jjsewijn – J. Paquet, The Univeuities in the Lote Middle Ages (Medinevalia
Lovnniensia I/VI) Leuven 1978; F. Smuhel, L’Universite de Prngue de 1433 a 1622:
recrutement geogrnphique, cnrrieres et mobilite sociale des etudants grndues. In: Les
universites europeennes du XVIe nu XVIIle siecles. Histoire socinle des populntions
etudnnts. Ed. D. Sulin, J. Revel, R. Chnrtier, Paris 1986, 65-88; G. Jaritz, Kleinstadt
und Universitätsstudium. Untersuchungen am Beispiel Krems an der Donnu (Von den
Anfangen bis in das 17.Jahrhundert. In: Mitteilungen des Kremser Stadtarchivs 17/18
(1978) 105-167, 19 (1979) 1-26, 23/24/25 (1986) 153-178.
(16) Vgl. z.B. verschiedene Beiträge in Jjsewijn- Paquet, Uruversities.
(17) V gl. den Beitrag von W . Schmid in diesem Band. V gl. auch z.B. B. Geremek,
L’exemplum et Ia circulation de Ia culture nu Moyen Age. In: Melanges de l’Ecole
franc;aise de Rome. Moyerr Age, Temps Modernes 92/1 (1980) 153-179; V. Ritter,
Kulturkontakte und soziales Lernen im Mittelalter. Kreuzzüge im Lichte einer mittelalterlichen
Biographie (Kollektive Einstellungen und sozialer Wandel im Mittelalter
I) Köln – Wien 1973; 0. J. Geanakoplos, Interaction of the „Sibling“ Byzantine and
Western Culture in the Middle Ages and ltnlian Renaissance (300-1600). New Haven
– London 1976; Venezia e Bisanzio (Ausstellungskah•log). Venezia 1974; A. Kirchhoff,
Die Handschriftenhändler des Mittelalters. Osnabrück 1966 (Ndr. der 2. Ausg.
1853); H. Floerke, Studien zur Niederländischen Kunst- und Kulturgeschichte. Die
Formen des Kunsthandels, das Atelier und die Sammler in den Niederlanden vom 15.-
18.Jahrhundert. München- Leipzig 1905 (Ndr. Soest 1972); verschiedene Beiträge in
J. Hubert, Arts et vie sociale de la fin du monde antique au Moyen Age (Memoires et
documents publies par la societe de l’ecole des Chartes XXIV) Geneve 1977; J. Harvey,
The Medieval Architect. London 1972, 151-165; verschiedene Beiträge in G. Verbeke
– J. Jjsewijn, The Lote Middle Ages and the Dawn of Hurnarusm Outside ltaly (Medinevalia
Lovaniensia 1/1) Leuven- The Hague 1972; K. Vogel, Der Donauraum, die
Wiege mathematischer Studien in Deutschland. München 1973; J. E. Murdoch, From
Social into lntellectual Factors: an Aspect of the Unitary Character of Late Medieval
Learning. In: den. – E. D. Sylla (edd.), The Cultural Gontext of Medieval Learning
(Boston Studies in the Philosophy of Science XXVI = Synthese Lybrary 76) Dordrecht
-Boston 1975, 271-348.
(18) Vgl. z. B. G. Tröscher, Kunst und Künstlerwanderungen in Mitteleuropa 800-
1800. Baden-Baden 1953; N. Rasmo, Michael Pacher. Eine Monographie. München
1969; H. R. Hahnloser, Villard de Honnecourt, 2. Auß. Graz 1972, bes. 232-237.
(19) Vgl. z.B. G. Zimmermann, Ordensleben und Lebensstandard. Zur Cura corporis
in den Ordensvorschriften des abendländischen Hochmittelalters (Beiträge r.ur
Geschichte des Alten Mönchturns und des Benediktinerordens 32) Münster/W. 1973;
L. K. Little, Religious Poverty and the Profit Economy in Medieval Europe. London
1978; J. B. Freed, The Friars and Germon Society in the Thirteenth Century
(Mediaeval Academy of America Publication 86) Cambridge, Mons. 1977; D. Blume,
Wandmalerei als Ordenspropaganda. Bildprogramme im Chorbereich franziskanischer
Konvente Italiens bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts (Heidelberger Kunstgeschichtliche
Abhandlungen NF 117) Worms 1983; R. Stupperich, Die Reformation in Deutschland,
München 1972, bes. 264-267; R. van Dülrnen, Reformation als Revolution. Soziale
Bewegung und religiöser Radikalismus in der deutschen Reformation. München 1977,
passim. – Sehr konkret widmen sich manche Arbeiten zum klösterlichen Rotelwesen
der Migration. Vgl z. B. F. Bünger, Adrnonter Totenrotein (1442/96) (Beiträge r.ur
17
Geschichte des Alten Mönchturns und des Benediktinerordens 19) Münster/W. 1935;
J.-Cl. Kahn, Les Moines messagers. Ln religion, Je pouvoir et ln science snisis pnr les
Rouleaux des Morts XIe-XIIe siecles. Paris 1987.
(20) Im Bereich der Pilger- und Wallfahrtageschichte ist in jüngerer Zeit ein umfangreicher
Bestand von Neuerscheinungen zu verzeichnen. Diese zeigen einerseits fruchtbringende
Neuansätze, andererseits den Versuch, die Problematik breiteren Kreisen
einer interessierten Öffentlichkeit (vor allem im Zusammenhang rrut Ausstellungen)
näherzubringen. Vgl. bes. die Aufsätze von L. Schmugge (s. den Beitrag in diesem
Band); R. C. Finucane, Mirades nnd Pilgrims. Popular Beliefs in Medieval England.
London- Melbourne- Toronto 1977; J. von Herwnnrden, Opgelegde Bedevnnrten.
Een studie over de praktijk van opleggen vnn bedevanrten (met name in de stedelijke
rechtsprank) in de Nederlnnden gedurende de late rruddeleeuwen (ca 1300 – CO 1500).
Amsterdam 1978; ders. (Hg.), Pelgrims door de eeuwen heen. Snntiago de Compostela.
Utrecht 1985; R. Oursel, Pe!erins du Moyen Age. Paris 1978; P.-A. Signl, L’homme et
le rrurncle dans ln France medievnle (XIe- Xlle siede), Paris 1985; L. Kriss-Rettenbeck
– G. Möhler, Wollfahrt kennt keine Grenzen (Ausstellungskntalog). München- Zürich
1984; Santingo de Composteln. 1000 ans de Pelerinage Europeen (Ausstellungskntnlog).
Ghent 1985; Salzburgs Wallfahrten in Kult und Brauch (Katalog XI. Sonderschau
des Dommuseums zu Salzburg) Salzburg 1986.
(21) Vgl. N. Bulst, Zum Gegenstand und zur Methode von Prosopographie. In:
Medieval Lives and the Historian, 1-16; G. Jnritz- A. Müller, Medievnl Prosopogrnphy
in Austrian Historical Research. In: Medieval Prosopography 7/1 (1986) 57-86.
(22) Vgl. verschiedene Beiträge in Medieval Lives; J. Heers, Le clnn farrulial nu
Moyen Age. Paris 1974; R. C. Trexler, The Magi Enter Florence. The Ubrinchi of
Florence and Venice. In: Studies in Medieval and Renaissance History I (Old series
XI). Vancouver 1978, 127-218.
(23) Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, daß die soziale Stellung in der überwiegenden
Anzahl vorliegender Arbeiten an vorrangiger Stelle steht. Die örtliche Herkunft
der angesprochenen Person wird zweitrangig bzw. nur in Verbindung rrut der sozialen
Herkunft gestreift. Zu jener Gruppe von Untersuchungen vgl. die noch immer
wegweisende Arbeit von K. Schreiner, Sozial- und standesgeschichtliche Untersuchungen
zu den Benediktinerkonventen im östlichen Schwarzwald (Veröffentlichungen der
KomnUssion für geschichtliche Landeskunde in Boden-Württemberg B 31) Stuttgart
1964. Vgl. den Beitrag von G. Jaritz in diesem Band und ders. – A. Müller, Medieval
Prosopography 58-63. Zum weltlichen Bereich vgl. z.B. W. Höfl.echner, Die Gesandten
der europäischen Mächte, vornehmlich des Kaisers und des Reiches (Archiv für
Österreichische Geschichte 129) Wien 1972.
(24) Vgl. z.B. W. Spiewok, Stoff und Motiv nls stilprägende Faktoren hochnUttelalterlicher
deutscher Literatur. In: F. Möbius (Hg.), Stil und Gesellschaft. Dresden
1984, 86-105. S. Singer, Apollonius von Tyrus. Untersuchungen über das Fortleben
des antiken Romans in späteren Zeiten. Halle 1895 (Ndr. Hitdesheim New York 1964);
J. Brumack, Die Darstellung des Orients in Wolframs ‚Pnrzivnl‘ (Philologische Studien
und Quellen 29) Berlin 1966; P. Kunitzsch, Die Arabien im ‚Parzival‘ Wolframs von
Eschenbach. In: Wolfrom-Studien II (1973) 9-35. Der große Bereich der Toposforschung
sowie die Sprachgeographie sind im weiteren Sinne ebenfalls in die Problematik
rruteinzubeziehen. V gl. zur letzteren R. Schmidt-Wiegnnd, Studien zur historisd1en
Rechtswortgeographie (Münstersche Mittelalter-Schriften 18) München 1978, bes. 9-
75.
(25) Vgl. die Beiträge von H. Mandl-Neumann und R. Scribnerin diesem Band. Vgl.
auch H. Mandl-Neumann, Aspekte des Rechtsalltags im spiitrruttelnlterlichen Krems.
18
In: Bericht über den sechzehnte􀆋 Österreichischen Historikertag in Krems/Donau (Veröffentlichungen
des Verbandes Osterreichischer Geschichtsvereine 25) Wien 1985, 314-
317; G. Jnritz, Probleme um ein Diebsgestöndnis des 15.Jnhrhunderts. In: Jahrbuch
des Musealvereins Wels 1977/78 (1978) 77-86; J. Chiffoleau, La violence nu quotidien.
Avignon nu XIVe siede d’npres !es registres de In Cour temporelle. In: Melnnges
de l’ecole franc;nise de Rome. Moyen Age, Temps Modernes 92/2 (1980) 325-372; J.
Buchnnan Given, Society nnd Homicide: nn Essay on Social Interaction in ThirteenthCentury
Englnnd. Stnnford 1975; P. J. Genry, Furtn Sacrn. Thefts of Relics in the
Centrnl Middle Ages. Princeton, N.J. 1978.
(26) In diesen Bereich fallen in weiterem Sinne auch die Geschichte der Verkehrswege
und Verkehrsmittel. Vgl. z.B. A. Birk, Die Strasse. Ihre verkehr&- und bautechnische
Entwicklung im Rahmen der Menschheitsgeschichte. Karlsbnd 1934 (Ndr.
Aalen 1971); J.-P. Leguny, Ln rue nu Moyen Age. Rennes 1984; J. Chr. Ginzrot, Die
Wagen und Fahrwerke der verschiedenen Völker des Mittelalters und der KutschenBau
neuester Zeiten nebst der Bespannung, Zöumung und Verzierung ihrer Zug-Reit
und Lnst-T hiere, 2 Bde. München 1830 (Ndr. llildesheim- New York 1979); W . Zimmermann,
Nef der Cinque Ports. Das Normannenschiff des 13. Jahrhunderts. 2 Bde.
München 1982; Chr. Villnin-Gandossi, Le nnvire medieval 8 travers !es minintures.
Paris 1985; Federigo Melis, I Trnsporti e le Communicnzion.i nel Medioevo (Istituto
lnternnzionnle di Storin economicn 11 F. Dntini11 – Prnto 6) F irenze 1985;
(27) Vgl. z.B. F. Piponnier, Costume et vie socinle. Ln cour d‘ Anjou XIVe-X V siede
(Civilisntions et Societes 21) Paris – Ln Hnye 1970, passim; J. Raby, Venice, Dürer
nnd the Orientnl Mode (The Hans Huth Memorial Studics I) London 1982. Einen
besonderen Zwischenbereich stellen hierbei die Arbeiten zum Tuchhandel dar. Vgl.
z.B. H. Ammann, Deutschland und die Tuchindustrie Nordwesteuropas im Mittelalter.
In: C. Hanse (Hg.), Die Stadt des Mittelalters 3: Wirtschaft und Gesellschaft (Wege
der Forschung CCXLV) Darmstadt 1973, 55-136.
(28) Vgl. z.B. G. Wiegelmann, Alltags- und Festspeisen. Wandel und gegenwörtige
Stellung (Atlas der deutschen Volkskunde NF, Beiheft 1 ). Marburg/Lahn 1967, passim.
(29) V gl. z.B. D. Jncqunrt, Le milieu medical en Frnnce du Xlle nu XIVe siede
(Hnutes etudes medievnles et modernes 46) Geneve- Paris 1981.
(30) Vgl. nllg. M. MoUnt du Jourdin, L’imnge de l’nutre dnns ln mentalite occidentnle
a Ia· fin du Moyen Age. In: Comite Internationale des Seiences Historiques,
Rapports I: Grands themes, methodologie, sections chronologiques (I). Stuttgnrt 1985,
95-106.
(31) Vgl. dazu auch Ch. Higounet, Mouvements de populntions dansie Midi deIn
Frnnce du Xle nuc XVe siede d’apres !es noms de personne et de lieu. In: Pnysnges et
villages neufs du moyen nge: Reetteil d’nrticles. Bordeaux 1975, 417-437; R. Combn,
II problema della mobilita geogrnfica delle popolazioni montane alln fine del Medioeva
nttraverso un sondnggio sulle Alpi Mnrittime. In: V. Fumagnlli- G. Rossctti, Medioeva
rurale. Sulle trncce delln civilta contndinn. Bologna 1980, 299-318.
(32} Vgl. etwa H.-U. Wehler, Modern.isierungstheorie und Geschichte. Göttingen
1975. S. auch St. Hochstadt, Migration in Preindustrinl Germany, in: Centrnl European
History XVI (1983}, 195-224, der sich 196 ff. kritisch gegenüber Modernisierungsanstzen
im Zusammenhang mit Migrationsgeschichte öußert.
(33) Vgl. W. Th. M. Frijhoff, Cultuur, metnliteit: illusies vnn elites? Rotterdam
1984, 28: 11 Cultuur en mentnliteit: nctwerken vnn relnties in beweging11•
(34) G. B. Ladner, Homo Vintor: Medievnl ldeas on Alienation and Order. In: ders.,
Images and ldens in the Middle Ages. Selected Studies in History and Art II (Storia e
Ietteraturs 156) Roma 1983, 937-974.
1 9
(35) Der vorgesehene und zugesagte Beitrag von Herwig Ebner (Graz) über “ Obrigkeitliche
Einflußnahme auf Migration vom Mittelalter bis um 1600″ wird in Medium
Aevum Quotidianum Newsletter no. 13 (1988) erscheinen.
(36} Ein diesbezüglicher Versuch wird seit einiger Zeit für den Österreichischen Raum
unternorrunen. Vgl. Jaritz- Müller, Historin vngn.
20
PARADIGMEN UND PARADIGMENWECHSEL
IN DER S O ZIALWISSENSCHAFTLICHEN
WANDERUNGSFORSCHUNG
Versuch einer S kizze einer neuen Migrationstheorie
HANs-JoACHIM HoFFMANN-NowoTNY
Vorbemerkung
Man übertreibt sicher nicht, wenn man behauptet, die Geschichte der
Menschheit sei auch eine Geschichte der Wanderungen. Die in diesem
Band versammelten Beiträge belegen dies ausdrücklich. Eine Vielzahl von
historischen Ereignissen, für die der Niedergang des Römischen Reiches
nur als ein besonders dramatisches Beispiel stehen mag, kann nicht ohne
Rekurs auf vielfältige Wanderungsprozesse erklärt werden. Während das
Thema “ Wanderungen“ in der Geschichtsschreibung eine bis in die Antike
zurückreichende Tradition hat und insbesondere die “ Völkerwanderung“
auch Sujet historisierender Literatur war, ist die Soziologie der Migration
ein neueres Phänomen. Auch W“!nn sie deshalb noch nicht zu den zentralen
Forschungsgebieten des Faches gehört, so kann sie doch als etablierte
Teildisziplin der Soziologie gelten und auf ebenso beachtliche empirische
wie theoretische Arbeiten verweisen.
In diesen Ausführungen wird die empirische Dimension der Wanderungsforschung
nur am Rande in Erscheinung treten. Das Ziel ist vielmehr
eine Auseinandersetzung mit der theoretischen Tradition der Migrationssoziologie.
Dabei werden vor allen Dingen die paradigmatischen
Grundzüge der verwendeten theoretischen Ansätze herausgearbeitet. Dies
soll schließlich in den Vorschlag eines neuen Wanderungsparadigmas münden.
1. ENTWICKLUNGEN UND ANSÄTZE IN DER SOZIOLOGIE DER
MIGRATION
Wenn man der Entwicklung der soziologischen Auseinandersetzung im Bereich
der Migration etwas klassifikatorische Gewalt antut, dann kann man
zwei Stränge unterscheiden: einen Strang, der im wesentlichen in den USA
geformt wurde und einen zweiten, der eine spezifisch europäische Prägung
hat. Der wesentliche Unterschied zwischen beiden scheint mir der zu sein,
2 1
daß die amerikanische Entwicklung – mit allen Einschränkungen, die hier
zu machen sind – primär von der Praxis und den Problemen einer Einwanderungsgesellschaft
geprägt ist, während die europäische mehr von
theoretischen Überlegungen geleitet erscheint. Dies gilt – wie noch zu
erläutern sein wird – auch für die jüngste Zeit, obwohl in dem Maße, in
dem die hochentwickelten Länder Westeuropas selbst zu Einwanderungsgesellschaften
wurden, auch hier die problemorientierte Auseinandersetzung
massiv zugenommen hat.
Es ist vermutlich richtig, wenn Anthony Riebmond ( 1985) die ersten
Schritte auf dem Weg zu einer Soziologie der Migration als eigenständige
Teildisziplin des Faches auf den Beginn dieses Jahrhunderts datiert und
Chicago als ihren „Gründungsort“ bezeichnet. Dem widerspricht nicht,
daß Ravenstein schon 1885 “ Laws of Migration“ postulierte und auch die
europäischen Klassiker der Soziologie Migration thematisiert haben. Man
setzt deren Bemühungen jedoch nicht herab, wenn man zugesteht, daß
eine eigentliche Soziologie der Migration sich erst aus den Arbeiten einer
Gruppe von Forschern an der University of Chicago entwickelte, die später
als die „Chicago School of Sociology“ in die Geschichte der Soziologie
eingehen sollte.
1 . 1 . DIE BEGRÜNDUNG DER MIG RATIONSSOZIOLOGIE IN DEN U S A
Aus dem Anfangsstadium der amerikanischen Migrationssoziologie ist i n
erster Linie das epochale Werk von William I. Thomas ( 1863-1947) und
Florian Znaniecki ( 1 882-1958) über „The Polish Peasant in Europe and
America“ ( 1918) zu nennen, zusammen mit Arbeiten von Robert E. Park
( 1864-1944), Ernst W. Burgess ( 1886-1966), Louis Wirth ( 1897-1952),
Franktin E. Frazier ( 1894-1962) u.a. (zur Geschichte der „Chicago School“
vgl. Bulmer 1984). Ohne in nennenswerter Weise auf die europäische, allerdings
nicht speziell im Zusammenhang mit dem Migrationsphänomen
entwickelte, theoretische Tradition einzugehen, beschäftigte sich die „Chicago
School“ zwar auch mit den Determinanten der Migration, richtete
ihr .Augenmerk aber im wesentlichen auf deren in den USA unübersehbare
Konsequenzen.
Auf der Grundlage der sozialdarwinistischen Theorie von Herbert
Spencer ( 1820-1903), der seinerseits Migration mit „the restlessnes inherited
from ancestral nomads“ ( 1892, 1: 566) erklärt hatte, wurden vor
allen Dingen die vielfältigen sich nach der Einwanderung stellenden Probleme
untersucht. Die Grundannahme war, daß Einwanderer zunächst
22
in die unterste Schicht der Sozialstruktur eintreten und sich in der Folge
aufgrund eines Selektionsprozesses eingliedern und sozial aufsteigen sowie
schließlich kulturell im Sinne eines “ melting pot“ in der Einwanderungsgesellschaft
aufgehen. Aufgrund neuer Erfahrungen wurde die Idee
des “ melting pot“ nach dem Zweiten Weltkrieg in Frage gestellt (Gordon
1964, Taft 1966, Richardson 1967). Als angemesseneres Eingliederungsmodell
wurde dem eben genannten das eines strukturellen und kulturellen
Pluralismus gegenübergestellt. Ohne Zweifel können beide Modelle keine
Ausschließlichkeit beanspruchen, sondern gelten unter je spezifischen Bedingungen.
Weitere Kritik am “ Chicago-Model“ wie generell an der „bürgerlichen“
Migrationsforschung wurde von Autoren g-eübt, die einen neo-marxistischen
Ansatz verfolgen (Castles und Kosak 1973, Portes 1981) und Migration
primär unter dem Aspekt der industriellen “ Reservearmee“ analysieren.
In jüngerer Zeit haben im angelsächsischen Raum für die Betrachtung
der Wanderungsproblematik integrative Entwürfe an Bedeutung gewonnen,
mittels derer versucht wird, der Komplexität des Geschehens
in angemessenerer Weise Rechnung zu tragen, als dies auf einen Aspekt
zentrierte Theorien tun konnten (Rex und Tomlinson 1979, Riebmond
und Verma 1978, Riebmond und Zubrzycki 1984). Mit Bezug auf das
Allgemeinheitsniveau kann man von diesen Arbeiten sagen, daß sie zwar
Elemente allgemeiner soziologischer Theorien aufnehmen, im Prinzip aber
als Theorien des Migrationsbereichs konzipiert sind, für den sie dann allerdings
“ Allgemeinheit“ beanspruchen.
Von diesen Ansätzen läßt sich eine Reihe weiterer Bemühungen abheben,
die schon· in den zwanziger Jahren einsetzen (Fairchild 1925) und
nach dem Zweiten Weltkrieg eine starke Ausweitung erfuhren. Bei diesem
Zweig der Migrationsforschung, den ich an anderer Stelle ausführlich
dargestellt habe (Hoffmann-Nowotny 1970: 44 ff. ), handelt es sich
vor allen Dingen um Versuche, Migration exakt zu definieren, Typologien
von Wanderungen und Migranten zu entwickeln und Migrationsmodelle
zu skizzieren, die zum Teil einen hohen Formalisierungsgrad aufweisen.
Daneben sind auch Skizzen von Theorien und Wanderungsursachen zu
verzeichnen, die allerdings nicht als ernstzunehmende Versuche, Migration
im Rahmen einer umfassenderen (und auch soziologischen) Theorie
darzustellen, bezeichnet werden können. Die meisten von ihnen lassen
sich auf psychologische Entscheidungstheorien reduzieren, wobei im einen
oder anderen Falle erwähnt wird, in Migrationsentscheidungen gingen soziale
Faktoren ein, ohne daß in dieser Hinsicht aber Gemeinsamkeiten
feststellbar wären. So hinterläßt dieses – und keineswegs Vollständig-
23
keit beanspruchende – Bild der anglo-amerikanischen Entwicklung einen
zwiespältigen Eindruck. Unübertroffen ist die amerikanische Migrationssoziologie
im Reichtum der empirischen Auseinandersetzung mit ihrem
Gegenstand. Auch wenn darüber die theoretische Diskussion keineswegs
vernachlässigt wurde, so ist doch abschließend zu sagen, daß sie sich selten
über den Bereich der “ theories of the middle range“ (wie Merton
bereichsspezifische Theorien nennt) hinausbegeben hat.
1 .2. FRÜHE ANSÄTZE EINER MIGRATIONSSOZIOLOGIE IN EUROPA
Im Gegensatz zu Nordamerika hat sich die Soziologie der Migration in
Europa erst im letzten Jahrzehnt zunehmend als Spezialdisziplin formiert.
Als institutionellen Indikator für diese Verspätung kann man etwa
anführen, daß sich im Rahmen der Deutschen Gesellschaft für Soziologie
erst 1984 eine Arbeitsgruppe konstituierte, die eine Anerkennung als
offizielle Sektion der DGS anstrebt 1 .
Fragt man weniger nach institutionalisierter Anerkennung als nach faktisch
stattgefundener Beschäftigung mit der Migration, so kann man immerhin
darauf verweisen, daß schon einige der europäischen Klassiker der
Soziologie (Simmel, Tönnies, Max Weber und Durkheim seien im folgenden
erwähnt) dieses Thema berührt haben, auch wenn bei ihnen weder
die theoretische noch die empirische Analyse von Wanderungen einen zentralen
Stellenwert hatte.
Bei Georg Simmel ( 1 858-1918) finden sich einmal sehr subtile Bemerkungen
über den “ Fremden“ ( 1 908/1958: 509-512). Zum anderen geht
er den Fragen nach, welche Formen der Vergesellschaftung sich bei einer
wandernden Gruppe im Gegensatz zu einer räumlich fixierten ergeben
und welche Bedeutung es hat, wenn aus einer seßhaften Gruppe
einzelne wandern ( 497). Simmel betrachtet also weniger die Migration
unter dem Aspekt ihrer Determinanten als vielmehr in ihrer Beziehung
zu Vergesellschaftungsformen und geht auch nicht auf die schon zu seiner
Zeit stattfindenden Massenwanderungen ein. Dies unternimmt hingegen,
wenn auch ebenfalls nur kursorisch, Ferdinand Tönnies ( 1855-1936). Er
1 Amerikanische Soziologen hatten dagegen schon Anfang der sechziger Jahre begonnen,
die Soziologie der Migration auch auf internationaler Ebene zu etablieren. Diese
Bemühungen führten 1970 zur Einrichtung eines Research Conunittee on Migration im
Rahmen der International Sociological Association (President: 1970-1978: Anthony
Richmond, York University, Toronto; 1978-1986: lt.J. Hoffmann-Nowotny, Universität
Zürich).
unterscheidet ( 1926: 1-18) zwischen “ Reisen“ und “ Wandern“, wobei das
eine mit temporärer, das andere mit dauernder „Umsiedlung“ verbunden
ist. Weiter scheidet er die „Nahwanderung“ von der “ Fernwanderung“
und diskutiert sozio-demographische Merkmale wie auch moralische Qualitäten
von Wanderern. Im einzelnen geht Tönnies auf die Wanderungen
der Polen vom Osten in den Westen des Deutschen Reiches sowie auf die
Überseewanderung ein. Eine eigentlich theoretische Auseinandersetzung
mit der Migration findet jedoch nicht statt, auch wenn er etwa darauf
hinweist, daß Fernwanderungen „vorzugsweise von Gebieten tieferer in
Gebiete höherer ökonomischer Kultur“ (1926: 3) stattfinden und auch
einige mit der Migration verbundene empiri􀛁che Regularitäten erwähnt.
Ohne daß Tönnies dies selbst formuliert, lassen sich diese Regularitäten
zum Teil dahingehend theoretisch deuten, daß Wanderungen im Zusammenhang
mit sozialen Bindungen und sozialer Kontrolle zu sehen sind,
ein Sachverhalt, auf den später noch näher eingegangen werden soll.
Bei Max Weber ( 1864-1920), dem scharfsinnigen Theoretiker der Entstehung
der modernen Gesellschaft aus dem Geiste der protestantischen
Ethik, findet sich erstaunlicherweise ebenfalls keine systematische Auseinandersetzung
mit Migrationsphänomenen. Er erwähnt “ Wanderarbeiter“
und nennt als Beispiel dafür die „Sachsengänger“ ( 1 964: 106) oder
weist in seinem Aufsatz über “ Die sozialen Gründe des U ntergangs der
antiken Kultur“ von 1896 ( 1956: 1-2) auf die „Stadtflucht“ als eine der
Untergangsursachen hin. Dieser Hinweis ist zumindest insofern interessant,
als er zeigt, daß es zu der in jüngster Zeit dominierenden LandStadt-
Wanderung schon in historischer Zeit Gegenbewegungen gegeben
hat. Eine solche Bewegung kann auch heute im Bevölkerungsverlust vieler
Großstädte zugunsten ihres Umlandes und von kleineren Städten registriert
werden.
Wenn auch ebenfalls nur als Marginalie, so aber doch im Rahmen einer
umfassenden soziologischen Theorie, findet sich eine Erwähnung der
Wanderungen bei Emile Durkheim ( 1 858 – 19 17) . Bekanntlich hat er den
Übergang von der vorindustriellen zur industriellen Gesellschaft soziologisch
als Ablösung einer durch „mechanische Solidarität oder Solidarität
der Ähnlichkeiten“ gekennzeichneten Gesellschaft durch einen Sozialtypus
beschrieben, dessen Solidarität von der Arbeitsteilung abhängig ist
und “ organische Solidarität“ genannt wird ( 1893, 1977: 2. u. 3. Kapitel).
Der letztgenannte Gesellschaftstyp ist – wie Durkheim nachweist und
begründet – durch eine Abnahme der individuellen und sozialen Bindungen
sowie durch eine Schwächung der sozialen Kontrolle gekennzeichnet.
In dem Maße, in dem das auf „organischer Solidarität“ beruhende So-
25
zialsystem sich ausbreitet, „umschließt (die Gesellschaft) das Individuum
weniger eng und kann folglich weniger gut die auseinanderstrebenden Tendenzen
bändigen, die nun auftauchen“ ( 1 977: 338/339). Nach Durkheims
Meinung verstärken Wanderungen wiederum den Prozeß der “ Schwächung
aller Traditionen“ ( 1977: 334), und zwar einmal, weil die von ihm beobachteten
Wanderungen vor allen Dingen in die Städte führen, in denen
„der Mensch viel weniger dem Kollektivjoch unterworfen“ ( 1 977: 339) ist,
und zum anderen, weil durch Wanderungen die Stränge der Übermittlung
von Traditionen geschwächt oder zerschnitten werden.
Auch wenn – wie gezeigt wurde – die erwähnten Klassiker das Phänomen
der Migration nicht sehr eingehend behandelt haben, so muß es doch
verwundern, daß sie bei den führenden Migrationstheoretikern der letzten
50 bis 60 Jahre praktisch keine Erwähnung finden. Dies ist um so bemerkenswerter,
als Durkheim, Weber und Tönnies umfassende gesamtgesellschaftliche
Theorieentwürfe vorgelegt haben und auch die eher essayhafte
Soziologie Simmels eine Reihe von Ansatzpunkten für soziologisches Theoretisieren
auch im Bereich der Migration enthält. Auch der Autor dieses
Beitrages muß bekennen, daß er bei seinen Versuchen (Hoffmann-Nowotny
1970, 1973, 198 1 , 1985), eine allgemeine soziologische Theorie zu entwickeln
und damit sowohl die Determinanten als auch die Konsequenzen
der Migration zu bestimmen, das theoretische Potential der Klassiker nur
unzureichend genutzt hat, ein Sachverhalt, der erst in jüngster Zeit korrigiert
wird.
1 .3. NEUERE THEORETISCHE ANSÄTZE IM DEUTSCHSPRACHIGEN RAUM
Seit Ende der sechziger Jahre ist insbesondere im deutschen Sprachraum
ein verstärktes Bemühen zu verzeichnen, als allgemein konzipierte theoretische
Ansätze auf das Phänomen der Migration anzuwenden. Dabei
handelt es sich entweder um Rekonstruktionen, Adaptionen und Weiterentwicklungen
vorhandener Theorien oder auch um weitgehende Neuschöpfungen,
die selbstverständlich ihre Verbindung zur sozialwissenschaftliehen
Tradition nicht leugnen. Die wichtigsten dieser Theorien seien im
folgenden – notwendigerweise verkürzt und deshalb vereinfacht – dargestellt.
Werner Langenheder unternimmt den Versuch, die Feldtheorie des Sozialpsychologen
Kurt Lewin ( 1 890 – 1974) als allgemeine Verhaltenstheorie
zu rekonstruieren und in der Anwendung auf Wanderungen und ihre Determinanten
empirisch zu prüfen. Grundtheorem dieser Theorie ist, daß
26
das Verhalten einer Person durch die “ Kräfte“ bestimmt wird, die innerhalb
des „Lebensraumes“ auf die Person wirken. Der Lebensraum besteht
zunächst aus der gegenwärtigen Handlungssituation, die definiert ist als
„die Art und Weise, wie die Person zu einer gegebenen Zeit sich und ihre
Umwelt in vergangenen und zukünftigen Situationen sieht“ (Langenheder
1968: 77) . Handlungen gegenüber kann man positiv, gleichgültig oder negativ
eingestellt sein. Der Grad der Erwünschtheit oder Unerwünschtheit
einer Handlungssituation wird als deren Valenz bezeichnet Bei positiver
bzw. negativer Valenz von Handlungssituationen ergeben sich Kräfte, die
die Wahrscheinlichkeit des Eintretens der Situationen erhöhen bzw. vermindern
(79-80). Handlungssituationen haben schließlich noch eine unterschiedlich
hohe relative Potenz (die eine Funktion des Bewußtseinsgrades
und der Bedeutung ist, die eine Person der entsprechenden Handlungssituation
beimißt) sowie eine jeweils bestimmte subjektive Wahrscheinlichkeit
{78-79). Die Wahrscheinlichkeit, daß Wandern – als eine mögliche
Handlung – stattfindet, ist dann eine komplexe Funktion der Valenzen,
der relativen Potenzen und der subjektiven Wahrscheinlichkeiten der
verschiedenen gegeneinander abzuwägenden realen und hypothetischen
Handlungssituationen. Auf einen Satz gebracht, kann man sagen, daß eine
Person umso eher wandert, je mehr sie erwartet, durch diese Handlung einen
positiv bewerteten Lebensraum zu gewinnen. Albrecht kritisiert diese
Theorie wohl zutreffend, wenn er bemerkt, sie habe „nicht viel mehr anzubieten
als die Trivialität, daß der Mensch bestimmte Situationen anderen
Situationen vorzieht“ (Albrecht 1972: 147).
Eine ebenfalls primär psychologische allgemeine Theorie, in der Wandern
als ein Spezialfall menschlichen Handeins erscheint, legt Monika Vanberg
( Kottwitz/Vanberg 1971/72) vor. Sie kann als ein Musterbeispiel
einer nach strengen Regeln der Deduktionslogik aufgebauten Theorie bezeichnet
werden.
Das Schaubild (94) (vgl. S. 39) stellt eine von der Autorin skizzierte
modellhafte Zusammenfassung einer großen Zahl von präzise formulierten
und empirisch gehaltvollen Hypothesen dar. Ausgangspunkt ist die
Annahme, daß jedes Individuum den Wunsch hat, seine Situation so zu
gestalten, daß eine Übereinstimmung zwischen den in seiner Situation gegebenen
Belohnungen und den von ihm erwarteten Belohnungen besteht
(62) . Mangelnde Übereinstimmung bedeutet eine Deprivation, die Handlungen
in Gang setzt, die auf die Herstellung der Übereinstimmung von
gegebenen und erwarteten Belohnungen zielt. In Anwendung der allgemeinen
Hypothesen auf Wandern als Handlungsmöglichkeit wird dieses umso
wahrscheinlicher als Mittel zur Reduktion einer Deprivation gewählt, je
27
stärker die Deprivation mit örtlichen Faktoren zusammenhängt. Weiter ist
diese Wahrscheinlichkeit abhängig von der Häufigkeit von Wanderungen in
der persönlichen Vergangenheit und der sozialen Umwelt des Individuums,
vom Erfolg, den Wanderungen gezeitigt haben, von der Wertschätzung,
die Wanderung durch die Bezugspersonen des Individuums erfährt, sowie
der Wertschätzung, die die Informationsquelle genießt, die Wandern als
Handlungsmöglichkeit aufzeigt (87). Ob dieses Mittel dann auch tatsächlich
gewählt wird, hängt zusätzlich vom Ausgang einer Einschätzung vom
Erfolg und Kosten des Mittels “ Wandern“ im Vergleich mit anderen Mitteln
ab. Auch hierzu formuliert Vanberg wiederum operationale Kriterien.
Vanbergs Ansatz teilt mit dem Langenheders und wohl allen allgemeinen
psychologischen Theorien das Schicksal, daß die Axiome trivial erscheinen.
Dies allein kann aber kein Kritikpunkt sein. Entscheidend ist vielmehr,
was aus diesen Axiomen in Verbindung mit anderen Annahmen abgeleitet
und schließlich in mehr oder weniger operationaler Fassung dargestellt
werden kann. Vanbergs Arbeit leistet dies – im Gegensatz etwa zu Langenheders
Versuch – in vorzüglicher Weise.
In seiner durch einen bemerkenswerten Materialreichtum und große Integrationsfähigkeit
gekennzeichneten „Soziologie der geographischen Mobilität“
( 1 972) entwickelt Günter Albrecht eine Skizze eines soziologischen
Bezugsrahmens zur Migrationsanalyse. Den Versuch, eine allgemeine
Theorie zu entwickeln, versagt sich Albrecht allerdings, wohl verzagend
angesichts der überwältigenden Vielfalt und Komplexität des Wanderungsgeschehens,
wie es in seiner hinsichtlich des Umfangs der verwendeten
Literatur kaum noch zu überbietenden Arbeit zum Ausdruck kommt.
In seiner Theorieskizze verknüpft Albrecht sozialökologische Überlegungen
mit dem strukturell-funktionalen Ansatz von Parsons und Elementen
des Lebenszykluskonzeptes. Wanderungen erscheinen dann als eine Weise
der Auseinandersetzung mit Problemen der natürlichen und sozialen Umwelt,
als ein Problemlösungsverhalten. Die Strukturierung der Probleme
ist durch Parsons “ funktionale Imperative“ gegeben (Anpassung, Zielverwirklichung,
Integration sowie Mustererhaltung und Bewältigung struktureller
Spannungen). Je nach Phase im Lebenszyklus ergeben sich jeweils
unterschiedliche Gewichte und Kombinationen der “ H auptprobleme“ , die
Migration mehr oder weniger wahrscheinlich machen.
Den – wie Albrecht bemerkt – “ ersten wirklich brauchbaren, exakt
durchformulierten makro-soziologischen Theorieversuch der Migrationsforschung“
(Albrecht 1972: 153) legte Hoffmann-Nowotny ( 1 970) vor.
Die verwendete allgemeine soziologische Theorie geht von “ Macht“ und
“ Prestige“ (denen auf einem höheren Abstraktionsniveau “ S truktur“ und
28
„Kultur“ entsprechen) als zentralen sozietalen Dimensionen aus. Von
diesen als Statuslinien operationalisierbaren Dimensionen wird angenommen,
daß sie wechselseitig voneinander abhängig sind. Macht und Prestige
sind ferner differentiell verteilt, differentiell zugänglich und folglich
tendenziell ungleich verteilt. Die tendenziell ungleiche Verteilung führt
zu „strukturellen Spannungen“ , die operational als Rangspannungen, Ungleichgewichtsspannungen
und Unvollständigkeitsspannungen gefaßt werden.
Diese Spannungen tendieren zu einem Ausgleich, wobei aber vermutet
wird, daß ein völliger und stabiler Ausgleich kaum je erreicht wird.
Von den strukturellen Spannungen wird weiter angenommen, daß sie zu
„anomischen Spannungen“ führen, wenn ein unmittelbarer Ausgleich von
Macht und Prestige nicht möglich erscheint. Eine der verschiedenen und in
diesem Zusammenhang wichtigen Möglichkeiten des Spannungsausgleichs
besteht im Ausscheiden einer Einheit aus dem System, in dem sie Spannungen
erfährt. Dieses Ausscheiden kann ein Rückzug sein („innere Emigration“
) oder eine Wanderung in ein anderes System, dessen Spannungen
geringer sind (geographische Mobilität). Andere Alternativen sind soziale
Mobilität, Änderung der Bewertungsgrundlage, Aufgabe von Positionen
und Gewichtsverlagerungen von tiefen auf hohe Positionen. Die Theorie
spezifiziert die Bedingungen. unter denen diese logischen Möglichkeiten
empirisch wahrscheinlich werden (vgl. Hoffmann-Nowotny 1970: 37
ff.), erlaubt damit also Prognosen. Schließlich kann die anomische Spannung
von der Ebene der individuellen Einheit auf die sozietale Ebene
transferiert und dort entweder effektiver gemacht oder auch vernichtet
werden. Bei intersystemischer Betrachtung erscheinen Wanderungen als
ein Spannungstransfer vom Emigrations- in den Immigrationskontext, so
daß die Theorie auch für die Erklärung der Konsequenzen der Migration
(Hoffmann-Nowotny 1973) eingesetzt werden kann.
Diese Theorie versteht sich zwar als makrosoziologisch, postuliert jedoch,
daß ihre Konzepte und Gesetzmäßigkeiten auf allen Niveaus sozietaler
Systeme, d.h. auch auf der individuellen Ebene, gelten und beansprucht
damit auch, individuelles Wanderungsverhalten prognostizieren
zu können. Da sie jedoch nicht die Existenz differentieller Prädispositionen
und kognitiver Prozesse leugnet, wird sie für die Verbesserung der
Präzision ihrer Prognosen auf individuellem Niveau nicht auf mikrosoziologische
oder psychologische Theorien verzichten wollen.
Der jüngste Versuch, eine allgemeine Theorie zu entwickeln und für
eine soziologische Migrationsanalyse zu nutzen, stammt von Hartmut Esser
( 1 980, 1985), der mit mir den Standpunkt teilt, daß Wanderungen
nur auf der Grundlage einer Theorie behandelt werden sollten, die prin-
29
zipiell in der Lage ist, beliebige soziale Vorgänge und Sachverhalte zu
erklären ( 1980: 13). Diese Leistung erwartet Esser von einer als soziologisch
verstandenen Theorie, die dem Programm des “ Methodologischen
Individualismus“ verpflichtet ist. Dieser geht erstens davon aus,
es sei möglich und notwendig, soziale Phänomene aller Art durch Bezugnahme
auf individuelles Verhalten präziser zu formulieren und genauer zu
erklären als mittels “ kollektiver“ Erklärungen ( 1980: 15). Das heißt zweitens,
daß konzeptneUe und theoretische Konstruktionen, die auf Kollektivphänomene
Bezug nehmen, reduktionistisch aufgelöst werden können.
Die Individualismus/Kollektivismus-Debatte kann hier nicht fortgesetzt
werden. Esser ist aber zugute zu halten, daß er einen radikalen Psychologismus
vermeidet. Seine Version des individualistischen Programms
ignoriert zumindest nicht “ das Problem der Existenz und der Wirksamkeit
von Makrostrukturen und Relationsgebilden“ ( 1980: 16); er meint
aber, diese könnten ohne Bezug auf Emergenzannahmen individualistisch
erklärt werden. I m Gegensatz zu anderen Vertretern des Methodologischen
Individualismus (K.-D. Opp 1972, 1983) wählt Esser keinen behavioristischen,
sondern einen handlungstheoretischen Ansatz, der Handeln
aus mentalen Zuständen erklärt.
Eine von Esser für assimilative Handlungen formulierte und von mir
für Wanderungsverhalten “ übersetzte“ Hypothese könnte wie folgt lauten:
Je intensiver die Motive einer Person in bezug auf eine bestimmte
Zielsituation; je stärker die subjektiven Erwartungen dieser Person, daß
diese Zielsituation durch Wandern erreichbar ist; je höher die Handlungsattributierung
für Wandern ist; und je geringer der Widerstand für Wandern
ist, umso eher führt die Person Wanderungshandeln aus. “ Gesellschaft“
fließt in dieses individualistische Handlungsmodell insofern ein,
als sie einmal auf die mentalen Zustände des Handelnden einwirkt und
zum anderen in Form von Opportunitäten, Barrieren und Alternativen
sichtbar wird. Den Vorwurf gegen den Methodologischen Individualismus,
„Strukturen“ immer schon voraussetzen zu müssen, aber nicht erklären zu
können, meint Esser ausräumen zu können. Dies kommt dann auch darin
zum Ausdruck, daß er in jüngster Zeit (Esser 1985) von einem „Strukturtheoretischen“
Individualismus spricht.
Im folgenden sollen nun einige Überlegungen zu den paradigmatischen
Grundannahmen von Migrationstheorien angestellt werden, was schließlich
zu dem Versuch überleitet, eine neue soziologische Theorie der Migration
zu entwickeln.
30
2 . PARADIGMATISCHE ASPEKTE VON WANDERUNGSTHEORIEN
Wenn man von paradigmatischen Grundstrukturen von Migrationstheorien
bzw. auf Migration angewandten allgemeinen Theorien sprechen will,
so wäre zunächst nach dem von Thomas Kuhn ( 1962, 1978) ins Spiel
gebrachten, wenn auch nicht unbedingt geklärten, Paradigmenbegriff zu
fragen. Ich muß mir dies an dieser Stelle versagen, sondern möchte nur
festhalten, daß mit diesem Konzept hier auf die Grundannahmen, die
Grundstrukturen eines theoretischen Zugangs zur Realität gezielt ist, d.h.
vergleichsweise fundamentale Unterschiede darin gemeint sind. Mit Bezug
auf die im vorhergehenden diskutierten Theorien könnte man solche Unterschiede
zwischen mikrosoziologisch-psychologischen Theorien auf der
einen und makrosoziologischen Theorien auf der anderen Seite annehmen.
Ohne schon von einem Paradigmenwechsel in der Soziologie sprechen
zu wollen, läßt sich doch feststellen, daß in jüngster Zeit individualistische
Erklärungsansätze verschiedener Provenienz (Verhaltenstheorie,
Handlungstheorie, Entscheidungstheorie, interpretatives Paradigma) an
Gewicht und Resonanz zugenommen haben. Entgegen der Meinung der
Vertreter individualistischer Ansätze (die weitestgehend für ihre Theorien
Ausschließlichkeit beanspruchen), kann man aber auch die Ansicht vertreten,
es sei lediglich die Ebene der Betrachtung gewechselt worden: weg
von der Ebene der Gesamtgesellschaft als dem zentralen U ntersuchungsgegenstand
und hin zur Ebene handelnder und entscheidender Individuen.
Wenn man mit den Verfechtern makrosoziologischer Theorien, die mir in
ihrer Sicht mikrosoziologischer Ansätze weniger dogmatisch zu sein scheinen,
als dies in umgekehrter Richtung der Fall ist, Gesellschaft als Untersuchungsobjekt
sui generis ansieht, dann schließt das nicht aus, mikround
makrosoziologische Theorien als zueinander komplementär anzusehen.
Aus einer solchen Perspektive hätte man es dann also nicht mit zwei
sich gegenseitig ausschließenden, sondern sich ergänzenden Perspektiven
zu tun. Ich will keinen Hehl daraus machen, daß ich eher dieser Ansicht
zuneige.
Eine, wie mir scheint, fundamentalere Sicht hat Daniel Kubat in einen
von ihm und mir gemeinsam verfaßten Artikel eingebracht (Kubat/
Hoffmann-Nowotny 1981). Danach liegt eigentlich allen zur Erklärung
der Migration verwendeten Theorien, und zwar unterschiedslos, die Annahme
zugrunde, der Mensch sei ein prinzipiell seßhaftes Wesen. Es ist
dann gleich, ob es nun “ Feldkräfte“, “ Deprivationen“, “ Motive“ und “ Erwartungen“,
„strukturelle Spannungen“ oder die Auseinandersetzung mit
„Systemproblemen“ sind, die als Wanderungsdeterminanten angesehen
3 1
werden: in allen Fällen wird ein prinzipiell seßhaftes Wesen zum Wandern,
zu geographischer Mobilität veranlaßt. Man kann diskutieren, ob
man von einer Zugehörigkeit zur gleichen paradigmatischen Grundkategorie
sprechen will, wenn alle Theorien den Ortswechsel prinzipiell seßhafter
Wesen erklären wollen. Sicher ist aber, daß sie damit eine elementare Gemeinsamkeit
aufweisen. Wir haben dafür den Begriff des “ Metaparadigmas“
gewählt und damit die Möglichkeit offengelassen, unterschiedliche
Erklärungsansätze der Migration – wie z.B. die makro- und die mikrosoziologischen
– als je eigenständige Paradigmen zu bezeichnen.
In dem genannten Beitrag haben Kubat und Hoffmann-Nowotny das
Metaparadigma der Seßhaftigkeit in Frage gestellt: „In inverting the classical
migration metaparadigm we assume that man is mobile by nature“
(312). Zusätzlich haben wir das den Entscheidungstheorien zugrunde liegende
Rationalitätsmodell bestritten und statt dessen “ indeterminate human
motivation“ postuliert.
Koautorscharten erfordern bekanntlich Kompromisse, und ich glaube
kaum, daß ich die soziobiologische Verankerung der vorgeschlagenen metaparadigmatischen
Wendung alleine verantwortet hätte, obwohl man diese
Begründung ohne Zweifel vertreten kann (Kubat/Hoffmann-Nowotny
1981: 320 ff.).
Wenn man schon dazu Stellung nehmen will, so möchte ich eher eine
dritte Version vorschlagen, die den Menschen weder als prinzipiell seßhaft
noch als prinzipiell mobil ansieht, sondern ihn – vielleicht in Anlehnung
an die an Max Scheler anschließende soziologische Anthropologie Arnold
Gehlens (Gehlen 1957) – als „umweltoffen“ und als soziales Wesen ansieht,
dessen soziologisch bedeutsame „Natur“ sich im wesentlichen aus
Kultur und Struktur seiner Gesellschaft ergibt. Historisch gesehen besteht
allerdings anscheinend kein Zweifel daran, daß der Mensch während
der weitaus längsten Zeit seiner Geschichte ein Wanderer war und erst mit
der neolithischen Revolution und den frühen Hochkulturen mehr oder weniger
seßhaft wurde.
Die auf die “ Natur“ des Menschen zielenden Fragen soziobiologischer,
anthropologischer oder auch ethnologischer Art sind ohne Zweifel interessant
und des Studiums wert. Eine soziologische Analyse muß aber auf
dessen Resultate nicht warten, sondern sollte sich auf die der Soziologie
eigenen Bereiche und Probleme konzentrieren (ohne selbstverständlich Erkenntnisse
von Nachbarwissenschaften zu vernachlässigen oder gar zu negieren).
Dann ist weniger die Frage zu diskutieren, ob der Mensch ein prinzipiell
seßhaftes oder mobiles Wesen ist, sondern wann und unter welchen
Umständen Gesellschaften seßhaft oder mobil sind, bzw. Seßhaftigkeit
32
oder Mobilität ihrer Mitglieder gegeben ist.
Ich kann hier nicht darauf eingehen, welches im einzelnen die Voraussetzungen
des „Seßhaftwerdens“ von Gesellschaften waren. Daß im
Verlaufe eines historischen Entwicklungsprozesses heute aber praktisch
alle Gesellschaften im Nationalstaat, dessen Grenzen festgeschrieben und
völkerrechtlich garantiert sind und im Prinzip als unverletzlich gelten,
ein universelles territoriales Organisationsstatut gefunden haben, ist eine
Tatsache. Wir können deshalb mit Recht von einer Welt von “ seßhaften“
Gesellschaften sprechen.
3 . SKIZZE EINES NEUEN WANDERUNGSPARADIGMAS
Wenn Gesellschaften sich innerhalb bestimmter Grenzen etabliert haben
oder sich – wo dieser Prozeß noch nicht abgeschlossen ist – dauerhaft
zu etablieren trachten, sind sie für ihre Fortexistenz auf arbeitsteilig erbrachte
und auf Dauer gestellte Leistungen angewiesen. Bei diesem Stand
der Dinge ist eine unkoutrollierte geographische Mobilität im hohem Maße
dysfunktional, und zwar nicht nur gesamtgesellschaftlich gesehen, sondern
auch für den einzelnen, der letztlich ebenfalls auf eine auf Dauer angelegte
Gesellschaft angewiesen ist, die allerdings nicht seine Ursprungsgesellschaft
sein muß. Der einzelne hat also ohne Zweifel größere Mobilitätschancen
als eine Gesellschaft. Das „auf Dauer Stellen“ erzielen
Gesellschaften bekanntlich durch Normierung und Institutionalisierung,
d.h. durch ein kulturelles Symbolsystem, dem eine damit interdependent
verbundene Struktur der Gesellschaft entspricht, in denen Individuen Kategorien
von Positionen einnehmen. Die Institutionen sind die eigentlichen
Garanten der Existenz von Sozietäten, weil sie diese u.a. gegen einen
nicht zu massiven Wechsel von Positionsinhabern immunisieren. Dies
können sie aber nur solange, wie freiwerdende Positionen – was immer
der Grund dafür ist – wieder angemessen besetzt werden. Die drastischen
Maßnahmen, mit denen etwa die DDR – um ein naheliegendes Beispiel zu
nehmen – dem Abfluß ihrer Bevölkerung Einhalt gebot, zeigen deutlich,
was geschehen kann, wenn einer Gesellschaft – oder sagen wir hier besser:
der regierenden Klasse – die Kontrolle über die Seßhaftigkeit verloren zu
gehen droht.
Die andere Seite der Medaille zeigt sich in den ebenfalls recht drakonischen
Maßnahmen, die die EG-Staaten und andere europäische Länder
seit Beginn der siebziger Jahre ergriffen haben, um die Einwanderung
zum Stillstand zu bringen oder sogar wieder rückgängig zu machen
33
(Rückkehrprämien für Ausländer in Frankreich und Deutschland). Diese
Tendenz hat sich in jüngster Zeit angesichts des Zustroms von Asylbewerbern
und illegaler Einwanderung noch verstärkt.
Der anhaltende Einwanderungsdruck, unter dem heute viele Gesellschaften
nicht nur in Westeuropa stehen, zeigt auf der anderen Seite,
daß in großen Teilen der Welt Gesellschaften bereit sind, ihre Mitglieder
aus der Kontrolle der Seßhaftigkeit zu entlassen, bzw. selbst dann, wenn
sie eine solche Kontrolle – zumindest selektiver Art – aufrechterhalten
möchten, dazu nicht mehr in der Lage sind.
Normierung und Institutionalisierung haben aber nicht nur eine Stabilisierungsfunktion,
sondern sind auch immer unter dem Aspekt der Selektion
von Strukturierungs- und Handlungsmöglichkeiten zu sehen. Aus
deren im Prinzip unendlicher Vielzahl wird eine vergleichsweise geringe
Zahl ausgewählt und als gewünscht und geboten deklariert, während viele
andere ausgeschlossen werden. Dies ist u.a. ein wichtiges Element in
Luhmanns Systemtheorie (Luhmann 1984), in der “ System“ mit der Aufrechterhaltuns
einer Selektionsleistung gleichgesetzt wird. Migration erscheint
dann als eine der Handlungsmöglichkeiten, die ausgeschlossen oder
in mehr oder weniger großem Umfang und kategorial differenziert zugelassen
sein können. Eine solche soziologische Sicht der Dinge erscheint
mir in diesem Zusammenhang insbesondere deshalb wichtig, weil damit
die Frage nach der “ N atur“ des Menschen, ob er ein prinzipiell seßhaftes
oder mobiles Wesen ist, für die Migrationstheorie an Brisanz verliert.
Das von Kubat und Hoffmann-Nowotny dazu Gesagte bleibt aber insofern
von Bedeutung, als die Migrationstheoretiker, die – ausgesprochen
oder unausgesprochen – eine seßhafte Natur des Menschen unterstellen,
aufgefordert sind, die Konsequenzen dieser Annahme zu überdenken.
Ich möchte aber noch einmal betonen, daß die systemtheoretische Perspektive
die Betrachtung von Wanderungen als Ergebnis individueller
Entscheidungen nicht obsolet macht, wobei an den Extrempunkten eines
gesellschaftlich definierten Entscheidungskontinuums ein Individuum
sich für die Migration als eine von vielen Optionen entscheiden kann bzw.
Wandern – z.B. im Falle der Vertreibung oder des drohenden Genodds als
einzige Handlungsmöglichkeit bleibt. Soziologen sind aber wohl beraten,
wenn sie sich primär mit den kulturellen und strukturellen Gegebenheiten
auseinandersetzen, die Migration mehr oder weniger wahrscheinlich
machen.
Dafür möchte ich abschließend eine neues Paradigma entwickeln, das
auf der Theorie struktureller und anomischer Spannungen aufbaut und sie
um Aspekte klassischer Ansatze ergänzt, von denen im Abschnitt 1 . 2. die
34
Rede war, zu denen in diesem Zusammenhang aber auch die Gesellschaftsperspektiven
von Hobbes, Freud, Norbert Elias und Luhmann gehören.
Die systemtheoretische Ausrichtung der Theorie struktureller und anomischer
Spannungen legt es nahe, letztlich eine Analyse der Weltgesellschaft
in ihren Teilen und als Ganzes ins Auge zu fassen. Eine Migrationsanalyse
wird deshalb nicht nur auf die Spannungen in einzelnen Gesellschaften
abstellen, sondern diese wiederum als miteinander verbundene
Teilsysteme des Weltsystems ansehen. Migration ist folglich nicht
in erster Linie abhängig von den Spannungen in einer Gesellschaft, sondern
von der Verteilung der Spannungen im Gesamtsystem. Erst deren
ungleiche Verteilung ist der Motor des Wanderungsgeschehens. Deshalb
könnte – um ein schon zitiertes Beispiel noch einmal aufzugreifen – die
DDR eine freie Ausreise in die UdSSR ohne das Risiko eines nennenswerten
Bevölkerungsverlustes gestatten, was aber nur schon in umgekehrter
Richtung eher nicht zu empfehlen wäre.
Die im vorhergehenden skizzierten systemtheoretischen Aspekte (System
als Selektionsleistung, die in dynamischer Perspektive ebenfalls auf
Dauer gestellt ist und damit soziokulturellen Wandel impliziert) sind nun
um kontrolltheoretische Momente zu ergänzen. Das heißt, daß Gesellschaften
nicht nur Handlungsmöglichkeiten selegieren, sondern auch kontrollieren
und sicherstellen müssen, daß nicht selegierte Handlungsvarianten
ausgeschlossen bleiben.
Vor diesem Hintergrund bedeuten die aus strukturellen Spannungen
sich ergebenden anomischen Spannungen eine Lockerung der Kontrollmechanismen
für Handlungsmöglichkeiten, zu denen dann auch die Migration
gehört. Die Kontrollmechanismen hat man sich nun nicht nur als
Kontrollinstrumente des Staates über seine Bürger vorzustellen, obwohl
diesen sicher in modernen Gesellschaften ein großes Gewicht zukommt.
Sie erstrecken sich vielmehr auf alle Ebenen unserer gesellschaftlich institutionalisierten
Existenz. Man darf aber annehmen, und hier beziehe
ich mich explizit auf Durkheim und Tönnies, daß Sozialsysteme, die auf
„organischer Solidarität“ beruhen (Durkheim) bzw. (mit leicht anderem
Schwerpunkt der Betrachtung) dem Typus „Gesellschaft“ (Tönnies) angehören,
in erheblich geringerem Maße mit “ Bindungen“ (z.B. solche familiärer
oder nachbarschaftlieber Art) als Kontrolle der Seßhaftigkeit rechnen
können als Sozialsysteme vom Typus „Gemeinschaft“ (Tönnies), die
durch „mechanische Solidarität“ (Durkheim) zusammengehalten werden.
Eine stärkere staatliche Kontrolle, die gleichsam eine Kompensation für
geschwächte Kontrolle durch soziale Bindungen darstellt, darf folglich postuliert
werden. Dafür spricht schließlich auch die Vermutung, daß der
35
Sozialisationsprozeß in komplexen modernen Gesellschaften in bezug auf
internalisierte Kontrollen im Vergleich zur Sozialisation in „Gemeinschaften“
defizient ist (was allerdings im Hinblick auf Entwicklung und Wandel
funktional ist). Zusammen mit der internen und externen Verteilung von
Spannungen erklären die verschiedenen “ Kontrollen“ dann im einzelnen,
welche Kategorien von Personen überhaupt bzw. in welcher Reihenfolge
sie als potentielle oder faktische Wanderer in Erscheinung treten.
Beim Vorliegen einer bestimmten Spannungskonfiguration, die in interdependenter
Weise Spannungen von der Ebene der Weltgesellschaft über
verschiedene sozietale Niveaus bis zur Ebene des Individuums umfaßt,
sind also die jeweils spezifischen Kontrollmechanismen, genauer: deren
Stärke bzw. Lockerung, weitere zentrale Determinanten der Migration.
Auf individuellem Niveau sind zu den externen zusätzlich internalisierte
soziale Kontrollen in Rechnung zu stellen. Schließlich ist auch noch zu
beachten, daß bestimmte Kontrollen selbst, z.B. solche, die soziale Mobilität
bestimmter Kategorien von Personen behindern oder verhindern, zu
einer Intensivierung struktureller Spannungen und deren Umsetzung in
anomische Spannungen beitragen können. Die Lockerung der Kontrollen
der Seßhaftigkeit kann dann instrumental für das Entkommen aus den genannten,
wie auch weiteren Kontrollen genutzt werden. In diesem Sinne
macht „Stadtluft“ ebenso frei wie “ Pilgerfahrt“ (Schmugge 1979). In diese
Kategorie der Betrachtung fällt aber auch der Auszug der Jugendlichen
aus dem Elternhaus, wenn diese mit Erreichen der Volljährigkeit ihren
Wohnsitz selbst bestimmen und sich damit anderen elterlichen Kontrollen
entziehen können. Anband dieser gleichen Deutung von scheinbar höchst
unterschiedlichen Phänomenen lassen sich meines Ermessens erneut die
Vorzüge einer umfassenden theoretischen Perspektive darstellen.
Die Betrachtung der Gesellschaft als eines systemisch organisierten Selektions-
und Kontrollmechanismus wirft die mit dem eben Gesagten schon
angedeutete Frage auf, ob denn Wanderungen – als Ausdruck gelockerter
Kontrolle – gleichsam die Existenz von gesellschaftlichen Freiräumen markieren.
Dies ist ohne Zweifel allenfalls nur partiell und temporär der Fall.
Die Erfahrung der Gegenwart und der Geschichte lehrt, daß Wanderungen
– nach einer vielleicht anfänglich anomischen und kontrollarmen Phase –
schon bald dazu tendieren, ihrerseits wieder institutionalisiert und kontrolliert
zu werden. Dies gilt für die Völkerwanderung ( Prokop 1976)
schon ebenso wie für die mittelalterlichen Pilgerzüge (Schmugge 1984),
die Wanderung der Handwerksburschen, die modt!rne Massenmigration
und schließlich auch für den Massentourismus, den man als temporäre
Migration einzustufen hat. Daß auch diese Art der Migration einen inter-
36
sozietalen Spannungstransfer darstellt, zeigen u.a. die entwicklungspolitischen
Diskussionen über dessen Auswirkungen auf die Dritte Welt.
Anders formuliert, kann man auch sagen, wenn Gesellschaften Wanderungen
schon nicht verhindern können oder wollen – z. B. weil Wanderungen
einen Spannungsabfluß bedeuten und damit der Sicherung des status
quo dienen -, so soll dieses Geschehen zumindest so weit wie möglich unter
Kontrolle bleiben. Das gleiche gilt selbstverständlich auch für die Seite
der potentiellen Einwanderungsgesellscha.ften, die sich durch komplizierte
Systeme von Einwanderungsgesetzen und -bestimmungen vor einem unerwünschten
Spannungstransfer zu schützen versuchen und deshalb ebenfalls
das Wanderungsgeschehen vollumfänglich zu kontrollieren trachten.
An zeitgenössischen wie an historischen Beispielen dafür ist ebenfalls kein
Mangel.
Ob ein gesellschaftliches Spannungspotential sich nun in Form von Völkerwanderungen,
Pilgerfahrten, “ Saubannerzügen“, dem Reislaufen, der
modernen Arbeitsmigration oder den jüngsten Asylantenströmen entlädt,
macht dabei theoretisch keinen Unterschied, ist allerdings über je spezifische
Anfangs- und Randbedingungen, in die je spezifische historische Situationen
eingehen, theoretisch zu antizipieren und empirisch-systematisch
zu belegen. Damit ist erneut auf die unabdingbare Notwendigkeit eines
Zusammenwirkens von theoretischer Arbeit auf der einen und empirischhistorischen
Untersuchungen auf der anderen Seite hingewiesen.
Mit der ebenfalls historisch vielfach nachweisbaren Institutionalisierung
von Migration können Wanderungen schließlich eine kulturelle und strukturelle
Eigendynamik entfalten, die sich damit auch von der Konfiguration
lösen kann, die ihnen ursprünglich einmal zugrunde lag. Für bestimmte
Kategorien von Personen können ganz spezifische Typen von Wanderungen
dann zu einer kulturellen Selbstverständlichkeit werden (z.B. temporäre
oder dauerhafte Saisonarbeit aus bestimmten Regionen) oder sogar
vorgeschriebener Teil der Normalbiographie werden (z.B. Pilgerfahrt
der Moslems an ihre heiligen Stätten), von dem man sich nur unter genau
definierten Bedingungen dispensieren kann.
Damit erscheint der Kreis geschlossen, in dem die Betrachtung der Migration
als eines anomischen, soziale Kontrolle sprengenden Phänomens
begann und als eines Geschehens endete, an dem teilzunehmen nicht nur
kulturell selegierte und normierte Möglichkeit , sondern transzendental
verankerte Pflicht wird.
37
4 . SCHLUSSBEMERKUNGEN
Es wäre vermessen zu behaupten, die hier entwickelte Theorie vermöchte
das Phänomen Migration vollumfänglich zu erklären oder könne gar als
definitiv und abschließend angesehen werden. Ungeachtet dieser selbstverständlichen
Skepsis halte ich sie aber für einen substantiellen sozialwissenschaftlichen
Ansatz, der eine trag- und entwicklungsfähige Grundlage
für die Zusammenarbeit von Soziologen und Historikern bieten kann.
Auch wenn, wie ein Historiker ( Fritzsche 1984) meint, „die theoriefaule
und eklektische Geschichte“ (3) sich bei ihren Nachbarwissenschaften (von
denen sie, wie er sagt, gerne „borgt“) einem „embarras de riebesse von
Modellen und Theorien gegenüber (sieht)“ (4), so hat es an Theorien,
die sich letztlich nicht auf Leerformeln reduzieren lassen, durchaus noch
Mangel.
Wenn die Geschichte wirklich „borgt“, dann wäre dies ein Hinweis darauf,
daß die alte Kontroverse darüber, ob Geschichte sich nur dem “ Individuellen“
, die Soziologie sich aber dem fiir Historiker wenig fruchtbaren
“ Allgemeinen“ widme, als überwunden zu betrachten ist.
Wenn ich die in jüngerer Zeit im wesentlichen von Historikern (Wehler
1973, 1984), zum Teil aber auch von Soziologen (Lepsius 1976) sowie von
beiden gemeinsam (Ludz 1972) geführte Diskussion richtig interpretiere,
dann ist dies in der Tat der Fall. So darf man denn davon ausgehen,
daß die Geschichtswissenschaft ein “ klares Theoriebewußtsein“ (Wehler)
und die Soziologie (wieder) mehr “ historisches Bewußtsein“ entwickelt
hat. Dies wäre ein Sachverhalt, der sicher nicht die schlechteste aller
Möglichkeiten darstellt.
38
Ablauf
Phase I
c00 :I
Ee … -.lil .. N
Phuc ll
.J:! );..
..
􀂰
Abhlngtge Variable
Handlungtberelbchafl
Intervenierende Variablen
Motive. Wahrnehmungen. EinsleiTungen
&falvunll – ReYilion
„T Motive Re.l•• Sei􀃈􀃉Uon Wahrnehmungen 􀀄 Einstellungen
T
Handlungsbereitschaft -+— DeprivaUon
hoch niedrig hoch • niedrig
Unabhangt ge Variablen
Umwelt • Informationsstock
1. Physiologie des Individuums
2. Physhch·geographbche Umwelt
a) baulich b) kllmaUech
c ) Llrm 1*3· Soziale Umwelt
a) Verkehrskreise
c) Familienrolle
4. Ökonomieehe Umwelt
a1 Berufsrolle
c) Eink./Besltz
S. Kulturelle Umwelt
a) Sozlalhalionstrlger
c) Informalionsmedien
d) verkehrstechnisch
b) Bezugsgruppen
d) offenUiche FunkUonen
b) Branchenzugehortgkt./Zuk.
d) reg. okon. Struktur
b) offenu. lnsUtuUonen/
Verwaltungen
Wanderungsbetel bchaft MoU ve. Wahrnehmungen. Einstellungen Umwelt • Handlungsalternativen
IM•· ..I 􀀅
!: :::: : I W ahmehmungenl
34.• ….. / • • • •d• S. Wan esung I EinstellungenI
n • • • • • •
1 . Möglichkeiten der RedukUon der Deprivation
a) ohne geographische Verlnderungen
• Seßhaftigkeit
++- b) mit geographischen Verlnderungen
• W anderungsberei bchaft
2. Hlndernlue
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42
FEMALE MIGRATION AND THE LATE MEDIEVAL
TOWN
GRETHE JACOBSEN
Although the myth of the immobile medieval man and wo man still appears
in the Iiterature on occasions, most historians have come to realize the
extensive geographical mobility of the medieval population. The sources
reveal people on temporary moves (pilgrims, commercial travellers, students,
journeymen) as weil as people engaged in permanent removals.
Among the latter, migrants from the countryside to the cities have attracted
some attention by historians working on the urban population
and its origin ( 1 ).
The Iiterature has focused on the geographical and social background of
the urban immigrants but has not dealt with the issue of gender, although
Bücher a century ago brought to attention the fact, that cities seemed
to attract single women and that taxlists and other quantitative sources
revealed a surplus of women in the cities of late medieval Europe (2).
Lately his figures have been disputed and it is now clear, that some cities
had a surplus of women, while others apparently had a surplus of men (3).
Neither of these conditions can be explained by human biology but must
have their roots in the social and economic situation of the period, which
bindered or furtbered migration of women and men from the countryside
to the town and from one town to the next.
In order to understand the dynamics of migration in Iate-rnedieval Europe,
as weil as in preceeding and succeeding periods, it is imperative
that we use gender as an analytical tool in theoretical and empirical discussions.
Are we dealing with male mobility complemented by female
stability? ls it a case of women remaining in one place, thus assuring
continuation and offering means of smoothing the (re)entry into a stable
life of male migrant? Or, do we find that both women and men migrate?
It is the latter case that will be discussed in the following with the focus
on the single female migrant moving into the city during the later Middle
Ages. The conditions under which she undertook her move was different
from those of her male counterpart, and until we understand her situation
as weil as his, we shall not be able to understand more than half of the
pattern of migration.
The questions: what group of women chose to move to the cities, why
did they migrate, and how were they received, were not raised by Bücher
43
nor have they, to my knowledge, been discussed since. It is my purpose
here to discuss these issues within the theoretical framework of modern
feminist theory. Needless to say, I can not provide any answers yet, but
I hope the questions will stimulate research in the field of migration and
geographical mobility whereever the sources will allow conclusions.
The surplus of women, that Bücher noted, was seen by him as a problern,
as he indicated in his title “ Die Frauenfrage im Mittelalter“. The
main question, which his findings prompted, was: “ was wurde im Mittelalter
aus den zahlreichen Frauen, die ihren ’natürlichen Beruf‘ zu erfüllen
verhindert waren“ ( 4). The single women had to find not merely an alternative
to their “ natural profession“ , but the means to earn a living
independently, and thus caused a rupture in the social and economic fabric
of Iate-rnedieval urban society.
Bücher assumed that women belonged in a seperate place in a maleoriented
world. The same assumption can be found in modern feminist
theory of the 1960s and early 1970s, which focused on the private women’s
sphere, separated from the public sphere of the men (5). However, while
male historians have dismissed this sphere from history, feminist historians
made it the primary object for historical analysis. For the history of
migration this focus on the home meant, that no one dealt with the single
woman on the move, and it has not been discussed in a recent general
survey on women in the Middle Ages by Edith Ennen. She concludes
that the numerical relation between the sexes remains an important issue,
whether in fact we are dealing with a surplus of women or of men, but
she does not say why it is important and what the causes were (6).
The numerical inequality of the sexes in the Iate-rnedieval town and the
implications for the study of female migration have remained a “ Frauenfrage“,
a question of the separateness of women or a statistical oddity. In
order to combine these distinct views, we have to turn to the American
feminist historian and theorist, Joan Kelly, who in 1976 argued that a
fundamental aspect of future historical research would be „the social relation
of the sexes“ (7). In 1979 she stated that “ women’s place is not a
separate sphere or domain of existence but a position within social existence
generally . . . Woman’s place is to do women’s work – at home in the
Iabor force“ (8).
We must, accordingly, view female migration from a general perspective
of women’s work and role in competition or cooperation with men’s
work and role. We shall have to discard the preconception that it is a
question of one gender ( “ the second sex“) emulation or deviating from
the patterns established by the other gender. Instead we ought to Iook at
44
the relation between the sexes in the urban society and economy of Iaternedieval
Europe, at the sexual division of labour and at the compatibility
or incompatibility of formal structures (craft guilds, for example) to the
male and female lifecycle (9). This way we shall be able to discover the
social, marital and economic status of the female urban immigrants, their
motives for migrating and their reception in the city.
The obvious sources for migration in Iate-rnedieval Europe are the statistical
accounts available, primarily taxlists. The problern is that practically
all such lists were compiled for fiscal or military purposes, not
to provide an accurate count of the population. Some sources, like the
Florentine Catasto of 1427, will provide a fairly complete picture of a population
at a given time and place (10) but most tax- and hearthlists will
name only a selection of the population, namely those heads of households
who were wealthy enough to pay taxes or able to do military duty either
in person or by proxy. Thus, the purpose for redacting the statistical
surveys that survive from the later Middle Ages has the effect of making
men more visible than women, as male heads of households will appear as
a rule, and female heads of households will appear as the exception. For
cities, like Cologne, which acquired its income from indirect rather than
direct taxes, even such lists will not be available ( 1 1 ) . Similarly, lists of
new citizens will rarely reveal women, as they could not formally acquire
citizenship in the European cities, although there are exceptions ( 1 2 ) .
Less obvious, but perhaps more rewarding sources for female migration
are court records, probate records and wills that refer to the geographical
origin of the women involved or mentioned in the record or will, thus
inadvertently revealing if any of them have migrated. The search through
this material will be laborious but rewarding in particular in regard to
female migration. While this evidence will not give absolute numbers, the
historian will be able to find indicative numbers as weil as descriptions of
the circumstances and/or the motives of some female migrants (13).
A third type of sources are the normative sources, such as town laws
and ordinances. These cannot supply accurate numbers of female migrants
either, but will reveal if there were several categories of female
immigrants. The laws can also supply information of how the lawmakers
perceived female migration. Are there attempts to hinder or to encourage
female migration ? Are single, mobile women seen as a problem? Ordinances
dealing with servants and employment agencies deserve particular
attention. Merry Wiesner has already discussed the ordinances of the
South German cities during the Reformation period ( 14). The presence
of agencies and the attempts to regulate the relationship between domestic
45
servants and employers strongly indicate that young women were migrating
to the cities in numbers that warranted some form of regulation and
control. Employment agencies are not mentioned in Scandinavian towns
during the later Middle Ages but it seems plausible that they would be
found in other countries. A study of how the towns received the young
women, who arrived looking for employment, and how they channelled
them into domestic services, would appear a rewarding one.
Finally, one must not overlook the literary evidence of the period. Do
the ballads, tales or plays describe either positively or negatively single
wandering females? Can we hear the voice of the female migrant herself?
If the analyses of the source material reveal or indicate a surplus of
women, one must ask first, if indeed it is a question of an actual surplus.
Did the urban population in question contain more women than men, or
do the sources merely teil us that a number of women were to be found
outside the traditional male-headed household? It is to be remernbered
that one can rarely teil if a male taxpayer or citizen, noted in a Iist,
is single. Are we in fact dealing with a society which contains a large
group of unmarried people, women as weil as men, or with a society
whose unmarried men are members of the clergy or monks, who remain
unmarried by choice, while its unmarried women may be so either by
choice (nuns, beguines) or as a result of a shortage of eligible men?
The second question to be raised concerns the constancy of the group of
single women. The size of the group may prove to be stable over time, but
the membership may change rapidly. In cases, where consecutive taxlists
are available, the historian should try to identify the women listed to
ascertain how many reappear for an extended period. A study of three
consecutive taxlists for the years 1 5 1 7- 1 5 1 9 from the {then) Danish city
of Malm􀚾 reveals that of 84 women listed in 1517, 53 {=63,1%) reappear
as taxpayers in 1 5 1 8 and 42 (=50%) in 1 5 1 9 , while the number of female
taxpayers remains fairly constant {84, 93, 81 = 15,4%, 15,9% and 1 3 ,5% of
the total number of taxpayers) ( 1 5 ) . Several of the “ disappearing“ women
may well have emigrated while others may have married and thus became
represented by their husbands in the taxlists.
This suggests that marital status is an important factor in the analysis
of sources concerning women, just as it was an important factor in the
Jives of medieval women. Büchers remark about the problern being that
women were denied their natural profession was not far off the mark albeit
his reasoning and assumptions had little to do with the reality of medieval
life. Being married did not mean that a woman found her natural callmg:
the issue is really that the social and economic activities of the city
46
offered the best opportunities for a couple who worked together either as
partners or independently but both contributing to the household ( 16).
As Edith Ennen has aptly phrased it “ Heirat macht frei in der Stadtluft!“
(17). Both men and women benefitted from marriage but each gender
experienced the benefits differently. Marriage was an integral part of the
man’s career and his social and economic position, while it changed the
career and position of the woman.
One of the motives of the younger female migrant seems to have been to
search for a busband or for means to attract a husband. It has been showed
that maids in Southern Europe worked in major households without a
salary in return for support and a dowry when they reached marriageable
age ( 18). One could argue that the maids we find in the smaller household
of artisans similarly hoped to acquire a dowry as weil as some of the skills
required of an artisan’s wife. These young women would also have the
opportunity to meet a group of male migrants who would one day be
looking for a wife, namely the journeymen ( 1 9 ) .
The problern with marriage was that i t was difficult t o plan for although
it made such an impact upon the lives of women. A young man would
migrate in search of an apprenticeship or wander from town to town during
his years as a journeyman knowing clearly his goal, acquiring recognized
skills and also being able to plan when and where he could become a
master and marry. A young woman would migrate in search of a busband
to gain a position as a partner in a craft or trade she would not know i n
advance, whose specific requirements she had no way of preparing herself
for, and the length of her period of general training {in urban households
skills) would be an unknown factor.
Once married, a woman could not count on remaining so, merely by
keeping qualified for her position. If her busband died, her situation
changed and she may well have been forced or preferred to migrate in
order to support herself or her children, moving either from the country
to the city, from one city to the next or returning to the place she had originally
come from. As widows become very visible in the sources, charting
the migration of this group of women would be an easier task than finding
their younger, unmarried sisters. According to the information gleaned
from the Florentine catasto of 1427, the young people, especially the men,
dominate the migrant group. However, older women who become heads
of households appear to be much more mobile that older men. Among
the upper classes, the landowner’s widow would be moving to a town to
enjoy life as a rentier, leaving the administration of her estate to the new
generation, or the merchant’s widow returning to her hometown or to the
47
city where one of her children lived, but most older female migrants were
women from the middle and lower strata of society, searching for new
means of sustenance, predominantly in the major towns of Tuscany. In
general, migrant households had less wealth, supported fewer people and
were more frequently headed by women than stable households (20).
Sometimes the cessation of a marriage could be arranged by the woman
simply by running away. Danish evidence reveals some examples of this
during the early sixteenth century, one woman arriving in Scania from
afar away as Scotland ( 2 1 ) . Cases of runaway husbands and wives appear
in the records of Malm0 during a period when the city council had
usurped the right to decide on marital issues, including the granting of divorces
(22). It would be wise, then, to search also for matrimonial troubles
among the motives of migrating women, particularly during the sixteenth
century, when religious and subsequent institutional changes made it possible
for women and men to change their marital condition. The records
of ecclesiastical as weil as secular courts can be used for the purpose of
tracing this form of migration, noting both the means, motives, social
background and routes of the run-away spouse as weil as determining the
difference between the sexes. Which spouse would be more likely to leave
and who would have the best chance of establishing a new life elsewhere?
Common for all female migrants was that they had to find a way to
support themselves, until they were able to enter or reenter into a partnership/
marriage. Bücher viewed the work of women exclusively as attempts
to solve the problems facing single women, resulting from the surplus of
females (23). He was not altogether wrong in stating the issue thus. Medieval
people, like people in pre-industrial societies in general, lived with a
precarious balance between resources and demands. Covering basic needs
(food, housing, clothes) occupied the major part of the working lives of
the majority of people (24). One must, however, differ from Bücher in
assuming that single, working women would be an anomaly and that only
work done independently and outside the house counts as work. As Joan
Kelly said, women’s work is the work women perform inside or outside
the household. Again we must examine the surplus to see if women were
single because there was no alternative or if the city offered opportunities
for single women to make a decent living. It is my contention that
a visible group of unmarried people will become a problern only if a society’s
economic and social structure is based exclusively on partnership
between men and women, leaving no room for single women and men.
The problern could then have its roots in the economic reality but also in
the mentality of the society. Single women in particular may be perceived
48
as a threat both to the economic stability of the city and to the social
order of a patriarchal society.
That this was not entirely the case during the later Middle Ages can be
seen in practically every study of women in the medieval town. Bücher
hirnself found to his surprise women active in trades and crafts in spite of
the often extremely restrictive views aired in the normative sources such
as guild statutes. Subsequent studies have similarly uncovered women
participating independently as weil as in cooperation with their husbands
in the economic activities of the towns, albeit with Variations from town to
town (25 ). In addition, sources like the Florentine Catasto, have revealed
a not inconsiderable nurober of households consisting of single women and
men in the Tuscan cities. Ennen suggests that this was not uncommon in
other European towns of the late Middle Ages (26). This means that it
was not uncommon for women to live outside the patriarchal household.
We should be able to utilize this observation to go further whith the
issue of the motives of the female migrants as weil as their reception.
What cities attracted female migrants? Obviously, towns with a mixttue
of different crafts and trades, not too rigidly structured, would be the
primary goals for female migrants (27). One town could be Paris which
had several crafts and trades open to women and even organized crafts
exclusively exercised by women. This assumes, of course, that economic
considerations were the dominating factors in the motivation of the female
migrant.
There may also have been less material motives. “ Realizing oneself‘ ,
„fulfilling one’s potential“ or seeking „meaningful employment“ as a woman
and as a human being are modern ideas, which one may use, but
with caution, in order to avoid the danger of being anachronistic. We are
dealing with a Christian society, where any idea of realizing oneself and
fulfilling one’s potential meant perfecting oneself as a Christian, seeking
salvation either through the accepted channels (private prayers, attending
church ceremonies, entering a convent or a beguine house, and exercising
charity) or through unaccepted channels (joining a heretical movement).
From this viewpoint we should also explore female migration based on
religious motives. Apart from the followers of heretical sects, more often
than not on a permanent migration or flight from authorities, do we find
that cities which offered opportunities for a religious life also attracted
many single women? Was the multiplication of beguine houses in Northern
Europe the result of female migration to the cities or could they also
be seen as a cause? Did a city like Cologne attract an extraordinary
nurober of women by offering economic opportunities in one of the many
49
trades and crafts open to wornen as well as irnmaterial rewards in one of
its beguine houses (28)?
Finally one should also Iook at towns, dominated by ecclesiastical institutions,
prirnarily episcopal and archiepiscopal cities. While priests,
canons and other rnembers of the clergy could not marry, they could
employ women as housekeepers and cooks and may weil have offered opportunities
for women to utilize their household skills outside marriage,
offering economic as weil as religious rewards.
Turning to the reception of the fernale migrants, the question arises how
women were able to affiliate with, and thus formally be recognized by the
city they arrived at. The formal way of affiliating was by taking out citizenship,
and, with few exceptions (29), this was something reserved for
adult, economically independent males, like merchants, tradesmen and
artisan rnasters. Women could not formally acquire citizenship but marriage
to a citizen and residency for a period in a town tended to bestow
a sort of informal citizenship on the woman, that she kept after she was
widowed (30). In Denmark, the term “ borgerske“ (burgheress, female
citizen) was applied, during the later Middle Ages, both to married and
single wornen who had the rights as weil as the obligations of a citizen
(31). Marriage seems to have been an important factor also for gaining
access to the economic activities of a town.
The issue of citizenship, or more accurately, the opportunity to affiliate
formally with a place is important to the study of female migration. For
one, the more formally female immigrants could affiliate with the city
of their destination, the more sources were generated to show arrivals
of women in the town. For another, the formalization of the reception
of female immigrants would indicate an acceptance of female migration,
just as a change in the formal acceptance of them indicates a change in
attitudes. Finally, sources dealing with female immigrants compiled on a
regular and reasonably complete basis may also contain information on
the geographical origin of the female migrant.
It appears that the sixteenth century witnessed an increase in restrictions
placed on women outside the household, not in the least in Lutheran
countries (32). Does this signify an increase in female migration, straining
the economic and social fabric of urban society, or a change on the attitude
of the men in power, now perceiving single women as a threat (whether
real or imagined)? It has been recognized that the century witnessed an
increasing gap between rich and poor, an acceleration of the development
begun after the Black Death. Did poorer women tend to increase in mobility
in search of work and/ or charity or were their migrations restricted
50
so they had to rely on charity?
Instead of a conclusion concerning female migration, I shall propose
the following hypothescs which may be confirmed or rejected by future
studies:
The single women who migrated to the Iate-rnedieval towns were primarily
young women and widows, that is, women moving before and after
marriage, whereas men would migrate during their early years until they
settled in a city to practise a craft or trade and to marry. I do not exclude
the possibility that married couples migrated, indeed this seems to have
been a not infrequent occurrence (33). But in this case the migration
would be an experience shared by the man and the woman. When migrating
as single, either sex would move according to the pattern of its life
cycle, which for men meant migration during the early part of adulthood,
while for women it meant migration during early as weil as late adulthood.
The geographical extent of female migration is at the moment very
hazy. What seems important for female migration is one, that the move
was not a goal in and of itself, as it might be for the journeyman or the
merchant-apprentice, but a means to reach a goal, and two, that women
may have undertaken several moves. Danish sources reveal that women
not only migrated from the countryside to the nearby city but also from
one town to the next (34).
What motivated the female migrants was primarily the search for a
livelihood, temporarily for young women, more permanent for older women.
A specific goal seems more characteristic of male than of female
migrants. Apart from those cities where a young girl could be engaged as
an apprentice in a craft, exercised by women ( the silk- and goldspinners
and weavers of Lyon, Paris and Cologne for example), women would Iook
for a place in the urban economy not reserved for men. Most likely, older
women, especially widows, would have mare definite plans or ideas about
how to find this, while younger warnen would know that the place they
found in all likelihood would be temporary, ending at an undetermined
paint in marriage. Exceptions to the search for a livelihood would be the
wealthy women of the landowning dass or mercantile elite, who would
migrate to a nearby town, to their hometown or to the town where a
daughter or a son resided, in order to live off their income.
Where did women go, when they decided to mave? Whether they went
ta the nearest town or travelled further, warnen had several choices in the
more urbanized parts of Eurape. They prabably went to a city which i n
their eyes offered a wide range a f opportunities, embodied in the visibility
of women working outside the home or combining work in the household
5 1
with work outside. These opportunities might entail work requiring traditional
female skills but not perfonned as a married woman, work offering
opportunities for acquiring the skills of an urban housewife, work in certain
crafts performed by women, or work usually reserved for men but due
to labour shortage, especially after the Black Death, also open to women.
How were the female migrants received when they reached their destination?
The female migrants have been seen as a problern by modern historians,
but indications are that during the fourteenth and fifteenth centuries
they were not considered a problem. The reasons may be many: society
was more open to independent women, women provided welcome labour,
women increased the city’s economic activities and thus contributed to
the wealth of the city, indirectly by stimulating the economy, directly by
paying taxes. The latter motive should not be underestimated. Both parties
benefitted from taxation. The city magistrates acquired additional
income for the city’s finances and women gained indirectly an acceptance
as citizens, that is, as independently working women, engaged legally in
a trade or craft (35).
All studies of women in the Iate-rnedieval city seem to agree that during
the sixteenth century restrictions placed upon women working and living
outside the patriarchal household increased. Whether this was due to
ideological or economic pressures is not clear at present. Most likely, it was
a mixture of both. The development may have had two consequences for
female migration. On the one hand, it may have slowed female migration
down considerably by removing the motives for migration and by creating
obstacles for rather than extending a welcome to arriving women. On the
other hand, the development may also have increased the number of female
migrants and the geographical extent of female migration, as women could
be searching further for opportunities to earn a decent living. It is not
unlikely that the migrant group changed from being composed of women
from all classes, young as weil as old, single as weil as widows, to consisting
of older women, often with children, from the lower classes desperately
looking for a way to make a living, while women of the middle and upper
classes stayed home and became domesticated (36).
While no Ionger participating in the migration, these women still performed
an important function by alleviating the disruptions which male
migration might cause. The relationship between stable, resident women
provided networks that stabilized a society during the absences of part of
its male members (37). The same type of women also helped male immigrants
become integrated into their society and they offered the means
for ambitious male outsiders to enter an oligarchy through marriage (38).
52
Very likely, women had fulfilled this role also in the Middle Ages but it
appears that during the Early Modern Period it became the only role that
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of Women’s History, in: Signs: Journal of Women in Culture and Society 1, nr. 4
(1976), 809-23.
8) Jonn Kelly, The Doubled Vision of Feminlst Theory, in: Sex and Clnaa in Women’s
History, ed. Judith L. Newton, Mnry P. Rynn and Judith R. Walkowitz, (History
Workshop Series) London 1983, 264, (originnlly published in: Feminist Studies 5, nr.
1 (1979}, 216-27).
9) For n discussion of this sec Nntalie Zernon Davis, Women in the Crafts in Sixteenth-century Lyon, in: Feminist Studies 8, nr. 1 (1982}, 46-80; Grethe Jacobsen,
Economic Progress and the Sexual Division of Labor: The Role of Guilds in the LateMedievnl
Danish City, in: Alltag und Fortschritt im Mittelalter (Veröffentlichtmgen
des Instituts für mittelalterliche Realienkunde Österreichs 8 = Sb. Ak. Wien, phil.
hist. Kl. 470) , Wien 1986, 223-237.
10} David Herlihy – Christinne Klapisch-Zuber, Les Toseans et leur fnmilles: Une
etude du catasto Horentin de 1427, (Editions de l’ecole des hautes etudes en sciences
sociales) Paris 1978, chnp. 2-3; Eng. ed. Tuscnns and Their Families: A Study of the
Florentine Catasto of 1427, New Hnven 1985, chap. 1 .
11} Mnrgret Wensky, Die Stellung der Frau i n der Stadtkölnischen Wirtschaft im
Spätmittelnlter, (Quellen und Darstellungen zur Hansischen Geschichte, N.F., Bd. 26)
Köln 1980, 315.
12) Wensky, Stellung, 14-18; Edith Ennen, Die Frau in der mittelalterlichen Stndtgesellschnft
Mitteleuropns, in: Hansische Geschichtsblätter 98 (1980), 9-11.
13} I hnve used this kind of source material from the Swedish (then Danish) town of
Malm􀃿, covering the yenrs 1503-1559, in order to uncover ferne.le migre.tion to and from
the city in my e.rticle “ K vindelige indvnndrere i Malmi!S i f􀃿rste halvdel af 1500-tallet“ ,
in: Frornhed og verdslighed i middelnlder og ren�rssnnce: Festskrift til Thelme. Jexlev,
ed. Ebbe. Wnaben, Kirsten Bendixen, Grethe Jncobsen, Kirsten Jexlev og Marianne
Johnnsen, Odense 1985, 86-94.
1 4) Merry Wiesner, Working Women in Renaissance Germany, New Brunswick, NJ
1986.
15) Based on my nnnlysis of the lists in Lyder van Fredens Kämniirsräkenske.per för
Malm􀃿, 1 5 1 7-1520, ed. Leif Ljungberg, Malmi!S 1960.
53
16) Barbara Kroemer, Über RechtsstellWlg, Handlungsspielräume und Tätigkeitsbereiche
von Frauen in spätmittelalterlichen Städten, in: Staat und Gesellschaft in Mittelalter
und Früher Neuzeit. Gedenkschrift für Joachim Leuschner, hg. vorn Historischen
Seminar der Universität Hannover, Göttingen 1983, 141-42: „die Sicherung der gemeinsamen
‚Nahrung‘ überwiegend nicht durch die uns heute klassisch erscheinende RollenverteilWlg
– Erwerbsarbeit des Mannes, Hausarbeit der Frau – gewährleistet wurde,
sondern dadurch, daß meist beide Ehepartner im Handel oder Gewerbe oder Diensten
tätig waren“ .
1 7) Ennen, Stadtgesellschaft 8.
1 8) Herlihy – Klapisch-Zuber, Toseans 322, 331, n. 19 (Tuscans, p . 1 1 2 , n. 41).
1 9) Davis, Women 52-53. In a shoemaker’s home in Malm􀄢 in 1538 the maid and
one of the two journeyman got into a fight after the maid had played a practical joke
on the journeymen with sexual overtones. In this case the result was a blue eye to the
mcid rather thcn a proposal of marriage. The fight developed into a battle between
the journeyrnan cnd the municipal guards and was therefore recorded in the town
book, printed as Malm􀄢 rödstueprotokol (Stadsbok) 1503-1548, ed. Erik Kroman,
Copenhagen 1965, 141-42.
20) Herlihy – Klapisch-Zuber, Toseans 322-24 (Tuscans, 1 13 n. 42).
21) Register of the Minister, Elders and Deacons of the Christian Congregation of
St. Andrews, Comprising the Proceedings of the Kirk Session and of the Court of the
Superintendent of Fife Fothrik and Strathearn 1559-1600. 1 : 1559-1582, ed. David
Hay Fleming, (Publications of the Scottish History Society ), Edinburgh 1889, 44-50.
22) Grethe Jacobsen, Women, Marriage and Magisterial Reformation: The Case of
Malm􀃿, Denmark, in: Pietas et Societas, New Trends in Reformation Social History:
Essays in Honor of Harold J. Grimm, ed. Kyle Sessions and Ph.illip Bebb, (Sixteenth
Century Essays and Studies IV), Kirksville, MO 1985, 57-77.
23) Wensky, Stellung 3: „Die Frauenarbeit im Mittelalter verstand er daher ausschließlich
als ‚Frauenerwerbsfrage'“.
24) Even wealthy families would spend a good part of the household money on food,
as is apparent frorn the household books of Hermann Goch, a merchant from Cologne,
from the years 1391-94 (printed in Ennen, Frauen 167).
25) Kroemer, Rechtsstellung 136-37.
26) Herlihy – Klapisch-Zuber, Tuscans, table 10.1 (p.292); Ennen, Frauen 143.
27) Similarly Kroemer, RechtsstellWlg 138: „Es scheint, daß in Groß- und Mittelstädtenmit
differenzierter Wirtschaftsstruktur ( Exportgewerbe) der Handlungsspielraum
für Frauen am größten war“.
28) Wensky, Stellung 38-40. For a general survey see E.W. McDonnell, The Beguines
and Beghards in Medieval Culture, New York 1954.
29) In Cologne, women could acquire citizenship, however, few actually did. Cf.
Wensky, Stellung 14-18.
30) Ennen, Frauen 189.
31) In 1418 a widow, Kathxine Jenskone of Ribe, donated her house and property
to the city council on the condition that she could reside in the house for life free of
all tax, services and work, that she was obliged to render to the city „schad, deenst
unde arbeit, des se plichtich were to unser stad to d􀄢nde“ (Repertorium diplomaticum
regni Danici rnediaevalis, nr. 5701, 1418 19/2) . Kathrine was called „our co-citizen“
( mede borghersehe).
32) Kroemer, Rechtsstellung 147; cf. Merry Wiesner (Wood), The Death of Two
Marys: Images of Fernale and Feminine in Luther, paper presented at “ Church and
Society History Workshop“ London July 7-9, 1983.
54
33) Most Danish town laws contain a paragraph stating that if a citizen and his
household was absent from the city for more than ‚a year and a day‘ ( =one year and
six weeks) he would forfeit his citizenshlp. Similarly, statutes of Danish craft guilds
refer to married masters leaving or arriving in a town, indicating that migration of
mnrried couples was not an uncommon occurronce. For a direct reference see „Arhus
Borgerbog 1471-1550″, transcr. by Poul Enemnrk, (Arhus, Erhvervsarkivet. TS) fol.
48r (1528), concerning a citizen who had to pay 24 shilling (hnlf the regular fee) for a
renewal of citizenship ‚as he had been nway from the town‘.
34) Jacobsen, Kvindelige indvandrere, cf. Ennen, Frauen 145, on the migration into
Lübeck from the West and from Lübeck to the East.
35) At least this was the case i􀇉 Denmark os the records from the town of Elsinore
show. In 1 5 6 1 , five women were summoned to the city hall where they were told
henceforth they were exempted from all taxes and duties and thus had no Ionger any
right to engage in trode. The reason for this decision by the city council was that
the women hod used illegal· methods in their Irade (Helsing!l!r Stadsbog, 1649-1566:
Rildstueprotokol og bytingbog, ed. Erik Kromon, Copenhagen 1971, 93).
36) Kroemer, Rechtsstellung, 147-48. Cf. Heide Wunder, Zur Stellung der Frau
im Arbeitsleben und in der Gesellschaft des 16.-18. Jahrhunderts. Eine Skizze, in:
Geschichtscüdaktik, H.3 (1981), 239-251.
37) Stanley Chojnacki argues in hls “ Patrician Women in Early Renaissance Venice“
, Stucües in the Renaissance 21 (1974), 176-203, that the network of patrician
women in the kinshlp groupings, running counter to the heavy patrilineal orientation
of the patrician men contributed considerobly to „achleving the celebrated integration
of the Venetian patriciate society in the Renaissonce“ (203).
38) Mary Prior, Women and the Urban Economy: Oxford 1500-1800, in: Women in
Englieh Society. 1500-1800, ed. Mary Prior, London 1986, 100-102.
55

Ü BERLEGUNGEN ZU KRIMINALITÄT UND .. ..
MOBILITAT IM S P ATEN MITTELALTER
HERTA MANDL-NEU MANN
Der Versuch, die Kriminalität im spätmittelalterlichen Österreich auf empirischer
Basis zu erforschen, bedeutet, Neuland in der Österreichischen
rechtsgeschichtlichen Forschung zu betreten. Daher kann ich hier noch
keine fertigen Ergebnisse, sondern nur einige grundsätzliche Vorüberlegungen
anbieten. Hierfür erscheint es zunächst notwendig, zu klären, was
ich unter dem Begriff “ Kriminalität“‚ in diesem Zusammenhang verstehe.
Vor allem in der Kriminologie hat es sich eingebürgert, unter “ Kriminalität“
Verstöße gegen das Strafgesetzbuch, die von Strafgerichten geahndet
werden, zu verstehen. Diese enge Begriffsdefinition erscheint für
eine historische Betrachtung wenig zielführend, da die Zuordnung eines
Tatbestandes zum Straf- oder Zivilrecht selbst das Ergebnis einer historischen
Entwicklung ist, die in dem uns interessierenden Zeitraum erst
einsetzt. Weiters ist durch Kriminalisierungs- und Entkriminalisierungsvorgänge
der Umfang des Strafrechtes in historischer Perspektive keineswegs
konstant. Auch die stärkere räumliche J:?.ifferenzierung des Rechts
im Spätmittelalter spricht gegen eine direkte Ubernahme moderner Zuordnungskriterien.
Ich möchte daher einen weiten, elastischen Kriminalitätsbegriff verwenden,
der vom Begriff des abweichenden Verhaltens ausgeht. Da dieser
aber zu allgemein ist, soll er dahingehend eingeschränkt werden, daß nur
jene Formen abweichenden Verhaltens zur Kriminalität gerechnet werden,
die gerichtliche Verfolgung nach sich zogen. Diese Modifikation erscheint
auch durch die Quellensituation gerechtfertigt.
Die traditionelle Forschung im deutschsprachigen Raum rollte bisher
zumeist die Geschichte der Kriminalität von der Gesetzgebung her auf, so
daß daraus eine Geschichte des Strafrechts entstand, in der mehr oder weniger
systematisch gesetzliche Bestimmungen aus verschiedenen Räumen
und Zeiten aneinandergereiht wurden.
Jene Form der Rechtsgeschichtsschreibung kann in bezug auf Kriminalisierungs-
und Entkriminalisierungstendenzen durchaus leistungsfähig sein,
wenn man für diese die Aufnahme neuer und das Verschwinden älterer
Strafbestimmungen als Indizien betrachtet; für ein Erfassen der Rechtswirklichkeit
aber ist ein solcher Forschungsansatz unzulänglich.
Dieser Mangel wurde von einzelnen Forschern durchaus erkannt. Be-
57
zeichnend ist, was Radbruch und Gwinner 1m Vorwort zu ihrer “ Geschichte
des Verbrechens“ dazu bemerken:
“ Der Titel des vorliegenden Buches müßte ‚Geschichte der Kriminalität‘
lauten. Sein Thema sind nicht die Verbrechen, wie
sie in den Tatbeständen der Strafgesetzbücher allgemein formuliert
werden, vielmehr, wie sie in der Wirklichkeit des gesellschaftlichen
Lebens erscheinen, und diese Verbrechen werden
nicht bezogen auf die verbrecherische Täterpersönlichkeit,
vielmehr auf das Ganze der Gesellschaft, sie werden nicht als
Rechtsgüterverletzungen behandelt, sondern als sozialpathologische
Erscheinungen, als adäquate Erscheinungen des sozialen,
politischen und kulturellen Lebens“ ( 1 ) .
Radbruch und Gwinner verstanden die “ historische Kriminologie“ , wie
sie ihre Forschungsrichtung benannten, als Teil der Kulturgeschichte. Die
Strafrechtsgeschichte sollte ihrer Meinung nach nur dazu dienen, feststellen
zu können, was in verschiedenen Zeiten als Verbrechen angesehen
wurde. Zugleich lehnten sie einen übergeschichtlichen, “ natürlichen“ Verbrechensbegriff
ab; allerdings führten sie einen solchen mit ihrer Definition
des Verbrechens als “ sozialpathologische“ Erscheinung zugleich ungewollt
wieder ein.
Wesentlich ist auch ihre Forderung nach Heranziehung einer breiten,
vielschichtigen Quellenbasis. Sie äußern sich skeptisch darüber, als einziges
Korrektiv zu Gesetzestexten erzählende Quellen heranzuziehen, da
sich diese nur auf außergewöhnliche Rechtsfälle, auf “ merkwürdige“ Verbrechen
konzentrieren und so ein verzerrtes Bild der Rechtswirklichkeit
liefern.
Auch mir erscheint gerade bei erzählenden Texten ein gerüttelt Maß
an Vorsicht angebracht zu sein, denn man kann geradezu von einem literarischen
Unsicherheitstopos sprechen. Es lassen sich praktisch für jede
Epoche zeitgenössische Aussagen finden, in denen beklagt wird, daß man
gerade jetzt in besonders finsteren Zeiten lebe, in denen Recht und Ordnung
nichts mehr gelten, in denen Mord, Raub, Diebstahl, Betrug etc.
an der Tagesordnung seien. Diese Diskrepanz zwischen einem subjektiven
Gefühl der Unsicherheit und Bedrohung und der tatsächlichen Struktur
der Kriminalität wird ja auch heute deutlich, wenn man die Kriminalberichterstattung
der Massenmedien mit den Kriminalstatistiken vergleicht.
Obwohl das Postulat der Quellenpluralität unbestritten bleiben soll,
erscheinen mir für eine breite Erfassung der spätmittelalterlichen Kriminalität
die Überreste gerichtlicher Tätigkeit wie Gerichts- und Stadtbü-
58
eher, Gerichtsrechnungen, Urfehden etc. besonders geeignet. Die hier in
Betracht gezogenen Quellen stammen großteils aus dem städtischen Bereich
und setzen im 1 5 . Ja􀂨_rhundert ein. Problematisch daran ist, daß einmal
abgesehen von der Uberlieferung – die daraus zu ziehenden Aussagen
regional eng begrenzt sind und durch die zahlreichen Ausnahmen
von der Zuständigkeit der städtischen Gerichte immer nur auf einen Teil
der Bevölkerung zutreffen.
Außerdem muß man sich bewußt sein, daß durch diese Quellen nur ein
Ausschnitt der tatsächlich begangenen Gesetzesverletzungen erfaßt werden
kann, nämlich der, der den rechtssprechenden Instanzen zur Kenntnis
gelangte und von diesen auch verfolgt wurde. Es stellt sich hier – wie
ja auch für die Kriminalitätsforschung der Gegenwart – das Problem des
Dunkelfeldes (2), wodurch eine Lücke entsteht, die sich für die Vergangenheit
durch Vermutungen und Hypothesen nicht einmal mehr notdürftig
verkleiden läßt. Einer historischen Kriminalstatistik hinderlich ist auch
der mangelhafte Bezugsrahmen, da über mittelalterliche Bevölkerungszahlen
und Bevölkerungsentwicklung nur sehr ungenaue Angaben bekannt
sind. Bei Aussagen über die quantitativen Veränderungen der Kriminalität
muß zudem auch der institutionelle Rahmen der Rechtsverfolgung
und der Rechtsdurchsetzung berücksichtigt werden. So findet sich häufig
in der Literatur die Behauptung, daß die Kriminalität im Spätmittelalter
und in der frühen Neuzeit ansteige. Ich kann mich hier des Eindruckes
nicht entwehren, daß hier ein nicht zulässiger Analogieschluß aus
der Zunahme des Quellenmaterials, die u.a. durch die vermehrte Gesetzgebungstätigkeit
und das intensivierte Streben des frühmodernen Staates
nach Rechtsdurchsetzung bedingt ist, auf die Zunahme der Kriminalität
gezogen wird.
Aber auch eine qualitative Bewertung der Kriminalität gestaltet sich
teilweise schwierig, da die Wirklichkeit erst mehrfach gefiltert ihren Niederschlag
in den Quellen findet. Es können sich erhebliche terminologische
Probleme ergeben, oder die Quellen können so knapp abgefaßt sein, daß
der eigentliche Tatbestand nicht einmal mehr annähernd geklärt werden
kann. Weiters werden durch die zunehmende Anwendung der Folter nicht
begangene oder nicht begehbare Verbrechen eingestanden. Wählt nun
ein Forscher aus den Geständnissen diejenigen Verbrechen aus, die nach
seinem Wirklichkeitsverständnis als wahrscheinlich erscheinen, kann dies
zu recht merkwürdigen Ergebnissen führen. Ein anschauliches Beispiel
für eine solche Vorgangsweise bietet ein Aufsatz von Fritz Byloff über den
Prozeß gegen die Bande des Zaubererjackl, der in den siebziger Jahren des
17. Jahrhunderts in Salzburg stattgefunden hat (3). Byloff erkennt, daß
59
der als Hexenprozeß geführte Prozeß in Wirklichkeit auf die Eindämmung
des Landstreicherturns abzielte. Er hält daher alle jene Beschuldigungen,
die im Zusammenhang mit Zauberei stehen und seinem rationalem
Weltbild zuwiderlaufen, für frei erfunden, während die ebenso ungeheuerlichen
Beschuldigungen in bezug auf sexuelle Perversionen ihm durchaus
begründet erscheinen.
All diese quellenkritischen und methodischen Bedenken seien vorangestellt,
um allzu hochgespannte Erwartungen bezüglich einer Erforschung
der “ tatsächlichen“ Kriminalität im Spätmittelalter zu dämpfen. Dies
bedeutet aber nicht, daß aus den vorhandenen Quellen überhaupt keine
sinnvollen Aussagen zu gewinnen sind. Es müssen lediglich andere Fragen
gestellt werden. Da die Herkunftsangaben zu den “ härtesten“ Daten
zählen, erscheint eine Auswertung der Gerichtsbücher unter dem Aspekt
der Mobilität durchaus erfolgversprechend.
Mögliche Fragen wären z.B.: Woher stammen Kläger und Beklagter?
Ist der Fremdenanteil in beiden Gruppen ungleich hoch? Verändern sich
Anzahl und Einzugsbereich der Fremden im Laufe der Zeit? Besteht ein
Zusammenhang zwischen der Anklage und der Herkunft, d.h. gibt es
Delikte, derentwegen eher Fremde angeklagt werden bzw. deren Opfer
öfter Fremde werden? Wie ist die berufliche und soziale Struktur des
Fremdenanteils und besteht ein Zusammenhang zwischen ihr und der Deliktstruktur.
Lassen sich aus ihr Rückschlüsse auf die Ursache und die
Art der Mobilität ziehen? Gibt es eine gerichtliche Diskriminierung von
Fremden, etwa, daß sie gerade wegen ihrer Mobilität bestraft werden, oder
daß sie zu höheren Strafen verurteilt werden als Einheimische etc.?
Hier seien einige Beobachtungen aus den Stadtgerichtsrechnungen von
Krems und Stein in Niederösterreich aus den Sechziger und siebziger J ahren
des 15. J ahrhunderts angeführt ( 4), die allerdings wegen ihrer zeitlichen
und räumlichen Beschränktheit nicht verallgemeinert werden dürfen.
Der Großteil der mit dem Gericht befaßten Personen kommt dabei aus
Krems und Stein und aus Orten der näheren Umgebung. Wenn man den
Fremdenanteil in der Gruppe der Kläger mit dem bei den Angeklagten vergleicht,
zeigt es sich, daß dieser bei den letzteren deutlich höher ist (34,9%
zu 22,4%). Daraus könnte man schließen, daß die Fremden “ krimineller“
sind, wohl aber auch, daß die Einheimischen sich eher an das Gericht
wandten – vielleicht weil sie von diesem bevorzugt behandelt wurden?
Die Verurteilungen von Fremden treten gehäuft zu Marktzeiten auf, woraus
zu erkennen ist, daß die Zahl der Fremden in der Stadt in dieser Zeit
stark angestiegen ist und daß deren Migration zum Großteil berufliche Ursachen
hatte. Der Einzugsbereich der Fremden deckt sich auch demgemäß
60
mit dem des Handels. Auch die Delikte, in die die Fremden am häufigsten
verwickelt sind, stehen im Zusammenhang mit wirtschaftlicher Tätigkeit
und werden im Arrestverfahren (5) abgewickelt. Das Arrestverfahren hat
überhaupt große Bedeutung im Fremdenrecht und diskriminiert die Fremden
deutlich. Diese genießen dabei einen geminderten Schutz ihrer Person
oder ihres Eigentums. Beim Repressalienarrest müssen sie sogar für die
Vergehen ihrer Rechtsgenossen haften. Letztere den Handel nicht besonders
fördernde Praxis versuchte man aber recht bald durch Verträge
zwischen einzelnen Städten einzudämmen.
Im Falle eines Übergriffs eines fremden Stadtgerichts konnte ein Bürger
anscheinend mit einer Intervention seiner Stadt rechnen. So schreiben
1430 (April 25) Bürgermeister, Richter und Rat der Stadt Wien erbost
an den Rat der Städte Krems und Stein wegen der “ unbillichen“ Strafe
von 8 Gulden, die der Kremser Stadtrichter über den Wiener Fischer Paul
Veyal verhängt hat, lediglich weil diesem, erschreckt von einem Guß kalten
Wassers, sein Badewedel entfallen war, wodurch er sich im Badhaus
unziemlich vor den Frauen entblößt hatte (6). Hinzu kam, daß der Stadtrichter
zur Sicherstellung der überhöhten Strafe auch noch das Gut des
Wiener Fischers sogleich mit Beschlag belegt hatte.
Andererseits begünstigt die Fremdheit, das Entkommen aus der sozialen
Kontrolle der eigenen Gemeinschaft, bestimmte Delikte. Mehrfach
berichten die Kremser Richterrechnungen (7) von verheirateten Männern,
die ihren Aufenthalt in Krems, offensichtlich in der Meinung, daß hier
niemand über ihren Familienstand Bescheid wisse, dazu benutzten, das
Frauenhaus aufzusuchen, jedoch von den Prostituierten gegen einen Anteil
an der Strafe dem Stadtrichter gemeldet wurden. Von großer Bedeutung
für die Einschätzung und Behandlung der Fremden war zweifellos ihre
soziale Stellung, von der letztlich auch die Billigung oder Mißbilligung ihrer
Mobilität abhängig war. Wesentlich stärker war daher die rechtliche
Benachteiligung jener fahrenden Menschen, die nicht den Schutz einer
machtvollen Gemeinschaft genossen. So bunt zusammengewürfelt diese
Gruppe der Fahrenden auch gewesen sein mochte, so war ihren Mitgliedern
doch gemeinsam, daß sie den Unterschichten und Randgruppen (8)
der Gesellschaft zuzuzählen waren und sich auf der Suche nach besseren
Lebenschancen befanden. Teils durch echte Not, teils durch ihre Schutzlosigkeit
den Obrigkeiten gegenüber schienen diese Menschen geradezu
dazu prädestiniert, mit dem Gesetz in Konflikt zu kommen. Verstärkt
wurde diese Tendenz noch durch Fremde – besonders Bettler und Arme diskriminierende
Bestimmungen, die die Kriminalisierung der Fahrenden
förderten.
6 1
Das Mißtrauen der „Seßhaften“ gegenüber den Fahrenden war nicht unberechtigt
in einer Zeit, in der Sühnewallfahrten und durch Verbannung
erzwungene Mobilität (9) durchaus gebräuchliche Strafen für Verbrechen
waren. Andererseits war für eine bestimmte Gruppe von Kriminellen,
wie etwa Betrüger, Diebe und Räuber, wegen der Entdeckungsgefahr ein
rascher Ortswechsel häufig überlebensnotwendig. Ein Zeugnis von einer
solchen Diebsexistenz gibt uns das Geständnis (10) des 1462 in Spitz ertappten
und hingerichteten Diebes Hans Swarczenperger, in dem er 48
Diebstähle gestand. Gerhard Jaritz, der sich mit diesem Diebsgeständnis
befaßte, konnte zwar die Route von Swarzenpergers Diebstour nicht
mehr chronologisch genau eruieren, es zeigten sich aber deutlich zwei
Schwerpunkte im “ Wirken“ des Diebes: einerseits im Raum von Wels
in Oberösterreich, wo er etwa zwei Drittel der Diebstähle verübte, andererseits
in Niederösterreich nördlich und südlich der Donau, wo – vielleicht
aus Vorsicht – die Orte seiner restlichen Verbrechen nicht mehr so
dicht nebeneinanderlagen. Das Diebsgut, zumeist Vieh, aber auch Kleidungsstücke,
Geld und Gerät verkaufte Swarczenperger – mit einer Ausnahme
– nicht in dem Ort, in dem er es gestohlen hatte. Er war also allein
schon zur Verwertung seiner Beute zu einem Ortswechsel genötigt.
Lediglich 20 Diebstähle gestand 1519 unter der Folter ein Dieb im steirischen
Aussee ( 1 1 ) , doch die geographische Reichweite seiner Diebszüge ist
beträchtlich größer. Er verübte seine Diebstähle nicht nur im steirischen,
oberösterreichischen, sal.zburgischen und tirolischen Raum, sondern er gelangte
auch in den süddeutschen Raum zwischen Kempten im Allgäu,
Regensburg, Landshut und Burghausen.
Wesentlich bedrohlicher im Vergleich zu diesen beiden “ harmlosen“ Dieben
mußten die organisierten Räuberbanden erscheinen. So wurde 1 5 1 6
i n Aussee der Pflindsberger Urbarsmann Hois Gryl hingerichtet, der als
Mitglied einer Räuberbande nicht nur an Raub- und Diebszügen, sondern
auch an 31 Morden beteiligt gewesen war. Unter der Folter gab er die
Namen von 34 seiner “ Gesellen“ – darunter auch Bauern, Bauernknechte
und kleine Handwerker – preis, mit denen er in der Steiermark, Oberösterreich
und Salzburg Verbrechen begangen hatte. Wie aus diesen wenigen
Beispielen zu erkennen ist, bestand ein enger Zusammenhang zwischen
Mobilität und Kriminalität, so daß folgende Aussage von G. Radbruch
durchaus zutreffen dürfte: “ Von und auf der Straße lebte die Kriminalität
des Fahrenden Volkes. Sie ist der Nährboden der mittelalterlichen
Berufskriminalität“ ( 12).
62
ANMERKUNGEN
1) Gustav Radbruch – Heinrich Gwinner, Geschichte des Verbrechens. Versuch einer
historischen Kriminologie. Stuttgart 1951, 5.
2) Vgl. dazu Arno Pilgram, Kriminalität in Österreich. Studien zur Soziologie der
Kriminelitätsentwicklung. Wien 1980.
3) Fritz Byloff, Die Blutgenossenschnft des Zaubererjeckl. Ein Beitrag zur Geschichte
und Biologie des deutschen Gauner- und Landstreichertums, in: Monatsschrift
für Kriminalpsychologie und Strafrechtsreform 18 (1927) 401-429.
4) Vgl. dazu Herta Mendl-Neumann, Alltagskriminalität im spätmittelalterlichen
Krems. Die Richterreclmungen der Jahre 1462 bis 1478, in: Mitteilungen des Kremser
Stadtarchivs 23/24/25 (1985) 1-144; dies., Aspekte des Rechtsalltags im spätmittelalterlichen
Krems, in: Bericht über den 16. Historikertag in Krems/Donau (Veröffentlichungen
des Verbnndes Österreichischer Geschichtsvereine 25) o.O. 1985, 312-327.
5) Vgl. dazu G. Buchda, Kummer, in: HRG II, Berlin 1970, Sp. 1267-1263; Helmut
Fei􀇊l, Rechtsentwicklung und Gerichtswesen Oberösterreichs im Spiegel der Weistümer
(AOG 130) Wien 1974, 36 ff.
6) Otto Brunner, Die Rechtsquellen von Krems und Stein (Fontes Rerum Austrinenrum
III, 1 ) Graz-Köln 1953, 80, Nr. 140.
7) Mandl-Neumann, Alltagskriminalität. Vgl. auch Ernst Schubert, Gauner, Dirnen
und Gelichter in deutschen Städten des Mittelalters, in: Cord Meckseper – Elisabeth
Sehrnut (Hg.), Mentalität und Alltag im Spätmittelelter. Göttingen 1986.
8) Vgl. Frantiiiek Graus, Randgruppen der städtischen Gesellschaft im Mittelalter,
in: Zeitschrift für historische Forschung 8 (1981) 356 ff. Franz Irsigler – Arnold
Lessotta, Bettler und Gaukler, Dirnen und Henker. Randgruppen und Außenseiter in
Köln 1300-1600. Köln 1984.
9) Achtbücher, wie sie für einige größere Städte Süddeutschlands vorliegen, und Urfehdebriefe
dokumentieren nicht nur die Bedeutung dieser Strafe, sondern stellen auch
wertvolle Quellen für die Geschichte des mittelalterlichen Verbrechens dar. Vgl. A.
Buff, Verbrechen und Verbrecher zu Augsburg in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts,
in: Zeitschrift des historischen Vereins für Schwaben und Neuburg 4 (1878) H. 3,
160 ff.; Werner Schultheiß (Bearb.), Die Acht-, Verbots- und Fehdebücher Nürnbergs
von 1286-1400. Nürnberg 1960; Alois Niederstätter, Vorarlberger Urfehdebriefe bis
llum Ende des 16. Jahrhunderts (Forschungen llUr Geschichte Vorarlbergs 6) Dornhirn
1986.
10) Gerhard Jaritz, Probleme um ein Diebsgeständnis des 1 5 . Jahrhunderts, in:
Jahrbuch des Musealvereines Wels 21 (1977 /78) 77-86.
11) Franz Hollwöger, Des Ausseer Land. Geschichte der Gemeinden Bad Auaaee,
Altaussee, Grundlsee, Mitterndorfund Pichl. Bad Aussee 1956, 77 ff.
12) Redbruch – Gwinner 84.
63

MOBILITY: VOLUNTARY O R ENFORCED?
Vagrants in Württemberg in the Sixteenth Century
ROBERT W . SCRIBNER
Any discussion of mobility in early modern Europe should give special
attention to the phenomenon of vagrancy. Vagrants not only exemplify
the dual problems of geographical and social mobility (in the latter case,
almost always downward). They also provide an intriguing case study
of official reactions to the phenomenon of mobility in a society which
preferred its subjects or citizens to be as far as possible sedentary, and
therefore controllable – both on the grounds of maintaining social order as
weil as for economic and fiscal reasons. Throughout the medieval and early
modern period, the ‚fahrende Leute‘ were regarded as a major threat to
respectable society, pursued by all authorities and stigmatised as deviants.
The traditional ‚fahrende Leute‘ were itinerant trades or professions whose
form of work involved wandering, such as travelling players, musicians and
circus folk; or those who served the needs of rural population but could
find no regular employment by residing in one place, such as hawkers,
tinkers or knifegrinders ( 1 ). However, during the course of the fifteenth
century a new phenomenon grew up alongside these traditional vagrants:
the ‚fake beggar‘ and the shiftless, sturdy vagabond.
The social stereotype of the ‚fake beggar‘ was developed during the
last third of the fifteenth century, and was fixed in literary form by the
publication in 1509 of the ‚Liber vagatorum‘, which saw 14 editions up to
the beginning of the Reformation (2). In 1527 Luther published a German
edition of this work, ‚Von der falschen Bettlern Buberei‘, which saw five
further editions up to the beginning of the Reformation. In his preface
the Reformer provided ideological underpinning for the stereotype of the
sturdy vagabond, undeserving both of sympathy and support. Princes,
Iords and urban authorities should see to their genuine and residential
poor, he asserted; to this end each town or village should identify its
poor by drawing up a register of local paupers, while foreign wandering
beggars without documents should not be tolerated (3). The effect of this
advice was to identify the itinerant poor as fake beggars, who were to
be disciplined or expelled. Here Luther was advocating nothing new, for
secular legislation had long since anticipated his advice. In Württemberg
all officials were put on alert for idle vagrants from 1495, and by 1508 those
apprehended were increasingly being charged with ’suspicious wandering‘,
65
while from 1516 the charge increasingly became one of ‚fake begging‘ (4).
Related to the image of the fake beggar was the view that many vagrants
and beggars were poor not so much by choice as through their own
fecklessness and moral disability. In 1524 the conventional view of the
age on this point was neatly encapsulated in a broadsheet entitled ‚Zwölf
Vaganten‘, published in Nurernberg by Hans Guldenmundt. It deals with
twelve different kinds of vagrants, identifying the reasons for their descent
into the ranks of beggars. Five have been driven to begging by their moral
failures: the rake, the gambler, the wastrel, the glutton and the brawler.
Their inability to restrain their vices has brought them to poverty. Three
others have become beggars rather more indirectly as a result of their
own foolish actions: the lazy maidservant, who was disobedient and could
control neither herself nor her tongue; the servant girl who allowed herself
to be led astray by cleric and layman alike; and the woman who took too
little care of her honour. Three others are poor because of mistaken choice
of profession: the alchemist, the student and the old man who neglected
to learn enough when young. Only one of the twelve is a beggar through
no fault of bis own, the man born poor. The other eleven are presented as
deviants unable to live up to the moral standards of society. They belong
justly to the ranks of the beggars, as the broadsheet puts it, where no one
will pity them (5).
Fake beggars, the feckless, and the traditional ‚fahrende Leute‘ do not
seem to have the norm for vagrants during the sixteenth century. I am
currently researching the problern of crime and vagrancy in the principality
of Württemberg during the fifteenth and sixteenth century. I have
traced around 300 persons who might be broadly defined as vagrants, but
only 14 of them are identifiable as fake beggars. The principle sources for
this study are a series of over 7000 ‚Urfehden‘ held in the Hauptstaatsarchiv
Stuttgart, backed up by the extant criminal records (Malefizakten)
(6). The series of Urfehden extend from the early fifteenth century until
the end of the sixteenth century, but are more numerous during the
middle decades of the sixteenth. As used in the duchy of Württemberg,
the Urfehde was a complex legal, political and social instrument adapted
to the needs of the ernerging territorial state. However, in its simplest
and most common form, it was a sworn undertaking given by an arrested
person that he (or she) would accept the treatment accorded him while
under arrest, that he accepted any imposed punishment or conditions of
release, and that he would not seek to take revenge on the Württemberg
authorities or any of their subjects (7). During the sixteenth century,
most Urfehden contained some information about the offence or occasion
66
of arrest, so allowing analysis of the long-term pattern of offences in the
principality.
The use of such sources is not without its problems, especially as the
supporting documents in the Württemberg ‚ Malefizakten‘ are extant in
substantial numbers only from the later part of the sixteenth century,
while the earliest extant record of a Württemberg criminal court is the
‚Gerichtsprotokolle des Vogtgerichts‘ for Leonberg for the years 1573-81
and 1582-97. The ‚ Peinliches Urteilbuch‘ from Leonberg for the years
1528-1632 contains judgments in criminal cases, but often without adequate
information about the offence (8). In any case, this mere record
of judgments is misleading as a. source in itself since the Urfehden show
that many of the judgments of the criminal court were reduced on appeal
or because of pleas for mercy entered by patrons, friends or relatives of
the accused. The Urfehden also reveal that many criminal offences were
never brought to trial, but were settled by a form of ‚plea bargaining‘.
The Urfehden present problems for analysis because they were issued by
the local ‚Vogt‘ acting as the governor for each of the Duchy’s 45 ‚Ämter‘
or ‚Vogteien‘ (administrative districts). It is clear from preliminary analysis
of the ‚Urfehden‘ extant for many of these ‚Ämter‘ that there were
considerable variations in the way the law was administered from district
to district.
Nonetheless, allowing for these and other difficulties about the sources,
the Württemberg Urfehden provide not only an intriguing and extensive
pictury of crime in sixteenth century Württemberg; they also yield
valuable information about vagrancy and patterns of mobility. The most
striking feature of preliminary work on this source is that temporary vagrancy
and geographical mobility were exceptionally high. It is the nature
of such temporary mobility that I want to explore in this paper, to see how
it is related to the stereotype image of the vagrant and the ‚fake beggar‘,
so common in all the Iiterature of the sixteenth century.
The major themes of the paper can be summed up in the case of Veit
Brunner of Vaihingen, a ‚Landsknecht‘ arrested i n January 1549 in a village
just outside Pfullingen, in the administrative district of Urach. Brunner
had emptied his musket through the window of a house as he marched
into the village with his female companion, Katherina Steh. He claimed
that he had been drinking on the road, and was ‚full of wine‘. For safety’s
sake, he had wanted to discharge his musket before entering Pfullingen:
he just had not seen the house in the way. The district offleials were dissatisfied
with this explanation, and reported to Stuttgart, from where the
Duke ordered that he be interrogated, by bringing him into the presence
67
of the executioner and if necessary by the use of torture.
Nothing suspicious was discovered in the interrogation, and the district
governor of Urach reported only that Brunner had been imprisoned two
years previously in Esslingen, and since then had not been in his home
town of Vaihingen for more than 2-3 days. However, he had remained
there long enough to run up 100 Gulden worth of debts and to get a girl
pregnant, who was even now supporting his child. In addition, Brunner
was reputed to be slightly crazy. The previous August his own brothers
Steffan and Friedrich had applied to the Württemberg chancellery to have
a warrant (‚Steckbrief‘) issued for his arrest. They claimed that he had
been wounded in the head with a knife some years previously, had lost
his reason, and had had to be locked up for his own protection. However,
he had escaped and had been wandering the roads, and was given to all
kinds of irrational behaviour – abuse, threats and every kind of mischief.
When he returned briefly to Vaihingen he had threatened to burn down
all the surrounding villages. It was feared that he would harm someone,
and all Württemberg offleials were ordered to keep a lookout for him.
Veit Brunner may have been crazy, but he had won himself a travelling
companion, Katherina Steh from Überlingen. Katherina had been working
in the Hospital in Überlingen, where she had taken up with a fellow
worker, Hans Beck from Ebersbach, only eleven month before. The couple
had married just before Lent 1548, but only two weeks after Easter Beck
deserted his new wife. Too ashamed to remain in her home town, she
had moved to Marbach on the Swabian Alp, where she took service with
a miller. There she met Veit Brunner, who arrived with a companion.
Veit was struck by her, and declared that she was the woman for him. He
forced her to go away with him, which Katherina claimed she had done
‚out of fear and Iack of understanding‘. They went to Bernbach, where
she again took service briefly, and then to Mittenstedt, where she found
another position as a servant, and wanted to part company with Veit. But
he stood in the street outside the house, and so cried out that she must
come out and go with him that she gave in, again, as she claimed, ‚out
of fear‘. From there they came to Pfullingen. Her account was confirmed
by Veit’s testimony, except that he did not know that she was married,
and had promised to marry her himself. Indeed, in his first interrogation,
he had openly admitted timt she was not his wife, but had professed his
intention to ‚Iead her to church and street‘ as soon as he was released (9).
Veit and Katherina were typical of many of the vagrants thronging the
roads, villages and markets of sixteenth century Württemberg, who sooner
or later fell foul of the law for petty offences such as disorderly conduct or
68
theft. From the records I have examined, I can single out eight reasons for
vagrancy. These can be described under the foilowing headings: the traditional
itinerant professions; casual work; ‚Landsknechte‘ or ‚Gartknechte‘;
poverty; squandering; marital problems; the system of criminal justice;
and political causes. I do not want to expound in any length on the traditional
vagrant professions, except to say that they appear regularly, but in
small numbers in my sources. When professions or occupations are given
for vagrants the traditional vagrant trades were strongly in evidence: tinkers,
pewterers, knifegrinders, stonecutters, spoonseilers, hawkers ( often
dealers in ‚fake spices‘), as weil as travelling players, musicians, acrobats,
etc. This is unsurprising and does not require further comment. I want
to concentrate attention on only one category among these itinerant professions,
the ‚Landsknechte‘.
‚Landsknechte ‚ and ‚Gartknechte ‚
Of all the identifiable types of vagrants, wandering soldiers seeking employment
as mercenaries, the ‚Landsknechte‘ or ‚Gartknechte‘, made up
by far the largest single group. Throughout the sixteenth century, they
were held to be one of the greatest threats to law and order, even where
they traveiled singly, usually with their ‚Kebs‘, or concubine. Like Veit
Brunner, they often carried a firearm and could be obstreperous, even
without provocation. Most frequently they traveiled in groups, such as
the band of 1 5 persons who halted at an inn in Denkendorf in the district
of Stuttgart in 153 1 : seven men and eight women, four of them married
couples, and from places as scattered as Munich, Nuremberg, Augsburg,
Ulm, Pforzheim and four other places which are no Ionger traceable, possibly
villages outside Württemberg. This group claimed that they were
traveiling to seek service under the Emperor, but they feil into a brawl
with some carriers in the inn. Local farmers tried to intervene to keep the
peace, and became involved in the fighting. One of the farmers was felled,
another was wounded; and one of the ‚Landsknechte‘ threatened to harm
the village in revenge ( 1 0). This was common behaviour as it appears in
the criminal records – they quarrelled, brawled, disputed the bill, threatened
farmers and innkeepers, and were not averse to a bit of extortion,
even forming into robbet bands engaged in ‚Plackerei‘ or highway robbery.
The band at Denkendorf was typical of numerous bands from beyond
the borders of the land who travelled through it frequently and found
little welcome from the local inhabitants. Numerically greater were local
‚Gartknechte‘, from places within Württemberg, who were driven into
69
mercenary service either by poverty or by their inability to settle into a
sedentary occupation; sometimes they were mere boys just seeking adventure.
From the end of the fifteenth century Swabia became the most
common recruiting ground for mercenaries, and from that time on there
were repeated attempts to regulate the trade. Maximilian I issued the first
imperial mandate prohibiting taking military service under ‚foreign powers‘
in 1487, and it was repeated and toughened i n 1508, 1512, 1522/3,
1526, 1536 and so on at regular intervals throughout the century ( 1 1).
Although Württemberg was slow to adopt such legislation, it began to
police this offence as early as 1508 ( 12).
This did little to deter recruiters, who were constantly active in the
period: 15 such persons were apprehended in Württemberg and made
swear Urfehden i n the years 1523, 1528-9, 1531-2, 1535-6, 1538 (2), 1542
(4), 1 5 5 1 and 1568 ( 1 3 ) . They did not fail to find a ready market (see
Table I).
Table I
Probibited military service in selected administrative districts of
Württemberg in the sixteenth century
District ( a) (b -BÖbÜn ) gen
—–· · —-39 -22,fr %-
Cannstatt 35 25,7 %
Kirchheim 62 1 1,0 %
Laufren 29 22,8 %
Leonberg 36 14,5 %
Schorndorf 14 5,8 %
Stuttgart 60 10,4 %
Tübingen 2 1 1 1 ,8 %
Vaihingen 35 19,4 %
Maulbronn & Herrenalb 20 13,4 %
(a) Persona charged with prohibited military service
(b) Percentage of all persans c:harged in the district
NB: Thls table indudes only those c:harged in the district in whic:h they were normally
resident, and excludes a small number who were charged outside their distric:t
of r􀆌sidenc:e.
The usual period of absence on military service seems to have been no
more than a year, for those charged were usually apprehended after re-
70
turning home at the end of the campaigning season. However, the Urfehden
do not reflect those who remained away for Ionger periods or did not
return to their place of residence at all. Where their employer or place
of service is mentioned, we can gain some idea of the area in which they
moved. The most common employer was the King of France, followed by
the Emperor. Occasionally employment was taken under German princes
recruiting for local campaigns, such as the Landgrave of Hesse of Margrave
Albrecht of Brandenburg. Thus Italy, the Low Countries and Central Germany
were the main theatres of activity. Those who were charged for a
second offence were small in nurober – only 1 6 of the 351 persons listed
in Table I. Clearly, this was a form of temporary mobility dictated by
the attractiveness of military pay and the chance to break away from the
domestic and economic restrictions of daily life in enclosed communities.
One may weil ask how far it fulfilled the sarne lirninal function as that
discerned by Victor Turner for pilgrirnage ( 14).
Casual work
Casual workers, day labourers, seasonal workers or servants appear only as
‚beggars‘ or under other crirninal designations such as ‚arsonist‘, according
to the crirnes of which they were suspected, so that I can only cite evidence
of the role played by the search for casual work in creating vagrancy. But
in nurnerous cases recorded in the Urfehden, the offenders were on the
roads seeking work. Two examples will suffice to illustrate the complexity
of the phenornenon. Jerg Groningen, perhaps a cobbler by trade, was
drinking in an inn with a tailor frorn Pforzheirn. A carrier-rnessenger
offered thern two measures of wine to help carry his Ioad to Offenburg.
When they arrived there, he refused to pay until they had carried it
further to Achern. In the subsequent dispute over payrnent, in which
they dernanded money instead of wine, the messenger was slain, and the
two charged with murder ( 15).
Peter Vergelin of Holzgerlingen, interrogated in August 1539 on suspicion
of fire-raising, was an itinerant agricultural worker. With three
cornpanions, one of them a vineyard band, another a carrier’s rnate, he
bad been cutting hay in the rnargraviate of Baden. When the job was
finished, they set out for Tieffenbronn in Württernberg to find another
job, but found a better offer frorn a rider who offered them a Gulden each
to fire some Württemberg villages. The rider convinced thern with the
argument that they could earn their keep rnore easily in this way than by
hard harvest work. As they accepted the offer, one of thern cornmented
71
that he had done a harvest or two at Mercklingen, and had enjoyed the
experience so little he would be glad to fire the place ( 16).
Harvest work seems to have been the most common form of casual
labour, turning up in the criminal records where these labourers were
charged with petty offences. Thus, in 1536 three men from N ürtingen,
Harnberg and Dinkelsbühl were accused of being drunk and disorderly
while helping with the harvest in the Böblingen district; another man
from Bottwar was accused of theft in 1540 while working in the harvest
on the Alp; and in 1537 a messenger from Nördlingen fell into a quarrel
with another messenger while both were working in the harvest in the
district of Brackenheim ( 17).
The apparent rotation around several short-term jobs seems a common
experience. Katherina Steh was probably not unusual for a woman vagrant
in moving from one job to another within a short time (she had
held four positions within a twelve-month). Although harvest work seems
to be the most common form of employment, there was a wide range of
other jobs open to casual labourers. One could hire out as a carrier or as
a messenger, fetehing letters or even collecting a debt from another town.
One could be taken on as a tradesman’s assistant, help out in the market
as a porter, or be hired as an assistant in a mill or as a casual farmhand.
The persons involved in such casual employment were often technically
artisans: cobblers, weavers, tailors, pewterers or carpenters – but they
were willing to turn to any means of making ready cash, even if it was
of dubious legality. For many artisans and agricultural workers, military
service was also a form of casual employment, although better paid than
most.
For most such persons, casual labour involved wandering, moving from
one job to the next, either seeking the next harvest, visiting the next market
or fair, or seeking employment as a servant. The apparent tendency
for servant’s employment to be short-term in so many cases doubtless encouraged
wandering to seek work (here it is difficult to distinguish what
was cause and what was effect). Again, I can only speak impressionistically
at this stage, but the area of activity of such casual workers seems
fairly circumscribed, within the boundaries of Württemberg, or within
the neighbouring territories: Baden, Hesse, the Black Forest, across the
Rhine. This also seems to coincide with the patterns of more permanent
vagrants, and it is a moot point at what stage such casual workers became
or were regarded as perpetual travellcrs. Technically, one was not a
vagrant if one was ’seßhaft‘, but many people wcre picked up quite somc
distance from their place of residence, whether in Württemberg or in the
72
neighbouring territories ( 18). The picture which emerges from the U rfehden
is one in which the lines between temporary and permanent vagrancy
were consistently blurred. Given the continual search for casual work, it
could not have been otherwise.
Poverty and Squandering
Many of those picked up for vagrancy claimed that they had been driven
to it from poverty, and this defence was used repeatedly by those accused
of engaging in foreign military service. However, the correlntion between
poverty and vagrancy is not immediately obvious in and through the evidence
of the Urfehden. The place with the highest proportion of charges
for prohibited military service was the market of Horrheim in the district
of Vaihingen, where over half of the extant Urfehden were concerned with
it. Yet Horrheim was scarcely the poorest community in the district –
the average wealth of its 182 taxpayers in 1544/5 was 220 Gulden, weil
above the national average of 1 7 1 Gulden (19). That may not be at all
conclusive evidence about those drawn to follow foreign military service,
nor about vagrants in general, and this is a point on which little can be
said on the basis of the Urfehden alone.
There were certainly many folk who took to the roads to avoid payment
of debts. Jerg Beutz in 1 5 1 4 wanted to run away from bis wife and go
into foreign military service, leaving his debts unpaid. Lenhart Seytz, a
huteher from lngersheim, in 1523 attempted to flee from the district of
Bietigheim with bis wife, after he had been warned by the authorities
about his debts, and ordered neither to leave the land, nor to dispose
of any of his property. In 1531 Hans Bider Junior from Leonberg tried
to remove hirnself from Böblingen without having first paid his taxes,
while in 1538 Jörg Beck a citizen of Marbach was made to swear an
Urfehde because of his many debts that he would not attempt to alter
his circumstances. By 1540 Beck had fled from Marbach by night, taking
his family with him and leaving all bis debts unpaid. As punishment, he
was made to renounce all bis wealth, and was exiled from the town (20).
However, debt did not always mean poverty, and may have been as much
the result of careless management. Here criminal records reveal only the
end result of a process that is hidden to us, and the Urfehden will have to
be supplemented with other sources to reveal effectively the true extent
of the links between poverty, crime and vagrancy.
Moralists, legislators and policing authorities of the time made another
link, that between vagrancy and spendthrift living. The wastrel who mis-
73
treated his wife and children, spent his money in drinking and gambling,
and was shiftless and idle, was seen as the person most likely to take to the
roads to avoid his responsibilities. Squandering was an offence regularly
prosecuted in many districts, as Table II shows.
Table II
Prosecutions for squandering in selected Württemberg districts
Di􀚺􀚻!􀚼_
t ___________ 1 ‚L(l�L
Göppingen
Güglingen
Kirchheim
Stadt
Amt
Stuttgart
Stadt
Amt
Tübingen
Vaihingen
Stadt
Amt
Herrenalb & Maulbronn
(a) Persona prosecuted for squandering
(b) Per cent of all persons prosecuted
1 5
9
1 7
33
34
26
14
1 1
25
1 1
9,0
5,3
1 1 ,5
8,6
10,6
5,8
8,8
18,3
20,8
7,4
There were certainly numerous examples among these persons where
squandering led to the abandonment of wife and children, and taking
to the roads. A typical example is Anstett Eck, from Nussbaum in the
‚Vogtei‘ of Kloster Herrenalb, who was imprisoned for eight days in 1532
for fleeing the territory and abandoning his wife and child. H e had wasted
all his property in gambling and winedrinking, and forced his wife and
child into poor relief. J ust bef9re his flight he had sold his vineyard and
gambled away the greater part of the proceeds. Jorg Urban, a citizen of
Vaihingen, was charged i n 1550 with squandering and attempted flight.
Through winedrinking, gambling and blaspheming he had brought his
family to poverty, and forced his wife to seek alms from tbe Poor Cbest.
As she lay seriously ill, he bad danced away tbe nigbt to tbe bagpipe, and
tbougb be had been arrested for this offence, as soon as he was released,
he bad visited the whorebouse and then attempted to ßee by dirnhing over
74
the city wall. Michael Fuchs, a baker of Bottwar, had often been warned
of his disorderly Iifestyle, and had even been imprisoned for it. Finally, he
had run off to take prohibited military service, only to be arrested on his
return in 1573, and later to be again imprisoned for disorderly life (21).
We do not know how long Anstett Eck or Michael Fuchs had been absent
from their families, but there is more precise information in the case of
Hensslin Reichberger, called Katzenhans, of Dettingen Schlossberg, who
was arrested in 1529 after his return to the principality after an absence
of eight years. In 1520 he had been charged with squandering, disorderly
living, mistreating his wife and hostility towards his wife’s relatives. He
was ordered to keep his property in good order, to improve his Iifestyle
and to make no changes in his circumstances without the permission of
the authorities. Shortly thereafter, perhaps within a year, he seems to
have fled the territory (22).
Such instances must have confirmed the views of contemporary moralists,
but they do not seem to be wholly representative of those who turned
to ‚Landesflucht‘ as a solution to personal problems of this kind. In the administrative
areas of Vaihingen ( town, district and the two ‚Klosterämter‘
ruled from Vaihingen, Herrenalb and Maulbronn), where there was the
highest percentage of offences of squandering, only 6 of the 47 cases involved
fiight as a consequence of a wastrel Iifestyle. Nor was there any
high correlation between squandering and entering prohibited military service,
a.s might be suggested by the example of the baker Michael Fuchs:
only one of the Vaihingen cases linked the two offences. Indeed, these
cases made up only a third of the cases in the Vaihingen district involving
‚Landesflucht‘. A more common factor in all of these cases seems to be
frustration with the continual harassment of the authorities, and fear of
punishment, rather than mere irresponsibility. An informative example
pointing in this direction is Michael Rörer from Sehrnie in the Maulbronn
district, who had been repeatedly warned about gambling. In 1533 while
working in the fields he said openly that he was fed up and would run
away from his wife and child. He was thereupon arrested and told to
keep an orderly household in future (23). Anstett Eck, Jorg Urban and
Katzenhans all seem to have fled their places of residence primarily out
of fear of punishment, a point I shall return to below in another section.
Once one was out on the road, for whatever reason, things could become
very different, and it was difficult not to be rid of the money one had.
Steffan Syblin from Rutesheim in the Leonberg district was picked up in
1532 in the Vaihingen district, and charged with shamefully and wantonly
squandering his wealth by wandering in the district of Maulbronn, and so
75
leaving his wife and children in poverty (24). Clearly, it was the vagrant
life which had reduced Syblin to poverty. Joachim Ruger, an orphan from
Vaihingen, had been placed in an apprenticeship, and although he had
debts as a result of squandering, he had been given clothing and money
for his keep and sent on the customary ‚Wanderjahr‘. Within weeks, he
had fallen into more debt, and turned to a vagabond way of life, running
up more debts with a citizen of Esslingen and attempting to deceive a
rural innkeeper by incurring debts in the name of his cousin (25). These
are only preliminary reflections based on some provisional analysis of the
‚Urfehden‘, and this particular source may not be an accurate reflection
of the problems related to wastrel Iifestyle. However, it does suggest
a provisional hypothesis contrary to the view of the broadsheet ‚Zwölf
Vaganten‘ that vagrancy was not a voluntary matter occasioned by the
fecklessness of the idle and the spendthrift.
Marital or Sezual Problems
Marital or sexual problems emerge regularly as a reason for people taking
to the roads. Some were like Hans Beck, who deserted his new wife
Katherina Steh, and a considerable number of vagrants picked up for minor
offences were found to have deserted their families. Indeed, desertion
was one of the major grounds for divorce in Württemberg in the sixteenth
century, and it seems to have been a common form of marital breakdown.
Of the cases appearing before the Württemberg marriage court 1543-1590,
71% of the divorces granted were on the grounds of desertion (26).
One reason for the high incidence of desertion was doubtless the difficulty
of obtaining divorce, a feature of both Catholic and Protestant
regimes alike. The Protestant marriage court in Württemberg handled
three to four cases per sitting, over half of them disputes between partners
already married. Of the 3885 cases extant – there are gaps in the
records for the years 1541-43 and 1548-66 – only 1089 or 28% led to divorces
(27). Someone such as Hans Beck, who married in haste and who
had minimal ties in the community, found it easier to take to the roads as
a convenient way of ‚dissolving‘ a now unwanted marriage. It also seems
highly likely that many ‚marriages‘ were not intended to be such – they
were merely a convenient way of getting a girl into bed: in the Catholic
diocese of Constance attempts by women to have an alleged marriage contract
enforced provided one of the largest categories of marital Iitigation
for the period 1551- 1600, over 1000 cases or 20% of the total. In Protestant
Basel for roughly the same period, these cases account for 32% of
76
all marital Iitigation, and in the Catholic town of Constance it was as
high as 64% (28). No doubt a high proportion of the marital disputes
in Württemberg (54% of all marital Iitigation) was also concerned with
this issue as weil. (Here the Württemberg Marriage Court registers are
unhelpful for analysis, since the cases are recorded under summary heads).
It seems more than likely that difficulty in obtaining a divorce provided
a strong reason for taking to the roads. I suspect that such people were on
the poorer end of the social scale, those without any substantial property
ties. But this was not a necessary precondition for desertion: in 1533
Hans Schneider from Neuhausen, in territory belonging to the Abbey of
Zwiefalten, was arrested as he was in the process of selling up all his and
his wife’s goods and property and converting them into cash. He claimed
that the money was needed to purchase an annuity for hirnself and his
wife. However the authorities established that he intended to desert her
and run off with another woman (29).
Illicit liasons were another reason for turning vagrant. Punishments for
fornication and adultery ranged from heavy fines and imprisonment to
standing in the stocks and whipping, and provided a strong incentive to
uproot oneself from the community to escape punishment. The offences
of fornication and adultery were complex social phenomena. The male
adulterer may have been involved in a liason with another man’s wife,
with his maid or, as happened on many occasions, with a relative by blood
or marriage. Not infrequently the liason occurred with a step-daughter
living in the same household, sometimes after the man had become a
widower (30).
Married women may have had stronger incentive to become involved in
illicit relationships. Women deserted by their husbands, or left to manage
alone for long periods, may have been easily attracted to other relationships.
Even where a busband was not absent, the position of a wife was
far from easy. The harmonious family life so vigorously propagated as an
ideal by Catholic and Protestant moralists was far removed from the reality
uncovered in the criminal records, where brutal mistreatment of wife
and children was commonplace (31). Some of the cases are astonishing
in their callousness and Iack of human feeling, as in the example of J örg
Urban, cited above. Wife-beating, quarrels which could Iead to the physical
ejection of a wife from her dwelling, the wilful dissipation of the wife’s
marriage portion through a drunkard husband addicted to gambling, seem
daily occurrences (32). The tendency of the authorities was to attempt
to resolve such marital disputes by amicable settlements, backed by the
force of law, rather than allow separation of the family. The motive here
77
was doubtless to avoid the family being thrown into poor relief, and to
force the father to assume economic responsibility for them (33), a point
to which we shall return in a moment. In these circumstances it is not
surprising that married women were easily tempted into running away
with another man, either married or single, lured by the prospect of a
new life better than the old.
Although all the persons involved in such behaviour did not always
take to the roads, it often became a necessity in the small communities
of sixteenth century Württemberg, with its strict moral policing and severe
penalties for social and moral deviance. Often the determination
of the persons concerned is touching. In 1507 Hans Kuir ran away with
Jonen, Bastian Kleiner’s wife, and they went on the roads as man and
wife. lmprisoned for this offence, they simply repeated it as soon as they
were released. Similarly, Hans Kraus from Metzingen was imprisoned for
running off Melchior Zimmerman’s wife Anna from Gönningen. Ann was
stricken with leprosy, but Hans Kraus not only pretended that she was
his wife, but also begged with her as if he too were a leper (34).
There were also various reasons why women took to the roads alone: as
in the case of Katherina Steh, shame at desertion or shame at loss of virginity,
especially where this was made apparent by pregnancy. Becoming
a vagrant, however temporarily, was a way of disposing of an unwanted
infant. In 1531 Apollonia Knoblaucher of Grüningen, in service in Urach,
was arrested on suspicion of infanticide. She had been pregnant the previous
year and had gone away for some time, to return without a child.
She became pregnant again, and once again went away to another district,
where (as the charges against her alleged) she had her child in a barn and
left it to die. The case was held to be not proven, and she was released,
but had to pay the costs of her imprisonment and trial, and was exiled
from the district (35).
The system of criminal justice
That so many people involved in marital irregularity fled their place of
residence rather than face harsh punishments points to another major
reason why so many people took to the roads.The very operation of the
system of ‚police‘ and criminal justice, intended to create security and harmony
within the community, often had the opposite effect – of uprooting
people from it, and turning them into exiles. The most obvious form this
phenomenon took was flight to avoid punishment which those charged
with offences feared could endanger life and limb. In a society mini-
78
mally equipped for policing in the modern sense of the term, a good deal
of judicial control depended on the willingness of individuals to present
themselves on demand to face investigation, trial or punishment. A very
substantial number of offenders, summoned before a court or a ‚Vogt‘,
took to their heels out of fear at the consequences of a criminal hearing,
which might involve interrogation und er torttue ( the so-called ‚peinliche
Frage‘). Although the authorities in Württemberg seemed to make a distinction
between offences involving danger to life and limb (where flight
might be understandable) (36), many people fled the territory for lesser
offences.
Such absences were usually only temporary, as the aim of the fugitive
was sooner or later to attempt to negotiate-an agreement allowing return
without being subject to the full rigour of the law. The authorities were
usually willing to enter into such negotiations, if only because it fitted of
what was in effect a system of ‚plea bargaining‘. This allowed an accused
person to accept a punishment imposed by the local official in return for
being spared a full judicial process (37). In the meantime, however, such
a fugitive lived outside the law, in insecurity and uncertainty, unable to
secure a firm place of residence, the more insecure if his wife and children,
goods and property remained in Württemberg and effectively out of his
control.
The penalties for offences also contributed more directly to geographic
mobility. The range of penalties for felonies and similar misdemeanours
ranged from brief imprisonment and monetary fines, over shaming punishments
such as standing in the ‚Pranger‘ or ‚Halseisen‘, to corporal
punishment such as whipping or mutilation along with exile. Exile was
perhaps the most common form of punishment other than monetary fines
– in Leonberg it accounted for 40% of all punishments during the last
quarter of the sixteenth century. The use of this form of punishment was
also given a certain impetus by the practice of ‚plea bargaining‘, where
exile was often substituted for a form of more severe corporal punishment.
Exile was of two kinds: exile within a village, town or district boundary;
or exile outside these boundaries, and especially beyond the boundaries of
the territory, usually defined in broad terms such as ‚beyond the Rhine,
Donau, Lech‘ etc. Exile outside the territory was by far the more favoured
punishment, accounting for 30% of the punishments in Leonberg. This
was certainly a major contributor to the creation of a temporary vagrant
group. The term of exile could be expressly limited, for example, to a
year; but often it was for an indefinite period. A form of sentence favoured
for those too poor to pay fines for misdemeanours such as breach of the
79
peace or petty felony was to exile the offender until such time as he was
able to pay. He would be forced to take temporary service or find other
means of raising the funds. Most frequently exile outside the territory
was declared to be ‚lifelong‘, but in practice this was not followed out
to the Ietter. Often a petition for readmission was presented within six
to ten months of the sentence, and most exiles could have hoped for
some remission of their term. The Urfehden contain many readmissions,
although one of their limitations as a source is that they do not record all
such readmissions and so provide a complete picture of the real numbers
of those involved in this category.
Those unable to gain readmission were forced to seek residence elsewhere,
although the numbers of those who returned without permission
was considerable. This may have been accentuated by the exiles owing
property in the territory from which they were exiled. On many occasions
the offender was exiled with his wife and children, and occasionally explicitly
ordered to dispose of all real and moveable property. Where the
exile was not made really etfective in this way, the incentives to return to
his home district were great.
The persistence with which exiles were willing to defy the law can be
seen from some examples. Veit Goser from Berghulen in the Blauheuren
district was arrested because of some misdeed in 1544, and sentenced to
be whipped and exiled. He subsequently appeared before the Blauheuren
court charged with theft, and implicitly with breach of the exile, and
was whipped and exiled again. Apprehended a third time in 1549 for
breach of his exile, he had three fingers of his right hand removed and
was this time exiled within the Blauheuren district. Similarly, Margaret
Beck, married to Hans Beck of Stuttgart, was exiled outside Württemberg
with her sister-in-law Otilia Beck, but she returned three times, despite
increasingly severe terms of imprisonment for each offence (38).
I want to suggest that such punishments played an important role in
putting people on the roads as vagrants. For an exile the difficulties of
settling elsewhere were considerable, especially if he had to bring testimony
of good character. The authorities clearly expected exiles to take up
respectable residence elsewhere, but they were also aware that it was just
as likely that exiles would merely become vagrants. Occasionally exiles
were expressly warned about this danger. In 1540 Hans Kessler Junior of
Brackenheim was exiled for being an accomplice to a homicide and on suspicion
of arson. He was explicitly told that he should not wander around
like a ‚Landfahrer‘, but that he should seek to settle somewhere. Also sentenced
at the same time was Wendel Kessler, perha.ps a relative or even
80
Hans‘ father. He too was told to settle wherever he would be accepted
and to cease wandering (39). Sometimes those granted a limited exile
were required to bring evidence of good conduct on their return. This
was especially the case for those sentenced to go and fight for the Emperor,
as occurred occasionally under the Habsburg rule in Württemberg.
It was on this condition that Hans Beltzinger, former mayor of Vaihingen,
a goldsmith convicted of deception with cloth, was released from prison
in 1566, with the stipulation that he go to fight the Turks in Malta or
Hungary (40).
The economic situation of those sentenced to internal exile can have
been as little attractive as those sentenced to exile outside the territory. If
they were unable to find ·work locally, they had no other choice but to leave
the territory illegally. Here, as in the previous section on marital affairs,
it could be argued state action did as much as individual proclivities to
create a vagrant population. However, a more direct role of the state can
be seen in my last category.
Political Gauses
If we divide the various kinds of offence prosecuted in sixteenth century
Württemberg into broad categories such as theft, breach of the peace,
felony (‚Frevel‘ – usually involving wounding or grievous offences of affray),
etc., we find that the two major categories were theft and broadly
political offences. In Leonberg, where we have as full an overview of crime
as we are likely to have for any place in sixteenth century Württemberg,
theft, including poaching, accounted for 26% of all cases, followed by political
offences with 21%. A great proportion of these political offences
were concerned with involvement in the Peasant War of 1524-5, as weil as
with the Poor Conrad. Many of the rebels took flight in order to avoid
punishment, and pursuit of the ‚Ausgetretenen‘ went on for ten years or
more. Table 111 shows the numbers of persons prosecuted for participation
in the Peasants‘ War in twelve districts of Württemberg in which they
resided, a total of 635 persons. These prosecutions accounted for almost
23% of all persons recorded in the Urfehden for those districts. Around
one in five of those prosecuted had taken flight to escape punishment, and
another 33 persons had been expelled as punishment for their roles in the
rebellion. A further 31 persons were arrested in these districts, but were
normally resident outside of them, and they may also be presumed to
be ‚Ausgetretene‘. Most of the exiles remained ‚in Unsicherheit‘ for periods
between four months and three years, although most were readmitted
8 1
during 1526.
Table III
Prosecutions for participation in the War and flight or expulsion
·oi;tric_t __ Proae􀂁ut􀂂d—% ·.;r-;.-Ii-fifght- exp;Üed
Balingen 27
Bietigheim
Stadt 21
Amt 54
Blauheuren 17
Calw 28
Göppingen 1 6
Kirchheim
Stadt 24
Amt 70
Laufren 33
Leonberg
Stadt 1 3
Amt 14
Marbach
Stadt 3
Amt 170
Schorndorf
Stadt 7
Amt 41
Stuttgart
Stadt 1 6
Amt 8
Waiblingen
Stadt 13
Amt 35
636
prosecutiona
40,3
53,8
64,3
18,5
20,7
8,9
15,2
17,3
26,0
36,0
6,7
7,5
65,9
22,6
19,7
4,8
3,1
46,4
60,3
22,8
(N=2784)
5
8
8
15
1 2
4
1 1
6
6
8
3
*
3
16
8
4
2
120
1
6
3
1
11
6
4
33
• NB in Marbach diatrieb those prosecuted were drawn from 16 different communitiea;
in aeven of theae all offenden were sentenced to exile, but the aentence was
commuted on payment of a monetary fine. 167 persona were involved, and paid a total
o{ 664 Gulden in finea.
The Württemberg government was continually anxious about any links
between vagrant crime and peasant rebellion, and in the years following
the peasant defeat, interrogators regularly asked about the possible involvement
of suspects. From 1526 there was a growing moral panic about
alleged arsonists who were linked to vagrants. This was given impetus by
82
an alleged conspiracy uncovered by the Elector Ludwig of the Palatinate
in May 1526, which supposedly involved beggars who planned to burn
out princes and others who had helped the Swabian League oppress the
peasants (41).
Elsewhere, I have described how this moral panic traced an upwa.rd
curve, helped by the paranoia of the authorities and the almost certain
existence of bands of fireraisers not just in Württemberg, but also in
other parts of Germany, until it reached a peak in 1540, a year when all
the German speaking Iands seemed to be in the grip of ‚ Mordbrenner‘
( 42). There may have been grounds for the political nervousness (if not
for the ‚Mordbrenner‘ panic) , for the peasantry in Württemberg remained
continually refractory.
The years of the Habsburg rule in Wiirttemberg were also heavily influenced
by nervousness about the partisans of the exiled Duke Ulrich.
Between 1520 and 1534 there were 60 cases involving some form of partisanship
for Ulrich, and 14 of these involved persons who ha.d gone to join
him, either in Mompelgard or in Hohentwiel ( 43). The latter were forced
to swear an Urfehde when they returned to their place of residence, and
we have no indication of the numbers who remained in such self-imposed
exile. The Habsburg government believed tha.t there were ma.ny persons
wandering the roads acting as informants for the exiled prince, although
they were singularly unable to lay hands on many of them. This may
indicate that such fea.rs were unfounded or merely reflect the limitations
of sixteenth century policing. After Ulrich’s return there was a residual
hostility to the restored government, reflected in a dozen cases 1535-44 of
words or deeds hostile to the Duke ( 44). Most of these involved abusive
or disparaging words against Duke Ulrich, but in 1535-6 there were two
cases of persons charged with plotting to shoot him (45), and one of a
traveller arrested in 1536 for spying against him ( 46).
Exile was sometimes a penalty used to punish political disobedience
and disturbance, but perhaps the authorities had learned much from the
panic produced in the wake of the Peasants‘ War, and they preferred to
keep their recalcitrant subjects in one place, where they could be more
easily controlled. Accordingly, I have found only a handful of cases after
1525 where persons were exiled for political offences such as abuse of,
disobedience towards, and acts of rebellion against Württemberg officials
( 47).
83
Conclusion
It was a commonplace of the sixteenth century that vagrancy was largely
a voluntary matter, a free choice entered into by those too shiftless to find
a settled residence and settled employment. The entire thrust of the Poor
Laws introduced since the late fifteenth century worked in this direction.
The Reformation provided an ideological justification for such views, with
its stigmatisation of begging, and its insistence that only the residential
poor were worthy of Christian charity and material support. Yet it seems,
from the evidence of the Württemberg Urfehden, that this was rarely the
case. People did take to the roads voluntarily – as ‚Landsknechte‘, as casual
workers, as runaway Iovers, as political refugees, as fugitive debtors,
as squanderers. But in very few of such instances was an element of social,
economic, political or judicial compulsion absent. Political refugees,
runaway Iovers, squanderers, fugitive debtors all fled because of their fear
of harsh punishments. Given a free choice, they would have remained
in their communities and brazened it out. In many cases such ‚offenders‘
were forced away from their place of residence by judicial exile – but
wherever they could, they returned to their home communities, even if
this meant risking further punishment. In many of these cases, we may
speak of involuntary mobility. Casual workers and ‚ Landsknechte‘ were
closer to the image of the voluntarily mobile, but this was consciously and
deliberately a temporary state of affairs. My overriding impression from
the 7000 and more Württemberg Urfehden is that those who were vagrant
out of free choice were very, very few ( 48).
Perhaps the authorities implicitly recognized this, for the wandering
poor were not always as harshly treated as the moralists of the age demanded.
Often a blind eye was turned to the genuinely wandering beggar:
he ( or she) was sent on his ( or her) way with a warning, simply expelled
without too much further ado – much the same way as the Württemberg
authorities expelled their own recalcitrant citizens and subjects. Even a
breach of the expulsion order and of the sworn Urfehde did not always
Iead to the full rigour of the law threatened for recidivists. Württemberg
officials often showed the tired resignation of the sorely tried bureaucrat,
rather than the wrath of the aroused moralist. Perhaps in their pragmatic
way they had recognized that vagrancy was a way of life rarely chosen voluntarily
and with any joy. They were aware that the temporary vagrancy
that seems to have been the norm for sixteenth century Württemberg
could easily become a permanent way of life, but as in the case of Veit
Brunner and Katherina Steb there was more than a little human tragedy
84
involved.
NOTES
1) There hns been n revivnl of interest recently in the ‚fnhrende Leute‘ of the lntemedieval
nnd enrly modern period, sec B. Geremek, Truands et ‚miserables dnns l’Europe
moderne (1350-1600) (Paris, 1980); Fruntisek Graus, ‚Rnndgruppen der städtischen
Gesellschnft im Spiitmittelnlter‘, Zeitschrift für historische Forschung 8 (1981), 385-
437; F. lrsigler & A. Lnssottn, Bettler und Gnukler, Dirnen und Henker. Randgruppen
und Außenseiter in Köln 1300-1600 ( Cologne, 1984 ); Angelika Kopecny, Fahrende und
Vagnbunden. Ihre Geschichte, Überlebenskünste, Zeichen und Straßen (Berlin, 1980);
Christian Sachse & Florian Tennstedt, eds., Bettler, Gauner und Proleten. Armut und
Armenversorgung in der deutschen Geschichte (Hamburg, 1983); and the further bibliographicnl
detnils in these works. However, much of this newer Iiterature is concerned
either with the towns or with a fnirly broad-meshed discussion of poverty in general.
Exceptions here, though dealing with the eighteenth century, are Carsten Küther, Menschen
nuf der Straße. Vagierende Unterschichten in Bayern, Franken und Schwaben in
der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts (Göttingen, 1983); and Ernst Schubert, Arme
Leute, Bettler und Gnuner im Franken des 18. Jahrhunderts (Neustadt an der Aisch,
1983).
2) For these editions see F. Kluge, Rotwelsch. Qudlen und Wortschatz der Gaunersprache,
Vo!. 1 , Rotwelsches Quellenbuch (Straßburg, 1901 ), pp. 55-9, who reprints
the bibliographical listing made by Josef Maria Wagner in 1862.
3) M. Luther, Werke. Kritische Gesamtausgabe, vol. 26 (Weimar, 1909), pp. 634-54;
the editions on pp. 636-7; Luther’s prefnce, pp. 638-9.
4) See A. L. Reyscher, Sammlung der württembergischen Gesetze, vol. 12 (Tübingen,
1841), p. 14, the first Württemberg ‚Landesordnung‘. For the contrnst in nttitudes,
compare the Urfehde imposed on Ulrich Hngelin aus Neuffen in 1498, Hauptstnntsnrchiv
Stuttgnrt (herenfter nbbrev. HStASt) A 602, WR4059: that ‚ich … mich
mussiggands Iebens abtun‘, with that imposed on Zacharius Bader aus Entringen in
1 508, HStASt U2829: ‚dns ich argwonig hin und wider gewandert‘.
5) W.L. Strauß, ed., Max Geisberg. The German Single-leaf Woodcut 1500-1550,
vol. 1 (New York, 1974), p. 138.
6) The Urfehden nre in HStASt A44, nos. 1-7236 and are usunlly cited simply with
the prefix ‚U‘; there is n further series of pre-1500 Urfehden in A602, designated with
the prefix ‚WR‘. The Malefizakten nre in A43 (Urgichten und Mnlefizakten) and A209
(Oberrnt, Malefizakten).
7) The basic medievnl meaning of the Urfehde as ‚Einstellen von Fehde oder Verzicht
darauf‘ was supplemented during the sixteenth century with the notion of an ‚eidliche
Versicherung ein bestinuntes Gebiet nicht wieder zu betreten oder seinen Wohnsitz
nicht zu verlassen‘, J. & W. Grimm, Deutsches Wörterbuch, vol. 1 1/III (Leipzig,
1936), co!. 2410- 1 1 , although this does not exhaust all the subtleties of its use in the
hands of the sixteenth century stnte. The subject requires an extended discussion.
8) HStASt A309, Bü 90n (Peinliches Urteilbuch Leonberg); A309, Bü 90b, 90c (Peinliche
Gerichts-Protokolle Leonberg). I hnve so far made only n preliminary annlysis of
these sources by hand, prior to n more thorough computer-aided annlysis.
9) HStASt U6037, with 7 Beilagen.
10) HStASt U4893.
1 1 ) 0. Stolze, ‚Zum Verbot des Kriesgsdienstes für fremde Mächte in Deutschland
im sechzehnten Jahrhundert‘, Elsnß- lothringisches Jnhrbuch 21 (1943), 187-213.
85
1 2) The first Generaireskript to rnention the offence was issued on 1 1 September
1514, Reyscher, p. 15, but the offence itselfwas being prosecuted frorn 1508, HStASt
U750, with further prosecutions in 1511 (U4663) and 1514 (U626).
13) For the recruiters see HStASt U86, U414, U520, U794, U967, U1084, U1477,
U3181, U3882, U4102, U4777, U4991, U4946, U5172, U6008.
14) Victor Turner, ‚Pilgrirnages as Social Processes‘, in Dramas, Fields and Metaphors
(Cornell, 1974), pp. 195-6.
15) HStASt A309, Bü 90b, Jerg Groningen, genannt Schuchrnocher.
16) HStASt U436, U436o.
17) HStASt U515, U596, U781.
18) Freedorn of rnovernent within the duchy was guaranteed for Bürger of Württernberg
by the 1514 Treaty of Tübingen, which counted olrnost as o state constitution,
but the officiols of the sixteenth century seem to hove used a rough rule of thurnb about
what was or was not ‚idle wondering‘.
19) See Historischer Atlas von Boden-Württernberg, Hrsg. von der Historischen
Kornmission für Baden-Württemberg (Stuttgort, 1972-85), Erläuterungen XII, 1 , p.
10. With only five persons in Horrheirn possessing weolth of 1000 G. ond rnore, weolth
seems to hove been relatively evenly distributed.
20) HStASt U626 (Beutz); U207 (Seytz); U507 (Bider); U2886, U2892 (Beck).
21 ) HStASt U6524 (Eck), U613 (Fuchs).
22) HStASt U2098, U2116.
23) HStASt U6625.
24) HStASt U6680.
25) HStASt U6358.
26) See Günther Erbe, ‚Das Ehescheidungsrecht im Herzogturn Württernberg seit
der Reformation‘, Zeitschrift für württernbugische Landesgeschichte, 14 (1955), pp.
95-144, esp. p. 116.
27) The anolysis of the Württernberg Ehegericht-Urteilsbuch hos been rnode by
Erbe, ‚Ehescheidungsrecht‘, p. 115.
28) Thornas Max Sofiey, Let No Man Out Assunder. The Control of Morrioge in
the Germon Southwest, 1550-1600 (Kirksville, Miss. , 1984), p. 141; see also pp. 52,
64.
29) HStASt U6684.
30) For an exarnple, see the 1554 cose of Georg Fillenbach aus Lienzingen and his
sister-in-law Schrnid Anna, HStASt U6590-91. Georg hod taken Anna, an orphan and
the sister of his deceased wife, into his house despite officiol wornings; she became
pregnant ond the pair ottempted to keep the pregnancy secret; the child died in birth,
arousing the suspicion of an abortion. In Leonberg there were six coses of incest in the
decade 1 577-1586: Hans Schatten von Heimesheimmode his step-doughter pregnant in
1577; Catherina Werlin cornrnitted incest with her step-father in 1578; in 1579 Melchior
Rebhunen irnpregnated the daughter ofhis wife’s brother; Jocob Weyh von Hausen a.d.
Wurm rnade his cousin pregnant in 1580; Jörg Christa was accused of incest in 1585;
Kunigund Voglerin was charged with incest with her father in 1586, HStASt A309, Bü
90b-c, passim.
31 ) The excessively idealised depiction in S .E. Ozrnent, When Fathers Ruled. Farnily
Life in Reformation Europe (Cambridge, Mass., 1983), using largely tracts frorn Reformation
rnoralists, hardly refiects the social reality. A more sombre picture, using the
cornplete range of social historical sources ovailoble, is given by Lyndal Roper, Work,
Marriage and Sexuality: Women in Reformation Augsburg, University of London Ph.
D. dissertation, 1985, esp. eh. 5.
86
32) There is a danger of distortion through use of sources such as crim.inal record􀂴
and church court records, which call allenlion only to marital dysfunction and not to
harmony, something of which Safiey is very nwnre in his study of marital breakdown.
However the regularity with which such offences appear in the records shows that they
were not exceptionnl events and were certainly part of daily life experience.
33) This is the implication in many of the Urfehden, see for example the 1529 case
of Georg Henninger, who m.istreated his wife, m.ixed with bad company and squandered
his wealth; he had to swear to avoid bad companions, not to waste his wife’s
wealth, or to dispose of any of his wife’s wealth without perm.ission from the authorities
(U6602). Sim.ilarly, Heinrich Stainlin, arrested in 1527 and again in 1534 for gambling
and squandering, was ordered to moderate his behaviour in order not to bring wife and
child into poor relief (U6451, 6455). However, the Württemberg Eheordnung of 1563,
in its chapter ‚Von Versönung und Zusanunentädigung der Eeleut‘ was more neutral,
stating only that a settlement was desirable ‚dass die· heilig Ee und Band nit zertrennt ,
sonder in gutem Willen und göttlichem Befdch bleibe‘, W. Kunkel, ed., Polizei- und
Landesordnungen, Quellen zur neueren Privatrechtsgeschichte Deutschlands, vol. 2/1
(Weimar, 1969), p.18.
34) HStASt U2726 (Kuir); U3821 (Kraus).
35) HStASt U6007.
36) This emerges indirectly from those charged for Landesflucht in cases where
neither life nor limb were threatened, e.g. U1829 (1529).
37) The following examples show how this system operated: Michel Durrleber von
Stuttgnrt was accused in 1 508 of stealing money from Conrad Voginger, who had left
his house and goods in Durrleber’s care; instend of n judicial proceeding, Durrleber
chose to be whipped nnd expelled from Stuttgt>rt, HStASt U4243. In 1511 Margret,
widow of Mathes Matzger of Stuttgart was accused of stealing aome turnipa from a
garden, and instend of a judicial proceeding was punished by exile, U4249. Martin Glee
aus Neuffen, accused in 1624 of breaking an earlier Urfehde from 1523 chose exile from
Württemberg instead of due process of law. As yet I can point to no firm patterns of
offences or phases of operation of this policy, although my first impresaiona are that i t
was fairly randomly applied.
38) HStASt U319 (Goser); U3192 (Margaret Beck); and on Otiiia Beck, U4372,
U4403.
39) HStASt U639, U640.
40) HStASt U6043.
41) HStASt, H54, Bü 66, nr. 37, Pfalzgraf Ludwig an Daniel Trautwein, Amtmann
zu Boxberg, 8. Mai 1526: Uns ist eroffnet worden, wie ein bettler, so kurlzlich gericht
worden, bekannt hab, das etlich Bettler angericht sein, wider und für zihen sollen den
Edlen und andern, so wider die Pauern und bei dem Bund gewesen zu verbrennen etc.
42) See R. W. Scribner, ‚The Mordbrenner panic.in sixteenth century Germany‘ , in:
R. J. Evans, ed., The German Underworld, (forthcom.ing, London, 1988).
43) The following caaes involved partisanship for Ulrich (those who went to join
him are mnrked with a *): U370, U843*, U907*, U964, U1236-6, U1493, U1939,
Ut945*, U1949*, U1974, U1978, U2067, U2162*, U2178*, U2268, U2329, U2342,
U2369, U2482*, U2839, U3906, U3962, U3965, U4062, U4278, U4280-1, U4293, U4294*,
U4295, U4850, U4844*, U4847, U4851, U4854, U4866, U4873, U4878, U4885*, U4892-
3, U4908, U4931, U4933, U4940, U4956*, U4541, U5371*, U5378, U5415-6, U5438,
U5464, U5480*, U5542, U6504, U6709, U6732*, U6963.
44) See HStASt U806, U916, U1014, U1532, U2182, U2016, U2961, U4016, U4090,
U6389, U6763, U6563; to these must be added the case of a man who abused the
87
deceased Duke in 1 552 (U6553).
45) HStASt U916, U4016.
46) HStASt U5763.
47) See HStASt U191 ( 1 530), U200 (1565), U1140 (1533), Ul457 ( 1 543).
48) My argument here should not to be taken ns illustrnting or confirming the
systems-theory interpretntion ndvnnced nt this conference by Hnns-Jonchim HoffmnnnNowotny.
I hnve serious theoretical nnd ernpiricnl reservntions nbout both systemtheoretical
nppronches nnd nttempts to interpret mobility in terms of dysfunctionnlity.
I voiced n number of my reservntions in discussion during the conference (see discussion
reports ). Here it is sufficient to sny that stnte ond aociety in sixteenth century
Württemberg showed two faces, npparently efficient nnd well-structured in their formal
chnracteristics, but in practice extremely open-ended and loosely organised. Moreover,
a good deal of mobility was buiH into the workings of both stnte and society, and
could in no way be understood ns dysfunctionnl. I hope to tnke up such issues more
fully at a later date in an article on ‚Policing, Law and Disorder in sixteenth century
Württemberg‘.
88
RÄUMLICHE REKRUTIERUNG UND S O ZIALE
REPRODUKTI O N .
Beispiele aus dem spätmittelalterlichen und
frühneuzeitlichen Städtebürgertum Österreichs
ALBERT MÜLLER
Migration in vorindustrielle Städte ist für Historiker schon längere Zeit
ein Thema, wenn ihm auch nicht gerade zentrale Bedeutung zugemessen
wurde. Nur sehr selten und erst i􀚷 letzt􀚸i Zeit wurden Versuche unternommen,
städtische Migrationsgeschichte als solche systematischer zu
untersuchen ( 1 ). Es ist aus verschiedenen Gründen nicht überraschend,
daß die Geschichte der Neuzeit dabei bis jetzt erfolgreicher war als die
Geschichte des Spätmittelalters (2).
Für mittelalterliche Städte waren es vor allem drei wesentliche Zusammenhangsbereiche
innnerhalb der traditionellen Historiographie, in denen
städtebürgerliche Migration thematisiert wurde.
1. Der Bereich der Stadtentstehung: hier wurde vor allem die Frage gestellt,
wie sich die frühen nachweisbaren Bürgergemeinden bildeten, aus
welchen anderen Gruppen der mittelalterlichen Gesellschaft sie sich zusammensetzten
usw. ( 3)
2. Der Bereich der Genealogie: Die genealogische Forschung v. a.
des 19. und 20. Jahrhunderts hatte ein spezifisches Interesse an der
räumlichen Herkunft einzelner städtebürgerlicher Personen und Familien ( 4).
3. Der Bereich der ‚Volkszugehörigkeit‘: v. a. bis zur ersten Hälfte des
20. Jahrhunderts hatte eine nationalistisch ausgerichtete Geschichtsforschung
großes Interesse an der „Volkszugehörigkeit“ (und der Herkunft)
der Bürger in sprachlichen Mischgebieten, etwa der böhmischen Städte
(5).
Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, zwei Beispiele für Osterreich im
Hinblick auf den Zuzug einzelner Bevölkerungsgruppen empirisch zu untersuchen
(6).
Betrachten wir zunächst die Möglichkeiten, die zur näheren Untersuchung
von Migrationsprozessen in Städte zur Verfügung stehen.
Grundsätzlich gibt es zwei vielversprechende Ansätze – und damit korrespondierende
Quellentypen – für die Erforschung städtischer und im
engeren Sinn städtebürgerlicher Migration (7).
89
Zunächst ist hier der prosopographische Ansatz zu nennen (8): Die akkumulierte
Sammlung möglichst vieler Informationen aus allen zur Verfügung
stehenden Quellen und Quellentypen. Dies kann als eine besonders
„radikale“ Annäherung an sozialgeschichtliche „Wirklichkeiten“ des
15. und 16. Jahrhunderts angesehen werden. In der Praxis ergeben
sich aber für die Migrationsgeschichte eine Reihe von Problemen, obwohl
aus städtischen Urkunden, Testamenten und anderen Einzelquellen häufig
Zuwanderer erschlossen werden können. Der quantitative Umfang der Inmigration
kann aber auf der Basis prosopographischer Zugänge zumeist
nicht angegeben werden. Der Zeitpunkt der Zuwanderung liegt in vielen
Fällen unbestimmbar lang vor der ersten quellenmäßigen Erfassung einer
Person. Die Interpretation von Herkunftsnamen ist mindestens für das 15.
und 16. Jahrhundert mit großen U nsicherheiten verbunden. Die kritische
Überprügung der Quellen zeigt, daß von Herkunftsnamen nicht generell
auf individuelle Migrationsakte geschlossen werden darf (9). Der große
Vorteil des prosopographischen Ansatzes liegt dagegen in den Möglichkeiten,
die soziale Stellung von Zuwanderern besser beschreiben zu können.
Der zweite Ansatz ist die quantitative Analyse von seriellen Quellen,
v. a. Bürger- und lnwohneraufnahmen, die zumindest implizit in vielen
Fällen Migration zum Gegenstand haben ( 1 0).
Zur Problematik der quellenmäßigen Erfassung: Die “ typische“ Quellensituation,
die für die Österreichischen Städte des Spätmittelalters und der
frühen Neuzeit vorherrscht, erlaubt keineswegs eine vollständige Erfassung
des Phänomens Zuwanderung. Aus urkundlichem Material, das zwar
prosopographische Analysen ermöglicht, ist nur ein Bruchteil der Zuwanderungen
zu erschließen. Dies zeigen nicht zuletzt prosopographische Untersuchungen,
die für die steirischen Städte Judenburg und Graz, sowie
für die Oberösterreichische Stadt Linz angestellt wurden ( 1 1). Trotzdem
kann individuelle Migration von Städtebürgern – also Wanderung von
Einzelpersonen – manchmal gut aus diesen Quellen erschlossen werden,
wie einige Arbeiten zeigen ( 12).
Das Gesamtphänomen städtebürgerlicher In-migration kann nur dort
annähernd erfaßt werden, wo serielle Quellen vorliegen. ( 1 3). Zunächst
ist aber zu berücksichtigen, daß spätmittelalterliche und frühneuzeitliche
listenartige Quellen nicht im Sinn oder zum Zweck einer neuzeitlichen
Bevölkerungsstatistik geführt wurden und schon aus diesem Grund nicht
analog zu diesen behandelt werden können. So trivial dieser Hinweis sein
mag, so notwendig erscheint er mir angesichts dessen, daß im Namen
einer “ Bevölkerungsgeschichte“ aus mittelalterlichen Listen immer wieder
“ Volkszahlen“, “ Einwohnerzahlen“ etc. rekonstruiert worden sind ( 14).
90
Die hier in Rede stehenden listenartigen Quellen dienten in unterschiedlichen
Städten unterschiedlichen Zwecken. Zumeist waren sie eng mit dem
städtischen Rechnungswesen verknüpft (15).
Selbstverständlich kann die gesamte Zuwanderung in eine Stadt innerhalb
eines bestimmten Zeitraumes nicht mit den Einträgen in das Bürgerbuch
in Deckung gebracht werden:
1. sind nicht alle Zuwanderer Bürger geworden. Auch im Status eines
Gastes konnte man sich länger in einer mittelalterlichen Stadt aufhalten
(16).
2. besteht zumeist ein individuell variierendes (und zumeist nicht erhebbares)
time-lag zwischen der Zuwanderung und der Zubilligung oder
dem Erwerb eines bestimmten Rechtsstatus (17).
3. sind bestimmte Gruppen der Zuwanderer in diesen Quellen per definitionem
nicht erwähnt: dies betrifft Frauen ( 18), Dienstboten, Marginale
etc. ( 1 9 ) .
Es muß also festgehalten werden, daß die hier verwendeten Quellen –
und das haben sie mit den meisten vergleichbaren listenartigen Quellen
dieses Zeitraums gemeinsam – weder eine auf den (Zeit- )Punkt genaue
Zuwanderungsgeschichte erlauben, noch daß auf ihrer Grundlage eine unmittelbare
Vergleichsmöglichkeit zwischen einzelnen Städten gegeben ist.
Beides ist nur vermittelt möglich (20).
Für Österreich wurde die Bedeutung der Zuwanderungen in Städte noch
nicht umfassend untersucht. Dies ist nicht allein in der ungünstigen Quellensituation
begründet. Aus prosapographischen ( 2 1 ) Untersuchungen
und z. T. älteren stadtgeschichtlichen (22} Arbeiten kann ein erstes Bild
für Mittel- und Kleinstädte gewonnen werden:
1. Zuzüge aus dem städtischen Umland überwiegen bei weitem die
Zuzüge aus ferneren Regionen (23);
2. Zuzüge, die nicht aus dem Nahbereich einer Stadt erfolgen, stehen
in vielen Fällen in einem durch das grundherrschaftliche System gestifteten
Zusammenhang. Andererseits spielen politische Kontakte zu anderen
Städten sowie Handelsbeziehungen eine hinreichend wichtige Rolle (24);
3. bei Stadt-Stadt-Wanderungen überwiegen Wanderungen von kleineren
in größere Städte (25).
Im folgenden sollen nun zwei Beispiele österreichischer Städte auf der
Basis listenartiger Quellen näher untersucht werden.
Beispiel t Salzburg (26): Seit 144 1 ist für Salzburg ein Bürgerbuch erhalten,
das die zugezogenen Neubürger verzeichnet (27). Die Neubürger sind
mit Namen, häufig auch mit Berufsangaben und Herkunftsort sowie mit
der Höhe des auferlegten und entrichteten Bürgerrechtsgeldes genannt.
91
Die Neubürger wurden zum größten Teil en bloc unter einem Datum eingetragen.
Der erste Band des Bürgerbuches, der von uns ausgewertet wurde,
führt bis 154 1 . Obwohl das Salzburger Bürgerbuch nicht vollständig ist
– einzelne Bürgeraufnahmen sind in den wenigen erhaltenen Ratsprotokollen,
aber nicht im Bürgerbuch verzeichnet (28) -, ist es als besonders
wichtige Quelle für die Migrationsgeschichte (aber auch für die prosopographische
Forschung) anzusehen. Offenbar wurden Bürgersöhne nicht in
das Bürgerbuch aufgenommen. Soweit ersichtlich erfolgte dies nur, wenn
eine längere Abwesenheit aus der Stadt vorlag.
Die Verteilung der Zuwanderungen bzw. Bürgeraufnahmen schwankt
innerhalb des Beobachtungszeitraums jährlich stark: Die Variationsbreite
reicht dabei von Jahren, für die keine Bürgeraufnahmen ii herliefert sind,
bis zu einzelnen Spitzen mit über 60 Aufnahmen. Das arithmetische Mittel
beträgt 24.7 an jährlichen Bürger aufnahmen, die Standardabweichung
ist 13.2 bei 2501 in die Berechnung eingegangenen Fällen. Die jährlichen
Bürgeraufnahmen sind annähernd normalverteilt (Modus=23, Median=
24).
Der Graphik 1 ist der Sachverhalt starker jährlicher Schwankungen
ohne weiteres zu entnehmen. Diese Werte gleichen sich aber weitgehend
aus, wenn man sie auf J ahrzehnte aggregiert und die Zuwanderungs(
Bürgeraufnahme-)zahlen miteinander vergleicht (29). Eine bei Zeitreihendaten
gebräuchliche Form der Datentransformation ist die Errechnung
von gleitenden Durchschnitten, auch diese sind in Graphik 1 eingetragen
(30). Führt man eine solche Transformation durch, so kann die Kurve
etwas geglättet werden. Wir nehmen aber zunächst Abstand von der Behauptung,
die Zahl der Bürgeraufnahmen hätte sich nach einem zyklischen
Modell entwickelt. Die aus den Rohdaten errechnete Autoregression ist
unbedeutend (31).
92
Graphik 1: Bürgeraufnahmen in Salzburg 1441 – 1541
*
1450
1460
1470
1480
1490
1500
1510
1520
1530
1540
*
*
*
*
*
*
* Rohdaten
*
* *
1 0 20 30
+ Gleitende Durchschnitte (siebenjiihrig)
*
*
*
*
*
*
*
*
*
*
40 50 60 70
93
Beüpiel 2 Innsbruck (32): Im Gegensatz zu Salzburg hat sich für Innsbruck
nicht nur ein Verzeichnis der Bürgeraufnahmen (angelegt um 1487),
sondern auch ein Register über die Aufnahme von Inwohnern seit 1508
erhalten (33). Das Innsbrucker Bürgerbuch wurde nach anderen Prinzipien
geführt als das Salzburger Bürgerbuch. Es unterscheidet sich vor
allem durch die Nennung von Bürgersöhnen. Während im Salzburger
Bürgerbuch zumeist Zuwanderer verzeichnet sind, enthält das Innsbrucker
Bürgerbuch zu einem Teil Ortsansässige ( Bürgersöhne und lnwohner, denen
das Bürgerrecht erteilt wurde) (34). Dementsprechend ist die Zahl
der genannten Herkunftsorte im Innsbrucker Bürgerbuch gering.
Dagegen enthält das lnwohneraufnahmeverzeichnis vor allem Zuwanderer.
Sie sind – ähnlich dem Salzburger Bürgerbuch – häufig mit Berufsund
Herkunftsangaben sowie mit dem Datum der Aufnahme bezeichnet.
Für die Migrationsgeschichte ist also das Inwohneraufnahmeverzeichnis
wesentlich bedeutsamer als das Bürgerbuch (35).
In der Zeit von 1 508 – 1555 sind 476 [nwohneraufnahmen dokumentiert.
Die Frage, ob die sich für die Jahre 1524-26 ergebenden 0-Werte „echte“
0-Werte sind, oder ob sie auf Überlieferungsstörungen beruhen, konnte
nicht entschieden werden.
Die Innsbrucker Ergebnisse ähneln den Salzburger Ergebnissen in vielerlei
Hinsicht. Auch hier sind große jährliche Schwankungen für die einzelnen
Jahre festzustellen. Das arithmetische Mittel der jährlichen lnwohneraufnahmen
beträgt 9.7 mit einer Standardabweichung von 5.9. Der Maximalwert
enthält 29 Zuwanderungsfälle, die Minimalwerte 0 (Modus und
Median liegen bei 9). Die Kurve der einzelnen Jahreswerte ist annähernd
normal verteilt. Auch hier ergeben die Versuche, die Kurve zu glätten ein
ähnliches Ergebnis wie beim Salzburger Bürgerbuch. Graphik 2 dient der
Veranschaulichung dieser Ergebnisse (36).
94
Graphik 2: lnwohneraufnahmen in Innsbruck 1508 – 1555
… .. „‚ 1510 .. 􀀄: 1520 *
*
*
1530 \􀀃.
􀀃 “ *
1540 ** * t * .
* 1\ 1550 * *
1 * * * *
10 20 30
“ Rohdaten
+ Gleitende Durchschnitte ( siebenjiihrig)
Die starken jährlichen Frequenzschwankungen in beiden Beispielen scheinen
uns zunächst als wichtiges Indiz dafür gelten zu können, daß städtische
Instanzen regulierend in das Zuwanderungsgeschehen eingriffen. Der
städtische Rat bzw. der Bürgermeister spielte dabei eine wichtige Rolle,
aber auch andere städtische Instanzen vertraten ihre Interessen (37). Das
heißt – zugespitzt formuliert – Zuwanderung und Bürgeraufnahme entsprach
jeweils einem unmittelbaren Bedarf in der Stadt. Diese These
konnte in anderen Fällen im übrigen besonders gut anhand gestiegener
Zuwanderungen (und Bürgeraufnahmen) in der Folge nachweisbarer demographischer
Krisen bestätigt werden (38). In unserem Fall können krisenhafte
Entwicklungen nicht unmittelbar und eindeutig benennbar und
datierbar gemacht werden (39).
Obwohl in der älteren Literatur immer wieder von bürgerlichen „Geschlechtern“
(im Sinn von Familien, die zahlreiche Generationen in einer
Stadt lebten) die Rede ist, konnte von der neueren Forschung festgestellt
95
werden, daß auf jeden Fall in Kleinstädten, aber auch in den größeren
Städten Mitteleuropas bürgerliche Familien kaum länger als drei Generationen
patrilinear in einer Stadt nachzuweisen sind ( 40). Dieser Befund,
der als kumulativ bezeichnet werden kann und nur durch wenige tatsächliche
Ausnahmen ergänzt wird (41), spricht für eine gewisse Instabilität
der jeweils einzelnen Bürgerfamilien in den einzelnen Städten, oder anders
gesprochen für mangelnde Reproduktion(sfähigkeit) städtebürgerlicher
Gesellschaften auf der Ebene der Familie im patrilinearen Sinn. Die
stabilisierende Rolle von Frauen bei Reproduktion und intergenerationellem
Güter- und Vermögenstransfer bleibt hier außer acht ( 42).
Für diese Instabilität kann eine Reihe von gleichsam pauschalen Gründen
angeführt werden, die alle einzeln häufig belegt wurden, bis jetzt aber
in ihrer quantitativen Dimension und Wertigkeit noch nicht abgeschätzt
werden konnten. Dazu gehören v. a. niedrige durchschnittliche Lebenserwartung
(43) bzw. niedrige Überlebensraten bei Kindern (44), aber auch
die Ausgliederung von Mitgliedern der Folgegeneration aus der bürgerlichen
Kommunität durch Universitätsstudium und Übertritt in den Klerus
(45). Dazu kommen ganz allgemein Abwanderungsprozesse, die mit individueller
vertikaler Mobilität mindestens Hand in Hand gehen ( 46).
Dagegen bleiben die Bevölkerungsgrößen der meisten Städte zumindest
seit 1400 – nach dem tendenziellen Ausgleich des Bevölkerungsverlusts
durch die Pest um die Mitte des 14. Jahrhundert (47) – etwa 100 bis
150 Jahre lang relativ konstant. Eine ähnliche Konstanz ist auch für
die flächenmäßigen Größen oder für die Stabilität sozialtopographischer
Strukturen festzustellen ( 48).
Wir halten diese beiden beschriebenen U mstände also thesenhart fest:
Auf der Ebene der Individuen und der Familien ist in den spätmittelalterlichen
mitteleuropäischen Städten die Reproduktionschance gering; das
Moment der Instabilität überwog das der Stabilität.
Auf der Ebene des jeweiligen Gesamtsystems ( 49) kann ein umgekehrtes
Phänomen beobachtet werden: Hier dominiert Systemstabilität, die wiederum
individuell (für eine jeweilige Stadt) und überindividuell beschrieben
werden kann. Für Stabilität ist unter anderem ausschlaggebend, daß
sich die Stadt auf einem „Markt“ von ‚llfanderern oder Wanderungsbereiten
gleichsam nach wechselnden Bedürfnissen “ bedienen“ kann.
Eine in diesem Zusammenhang wichtige Frage ist, wie hoch der Anteil
an den einzelnen Bevölkerungsgruppen ist, der durch Neuaufnahmen von
Zuwanderern ergänzt wird. Kehren wir zu den beiden Beispielen zurück:
In beiden Fällen kann nicht auf ‚harte Daten‘ zur Bevölkerungsgröße bzw.
zur Größe der fraglichen Gruppen, Bürger und Inwohner, zurückgegriffen
96
werden. Die jeweiligen Gruppengrößen können lediglich geschätzt werden.
Wegen der zeitlichen Punktualität der überblieferten Daten, auf die
sich die Schätzung stützt, müssen Annahmen – die natürlich in Frage gestellt
werden können – getroffen werden: (a) die Stärke der betroffenen
Gruppen ändert sich insgesamt nicht wesentlich, so daß die überlieferten
Einzeldaten über die Größe dieser Gruppen tatsächlich herangezogen
werden können; (b) die überlieferten Daten entsprechen annähernd der historischen
Realität. Unter diesen Annahmen können die Zahlen zur Größe
der Subpopulationen (Bürger in Salzburg, lnwohner in Innsbruck) mit den
langjährigen Durchschnitten der Bürger- und lnwohneraufnahmen in Beziehung
gesetzt werden. Die sich daraus ergebenden “ Ergänzungsraten“
sollen kennzeichnen, wie große Teile· einer Subpopulation durch Integration
neuer Mitglieder von außen – im Gegensatz etwa zur Integration von
Nachkommen von Subpopulationsmitgliedern – rekrutiert wurden.
Für Salzburg nehmen wir die Zahl der Bürger mit etwa 600 an (50). Die
Ergänzung dieser Gruppe wird mit jährlich durchschnittlich 25 Personen
geleistet. Die “ Ergänzungsrate“ beträgt demgemäß 4. 17%.
Für lnnsbruck ist die Zahl der lnwohner mit etwa 160 anzunehmen (51).
Bezogen auf die durchschnittlich 10 lnwohneraufnahmen pro Jahr ergibt
sich eine Ergänzungsrate von etwa 6.25 %.
Diese hier angegebenen Ergänzungsraten sind nur mit Einschränkungen
interpretierbar. Insgesamt können die ermittelten Zahlen als sehr hoch
angesehen werden.
“ Um existieren zu können, braucht die Stadt Zuzug von außen, und
so lockt sie immer neue Menschen an, die sich auch bereitwillig einfinden“
(52). Dieses wesentliche Grundprinzip städtischer In-Migration kann
kaum bündiger zusammengefaßt werden.
Allerdings scheint dieser Satz den, wie wir gesehen haben, differenziert
verlaufenden, ständigen In-Migrationsprozeß nur verkürzt zu beschreiben.
Keineswegs ist es nur die anonyme Masse der in die Stadt
drängenden Lohnarbeiter und Dienstboten, wie Braudei dies etwas plakativ
zusammenfaßt (53), die die In-Migration in ihrem Umfanf und in
ihren Ausprägungen jeweils bestimmt. Vielmehr waren alle Elemente einer
städtischen Struktur bzw. des städtischen Systems durch In-Migration
ergänzbar und zu ergänzen. In-Migration war also wesentlicher Bestandteil
der Reproduktion bzw. Autoreproduktion. Die Voraussetzung war
eine stabile „städtische Struktur: “ Strukturbildung (hebt) die Gleichwahrscheinlichkeit
jedes Zusammenhangs einzelner Elemente ( Entropie) auf.
Das ist Voraussetzung der Selbstreproduktion: des Ersetzens von verschwindenden
Elementen durch andere.“ (54)
97
Das Problem der Selbstreproduktion stellt sich nicht nur für die Städte
als Gesamtheit, sondern ebenso für die einzelnen Gruppen (55), aus denen
sich die Städte zusammensetzten. Bisher haben wir uns in den beiden
Beispielen mit der In-Migration bestimmter Gruppen in einem gegebenen
Zeitraum insgesamt beschäftigt. Die Zuwanderer selbst waren
in sich stark differenziert. Ihr Berufsspektrum war ausgedehnt, woraus
sich prima facie eine soziale Differenzierung erschließen läßt (56). Für die
exakte Feststellung sozialer Differenzierung (auch im Lebenszyklus der
Zuwanderer) fehlen aber die Informationen (57). Auch die Herkunftsorte
sind stark differenziert, sowohl was die Entfernung zum Zielort als auch
was die Qualität (Größe, Funktion, Status, Typ) anlangt (58). In neueren
Arbeiten zur empirischen Wanderungssoziologie bildet berufs- und schichtenspezifisches
Wandetverhalten eine zentrale Fragestellung. Dieses Problem
wurde für das Spätmittelalter kaum thematisiert. Beachtung fand es
lediglich im Zusammenhang mit der Geschichte von Gesellenwanderung,
die unsere Problematik allerdings nicht unmittelbar berührt (59).
Es soll anhand unserer Beispiele die Frage gestellt werden, ob es Anzeichen
dafür gibt, daß Beruf (und die damit verbundene soziale Position)
und Herkunft bzw. Wanderungsdistanz in einem Zusammenhang stehen.
Um das folgende in den Kontext der Quelle stellen zu können und
eine bessere Einordnung der Ergebnisse zu ermöglichen, muß zunächst
ein Überblick über die Informationsdichte der beiden Quellen hinsichtlich
der Herkunfts- und Berufsangaben gegeben werden.
Von den in der Salzburger Quelle eingetragenen Personen sind 73 %
mit einer Berufsbezeichnung und 27 % mit einer Herkunftsbezeichnung
versehen. Für 22 % aller Personen sind beide Angaben vorhanden. Die
lnnsbrucker Quelle weist bei 5 1 . 6 % der Personen Herkunftsangaben und
bei 57.6 % Berufsangaben auf. Für 30 % der untersuchten Personen existieren
Herkunfts- und Berufsangaben. Die Informationsdichte schwankt
mitunter stark, besonders im Salzburger Material (60). Hier ist festzuhalten,
daß Herkunfts- und Berufsnamen bis auf eindeutige Fälle nicht
berücksichtigt wurden. Normalerweise wurden nur die expliziten Angaben
in den Quellen verwendet. Bei den unten folgenden Tabellen wurde
immer auch die Zahl der Personen mit fehlenden Ortsangaben angeführt;
dies dient der Relativierung der Ergebnisse.
Für unsere Frage wählen wir zunächst zwei “ Kontrastgruppen“ unter
den Handwerkern aus: Die Bildung der Kontrastgruppen beruht darauf,
daß die Berufsgruppen des städtischen Handwerks nicht nur funktional,
sondern, damit verbunden, auch ökonomisch und sozial differenziert sind,
daß also das (Zunft-) Handwerk keineswegs eine einheitliche Gruppe in-
98
nerhalb der Städte repräsentiert (61). Die ausgewählten Kontrastgruppen
lassen sich auf zwei einfachen Skalen als „antagonistisch“ darstellen:
Kontrastgruppe A seien Berufe, deren Tätigkeit vom Arbeitsablauf her
gering spezialisiert sei und die der Subsistenzsphäre der Stadt zuzuordnen
ist. Kontrastgruppe (B) seien Berufe, die der (z.T. symbolischen)
Produktionssphäre zuzuordnen seien und deren Tätigkeit als hochspezialisiert
bezeichnet werden kann.
“ Produktion“ B
“ Subsistenz“ A 􀂯—————-
gering spezialisiert hochspezialisiert
Als erste Gruppe wählen wir zwei Berufe, die (relativ) unspezialisiert sind,
und eng mit der Reproduktionssphäre der Stadt verknüpft sind: Bäcker
(62) und Fleischhauer (63). Als zweite Gruppe wählen wir einen sehr spezialisierten
Beruf, der in spätmittelalterlichen Städten zumeist mit einem
hohen sozialen Status verbunden war: die Goldschmiede (64).
In den folgenden Tabellen wird eine Übersicht über die Herkunftsorte
der beiden Kontrastgruppen geboten. Die Tabellen zeigen deutlich das Dilemma,
dem die Migrationsgeschichte des Spätmittelalters und der frühen
Neuzeit unterworfen ist: wegen des Anteils unbekannter Herkunftsorte ist
eine einfache deskriptive Statistik nur teilweise aussagekräftig.
99
Tabelle 1 : Kontrastgruppe B
——————— —·–··· -·- ·- – Goldschmiede Salzburg
nicht genannt
Harnberg
Blauheuren
Danzig
Eger
Hallein
lngolstadt
J udenburg
Landshut
Memmingen
Mütingen
Nürtingen
Piding
Wasserburg
Witzling, Pfarre Garopern
E . –··— – – .
16
1
1
l
1
1
1
1
1
1
1
1
1
1
1
30
··- .. . . . . . . ····–···· _“_ · – – · – · ·
Goldschmiede Innsbruck
nicht genannt 3
Günsberg 1
Hall 1
Tri er 1
Würzburg 1
E 7
Betrachten wir zunächst die Kontrastgruppe B: Für Salzburg kommen
mehr als 85 % der Zuwanderer, deren Herkunftsort bekannt ist, aus Städten,
die zumeist in größerer Entfernung zum Zielort liegen. Nur zwei
Fälle (Hallein, Piding) sind dem Nahbereich der Stadt zuzurechnen. Für
Innsbruck ist ein ähnliches Bild (bei geringerer Fallzahl) gegeben: Alle
Mitglieder der Kontrastgruppe B kommen aus Städten. Nur eine Nahzuwanderung
(Hall) ist festzustellen.
Die häufige Zuwanderung aus Städten und das Fehlen von ländlichen
Zuwanderungen ist insofern nicht besonders verwunderlich, als die Goldschmiede
als märktisches Handwerk oder ‚Landhandwerk‘ kaum existent
waren.
100
Tabelle 2: Kontrastgruppe A
– – – sa.·c:r􀀽i-s􀀾Tz-h􀀿rg- – – – —– Bäcker Innsbruck
nicht enannt 77 nicht genannt 1 1
Bergheim 1 Ambras 1
Frankenhausen 1 Arzl 1
Freiberg 1 Farchant 1
Freising 1 Crossweil 1
Glan 1 Hall 1
G nigl 2 Hernhofen I
Laufen (geb. in Ried) 1 Hopfen bei Füssen I
Hersch. Schaunberger 1 Kaufheuren 1
Münichhausen 1 Murnau 1
Nonnberg 1 Patsch 1
Ostermiething 1 Rum 1
Ötting 1 Sautgrub 1
Reichenhall 1 Zirl 1
Rosbach bei Schärding 1
Seekirchen 1
St.Peter 2
Stein (Vorst. ) 1
Tölz 1
Trostberg 1
Trum 1
Viehhausen 1
Vilsbiburg 1
Waldkirchen 1
Weng 1
Wasserburg 1
E 104 E 24
1 0 1

Fleischhauer S􀚹lzburg
nicht genannt 39
Frankenmarkt 1
Lebenau 1
Mühldorf a. Inn 1
Attersee 1
Nonntal 1
Perndorf 1
Pösing 1
Puchheim 1
Seekirchen 1
Talheim 1
_ED_ ü_n____n -b–e–r-g– ——- 1
50
Fleischhauer Innsbruck
nicht genannt
Aichach
Ammergau
Aussee
Hall
lnnsbruck
Schongau
.
􀚽
— · — -·–·
10
1
1
1
1
2
1
1 7
Die Kontrastgruppe A i m Beispiel lnnsbruck rekrutiert sich zunächst
zu einem wesentlichen Teil aus dem städtischen Umland (Ambras, Arzl,
Patsch, Rum, Zirl, Hall) und aus lnnsbruck selbst.
Ein weiterer Teil der Zuwanderer aus der Region der bayerisch-tiroler
Grenze (Hopfen), aus dem bayerischen Alpenvorland (Ammergau, Schongau,
Murnau, Kaufbeuren) und aus anderen Teilen Bayerns (Aichach).
Zuwanderungsorte gehören zum Großteil dem ländlichen und ländlichmärktischen
Bereich an.
Auch für Salzburg ist eine ähnliche Verteilung zu erkennen. Abgesehen
von Personen, die bereits in der Stadt leben (St. Peter, Nonnberg) sind
zahlreiche Zuwanderungen aus Umland und Nahbereich (Bergheim, Glan,
Gnigl, Laufen, Reichenhall, Seekirchen, Trum, Seekirchen, Dürrnberg und
die Vorstadtsbereichc Nonntal und Stein) festzustellen. Der verbleibende
Rest verteilt sich v.a. auf Oberösterreich und Bayern. Der Anteil der
Stadt-Stadt-Wanderungen ist marginal.
An diesen wenigen Beispielen wird deutlich, daß die In-Migration bezogen
auf die Berufe der Zuwanderer keineswegs homogen strukturiert
ist. Die Gegenüberstellung einzelner Handwerkergruppen wies deutliche
Unterschiede auf.
Die Rekrutierung der beiden Kontrastgruppen verläuft offensichtlich
nach grundlegend differierenden Prinzipien. Trotz einer gewissen Streuung
können der Kontrastgruppe B als Herkunftsort Städte und mittlere
und ferne Wanderungsdistanzen zugeschrieben werden. Kontrastgruppe
102
A dagegen rekrutiert sich aus ländlichen Herkunftsorten, die zu einem
wesentlichen Teil im städtischen Umland und im Nahbereich der Stadt
liegen. Dazu kommen ländliche und zum Teil märktische Herkunftsorte
im mittleren und ferneren Bereich. Zuwanderer aus Städten fehlen fast
zur Gänze.
Die Ursachen für diese systematische Differenz dürfte zunächst im Bereich
der Ausbildung zu suchen sein: je spezialisierter eine Tätigkeit, desto
komplexer das zu vermittelnde Wissen, das zumeist nur in Städten
zu erwerben war. Eine wichtige Rolle spielte wohl auch die “ habituelle“
Mobilität von „Spezialisten“ (65) .
Die möglichen Auswirkungen dieser differ:enzierten Rekrutierungspraxis
auf soziale Struktur- und Mentalitäten -sollten beachtet werden: Die
Bedeutung dessen, daß sich innerhalb der Stadt Gruppen gegenüberstanden,
deren Mitglieder sich einesteils durch eine weitgehend „internationale“
Herkunft auszeichneten und andernteils überwiegend durch ländliche
Herkunft gekennzeichnet waren, ist zur Zeit nicht abschätzbar. Entsprechende
Studien zur Assimilationsproblematik fehlen.
ANMERKUNGEN
{1) Auch wenn Knut Schutz sagt, „die mittelnlterliche Migrationsforschung beschäftigt
sich vorrangig mit Zu- und Abwanderung zu einzelnen Städten und Regionen ( … )“
(vgl. Knut Schulz, Unterwegssein im Spötmittelnlter. Einleitende Bemerkungen, in:
Unterwegssein im Spötmittelalter, hg. v. Peter Moraw (Zeitschrift für Historische
Forschung, Beih. 1) Berlin 1985, 9-15, hier: 10.), kann keineswegs von einem insgesamt
befriedigenden Forschungsstand zu diesem Problem die Rede sein. Dennoch
gibt es in einigen europäischen Ländern eine bestehende Forschungstradition und/oder
Neuansätze zum Themenkomplex städtischer In-Migration. Auf einige Arbeiten sei
hier kurz hingewiesen. Für Montpellier: K. L. Reyerson, Patterns of population attraction
and mobility: The case of Montpellier, in: Viator 10 {1979), 275-281; f“Ur Lyon:
Richard Gascon, Immigration et croissance nu XVIe siede: l’exemple de Lyon {1529-
1563), in: Armales E.S.C. 25 {1970), 988-1001; für Frankreich insgesamt jetzt Claudine
Billot, Le migrant en France a Ia fin du Moyen Age: problemea de methode, in: Medieval
Lives and the Historian. Studies in Medieval Prosopography, ed. Neithard Bulst
u. Jean-Philippe Genet, Kalamazoo 1986, 235-242. Weiters: Jean-Pierre Pouasou, Les
mouvements migratoires en France et a partir de Ia France de Ia fin du XV siede au
debut du XIX siede: approches pour une synthese, in: Annales de Demographie Historique
(1970), 11-78. Für England: John Patten, English Towns 1500-1700 (Studies
in Historical Geography), 1978, 125 ff. ld., Patterns of migration and movement of
labour to three pre-induatrial East Anglian towns, in: Journal of Historical Geography
2 (1976),_ 111-129; Peter McClure, Patterns of Migration in the late Middle Ages:
The evidence of English Place-Name Surnames, in: The Economic History Review, 2nd
Ser., Vol. 32 (1979), 167-182; Peter Clark, The Reception ofMigranta in English Towns
in the Early Modern Period, in: Immigration et societe urbaine en Europe occidentale,
XVle-XXe siede, ed. Etienne Fran􀄅ois, Paris 1985, 53-63. Für Italien vgl. Rinaldo
103
Comba, Emigrare nel Medioevo. Aspetti economica-sociali della mobilitn geografica
nei secoli XI-XIV, in: Strutture familiari epidemie migrazioni nell’ltalin medievale, ed.
Rinaldo Comba, Gabriella Piccini, Giuliano Pinto (Nuove Ricerche di Storia 2) Napoli
1984, 46-74; Giulinno Pinto, La politica demogrnfica delle citta, in: ebendn 19-43;
Für die Toskana s. David Herlihy u . Christiane Klnpisch-Zuber, Les Toseans et leurs
fnmilles. Une etude du catasto florentin de 1427, Pnris 1978, 301-326.
Vgl. weiters für Deutschland allg. Karl-Heinz Spiess, Zur Landflucht im Mittelalter,
in: Die Grundherrschaft im späten Mittelnlter I, Hg. v. Hnns Patze (Vorträge und
Forschungen 27) Sigmaringen 1983, 1 57-204. Hektor Ammann, Vom Lebensraum der
mittelalterlichen Stadt, in: Berichte zur deutschen Landeskunde 31 (1963), 284-316.
Hanno Vasarhelyi, Einwanderungen nach Nördlingen, Esslingen und Schwäbisch Hall
zwischen 1450 und 1550, in: Stadt und Umland, hg. v. Erich Maschke u. Jürgen
Sydow, Stuttgart 1974, 129-164. Für Minden: Hildegard Ditt, Stadteinzugsbereich
von Minden und Kulturraumgrenzen des Wesergebietes in der frühen Neuzeit, in:
Niederlande und Nordwestdeutschland. Studien zur Regional- und Stadtgeschichte
Nordwestkontinentaleuropas im Mittelalter und in der Neuzeit . Franz Petri zum 80.
Geburtstag, hg. v . Wilfried Ehbrecht u. Heinz Schilling, Köln – Wien 1983 (Städteforschung
A/16), 182-218. Für Kitzingen: lngrid Batori – Erdmann Weyrauch, Die
bürgerliche Elite der Stadt Kitzingen. Studien zur Sozial- und Wirtschnftsgeschichte
einer landesfürstlichen Stadt im 16. Jahrhundert (Spätmittelalter und frühe Neuzeit
1 1 ) Stuttgart 1982, 239 f. Für die Hansestiidte vgl. Konrad Fritze, Soziale Aspekte
der Zuwanderung zu den Hansestädten an der südwestlichen Ostseeküste bis zum 16.
Jahrhundert , in: Jahrbuch für Geschichte des Feudalismus 2 (1978), 1 77-190. Theodor
Penners, Fragen der Zuwanderung in den Hansestiidten des späten Mittelalters, in:
Hansische Geschichtsblätter 83 (1965), 12-46. Heinz Reincke, Bevölkerungsprobleme
der Hansestädte, in: Die Stadt im Mittelalter, hg. v. Carl Haase (Wege der Forschung
CCXLV) 2 . erw. Aufi., Darmstadt 1976, 256-302, bes. 271 ff. (zuerst in: Hansische
Geachichtsblätter 70 ( 1 9 5 1 ) , 1-33). Ahasver v. Brandt, Die gesellschaftliche Struktur
des spätmittelalterlichen Lübeck, in: Untersuchungen zur gesellachnftlichen Struktur
der spätmittelalterlichen Städte in Europa (Vorträge und Forschungen XI) Sigmaringen,
2. Auß., 1974, 2 1 6-239, bes. 220 ff. Vgl. auch Heinrich Kramm, Studien über
die Oberschichten der mittelalterlichen Städte im 16. Jahrhundert. Sachsen Thüringen
Anhalt, I. Teilbd. (Mitteldeutsche lo’orschungen 87) Köln – Wien 1981. Heinrich
Kramm, Wanderrichtungen führender bürgerlicher Familien in Mitteldeutschland im
1 6 . und 16. Jahrhundert, in: Zur Geschichte und Volkskunde im Mittelalter. FS
Friedrich von Zahn, Bd. I, hg. v. Walter Schlesinger (Mit teldeutsche Forschungen
60), Köln – Graz 1968, 472-502. Für Konstunz: Klaus D . Bechtold, Zunftbürgerschaft
und Patriziat. Studien zur Sozialgeschichte der Stadt Konstanz im 1 4 . und 1 6 . Jahrhundert
( Konstanzer Geschichts- und Rechtsquellen 26) Sigmaringen 1981, 45 ff. V gl.
weiters allg. Steve Hochstadt, Migration in Preindustrial Germany, in: Central European
History 1 6 (1983), 195-224. Vgl. auch Wilfried Reininghaus , Die Migration
der Handwerksgesellen in der Zeit der Entstehung ihrer Gilden ( 1 4 . / 1 5 . Jahrhundert),
in: VSWG 68 (1981), 1-21. Hans Chriatoph Rublack, Konfession als demographischer
Faktor ? , in: Festgabe für Ernst Walter Zeeden, hg. v. Horst Rabe, Hansgeorg Molitor,
Hans Chriatoph Ruhlack ( Reformationsgeschichtliche Studien und Texte, Supplementband
2 ) Münster/Westfalen 1976, 62-96.
Vgl. für Polen: Danuta Quirini Poplawska, Die italienischen Einwanderer in Krakow
und ihr Einfluß auf die polnischen Wirtschaftsbeziehungen zu Österreichischen und
deutschen Städten im 16. Jahrhundert, in: Europäische Stadtgeschichte im Mittelalter
und früher Neuzeit, hg. v. Werner Mägdefrau, Weimar 1979, 1 1 4-179. Jacek
104
Wiesilowsky, The Nobility in Town. Movements nnd Migration of the Nobility between
Viilage nnd Town in Polnnd during the 15th Century, in: The Polish Nobility in
the Middle Ages. Anthologies, Ed. Antoni Gnsiorowsky, Wroclnw 1984, 255-296.
Für Böhmen vgl. Anton Altrichter u. Helmut Altrichter, Die Iglnuer Neubürger
1360-1649 nach Beruf, Herkunft und Volkszugehörigkeit, in: Zeitschrift für Sudetendeutsche
Geschichte 2 {1938) 91-112. Für Ungarn vgl. Andras Kubinyi in diesem
Band.
(2) Vgl. z.B. Etienne Franc;ois (Ed.), Imrrügration.
(3) Vgl. z.B. Fritz Rörig, Die Gründungsunternehmerstädte des 12. Jahrhunderts,
in: Altständisches Bürgertum 1. Bd., hg. v. Heinz Stoob (Wege der Forschung
CCCLII), Darmstadt 1978, 77-126. Rörigs Positionen wurden erfolgreich bestritten,
vgl. Theodor Mayer, Zur Frage der Städtegründungen im Mittelalter, ebda 127- 1 5 2
(zuerst in: MIÖG 43 (1929) 261-282). Zusommengefaßt wird die Debatte bei Theodor
Mnyer, Die Anfänge der Stadt Lübeck. Eutstehung und Auflösung eines Schlagwortes,
in: Stoob, Bürgertum 244-254.
{4) Vgl. etwa versch. Beitröge in: Monatsblatt der kais. kön. heraldischen Gesellschaft
“ Adler“ I ff. { 1 881 ff.).
(5) Vgl. z.B. Altrichter-Altrichter, Iglauer Neubürger. Luise Süß, Die Volkszugehörigkeit
der Bevölkerung Brünns im Jahre 1348, in: Zeitschrift für Sudetendeutsche
Geschichte 1 ( 1 937), 269-280; Hans Walter, Einwanderung aus dem Reich in die
äußerste Ostmark im Mittelolter, in: Monatsblatt Adler 1 ( 1 939), 73-76. Zur Programmatik
dieses spezifische Forschungsinteresses vgl. z.B. Heinz Zntschek, Zur Erforschung
der Volkszugehörigkeit nach Stadtbüchern und Urbaren des Spätmittelnlters,
in: Zeitschrift für Sudelendeutsche Geschichte 1 {1937), 249-255. 1m Kontext eines
explizit rassistischen Gesehichtsentwurfes findet sich Migration bei Adolf Helbok, Was
ist deutsche Volksgeschichte? Ziele, Aufgaben und Wege, Berlin – Leipzig 1935, bes.
22 ff.
(6) Diese Arbeit ist im Kontext des vom Österreichischen Fonds zur Förderung
der wissenschaftlichen Forschung unterstützten Projekts zur Migrationsgeschichte in
Österreich in Spätmittelalter und Frühneuzeit entstanden (Projektnr. P 5625). Zu
den Projektintentionen s . Gerhard Jaritz – Albert Müller, Historia vnga. Ein computerunterstütztes
Projekt zur Migrationsgeschichte des 15. und 16. Jahrhunderts, in:
Datenbanken und Datenverwaltungssysteme als Werkzeug historischer Forschung, hg.
v. Manfred Thaller (Historisch-Sozinlwissenschaftliche Forschungen 20), St. Katherinen
1986, 93-123. Für Unterstützung bei der EDV-Arbeit für diesen Aufsatz danke ich
meinen Kolleginnen Ingrid Matschinegg und Barbars Schuh sehr herzlich.
(7) Vgl. dazu auch Jaritz – Müller, Historie vnga 105 ff.
(8) Vgl. Lawrence Stone, Prosopography, in: Daedalus 100 (1971), 48-79; weiters
Neidhart Bulat, Zum Gegenstand und zur Methode der Prosopographie, in: BulstGenet,
Medievnl lives, 1-16; Ders., Ln recherche pr􀁴sopogrnphique recente en Allemngne
{1250 – 1650). Essni d’un bilan, in: Prosopogrnphie et genese de l’etat moderne,
Ed. par Frnnc;oise Autrand (Collection de l’Ecole Normale Superieure de jeunea filles
no 30) Paris 1986, 35-52. Zum Konzept einer ‚Prosopogrnphie der Masse‘ s. Carlo
Ginzburg u. Carlo Poni, Was ist Mikrogeschichte ?, in: Geschichtswerkstatt No. 6
(1985), 48-52. Für Österreich vgl. Gerhard Jaritz u. Albert Müller, Medievnl Prosopography
in Austrian Historical Research: Religious and Urban Communities, in:
Medievnl Prosopogrnphy 7 (1986) Nr. 1, 57-86.
(9) Vgl. z.B. folgende Studien, die auf der Analyse von Herkunftsnamen beruhen:
McClure, Patterns of Migration; Rudolf Schützeichel, Zur Erforschung der Herkunfts­
namen in spiitmittelnlterlichen Quellen aus der Stadt Köln, in: Civitatum Communitns.
105
Studien zum europäischen Städtwesen. Festschrift für Heinz Stoob zum 65. Geburtstag,
hg. v. H. Jäger, F. Petri u. H. Quirin (Städteforschung A/21) Köln – Wien
1984, 148-167. Wie problematisch die Interpretation von Herkunftsnamen im 15. Jh.
jedoch ist, zeigen die Quellen selbst: die folgenden beiden – willkürlich ausgewählten
– Beispiele aus dem Salzburger Brgerbuch belegen, daß Herkunftsnamen durch
eine Herkunftsbezeichnung ergänzt werden: Eintragung zum 12. Juni 1454: „ltem
Michel Mülhnimer ( … ] von Hürpfenshnim ( … ]“ ; zum 29. Sept. 1456: „Item Lienhart
Hartperger ( … ] purttig von Lautren ( … ]; mitunter werden Herkunftsnamen durch
eine Herkunftsbezeichnung mit identischer Aussage versehen: Eintragung zum 26. Juli
1464: „ltem Michel Strawbinger von Strnwbing [ … ]“. Diese Proxis läßt sich auch in
anderen Österreichischen Städten belegen: in Linz ist etwa ein Bnlthnsar Alkover von
Alkoven nachgewiesen, vgl. Müller, Linz 200 f. Gerade die Beispiele von Herkunftsnomen,
die durch identische Herkunftsbezeichnungen ergänzt wurden, zeigen, daß das
zeitgenössische Verständnis den Herkunftsnamen einer Person nicht mehr zwangsläufig
mit ihrer tatsächlichen Herkunft in Verbindung brachte.
(10) Der Erwerb von Bürgerrecht oder lnwohnerrecht war lange Zeit v. a. Gegenstand
rechts- und verfassungsgeschichtlicher Untersuchungen. V gl. v . a. die klassische
Studie von Wilhelrn Ebel, Der Bürgereid als Geltungsgrund und Gestaltungsprinzip der
deutschen mittelalterlichen Stadtrechte, Weimar 1958. Erst in jüngerer Zeit tritt die
sozialgeschichtliche Auseinandersetzung mit dem Problemkreis in den Vordergrund.
Vgl. z. B . Gerhard Dilcher, Zwn Bürgerbegriff im späteren Mittelalter. Versuch
einer Typologie am Beispiel von Frankfurt nm Main, in: Über Bürger, Stadt und
städtische Literatur im Spätm.ittelalter, hg. v. Josef Fleckenstein u. Knrl Stackmann
(Abh.Aknd.Wiss. Göttingen, phil.-hist. Kl., 3. F., Nr. 121) Göttingen 1980, 59-105,
bes. 76 ff. Für Österreich vgl. Herwig Ebner, Zur Ideologie des mittelalterlichen
Städtebürgertums aufgrund Österreichischer Stadtrechte des späten Mittelalters, in:
Jahrbuch für Geschichte des Feudalismus 1 (1983), 157-184.
( 11) Rautgundis Felser, Herkunft und soziale Schichtung der Bürgerschaft obersteirischer
Städte und Märkte während des Mittelalters. Unter besonderer Berücksichtigung
der Stadt Judenburg ( Dissertationen der Universität Graz 38) Wien 1977; Gerhard Dienes,
Die Bürger von Graz. Örtliche und soziale Herkunft. (Von den Anflingen bis 1500)
(Dissertationen der Universität Graz 46) Groz 1979. Albert Müller, Die Bürger von
Linz. Prosopagraphie und soziale Strukturienmgen bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts,
Ms., Graz 1987.
(12) Vgl. z. B. Andras Kubinyi, Die Pemfilinger in Wien und Budo, in: Jahrbuch
des Vereins für Geschichte der Stadt Wien 38 (1978), 67-88; Richard Perger, Blasius
Lazarin (ca. 1450-1616), Bürger in Agrarn, Viiinch und Wien, in: Neues aus AltVillnch.
3. Jahrbuch des Stadtmuseums (1966), 65-93; ders., Sirnon Pötel und seine
Handelsgesellschaft, in: Jahrbuch des Vereins für Geschichte der Stadt Wien 40 (1984 ),
7-88.
(13) Vgl. Jaritz – Müller, Historin vnga 105 ff.
(14) Vgl. z. B. Kurt Klein, Die Bevölkerung Österreichs vom Beginn des 16. bis
zur Mitte des 18. Jahrhunderts, in: Beiträge zur Bevölkerungs- und Sozialgeschichte
Österreichs, hg. v. Heimold Helczmanovszki, Wien 1973, 47-112.
(15) Besonders deutlich wird dieser Zusammenhang an Wiener Quellenmnterial: Die
Namen der Neubürger sind innerhalb eines Abschnitts der jährlichen Oberkammeramtsrechnungen
erhalten. Eine Auswertung dieser Quelle ist geplant. Vgl. dazu auch
Otto Brunner, Die Finanzen der Stadt Wien von den Anflingen bis ins 16. Jahrhundert
(Studien aus dem Archiv der Stadt Wien 1/2) Wien 1929.
(16) Vgl. Hans Planitz, Die deutsche Stadt im Mittelalter. Von der Römerzeit
106
bis zu den Zunftkiimpfen, 5 . unv. Aufl. Wien – Köln – Graz 1980, 276 f. Vgl.
auch Gustav Mohr, Die wirtschaftliche Bedeutung des Gästerechtes besonders in den
niederösterreichischen Städten des Mittelalters, in: Jahrbuch für Landeskunde von
Niederösterreich N. F. 19 (1924), 2 11-237.
{17) Vgl. z. B. für Innsbruck Conrad Fischnaler, Das lnnsbrucker Bürgerbuch.
Historische Skizze, in: Zeitschrift des Ferdinandeums für Tirol und Vorarlberg, 3. F.,
47 (1903), 165-183, bes. 174 ff.
{18) Der Wanderung von Stiidtebürgerinnen wurde noch weniger Beachtung geschenkt
als der der Bürger. S. aber z. B. Erika Uitz, Zu einigen Problemen der
gesellschaftlichen Stellung der Frau in der mittelalterlichen Stadt, in: Jahrbuch für Geschichte des Feudalismus 5 (1981), 57-88, bes. 82 ff.; Dies., Zur Darstellung der
Stadtbürgerin, ihrer Rolle in Ehe, Familie und Öffentlichkeit in der Chronistik und
in den Rechtsquellen der spätmittelalterlichen deutschen Stadt, in: Jahrbuch für Geschichte
des Feudalismus 7 {1983), 130-156, bes. 150 ff.; vgl. weiters Grethe Jacobsen
in diesem Band.
(19) Vgl. zur Wanderung von Marginalen: Frantisek Graus, Randgruppen der
stiidtischen Gesellschaft im Spätmittelalter, in: Zeitschrift für historische Forschung
8 {1981 ), 385-417; Ders., Die Randständigen, in: Moraw, Unterwegssein, 93-104. Einzelbelege
bei Frans lrsigler u. Arnold Lassotta, Bettler und Gaukler, Dirnen und Henker.
Randgruppen und Außenseiter in Köln 1300-1600, Köln 1984. Weiters: Wolfgang
Hartung, Gesellschaftliche Randgruppen im Spiitmittelalter. Pänomen und Begriff, in:
Städtische Randgruppen und Minderheiten, hg. v. Bernhard Kirchgässner u. Fritz
Reuter (Stadt in der Geschichte 13) Sigmaringen 1986, 49-114. Als Monographie ist
Bronislaw Geremek, Les Marginaux parisiens aux XIVe et XVe siecles, Paris 1976,
besonders hervorzuheben.
(20) Der diesbezügliche Versuch von Steve Hochstadt kann keineswegs als geglückt
angesehen werden; vgl. Hochstadt, Migration.
(21) Wie Anm. 1 1 . Für die Städte Kärntens bes. im 13. Jh. vgl. Alfred Ogris,
Die Bürgerschaft in den mittelalterlichen Städten Kärntens bis :.um Jahr 1335 (Das
Kärntner Landesarchiv 4 ) Klagenfurt 1974, 14-46.
(22) Vgl. z. B. Josef Mayer, Geschichte von Wiener Neustadt, Bd. 2. Wiener
Neustadt 1926, 1 1 5-122; Otto Brunner, Die geschichtliche Stellung von Krems und
Stein, in: Krems und Stein. Festschrift zum 950-jährigen Stadtjubiläum, Krems 1948,
19-102, bes. 38 f.; Adolf Helbok, Die Bevölkerung der Stadt Bregenz am Bodensee.
Vom 14. Jahrhundert bis zum Beginne des 18. Jahrhunderts, Innsbruck 1912, 63 ff.
(23) Felser, Herkunft 19 ff.; Dienes, Bürger 15 ff.
{24) Felser, Herkunft 19 f.; Dienes, Bürger 16 f.
(25) Felser, Herkunft 23; Dienes, Bürger 21 f.
(26) Salzburg gilt im 1 5 . und 16. Jahrhundert in Bezug auf seine Bevölkerungsgröße
als “ Mittelstadt“ im Sinne der in der Mittelalterlichen Stadtgeschichtsforschung weit
verbreiteten Terminologie Hektor Ammanns (Vgl. Hektor Ammann, Wie groß war die
mittelalterliche Stadt ?, in: Die Stadt des Mittelalters Bd.1, hg. v. Carl Hanse (Wege
der Forschung CCXLIII) Darmstadt 1978, 415-422 (zuerst ersch. 1956)). Für das Jahr
1531 existieren Quellen, aufgrund deren man die Bevölkerungsgröße der Stadt auf 4000
– 4500 Einwohner (ohne erzbischöflichen Hof, Klerus etc.) schät:oen kann. Die sozioökonomische
Funktion Salzburgs ist heterogen: Einerseits ist sie geprägt von seiner Rolle
als erzbischöfliche Residenzstadt; andererseits von der Stellung im (Fern-)Handel, an
dem sich die Bürger der Stadt beteiligten, unter anderem mit Gütern aus Venedig.
Zu Salzburg vgl. zuletzt den Überliek von Peter Michael Lipburger, Bürgerschaft und
Stadtherr. Vom Stadtrecht des 14. Jahrhunderts zur Stadt- und Polizeiordnung des
107
Kardinals Matthiius Lang ( 1 5 24), in: Vom Stadtrecht zur Bürgerbeteiligung: Festschrift
700 Jahre Stadtrecht von Salzburg, hg. v. Heim: Dopsch ( Salzburger Museum
Cnrolino Augusteum. Jahresschrift 33 (1987), 26-63. Salzburg verfügt im Gegensatz
zu vielen anderen Stiidten über eine umfassend angelegte Stadtgeschichte neueren
Datums: Geschichte Salzburgs. Stadt und Land, hg. v. Heinz Dopsch u. Hans Spotzenegger,
Bd. 1 , 1 , 2. verb. Aufi., Salzburg 1983, Bd. 1,2, Salzburg 1983, Bd. 1,3
Salzburg 1984. Für unsere Problematik sind folgende Teile wichtig: Heinz Dopsch
u. Peter M. Lipburger, Die rechtliche und sozinie Entwicklung, in: 1,2, 675-746, Heinz
Dopsch, Die wirtschaftliche Entwicklung, in: ebdo. 757-835, Adolf Hohn!, Die bauliche
Entwicklung, in: ebda. 836-866 und Heinz Dopsch, Besiedelung und Bevölkerung, in:
1, 1 , 347-360.
(27) Das Bürgerbuch steht vor der Edition durch Ch. Jonottn u. M. Krissl. Ich
danke an dieser Stelle Frau Doz. Janotta, die mir freundlicherweise eine Kopie der
Fahnen dieser Publikation überlassen hat. Dieses Material konnte ich dank der Unterstützung
durch das Max-Planck-lnstitut für Geschichte, Göttingen, und der Gesellschaft.
für wissenschaftliche Datenverarbeitung, Göttingen, mit Hilfe einer Kurzweil
Data Entry Machine maschinenlesbar machen. Die so entstandene Datei, die den rohen
Text wiedergibt, wurde für die Weiterverarbeitung mit CLIO verändert. Siehe dazu
auch Joritz – Müller, Historia vogo 1 1 3 ff. Das Salzburger Bürgerbuch wurde bisher für
stadtgeschichtliche und kunstgeschichtliche Forschungen hernngezogen. Bei DopschLipburger,
Rechtliche und soziale Entwicklung 727 ff. findet sich eine Beschreibung
der Quelle. Zuletzt hat M. Krissl auf diese Quelle ihre Dissertation aufgebaut, in der
sie auch personengeschichtliche Materiolien zu den in der Quelle genannten Personen
sammelt. Diese personengeschichtliche Sanunlung, die im Textteil der Arbeit nicht
evaluiert wird, umfoßt allerdings nur die Personen bis zum Jahr 1 4 8 1 . Krissl selbst
beschäftigt sich in ihrer Arbeit kaum mit migrationsgeschichtlich relevanten Problemntiken.
Vgl. Michnein Krissl, Studien zur politischen, sozialen und wirtschaftlichen
Struktur der Neubürger des ersten Salzburger Bürgerbuches (1441-1541), phil. Diss.,
Salzburg 1984.
(28) Freundlicher Hinweis von Peter M. Lipburger, Univ. Snlzburg.
(29) Verteilung der Bürgeraufnnhmen:
Jahrzehnt N % –·——–··–·–·——
1441- 1449 225 9.0
1450-1459 250 10.0
1460-1469 305 12.2
1 470-1479 267 10.7
1480-1489 189 7.6
1 490-1499 224 8.9
1 500-1509 225 9.0
1510-1519 269 10.7
1520-1529 293 1 1 . 7
1 530-1539 229 9.1
1540-1541 25 1 . 0
r. 2501 100.0
(30) Es ist bekannt, daß es keine statistisch begründete Regel für die in die gleitenden
Durchsclmitte einzubeziehende Beobachtungen gibt. Hier wurden für jede Beobachtung
die Beobachtung selbst, die drei vorhergehenden und die drei folgenden Beobachtungen
ungewichtet einbezogen.
108
(31) Zur Zeitreihennnolyse vgl. z. B. John M. Gottman, Time-series analysis. A
comprehensive introduction for socinl scientists, Cambridge et al. 1981. Die in der
Graphik dargestellten Zahlenwerte weichen im übrigen von den bei Kriasl, Neubürger
67 ff. wiedergegeben Zahlen ab.
(32) lnnsbruck knnn nls Kleinstadt bezeichnet werden, dessen bürgerliche Bevölkerung
(mit lnwohnern, ohne Hof, Klerus mit dem jeweiligen Personal etc.) etwa 2000
Personen betrug. Heide Dienst, Lebensbewältigung durch Magie, in: Alltag im 1 6 .
Jahrhundert. Studien zu Lebensformen in mitteleuropäischen Städten (Wiener Beiträge
zur Geschichte der Neuzeit 14) Wien 1987, 80-112, hier: 83, schätzt lnnsbrucks Bevölkerung
um 1485 per nnaloginm – und Hnidacher (wie Anm. 33) offenbar mißverstehend
– auf etwn 5000. Seit dem ersten Drittel des 15. Jahrhundert war lnnsbruck Sitz des
Landesfürsten und unter Kaiser Maximition I. erhielt die Stadt zusätzlich Residenzfunktion.
Im Nord-Süd-Handel war lnnsbruck eine bedeutende Station. Zu lnnsbruck
vgl. allg. Otto Stolz, Geschichte der Stadt Innsbruck, lnnsbruck Wien – München
1959 und den einschlägigen Beitrog im sterreichischen Stiidtebuch.
(33) Vgl. die Edition von Kar! Sehndeibauer u. Monika Fritz, Die Innsbrucker
Inwohneraufnnhmen von 1508 bis 1567 (Veröffentlichungen aus dem Stadtarchiv lnnsbruck
26) lnnsbruck 1964. Zum Bürgerbuch vgl. Fischnaler, Bürgerbuch. Zuletzt
wurden beide Quellen von Christoph Haidncher, Zur Bevölkerungsgeschichte von Innsbruck
im Mittelalter und in der beginnenden Neuzeit (Veröffentlichungen des lnnsbrucker
Stadtarchivs N .F., Bd. 15) lnnsbruck 1984, herangezogen.
(34) Vgl. Fischnaler, Innsbrucker Bürgerbuch; Hnidacher, Bevölkerungsgeschichte
66.
(35) Dns lnwohneraufnahmeverzeichnis wurde bis einschließlich 1555 maschinenlesbar
gemocht, vgl. Jnritz – Müller, Historia vagn 118.
(36) Verteilung der lnwohneraufnnhmen:
Jahrzehnt N %
1508-1509 1 3 2.8
1510-1519 1 1 9 25.5
1520-1529 56 12.0
1530-1539 1 1 1 23.8
1540-1549 83 17.8
1550-1555 85 18.2
:E 467 100.0
(37) Vgl. für unsere Beispiele Dopsch – Lipburger, Rechtliche und soziale Entwicklung
728 ff.; Haidacher, Bevölkerung 62.
(38} Vgl. für Lübeck: Fritze, Soziale Aspekte 187; für eine Reihe weiterer Hansestädte:
Penners, Fragen der Zuwnnderung 27 ff.
(39) Vgl. Dopsch, Siedlung und Bevölkerung 353 ff.
(40) Vgl. Felser, Herkunft 67 ff.; Dienes, Bürger 74 ff.
(41) Dies gilt v. a. für Großstädte. S. z.B. Theoror Aign, Die Ketzel. Ein Nürnberger
Handelsherren- und Jerusalempilgergeschlecht (Freie Schriftenfolge der Gesellschaft
für Fnmilienforschung in Franken 1 2 } Neustadt/Aisch 1961.
( 42) Allg. formuliert bei Pierre Bourdieu, Les strategies matrimoniales dans le
system de reproduction, in: Annales E.S.C. 27 (1972), 1105-1127.
( 43) Z. B. Cnrlo M. Cipolla, Before the industrinl Revolution. Europenn Society
and Economy, 1000-1 700, London 1976, 146 ff.
(44) Vgl. z. B. Erich Mnschke, Die Familie in der deutschen Stadt des spiiten
Mittelalters (SB d. Heidelberger Aknd. d. Wiss., Phil.-Hist. Kl., Jg. 1980, Abh.
109
4) Heidelberg 1980; Thomas Schuler, Familien im Mittelalter, in: Oie Familie in der
Geschichte, hg. v. Heinz Reif, Göttingen 1982, 26-GO; Michael W. Flinn, The Europenn
Demographie System 1600-1820, Bnltimore 1981, 13 ff.
( 46) V gl. für Graz: Oienes, Bürger 86; für Villnch: Wilhelm Neumnnn, Viilachs Studenten
nn deutschen Universitäten bis 1518, in: 900 Jnhre Villnch. Neue Beiträge zur
Stndtgeschichte, Viiinch 1960, 237-246; für Krems ausführlich Gerhnrd Jnritz, Kleinstadt
und Universitätsstudium. Untersuchungen nm Beispiel Krems nn der Oonou ( von
den Anfangen bis in dns 17. 105-161; 19 (1979), 1-26; 23-24-25 (1986), 153-178.
(46) Vgl. z. B . Anm. 1 2 .
(47) Vgl. z. B . Thomns Henry Hollingsworth, Historical Demogrophy, Cnmbridge
et al. 1976, 365 ff; Oovid Herlihy, Oenths, Morriages, Births, ond the Tuscnn Economy
(ca. 1300-1650), in: Population Patterns in the Pnst, ed. Ronold Demos Lee, New
York – San Frnncisco – London 1977, 135-164, bes. 157 ff.
( 48) V gl. Österreichisches Städtebuch, hg. v. Alfred Hoffmnnn, Bd. 1 ff. Wien
1968. Bes. Rubriken 5 und 6.
( 49) Die Idee, die mittelalterlichen Städte ols sozio- ökonomisches System zu begreifen
und in einer an die Systemtheorie angelehnten Terminologie zu beschreiben,
wurde besonders ausführlich vorgetragen von Yves Bare!, Ln ville medievnle. systeme
socinl. systeme urbnin, Grenoble 1975. Ebenfalls vertreten wurde ein systemtheoretisches
Konzept von Rolf Sprandel, Mentalitäten und Systeme. Neue Zugänge zur
mittelalterlichen Geschichte, Stuttgnrt 1972, 160 ff.
(50) Vgl. Knrl Heinz Ludwig, Neue Quellen zur Bevölkerungsentwicklung in der
ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Oie Salzburger Mnnnschnftsnuszüge von 1531 und
1641, in: Mitteilungen der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde 1 1 7 (1 977), 201-
216. Zur Kritik des Znhlenmnterinls der Quelle vgl. ebdn. 207. Für 1531 gibt die
Quelle 1 1 65 Bürger, lnwohner, Bürgerssöhne und Dinestknechte akkumuliert nn, für
1641 1070. Im Ietzeren Jahr sind die einzlnen Gruppen nufgeschhisselt: 564 Bürger
(66 %), 36 Bürgersöhne (3 %), 107 Inwohner ( 1 7 %) und 343 Oienknechte (32 %).
Legt mon die Verhältnisse des Jahres 1541 nuch für 1531 zugrunde, so ergibt sich eine
Gruppe von 636 Bürgern. Zur Einwohnerzahl siehe zuletzt Lipburger, Bürgerschaft 4 1 ,
der sich auf die eben erwähnte Quelle stützt. Lipburger verwendet einen Multiplikator
von 4.6, der allerdings mindestens für die Gruppe der Dienstknechte zu hoch gegriffen
erscheint .
(51) Die Situation ist in lnnsbruck insofern problematisch, nls entsprechende Quellen
1946 verlorengingen (vgl. Haidacher, Bevölkerungsgeschichte 40 f.) Nach einem
lnwohnerverzeichnis aus dem Jahr 1536 betrug die Znhl der Inwohner 155 ( ebendn 44).
(52) Fernand Brnudel, Sozialgeschichte des 15.-18. Jahrhunderts. Der Alltag,
München 1985, 638.
(63) Ebda.
(54) Niklas Luhmann, Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie, Frankfurt
1984, 386. Zur Autoreproduktion im städtischen System vgl. Bare!, ville 145 ff.
u. 647 ff.
(65) Vgl. Erich Maschke, Sozinie Gruppen in der deutschen Stadt des Spätmittelalters,
in: Über Bürger, Stadt und städtische Literatur im Spiitmittelalter, hg. v. Josef
Fleckenstein u. Kar! Stackmann (Abh.Akad.Wiss. Göttingen, phil.-hist. Kl., 3. F . ,
Nr. 1 21) Göttingen 1980, 127-145.
(56) Zum Problem der sozialen Differenzierung in spätmittelalterlichen Städten vgl.
z. B. Jürgen Ellermeyer, Sozialgruppen, Selbstverständnis, Vermögen und sti:idtische
Verordnungen. Ein Diskussionsbeitrag zur Erforschung spätmittelalterlicher Stadtgesellschafi,
in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 1 1 3 ( 1977), 203-275; ders.,
1 1 0
„Schkhtung“ und “ Sozialstruktur“ in spätmittelalterlichen Städten. Zur Verwendbarkeit
soziolwissenschnftlicher Kategorien in historischer Forschung, in: Geschichte
und Gesellschaft 6 ( 1 980), 125-149. Ellermeyer betont in beiden Arbeiten die Mehrdimensionalität
der die sozinie Differenzierung bestinunenden Komponenten.
(57) Vgl. dagegen Heinrich Rüthing, Höxter um 1500. Analyse einer Stadtgesellschaft
( Studien und Quellen zur westfälischen Geschichte 22) Paderborn 1986, der auf
seiner Quellenbasis kollektivbiographische Ansätze realisieren konnte.
(58) Zur von Mnx Weber ausgelösten Diskussion über Stadttypen vgl. zuletzt Klaus
Schreiner, Die rnittelolterliche Stodt in Max Webers Analyse und die Deutung des
okzidentalen Rotionolismus. Typus, Legitimität, Kulturbedeutung, in: Mnx Weber,
der Historiker, hg. v. Jürgen Kockn (Kritische Beiträge zur Geschichtswissenschaft
73) Göttingen 1986, 1 1 9-150.
(59) Vgl. die Beiträge von W. Reininghous, H. Bräuer u. J . Ehmer in diesem Bond.
(60) Verteilung der Informationsdichte in Jahrzehnten
keine B+O 0 B N
1441-9 6.2 59.1 9.3 25.3 225
1450-9 5.6 56.8 12.4 25.2 250
1460-9 27.9 22.0 1 1 .1 39.0 305
1 470-9 25.1 22.5 12.7 39.7 267
1480-9 13.2 33.9 21.2 31.7 189
1490-9 13.4 21.9 13.4 51.3 224
1 500-9 21.8 7.6 5.8 64.9 225
1 5 10-9 21.6 3.7 5.2 69.5 269
1 5 20-9 22.9 1 .0 2.0 74.1 293
1530-9 16.6 2.2 .9 80.3 229
1%5·4-0- -1 8.0 4.0 88.0 25 – ·-··- 1·7:9-·-· — -·-·-···———􀀬·—-·
22.0 9.0 ·—- —–·-·————
B + O : Berufs- und Herkunftsangabe
B: nur Berufsangabe
0: nur Herkunftsangabe
N: Anzahl der Fälle
(61) Vgl. z. B. Bechtold, Zunftbürgerschort 55 ff.
51.0
(62) Vgl. f. Snlzburg: Dopsch, Die wirtschaftliche Entwicklung 795 f.
(63) Vgl. f. Solzburg: Dopsch, Die wirtschaftliche Entwicklung 796 f.
(64) Zu den Salzburger Goldschmieden vgl. Dopsch, Die wirtschaftliche Entwicklung
789 f.
(66) Vgl. dazu Gerhard Dohrn van Rossum in diesem Band.
1 1 1

HORIZONTA L E MOBILITAT IM
SPÄTMITTELALTERLICHEN KÖNIGREICH UNGARN
A NDRAS KUBINYI
Die Frage nach horizontaler Mobilität beschäftigt mich schon seit beinahe
zwanzig Jahren. Als ich mich mit der Geschichte der ungarischen
Hauptstadt im Spätmittelalter auseinandersetzte, stellte ich fest, daß ein
natürlicher Zuwachs der Bevölkerung nicht nachzuweisen war. Durchschnittlich
fielen auf einen Vater 1,4 überlebende Kinder ( 1 ). Es gab
ferner am Ende des Mittelalters keine einzige Bürgerfamilie in der Stadt,
die im Mannesstamm mehr als drei Generationen lang zurück zu verfolgen
war (2). Solche und ähnliche Phänomene können auch im übrigen Europa
beobachtet werden (3).
Die Städte waren also auf Einwanderung angewiesen. Früher beschäftigte
ich mich besonders in wirtschaftsgeschichtlicher Hinsicht mit dem
Einzugsgebiet der Städte und versuchte nachzuweisen, daß das Gebiet,
aus welchem Neubürger in die Stadt kamen, mit dieser in wirtschaftlichem
Kontakt stand ( 4). – Die sozialen Aspekte dieser Wanderung sind aber
nicht minder interessant. Man muß die verschiedenen gesellschaftlichen
Gruppen und die Möglichkeiten ihrer Migration einzeln untersuchen, um
ein klares Bild der horizontalen Mobilität zu bekommen.
Jene gegebenen Möglichkeiten zur Migration hingen auch von rechtlichen
Bestimmungen ab, so z.B. vom Umfang der Freizügigkeit der Bauern
(5). Die Abwanderungsmöglichkeiten der Bauern standen schließlich
auch mit ihrer Zahl im Zusammenhang. Anfangs seien daher einige zahlenmäßige
Angaben aus dem spätmittelalterlichen Ungarn dargelegt.
Die staatliche Steuereinheit Ungarns im Mittelalter war das „Tor“ (“ porta“).
In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts betrachtete man jedes
einzelne bewohnte Grundstück als ein Tor, ungeachtet seiner Größe und
des Umfanges der dazugehörigen H ufe (- so ‚konnte auch eine halbe, bzw.
Viertelhufe zum „Tor“ gehören). Portalsteuern mußten alle Hörigen an
den König zahlen, so die Bauern der Dörfer, aber auch die Bürger der
Märkte und sogar die der grundherrliehen Städte. In einigen Fällen waren
sogar die sogenannten “ Ein-Schollen-Adeligen“, also solche Edelleute,
die als Bauern ihren Grundbesitz selbst bebauten, zu zahlen verpflichtet.
Von diesen Abgaben waren nur die Priester, die grundbesitzenden
Adeligen und die Bürger der königlichen Freistädte befreit (6).
Nach einer Quelle aus der Mitte des 15. Jahrhunderts soll es zur Zeit
1 1 3
König Sigismunds 400.000 Steuereinheiten im Königreich Ungarn (außer
Slawonien) gegeben haben (7). Von 1494-1495 sind die Rechnungen des
königlichen Schatzamtes erhalten. Diese enthalten die Zahl der angeschlagenen
Tore von drei Vierteln der Komitate (8). Die Zahl der Tore in den
fehlenden Komitaten wurde von verschiedenen Forschern voneinander abweichend
bestimmt; nach meiner Rechnung gab es 1495 rund 267000 Tore,
also Steuereinheiten, im Land (9). In einer Periode ‚:􀂀:m ungefähr 65 Jahren
war damit ein Drittel der Tore verschwunden! Ahnliebes kann auch
durch andere Quellen bewiesen werden. Von vier Komitaten existiert ein
Torverzeichnis aus 1432. Damals gab es dort 20297 Tore, 1494 fanden
dagegen die Steuereinnehmer nur 13865 und 1496 13038 Tore, also 68,3
bzw. 64,2 % (10). Aus anderen Steuerverzeichnissen der Sigismund-Zeit
kann man Gleiches feststellen ( 1 1 ) . Es muß somit einen fortschreitenden
Wüstungsprozeß gegeben haben. In einem nördlichen Komitat, wo man
1427 6618, 1494 2200 und 1495 1995 Tore fand, sind aus dem Jahr 1463
die Quittungen der Steuern erhalten. Damals waren mindestens 2755 Tore
im Komitat ( 1 2 ) , die Zahl der Steuereinheiten muß aber höher gewesen
sein, denn es gab regelmäßige Steuerbefreiungen u.ä.
Den Wüstungsprozeß beweisen auch andere Quellen, besonders die Urbare
und ähnliche Verzeichnisse, in welchen aber meist die Hufen und
nicht die Tore verzeichnet sind. Überall finden wir im Königreich einen
großen Prozentsatz von wüsten Hufen und interessanterweise parallel dazu
eine wachsende Zahl von Hufenteilungen (13). Die Wüstungen haben in
Ungarn natürlich viele Ursachen, ebenso wie anderswo in Europa (14).
Eines ist aber gewiß: die Bevölkerungszahl des Landes kann sich nicht auf
zwei Drittel innerhalb von 65 Jahren vermindert haben, auch wenn es in
dieser Zeit Kriege, Epidemien usw. gegeben hatte.
Bei der Untersuchung der Wüstungsfrage müssen wir die Steigerung
der Steuerlast in Betracht ziehen. In der Zeit Sigismunds zahlten je fünf
Tore einen Gulden, seit der Mitte des 15. Jahrhunderts stieg die Steuer
auf einen Gulden pro Tor. Das bedeutet eine Steigerung von 500 Prozent!
König Matthias Corvinus ließ die Steuer sogar mehrfach zweimal im Jahr
einnehmen. Die Gesetze der siebziger Jahre zeigen schon, wie sich die
Bauern dagegen gewehrt haben. Art. 4 des Gesetzes von 1474 sagt z. B.:
„quod, si ob metum hujus subsidii, ad aliorum domus, post congregationem
praesentem, se contulissent, per hoc non sint supportati“ ( 1 5 ) . Diese
Bestimmung wurde später erneuert, das bedeutet aber nur, daß die nach
dem Landtag zusammenziehenden Bauern 1474 zwar die Steuern zahlen
mußten, aber, wenn sie zusammen blieben, im nächsten Jahr schon davon
befreit waren bzw. mehrere Bauern gemeinsam zahlten. Tatsächlich
1 14
kann man in einigen Quellen mehrere zusammen wohnende Familien finden.
Am Ende des Jahrhunderts zeigen die Durchführungsbestimmungen
für die Steuereinnehmer jedoch schon den Versuch, auch diese Leute zu
besteuern ( 16). Es blieb aber nichtsdestoweniger bei der Tatsache, daß
in einem Haus oft mehrere Familien wohnten. Zwei solcher Konskriptionen
sind aus dem 16. Jahrhundert überliefert, in denen alle Einwohner,
also auch die Kinder, angeführt sind. Im Dorf Als6nyek wurden durchschnittlich
7,9 Leute in einem Haus erfaßt (um 1520). In diesen Häusern
wohnten erweiterte Großfamilien, also drei Generationen zusammen ( 17).
Im Markt Szigetvar hat man 1551 in einem Haus durchschnittlich 1 3 Leute
erfaßt; in diesem Fall lebten mehrere Familien zusammen im Haus (18).
Eine ähnliche Situation kann man z.B. in der nahe von Szigetvar liegenden
Herrschaft von Sikl6s und besonders im Markt Sikl6s fast hundert Jahre
früher, nämlich 1478, beobachten (19).
Der Grundherr hat anscheinend seine Zustimmung zum Zusammenwohnen
gegeben: seine Hörigen mußten damit nicht so viel Steuer zahlen. Er
fürchtete, daß seine Untertanen anderenfalls die Flucht ergreifen würden.
Es kann ja kein Zufall sein, daß die Beschwerden über Flucht bzw. Fluchthilfe
von Hörigen sehr oft die Nichtbezahlung bzw. die Mitnahme der
„taxa regia“ erwähnen (20). Der Bauer flüchtete also nach dem Anschlag
der Steuer und somit mußten die anderen Dorfbewohner an seiner Stelle
bezahlen.
Etwas ähnliches ist auch mit den grundherrliehen Abgaben geschehen.
Einerseits finden wir häufig solche Quellen, nach denen zur Zeit einer
außerordentlichen grundherrliehen Steuer die Bauern oft die Flucht ergriffen
haben (21 ); andererseits genehmigte der Grundherr in einigen Fällen,
daß die Hörigen nach einer verminderten Hufe grundherrliche Renten zahlen
sollten (22). Auf ähnliches deutet z.B. die Bemerkung in einer Konskription,
daß zu einer bewohnten halben Hufe eine „wüste“ andere halbe
Hufe gehört (23). Da die wüsten H ufen und auch die Dorfwüstungen
meist von den Hörigen selbst – jedoch als Pacht – benutzt wurden (24),
können die genannten Quellen nur eines beweisen: der Grundherr verzichtete
auf einen Teil seiner grundherrliehen Renten und verpachtete den
anderen Teil. So wurden seine Einkünfte zwar kleiner, aber er mußte nicht
fürchten, daß ihn seine Hörigen verließen. Dies bedeutet aber auch, daß
ein Teil der wüsten H ufen nur Scheinwüstungen waren.
Nach dieser etwas ausführlichen Einleitung sind wir zum wichtigsten
Faktor der horizontalen Mobilität, zur Freizügigkeit der Bauern gekommen.
In der Geschichte der ungarischen Gesetzgebung wurde die Freizügigkeit
der Hörigen erstmals in einer um 1300 entstandenen Kompila-
1 1 5
tion behandelt. Schon dort finden wir die wichtigsten Bedingungen der
Freizügigkeit, die Erteilung einer Erlaubnis und die Bezahlung des Zinses
(“ Terragium“ ) (25). Später kam dazu noch die Bezahlung eventueller
Schulden, es wurde aber dem Grundherren nur kurze Zeit gegeben, um
seine Forderungen zu erheben (26). Die Formel “ habita licentia“ kommt
schon 1262 vor, und die Bedingung der Zahlung eines „Terragiums“ 1254
(27). Die Freizügigkeit wurde von der ungarischen Geschichtsschreibung
oft behandelt, ohne auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen (28). Wir
wollen hier nur einige Aspekte dieses Fragenkomplexes behandeln.
Außer der Freizügigkeit kommt noch eine andere Form der bäuerlichen
Abwanderung sehr oft in den Gesetzen und Urkunden des behandelten
Zeitraums vor: die Abduktion. Die gewaltsame, ohne Erlaubnis
der Grundherren erfolgte Abduktion eines Hörigen wurde schon im Art.
16 des Gesetzes von 1351 verboten und dieses Verbot danach oft erneuert
(29). Meist wurden die Hörigen in der Nacht abgeführt – nach den frühen
Urkunden durfte der Bauer nur “ clara luce“ abziehen (30) -, anscheinend
mit ihrer Einwilligung ( 3 1 ) . Es ist ganz klar: sie erhielten nicht die Erlaubnis
wegzuziehen, wollten aber zu einem anderen Grundherren gehen;
dieser machte mit Gewalt die Übersiedlung des Bauern und seiner Habe
möglich. Die erhaltenen Quellen zeigen, daß diese gewalttätigen Herren
zum überwiegenden Teil mächtigere Grundherren waren als die früheren
Herren des Bauern (32).
Fast ebenso viele Beschwerden sind jedoch darüber erhalten, daß der
Grundherr seinen Hörigen, obzwar dieser die Erlaubnis dazu erhielt, nicht
wegließ, bzw. Schwierigkeiten in bezug auf seine Abwanderung machte
(33). Das ist nicht ganz verständlich, da der Bauer “ habita licentia“ wegziehen
wollte. Es muß daher die Frage gestellt werden, wer das Recht
hatte, die Erlaubnis zur Abwanderung zu geben. Anscheinend war dies
nicht nur der Grundherr. Schon 1262 wird in einer Urkunde der Dorfrichter
dazu ermächtigt (34), und wir haben auch aus späterer Zeit Angaben
darüber, daß die dörfliche Selbstverwaltung die Erlaubnis zur Abwanderuns
des Bauern erteilen konnte (35). Dies kann man sehr gut begreifen,
denn die Lasten des weggezogenen Bauern mußte man eventuell unter den
zurückgebliebenen verteilen. Schon in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts
kann man beobachten, daß in einigen Fällen die Komitate bzw.
ihre untergeordneten Organe, die Stuhlrichter („iudices nobilum“ ), die
Erlaubnis zur Abwanderung der Bauern erteilten (36). Das wurde in Art.
16 des Dekrets von 1504 zum Gesetz erhoben (37).
Die ungarische Geschichtsschreibung betrachtet dieses Gesetz und auch
andere aus dem Ende des 15. Jahrhunderts, in denen die Höhe der Geld-
116
strafen jener Grundherren vermindert wurde, die die Freizügigkeit ihrer
Hörigen, welche schon die Erlaubnis erhalten hatten, hinderten, als die eigentliche
Behinderung der Freizügigkeit (38). Ohne Zweifel kann man eine
Tendenz zur Abschaffung der Freizügigkeit bemerken. Es sind Urkunden
erhalten, in welchen Adelige mit mittlerem Besitz eine neue Bestrafungsform
einführten: der Delinquent mußte sich zur ewigen Leibeigenschaft
verpflichten (39).
Die Gesetzgebung des 15. Jahrhunderts zeigt anscheinend auch eine
gegen die Freizügigkeit gerichtete Tendenz. König Sigismund hat zwar
in der ersten Hälfte seiner Regierung mindestens sechsmal und oft wörtlich
übereinstimmend die Freizügigkeit seiner Hörigen reguliert. Auch
in seinem sogenannten städtischen Dekret von 1405 kommt solches vor.
Diese Gesetze bekräftigen das Recht der Bauern zur Abwanderung unter
den schon erwähnten Bedingungen ( 40). Damit wurde auch das Interesse
der Städte berücksichtigt. Daß der König seine Verordnungen wiederholen
mußte, zeigt schon, daß es Schwierigkeiten gegeben haben muß. In
der zweiten Häfte des 15. Jahrhunderts lassen sich bereits solche Gesetze
nachweisen, die das Recht der Freizügigkeit für kurze Zeit aufheben. Diese
Verordnungen wurden von der ungarischen Geschichtsschreibung ziemlich
negativ bewertet ( 4 1 ) .
Schon 1452 wird ein Gesetz erwähnt, daß niemand einen Hörigen zur
Zeit der Steuerzahlung ein Jahr lang wegführen darf. Die Abduktion eines
Hörigen bis zum nächsten Martini-Tag verbietet Art. 10 des Gesetzes
von 1454. (Es wurden nämlich für einen Kriegszug die Tore der Hörigen
zusammengeschrieben.) Aus demselben Grund hat man in Art. 30
des Gesetzes von 1459 wieder die Wegfiihrung der Hörigen für ein Jahr
verboten. Ein ähnliches Verbot gilt nach dem Art. 17 des Gesetzes von
1463 nur bis zum 15. Tag nach der Auflösung des Heeres. Art. 1 4
des Gesetzes von 1474 ist ganz eindeutig. I m Rahmen einer neuerlichen
großen Steuerbewilligung verbietet die Verordnung einerseits für ein Jahr
die Entlassung der Hörigen, andererseits läßt das Gesetz nur die geflüchteten
bzw. „non habita licentia et justo terragio eorum minime reposito“
abgeführten Hörigen zurückschicken ( 42). Als offensichtlicher Grund erweist
sich die Tatsache, daß, wenn während eines Kriegszugs oder einer
Steuerzahlung die Bauern wegzogen, entweder ihre Dorfgenossen zahlen
mußten, oder, falls sie noch vor der Konskription wegzogen, niemand an
ihrer Stelle zahlte. Darum scheinen mir diese Gesetze doch nicht gegen
die Freizügigkeit gerichtet zu sein; umso mehr, als außer des wahrscheinlich
mit Absicht mißverständlich verfaßten Artikels von 1474 keines der
Gesetze die Abwanderung mit Genehmigung, sondern nur die Abduktion
1 1 7
verbietet.
Andere Gesetze beleuchten das eigentliche Problem besser. Art. 15 des
Gesetzes des Reichsverwesers Szilagyi ( 1458) befiehlt den Grundherren,
daß sie alle Hörigen, die eine Erlaubnis dazu haben, friedlich wegziehen
lassen sollen. Art. 1 1 aus 1468 erwähnt „die alte Gewohnheit“ : die Mächtigen
(“ majores“) sollen ebenso ihre Hörigen zu den Kleineren (“ minores“)
schicken, wie es die letzteren umgekehrt tun. Die Freizügigkeit richtet sich
also hauptsächlich nach dem Großgrundbesitz. Die gewaltsame und vorschriftswidrige
Abduktion der Hörigen wird von den Art. 4 von 1470, 1 6
von 1 4 7 1 und 3 9 von 1486 verboten. Letzteres Gesetz läßt alle Bauern
zurückführen, die vor einem Jahr weggebracht worden waren ( 43).
Die Gesetze zeigen also dasselbe wie die Urkunden. Die Adeligen mit
kleinem oder mittlerem Grundbesitz waren von dem Recht der Freizügigkeit
am stärksten negativ betroffen, ihre Untertanen verminderten sich am
meisten, denn die Bauern zogen hauptsächlich in die Städte bzw. wurden
vom Großgrundbesitz übernommen. Der König gab zwar auch im
Interesse von kleineren Adeligen Urkunden aus, die bestimmten, daß man
ihnen die geflüchteten bzw. weggeführten Bauern entweder zurückgeben
(44), oder die Zuwanderung zu ihnen erleichtern sollte (45). Solche Urkunden,
die Zuwanderung erleichtern sollten, wurden oft ausgestellt ( 46). Mit
ihnen sind die Freiheiten verwandt, die Neuzugezogene in einer Wüstung
oder Teilwüstung in bezug auf ihre Abgabenzahlung für eine gewisse Zeit
erhielten (47).
Man muß also mit einer, den Klein- und Mittelgrundbesitz stärker belastenden
Freizügigkeit rechnen. In den meisten Fällen wurde nie eine
Urkunde ausgestellt, da kein Rechtsstreit entstand. Die Abwanderung
der reicheren Bauern war besonders schädlich für die kleineren Grundbesitzer.
Hier sei ein interessanter Fall aus dem ungarischen Bauernkrieg
erwähnt. Im Dorf Battonya eines nicht unvermögenden Adeligen, Peter
Ravazdi, wohnten fünf Brüder namens Kis. Diese wanderten am Beginn
des 16. Jahrhunderts ab; sie zogen zum Herzog Johannes Corvinus nach
Banhegyes. Die Entfernung des früheren und des neuen Wohnsitzes dieser
Hörigenfamilie ist ungefähr 22 km. Aus den späteren Prozessen kann
man folgende Tatsachen zusammenstellen: Um 1 5 1 2 – als schon Markgraf
Georg von Brandenburg ihr Grundherr war, welcher die Witwe des Herzogs
geheiratet hatte – führten zwei der Brüder Ochsen im Wert von 300
Gulden zum Verkauf nach Pest. Ravazdi griff sie an, nahm die Ochsen
weg und sie mußten darüber hinaus noch 200 Gulden an ihren früheren
Herren zahlen. Anscheinend gelang es Ravazdi, die Brüder durch Gerichtsbeschluß
zurückzuführen. Zu Ausbruch des Bauernkrieges flüchteten sie.
1 1 8
wieder nach Banhegyes. Einer der Brüder pfählte dann den Peter Ravazdi
eigenhändig, als dieser nach einer Schlacht in die Gefangenschaft
der Bauern geriet. Nach dem Krieg wollte die Witwe Ravazdis die Familie
Kis wieder nach Banhegyes zurückführen, konnte aber nur zwei Frauen
mit ihren Kindern gefangen nehmen und raubte bewegliches Gut im Wert
von 800 Gulden ( 48). Diese Hörigen waren also sehr reiche Leute, anscheinend
Ochsenhändler und wurden von ihren mächtigen neuen Herren,
dem Herzog und danach dem Markgraf tatkräftig geschützt. Der Mörder
Ravazdis blieb anscheinend unbelästigt, obzwar seine Mittäterschaft gerichtlich
bewiesen und von ihm selbst zugegeben worden war ( 49). Der
Markgraf wollte ja seine reichen Untertanen nicht verlieren.
Diese Episode zeigt nit:ht nur, daß die rei<:heren Bauern mit Vorliebe zu
den mächtigen Magnaten zogen, sondern auch, daß diese Magnaten mehr
oder minder die Möglichkeit besaßen, die zugezogenen Bauern vor ihren
früheren G rundherren zu schützen. So ist es nicht ganz unverständlich,
daß eben nach der Niederwerfung des Bauernkrieges die Freizügigkeit der
Bauern aufgehoben wurde. Das “ Rachegesetz“ von 1514 ist in dieser
Hinsicht sehr klar (50), obzwar es nicht ganz durchführbar war. Reiche
Grundherren und die königlichen Städte führten auch weiter mit Gewalt
die Hörigen ab, die zu ihnen zu ziehen bereit waren ( 5 1 ) . König Johann
I. Szapolyai hat dann 1530 die Freizügigkeit gesetzlich wiederhergestellt
(52).
Es muß natürlich auch solche Fälle gegeben haben, wo die Freizügigkeit
der Bauern sich von einem reicheren zu einem ärmeren Grundherrn
richtete; darüber sind jedoch viel weniger Quellen erhalten.
Im folgenden sollen die Entfernungen und die Ziele der bäuerlichen Abwanderung
behandelt werden. Auf den ersten Blick könnte man den Umfang
und die Bedeutung der Freizügigkeit in der Frage der horizontalen
Mobilität als eher unbedeutend betrachten. In den meisten Streitfällen
werden Umsiedlungen der Bauern in das nächste Dorf oder höchstens in
einem Umkreis von 1 5 Kilometern behandelt (53). Ausnahmen scheinen
höchstens die Märkte und Städte sein, wohin die Bauern auch von einer
größerer Entfernung zuzogen (54). Da aber auch Streitigkeiten entstanden,
weil der wegziehende Bauer für sein mitgeführtes Gut Zollfreiheit
beanspruchte – diese wurde ihm ja rechtlich zugestanden (55) -, muß es
auch in anderen Fällen weitere Entfernungen gegeben haben. Die Namen
der in den Quellen erwähnten Bauern, die aus Herkunftsorten gebildet
wurden, zeigen oft eine solche weitere Entfernung an (56). Besonders
kann man dies in den Städten und Märkten beobachten. Es gab ferner
eine ziemlich rege Mobilität innerhalb von Grundherrschaften, wie es z.B.
1 19
für die Herrschaft Sarvar in Westungarn bewiesen wurde (57).
So muß man sich nicht wundern, daß am Ende des Mittelalters ein ziemlich
hoher Anteil der Hörigen in Märkten wohnte und daß in diesen die
Zahl der „wüsten“ Objekte kleiner war als in den Dörfern. I. Szabo untersuchte
die Verteilung der Bevölkerung zwischen Märkten und Dörfern im
Spätmittelalter. In den von ihm behandelten Konskriptionen fand er in
120 Märkten 1 1767 Hufen, in 2067 Dörfern jedoch 36046 Hufen. 24,6 %
der Hufen lagen also in Märkten, die aber nur 5,5 % der Ortschaften ausmachten
(58). Nur einige Beispiele möchte ich für den Anteil der wüsten
Hufen in verschiedenen Herrschaften erwähnen. In der Herrschaft Szöllös
der Familie Pen\nyi in Ostungarn gab es 1450 488 bewohnte und 74 unbewohnte
Hufen. Im einzigen Markt waren 94,5 % der Hufen bewohnt,
in den 20 Dörfern nur 82,6 % (59). In den im gesamten Südungarn verteilten
Herrschaften der Familie Garai vermerkte man 1478 (umgerechnet
nach ganzen Hufen) 1 124 bewohnte und 1870 unbewohnte Hufen. In den
fünf Märkten lagen 23,5 % der Hufen, bewohnt waren davon 55,6 %. In
den 197 anderen Ortschaften fand man nur 34,1 % bewohnte H ufen (60).
In der Herrschaft Csicsva in Nordostungarn trifft man 1493 auf 262 bewohnte
und 3 1 9 unbewohnte Hufen. Im einzigen Markt waren 80%, in
den 52 anderen Ortschaften 42,2 % der Hufen bewohnt ( 6 1 ) . Um 1 5 1 0
gab e s i n der Herrschaft Sempte i n Nordwestungarn 599,5 bewohnte und
416 unbewohnte Hufen. In den drei Märkten waren 76,6 % der Hufen
bewohnt, in den 18 Dörfern nur 5 1 ,4 % (62).
Dazu muß man noch erwähnen, daß die Hufenteilung bzw. die durchschnittliche
Einwohnerzahl der Häuser in den Märkten höher war als in
den Dörfern (63). Man darf also nicht nur mit einer Migration vom kleineren
zum größeren Grundbesitz, sondern auch von den Dörfern in die
Märkte rechnen. Diese Fakten hängen natürlich miteinander zusammen,
denn die meisten Märkte gehörten ja dem Großgrundbesitz. Die Abwanderung
nach den Städten fällt in dieselbe Linie; dennoch müssen wir sie
vom Blickwinkel der Stadt her ebenfalls untersuchen.
Bisher behandelten wir die Abwanderung vom Dorf, jetzt wenden wir
uns der Stadt als Aufnahmeort der Abgewanderten zu. Dabei finden wir
uns anfangs besonders mit einem Problem konfrontiert. Die Bürgerschaft
der Städte bestand in nicht unbedeutendem Maße aus Deutschen, in den
umliegenden Dörfern jedoch lebten ungarische, slawische bzw. rumänische
Bauern. Nur nahe der Sachsenstädte in Siebenbürgen oder in der Zips
bzw. bei einigen westungarischen Städten kann man eine größere Zahl
von deutschen Dörfern finden. Darum müssen wir uns zuerst mit solchen
Städten beschäftigen, bei welcher die Umgebung von Ungarn bewohnt
120
war. Am Ende des Mittelalters bestand die Bevölkerung der Städte Pest,
Szekesfehervar und Szeged überwiegend aus Ungarn, und sie hatten auch
in der Hauptstadt Buda die Mehrheit (64).
Prozentueller Anteil der nach Buda eingewanderten
ungarischen Bürger (65).
Herkunftsort
Umkreis von
20 km
Umkreis von
35 km
Süd-Transdanubien
Andere
Landesteile
aus Städten
% und Märkten
13,0 •23,3 %
10,4 70,8 %
28,6 22,7 %
48,0 73,4 %
z-Üsamm en- — 1 oö􀂧–51 , 9_% __
Prozentueller A nteil der nach Pest eingewanderten ungarischen Bürger
(66)
aus Städten
Herkunftsort % und Märkten
Umkreis von
20 km 29,6 10,3 %
Umkreis von
35 km 1 1 , 2 36,4 %
Süd-Transdanubien
14,2 42,9 %
Andere
Landesteile 45,0 65,9 %
zusammen 100,0 42,9 %
Am Beispiel der Hauptstadt Buda und ihrer Schwesterstadt Pest, die
schon damals ( 1440-1529) nach Buda zu den fünf größten Städten des
Landes gehörte, fällt auf, daß der südliche Teil des sogenannten Transdanubiens
einen ziemlich großen Anteil der Neubürger stellte. Dazu gehören
die Komitate Baranya, Somogy, Tolna und Zala, die einerseits die
volksreichsten des Landes waren, andererseits besaßen sie – außer der
1 2 1
Bischofsstadt Pecs – keine einzige Stadt, nur viele Märkte. Anscheinend
spielten Buda, Pest, Szekesfehervar und Szeged für dieses Gebiet
die Stadtrolle. Von dort kamen auch Bauern in großer Zahl direkt nach
Buda und Pest; ansonsten dagegen beschränkte sich die bäuerliche Einwanderung
in die Stadt hauptsächlich auf deren Umgebung, wenn auch
nicht ausschließlich. Die beiden Schwesterstädte nahmen nämlich aus fast
allen Städten und Märkten des Landes Bürger auf. Dies war natürlich
das Ergebnis ihrer Hauptstadtfunktion.
Bei der königlichen Freistadt Szekesfehervar ist die Situation zwar ähnlich,
aber es gibt dennoch Unterschiede. Die Stadt liegt in der Mitte
Transdanubiens, ihr Einzugsgebiet erstreckt sich über einen Kreis von 35
km, ferner über den südlichen Teil Transdanubiens; darin liegt die Ähnlichkeit
mit der Hauptstadt. Aus einem Umkreis von 35 km kamen 3 1 ,3 %,
aus Süd-Transdanubien 43,8 % und aus den anderen Landesteilen 25 %
der Bürger von Szekesfehervar. Aus dieser letzten Gruppe waren fast alle
Bürger von Städten und Märkten. Aus einer Entfernung von mehr als 120
km kamen ausschließlich solche Bürger nach Szekesfehervar (67). Ähnlich
war das Einzugsgebiet von Szeged (68).
Wenn wir die Einwanderung aus Süd-Transdannbien nicht berücksichtigen,
können wir folgendes bemerken: Bauern kamen in erster Linie aus der
nächsten Umgebung in die Stadt, also ungefähr aus solcher Entfernung,
wie sie bei der Wanderung zwischen den Dörfern nachzuweisen war. Bei
Buda und Pest muß man – wie erwähnt – die Hauptstadtfunktion berücksichtigen;
aus allen Städten und Märkten des Landes zog man nach Buda
und Pest. Bei Szekesfehervar kann man – abgesehen von Süd- Transdanubien
– zwei Einzugsgebiete beobachten. Aus der engeren Umgebung
kamen Dorfbewohner in die Stadt; es gab aber auch einen weiteren Umkreis
mit einem Radius von höchstens 200 km, von wo nur Stadt- bzw.
Marktbewohner nach Szekesfehervar zogen (69). Ähnliches kann man
auch bei anderen Städten des Landes beobachten (70). Damit läßt sich
der Migrationsvorgang, den wir in der ersten Hälfte unserer Abhandlung
beschrieben haben, weiter erläutern. Die Bauern wanderten sehr oft in
die nahen Städte oder Märkte ab. Das nächste Ziel war eine meist wirtschaftlich
bedeutendere Stadt in demselben Landesteil oder die Hauptstadt.
Dies kann natürlich nur eine schematische Darstellung sein. Sie
zeigt aber doch, wie die städtische Bürgerschaft von der Freizügigkeit der
Bauern abhängig war.
Ein weiteres Phänomen ist damit eng verbunden. Wenn die Umgebung
der Stadt anderssprachig war, mußte sich auch in der Stadt zwangsweise
diese ethnische Gruppe langsam vermehren. Oft wohnten solche Einwan-
122
derer in eigenen, nach ihrer Sprache benannten Gassen, so in der Slawenoder
in der Kumanischen Gasse in Szeged (71 ). Sie konnten auch einen
eigenen Kaplan bekommen oder sogar eine Personalpfarre, wie in vielen
Städten in der heutigen Slowakei, aber auch in der Hauptstadt (72). Damit
wurde der Weg zur ethnischen Umgestaltung der Stadt langsam freigelegt.
Szekesfehervar wurde im 13. Jahrhundert von Wallonen bewohnt,
am Ende des Mittelalters hatte es bereits eine ungarische Einwohnerschaft
(73).
Eine Einwanderung aus anderssprachigen Gebieten konnten auch solche
Städte nicht verbieten, deren Umgebung deutschsprachig war. Die
Stadt Sopron liegt an der Österreichischen Grenze und war Grundherr einer
Anzahl von deutschsprachigen Dörfern (74); zu ihrem Einzugsgebiet
gehörten aber nicht nur die deutsch-, sondern auch die ungarischsprachigen
Märkte Nordwesttransdanubiens. Der Markt Sarvar liegt z.B. ungefähr
55 km südöstlich von Sopron. In der Mitte des 15. Jahrhunderts
war der Bürgermeister ein gewisser Sirnon Csemper. Seine Witwe starb in
Sopron, und die Familie wohnte auch noch später dort und trug den Namen
Zirnper (75). Die Familie Magas war eine reiche Kaufmannsfamilie
in Sarvar. Imre Magas wurde um 1470 Bürger von Sopron und heiratete
eine Frau aus der Ratsherrenfamilie Kranperger. Bald wählte man ihn
zum Ratsherren. Sein . Name wurde immer ungarisch geschrieben. Seinen
Sohn Ferenc nannte man zwar nach seiner Mutter auch Kranperger, sein
Taufname wurde aber selbst in deutschen Urkunden ungarisch und nicht
in der deutschen Form Franz geschrieben (76).
Man könnte noch andere Beispiele zeigen, die genannten mögen jedoch
genügen. Das letzte Beispiel führt uns weiter. Schon früher war davon
die Rede, daß das Recht der Freizügigkeit sehr oft von reicheren Hörigen
genutzt wurde. Die Csemper und die Magas waren Hörige der Magnatenfamilie
Kanizsai, dann wurden sie Bürger einer königlichen Freistadt
und konnten dort sogar, besonders Imre Magas, Karriere machen. Seine
Heirat hat natürlich viel dazu beigetragen. Allein daß er aber die Kranpergerin
heiraten durfte, deutet auf ein gewisses Ansehen. Die horizontale
Mobilität wurde dadurch mit einer vertikalen verbunden; aus einem rechtlich
hörigen Bürger eines Marktes wurde nicht nur ein freier königlicher
Bürger, sondern auch ein Mitglied der städtischen Oberschicht.
Der Fall Magas war keine Seltenheit. In der städtischen Oberschicht
der ungarischen Städte finden wir nicht wenige Leute, die aus einer kleineren
Stadt oder aus einem Markt einwanderten und dort sehr schnell
Ratsbürger wurden. Auch Bauern bzw. Bauernadeligen stand dieser Weg
offen. Zwei Beispiele seien angeführt: Im Dorf Gubacs südlich von Pest
123
lebte im zweiten Drittel des 15. Jahrhunderts ein höriger Bauer namens
Gergely Ferenci. Er beschäftigte sich mit Viehzucht und Ochsenhandel
und wurde so reich, daß er bald nach Pest abwanderte und dort zum
Stadtrichter, also zum Oberhaupt der königlichen Stadt, gewählt wurde
(77). In diesem Fall kam der Bauer aus der nächsten Umgebung in die
Stadt. Istvan Angyal von Mikola (auch Mikolai genannt) war ein Kleinadeliger
aus einem von der Hauptstadt ungefähr 80 bis 90 km entfernten
Dorf. Er beschäftigte sich ebenfalls mit Handel und wurde Ratsherr und
Richter von Buda (78). Im Fall Mikolai wissen wir nicht, ob er schon
vor seiner Niederlassung in der Hauptstadt ein reicher Mann gewesen war
oder nicht.
Es gab nämlich nicht nur die reichen Hörigen bzw. Adeligen, die in der
Stadt gleich Mitglieder der Oberschicht wurden. Zwar sind wir über sie
am besten informiert, dennoch müssen sie in der Minderzahl gewesen sein.
Sehr wenige Quellen sind über die Unterschichten erhalten. Bei der Beschreibung
der bäuerlichen Freizügigkeit haben wir meist solche Quellen
zitiert, die die Abwanderung reicherer Bauern erwähnen. Ein bedeutender
Teil der ungarischen Bauern gehörte jedoch zu den Inleuten („inquilini“),
die keine H ufe besaßen und oft in Häusern anderer Bauern lebten (79). Es
gab ferner Taglöhner, Knechte usw. Ihre Freizügigkeit war naturgemäß
viel geringer. In einigen Fällen geben die Quellen auch Auskunft über sie.
1 5 1 2 werden mehrere im Dorf Szentlaszl6 lebende und in den Weingärten
der Stadt Obuda (Alt-Buda, nördlich der Hauptstadt) arbeitende Hauer
erwähnt. (Szentlaszl6 lag nicht weit von der Stadt entfernt.) Einer dieser
Taglöhner ist 1 5 1 9 als Pächter eines Weingartens in Obuda bezeugt, ein
anderer, Mate Tolvaj, ist 1 5 1 9 schon Bürger der Stadt und besitzt selbst
Weingärten (80). Ein großer Teil der Weingartenbesitzer in der Hauptstadt
gehörte zu den Hauern, naturgemäß mit einer sehr kleinen Parzelle
(81 ). Der Fall Tolvaj ist allerdings nur eine interessante Ausnahme; die
meisten Hauer konnten natürlich nicht in die reichere Bürgerschaft aufsteigen.
Er bezeugt jedoch, daß die bäuerlichen Unterschichten ohne weiteres
Arbeitsmöglichkeiten in den Städten finden und sich dort niederlassen
konnten. Wahrscheinlich gehörten sie dann auch dort meist zu den U nterschichten,
aber sie besaßen dennoch die Möglichkeit, das Bürgerrecht zu
erlangen. Die große Zahl der aus den Weinbaugebieten Südtransdanubiens
stammenden und sich in den Städten niederlassenden Bauern bestand
teilweise bestimmt aus Taglöhnern (82).
Bei den Städten und Märkten müssen wir noch eine Schicht berücksichtigen,
die das fremde Element in der Stadt immer stärker vermehrte. Die
Handwerker mußten ja im Rahmen ihrer Ausbildung Wanderungen ma-
124
chen und erwarben so ihr Meisterrecht nicht immer in ihrer Stadt. Bei den
meisten Handwerkern finden wir solche Meister, die aus weit entfernten
Gegenden und nicht nur aus Städten bzw. Märkten stammten (83). Der
adelige Semmelbäckermeister Mihaly Szentgyörgyi wohnte in der Vorstadt
von Buda. Er stammte aus dem heute Balatonszentgyörgy genannten
Dorf, das 180 km von der Hauptstadt entfernt liegt. Der Bäcker lebte in
der Hauptstadt, seine beiden Brüder blieben auf ihrem – wahrscheinlich
sehr kleinen – adeligen Grundbesitz in Szentgyörgy. Dort wurde einer der
Brüder 1 5 1 7 vom Pfarrer des Nachbardorfes Kethely getötet. Das dafür
bezahlte Wergeld bekam der Bäcker zusammen mit dem anderen Bruder
(84). Solche Beispiele könnten in großer Zahl geliefert werden. Wir haben
dieses gewählt, weil es mehrere Phänomene bezeugt. Der junge adelige
Szentmihalyi lernte irgendwo das Bäckerhandwerk, wurde Meister und
damit auch Bürger der Stadt, gehörte aber nicht zu den reicheren Semmelbäckern,
denn er wohnte nicht in der “ Burg“, also in der Innenstadt.
Die Entfernung von Szentgyörgy nach Buda ist sehr groß; die Handwerksgesellen
gingen oft auf weite Reisen. Er hat außerdem die Verbindung
zu seiner Familie aufrechterhalten, was bei einem Adeligen ganz natürlich
ist. Da er an erster Stelle genannt wird, als der Mörder das Wergeld
bezahlte, scheint er der zweitälteste Bruder gewesen zu sein. Der vom
Pfarrer ermordete Bruder blieb ja zuhause. Hier muß erwähnt werden,
daß auch die Dorfhandwerker in die Lehre treten mußten. Das konnte
nach 1514, also nach der Aufhebung der Freizügigkeit, Schwierigkeiten
machen. Das Komitat Tolna mußte z.B. 1 5 1 6 einem Dorfschmied bescheinigen,
daß er zwar in einer, einem anderen Grundherren gehörenden
Ortschaft sein Handwerk erlernt hatte, nachher jedoch zurückkam und
denselben Grundherren hatte wie vor seiner Lehre (85).
Die Lehre konnte also nicht nur endgültige, sondern auch temporär􀚵 horizontale
Mobilität ei!.les Individuums mit sich bringen, aus der natürlich
auch eine definitive Ubersiedlung resultieren konnte, wie wir es im Fall
Szentgyörgyi sahen. Eine rege temporäre Mobilität brachte der Marktbesuch
mit sich. Am Ende des Mittelalters gab es nur wenige Dörfer im
Land, von denen aus man nicht an jedem Wochentag einen Markt besuchen
konnte. Ungarn wurde von einem Netz von Wochenmarktorten
bedeckt (86). Diese lagen 10 bis 20 km voneinander entfernt, also in derselben
Entfernung, in welcher wir die meisten Fälle bäuerlicher Freizügigkeit
von einem Dorf in das andere beobachten konnten. Die Anknüpfung
von Beziehungen zwischen den Bauern einer kleineren Region ist meist an
den Wochenmärkten entstanden. Den Besuch von Jahrmärkten möchte
ich ohne Anspruch auf Vollständigkeit mit einigen Beispielen beleuchten.
125
Daß die Marktbesucher anscheinend oft einen Raubüberfall erlitten, kann
man aus den Prozeßakten den Einzugbereich der Jahrmärkte erschließen.
Ich erwähne keine städtischen Jahrmärkte, sondern nur solche aus dem
ländlichen Raum, und zwar erstens aus solchen Angaben, die die Beraubung
von Dorfbewohnern bezeugen: Bauern von Nagybajom gingen nach
Mesztegnyö ( 1 3 km), von Balaszentmikl6s nach Nagytur (27 km), von
Mezögyan nach Gyula (30-35 km), von Barkasz6 nach Nagyszöllös (45
km), von Bozsok nach Salamonvar (55-60 km) (87). Die Angaben sind
aus verschiedenen Landesteilen zusammengestellt, sie bezeugen, daß die
Bauern nicht nur die Jahrmärkte der unmittelbaren Umgebung, sondern
auch weiter entfernt liegende besuchten. Der letzte Fall ist darum interessant,
weil Salamonvar kein bedeutender Markt war, zwischen Bozsok
und Salamonvar jedoch mindestens zwei wirklich wichtige Märkte lagen,
Szombathely und Körmend, die auch heute Städte sind. Die Bewohner
der Märkte fuhren noch weiter. Den schon erwähnten Markt in Nagytur
(heute Mezötur) besuchten z . B . auch Leute von Nyirbator ( 140-150 km)
(88). Darüber hinaus sind die großen, landesweit besuchten Jahrmärkte
zu erwähnen, wie z.B. jene von Pest (89). Die schon erwähnten Gehrüder
Kis aus Banhegyes trieben ja ihre Ochsen auch nach Pest ( 1 80-200 km).
Der Jahrmarktbesuch gab den reicheren Bauern also die Möglichkeit,
große Entfernungen zurückzulegen und eventuell solche Verbindungen zu
knüpfen, die sie später bei der Abwanderung benutzen konnten.
Zu diesen Verbindungen müssen wir auch die Heiraten rechnen. Neben
der eigentlichen Freizügigkeit (sowie der Flucht und der Abduktion) gab
auch die Heirat eine Möglichkeit, die Heimat zu verlassen. Die Zollfreiheit
des Bauern, der seine Frau nach Hause führt, kommt auch in den
Gesetzen vor (90). Meistens gab der Grundherr ohne weiteres die Genehmigung
zur Wegführung einer frisch vermählten Ehefrau zu ihrem Mann
(91). Selbst nach 1514 war dies möglich. Das Rachegesetz erlaubte nur
solchen Hörigenwitwen nicht den Abzug, die an einer Hörigenstelle saßen,
die also als H ufenbesitzende zu betrachten waren. Die Mädchen, die in
Häusern anderer lebenden Witwen und die nicht an einer Hörigenstelle
sitzenden Witwen durften weiterhin frei heiraten. Ihren Abzug genehmigte
das Gesetz expressis verbis: Nur ihre Söhne durften die Witwen
nicht wegführen bzw. – wenn diese noch zu jung waren – mußten sie
als Erwachsene zurückkommen (92). So sind auf Grund von Bauernheiraten
verhältnismäßig wenig Streitigkeiten entstanden. In den Städten
dagegen finden wir immer eine große Zahl solcher Biirger, deren Frauen
aus einer größeren Entfernung stammten. Quellenmäßig sind besonders
die Heiraten zwischen Bürgerfamilien verschiedener Städte bzw. zwischen
126
Bürgern und Adel gut belegt. In diesen Fällen gab es ja Erbansprüche,
mit denen sich die Gerichte beschäftigen mußten. Man kann die These
aufstellen, daß die B ürger mit solchen Städten und Märkten Familienbindungen
suchten, mit welchen ihre Stadt geschäftliche Verbindungen hatte.
Die Familienverbindungen mit dem Adel zeigen ebenfalls ein interessantes
Bild. Vorerst muß die Frage der Adelsverbindungen jedoch etwas eingeschränkt
werden. In der von mir behandelten Zeit sind die Verbindungen
der nicht ungarischsprachigen städtischen Bürger mit dem ungarischen
Adel sehr selten, wenn auch nicht beispiellos. Die ungarischen Bürger
der königlichen Freistädte Buda, Pest, Szeged, Szekesfehervar haben etwa
das “ connubium“ mit dem Adel gepflegt. Die ratsbürgerlichen Familien
hatten ihre Verwandten· meist im mittleren· Adel, die anderen im Kleinund
im BauernadeL Die adeligen Verwandten der Bürger wohnten oft in
sehr weiter Entfernung. In dieser Hinsicht ist die Verbindung zum Bauernadel,
dessen Mitglieder oft ärmer als die reichen Hörigen waren, sehr
wichtig. Man kann annehmen, daß auch die Bürger mit den letzteren
in Heiratsverbindungen standen, denn sie waren ja selbst sehr oft in die
Stadt gezogene reiche Bauern (93).
Die Bürger der ungarischen Städte hatten ihre Familienbeziehungen
nicht nur untereinander. Der Handel verband sie mit vielen Städten Europas
und dies mußte sich ja auch auf ihr Familienleben auswirken. Dazu
muß jedoch bemerkt werden, daß ich mich hier auf das Spätmittelalter beschränke
und die Frage der deutschen Ostsieddung bewußt ausklammere,
die ich bereits an anderem Ort behandelte (94). An der Gründung vieler
Städte Ungarns nahmen ja Wallonen, Deutsche usw. teil (95). Besonders
in der deutschen Bürgerschaft von Buda und Pest im 13. Jahrhundert
befanden sich viele Wiener und Regensburger. Die Donaulinie war nicht
nur der wichtigste Handelsweg zwischen Deutschland und Ungarn, sondern
gab auch die Möglichkeit zur Abwanderung nach Ungarn (96).
Neue Städtegründungen gab es im 15. Jahrhundert zwar nur wenige,
und diese müssen wir auch eher als Marktgründungen betrachten. Sie
sind aber dennoch nicht uninteressant, weil damit Abwanderung verbunden
war. König Sigismund gründete neben dem Markt Tata ein Ujtata
(Neu-Totis). Aus einer Urkunde von 1413 wissen wir, daß Bauern aus
ziemlich großer Entfernung nach Tata zogen. Es ist auch bezeichnend,
daß die Stadt (besser: der Markt) “ Tata slavonicalis“ genannt wurde (97).
Eine andere· Gründung kann man eher als Siedlungsverlegung betrachten.
König Wladislaw I. gab 1440 den vor den Türken flüchtenden Bürgern der
Stadt Kevi eine Wüstung auf der Csepel-Insel südlich der Hauptstadt.
Alle Privilegien von Kevi galten auch dort. Kevi besaß eine serbische
127
Bevölkerung, so nannte man die neue Siedlung erst Kiskevi (Klein-Kevi),
später Rackevi (heute Rackeve, Raitzisch-Kevi). Die alte Siedlung Kevi
(heute Kovin, Jugoslawien) liegt ca. 350 km vom neuen Kevi entfernt.
Rackeve wurde eine blühende Stadt (rechtlich nur ein Markt), die serbischen
Kaufleute trieben Handel von der Österreichischen Grenze bis in die
südöstliche Ecke Siebenbürgens und bauten sich eine schöne orthodoxe
Pfarrkirche in gotischem Stil (98) . Vor den Türken flüchtetende Serben
wurden auch anderswo, besonders in der südlichen Tiefebene, angesiedelt
(99).
Enger Kontakt mit dem Ausland blieb bei solchen Städten erhalten, für
die der Außenhandel eine große Rolle spielte. Besonders kann man das für
die Hauptstadt bemerken. Man kann behaupten, daß die Familienverbindungen
der Budaer deutschen Bürger das Spiegelbild des Handels zeigen.
(In dieser Zeit war das “ connubium“ zwischen Deutschen und Ungarn in
der Hauptstadt ziemlich selten.) Die entferntesten Plätze der Handelsund
Familienverbindungen von Buda sind St. Gallen, Nürnberg, Breslau
und Krakau ( 1 00). Zwei Städte müssen wir dabei besonders erwähnen:
Nürnberg und Wien. Nürnberg übernahm die früher führende Rolle Regensburgs
im ungarischen Handel in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts.
W. v. Stromer hat den großen Einfluß der N ürnberger in Ungarn
und auch in Buda eindringlich beschrieben. Viele Mitglieder Nürnberger
Kaufmannsfamilien ließen sich in Buda nieder und spielten dort eine
große Rolle. Schon am Ende des 14. Jahrhunderts war z.B. ein Kraft
von Nürnberg Ratsherr in der ungarischen Hauptstadt ( 1 0 1 ) . Auch in der
Mitte und am Ende des 15. Jahrhunderts finden wir ähnliche Situationen.
Am Beginn des 15. Jahrhunderts gab es in Buda einen Ratsherren
und Stadtrichter namens Hans Siebenlinder. Seine Tocher wurde von einem
Munich von Basel geheiratet, der als Bürger von Buda starb. Drei
von dessen Töchtern wurden von Preßburger Ratsherren geheiratet, die
vierte erhielt Johann Münzer als Gemahl. Dieser kam aus Bamberg nach
Buda, seine Familie hatte aber auch Beziehungen zu Nürnberg. Münzer
wurde oft zum Stadtrichter von Buda gewählt, er starb 1475. Die zweite
Frau Münzers war eine Mühlstein aus Buda, deren Familie ebenfalls aus
Nürnberg stammte. Die Tochter Münzers aus der zweiten Ehe heiratete
dann Ruprecht Haller. Jener war Mitglied der bekannten Nürnberger Patrizierfamilie
Haller von Hallerstein und wurde selbst Richter von Buda.
Sein Sohn übersiedelte später nach Siebenbürgen. Übrigens war Ruprecht
nicht der einzige Haller, der sich in Buda niedergelassen hatte ( 1 02).
Solche und ähnliche Beispiele könnten wir noch mannigfach zitieren; dies
geschah jedoch bereits an anderer Stelle ( 103). An unseren gegebenen Bei-
128
spielen muß dabei berücksichtigt werden, daß wir etwa auf die deutschen
Beziehungen der Münzer und der Haller gar nicht eingegangen sind.
Die Nürnberger benutzten den Donauweg nach Ungarn und hatten
natürlich auch zu den Österreichischen Donaustädten Verbindungen
(104). Besonders Wien war in dieser Hinsicht wichtig. Die Wiener
Bürger waren ja seit dem 13. Jahrhundert mit der ungarischen Hauptstadt
verbunden. Wiener übersiedelten öfters nach Buda und hatten Heiratsverbindungen
zu dortigen Familien. Vielleicht in noch größerer Zahl
kann man aus der ungarischen Hauptstadt stammende Bürger in Wien
nachweisen (105). In der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts war Ladislaus
von Edlasperg, der aus Buda kam, Stadtrichter von Wien ( 106), und
man wählte Sebastian Eyseler zum Bürgermeister; er stammte aus Pest
(107). Während der Regierung des Königs Mattbias Corvinus in Wien
(1485-1490) haben Budaer Kaufleute eine ziemlich bedeutende Rolle in
der Stadt gespielt. Hier kann man auch gleich die aus Bayern stammende
Familie PemfHinger erwähnen. Zwei Vettern aus dieser Familie, Christoph
in Wien und Hans in Buda, waren gleich�:eitig Richter ihrer Stadt ( 108).
Die kleineren Städte an der Donaulinie konnten sich ebenfalls in diese
überstaatlichen Familienverbindungen einschalten. Dazu nur ein kleines
Beispiel: Ein reicher Bürger von Nürnberg, Wolfgang Eysen, ist 1467 in
der ungarischen Bischofsstadt Vac an der Donau geboren. Einer seiner
Brüder wurde Bürger von Buda, die anderen lebten in Vac. Einer seiner
Onkel war ein Eiseier aus Pest und damit auch Verwandter des späteren
Bürgermeisters von Wien ( 1 09).
Man könnte vielleicht glauben, daß nur bei Mitgliedern der städtischen
Oberschicht solche ausländische Verbindungen nachzuweisen sind.
Tatsächlich und naturgemäß blieben die meisten Quellen über sie erhalten,
aber das bedeutet nicht, daß es keine anderen gab. Ausländische Handwerkslehrlinge
sind auch in Ungarn nachzuweisen ( 1 10) und ebenso An
􀚶aben über Familienverbindungen in Ungarn lebender Handwerker nach
Osterreich und Deutschland ( 1 1 1).
Naturgemäß sind die meisten Angaben über Familienverbindungen im
Ausland aus den Grenzstädten erhalten. Verwandtschaftliche Beziehungen
findet man in der spätmittelalterlichen Stadt Sopron wohl etwa in
größerer Zahl mit Österreichischen bzw. böhmischen Bürgern als mit
solchen aus Ungarn. Nur als Beispiele erwähne ich einige ausländische
Städte: Wien ( 1 12), Wiener Neustadt ( 1 13), Baden (1 14), Sankt Pölten
( 1 15), Ebenfurt ( 1 16) oder Znaim ( 1 17). Der Radius des Umkreises, aus
welchen Familienverbindungen für Sopron entstanden, ist nicht sehr weit.
Er zeigt aber doch, daß die Landesgrenzen keinen großen Einfluß auf die
129
Familienverbindungen (und die Zu- und Abwanderungen) ausübten.
Wir müssen bei der Beschreibung der bäuerlichen und bürgerlichen horizontalen
Mobilität noch kurz die Universitätsstudenten und Priester
erwähnen. Es ist bekannt, daß keine der mittelalterlichen ungarischen
Universitätsgründungen langlebig war, doch studierte eine ziemlich große
Zahl aus dem Königreich Ungarn stammender Studenten an ausländischen
Universitäten. Den überwiegenden Anteil der im Ausland Studierenden
stellten die von Städten und Märkten kommenden Bürgersöhne
( 1 18). Gleiches können wir für die Mitglieder der Dom- und Kollegiatskapitel
nachweisen. Es ist interessant, daß man in jedem Kapitel auch
aus den entferntesten Landesteilen stammende Bürgersöhne finden kann.
Die Bürger des Standortes des Kapitels sind in der Minderheit. Von 1 1 1
Domkapitularen von Esztergom im ersten Viertel des 16. Jahrhunderts
stammten 42 aus Städten und Märkten Ungarns, also 37,8 %. Das ist
etwas atypisch, denn es gab im Domkapitel einerseits viele Ausländer,
besonders aus italienischen Städten – wie Ferrara (früher war lppolito
d‘ Este aus Ferrara Erzbischof) -, andererseits auch überdurchschnittlich
viele Adelige. Dennoch ist die Zahl der Städtebürger Ungarns sehr hoch.
Aus Esztergom stammten aber nur zwei ( 1 19). Im Kollegiatsstift Buda
(das aber in Obuda lag) war die Situation gleich. Dabei muß man bedenken,
daß die Pröpste des Stiftes führende Rollen in der königlichen Kanzlei
spielten und darum die Pfründe sehr oft an Kanzleibeamte vergeben
wurden. Zwischen 1490 und 1526 kennen wir 54 Chorherren, von ihnen
stammten 23, also 42,6 %, aus Städten und Märkten. Nur zwei waren
Bürgersöhne aus Obuda (120). Die Herkunftsorte der bürgerlichen Dombzw.
Chorherren verteilten sich über das ganze Land. Die Pfarrgeistlichkeit
der Städte stammte auch meistens nicht aus der eigenen Stadt. Bei
den Pfarrern war jedoch das einheimische, d. h. aus der Stadt stammende
Element noch immer am stärksten vertreten ( 12 1). Die Geistlichkeit in
Sopron stammte meist aus Österreich (122). Schließlich gab es auch viele
Bauernsöhne unter den Pfarrern.
Am Ende unserer Übersicht der horizontalen Mobilität im spätmittelalterlichen
Ungarn müssen wir noch den Adel erwähnen. An erster
Stelle steht in dieser Hinsicht das Hauptstadtproblem. Buda war der Sitz
des Königs und seiner Behörden bzw. Gerichtshöfe. Da ausschließlich
die königlichen Gerichte in den Prozessen der Adeligen zuständig waren,
strömten zu Zeiten der Gerichtssitzungen die Grundbesitzer aus dem
ganzen Land in der Hauptstadt zusammen. Sehr bedeutend waren auch
die Reichstage. Seit der Mitte des 15. Jahrhunderts hielt man fast jedes
Jahr Reichstage ab. Den Adelsstand vertraten entweder Delegierte der
130
Komitate, oder jeder Adelige mußte persönlich erscheinen. So konnten
sogar mehr als zehntausend Leute zusammenkommen (123). Die Hauptstadt
wurde also nicht nur als wirtschaftlicher Mittelpunkt des Landes
von den B ürgern anderer Städte und Märkte aus dem ganzen Land besucht,
sondern auch vom Adel. Es entstanden Freundschaften und Verwandtschaften
zwischen Adeligen weit voneinander entfernter Landesteile
(124). Wie solche Verwandtschaften entstanden, zeigt ein Brief eines slawonischen
Adeligen an seine Frau. Er erwähnt den Besuch des Bräutigams
einer seiner Töchter – dieser stammte aus Ostungarn! – und schreibt
seiner Frau, daß er auch für die andere Tochter einen geeigneten Mann
gefunden hat: dieser sei Hauptmann der Truppen des Erzbischofs von Esztergom
und erwarte eine Erbschaft von 500 Bauern ( 125). So erstarkten
die Verbindungen zwischen den einzelnen Landesteilen und dessen Adel.
Die horizontale Mobilität wurde noch durch die Diensteintritte bei Adeligen
gefördert. Die Grundbesitzer, aber auch die staatlichen Amter und
Funktionen, wurden von den „familiares“ genannten Dienstleuten verwaltet.
Die „familiares“ waren ihren Herren zur gegenseitigen Treue verpflichtet.
Das Dienstverhältnis konnte unbefristet oder befristet sein, aber
es war nicht erblich. Wenn die Herren staatliche Funktionen innehatten,
betrauten sie damit oft solche Dienstleute, die ihren Grundbesitz verwalteten.
Der Vizewoiwode von Siebenbürgen, die kroatisch-slawonischen
Vizebane, die Vizegespane der Komitate usw. waren alle „familiares“
(126). Da die Magnaten häufig in mehreren Landesteilen Grundbesitzer
waren oder staatliche Ämter auch in anderen Gebieten erhalten konnten,
kam es sehr oft vor, daß der Herr einen „familiaris“ beschäftigte, der aus
der Gegend einer seiner entfernten Besitztümer stammte. Der Woiwode
von Siebenbürgen ernannte als einen seiner Stellvertreter fast immer einen
landesfremden „familiaris“ , der irgend wo in der Nähe seiner ungarischen
Besitztümer ansässig war ( 1 27).
Einer der mächtigsten Magnaten Südungarns in der Mitte und der. .z weiten
Hälfte des 15. Jahrhunderts war Miklos Ujlaki, der öfters die Amter
eines Woiwoden oder eines Banus bekleidete und als König von Bosnien
starb (1471-1477) ( 1 28 ) . Er besaß auch in Nordwestungarn (in der heutigen
Westslowakei) Besitztümer. Dortige Familiaren verwalteten sehr oft
seine südungarischen Burgen und wurden auch in Südungarn Grundbesitzer
( 129). Man könnte noch viele weitere Beispiele nennen. Tatsache
ist aber, daß durch das Dienstverhältnis auch eine gewisse horizontale
Mobilität des Adels entstehen konnte. Man muß ferner bedenken, daß
ein Vizewoiwode oder ein Burgpfleger eines Magnaten selbst vermögende
Adelige waren, die wahrscheinlich mit eigenem Gefolge an ihren neuen
131
Dienstort kamen.
Zusammenfassend können wir behaupten, daß es innerhalb des Königreichs
Ungarn bei allen gesellschaftlichen Schichten eine nicht zu unterschätzende
horizontale Mobilität gab. Bei einigen Schichten, so bei den
Städtebürgern und in gewisser Hinsicht beim Klerus, endete die Mobilität
nicht an der Landesgrenze. Diese Mobilität gab auch die Möglichkeit zu
einer Uniformisierung der Gewohnheiten im ganzen Land, aber auch zu
einem ununterbrochenen Einfluß des Auslands, besonders der deutschen
Länder, in Ungarn. Die Hauptstadt Buda spielte in allen diesen Dingen
naturgemäß die Hauptrolle.
ANMERKUNGEN
1) Andrßs Kubinyi, Budai es pesti polgarok csalßdi összeköttetesei a Jagello-korban
( Familienverbindung Budaer und Pest er Bürger in der Jagellonen-Epoche). In: Leveltori
Közlemenyek 37 (1966) 232-233.
2) Ebenda, 274-275.
3) Vgl. Fritz Röhrig, Die europäische Stadt. In: Propyläen Weltgeschichte, Bd. IV.
Berlin 1932, 346. Auch heirateten nicht alle Kinder, vgl. Erich Maschke, Die Familie
in der deutscheu Stadt des späten Mittelalters (SBHeidelbAkadWiss., phil-hist. Kl.
Jahrgang 1980. 4. Abh.) Heidelberg 1980, 16-20.
4) Andro• Kubinyi, Die Städte Ofen und Pest und der Fernhandel am Ende des
15. und am Anfang des 16. Jahrhunderts. In: Der Außenhandel Ostmitteleuropas
1450-1650, hg. v. Ingomar Bog, Köln-Wien 1971 , 385-400.
5) Mit der Freizügigkeit der Bauern und besonders mit der Be•chränkung dieses
Rechtes hnt sich die ungarische Ge•chichtsschreibung eingehend be•chäftigt. Ohne
Anspruch auf Vollständigkeit erwähne ich einige Arbeiten, so z. B.: Miklo• Kring,
Közepkori jobbogysogunk •zabad költözeseröl (Über die Freizügigkeit un•erer mittelalterlichen
Hörigen). In: Szozadok 69 (1935) 390-413. – György Szekely, Tanulmßnyok
a parasztsag törtenetehez Magyarorszngon a 14. sztizadban. Budapest
1953, 192-212. – Ders., Földesuri törekvesek a jobbogysng költözesi jogonak felszomolasara
Magyarorsztigon – kelet-europa.i tipusu torsadalmi folyamat az 1 5 1 4 elötti
evth;edekben ( Grundherrliche Bestrebungen zur Aufhebung des Freizügigkeitsrechtes
der Hörigen in Ungarn – Vorgang osteuropäischen Typs in den Jahrzehnten vor 1514).
In: Agrortörteneti Szemle 14 (1972) 261-276. – Istvon Szabo, Tanulmonyok a magyar
parnsztsog törteneteböl ( Abhandlungen aus der Geschichte des ungarischen Bauerntums).
Budapest 1948, 54-59. – Ders., Jobbagyok-parasztok (Hörige Bauern) . Budapest
1976, 123-166, 176-189, usw.
6) Lo•zlo Solymosi, Veszprem megye 1488. evi adolajstroma es az Ernuszt-fele
megyei adoszomadosok (Das Steuerregister des Komitats Veszprem über das Jahr 1488
und die Ernuszt ’sehen Steuerrechenschafts berichte.) In: Veszprem megyei Leveltor
kiadvonya.i 3 ( 1 984) 1 2 1-233. – Andros Kubinyi, Az alföldi megyek jobbogyportaszoma
a közepkor vegen (Die Zahl der Tore der Hörigen in den Komitaten der Tiefebene am
Ende des Mittelalters). In: Falvak, mezövarosok az Alföldön (Dörfer und Märkte in
der Tiefebene), hg. von Loszlo Novok u. Loszlo Selmeczi, Nagykövös 1986, 279-299.
Die frühere Literatur ist in den beiden Studien ausführlich zitiert.
7) Vgl. Elemer Molyusz, Zsigmond kiroly uralma Magyarorszogon (Die Herrschaft
132
König Sigismunds in Ungarn). Budopest 1984, 242.
8) Hg. in: Johnnn Christion v. Engel, Geschichte des ungrischen Reiches und seiner
Nebenliinder, Bd. I. Halle 1797, 20-39, 130-150.
9) S. meine in Anm. 6 zitierte Arbeit mit der früheren Literatur.
10) Mnlyusz 241.
1 1 ) Pa! Engel, Ung megye települesviszonyni es nepessege n Zsigmond-korbnn (SiedJungsverhiiltnisse
und Bevölkerung des Komitats Ung in der Sigismund-Zeit ). In:
Sznudok 1 19 (1985), 941-1005.
12) 1427: vgl. die in Anm. 11 erwiihnte Arbeit von P. Engel, 944. 1494-1495: J.
Chr. v. Engel Bd. I. 30, 135. 1463: Ung. Stnntsarchiv, Collectio Antemohlicsinna, im
Weiteren: Dl. 70272, 70274, 70277.
13) Am meisten hat sich damit Istvon Sznbo beschiiftigt, vgl. Tanulrnnnyok 7-
30. – Jobbagyok-parnsztok 167-200, usw. S. auch: Ferenc Mnksay, A magyar falu
közepkori települesrendje (Die Siedlungsordnung des mittelalterlichen ungarischen Dorfes).
Budopest 1971, 78-88.
14) S. zuletzt: Werner Rösener, Bauern im Mittelalter. München 1985, 255-258.
15) Kubinyi, Az nlföldi megyek 287. 1474: Corpus Juris Hungarici. 1000-1526.
evi törvenyczikkek (Gesetzesortikel von 1000 bis 1526), hg. v. Gyula Nagy, Sandor
Kolosvari, Kelemen Ovari. Budopest 1899, 374.
16) 1475: Art. 2. Josephus NicololUs Kovnchich, Sylloge Decretorwn Comitialiwn
Inclyti Regni Hungariae, Tom.1 . Pesthini 1818, 222. Zusammenwohnende Familien
in einem Haus sind z.B. in der Konskription der Garni-Besitzungen angeführt: 1478.
Dl. 18145. – Durchführungsbestimmungen für die Steuereinnehmer, s. z.B. 1491 . DJ.
59802. – 1503: Archiv der Stadt Bordej6v in der Slowakei, Urkunden Nr. 3707.
17) Universitiitsbibliothek Budnpest, Hnndschriftensammlung, Litterne et epistolne
originales 235.
18) Fer􀋀nc Sznknly, Sziget mezövnros (Somogy megye) lakossngnnnk “ connwneratioja“
1551-ben. (Die Connumerntio des Marktes Sziget von 1 5 5 1 ). In: Törtenetiatntisztikni
evkönyv 1967-1968, 130.
19) DJ. 18145.
20) 1475. DJ. 66304. – 1 478. Dl. 34296. – 1482: Zala vnrmegye törtenete.
Okleveltar (Geschichte des Komitats Zain. Urkundenbuch), Bd. II. Hg. v. Imre
Nagy, Dezsö Veghely und Gyula Nagy. Budopest 1890, 619. – 1501 . Dl.58210. –
Wiihrend eines Kriegszugs flüchteten die Hörigen auch darum, weil der Grundherr
nach der Zahl seiner Hörigen Krieger aufstellen mußte: Mnrtinua Georgius Kovachich,
Formulae solennes styli. Pesthini 1799, 513.
21) Siehe z.B. 1463. Dl.15821. ·- 1482: Dl.18664 – Besondere Probleme entstanden
dann, wenn Dorfrichter abwandern wollten, sie .,.arenja mit der Einnahme der bäuerlichen
Abgaben betraut. Dennoch gingen sie oft ohne Rechnungslegung weg. Vgl. 1479
Dl.56091. – 1482. Dl.18604. – 1498: Beln lvnnyi, A.rchivwn liberae regiaeque civitatis
Eperjes, Bd. II. Szeged 1932, 302. Nr. 768, 303. Nr. 771.
22) In der Konskription der Herrschaft Gereben finden wir am Anfang des 16. Jahrhunderts
solche Bauern, die nach 3/4 oder 1/2 Hufen Abgaben leisten, obzwar sie ganze
Hufen hatten. Dl. 104657.
23) In der Konskription der Grundbesitze der Familie Garni kommt dies sehr oft
vor. 1478. 01.18145. – Ebenso z.B. in der Herrschaft Kapuvar der Familie Kanizsai
(1492. 01.39992.).
24) Vgl. Sznbo, Tnnulmanyok 25. – Ders., A mngyar mezögazdasag törtenete a
XIV. sznzadtol az 1530-os evekig (Geschichte der ungarischen Landwirtschaft vom 14.
Jahrhundert bis 1530). Budopest 1975, 4 1 .
133
25) Decreta regni Hungariae. Gesetze und Verordnungen Ungarns 1301-1457. Hg.
v. Franciscus Döry, Georgius Bonis, Vera Blicskoi. Budapest 1976, 394.
26) Vgl. Malyusz, Zsigmond kiraly 186-192.
27) Lnszlo Solymoai, A jobbagyköltözesröl 􀉈zolo hatlirozat helye a költözes gyakorlataban
(Der Beschluß über den Wegzug der Hörigen und die Praxis). In: Agrartörteneti
Szemle 14 (1972) 26-27.
28) S. oben Anm. 5.
29) Decreta regni Hungariae 136. – Vgl. noch darüber: Szekely, Tanulmonyok
208-212, 276-287, 303-314, und Szabo, Jobbogyok-parnsztok 1 23-166. Es gibt eine
Diskussion zwischen beiden Forschern, die aber unsere Ausführung nur am Rande
betrifft.
30) Solymosi, A jobbagyköltözesröl 27.
3 1 ) Vgl. Kring 404.
32) Einige Beispiele: Die “ Entführer“ der Hörigen waren Prälaten oder reiche kirchliche
Körperschaften: 1460. Dl.88355. – 1468. Dl.93391 . – 1475. Dl.66304. – 1475.
lvan Boran, A szenyeri uradalom Mohnes elötti oklevelei (Die Urkunden der Herrschaft
Szenyer vor Mohnes). In: Somogy megye multjßbol. Leveltnri Evkönyv 10 (1979) 106.
Nr. 221. – 1 5 1 6 . A Pannonhalmi Szent-Benedek rend törtenete. ( G eschichte des
Benediktinerordens von Pannonhalma). Hg. v. Loszlo Erdelyi, Bd. 111. Budapest
1905, 663. – Die Hörigen wurden von Magnaten abgeführt: 1463. Dl. 15824 – 1478.
Geza Erszegi, Fejer megyere vonatkozo oklevelek a szekesfehervori keresztea konvent
magan leveltnrliban, 1 193-1542 (Das Komilot Fejer betreffende Urkunden im Privatarchiv
der Kreuzherren von Szekesfehervlir). In: Fejer megyei Törteneti Evkönyv 5
(1971) 242. Nr. 261 . – 1482. Zala vnrmegye törtenete Bd. II. 616-621. – 1501 .
Dl.58210. – Einfache Adelige führten Hörige ab: 1476. Kovachich, Formulae 155-156.
– 1 502. Photosammlung mittelalterlicher Urkunden im Ung. Staatsarchiv (weiter:
Df.) 2605 1 7 .
3 3 ) 1 4 5 9 . Dl.90027. – 1467. lvanyi, Arch. civ. Eperjes B d . II, 1 9 1 . Nr. 4 5 5 . – 1 468.
Jozaef Teleki, Hunyadiak kora Magyarorszligon (Die Epoche der Hunyadi in Ungarn)
Bd. XI. Pest 1855, 168-159. – 1476. Kovachich, Formulae 173. – 1479. Dl.59662. –
1483. Dl.34139. – 1483. Zala varmegye törtenete Bd. II. 627-628. – 1494. Dl.83965.
– 1498. lvanyi, Arch. civ. Eperjes Bd. II. 303, Nr. 771, 773. 306., Nr. 784. – 1499.
Jenö Hnzi, Sopron szabad kirolyi vliros törteaete ( Geschichte der königlichen Freistadt
Sopron). Bd. 1/6. Sopron 1928, 185-186. – 1506. lvonyi, Arch. civ. Eperjes Bd. II.
350, Nr. 922. – Ohne Jahr. Kovachich, Formulae 474, 513-614.
34) Gusztov Wenzel, Codex diplomaticus Arpadianus continuntus, Bd. VIII. 31:
Urkunde des „rex iunior“ Stephan; gleiches kommt auch 1279 in der Urkunde eines
privaten Grundherren vor: ebenda, Bd. XII. 273.
35) 1467 untersucht das Komitnt einen Fall, in welchem zwei Leute vom Dorfrichter
und seinem Rat die Erlaubnis in die nnhe Stndt zu ziehen erhielten, der Grundherr
ihre Abwanderung aber verhinderte. lvlinyi, Arch. civ. Eperjes Bd. II. 1 9 1 , Nr. 455.
– Mehr Angaben sind erhnlten, wenn der Richter die Abwanderung – z.B. wegen der
Schulden des Hörigen – nicht zugeließ: z.B. Erszegi, Fejer megyere 247, ( 1 493) Nr.
289. – Bei der Abduktion eines Hörigen erkliirt der Dorfrichter, daß der Bauer keine
Erlaubnis zur Abwanderung hatte. Borsa, A szenyeri uradalom 105-106, (1475) Nr.
2 2 1 . – Der Stuhlrichter des Komitnts muß die Auslieferung eines geflüchteten Hörigen
vom Dorfrichter verlangen. Ebenda 149, Nr. 339 (1524).
36) Vgl. z.B. folgende Angaben bei lvonyi, Arch. civ. Eperjes Bd. II, 170, Nr.
384-385 (1455); 247, Nr. 605 (1483); 251, Nr. 618 (1485); 257, Nr. 639 (1488); 303,
Nr. 770 (1498}; 304, Nr. 775 ( 1 498); 306, Nr. 783, 786 (1498) usw.
134
37) Corpus Juris 680.
38) Zuletzt Szekely, Földesuri törekvesek 261-276.
39) In diesem Zusammenhang mußten namentlich angeführte Bauern persönlich
bürgen. 1484. Dl.82205. – 1506. Dl.56207.
40) Über die Gesetze Sigismunds s. oben, Anrn. 26.
41) S. oben, Anm. 5.
42) 1452. Decreta regni Hungnrine 374. – 1464. Ebenda, 381. – 1459. Kovnchieh,
Sylloge Bd. I. 171. – 1463. Ebendn 185. – 1474. Corpus Juris 376.
43) 1458. Ebenda 334. – 1468. Kovachich, Sylloge Bd. I. 199. – 1470. Ebenda 205.
– 1471. Corpus Juris 364. – 1486. Ebendn 438.
44) S. oben, Anrn. 32, ferner die Befehle zur Rückgabe der Geflüchteten: 1477.
Dl.66032. – 1518. Df.260187. – 1522. Df.260193. – 1525. Dl.89210. usw.
45) 1460. Dl.15429. – Der König gab auch solche Privilegien aus, daß man vom
Grundbesitz; eines bestimmten Adeligen keine Hörigtn abführen darf. 1471. Dl.90146.
Damit wurde de fncto die Freizügigkeit diestr Hörig-en eingeschränkt, da ja die legitime
Abführung verboten wurde.
46) Besonders die Städte erhielten Urkunden und interessanterweise auch nach 1514,
also nach der Aufhebung der Freizügigkeit. 1471. lvßnyi, Arch. civ. Eperjes Bd. I.
204. Nr. 489. – 1473. Hßzi Bd. l/5. 316-317. – 1498. lvßnyi, Arch. civ. Eperjes Bd.
I. 303. Nr. 773. – 1503. Ebenda, 333. Nr. 879. – 1515. Hazi, Bd. l/6. 323-324. –
1624. Ebendn, Bd. 1/7. 133-134. .
47) 1462. Dl.55729. – 1508. Dl.46860. – Ohne Jahr. Kovachieh, Formulae 193,
470-471 .
48) Antonius Fekete Nagy – Victor Kenez – Lndislaus Solymosi – Geza Erszegi,
Monurnentn rusticorurn in Hungnria rebelliwn anno MD XIV. Budopest 1979, 355,
361-362, 367, 391-396.
49) Ebenda, 367. S. auch: Lßszlo Blazovich, Sorsfordulok Dozsa felkelesenek idejen
Bekes megyeben ( Schicksalswenden während des Dozsa-Aufstnndes im Komitat Bekes ).
In: Acta Universitatis Szegediensis de Attila Jozsef nominatae. Acta Historien, Tom.
LXXV. Szeged 1983, 35-40.
50) Fekete Nagy – Kenez – Solymosi – Erszegi 260. Die Hörigen „dominis ipsorurn
terrestibus mern et perpetua rusticitate sint subiecti neque de cetero contra vohmtatem
et consensum dominorum suorurn de loco in locum recedendi et se moraturos conferendi
habeant facultatem“ . Mit der Erlaubnis ihres Grundherren durften sie also weiter
wegziehen; früher erteilten ja die Dorfrichter bzw. das Komitat die Erlaubnis.
51) 1524. Dl.97700.- Mikloo Komjßthy, A somogyi konvent li. Lajoa-kori oklevelei
az Orszßgos Leveltarban (Die Urkunden der Abtei von Somogy aus der Zeit Ludwigs
II. im Ungarischen Staatsarchiv). In: Somogy rnegye multjabol. Leveltari Evkönyv 3
(1972) 52. Nr. 66. – Sehr lebendige Zeugenaussagen hat das Komitat Csongrad 1523
aufgenommen, als die Bürger von der Stadt Szeged einen Hörigen aus Sövenyhaza (27
km weit von der Stadt Szeged) in der Nacht abführten. Die Grundherrin ließ andere
Kleinadelige in der Nacht wecken, denn der Bauer“ aalturn facit“. Geza Erszegi, Adatok
Szeged közepkori törtenetehez (Angaben zur mittelalterliehen Geschichte von Szeged).
In: Tanulmanyok Csongrad megye törteneteböl 6 (1982) 47-48. Nr. 113.
52) Ferenc Kubinyi, Jnnos kiraly orsznggyüleae az 1530-ik ev vegen (Der Budaer
Reichstag König Johnnns am Ende des Jahres 1630). In: Sznzadok 10 (1876) 581-583.
53) In den meisten oben zitierten Urkunden sind solche Ortschaften erwähnt, die
näher zueinander liegen.
54) S. Anrn. 5 1 . Einige andere Beispiele: Bodajk liegt 22 km omtfernt von der Stadt
Szekesfehervnr. Erszegi, Fejer megyere 247. Nr. 289. – Von Szenteo flüchtete jemand
135
noch dem Markt Donnttornyo; er liegt 35 km weit weg. Dl.18640.
5 5) Um 1300 entstandene Kompilation: Art. 16. Decreta regni Hungoriae 395. –
Jener Bauer war auch zollfrei, der seine neuvermählte Frau noch Hause fiihrte. Art.
36. des Gesetzes 1486, Corpus Juris 436. – Art. 86. des Gesetzes 1492, ebenda 536.
56) S. z.B. die Karte über die om Ende des Mittelalters in die Herrschaft eingewanderten
Bauern. Geza Erszegi in: Snrvar monografiaja, (Die Monogrnphie von Sarvar).
Szombathely 1978, 140.
5 7) Ebendo 145.
58) Istvan Szabo, La reportition de Ia population de Hongrie entre !es bourgades
et !es villages, dons !es onnees 1449-1526 (Studia Historien Acodemioe Seientinrum
Hungoricae 49) Budapest 1960, 13.
59) Sandor Horvath, Adatok o Perenyi csolad törtenetehez ( Angaben zur Geschichte
der Familie Perenyi). In: Törtenelmi Tar { 1908) 3 .
60) Dl.18145.
61 ) Dl.19963.
6 2) Dl.37002.
63) Vero Bacskni, Magyar mezövßrosok o XV. sznzadbon (Ungarische Märkte im 1 5 .
Jahrhundert). Budapest 1965, 108-116.
64) Andras Kubinyi, Narodnostne pomery miest centralneho uhorska v stredoveku
(Die Nationalitäten in den zentralen Städten des mittelalterlichen Ungarn). In: Historicky
Casopis 30 (1982 ) 847-856.
65 ) Andras Kubinyi, Budapest törtenete o kesöbbi közepkorbon Buda eiesteig (1541-
ig) (Geschichte von Budapest im späten Mittelalter bis zum Fall von Buda, bis 1541 ).
In: Budapest törtenete, hg. v. Laszlo Gerevich, Bd. II. Budapest 1973, 136.
66) Ebenda, und ders., Del-Dunantuli parasztok vnrosbo költözese a közepkor vegen
(Die Abwanderung der Bauern von Süd-Transdanubien in die Städte am Ende des
Mittelalters). In: Somogy megye multjabol. Leveltari Evkönyv 3 (1972) 20.
67) Ebenda, 23-25.
68) Ebenda, 25. – Ders., Handel und Entwicklung der Städte in der ungarischen
Tiefebene im Mittelalter. In: Europa slavica – Europa orientalis. Festschrift für Herbert
Ludat, hg. von Klaus-Detlev Grothusen und Klaus Zernack. Berlin 1980, 436-437.
69) S. die Karte der nach Szekesfehervar eingewanderten Bürger: Kubinyi, Deldunantuli
24. V. Karte.
70) S. z.B. unten Sopron, oder oben, Anm. 68, Szeged.
71 ) Sandor Bnlint, Az 1 5 2 2 . evi tizedlajstrom szegedi vezeteknevei (Die Szegeder
Familiennamen in der Zehentliste von 1522 ). Budapest 1963, 3 1 , 34.
72 ) Ferdinand Ulicny, K vyskumu narodnostnej struktliry stredovekych miest na
Slovensku (Zur Erforschung der Nationalitätenstruktur der mittelalterlichen Städte in
der Slowakei). In: Narodnostny vyvoj miest na Slovensku do roku 1918, hg. v. Richard
Marsina, Martin 1984, 153-162. – Andras Kubinyi, Die Anfange Ofens. In: Giessener
Abhandlungen zur Agrar- und Wirtschaftsforschung des europäischen Ostens Bd. 60.
Berlin 1972, 34-41.
73) Kubinyi, Narodnostne pomery 850-851.
74) Jcnö Szücs, Varosok es kezmüvesseg a XV. szazadi Magyarorszagon (Städte und
Handwerk im 1 5 . Jahrhundert in Ungarn). Budopest 1955, 35.
75 ) Erszegi, Sarvar 169. – Hazi Bd.II/1. 190.
76) Erszegi, Sarvar 182. – Hazi Bd. l/5. 300-301, Bd. 1/6. 167-169, 343-344,
355-356, 362, 388-389, usw.
77) Kubinyi, Die Städte Ofen und Pest 356-357.
78) Kubinyi, Budai es pesti 275-276.
136
79) Sznbo, Tnnulmonyok 22-27.
80) György Sz.;kely, Landwirtschaft und Gewerbe in der ungarischen ländlichen
Gesellschaft um 1500 (Studin Historien Acnderniae Seientinrum Hungaricae 38) Budopest
1960, 28-29.
81) Andres Kubinyi, A mezögazdnsng törtenet.;hez a Mohnes elötti Buden (Zur
Geschichte der Landwirtschaft in Budn vor der Schlacht von Mohnes). In: Agrortörteneti
Szemle 6 ( 1964) 397-398.
82) Kubinyi, D.;l-dunnntu.li 16.
83) Im Ausland geborene Handwerksgesellen in der ungarischen Hauptstadt: Kubinyi,
Budapest törtenete 1 1 6 . – Ein aus dem Dorf Pecel (22 km) stammender Kürschner
in der Stadt Pest: Kubinyi, Budni .;s pesti 229.
84) Dl. 106083. 407.
85) Evszozndokon ot. Tolnn megye törtenetenek olvnsokönyve (Quer durch die Johrhunderte.
Historisches Lesebuch des Komitats Tolnu, Bd. I). Szekszord 1978, 86.
86) Andrns Kubinyi, Einige Fragen zur Entwicklung des Städtenetzes Ungarns im
1 4 . – 1 5 . Jahrhundert , in: Die mittelalterliche Städtebildung im südöstlichen Europa,
hg. von Heinz Stoob ( Städteforschung Reihe A. Bd. 4). Köln-Wien 1977, 167-175.
87) Nogybnjom: 1466. Dl.86398. – Bnlnszentmiklos: 1498. Dl.56296. – Mezögyan:
1508. Endre Veress, Gyuln voros okleveltora ( Urkundenbuch der Stadt Gyula). Budopest
1938, 53. – Bnrkaszo: 1458. Dl.55622. – Bozsok. 1522. Dl. 104738.
88) Kubinyi, Handel und Entwicklung 443.
89) Kubinyi, Die Städte Ofen und Pest 412-419.
90) S. oben, Anm. 55.
91) Wenn die Frau Schulden hatte, mußte sie diese aber zuerst bezahlen, vgl. 1490.
Df.260502.
92) Fekete Nngy – Kenez – Solymosi – Erszegi 261.
93) Mit vielen Angaben: Kubinyi, Budni es pesti 228-288.
94) Andrns Kubinyi, Zur Frage der deutschen Siedlungen im mittleren Teil des
Königreichs Ungarn ( 1 200-1541). In: Die deutsche Ostsiedlung des Mittelalters als
Problem der europäischen Geschichte, hg. von W .. lter Schlesinger ( Vorträge und Forschungen
Bd. XVIII) Sigmaringen 1975, 527-566.
95) Vgl. Erik Fügedi, Die Entstehung des Städtewesens in Ungarn. In: Alb“ Regia.
Annnles Musei Stephani Regis 10 (1969) 109-118.
96) Kubinyi, Die Anfänge Ofens 91-99. – Ders., Soziale Stellung und Familienverbindungen
des deutschen Potriziots von Ofen in der ersten Hälfte des 1 4 . Jahrhunderts.
In: Archiv für Sippenforschung und olle verwandten Gebiete 36 (1970) 449.
97) Kring 403.
98) Andros Kubinyi, A közepkori Magyororazog közepkeleti resze varosfejlödesenek
kerdesehez (Zur Frage der Städteentwicklung im mittelöstlichen Teil Ungarns). In: Borsodi Lev.;ltori Evkönyv 5 ( 1 985) 46-55.
99) Ede Margalits, Szerb törtenelrni repertorium (Serbisches historisches Repertorium).
Bd. I. Budapest 1918, 673-674, 688.
100) Kubinyi, Die Städte Ofen und Pest 384-401.
101) Wolfgang v. Stromer, Fränkische und schwäbische Unternehmer in den Donauund
Karpatenländern im Zeitolter der Luxemburger 1347-1437. In: Jahrbuch für
fränkische Londesforschung 3 1 (1971) 355-365. Kraft : ebenda, 360. Anm. 18.
102) Andrßs Kubinyi, Die Nürnberger Holler in Ofen. In: Mitteilungen des Vereins
für Geschichte der Stadt Nürnberg 52 ( 1963-64) 80-128. – Ders., Budoi es peati 242-251.
103) Ebendn, 251-268.
137
104) Peter Csendes, Die Donaustädte von Passau bis Preßburg im 15. Jahrhundert.
In: Die Stadt am Ausgang des Mittelalters, hg. v. Wilhelm Rausch (Beiträge zur
Geschichte der Städte Mitteleuropas III). Linz/Donau 1974, 95-106. – Richard Perger,
Nürnberger im mittelalterlichen Wien. In: Mitteilungen des Vereins für Geschichte der
Stadt Nürnberg 63 (1976) 1-79.
105) Richard Perger, Neue Hypothesen zur Frühzeit des Malers Lukas Cranach
des Älteren. In: Wiener Geschichtsblätter 21 (1966) 71-73. – Andrns Kubinyi, Die
Pemfflinger in Wien und Buda. In: Jahrbuch des Vereins für Geschichte der Stadt
Wien 34 (1978) 73-75.
106) Wolfgang Kirchhofer, Erinnerungen eines Wiener Bürgermeisters 1519-1522.
Eing. u. hg v. Richnrd Perger. Wien 1984, 76. Anm. 316.
107) Andrns Kubinyi, A budai nc;rnet pntricintus tnrsndalmi helyzete csnlndi összekötteteseik
tükreben (Die soziale Lage des deutschen Patriziats von Budn im Spiegel
seiner Heiratsverbindungen). In: Leveltnri Közlemenyek 42 (1971) 257-268.
108) Kubinyi, Die Pemffiinger 67-88.
109) Christo Schaper, Wolfgang Eysen und sein Bildnis. In: Mitteilungen des Vereins
für Geschichte der Stadt Nürnberg 45 (1954) 387-396. – Andrns Kubinyi, Das
Wirtschaftsgebiet der Stadt Vnc im Mittelalter. In: Beitröge zur Handels- und Verkehrsgeschichte,
hg. von Paul W. Roth (Grnzer Forschungen zur Wirtschafts- und
Sozialgeschichte Bd. 3) Graz 1978, 39.
110) S. oben, Anm. 83.
1 1 1 ) Z.B. Quellen zur Geschichte der Stadt Wien Bd. II/4. Nr. 6297, 6328.
1 1 2 ) Hnzi Bd. I/7. Nr. 50-52. – Ebenda, Bd. II/1. 414. usw.
113) Ebendn, Bd. 11/1. 418. – Bd. II/6. 330-332. usw.
114) Ebenda, Bd. II/6. 270. Andere Verwandte lebten in Rust.
115) Ebenda, Bd. II/1. 134.
116) Ebendn, 225.
117) Ebendn, Bd. I/5. 90.
118) Zwischen 1440 und 1514 stammten 61% aller aus Ungarn kommenden und
an den Wiener und Krakauer Universitäten immntrikulierenden Studenten aus 138
Städten und Märkten. Andras Kubinyi, Städtische Bürger und Universitätsstudium in
Ungarn am Ende des Mittelalters. In: Erich Maschke und Jürgen Sydow (Hg.), Stadt
und Universität im Mittelalter und in der frühen Neuzeit (Stadt in der Geschichte Bd.
3) Sigmaringen 1977, 161-165.
119) Nach der Domherrenliste in: Pnl Lukcsics, Az esztergomi fokaptalan a mohncsi
vesz idejen (1 500-1527). Esztergom 1927, 19-30.
120) Andrns Kubinyi – Erik Fügedi, A budai knptnlnnjegyzökönyve (Das Protokoll
des Kapi􀊕􀊖ls von Buda). In: Törteneti-statisztikai Evkönyv 1967-1968 (Budapest 1970)
20-21 . – Ahnliehe Ergebnisse zeigt die Diplomarbeit meines Schülers JozsefKöblös über
die Mitglieder des Kollegiatstiftes Szekesfehervar.
121) Vgl. Kubinyi, Budepest törtenete 165-157.
122) 1496 wurden z.B. vier ausländische Priester erwähnt, die in Sopron eine Pfründe
besaßen. Je einer stammte aus Pulkau, aus Kirchschlng, aus Wnidhofen und aus Eschenbach.
Hazi Bd. 11/1. 137-139.
123) Vgl. z.B. Dezsö Szabo, A magyar orsznggyülesek törtenete II. Lajos koraban
(Geschichte der ungarischen Reichstage in der Zeit Ludwigs II). Budapest 1909.
124) Andrns Kubinyi, A közepbirtokos nemesseg Mohnes elöestejen (Der Mitteladel
am Vorabend der Schlacht von Mohnes). In: Magyarorszng tnrsndnlma a török
kiüzesenek idejen (Die ungarische Gesellschaft am Ende der Türkenzeit ). Hg. von
Ferenc Szvircsek (Discussiones Neogradienses 1) Salgotarjnn 1984, 10-11.
138
125) 1 5 1 2: Archiv des Komitats Somogy in Kaposvar, Mittelalterliche Urkunden
Nr. 5 .
126) Gyula Szekfü, Serviensek e s familiarisok (Servientes und familiares). Budapest
1912.
127) Andras Kubinyi, A Jagello-kor (Die Jagellonen- Zeit). In: Fejezetek a regebbi
magyar törtenelemböl (Kapitel aus der Ölteren ungarischen Geschichte), hg. von Ferenc
Makk. Budapest 1985, 1 1 1 .
128) Ders., Die Frage des bosnischen Königtums von Nikolaus Ujlaki. In: Studia
Slavica Academiae Seientinrum Hungaricae 4 (1958) 373-384.
129) Ders., A kaposujvliri uradalom es a Somogy megyei farnlliarisok szerepe Ujlaki
Miklos birtokpolitikaban (Der Grundbesitz von Kaposujvar und die Rolle der Familiaren
aus Somogy in der Grundherrschaftspolitik von Miklos Ujlaki) . In: Leveltori
Evkönyv. Somogy megye multjabol 4 ( 1973) 22-33.
139

MIGRATION UND AUSTAUSCH:
S tudentenwanderungen im Deutschen Reich des Späten
Mittelalters
RAINER CHRISTOPH SCHWINGES
Der folgende Beitrag versucht, die Wanderungen von Studenten beziehungsweise
– wie man umfassender sagen sollte – von Universitätsbesuchern
im deutschen Reich des späten Mittelalters, vornehmlich des 15.
Jahrhunderts, zusammenfassend zu deuten. Die Wanderungen zwischen
Herkunftsort und Universitätsort sowie die Austauschvorgänge zwischen
den Universitäten beim Hochschulwechsel werden sich dabei als zwar wandelbare,
doch vielfach regelhafte, sozialr􀂦umliche Bewegungsmuster erweisen.
Universitätsbesuch bedeutete in jener Zeit keineswegs ein Loslösen
aus den Bindungen der Herkunft . Vielmehr waren Reise und Zielort –
bei aller Unwägbarkeit der Umweltbedingungen jeder Art – in ein mitunter
weitgespanntes, aber engmaschiges Beziehungsnetz eingeflochten.
Auch die Regeln studentischer Migration entsprachen, wie die des Studiums
überhaupt, den sozialen Regeln der zeitgenössischen, traditionalen
Gesellschaft . Andersgeartete individuelle Erfahrungen, literarische Zeugnisse
zumeist, die im reisenden Studenten den ‚exul‘ unter den Bedingungen
der ‚Terra aliena‘ sahen, stehen dem nicht entgegen; im Gegenteil, sie
gehören dazu als Abweichung vom ‚Normalen‘, vom Alltäglichen.
Diese Feststellungen beruhen auf systematischen, quantitativen und
qualitativen prosopographischen Analysen der allgemeinen Matrikeln der
deutschen Hochschulen des 14. und 15. Jahrhunderts. Vierzehn Universitäten,
die man als solche akzeptierte, hat es am Ende des Mittelalters
gegeben, zwölf davon haben seit der Gründung Matrikeln geführt und
darin bis zum Jahre 1500 mehr als 200.000 Besuchernamen verzeichnet:
Wien ( 1 365/1385), Heidelberg {1386), Köln (1388), Erfurt {1392), Leipzig
{1409), Rostock { 1419), Löwen { 1 426), Greifswald ( 14.56), Freiburg ( 1460),
Basel ( 1 460), Ingolstadt ( 1472) und Tübingen (1477). Universitätsmatrikeln
zählen neben den päpstlichen Supplikenregistern und den städtischen
Neubürgerbüchern zu den bedeutendsten seriellen Quellen des Mittelalters.
Sie führen über das engere Genre der Universitätsgeschichte weit
hinaus und sind Quellen höchsten Ranges für die allgemeine Sozial- und
Demographiegeschichte. In der Matrikelanalyse lassen sich Zehntausende
von individuellen Entscheidungen zum Hochschulbesuch so zusammenfassen
und verdichten, daß ganz bestimmte Verhaltens- und Bewegungsmu-
141
ster, darunter auch die der Migration, sichtbar werden.
Für das Muster der Studentenwanderungen scheinen im wesentlichen
vier verschiedene Faktoren beziehungsweise Faktorenbündel verantwortlich
gewesen zu sein:
( 1 ) die wachsende Frequenz der Studentenzahlen im Laufe des 15. Jahrhunderts,
(2) die zyklische Struktur des Universitätsbesuchs,
(3) die räumliche Organisation universitärer Einzugsbereiche,
( 4) die soziale und sozialräumliche Herkunft der Universitätsbesucher.
Es versteht sich, daß alle vier Faktoren aufs engste miteinander zusammenhingen.
( 1) Die wachsende Frequenz der Studentenzahlen: Seit der Gründung der
ersten Universität auf Reichsboden, 1348 in Prag, wuchsen die Studentenzahlen
im Reich – ich nenne sie ‚Reichsfrequenz‘ – aufs Ganze gesehen
ständig an. Am Ende des Mittelalters hatten sich bereits eine viertel Million
‚Deutscher‘ studienhalber in Europa bewegt. Ein besonderes Gewicht
erhält die trendstarke ‚Reichsfrequenz‘ aber erst vor dem Hintergrund
der allgemeinen Bevölkerungsentwicklung. Bekanntlich sank die Bevölkerung
des Reiches infolge der wiederholten Pestwellen zwischen 1348 und
ca. 1450 stark ab, stagnierte dann und stieg erst im letzten Viertel des
15. Jahrhunderts allmählich wieder an. Universitätsbesuch und Bevölkerungsentwicklung
verliefen demnach jahrzehntelang in entgegengesetzter
Richtung. Die durchschnittliche Wachstumsrate der ‚Reichsfrequenz‘ erreichte
trotz der weitgehend depressiven Demographie beachtliche 1,75
Prozent pro Jahr (berechnet zwischen 1385 und 1505). Der Anteil der
Studentenschaft an der Bevölkerung des Reiches war also deutlich überproportioniert.
Aber ganz so stetig, wie es die Wachstumsrate nahelegt, wuchs die
Universitätsbesucherschaft nicht. Es sind vielmehr neben der ’normalen‘
Oszillation unterschiedlich starke Wachstumsschübe feststellbar. Um
nämlich die dreifache Ausgangsfrequenz zur Basis 1400 zu erreichen, bedurfte
es einer Laufzeit von 40 Jahren; um das Dreifache noch einmal
zu erreichen, waren dann jedoch weitere 70 Jahre notwendig, obwohl sich
die Zahl der deutschen Hochschulen in diesem Zeitraum nahezu verdoppelt
hatte. Seit den achtziger Jahren des 15. Jahrhunderts, schon lange
also vor dem tiefen Einschnitt der Reformation, geriet das Wachstum der
‚Reichsfrequenz‘ ins Stocken, ungefähr zur gleichen Zeit, als die Bevölkerung
langsam wieder zunahm. Inzwischen besuchten im Schnitt über 2500
Personen jährlich neu die Hochschulen des Reiches, ohne daß dieser hohe
Angebotsdruck durch eine Bedarfslenkung der (Aus-) Gebildeten an den
142
Höfen, in den Städten, in Schulen und Gerichten oder im Pfründengebäude
der deutschen Kirche aufgefangen wurde. Man kann diese Situation als
die ‚erste Überfüllungskrise‘ der deutschen U niversitäten beschreiben.
Der Frequenz des Universitätsbesuchs entsprach naturgemäß die Frequenz
der studentischen Wanderungen. Immer mehr Personen waren unterwegs;
die Aussagen der Matrikeln lassen sich leicht durch Geschichtsschreibung,
Dichtung und autobiographische Zeugnisse illustrieren und
ergänzen. Es wäre jedoch falsch, diesen Sachverhalt durch den traditionellen
Begriff des ‚fahrenden Scholarentums‘ zu kennzeichnen. Man
versteht darunter gemeinhin das Umherziehen der Studenten von Universität
zu U niversität, von Schule zu Schule oder auch von der Schule zur
Artistenfakultät einer Universität und umgekehrt, denn Zugangsnormen
jenseits moralischer Erwartungen kannte das Mittelalter nicht. Diese Art
des Fahrens war jedoch absoluten Minderheiten eigen. In der Literatur
zeugen dafür nur mehr oder weniger prominente ‚Wandervögel‘ ; die Masse
verhielt sich ganz anders.
Unter studentischer Migration ist je nach Universität zu .80 bis 90 Prozent
lediglich die Reise zwischen Herkunfts- und Hochschulort zu verstehen,
unabhängig von der Häufigkeit der Hin- und Herreisen. Das heißt,
daß nur 10 bis 20 Prozent der Studenten eine zweite Universität aufgesucht
haben, darunter gerade 2 bis 5 Prozent, die darüber hinaus an
weitere Hochschulen gewechselt haben, also wirklich ‚Fahrende‘ gewesen
sind. Schon angesichts dieser Zahlen kann die romantische Vorstellung
und das Schlagwort von den ‚fahrenden Scholaren‘ getrost beiseite gelegt
werden kann.
Von einheitlichen Wachstums- und Migrationsvorgängen, wie sie die
„Reichsfrequenz“ als eine fiktive Größe zu suggerieren scheint, kann allerdings
keine Rede sein. In der deutschen Universitätslandschaft zeichnete
sich bereits eine außerordentliche Vielfalt ab. Große Universitäten nach
mittelalterlichen Dimensionen, Universitäten also mit hoher Anziehungskraft,
siedelten in Wien, Erfurt, Leipzig, Köln und Löwen; mittelgroße
besaß man in Heidelberg und Rostock, denen sich im späten 15. Jahrhundert
noch Ingotstadt anschloß, während Greifswald, Freiburg, Basel
und Tübingen stets kleinere Hochschulen beherbergten. Entscheidend
für diese Unterschiede waren in erster Linie die Qualitäten der Universitätsstädte
als Städte sowie der Rang des Raumes, in dem sie zentralörtliche
Funktionen besaßen. Die großen Hochschulen lagen allesamt in mittelalterlichen
Großstädten. Alle galten sie als bedeutende Handels- und
Gewerbestädte, Markt- oder Messeplätze, eingebettet in ein dichtes wirtschaftsgeographisches
Verkehrsnetz, günstig gelegen und günstig zu errei-
143
chen in Räumen, in denen zudem Landesausbau und Urbanisierung relativ
weit fortgeschritten waren. Hinzu kommt, daß sie Herrschaftsräumen
angehörten oder von ihnen umgeben waren, die im Prozeß der Territorialisierung
des Reiches seit dem 14. Jahrhundert besonderen Erfolg in der
Optimierung von Herrschaft hatten. In jeweils abgestufter Weise gelten
alle diese Argumente auch für die mittleren und kleineren Hochschulorte.
Diese Größenordnung war jedoch kein starres Gefüge. In keiner U niversität
gab es einen kontinuierlichen und reibungslosen Anstieg der Besucherzahlen.
Wachstums-, Stagnations- oder auch Rezessionsphasen wechselten
einander ab; infolgedessen änderten sich öfters auch die absoluten
Größenpositionen. Dabei glichen die Wachstumsvorgänge von Niveau zu
Niveau einer wiederholten Wellenbewegung, die die Universitätslandschaft
des Reiches in einer relativ langen Zeitspanne mit örtlich unterschiedlicher
Wirkung überflutete. Die Wellen nahmen ihren Ausgang stets zunächst
im Süden des Reiches (Wien) und endeten nach einer ‚Laufzeit‘ von 10
bis 1 5 Jahren, aus dem mittel- und norddeutschen Raum (Erfurt, Leipzig,
Rostock) abschwenkend, im Westen (Köln, Löwen). Nach 1450 änderte
sich die Bewegungsrichtung fast völlig ins Gegenteil. Das Schwergewicht
des Universitätsbesuchs, eine verstärkte und raschere Zuwanderung, hatte
sich nach Westen verlagert, in jenen Raum hinein, der ökonomisch und
demographisch ohnehin in dieser Zeit zu den führenden Regionen des Reiches
zählte. Die neuen, nach der Jahrhundertmitte gegründeten Universitäten
(Greifswald, Freiburg, Basel, Ingolstadt und Tübingen) konnten
sich allesamt in dieses System des Wachstums nicht oder nur sehr mäßig
einführen. Es blieb bis zur Reformation im Prinzip eine Angelegenheit
der großen, alten Hochschulen des 14. und frühen 15. Jahrhunderts, mit
Löwen und Köln an der Spitze.
(2) Die zylclüche Struktur des Universitätsbesuchs: Man kann im Auf
und Ab der Studentenzahlen des 15. Jahrhunderts und damit auch im
Strom der studentischen Migration der Zeit eine prozeßhafte Bewegung
erkennen. Dabei läßt sich nachweisen (mit Hilfe der sogenannten Spektralanalyse
von Zeitreihen), daß die zum Beispiel in der ‚Reichsfrequenz‘
konzentrierte Entscheidung von über 200.000 Personen, eine Hohe Schule
aufzusuchen, in zyklischen Bahnen verlief. Den dominierenden Zyklen
entsprachen im Laufe des 15. Jahrhunderts Perioden von 13,3 bis zu 2,2
Jahren durchschnittlicher Länge. Wir haben es hier mit einer zyklischen
Prozeßstruktur zu tun, in der sich längere und kürzere Zyklen überlagern.
Innerhalb des Prozesses hat es demnach auch konjunkturbedingte
Schwankungen gegeben, und diese sind für das Erscheinungsbild der Studentenwanderungen
ebenso konstitutiv gewesen wie das Wachstum der
144
Studentenzahlen.
Man wird indessen nicht annehmen können, daß sich das zyklische
Bild über das ganze 1 5 . Jahrhundert hinweg auf einen einzigen Prozeß
zurückführen ließe; vielmehr dürften sich die Bedingungen dafür im Laufe
der Zeit erheblich verändert haben. Legt man zum Beispiel einen Schnittpunkt
in die J ahrhundertmitte, dann entstehen Teilprozesse, die in der
Tat ein so auffallend unterschiedliches zyklisches Bild bieten, daß man
auf gravierende strukturelle Verschiebungen von einem Zeitabschnitt zum
anderen schließen muß. Von einem einzigen Entwicklungsprozeß kann also
keine Rede sein, was strenggenommen natürlich auch für die Teilprozesse
vor und nach 1450 gilt, die ebenfalls noch en.tzerrt werden müssen.
Als Ergebnis ist dann festzuhalten, daß sich der zyklische Prozeß der
‚Reichsfrequenz‘, d.h. also des gesamten Hochschulbesuchs im Reich,
während des Untersuchungszeitraums wahrscheinlich viermal geändert hat.
Strukturverschiebungen im Wechsel von Aufschwung und Stockung kennzeichnen
die folgenden Zeitabschnitte: Die erste Phase erstreckt sich vom
ausgehenden 14. Jahrhundert (Stichjahr 1385) bis ca. 1430; man kann
ihr Zykluslängen von 6 bis 1 1 Jahren, in Begleitung allerdings von kurzen
2,9-Jahresschwankungen, zuordnen. In der zweiten Phase von ca. 1430
bis 1450 werden diese kurzen, heftigen Schwankungen von knapp 3 Jahren
dominant, und der Prozeß damit krisenhart verzögert. Nach der Jahrhundertmitte
zeichnet sich dann die dritte Phase zwischen 1450 und ca. 1480
ab, die eigentliche ‚Take-off-Phase‘ des spätmittelalterlichen Hochschulzugangs,
mit ausgesprochen immatrikulationsintensiven Jahrgängen. Ihr
sind mit großer Wahrscheinlichkeit Zyklen von 7,2 Jahren durchschnittlicher
Dauer in exklusiver und ziemlich regelmäßiger Folge zuzuschreiben.
Wiederum völlig anders verläuft die vierte Phase von ca. 1480 bis
ins beginnende 16. Jahrhundert (Stichjahr 1505). Der Universitätsbesuch
scheint mehr noch als in den dreißiger und vierziger Jahren ‚aus
dem Rhythmus‘ gekommen zu sein. Durch das bekannte kurzfristige,
relativ heftige Schwanken wird eine Krise beziehungsweise eine weitere
Stockungsphase deutlich signalisiert.
Mit alledem erweist sich die Prozeßstruktur der ‚Reichsfrequenz‘ im
Zeitverlauf als eine Veränderliche, und zwar so, daß man die verschiedenen
zyklischen Verlaufsmuster und die markanten Wendepunkte um
1430, 1450 und 1480 sogar als Periodisierungskriterien beanspruchen darf
– unbeschadet einer gewissen Toleranzbreite, die den Frequenzen der einzelnen
Universitäten zuzugestehen ist; denn keine Universität – so kann
man sagen – hatte zur gleichen Zeit Konjunktur. Trotz der zyklischen
Variationen läßt sich aber ein gewisses Grundmuster erkennen: Zyklen
145
von ca. 7 bis 1 1 Jahren entsprechen der Juglar-Länge, die kurzen, rund 2-
bis Sjährigen Schwankungen genügen dem Typ der Kitchinzyklen; beide
sind vor allem im agrarischen und demographischen Sektor immer wieder
zu finden.
Mit Hilfe der jeweils dominanten Zykluslängen kann man sogar eine
‚konjunkturzyklische Hierarchie‘ der Zuwanderungen zu den einzelnen Universitäten
erstellen und dann für die zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts
drei Gruppierungen im Reich unterscheiden:
I I I III
J uglars (7- 1 1 J . ) Kitchins 1 (3-5 J . ) Kitchins.2J2-3 J . )
Löwe-n–‚— –…“Wie;——-E:d􀚴rt . 1􀚳m·–
Köln Freiburg Leipzig
Heidelberg Rostock Ingotstadt
Basel Greifswald
(Tübingen)
Diese Gruppierungen offenbaren eine ziemlich einhellige und zudem plausible
strukturelle Hierarchie. J uglarzyklen, die ein weniger hektisches
Auf und Ab indizieren, konzentrieren sich auf Stationen, die mit Ausnahme
Tübingens dem großen rheinischen Rekrutierungsraum, entlang
also der Hauptverkehrsader des Reiches angehören. Hier lag ja auch das
Schwergewicht des Wachstums der Studentenzahlen. Bemerkenswert ist in
Gruppe I vielleicht nicht so sehr das ‚Anhängsel‘ Tübingen (Zykluslänge
6,7 Jahre), als vielmehr die Tatsache, daß Freiburg sich im Gegensatz
zu Basel nicht in die Reihe der ‚rheinischen Stationen‘ eingegliedert hat.
Freiburg bildet in Gruppe II zusammen mit Wien eine strukturelle Einheit,
so wie im Nordosten des Reiches Rostock und Greifswald. Trotz der
geographischen Nähe unterschieden sich die Wanderungen nach Freiburg
und Basel in jeder Hinsicht – in der Quantität, im Trend und in den zyklischen
Strukturen. So muß man wohl vermuten, daß die den Prozeß
des Zugangs steuernden Faktoren in Freiburg – unabhängig von den unterschiedlichen
Dimensionen – die gleichen gewesen sind wie in Wien.
Möglicherweise haben politisch-administrative wie auch sozial-ökonomische
Relationen innerhalb der habsburgischen Herrschaftsklammer diesen
Gleichlauf verursacht.
In Gruppe 111 sind solche politischen und wirtschaftlichen Relationen
auch auf die strukturelle Einheit des Universitätsbesuchs in Erfurt und
Leipzig zu beziehen. Die bayerische Hochschule zu Ingotstadt scheint dagegen
universitätslandschaftlich isoliert gewesen zu sein, obgleich die drei
146
Hohen Schulen, zu einem Dreieck zusammengefügt, ein Kerngebiet gleichsam
in der Mitte des Reiches erfassen und zudem einander durch das
gemeinsame Muster sehr kurzer und sehr intensiver zyklischer Prozesse
verbunden sind, die sonst nirgends im Reich die Zuwanderungen geprägt
haben.
So zeigt sich, daß der Universitätsbesuch im Reich im Überblick der
zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts nicht nur phasen- und raumverschoben,
sondern von West nach Ost auch konjunkturell unterschiedlich
akzentuiert gewesen ist. Das alles heißt letzten Endes, daß die Gründe für
die hier aufgezeigte spezifische Mobilität der Studenten mit den inneren
Verhältnissen der einzelnen Hochschulen nichts zu tun haben können, sie
vielmehr außerhalb gesucht werden müssen. Gemeint sind dabei nicht in
erster Linie die äußerlich auffälligen Ereignisse wie Kriege, Aufstände und
Epidemien; hinter dem zyklischen Verlauf des Hochschulzugangs standen
vermutlich ausschlaggebend die Agrarpreiszyklen und damit der gesamte
Faktorenkomplex von elementaren klimatischen Bedingungen bis zu
politisch-administrativen Maßnahmen, der für Markt und Preisbildung in
der agrarwirtschaftlich bestimmten Gesellschaft des späten Mittelalters
verantwortlich ist. Unter Einfluß regionaler und überregionaler Komponenten
korrelierten Hochschulbesuch und hochschulörtliche Marktsituation
– in der Regel ill gegenläufiger Konjunktur. Den Aufschwungphasen
der Frequenzen standen Niedrigpreisphasen, und den Stockungsphasen
der Frequenzen standen Hochpreisphasen gegenüber. Getreidepreise
entschieden je nach guter oder schlechter Ernte über die Bereitschaft
zum Universitätsbesuch oder sogar über den Status der Besucher. Hochpreisphasen
drückten die Frequenzen und/oder ließen zugleich die Zahl
der armen Studenten über Gebühr anschnellen. Die vorreformatorische
‚Überfüllungskrise‘, die sich seit den achtziger Jahren in einer Stockungsspanne
der ‚Reichsfrequenz‘ und zugleich in einer Hausse der Getreidepreise
angezeigt hatte, gewinnt damit auch einen scharfen sozialen Akzent.
Daß aber der Zugang zu den Hochschulen von elementaren Ereignissen
wie den Erntezyklen vermutlich sogar wesentlich gesteuert worden
ist, mag vielleicht als Ergebnis gerade im Zusammenhang mit Stätten
der Bildung nicht sehr befriedigen. Man muß sich aber klar machen, daß
auch die ‚geistigen Dinge‘ zunächst einmal dem Verkehrsweg folgen (Franz
Eulenburg).
(3) Die räumliche Organisation universitärer Einzugsbereiche: Bei der bisher
betrachteten Konstellation der Hochschulzuwanderung wirkten noch
zwei weitere Faktoren mehr oder weniger beschleunigend oder verzögernd
mit: zum einen die jeweilige regionale Existenz der Hochschule und die
147
weitere räumliche Organisation ihres Einzugsbereichs, Größen, die selbst
wiederum einen Komplex von örtlichen Wirkungsfaktoren beinhalteten;
so riefen z.B. örtlich unterschiedliche Preisreihen auch unterschiedliche
Immatrikulationsreihen hervor, von extremen Schwankungen (Wien, lngolstadt)
bis zu jahrzehntelanger Stagnation (Rostock, Greifswald); zum
anderen das soziale Gefüge der Universitätsbesucherscharten sowie ihre
Verflechtung in den Hochschulen, was Konjunkturanfälligkeit keineswegs
ausschloß. Zunächst aber zum räumlichen Faktor.
Die Dimensionen des Einzugsbereiches und der räumlichen Organisation
waren wesentlich durch das geprägt, was ich die regionale Existenz
einer universitären Personengemeinschaft nennen möchte. Dabei folgte
die Regionalität der Hochschule größtenteils der Regionalität der Stadt.
So wie diese als zentraler Ort das soziale, wirtschaftliche und kulturelle Leben
einer Region koordinierte, so beanspruchte auch die Universität eine
Kernlandschaft, in der sie nach der Gründung sozial verwurzeln und dadurch
auf Dauer überleben konnte. Erfolgreiche Universitäten verfügten
in diesem Sinne über eine breite und sichere regionale Basis, dehnten
diese über einen längeren Zeitraum erst allmählich aus und reagierten dabei
fortwährend auf ein sich wandelndes Beziehungsnetz, das Universität
und Universitätsstadt mit der näheren und ferneren Umwelt verknüpfte.
Man hat diese Grundstruktur der universitären Regionalität gelegentlich
als Enge mißverstanden, was doch Nähe heißen müßte und mit Provinzialität
im pejorativen Sinne nichts, mit der Funktionalität des umgebenden
Raumes aber sehr viel zu tun hat. Alles, was über diese Grundkonstellation
hinausging, war etwas Besonderes und bedarf gesonderter Erklärung.
Es hatte einen ‚Satellitencharakter‘, der sich stets als sehr viel veränderlicher
erwies als die Kernlandschaft.
Zur Illustration sei das Beispiel der Kölner Universität, der expansivsten
Universität des ausgehenden Mitlelalters, verwendet. Kölns Kern bestand
aus den drei Diözesen Köln, Utrecht und Lüttich, mit dem Schwergewicht
auf den bedeutenden niederrheinisch-westfälischen, maas- und holländischen
Territorien innerhalb dieser Einheiten. Schon die ersten Jahrgänge
– ich nenne sie ‚Eröffnungsklientel‘ , um anzuzeigen, daß sie nicht ganz
zufällig zusammengesetzt sind – bauten ihn systematisch aus, so daß die
Region, die sich im wesentlichen schon mit dem Ein- und Ausstrahlungsgebiet
der großen Handels- und Hansestadt deckte, die Universität sogleich
annahm. Für die Folgezeit kann man drei Entwicklungsphasen unterscheiden:
Erstens eine Frühphase bis 1425/35, die ganz der Sicherung der regionalen
Existenz und dem Aufbau emes dichten Beziehungsnetzes diente.
148
Zweitens eine Ausbau- und Konsolidierungsphase bis 1475/85, in der sich
der Einzugsbereich von der stabilen Region ausgehend nunmehr nach allen
Seiten ins Reich hinein ausdehnte. Dieser im wesentlichen von einzelnen
Zuwanderern gespannten Weite entsprach aber noch keine angemessene
Frequenz. Das änderte sich erst in der dritten Phase, der ‚Überregionalisierungsphase‘
in den beiden letzten Jahrzehnten des 15. Jahrhunderts,
in denen zum ersten Mal die Rekrutierung aus dem Kernraum von einer
überregionalen Migration übertroffen wurde. Bemerkenswerterweise
stimmten diese drei Ausdehnungsetappen in ihrer Chronologie mit den
Trendverlagerungen und konjunkturellen Verschiebungen der Kölner Frequenz
überein. Damit wird klar, daß Wachstum und Prozeßstrukturen
des Besucherstromes auch von verschiedenen ‚frequenzräumlichen‘ Entwicklungen
abhängen.
Über die Darstellung der Phasenentwicklung und der Gestaltung eines
Einzugsbereichs hinaus kann man auch den lokalen Hintergrund eines
jeden U niversitätsbesuchers wie in einem raum- und ortstypisch qualifizierten
Relief erfassen. Alle Faktoren, von der bloßen Beschaffenheit
eines Ortes als Stadt, Markt, Dorf, Kloster- und Burgbezirk über Einwohnerzahlen,
Wirtschafts- und Verkehrsverhältnisse bis zum komplizierteren
Charakter der Herrschafts- und Besitzverhältnisse, einschließlich der
Frage nach Stabilität und Kontinuität von Herrschaft am Ort, signalisierten
ihren Einfluß auf den Zugang zur Universität. Für den vorliegenden
Beitrag zwingt allerdings die Fülle der Beobachtungen zur Auswahl.
Universitätsbesuch war im wesentlichen eine städtische Angelegenheit.
Am Ende des 15. Jahrhunderts stellte bereits jede zweite Stadt des Reiches
(wenn man von 4.000 Städten und Märkten reichsweit einschließlich
der Niederlande ausgeht) Studenten an einer oder mehreren U niversitäten
von Wien bis Tübingen. Demnach wurde das Wachstum der Studentenzahlen
von einem ständigen, in erster Linie städtischen Verdichtungsprozeß
der reichsweiten Herkunftslandschaft begleitet. Der Vorgang sei
als ‚akademische Vernetzung‘ zwar nicht der deutschen Bevölkerung, wohl
aber der Städtelandschaft bezeichnet.
Demgegenüber sollte man den dörflich-ländlichen Anteil am Hochschulbesuch
aber nicht unterschätzen. 35.000 Dörfler von 200.000 U niversitätsbesuchern
waren kein ‚ganz verschwindendes Kontingent‘ (Franz Eulenburg).
Zwar hat man im Universitätssystem naturgemäß mit starken
regionalen Beteiligungsschwankungen der Dörfler zu rechnen, doch gab
es ähnlich dem städtischen, wenngleich viel grobmaschiger, auch einen
dörflich-ländlichen Konzentrationsprozeß, vor allem in den Kernräumen
der Universitäten, im Falle Kölns schwerpunktmäßig sogar in den bedeu-
149
tenderen linksrheinischen Territorien.
Als typischer Herkunftsort im Kölner Einzugsbereich hat sich im Laufe
des 15. Jahrhunderts die kleine bis mittlere Stadt herauskristallisiert, in
erster Linie sogar die Kleinstadt mit bis zu 2.000, dann erst die mittlere
Stadt mit bis zu 5.000 Einwohnern. Bemerkenswert ist, daß dieser Typ
ein ‚Prozeßtyp‘ war. Vor allem die Besucher kleinstädtischer Herkunft
gaben in Köln am Ende des Jahrhunderts den Ton an, nachdem sie sich
gegenüber den schon in der Frühphase der Universität dominanten und
kondominanten Großstädtern durchgesetzt hatten. Mit dem Durchbruch
der Kleinstadt, der im übrigen nicht auf Köln allein beschränkt blieb, verband
sich auch eine Verschiebung des wirtschaftlichen Hintergrundes von
großstädtischem Handel und Gewerbe zu kleinstädtischen, überwiegend
landwirtschaftlich geprägten Formen auch in Handel und Gewerbe. Die
räumliche Herkunft der Studenten war damit insgesamt ‚ländlicher‘ geworden;
einschließlich der Dörfler kann man mehr als die Hälfte von ihnen
in dieser Weise bezeichnen. Zusammen mit den mittleren Handels- und
Gewerbestädten waren diese landwirtschaftlich orientierten Kleinstädte
seit ca. 1450 die ‚tragenden Säulen‘ des Einzugsbereichs, insbesondere
aber des Kernraums. Typisch für sie beide und offenbar migrationsanregend
war außerdem noch, daß sie der Stadtentstehungsschicht des
13. Jahrhunderts angehörten, mehrheitlich schon als Verwaltungsmittelpunkte
geistlicher oder weltlicher Landesherren fungierten, deren Herrschaft
das 15. Jahrhundert kontinuierlich überdeckte, und daß sie über
ein älteres, vor 1400 eingerichtetes, geistliches oder städtisch-bürgerliches
‚Schulwesen‘ verfügten.
( 4) Die soziale und sozialräumliche Herkunft der Universitätsbesucher:
Räumliche Herkunft war immer auch sozialräumliche Herkunft, was sich
im Kernbereich und in der Nähe einer Universität besonders manifestierte.
Zur grundsätzlichen Differenzierung der Universitätsbesucherschaft in solche
Studenten, die schon ‚jemand waren‘, und solche, die ’nichts oder noch
nichts waren‘, gesellen sich damit zwei weitere Unterscheidungsmerkmale
von weitreichender sozialer Bedeutung: Die einen standen der Universität
nahe, die anderen ihr fern. Das soziale Gefüge der Besucherschaft wurde
dadurch in besonderer Weise pointiert, daß diejenigen, die schon Würden
und Positionen innehatten in großer Mehrheit auch jene waren, die der
Universität im sozialräumlichen Sinne nahestanden. Die gesellschaftliche
Umwelt fand ihr Spiegelbild in der Universität wieder. Vorrechte,
die aus den Qualitäten der Abkunft, des hohen Ansehens in Kirche und
Gesellschaft, der Wohlhabenheit und Zahlungskräftigkeit in den Hochschulen
resultierten, und Vorteile, die einfach aus der Nähe erwuchsen,
150
gingen eine fruchtbare Symbiose ein. Dies war die soziale Wirklichkeit
der mittelalterlichen Universität; von einer egalitären und harmonischen
akademischen Gemeinschaft (z.B. Herbert Grundmann) – einer Insel im
Meer der U ngleichheiten – kann gar keine Rede sein. Vielmehr trug jeder
einzelne Besucher seinen persönlichen und familiären Rang in die universitäre
Gemeinschaft hinein und suchte ihn dort zu behaupten, darzustellen
oder im Rahmen des sozial Zulässigen zu erweitern – unter selbstverständlicher
Nutzung von Vorrechten und Patronage. Nahtlos war die
Universität in die traditionalen Sozialformen von Verwandtschafts- und
Klientelsystemen einbezogen. Man kann einfach sagen, die Universitäten
funktionierten als ’societal communities‘.
Universitäten setzten· sich aus verschiedenen Gruppen, Teileinheiten
und Schichten zusammen, deren Größenordnung, Herkommen, Einfluß,
soziales Gewicht und Verhalten im Verlauf des 15. Jahrhunderts sehr
uneinheitlich waren. Die Vielzahl der Beobachtungen kann auch hier
nicht mit wenigen Worten auf einen Nenner gebracht werden. Klar zeigt
sich jedoch, wie stark das soziale Gefüge der U niversität in, seiner ganzen
Verästelung für das Erscheinungsbild der Frequenz mitverantwortlich gewesen
ist. Schicht- und gruppenspezifische Reaktionen auf die Einflußfülle
aus ‚Herkunftswelt‘ und Hochschulort bildeten Komponenten von Wachstum
und Konjunkturen.
Abgesehen vom hohen Adel, dessen Herkommen – nehmen wir wieder
das Kölner Beispiel – sich stets eher mit dem Einzugsbereich des Domstifts
als dem der Universität deckte, stammten alle übrigen Studierenden, die
schon in Amt und Würden waren – Stiftsherren, Pfarrer, Presbyter, Notare
oder Schullehrer – in weit überwiegender Mehrheit aus dem Kern- oder
Naheraum der Kölner Hohen Schule. Dies gilt in höchstem Maße auch
für die ‚besondere Klientel‘ der Protegierten. Ein dichtes sozialräumliches
Netz aus ‚familiae‘, Tischgenossenschaften und Patronageverbänden, die
aufVerwandtschaft, Freundschaft und Landsmannschaft beruhten, umgab
die Universität und zeigte damit, was es eigentlich hieß, eine Hochschule
nach sozialen Regeln zu besuchen und nach solchen Regeln auch zu studieren.
Dabei war diese exklusive Gruppe nur die Spitze des sprichwörtlichen
Eisberges; die familiale Struktur durchzog größtenteils die gesamte
Universitätsbesucherschaft. Geläufig war die ‚Magisterfamilia‘, die sich
nicht nach abstrakt-wissenschaftlichen, sondern i n der Regel nach ‚kompatriotischen‘
Motiven aufbaute. Wie selbstverständlich dies war, zeigt
sich auch daran, daß die mittelalterliche Universität nie anders als durch
diesen Personenverband bildlich dargestellt worden ist, durch den Magister
im Kreise seiner Schüler. Die Darstellung etwa des Hauptgebäudes
151
als Symbol der Universität wäre dem personengemeinschaftlichen Denken
und Handeln der Zeit fremd gewesen.
Nicht ganz so stark, doch immer noch auffallend, hatte auch die breite
Mittelschicht ihren Schwerpunkt im Kernraum der Universität und trug
so als zahlungskräftigste Schicht erheblich zur sozialen und wirtschaftlichen
Sicherung der regionalen Existenz bei. Diese Großgruppe der ‚divites‘,
die man nach den Quellen eigentlich nur negativ, von dem her,
was sie nicht ist, von ihren Rändern her beschreiben kann, war in sich
äußerst inhomogen. Zweifellos bestand kaum ein Unterschied zur Schichtung
in den Herkunftsorten – nur in der Universität komplexer dargestellt
-, da jeder Besucher seinen Rang in die Hochschule hineintrug. Die jeweils
stadttypischen Berufe, gekoppelt zumeist mit den durchschnittlich
höheren Einkommen, dürften dabei stets die größere Universitätsnähe gehabt
haben. Die ‚divites‘ waren Repräsentanten fast aller kollektiven Eigenschaften
der Besucher, auch der in den beiden letzten Jahrzehnten des
15. Jahrhunderts so fulminanten ‚überregionalen‘ Herkunft. Dabei ergab
sich eine bemerkenswerte Tendenz: Kölns breite, reiche Mittelschicht
stammte eher aus dem Norden als aus dem Süden des Einzugsbereichs.
Man kann sogar sagen, dem reicheren Norden, was einer ‚hansischen Eigenschaft‘
gleichkommt, stand ein ärmerer Süden gegenüber. Und was die
Fakultäten betrifft, die sich nicht nur fachlich, sondern auch sozial aufs
schärfste unterschieden – vornehme Juristen auf der einen, gewöhnliche
Artisten-Theologen-Mediziner auf der anderen Seite -, so bildete sich fast
exklusiv ein ‚J uristenraum‘ im hansischen Norden, während die übrigen
reichsweit rekrutierten.
Mittellos, oft namenlos und vor allem beziehungslos standen die armen
Studenten als Problemgruppe am Rande der universitären ’societal
community‘, in jeder Hinsicht benachteiligt, zum großen Teil sozial und
räumlich von den übrigen Universitätsbesuchern und sogar untereinander
distanziert. Ein soziales Engagement zu ihren Gunsten besaß die mittelalterliche
Universität nicht; im Gegenteil: Der Weg durch die Universität
war für ‚pauperes‘ beschwerlicher als für andere. Dennoch besuchten Arme
die Hochschulen in einer konjunkturabhängigen Größenordnung ( 15-20% ),
die man, wieder einmal spiegelbildlich zur gesellschaftlichen Umwelt, in
den allgemeinen Pauperismus des Spätmittelalters einordnen kann. Engagiert
waren die Armen am ehesten selbst. Weniger als andere Gruppen
ließen sie sich beim Universitätsbesuch durch äußere Einflüsse (Kriege,
Pestwellen) stören – mit Ausnahme natürlich von Teuerungen. ‚Pauperes‘
bevorzugten die großen und vor allem billigen Universitäten mit geringerem
Sozialprestige in den bequem erreichbaren Großstädten des Reiches
152
(Wien, Leipzig, Köln), was nur bedeutete, daß sie in das sozialräumlich
definierte Beziehungsnetz in der Regel nicht eingespannt waren, den
Hochschulen also ferne standen. Kölns südlicher Einzugsraum war in der
Tat der ‚ärmere Raum‘, so daß der frequentielle Erfolg der Überregionalisierung,
auch was den Durchbruch der ländlich orientierten Kleinstadt
betrifft, eine sozial gesehen durchaus zweischneidige Angelegenheit war.
Die Konzentration von Armen gerade in Köln, aber auch in anderen Universitäten
des Nordens, und die gleichzeitige Entlastung des Südens sowie
der Rückzug des Adels aus dem Norden dürften einander bedingt haben.
Der weltliche und geistliche, niedere und hohe Adel mied nämlich Köln
seit der Jahrhundertmitte immer mehr zugunsten der süddeutschen oder
der französischen und italienischen ‚-Adelsuniversitäten‘, wo das soziale
Klima angemessener erschien als in städtisch-bürgerlicher Umgebung –
ein Schicksal, das Köln jedoch mit sämtlichen Universitäten des nördlichen
Reiches von Löwen über Leipzig bis Greifswald teilte. Ebenso wie der
Adel verließen auch die nichtadeligen geistlichen Würdenträger trotz der
expansiven Entwicklung der allgemeinen Frequenz seit der. Jahrhundertmitte
zunehmend die Universität. Es war dies ein reichsweiter Vorgang,
der als ‚Entklerikalisierung‘ auf allen Ebenen (mit Ausnahme der Ordensstudenten),
wenn auch nicht im gleichen Atemzug als ‚Verweltlichung‘ zu
verstehen ist. Lange noch blieben die alten kirchlichen Organisations-,
Belohnungs- und Lebensformen über die Reformation hinaus in der Universitätsbesucherschart
des Reiches intakt.
Das alte Schlagwort vom ‚fahrenden Scholaren‘ traf, wie schon angedeutet,
auf die deutschen Universitätsbesucher des späten Mittelalters
nicht zu. Der Hochschulwechsel spielte kaum eine Rolle. Folglich kam
es in der deutschen Universitätslandschaft auch nicht zu nennenswerten
Austauschvorgängen zwischen den Universitäten. Große Hochschulen
wie Köln drängten sich zwar in ‚fremde‘ Einzugsbereiche hinein, ohne
jedoch ihr überregionales Ausgreifen auf Kosten der anderen Hochschulen
zu erzielen. Die Mobilisierung von universitären Regionen und die
Mobilität von Universitätsbesuchern waren, was die Zielorte betrifft, keineswegs
identische Vorgänge. Alte Fernbindungen und allgemeine soziale
und wirtschaftliche Verhältnisse zeigten sich bei Gelegenheit wirksamer
als die Anziehungskraft der nächstgelegenen Universität, was z.B. die
schottischen, dänischen oder preußischen Studenten in Köln oder Löwen
zur Genüge · bewiesen, oder auch die armen Studenten, die z.B. aus dem
fränkischen Kernraum der Erfurter Universität kommend an dieser teuren
Hohen Schule vorbeizogen und sich lieber in Leipzig immatrikulierten,
das dafür aber bei Standesleuten als Bildungsstätte ‚armer Leute
153
Kind‘ verschrien war. Universitäten eroberten sich ihren Raum, indem sie
‚Bildungsreserven‘ ausschöpften. So führte die Gründung Löwens ( 1 426)
keineswegs zum Niedergang Kölns, nicht einmal zu einem kurzfristigen;
beide standen im ausgehenden Mittelalter nach der Frequenzgröße vielmehr
an der Spitze aller deutschen Universitäten. Der bedeutende rheinische
Großraum konnte sich eben zwei Universitäten leisten.
Hochschulwechsel waren keine Massenerscheinung; in erster Linie waren
sie ein sozialer Akt, der an der gesellschaftlichen Stufenleiter gemessen
werden muß. Mobilität und Reisen über eine Universität hinaus kann als
Herrenverhalten interpretiert werden. Der Adel und die hohen geistlichen
Würdenträger wechselten am häufigsten, die ‚pauperes‘ am geringsten.
Wer durch das Medium der Universität etwas werden wollte, tat ohnehin
gut daran, am Ort oder in der Nähe zu bleiben und sozial zu verwurzeln.
Bei allen Wechslern jedoch – mit Ausnahme der Armen – blieb das Netz
der sozialräumlichen Beziehungen, in dem zumeist die Ausgangsuniversität
das Zentrum bildete, weitgehend erhalten; mit anderen Worten, die
Wahl des neuen Hochschulortes war keineswegs zufällig. Man bewegte
sich, z . B . von Köln aus gesehen, weiterhin im rheinischen Raum und zog
in der Regel nach Heidelberg oder Löwen. Personen vornehmeren Standes
aus Adel und städtischem Honoratiorenturn bevorzugten dagegen einerseits
den Weg nach Basel und von dort aus weiter ins Ausland, nach
Orleans oder Bologna, Siena und Perrara oder andererseits die Wege nach
Erfurt oder Rostock. Hinter beiden Richtungen standen sowohl juristische
als wohl auch stadtbürgerlich-geschäftliche Interessen. Arme Studenten
bewegten sich dagegen lediglich auf der Linie Löwen, Köln und Leipzig.
Man sieht nun, daß im Zusammenwirken der vier genannten Faktorenbündel
von den elementaren (agrar-)ökonomischen Bedingungen bis
ins sozialräumliche Gefüge einer Gesellschaft, die man von ihren Werten
her als traditional versteht, die studentische Migration im Mittelalter
kein regelloses oder gar ungezügeltes Unterwegssein, sondern in der großen
Mehrheit ein durchaus regelhaftes Bewegungsmuster gewesen ist. Erst vor
diesem Hintergrund werden die Abweichungen an beiden Polen der Gesellschaft,
was Adel und Armut betrifft, in ihrer Verhältnismäßigkeit deutlich
sichtbar.
ANMERKUNG
Diesem Beitrag liegen ‚migrntionsrelevnnte‘ Ergebnisse verschiedener Arbeiten des
Verfassers zugrunde. Ausführliche Belege finden sich in der Gießener Habilitationsschrift
des Verfassers: ‚Deutsche Universitätsbesucher im 14. und 1 5 . Jahrhundert.
Studien zur Sozialgeschichte des Alten Reiches‘ (Veröffentlichungen des Instituts für
154
Europäische Geschichte Mainz 123, Beiträge zur Sozial- und Verfassungsgeschichte des
Alten Reiches 6), Stuttgart 1986, sowie in seinen folgenden Studien: ‚Pnuperes an
deutschen Universitäten des 1 5. Jahrhunderts‘. In: Zeitschrift für Historische Forschung
8 ( 1981 ) 285-309; ‚Universitätsbesuch im Reich vom 14. zum 16. Jahrhundert:
Wachstum und Konjunkturen‘. In: Geschichte und Gesellschaft 10 ( 1984) 5-30; ‚Sozialgeschichtliche
Aspekte spätmittelalterlicher Studentenbursen in Deutschland‘, In: J.
FRIED (Hg.), Studium und Gesellschaft im sozialen Wandel des hohen und späten Mittelalters
(Vorträge und Forschungen XXX) Sigmaringen 1986, 527-564. Dem Phänomen
der Migration in Reisegruppen, dns im vorliegenden Beitrag nicht eigens berührt
wird, ist Vf. nachgegangen in: ‚Studentische Kleingruppen im späten Mittelnlter‘. In: H. LUDAT – R. C . SCHWINGES (Hg.), Politik, Gesellschaft, Geschichtsschreibung.
Giessener Festgabe für Frantisek Graus (Beihefte zum Archiv für Kulturgeschichte 18)
Köln 1982, 319-361; ‚Zur Prosopographie studentischer Reisegruppen im 1 5 . Jahrhundert
‚ . In: N . BULST – J.-P. GENET (Hg.), Medieval Lives and the Historian.
Kalamazoo 1986, 333-341 . Bezüge und Zitate im Text: F. EULENBURG, Die Frequenz
der deutschen Universität von ihrer Gründung bis zur Gegenwart. Leipzig 1904,
272, 67; H. GRUNDMANN, Vom Ursprung der Universiät i m Mittelalter, 2. Aufl.
Darmstadt 1960 (Ndr. 1976) 17, 19 f.
155

MONASTI S C H E KOMMUNITÄTEN U N D RÄUMLICHE
MOBILITÄT IN MITTELALTER U N D FRÜHNEUZEIT
GERHARD JARITZ
1. VORBEMERKUNGEN .
Das Klischee monastischer Stabilität im Mittelalter ist in vieler Hinsicht
zu revidieren { 1 ) . Zahlreiche Zeugnisse vermitteln, daß Migration und
räumliche Mobilität im klösterlichen Lebensraum eine wichtige Rolle spielten.
Unterschiedlichste Voraussetzungen, Möglichkeiten, Gründe, Einstellungen
und Reaktionen können erkannt werden. Folgende Schwerpunkte
sind festzustellen:
1. Der Eintritt einer Person in eine klosterliehe Gemeinschaft ist in der
Regel mit einem Ortswechsel derselben verbunden.
2. Mannigfach ist die Palette temporärer Migration von Mitgliedern
monastischer Kommunitäten. Sie reicht von Reisen in ökonomischen Belangen
über Migration aus ordensinternen oder seelsorglichen Motivationen
bis zu Botenfahrten, Studienreisen, Wallfahrten, Kurreisen oder Verwandtenbesuchen.
3. Der zeitweilige oder dauernde Wechsel von einem Konvent in eine andere
klösterliche Gemeinschaft – mitunter verbunden mit Ordenswechsel
– manifestiert sich einerseits zum Teil im Hospitantenwesen, andererseits
im variantenreichen, erzwungenen oder freiwilligen Verlassen einer Kommunität
und dem – mitunter nur angestrebten – Eintritt in einen anderen
klösterlichen Verband.
Die vorliegenden Bemerkungen sind als Zwischenergebnisse im Rahmen
eines umfassenderen Projektes anzusehen, das sich die Aufgabe gestellt
hat, den Problemkreis ‚Monastische Kommunität und räumliche Mobilität‘
für den Österreichischen Raum vom Mittelalter bis ins 17. Jahrhundert
zu untersuchen {2).
Das bisher gezeigte Interesse der historischen Forschung an dieser Frage
hält sich zum Teil in bescheidenen Grenzen. Oft nur indirekt angeschnitten
wird sie in den vorliegenden prosopographischen Arbeiten zur persönlichen
Zusammensetzung von Klostergemeinschaften, die sich häufig auf
bloße Listen von Konventualen beschränken und nicht den Versuch anstellen,
das gesammelte Material für weitergehende Interpretationen heranzuziehen
(3). Falls solche vorliegen, spielt die Problematik der
ständischen Zusammensetzung der Kommunitäten eine weit vorran-
157
gigere Rolle ( 4 ); die örtliche Herkunft wird meist nur sekundär und im
Zusammenhang mit der Untersuchung der Standesverhältnisse behandelt.
Die Migration der Klosterangehörigen selbst ist ebenfalls nur selten
als Gegenstand eingehenderer Forschungen nachzuweisen. Arbeiten zu
ordensinternen Visitationsreisen, zum Gästewesen und zum Botentum,
besonders im Zusammenhang mit dem Rotelwesen, stellen hierbei einen
Schwerpunkt dar (5), Untersuchungen zu Pilgerfahrten und Reisen zu
Studienzwecken einen anderen (6). Vor allem die landeskundliehe Forschung
beschäftigt sich mitunter mit den Reisen einzelner Konventualen
(7). Die Klosterflucht wird meist im Zusammenhang mit der Behandlung
von ‚Verfallserscheinungen‘ im spätmittelalterlichen Ordenswesen angeschnitten
(8).
Probleme ergeben sich aus der unterschiedlichen Quellenlage. Während
etwa für Zisterzienser, Benediktiner, Augustinerchorherren oder Prämonstratenser
die erhaltene Überlieferung oft umfangreich ist und erlaubt,
reiches prosopographisches Material als Grundlage heranzuziehen, erweist
sie sich für andere Gemeinschaften – etwa für die Bettelorden – besonders
hinsichtlich des mittelalterlichen Materials häufig als derart desolat, daß
nur spärliche Aussagen möglich erscheinen. Dies ist ein umso gravierenderes
Defizit, als gerade mit den Bettelorden entscheidende allgemeine
Veränderungen in der persönlichen Zusammensetzung monastischer Kommunitäten
angenommen werden können und auch im grundsätzlichen Zusammenhang
mit der Einstellung zur Stabilität auftreten (9). Allgemein
ist anzumerken, daß frühestens ab dem 14. Jahrhundert das überlieferte
Material in solchem Ausmaß auftritt, daß für eine systematische Erforschung
von Fragen horizontaler Mobilität die Einzelmitteilung an Bedeutung
verliert und quantitative Zugänge möglich werden ( 1 0).
Unsere Untersuchungen gingen von einer Reihe von Grundhypothesen
aus, deren bedeutendste angeführt seien:
1) Räumliche Mobilität ist im monastischen Bereich in starkem Maße
normunterworfen.
2) Das kollektive Element ist hinsichtlich räumlicher Mobilität im klösterlichen
Bereich stark ausgeprägt.
3) Aspekte räumlicher Mobilität sind im Kloster in entscheidender Weise
statusgebunden.
4) Räumliche Mobilität steht in engem Zusammenhang mit Stabilisierung
und Destabilisierung des Systems bzw. der klösterlichen Gemeinschaft.
5) Krisen des Systems sind in Veränderungen des Befundes räumlicher
Mobilität erkennbar.
1 58
6) Damit im Zusammenhang sind Phänomene der Regionalisierung (Provinzialisierung)
und ‚Internationalisierung‘ des Systems zu beurteilen.
7) Räumliche Mobilität korreliert mit der Intensität von Kommunikation
und Austausch.
An hand von ausgewählten Beispielen sollen die aufgezeigte Problematik
angeschnitten sowie Möglichkeiten und Desiderata für eine weitere Diskussion
behandelt werden. Gewisse Schwerpunkte wurden auf den Österreichischen
Raum sowie auf Zisterzienser- und Kartäuserkommunitäten
gesetzt.
II. MIGRATION · UND DESTABILISIERUNG DES SYSTEMS.
Fiir einen Einstieg in unsere Fragestellungen bietet sich die Auseinandersetzung
mit einer bestimmten Ordensgemeinschaft geradezu an, nämlich
mit den Kartäusern ( 1 1). Die strikte Forderung, daß nichts Weltliches in
die Kartause dringen dürfe und daß aus der Kartause nichts in die Welt
kommen solle, was über Spirituelles und Erbauliches hinausgeht, spiegelt
eine Situation wider, die von vornherein in vieler Hinsicht unvergleichbar
mit anderen Orden erscheint ( 1 2 ) . Während in jenen das Wehren gegen
Weltliches geringer oder nur in einzelnen Lebensbereichen ausgeprägt
ist und immer wieder Kompromisse zwischen Wehren und Akzeptieren
festzustellen sind, beschränken sich die Kartäuser nahezu ausschließlich
auf die Abwehr. Ein derartiger Tatbestand gestattet es uns jedoch, besonders
deutlich in die Probleme einzuführen, welchen monastische Kammunitäten
in bezug auf die Phänomene von Migration und räumlicher
Mobilität ausgesetzt waren.
Starke Restriktionen betreffen die Begegnung mit der Welt vor allem
dann, wenn sich der Kartäuser außerhalb seiner Klostermauern begibt.
Hier erscheinen die Gefahren am größten, daß weltliches Unheil in das
Kloster gebracht wird bzw. daß das Ansehen des Klosters in der Welt
geschädigt wird (13). Ausgesprochen breiten Raum nehmen so vor allem
im 15. Jahrhundert in den Generalkapitelbeschlüssen des Ordens die
Bestimmungen und Statuten zum wöchentlichen gemeinsamen Spaziergang
der Klosterinsassen ein, wobei es insbesondere darum geht, Entfernungsgrenzen
zu bewahren bzw. neu festzulegen, innerhalb welcher dieser
Ausgang stattfinden kann { 1 4). Augenscheinlich findet sich gerade in dieser
Zeit immer wieder das Ansuchen einzelner Klöster, jene Grenzen zu
verändern bzw. zu erweitern. Gefahren drohen dann, wenn Kontakte
159
mit anderen Menschen entstehen können, sich also etwa Ansiedlungen innerhalb
der Grenzen befinden oder gar Begegnungen mit Frauen möglich
erscheinen ( 1 5).
Während eine solche strikte Normsetzung allein im kartäusischen Leben
auftritt, zeigen sich andere Erscheinungen des direkten Kontaktes von
Klosterinsassen mit der Welt, die auf weit breiterer Basis auftreten, auch
in anderen Orden nachzuweisen sind und dort ebenfalls zu Schwierigkeiten
führen. Ein besonderes Problem bringen – vorrangig im Spätmittelalter
– jene Konventualen mit sich, die ihr Profeßkloster verlassen und
in der ‚Welt‘ umherstreifen, von einem Kloster in das andere reisen und
Aufnahme suchen oder überhaupt nicht mehr in eine klösterliche Gemeinschaft
zurückkehren wollen ( 16). Sowohl das zisterziensiche als auch das
kartäusische Generalkapitel vergleichen solche Mönche mitunter mit den
‚gyrovagi‘ in der Regel des heiligen Benedikt, jenen Mönchen, die von
Land zu Land ziehen, in Klöstern kurz verweilen, in einem Kloster drei
Tage, in einem anderen vier, immer umherziehend, niemals seßhaft ( 17).
Sind aus dem Zisterzienserorden zumindestens für manche Gebiete sowohl
Überlieferungen der Norm erhalten als auch konkrete Widerspiegelungen
der Realität in einer größeren Anzahl von diesbezüglichen Empfehlungsschreiben
von Äbten für die wandernden Mönche .( 18), so sind
wir hinsichtlich der Kartäuser fast allein auf die normative Uberlieferung
der Statuten angewiesen, und zwar sowohl hinsichtlich allgemeiner Regelungen
als auch in bezug auf Einzelfälle. Statuten des Generalkapitels,
die dezidiert genannte Mönche zur Rückkehr in ihre Kommunitäten auffordern,
finden sich im 15. Jahrhundert praktisch jährlich, während im
14.J ahrhundert noch vergleichsweise wenige diesbezügliche Äußerungen
auftreten ( 1 9). Auswüchse im innerklösterlichen Leben‘ werden oft als
Grund für die vorliegende Situation angegeben: (20) zu umfangreiche Pitanzen,
gute Weine, zu häufiger Ausgang, etc. Das schlechte Vorbild von
Prioren wird angeprangert, die ihre Häuser verlassen, um etwa Märkte
zu besuchen. 1417 wird beklagt, daß das Herumschweifen der Prioren,
ihre Kleidung, ihr Pferdegeschirr und viele andere Exzesse, „qui modernis
temporibus – proh dolor! – ab ipsis et ceteris personis Ordinis nostri
committuntur“, den Ruf des Ordens schwer geschädigt hätten.
Gerade das 15.Jahrhundert ergibt sich als der Zeitraum, in welchem
horizontale Mobilität von Klosterangehörigen zur schwerwiegenden Belastung
wird. Auch bei Zisterziensern zeigt sich aus den Generalkapitelstatuten
das deutliche Ansteigen des Problems vom 14. zum 15. Jahrhundert,
mit der Spitze in der zweiten Hälfte desselben, und wiederum ein
eklatantes Sinken im 16. Jahrhundert (21). Durch „instabilitas“ , „evaga-
160
tiones“ oder “ fugitivi“ wird das System entscheidend gestört, und zwar
nicht nur die einzelnen betroffenen Klostergemeinschaften, sondern der
gesamte Orden. Dies gilt natürlich nicht allein für Kartäuser oder Zisterzienser,
bei welchen jedoch die Auseinandersetzung mit der Situation wohl
am eindringlichsten geführt wird (22). Eines der Grundideale, die ‚Flucht
aus der Welt‘ war ins Wanken geraten (23); es fand sozusagen eine Umkehrung
statt: viele tendieren zu einer ‚Flucht aus der Gemeinschaft‘. Sind es
die genannten innerklösterlichen Regelübertretungen, die als Gründe auftreten,
kann ordensintern vorgegangen werden. Gerade die Untersuchung
der zisterziensischen Quellen des Österreichischen Raums ergab allerdings,
daß zumindestens in der erläuternden Argumentation von Empfehlungsschreiben
der ‚gyrovagi’· eine Situation vor ·Augen geführt wird, die den
Einfluß von außen an vordere Stelle rückt (24). In mehr als der Hälfte
von etwa 100 mit solchen Begründungen versehenen Empfehlungsschreiben
des 14. und besonders des 15. Jahrhunderts wird der Einfluß aus der
Welt als Grund für die ‚Heimatlosigkeit‘ angegeben (kriegerische Ereignisse,
besonders im Zusammenhang mit den Hussitenwirren, Naturereignisse,
schlechte Ernte, ‚unverschuldete‘ wirtschaftliche Schwächen, etc.).
Nachdem ein großer Teil dieser Begründungen nachweisbar als real beurteilt
werden kann, zeigen sich hier auch deutlich die Grenzen der möglichen
Einflußnahme durch die ordensinterne Norm. Der Einfluß von außen kann
auch von einer noch so zentralistischen und straffen Ordensführung kaum
abgeschwächt werden.
1 1 1 . MIGRATION UND STABILISIERUNG DES SYSTEMS.
Demgegenüber zeigen sich gewisse Bereiche des Klosterlebens, in welchen
räumliche Mobilität stabilisierende Wirkungen ausüben soll und kann.
Hier sind vor allem ordensinterne Visitation, Bestellung von Klostervorstehern
und andere zwischenklösterliche Beziehungen zu nennen.
Als im J ahre 1569 der päpstliche Legat Kardinal Franciscus Commendone
die niederösterreichische Kartause Mauerbach visitiert, findet er dort
den Prior und zwei Mönche vor (25). Diese Konventstärke entspricht der
allgemeinen tristen Situation österreichischer Klöster zur Mitte des 16.
Jahrhunderts. Nachdem Tauwetter eintritt und der Visitator nicht weiterreisen
kann, bleibt er für einige Tage in Mauerbach und läßt sich vom
dortigen Prior über die Lage in anderen Kartausen unterrichten. Commendone
erfährt die Konventstärken österreichischer, steirischer, Krainer,
ungarischer, böhmischer und Tiroler Kartausen. Der Prior weiß auch
161
über weit entfernte Kartausen relativ genau Bescheid. Trotz der allgemein
schlechten Lage bleibt die Kommunikation damit offensichtlich aufrecht.
Das Voneinander-Wissen nimmt hohen Stellenwert ein und erlaubt, Gefahren
zu erkennen und weitere Mißentwicklungen zu bremsen bzw. zu
vermeiden.
Dieses Voneinander-Wissen über weite Entfernungen hinweg, welches
Kontrolle ermöglicht, zeigt sich gerade wieder bei den Kartäusern sehr
deutlich. Nicht nur der Besuch von Generalkapiteln, der zum Beispiel bei
den Zisterziensern in ähnlicher Weise abläuft, soll zur Aufrechterhaltung
eines stabilen Systems beitragen, sondern auch die ordensinterne Visitation
und die regelmäßige Neubestellung bzw. der Wechsel der Prioren
(26). Nicht jener, der in der eigenen Kommunität oder nahe lebt und damit
die Verhältnisse gut kennt, erscheint am besten befugt, zu beurteilen
und zu leiten, sondern der, welcher ‚unbeeinfl.ußt‘ aus der Ferne kommt.
Auf Grund der identen Lebensweise in den Klöstern entsteht einerseits
trotz regelmäßigem Führungswechsel kaum das Problem von Diskontinuität,
andererseits – und dies ist entscheidend – besteht keine Gefahr,
daß Eigenentwicklungen auftreten, welche durch mehr oder minder internen
Wechsel an der Spitze der Kommunität gefördert würden. Räumliche
Mobilität wirkt hier zumindestens indirekt stabilisierend. Der daraus
entstandene Nutzen für den Kartäuserorden und seine Klöster führt allerdings
vor allem im 16.Jahrhundert zu massiver territorialherrschaftlicher
Skepsis und Verurteilung. Als 1596 der Wiener Bischof Melchior Klesl die
Auflösung der Österreichischen Kartausen anstrebt, kritisiert er in seinem
Gesuch an Kaiser Rudolf II. den Kartäuserorden generell: (27) „Auch derselb
Orden, in dem sie alle Jahr ihre Priores verändern, jährlich und von
allerlei Nationen thails schädliche Visitatores in Land füren . . . “ . Sowohl
die Anwendung des angeführten Modus als auch die daran geäußerte Kritik
lassen sich in anderen Orden gleichfalls, wenn auch bei weitem nicht
so ausgeprägt und konsequent, nachweisen. Dort jedoch scheint häufig die
Konzentration dieses Phänomens auf Krisenzeiten vorzuherrschen (28).
IV. MIGRATION, KOMMUNIKATION UND KONTROLLE:
EINSCHRÄNKUNG UND RÜCKGANG.
Das Institut ordensinterner Visitationen beruht gleichfalls auf Komponenten
horizontaler Mobilität. Am Beispiel zisterziensischer Verhältnisse
seien einige Schwerpunkte genannt. Die enge Verbindung von Mutterund
Töchterklöstern mit ursprünglich jährlicher Visitation durch den Va-
162
terabt soll zum einen die Kontrolle garantieren (29). Zum anderen zeigt
sich gerade für viele zisterziensische Ordensniederlassungen die sehr große
Entfernung zwischen Mutterkloster und Filiation. Bereits bald nach der
Gründung ergibt sich daher häufig das Problem der Aufrechterhaltung
jener jährlichen Reise von Vateräbten zu ihren Tochterklöstern – in gleichem
Maße, wie die jährlichen Reisen zum Generalkapitel zu Problemen
werden können (30). Es kommt zur Delegation der Aufgaben des Vaterabtes
an Äbte von Zisterzienserklöstern, deren örtliche Entfernung geringer
ist. Die allgemeine Legitimierung jener Delegationen für den gesamten
Orden erfolgt 1472 durch einen Generalkapitelbeschluß, welcher verfügt,
daß Vateräbte, die auf Grund großer Entfernungen ihren Aufgaben in
den Tochterklöstern nicht nachkommen können, Vorsteher von näher gelegenen
Zisterzen zu ihren Stellvertretern ernennen sollen, die mit allen
Vollmachten des ‚pater immediatus‘ ausgestattet seien ( 3 1 ) . Gleichzeitig
wird den Äbten und Prioren der Tochterklöster erlaubt, einen benachbarten
Abt zu berufen, wenn der Vaterabt seine Pflicht versäumt bzw. wegen
großer Entfernung oder anderer Griinde selbst nicht kommen kann.
Eine Untersuchung für das steirische Zisterzienserkloster Rein zeigt die
Entwicklung sehr deutlich (32). Die ab dem 13. Jahrhundert reicher
überlieferten Quellen ergaben zwar, daß von jährlicher Visitation durch
den Abt von Ehrach ( Franken) keine Rede mehr sein konnte, doch läßt
sich dessen mit Visitation verbundene Anwesenheit in Rein im 13. und
14. Jahrhundert neunmal nachweisen, im 15. und beginnenden 16. Jahrhundert
(bis 1 518) weitere neunmaL Zwischen den einzelnen Besuchen
treffen wir immer wieder auf die Delegation von Ordensäbten nahegelegener
Kommunitäten. Den markanten Einschnitt bringt die Krisensituation
der Reformation mit sich. Konnten bis 1 5 1 8 relativ regelmäßige
Visitationen und Besuche des Ebracher Vaterabtes in Rein nachgewiesen
werden, so reduziert sich die Kommunikation, Einflußnahme und Kontrolle
danach beinahe ausschließlich auf schriftliche Wahlankündigungen,
Vollmachten und Wahlbestätigungen. Bis zum ausgehenden 17. Jahrhundert
finden sich nur mehr zwei Belege der Anwesenheit. Mit jenem
Ende des persönlichen Kontaktes erlischt auch die Wahrnehmung Reiner
Belange – vor allem beim Generalkapitel – durch den Ebracher Vaterabt
beinahe völlig. Man weiß voneinander nur mehr wenig. Und obwohl im
18. Jahrhundert wieder ein neues gegenseitiges – historisches – Interesse
zu erkennen ist, bleibt die Kommunikation auf den brieflichen Austausch
von Informationen beschränkt: 1739 übermittelt der Ebracher Abt dem
Reiner Abt Osterwünsche. Er widmet ihm ein Exemplar seiner eben erschienen
“ Brevis notitia monasterii Ebracensis“ , würde sich freuen, wenn
163
der Reiner Abt einmal Gelegenheit zu einem Besuch hätte und übersendet
eine Ebracher Abtliste, für welche sich der Reiner Prior anläßtich eines
Treffens beim Generalkapitel interessiert hatte.
Ehemals ‚internationale‘ Verbindungen, die zum Teil durchaus persönlich
gepflegt wurden bzw. gepflegt werden mußten, reduzierten sich auf
sporadischen Austausch von schriftlichen Höflichkeiten. Eine solche Situation
läßt sich nicht allein am vorgeführten Exempel der steirischen
Zisterze Rein belegen, sondern kann allgemein für zwischenklösterliche
Beziehungen weiter entfernter Ordenshäuser und deren Entwicklung vom
Mittelalter bis ins 17. Jahrhundert vermutet werden. Im Zusammenhang
mit der bis in 16. Jahrhundert ansteigenden Zahl von Klöstern, mit
dem Sinken der Zentralgewalt bei zentralistisch geführten Orden, mit dem
Territorialisierungsprozeß, mit sinkender wirtschaftlicher und finanzieller
Potenz von Klöstern und wohl noch einer Reihe von anderen individuelleren
Komponenten wird aus ‚Internationalität‘, die sich in starkem Maße
in ausgedehnter räumlicher Mobilität und Migration von Klosterangehörigen
niederschlug, teilweise deutliche ‚Provinzialität‘ (33). Die Reichweite
von Kommunikation und Austausch verringert sich entscheidend.
V . ‚ALLTAGSMIGRATION‘.
Andere Orden – mit weniger strikter Regel und/oder mit geringer ausgeprägter
Zentralmacht – vermitteln zum Teil ein anderes Bild zwischenklösterlicher
Kommunikation. Das Problem der „fugitivi“ und “ evagationes“
tritt bei ihnen natürlich gleichfalls auf. Die regelmäßige Pflicht zur
Migration (Generalkapitel; Visitation von Filiationen, etc.) fehlt dagegen.
Allerdings treffen wir etwa bei Benediktinern oder Chorherren auf
ein augenscheinlich weitaus expliziteres Akzeptieren der ‚Reise‘ und auf
Zeugnisse einer, bereits anfangs erwähnten breiten Palette temporärer Migration.
Gerade bei ihnen läßt sich – auch auf Grund mitunter sehr guter
Quellenlage – die ‚Alltäglichkeit‘ (34) der (Nah-)Migration von Konventualen
an vielen Beispielen zeigen (35). Rechnungsbücher des niederösterreichischen
Benediktinerstiftes Göttweig aus dem 15. Jahrhundert beinhalten
etwa regelmäßig Rubriken “ Für die reis“, und zwar auf hierarchischer
Grundlage (36). In einem Teil werden die Ausgaben für die Reisen
des Abtes verzeichnet (Landtag in Wien, Pfarrbesuche, Kur- und Badereisen,
Besuche anderer Klöster, etc. ), in einer zweiten jene des ‚Kellerers und
anderer Mönche‘. In letzteren spielen wirtschaftliche Belange eine bedeutende
Rolle: Markt- und Messenbesuche (bis in den süddeutschen Raum),
164
Reisen zur Verwaltung des Besitzes, etc. nehmen einen entscheidenden
Platz ein. Reisen, die im weitesten Sinne im Interesse der Kommunität
liegen, erscheinen recht problemlos akzeptiert zu sein; ihre Darstellung als
Makel fehlt weitgehend (37). Wirtschaftliche Komponenten kommen augenscheinlich
stärker zum Tragen als zwischenklösterlicher Kontakt, der
sich in zentralistisch geführten Orden als relevanter erweist. Die zumindestens
indirekte persönliche Kontaktnahme mit anderen monastischen
Kommunitäten im Rahmen des Totengedenkens scheint allerdings etwa
bei den Benediktinern besonders ausgeprägt (38).
V I . ÜRTLICHE HERKUNFT VON KONVENTUALEN: ZWISCHEN
REGIONALITÄT UND INTERNATIONALITÄT.
Zeigt sich in manchen Bereichen klösterlichen Lebens des Mittelalters eine
Entwicklung vom Anerkennen und von der Notwendigkeit einer ‚Internationalität‘
bzw. der steuernden Funktion des ‚Fremden‘ zum Suspektwerden
derselben, so läßt sich dies hinsichtlich der örtlichen Herkunft
von Konventualen einerseits ähnlich belegen. Andererseits können jedoch
auch hier (Krisen-)Situationen auftreten, in welchen das (der) Fremde
das einzige Mittel zu bieten scheint, um die Erhaltung des Systems zu
gewährleisten.
Untersucht man die örtliche Herkunft von Angehörigen monastischer
Gemeinschaften im Österreichischen Raum, so lassen sich trotz der Verschiedenheit
der Ordensstrukturen und der räumlichen Lage manche allgemeine
Phänomene und Trends nachweisen bzw. vermuten. Dies gilt
vorrangig für Ordenshäuser der Benediktiner, Zisterzienser, Kartäuser
und Chorherren, für welche die Quellenlage und die gewährleisteten Vorarbeiten
Aussagen erlauben (39). Ein Zusammenhang besteht mit der
Entwicklung der Standesverhältnisse innerhalb der Gemeinschaften. Hier
ist vorrangig im 1 3 . , aber auch noch im 14. Jahrhundert ein Umschichtungsprozeß
von vorrangig adeligen zu vorherrschend bürgerlichen Konventen
zu konstatieren. Intensität und Ausmaß jenes U mschichtungsprozesses
sind verschieden, der Trend vom Adels- zum Bürgerkloster jedoch
allgemein zu beobachten ( 40). Dies führt dazu, daß vor allem im 14.
und 15. Jahrhundert Städte und Marktorte das Hauptrekrutierungsgebiet
von Klöstern darstellen, wobei auf den klosternahen Städten bzw.
Marktorten oft der Hauptakzent liegt ( 41 ). So wird etwa aus den ‚Ministerialenklöstern‘
Rein (Steiermark) und Sittich (Krain) ein ‚Grazer‘
bzw. ein ‚Laibacher Bürgerkloster‘ ( 42). Einzelne Ausnahmen von diesem
165
Phänomen werden näher zu überprüfen sein. Vor allem hinsichtlich später
Neugründungen – etwa des 15. Jahrhundert – scheinen sich Phänomene
einer ‚Gründungsinternationalität‘ zu erweisen ( 43}, wie wir sie etwa auch
für hochmittelalterliche Klostergründungen kennen bzw. vermuten. Ein
Zusammenhang mit einer Art von ‚Reforminternationalität‘ ist zu vermuten
(44).
Ein enger Zusammenhang zwischen Klosterbesitz und örtlicher Herkunft
von Konventualen kann festgestellt werden (45). Wirtschaftliche
Kommunikation im weiteren Sinne beeinflußt damit die persönliche Zusammensetzung.
Manche Hinweise lassen vermuten, daß etwa mit der
Vernachlässigung bzw. Aufgabe von – vor allem weiter entfernt liegenden
– Besitzungen die entsprechenden Gebiete auch als Rekrutierngsräume
ausfallen ( 46).
Im Zusammenhang mit den oben genannten Phänomenen kann auch
ein allgemeinerer Trend zur ‚Regionalisierung‘ hinsichtlich der Einzugsgebiete
im Laufe des Spätmittelalters angenommen werden. Dies zeigt
sich mitunter nicht nur am prosopagraphischen Befund, sondern auch an
überlieferten Aversionen gegen Mönche aus weit entfernten Gebieten (47)
sowie – zumindestens indirekt – an manchen Erleichterungen zur ‚Versippung‘
innerhalb von Gemeinschaften ( 48). Schwierigkeiten in der Interpretation
ergeben sich vor allem etwa im 15. Jahrhundert mit seinem
ausgeprägten Gästewesen und seinen angeführten starken Wanderungswellen.
Oft muß unklar bleiben, ob Mönche aus weiter entfernt liegenden
Gegenden tatsächlich im betreffenden Kloster Profeß ablegten oder ob sie
als Professen anderer Klöster in die Kommunität aufgenommen wurden
(49).
Konnte bezüglich Visitation und Besetzung von Führungsstellen – vor
allem im Rahmen von Krisen – auf das Heranziehen des ‚Fremden‘ hingewiesen
werden, so scheint sich hinsichtlich der Konventzusammensetzung
mitunter ein gegenläufiger Trend entwickelt zu haben. Dies zeigt
sich schon in verschiedenen Belegen zum Hospitantenwesen: der Fremde
bringt Unruhe (50). Dies steigert sich dann, wenn wir es nicht mehr mit
d e m Fremden zu tun haben, sondern mit einer Gruppe ( 5 1 ) . Recht
eindrucksvolle Belege liefert dazu die Situation im Kärntner Zisterzienserkloster
Viktring (52). Dort können wir im 14. und 1 5 . Jahrhundert
eine starke Gruppe von M önchen nachweisen, die aus der Ferne kam, welcher
eine einheimische Mönchsgruppe gegenüberstand. So nennt etwa eine
Urkunde von 1353 neben nachweisbar aus der näheren oder weiteren Umgebung
stammenden Konventualen eine außergewöhnlich große Anzahl
von Mönchen aus weit entfernten Gebieten (“ Hunoldus de Confluentia,
166
Johannes de Brabantia, Henricus de Rense, Gerardus de Colonia, Hilgerus
de Colonia, Johannes de Colonia, Nieholaus de Bohemia, Michahel de
Prusia, Wynemarus de Colonia, J ohannes de Alfter, Hermannus de Alfter,
Johannes de Bohemia“ ) (53). Dies ist im Vergleich zu anderen Kommunitäten
ungewöhnlich; eindeutige Gründe dafür können nicht angegeben
werden. Zwar spielt augenscheinlich die Verbindung zum Iothringischen
Mutterkloster Weiter-Bettnach bei Metz eine Rolle, allerdings sind wir
auch bei anderen Zisterzen, wo eine solche Konstellation nicht auftritt,
oft mit weit entfernten Mutterklöstern konfrontiert. ‚Versippung‘ ist anzunehmen.
Was jedoch in unserem Zusammenhang besonders wichtig
erscheint, ist, daß durch diese außergewöhnliche Situation interne Probleme
entstehen. Während im 14. Jahrhundert noch keine diesbezüglichen
Nachrichten auftreten, vemittelt uns die urkundliche Überlieferung
für die zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts die Beschwerde der heimischen
Gruppe gegen die Unruhestifter aus der Ferne (54).
Ähnliche Unruheherde lassen sich dort regelmäßiger nachweisen, wo
Klöster an Sprachgrenzen liegen (55). In der böhmischen Zisterze Goldenkron
kommt es so etwa zu Ende des 15. J ahrhunderts zu schweren
Auseinandersetzungen zwischen einer tschechischen und einer deutschen
Gruppe (56). In der Krainer Zisterze Sittich beschwert sich in der ersten
Hälfte des 16. Jahrhunderts ein Bruder bei seinem Vaterabt über
seine Außenseiterposition im Konvent, die augenscheinlich auch auf seine
slowenische Abkunft zurückzuführen ist (57).
Manches deutet daher auf mehr oder weniger gezielte Einengung bzw.
Regionalisierung in bezug auf die örtliche Herkunft von Konventualen im
Laufe des Spätmittelalters. Bestrebungen und Förderungen zur größeren
Einheitlichkeit und Homogenität lassen sich erkennen. Mit dem gleichzeitigen
Schwächerwerden der Kontrolle von außen werden die Eigenund
Sonderentwicklungen in den Klöstern gefördert. Im Rahmen dieser
Bestrebungen ist etwa auch die im Zisterzienserorden nachzuweisende
Lockerung der Bestimmungen hinsichtlich der Aufnahme von Verwandten
in einen Klosterverband zu sehen (58). Als in der ersten Hälfte des
14. Jahrhunderts in Rein zwei leibliche Brüder aufgenommen wurden,
verstieß dies eigentlich noch gegen die Ordensregel (59). Die angestrebte
und auch erlangte Abstützung des Vorganges durch den Ebracher Vaterabt
belegt dies zusätzlich. Das Interesse des Klosters an ihrem Eintritt
kann aus dem umfangreichen Besitz erklärt werden, den sie einbrachten.
Daß dieses Ereignis jedoch im Rahmen einer allgemeinen Tendenz zu sehen
ist, die diesbezüglichen Ordensbestimmungen zu lockern, zeigen die
der Entwicklung wohl oft stark nachhinkenden Generalkapitelbeschlüsse.
167
1390 findet sich nämlich das Statut, daß von nun an leibliche Brüder in
ein Kloster aufgenommen werden dürften (60).
Die regionalen Einzugsbereiche im Rahmen der – die örtliche Herkunft
betreffenden – Nahmigration von Konventualen verschiedenster Klöster
in ein einheitliches Schema von Entfernungskreisen zu fassen, erscheint
unmöglich. Als zu verschieden erweist sich die Einfluß ausübende Besitzstruktur,
als zu unterschiedlich die Entfernung der nächstliegenden
relevanten Städte und Märkte. Ein Frage erscheint jedoch beachtenswert,
nämlich jene nach den Gebieten bzw. Richtungen, aus denen – vor dem reformatorischen
Einbruch (61 ) – solche Klostermitglieder kommen, welche
nicht dem Nahbereich der Kommunität zuzuordnen sind. Hier zeigen sich
neuerlich für den Österreichischen Raum recht regelmäßige Trends, welche
grob als Nord-Südwanderung und West-Ostwanderung zu charakterisieren
sind. Die vorwiegende Herkunft der von ferne kommenden Mönche aus
nördlichen und (nord)westlichen Bereichen ist offensichtlich. Dabei überwiegen
einerseits Böhmen und Mähren, andererseits Bayern (62). Eine
Süd-Nordwanderung und auch eine Ost- Westwanderung lassen sich in
weit geringerem Maße erkennen und fehlen häufig völlig. Ähnliche Ergebnisse
zeigten etwa auch durchgeführte Einzeluntersuchungen zur Handwerkermigration
(63). Eine umfassendere zufriedenstellende Erklärung
dieses Phänomens ist bisher noch nicht gelungen. Relativ nahe Sprachgrenzen
im Süden (italienisch; slowenisch) und Osten (ungarisch) spielen
dabei sicherlich eine gewisse Rolle, jedoch wohl nicht die einzige. Die
gerade im 15. Jahrhundert auf Grund der Hussitenwirren unsichere Situation
in Böhmen und Mähren kann als weiteres auslösendes Moment
angegeben werden (64).
Im 16. Jahrhundert verursachen die Auswirkungen der Reformation
entscheidende Änderungen der horizontalen Mobilität im Zusammenhang
mit der örtlichen Herkunft von Konventualen. Gerade hier erscheint
vor allem im östlichen Osterreich ein tatsächlicher ‚Bruch‘ nachweisbar.
Zur Mitte des 16. Jahrhunderts sind viele Klöster mehr oder minder
entvölkert. Konventstärken von ein, zwei oder drei Mönchen sind an
der Tagesordnung, der Nachwuchs versiegt (65). Und in dieser Situation
besinnt man sich auf etwas, was man in vielen monastischen Gemeinschaften
der vorhergehenden Entwicklung abzulehnen gelernt hatte: auf
das (stabilisierende) Element des Fremden. Betrachten wir Konventzusammensetzungen
aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, sind wir
beinahe regelmäßig mit der Situation konfrontiert, daß das einheimische
Element fehlt und daß gesamte Kommunitäten oft nur mehr aus Mönchen
bestehen, die aus den katholisch gebliebenen Gebieten des Reiches stam-
168
men (66). Die Reibungspunkte zwischen Einheimischen und Fremden sind
verschwunden, denn das heimische Element gibt es kaum mehr. Betrachten
wir als Beispiel das relativ unbedeutende obersteirische Zisterzienserkloster
Neuberg – welches im 15. Jahrhundert praktisch nur regionales
Einzugsgebiet hatte – in seiner persönlichen Zusammensetzung im Jahre
159 1 , so wird die Bedeutung der Veränderung offensichtlich: zwei Mönche
stammen aus Schwaben, einer aus Polen, einer aus Krain und sechs (!) aus
Landsberg in Bayern (67). Die obersteirische Zisterze war zu einer Art
von Dependance Landsherger monastischen Lebens geworden. Häufiger
geschieht keine so eklatante Konzentration auf einen ‚fernen‘ Herkunftsort.
Allgemein können wir jedoch eine Art von ‚Internationalisierung‘ beobachten,
die ihre Schwerpunkte in Bayern, Schwaben und Franken hat. Diese
Situation kann – mitunter natürlich abgeschwächt – in gleicher Weise bei
Zisterziensern, Benediktinern und bei Chorherren nachgewiesen werden
(68). In Bettelordensklöstern scheint zum Teil das italienische Element
diese Funktion übernommen zu haben, was auf Grund der Sprachbarrieren
zu gravierenden Schwierigkeiten geführt haben dürfte (69).
V I I . SCHLUSSBEMERKUNG.
Der bis heute meist unterschätzte Stellenwert des monastischen Bereiches
für die Lösung von Fragen einer Geschichte von Migration und horizontaler
Mobilität des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit muß weiter und
intensiver beachtet und bearbeitet werden. Der kurze gebotene Überblick
konnte die vorliegende Problematik nur anreißen. Zu groß sind an vielen
Stellen noch die Lücken, zu stark die Unsicherheiten. Zwischen Thesen,
dem Erkennen von Phänomenen und deren Erklärung liegt mitunter wohl
noch ein langer Weg. Allgemeine Phänomene und Sonderentwicklungen
können nur dann greifbar werden, wenn auf breiter Basis gearbeitet wird.
Umfassende Einzeluntersuchungen, vor allem prosopographischer Natur,
sind zu leisten. Die reiche normative Überlieferung ist systematisch und
ordensspezifisch aufzuarbeiten. Vergleiche mit Migrationsphänomenen in
anderen sozialen Gruppen der Gesellschaft sind notwendig, um Regionsund
Gruppenspezifika zu erkennen. Erfolge werden sich dann zeitigen,
wenn wir sowohl Theorien, Methoden und Fragestellungen der Migrationsgeschichte
anzuwenden bereit sind als auch jene von Ordens- und
Klostergeschichte. Nur dadurch wird es gelingen, die bis heute noch oft
deskriptiven Ansätze zu überwinden.
169
ANMERKUNGEN:
(1) Vgl. nilgemein G . Constnbles, The Study of Monnstic History Today. In: ders.,
Religiolts Life and Thought (11th-12th Centuries). London 1979, Beitrag I, 32: „The
third cliche of monastic history is the dichotomy of stability and wandering. Nearly nll
monastic legislators expressed their disapproval of monks who refused to stay in one
place or obey a recognized superior; and for many modem historians nnd conunentntors
stnbility is the essence of Benedictine monnsticism. The fact is, however, that in both
East and West many monks who were ndmired in their own time neither prenched nor
practiaed stnbility in the sense of remnining until death in n single monnstery. They
moved for many rensons: to escnpe the crowde attrncted by their snnctity, to undertnke
pilgrimnges nnd special missions, nbove all to seek a more austere life, either in another
monnstery or in solitude . … “ .
(2) Die folgenden Ausführungen beschränken sich auf die Behandlung von Männerkonununitäten
und konzentrieren sich auf das spätmittelalterliche Österreich. Bis
dato konnten etwa dreißig Klöster der Benediktiner, Zisterzienser, Kartäuser, Augustinerchorherren,
Prämonstratenser und – in geringerem Malle – der Bettelorden in die
Untersuchung einbezogen werden. Für viele andere Gemeinschaften liegen mehr oder
weniger aussagekräftige Einzelmitteilungen vor. – In bezug auf weibliche Klostergemeinschaften
hat die Forschung einen argen Rückstand aufzuholen. Zu diesbezüglichen
Ansätzen vgl. M.M. McLnughlin, Looking for Medievnl Women: an Interim Report on
the Project „Women’s Religious Life nnd Comrnunities, A. D. 500-1500“. In: Medievnl
Prosopography 8 ( 1987) 61-79; 0. Beck, Die Reichsabtei Heggbnch. Kloster, Konvent,
Ordensleben. Ein Beitrag zur Geschichte der Zisterzienserinnen. Sigmaringen 1980;
M. Kuhn-Rehfus, Die soziale Zusammensetzung der Konvente in den oberschwäbischen
Frnuenzisterzen. In: Zeitschrift für Württernbergische Landesgeschichte 41 (1982) 7-
31; Ch. Vanjn, Besitz- und Sozialgeschichte der Zisterzienserinnenklöster Coldern und
Georgenberg und des Prämonstratenserinnenstiftes Hachborn in Hessen im späten Mittelalter
(Quellen und Forschungen zur hessischen Geschichte 45) Darmstadt – Mnrburg
1984, bes. 113-164; B. Rnth, Wien, bereitet eine diesbezügliche Untersuchung für Österreichische
Frauenklöster des Mittelalters vor.
(3) Zur Forschungssituation in Österreich vgl. G . Jnritz – A. Müller, Medievnl Prosopography
in Austrinn Historien! Research: Religious and Urban Communities. In:
Medieval Prosopography 7 (1986) 58-63 (Bibliographie). Zur englischen Quellen- und
Forschungnituntion vgl. R. B . Dobson, Recent Prosopographical Resenrch in Lnte Medieval
English History: University Graduates, Durharn Monks, nnd York Canons. In: N. Bulst – J.-Ph. Genet (Hg.), Medieval Lives nnd the Historien. Studies in Medieval
Prosopography. Knlamazoo 1986, 188 und bcs. Anrn. 24. Bes. für Belgien und Niederlande
vgl. E. Persoons, De bewoners vnn de kloosters Betlehem te Herent en Ten
Troon te Grobbendonk. In: Arca Lovaniensis 5 (1976) 221 ff. Vgl. auch Anrn. 4. –
Eine Übersicht über die bis nach der Jahrhundertwende erstellten, meist liatenformigen
Profellbücher von Benediktinern und Zisterziensern im deutschsprachigen Rnurn bietet
P. Lindner, Professbuch der Benediktiner-Abtei Petcrshausen (Fünf Professbücher
süddeutscher Benediktiner-Abteien V) Kempten – München 1910, 59-64.
( 4) Als Vorbild für jede weitere Arbeit hat hierzu noch immer zu gelten: K. Schreiner,
Sozial- und standesgeschichtliche Untersuchungen zu den Benediktinerkonventen
im östlichen Schwnrzwald (Veröffentlichungen der Kommission für geschichtliche Landeskunde
in Baden-Württemberg B 31) Stuttgart 1964. – Als ausgewählte Beispiele
für bestimmte Orden bzw. Regionen seien weiters genannt: U. Berliere, Le recrutement
dnns les rnonasteres benedictines nu XIIIe et XIVe siedes (Academie Roynle de
170
Belgique, Classe des l..ttres d des sciences morales d politiques, Memoires 2/XVIII/6)
Brüsael 1924; R. Henggeler, Profeßbücher der Benediktinerabteien St. Martin in Disentis,
St. Vinzenz in Beinwil und U.L. Frau von Mariastdn, St. Leodegar und St.
Mauritius im Hof zu Luzern, Allerheiligen in Schaffhauaen, St. Georg zu Stein am
Rhdn, Sta. Mnria zu Wagershausen, Hl. Kreuz und St. Johannes Ev. zu Trub, St.
Johann im Thurtal ( Monasticon Benedictinum Helvetiae 4) Zug 1955; C. A . Lashofer,
Profeßbuch des Benediktinerstiftes Göttweig (Studien und Mitteilungen zur Geschichte
des Benediktinerordens, Erg. Bd. 26) St. Ottilien 1983; M. Bruck, Profeßbuch des
Klosters Melk ( l .Teil 1 4 1 8-1452). In: Stift Melk. Geschichte und Gegenwart 4 (Melk
1985) 79-202; K. Schreiner, Zisterziensisches Mönchtum und soziale Umwelt. Wirtschaftlicher
und sozialer Strukturwandel in hoch- und spätmittelalterlichen Zisterzienserkonventen.
In: K. Elm – P. Joerißen (Hg.), Die Zisterzienser. Ordensleben zwischen
Ideal und Wirklichkdt. Ergänzungsband (Schriften des Rhdnischen Museumsamtes
18) Köln 1982, 99-102; G . Jaritz, Die Konventualen der Zisterzen Rein, Sittich und
Neuberg im Mittelalter. In Citeaux XXIX ( 1978) 60-92 und 268-303; H . Grüger, Der
Nekrolog des Klosters Heinrichau (ca. 1280 bis 1550). In: Archiv für schlesische
Kirchengeschichte 31 (1973) 36-69, 32 (1974) 49-80, 33 ( 1 975) 9-27; J . de Grnuwe, Prosopographia
Cartusiana Belgien 1314-1796 (Analecta Cartusiana 28) Salzburg 1976;
G. Chaix, Reforme d Contre-Reforme Catholi“ques. Recherehes sur la Chartreuse de
Cologne au XVI siede I (Analecta Cartusiana 80) Salzburg 1981, bes. 28-38; Ch.
de Backer, De Kartuise Monichusen bij Arnhem. Prosapografie samen met de regesten
van de zopas ontdeckte oorkondenschat. In: Historia et spiritualitns Cartusiensis.
Destelbergen 1983, 69-155; F. Stöhlker, Die Kartause Buxheim 1402-1803, Folge 4:
Der Personalschematismus I, 1402-1554. Buxheim 1976; ders. Die Kartause Buxheim
1402-1803/12. Neue Reihe: Die Kartäuser von Buxheim. Der Personalschematismus
II, 1554-1812. 3 Bde. (Analecta Cartusinna 96:1-3) Salzburg 1987; G . Hövelmann,
Über den Einzugsberdch „des Augustiner- Chorherrenklosters Gaesdonck. In: Landschaft
und Geschichte. Festschrift für Franz Petri zu seinem 65. Geburtstag. Bonn
1970, 266-284; Persoons, De bewoners; N. Backmund, Profeßbücher oberbayerischer
Prämonstratenserklöster 1 : Neustift. In: Bayerisches Archiv für Kirchengeschichte
33 (1980) 41-90; D. Wojtecki, Studien zur Personengeschichte des Deutschen Ordens
im 13. Johrhundert (Quellen und Studien zur Geschichte des östlichen Europos III)
Wiesbaden 1971; H. Millet, Les chanoines du chopitre cathedral de Laon ( 1 2 72-1412)
(Bibliotheque des ecoles franc;nises d‘ Athenes et de Rome 56) Rom 1982; R. Holbnch,
Stiftsgeistlichkeit im Spannungsfeld von Kirche und Welt. Studien zur Geschichte des
Trierer Domkapitels und Domklerus im Spätmittelalter, 2 Bde. (Trierer Historische
Forschungen 2) Trier 1982 (für örtliche Herkunft bes. 2 , 633-654).
(5) Vgl. z.B. F. Stöhlker, Visitntionsdokumente aus der oberdeutschen Provinz des
Kartäuserordens. In: Die Kartäuser in Österreich 2 (Analecta Cartusiana 83) Salzburg
1981, 73-87; H . Rüthing, „Die Wächter Israels“ – ein Beitrng zur Geschichte der Visitationen
im Kartäuserorden. In: M. Zadnikar (Hg.), Die Kartäuser. Der Orden der
schweigende Mönche. Köln 1983, 169-183; I. Kickh, Abt Seyfried von Rein als Visitator
und Reformator der ungarischen Cistercienserklöster. In: Cistercienser-Chronik
7 (1895) 9-14; E. Krausen, Wenn der Abt von Salem nach Raitenhaslach kam. In: Studien zur Geschichte des Reichsstiftes Salem. Freiburg/Breisgau 1934, 264-267; G.
Müller, Cistercienser auf Reise. In: Cistercienser-Chronik 22 (1910) 289-295, 335-345,
364-372; Th. Schuler, Gastlichkeit in karolingischen Benediktinerklöstern. Anspruch
und Wirklichkeit. In: H.C. Peyer, Gastfreundschaft, Taverne und Gasthaus im Mittelalter
(Schriften des Historischen Kollegs, Kolloquien 3) München – Wien 1983, 21-36;
D.H. Turner, ‚Guests, who are never lacking in a Monastery‘. In: The Benedictines in
1 7 1
Britnin (British Librnry s.,ri“s 3) London 1980, 54-61; L. Dolb.,rg, Di“ Li“b“sthätigk.,it
d.,r Cist.,rci.,ns“r im B.,h.,rb.,rg“n d“r Gäst“ und Sp.,nd“n von Almos.,n. In: Studi“n
und Mitth.,ilung“n aus d.,m B.,n.,dictin.,r- und d.,m Cist.,rci,ru.,r-Ord“n XVI ( 1895) 10-
21, 243-249 und 414-418; G. Müll.,r, D.,s Klost.,rs Gäst.,. In: Cist.,rci.,ns.,r-Chronik 28
(1916) 201-204, 230-236, 259-265, 278-283, 29 ( 1917) 9-12, 86-89, 100-103; J.-Cl. Knhn,
L“s moin“s m“ssag.,rs. Ln rdigion, 1., pouvoir d Ia sci.,nc“ snisis pnr J.,s rou!.,nux d“s
mort XI.,-XII sied.,. o.O. 1987; G. Vidhnber, Ein“ Admont“r Rotd von 1390. In:
Studi“n und Mitth.,i!ungen nus d“m Benedictin.,r- und d“m Cist.,rci.,ns.,r-Ord“n XVI
( 1895) 582-590; F. Büng.,r, Admont“r Tot.,nrotdn ( 1442-96) (Bdtrög., zur G.,schicht“
d“s nlt“n Mönchtums und des Ben.,diktin.,rord“ns 19) Münst.,r/W.,stfal“n 1935. In d“n
v“rschi,d.,nst“n Klost.,r- und Ord.,nsgeschicht“n finden sich natürlich ebenfalls mannigfache
Bezugnahmen auf dies“ und die im Folgenden genannten Phänomen.,.
(6) Vgl. z.B. G . ConstnbJ.,s, Monachisme „t pelerinng“ nu Moy“n Ag.,. In: ders.,
Religious Lif.,, B.,itrng III; d“rs., Opposition to Pilgrimng“ in th“ Middl“ Ag.,s. In: .,bd.
B“itrng IV, b.,s. 130-142; A. Grnf, Auswärtig“ Zist.,rzi.,ns“r in R.,in. In: Cist.,rci.,ns.,rChronik
41 { 1929) 253-262; A. Dimi.,r, Mourir n Clnirvaux. In: Collectan“n Ordinis
Cist.,rci.,nsium R.,formntorum 17 (1955) 272- 285; Rdnhnrd Schndd.,r, Studium und
Zist.,rzi.,ns.,rord.,n. In: J. Fri.,d (Hg.), Studium und Gesellschaft im sozialen Wandel
(Vorträge und Forschungen 30) Sigmaring“n 1986, 321 – 350; d.,rs., Studium und
Zisterzienser mit besond.,rer s.,rücksichtigung des südwestdeutschen Raumes. In: Rettenburger
Jahrbuch für Kircheng.,schichte 4 {1985) 103-117; J.J. John, The Cnnons of
Premontre at the Medinevnl University of Viennn. In: Analeeta Prnemonstrntensin
XLII ( 1966) 48-85.
(7) Vgl. z.B. die vielfachen Beleg“ bei A. Czerny, Aus dem geistlich.,n GeschöftsJ.,_
ben in Oberösterreich im 15.Jnhrhund.,rt. Linz 1882; (W. Hnuthal.,r), Ausgab.,n für
Rup.,rt K“utzl aus dem B.,n.,dictiner-Stifte St. P.,t.,r zu Salzburg wöhr.,nd s“in“m Aufenthalt
auf d“r Universitiit zu Wien 1445-1451. In: Mittheilungen der Gesellschaft für
Salzburger Land.,skunde XVI (1876) 163 f.; K . Hnid, Reisenbenteuer des Abtes von
Salem und nnchherigen Bischofs von Gurk, Konrnd von Enslingen. In: Cisterci.,nserChronik
19 (1907) 353-355; H. Kl.,in, D“r erst“ mit Nnm“n bekannte Bndgnst.,iner
Kurgast (Abt Otto II. Knlhochsb.,rg“r von St. P.,ter in Snlzburg). In: Mitt.,ilungen
der Gesellschaft für Snlzburg“r Lnnd.,skund“ 1 1 2/1 1 3 ( 1972/73) 1974, 175 f.
(8) Vgl. z.B. G. Heinrich, Klosterflucht und Klosterzucht im 1 5 . Jnhrhund.,rt. Zur
Geschichte Chorins. In: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschland 1 2
(1963) 195-206. S . nuchy.nten.
(9) Vgl. den guten Uberblick über Forschungssituation und mögliche Ergebniss“
bei J. B. Freed, Th“ Frinrs nnd G.,rmnn Soci.,ty in th“ Thirt.,.,nth c.,ntury (Th“ M“diaevnl
Acnd.,my of Americn Publicntion 86) Cnmbridge, Mnss. 1977, b.,s, 109-134
und 225-237. Vgl. auch di“ grundsätzlichen Bemerkungen bd K. Elm, v.,rfnll und
Erneuerung des Ord.,nsw,s.,ns im SpötmittdnJt.,r. Forschung“n und Forschungsaufgaben.
In: Unt.,rsuchung“n zu Kloster und Stift (Studi“n zur G.,rmania Sacrn 14 =
v.,röff.,ntlichungen d“s Max-Plnnck-lnstituts für G.,schicht“ 68) Göttingen 1980, b.,s.
190-202. Auf di“ Funktion der Wanderschaft in d“n B“ttelord“n kann hier nicht niih“r
„ing.,gang“n w“rd.,n. Vgl. dnzu z.B. A . Rotzdt.,r, Di“ Funktion d“r frnnzisknnisch“n
B“wegung in der Kirch.,. Schwyz 1977, 154-169. Als mnrkant“s Bdspiel zum T“rmini“
r“n, zu Kollekturbezirken und Kollekturgrenzen bei Mendikantenklöstern vgl. S.
Wittmer, Nördlinger Franziskaner-Konventualen. In: Bnvnrin Frnnciscann Antiqua 4
(München 1958) 58-63.
( 1 0) Als Ausnahme ist hierbei die früh- und hochmittelnlterliche Memorialüberlieferung
zu nennen, die quantitative Untersuchungen, z.T. nuch zu regionaler Herkunft,
172
ermöglicht. Vgl. dazu zuletzt D. Geuenich, Eine Datenbank zur Erforschtmg mittelalterlicher
Personen und Personengruppen. In: Bulst – Genet, Medieval Lives 405-417;
dera., Probleme einer Proaopographie aufgrund früh- und hochmittelalterlicher Quellen.
In: H. Millet ( ed. ) , Informatique et Prosopographie. Paria 1986, 115-124.
( 1 1 ) Zu den Kartäusern vgl. bes. die umfassende Reihe “ Analeeta Cartusiana“
(Salzburg 1970 ff.); Zadnikar, Die Kartäuser.
( 1 2 ) Vgl. dazu G. Jaritz, Klosteralltag und Welt im Spaetmittelnlter. Das Beispiel
der Kartaeuser. In: Kartäuserregel und Kartäuserleben 3 (Annlectn Cnrtuainnn 1 1 3:3)
Salzburg 1984, 49-67.
(13) Vgl. Jnritz, Klosterniltag 62 f.
( 1 4 ) Vgl. (M. Lnporte), Ex Chartis Cnpitulorwn Generaliurn. Ab initio usque nd
1951. Grande Chartreuse 1953, 122 f., 367-370. Vgl. dazu nuch die diesbezüglichen
Passagen in M. Sargent – J. Hogg (Hg.), The Chnrtne of the Cnrthusinn Genernl
Chnpter (Analectn Cartusiann 100:1) Snlzburg 1982 ff.
( 1 6 ) Zum ‚Frnuenproblem‘ vgl. nuch (Lnporte), Ex Chnrtis 77 f., 270-273; L.
Dolberg, Die Satzungen der Cistercienser wider dns Betreten ihrer Klöster und Kirchen
durch Frnuen. In: Studien und Mittheilungen nus dem Benedictiner- und dem
Ciatercienser-Orden XV (1894) 40-44 und 244-249.
(16) Vgl. K. Elm – P. Feige, Der Verfall ‚des zisterziensischen Ordenslebens im
späten Mittelalter. In: Die Zisterzienser. Ordensleben zwischen Iden! und Wirklichkeit
(Schriften des Rheinischen Museumsamtes 10) Bonn 1980, 237 f.
(17) Reguln Benedicti, cap. 1 . Jnritz, Klosterniltag 64. Vgl. auch 0. Grillnberger,
Kleinere Quellen und Forschungen zur Geschichte des Cistercienser-Ordens. In:
Studien und Mittheilungen nus dem Benedictiner- und dem Cistercienser-Orden XVI
(1896) 602.
(18) Vgl. G. Joritz, Ciatercinn Migrations in the Late Middle Ages. In: Gond and
Nail ( Studies in Medievnl Cistercian History X = Cistercian Studies Series 84) Kalnmazoo
1985, 192 ff.; J. Hurch, Aus einem Wilheringer Formelbuche. In: Studien und
Mittheilungen nus dem Benedictiner- und dem Cistercienser-Orden XI ( 1 890) 104-114,
276-289; 0. Grillnberger, Kleinere Quellen. In: ebd. XVI (1896) 599-610, XVII ( 1896)
41-69, 256-269, 437-443; ders., Dns Wilheringer Formelbuch „De knrtis viaitncionum“.
In: ebd. XIX (1898), bes. 421-425, 587-601 , XX (1899) 127-137, 482-492, XXI ( 1 900)
119-127, 384-392; V. Schmidt, Ein Lilienfelder Formelbuch. In: ebd. XXVIII (1907)
392-402, 577-595.
(19) Vgl. Anm.14.
(20) S. hierzu und zum Folgenden Jaritz, Klosteralltag 66 f. Zu ähnlicher zisterziensischer
Kritik vgl. z.B. Schreiner, Zisterziensisches Mönchtum 1 13 f.
(21) Vgl. Jnritz, Cistercian Migrations 192.
(22) Viele Einzelbeispiele nus anderen Orden und Klöstern könnten nngeführt werden.
Eine derartige Konzentrierung ließ sich dort allerdings nicht feststellen. Vgl. z.B.
S. Brunner, Der Prediger-Orden in Wien und Oesterreich. Wien 1867, 57 (zum Jnhr
1666).
(23) Vgl. dnzu die nilgemeinen Bemerkungen bei W. Bergmann, Dns frühe Mönchturn
als soziale Bewegung. In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozinlpsychologie
37 (1985) 33-44.
(24) Vgl. dnzu Jnritz, Cistercinn Migrations 194 f. Für das 17. Jahrhundert vgl.
dazu V. Schmidt, Cistercienser-Flüchtlinge im Dreißigjährigen Kriege. In: Cistercienser-
Chronik 27 (1915) 281-284, 30 (1918) 31 f. Vgl. auch Elm, Verfall 206 f.
(25) Vgl. dazu und zum Folgenden A. Starzer, Die Kloster- und Kirchenvisitntion
des Cardinal Commendone in Niederösterreich im Jahre 1669. In: Blätter des Vereines
173
für Landeskunde von Niederösterreich NF XXVI (1892) 163 f.; G. Jnritz, Dn􀅀 religiöse
Leben in den niederösterreichischen Kartausen im Zeitalter der Reformation. In: Die
Kartäuser und die Reformation 1 (Annlectn Cnrtusinna 83) Salzburg 1984, 73 f.
(26) Bei Kartäusern ist der schnelle Priorenwechsel und die Berufung derselben aus
anderen Klöstern des Ordens geradezu charakteristisch. Vgl. z.B. J. Mlinnric, Knrtuzija
Pleterje 1403-1595. Ljubljana 1982, 130 ff.; H.R. von Zeissberg, Zur Geschichte
der Karthause Gaming in Österreich unter der Enns. In: Archiv für Österreichische
Geschichte 60 (1880) 579-584. Zur ‚Internationalität‘ des Ordens vgl. z.B. auch Jnn
de Grauwe, Les relations entre Ia province Teutonique et !es autres provinces, exemple
des relations en general dans !’ordre Cartusien. In: Die Kartäuser in Österreich 3
(Analecta Cnrtusinnn 83) Salzburg 1981, 88-95.
(27) V gl. Jnritz, Dns religiöse Leben 83.
(28) Gleiches gilt für die Obersendung von (Teilen von) Konventen in krisenbewegte
Klöster. Beispiele für beide Phänomene finden sich regelmäßig in vielen der
in diesem Beitrag zitierten personengeschichtlichen Arbeiten. Vgl. z. B. auch E.
Schmettan, Dns Chorherrenstift Dürnstein. Phi!. Diss. Wien 1948, 40 ff.; Geschichtliche
Beilagen zum St. Pöltner Diözesan-Blatt XI (St. Pölten 1932) 602 (Pnulinerkloster
Rana/Niederösterreich); ebd. XII (St. Pölten 1939) 533 f. (Dominikaner Krems).
(29) Vgl. L.J. Lekai, The Cistercians. Ideals and Reality. Dnllns 1977, 69-73,
126 f. Zu den verschiedensten Möglichkeiten, Ausprägungen und Auswirkungen der
Verbindung zwischen Mutterkloster und F iliation vgl. z.B. A. Graf, Rein und Sittich.
In: Cistercienser-Chronik 49 (1937) 1-4, 50-54, 87-89, 120-122, 148-151, 1 79-184, 213-
216, 278-284, 310-314, 341-342, 50 (1938) 56-58, 84-90, 147-155, 214-221, 269-276,
etc.; B. Grießer, Jahresberichte über die Wirtschaftsführung im Kloster Stnms von
1328-1345. In: Cistercienser-Chronik 62 (1955) 17-29.
(30) Zu den massiven diesbezüglichen Schwierigkeiten vgl. z. B. in bezug aufungarische
Zisterzen L.J. Lekai, Medievnl Cistercinns nnd Their Socinl Environment. The
Cnse of Hungary. In: Analeeta Cisterciensin XXXII (1976) bes. 260 f. V gl. auch ders.,
Ideals nnd Reality in Early Cistercian Life nnd Legislation. In: J .R. Sommerfeldt ( ed. ),
Cistercian Ideals and Renlity (Cistercian Studies Series 60) Kalamnzoo 1978, 19 ff.
(31) Vgl. J.-M. Cnnivez, Statuta Capitulorum Generalium Ordinis Cisterciensis ab
anno 1116 nd annum 1 786, V (Bibliotheque de in Revue Ecclesinstique 13) Louvnin
1937, 308, n.34.
(32) Vgl. dazu und zum Folgenden G. Jaritz, Ehrach und Rein in Spätmittelalter
und Früher Neuzeit. In: Festschrift für G. Zimmermann (120. Bericht des Historischen
Vereins Bnmberg 1984) Samberg 1984, 324-331. Für die Situation im 16. Jahrhundert
vgl. dazu auch A. Graf, Ein Briefwechsel Rein- Ehrach- Ingolstndt 1561-1565. In:
Cistercienser-Chronik 68 (1961) 65-93.
(33) Damit im Zusammenhang und mit verschiedensten Reformversuchen ist etwa
auch die Kongregationenbildung in den Orden zu sehen. Vgl. dazu Lekai, Cistercians
128-137; K. Elm- P. Feige, Reformen und Kongregationsbildungen der Zisterzienser
in Spätmittelalter und früher Neuzeit. In: Die Zisterzienser 243-254; Elm, Verfall
210-215.
(34) Alltag sei hier als Summe von ‚ Alltäglichkeiten‘ verstanden und bezieht sich nuf
habitualisiertes, repetitives bzw. routiniertes Verhalten. Vgl. dazu P. Borscheid, Alltagsgeschichte
– Modetorheit oder neues Tor zur Vergangenheit. In: W. Schieder- V.
Sellin (Hg.), Sozialgeschichte in Deutschland lU. Göttingen 1987, 94 ff.; G. Jaritz, Der
Einfluß der politischen Verhältnisse auf die Entwicklung der Alltagskultur im spätmittelalterlichen
Österreich. In: Bericht über den sechzehnten Österreichischen Historikertag
Krems 1984 (Veröffentlichungen des Verbandes Österreichischer Geschiehtavereine
174
24) Wien 1985, 527 f.
(35) Auf eine Anführung der verschiedensten Beispiele sei in diesem Rahmen verzichtet.
(36) Vgl. Stiftsarchiv Göttweig, Rechnungsbücher (GA-b-R 1 ff.). Zur Aussage
der Göttweiger Rechnungsbücher für die Migrationsgeschichte (bes. auch in bezug auf
‚Objektmigration‘) wird von Ch. Promitzer, Graz, eine umfassendere Untersuchung
vorbereitet. Vgl. zu iihnlichem Material N. Backmund, Windherger Klosterleben im
Spiegel alter Ausgabenbücher ( 1 5 .-18. Jahrhundert). In: Ostbairische Grenzmarken
1970, bes. 152 und 155-157. Zu einem spezifischen Bereich vgl. z.B. F. Merzbacher,
Tegernsee und der Südtiroler Wein im ausgehenden Spätmittelalter. In: Aus Wirtschaft
und Gesellschaft (Tirolcr Wirtschaftsstudien 17) Innsbruck 1963, 199-213.
(37) Zu zisterziensischen Kritikpunkten vgl. Schreiner, Zisterziensisches Mönchtum
88 ff., 1 1 1-114 (Kritik am Reitpferdegebrouch).
(38) Vgl. bes. Biinger, Admonter Totenroteln. Vg!. z.B. auch Kärntner Landesarchiv,
Klagenfurt, Klosterurchiv Arnoldstein, Fase. VIII: 1421 XII 19: 25 Briefe an
andere Klostergemeinschaften mit Nachrichten über verstorbene Arnoldsteiner Konventualen.
( 39) V gl. J aritz – Müller, Prosopogrophy 58-63. Auf die Behandlung der Domkapitel
kann in diesem Rahmen nicht eingegangen werden. Zu diesbezüglichen Arbeiten aus
dem Österreichischen Raum vg!. ebd.
{40) Vgl. Jaritz, Konventualen 61 ff.; Schreiner, Zisterziensisches Mönchtum 100
ff., 129, Anm. 157; Elm, Verfall 230 f. Vgl. auch R. Büchner, Alltag und Festtag
in Stams, Rattenberg und anderen Klöstern des Spätmittelalters. in: Innsbrucker
Historische Studien 7/8 ( 1 985) 81 ff.
(41) Zu den Beziehungen zwischen Kloster und Stadt vgl. allgemein z.B. Helga
Johng, Die Beziehungen zwischen Klerus und Bürgerschaft in Köln zwischen 1250 und
1350 (Rheinisches Archiv 103) Bonn 1977, bes. 179-183; Schreiner, Zisterziensisches
Mönchtum 87-91; W. Schich, Die Stadthöfe der friinkischen Zisterzienserklöster in
Würzburg. In: Zisterzienser-Studien III (Berlin 1977) 45-94; R. Schneider, Stadthöfe
der Zisterzienser: Zu ihrer Funktion und ihrer Bedeutung. In: Zisterzienser-Studien
IV (Berlin 1979) 11-28; H. Mosler, Die Cistercienserobtei Camp in ihren Beziehungen
zu Köln und seinen Bürgern. In: Jahrbuch des Kölnischen Geschichtsvereins 38/39
{1963/65) 1967, 1-50.
(42) Jaritz, Konventualen 303. Ähnliches ergibt sich etwa für Göttweig (vgl. Lashofer,
Profeßbuch Göttweig, passim); für St. Peter in Salzburg in bezug auf die Stadt
Salzburg { vgl. P. Lindner, Professbuch der Benediktiner-Abtei St.Peter in Salzburg
(1419-1856). In: Mitteilungen der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde XLVI
(1906) bes. 9-21); für Dürnstein (vgl. Schmettan, Dürnstein 154-157); für St. Pölten
(vgl. J. Wodka, Personalgeschichtliche Studien über das ehemalige Chorherrenstift
St. Pölten. In: Jahrbuch für Landeskunde von Niederdonau NF 28 {1939-43) 1944,
bes. 161-179); für Friesach (vgl. H. Zotter, Der Dominikanerkonvent zu Friesach. In:
Carinthia I, 160 (1970) bes. 708 f.); für Retz im 14. Jahrhundert (gegründet 1300)
in bezug auf nahe Dörfer (vgl. MGH Neer V. Berlin 1913, 161 f.). – Für Mondsee
läßt sich dies weniger eindeutig feststellen (vgl. P. Lindner, Das Profeßbuch der Benediktinerabtei
Mondsee. In: Archiv für die Geschichte der Diözese Linz II (1905), bes.
145-154); ähn􀈛ich auch für Reichersberg (vg!. C. Meindl, Catalogus oo. Canonicorum
regularium Reichcrsberg a prima fundatione usque ad annum jubil. 1884 e documentis
fide dignis conscriptus. Linz 1884). – Ein gewisser Anteil des bäuerlichen bzw. dörflichen
Elements ist zum Teil ebenso nachzuweisen bzw. zu vermuten (s. oben), sein
Stellenwert bis dato jedoch noch schwer einzugrenzen.
175
( 43) Dies gilt besonders für die auf Johonnes Copistren zurückgehenden franzisknnischen
Klostergründungen zur Mitte des 16. Jahrhunderts, in welchen von Beginn an
markante ‚Internationalität‘ festgestellt werden kann; vgl. dazu MGH Neer V, 151-159,
276-284; H. Winkler, Geschichte des ehemaligen Frnnzisknnerklosters in Lnngenlois.
Phi!. Diss. Wien 1960, bes. 160 ff. Gleiches gilt für monehe andere Spätgründung
des 15.Jahrhunderts. Dns 1414 gegründete Chorherrenstift St. Dorothen in Wien
setzt sich bis ins beginnende 16. Jahrhundert aus mehr nls zwei Drittel Mitgliedern
aus der ‚Ferne‘ zusammen (30 % Wien, Niederösterreich; 14% Ungarn, Kroatien, Siebenbürgen,
etc.; 14% Oberösterreich, Snlzburg, etc.; 9% Böhmen, Mähren, Schlesien,
etc.; 33% Bayern, Schwaben, etc.); vgl. MGH Neer V, 269-276. Vgl. nuch die Situation
des 1456 von St. Dorothen aus gegründeten Augustinerchorherrenstiftes Rottenmann
in der Steiermark (MGH Neer V, 587 f.). Die Frage, inwieweit eine solche
späte ‚Gründungsinternntionalität‘ als ‚Reforrninternationalitiit‘ (s.Anm.44) zu deuten
ist oder ob (auch) die Komponente des geringen Interesse in der betreffenden Region
stärker in die Überlegungen einzubeziehen ist, muß in diesem Rahmen offen bleiben
und soll an anderem Ort ausführlicher behandelt werden. – Die ‚Internationalität‘
der Kartäuser wurde bereits an anderer Stelle erwähnt. Als diesbezügliches Beispiel
niederösterreichischer Konvente vgl. Zeissberg, Geschichte Gaming 579-692; L. Koller,
Neue Beiträge zur Geschichte der Knrtnuse Aggsbach. In: Monntsblntt des Vereines
für Landeskunde von Niederösterreich IX (1910) 3 f.
( 44) So erweist sich etwn der Konvent des niederösterreichischen Benediktinerstiftes
Melk zwischen 1418 und 1452 (=nach der Reform) als sehr ‚international‘ (vgl. Bruck,
Profeßbuch 81-190).
(45) Vgl. Jnritz, Konventualen 303; H. Bachmnnn, Die Benediktinerabtei St. Georgenberg
im Kulturleben des Mittelalters. In: Tiroler Heimat XVI (1952) 91 f. Vgl.
nuch W. Rösener, Reichsabtei Snlem. Verfassungs- und Wirtschaftsgeschichte des Ziaterzienserklosters
von der Gründung bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts (Vorträge und
Forschungen, Sonderbd. 13) Sigmaringen 1974, 150; Dobson, Recent Prosopographical
Research 189.
(46) Vgl. Jaritz, Konventualen 84 f., 296.
(47) S. unten.
( 48) V gl. allgernein K. Schreiner, ‚Versippung‘ nls sozinie Kategorie mittelalterlicher
Kirchen- und Klostergesci:Uchte. In: Bulst – Genet, Medieval Lives, bes. 170 f. und
die dort vermerkte Kritik des zisterziensischen Generalkapitels von 1275 nn Äbten, die
nur mehr Novizen „de gente et nntione aua“ aufnahmen (Canivez, Statutn III, 141).
Vgl. z. B. nuch K. Militzer, Kölner Bürgersöhne im Zisterzienserorden. Die soziale
Zusammensetzung rheinischer und polnischer Zisterzienserkonvente. In: Historisches
Jahrbuch der Görres-Gesellschaft 99 (1979) 161-195.
(49) Vgl. Anrn. 18; Jnritz, Konventualen 83.
(50) Im Rahmen der Untersuchung zisterziensischen Wnndermönchtuma ( vgl. Jaritz,
Cistercian Migrations 194) konnten in den Empfehlungsschreiben nla Begründungen
für Nichtaufnahme bzw. Weitersendung in etwa 10% der F älle die ‚Übervölkerung‘
der Klöster nachgewiesen werden, in weiteren 10% der Fälle Unruhen bzw. Streit
im Konvent. Das Moment des ‚Fremden‘ als Unruhestifter scheint gerade bei diesen
Begründungen eine wichtige Rolle zu spielen.
(51) Vgl die markanten ungarischen Beispiele bei Lekay, Medieval Cistercians 261 f.
(62) Vgl. dazu A. Weis, Die Wirren in der Abtei Victring zu Ende des 16.Jahrhunderts.
In: Cistercienser-Chronik 13 (1901) 106-111; 0. Baumann, Die Viktringer
Wirren 1481-1601. In: Cistercienser-Chronik 49 (1937) 161-169, 200-208, 227-235;
M. Roscher, Eine Rechtfertigungsschrift des Abtes von Viktring an das Cistercien-
176
ser Generalknpitel ( 1 489) (Archiv für vaterliindische Geschichte und Topographie 48)
Klogenfurt 1956.
(53) Vgl. W. Krollert, Die Bedeutung des Klosters Viktring für den Cistercienserorden
während des Mittelolters. In: Studien und Mitteilungen ous dem BenediktinerOrden
52 (1934) 109; M. Roscher, Geschichte der Cistercienserobtei Viktring. Phil.
Diss. Wien 1953, 280. Vgl. dazu auch Militzer, Kölner Bürgeraöhne, bes. 173.
(54) Vgl. Anm. 52.
(56) Vgl. F. Winter, Die Zisterzienser des nordöstlichen Deutschlonds 3. Gotha
1871 (Ndr. Aalen 1966) 98-109; G. Schlegel, Dos Zisterzienserkloster Dargun 1 1 72-
1552 (Studien zur kotholischen Bistwns- und Klostergeschichte 22) Leipzig 1980, 48;
Militzer, Kölner Bürgeraöhne; H. Gröger, Köhter Zisterzienser des 16.Jahrhunderto in
Schlesien. In: AnnoJen des historischen Vereins für den Niederrhein 􀇩.74 (1972) 31-
46; ders., Der Orden der Zisterzienser in Schlesien ( 1 715-1810). Ein Uberblick. In:
Jahrbuch der schlesischen Friedrich-Wilhelms- Universität zu Breslau 23 (1982) 111; H.
Chlopockn- W. Schielt, Die·Ausbreitung des Zister.zienserordens östlich von Eibe und
Saale. In: Die Zisterzienser 101 ff.
(56) Vgl. dozu bes. M. Pongerl (Beorb.), Urkundenbuch des ehemaligen Cistercienserstiftes
Goldenkron in Böhmen (Fontes Rerum Austriacarunt 2/XXXVII) Wien
1872, bes. 494-498 (n. CCXVIa und CCXVIb von 1460 VI 14), vor allem: „Sexto et
postremo de externis Renensibus sive aliis Theotunicis fratribus de novo recipiendis
etc. visum est domino abboti Altivadensi et domino Johanni de Coplicz proescriptis,
ut ipse dominus abbas Sonctae Coronoe hiis prout modo stantibus propter pluralitatem
frotrum praesentium a tali receptione exterorum fratrum abstinent, ne per novam
receptionem ipsunt monasterium, abbas et conventus graventur“ ( 497).
(57) Vgl. Jaritz, Konventualen 282 f.
(58) Vgl. allgemein Schreiner, ‚Versippung‘ 163-180; ders., Zisterziensisches Mönchtum
102 f.
(59) Vgl. Jaritz, Konventualen 72 f.
(60) Vgl. ebd., Schreiner, ‚Versippung‘ 170 f.; ders., Zisterziensisches Mönchtum
103.
(61) S. unten.
(62) Vgl. z.B. Jaritz, Konventualen, bes. 80, 292; Zeissberg, Geschichte Gaming
584-692.
(63) Vgl. z.B. G. Jaritz, Gesellenwonderung in Niederösterreich im 16. und 16.
Jahrhundert unter besonderer Berücksichtigung der Tullner “ Schuhknechte“ . In: lnternationoles
Handwerksgeschlchtliches Sysmposium Veszprem 20.-24.11.1978. Veszprem
1979, 53-58.
(64) Eine ähnliches Resultat ergab daher die Untersuchung des zisterziensischen
Wandermönchtums. Vgl. Jaritz, Cistercian Migrations 195 f.
(65) Vgl. z.B. Starzer, Kirchen- und Klostervisitation 163 f.; Th. Wiedemann,
Reformation und Gegenreformation im Londe unter der Enns. 6 Bde. Prag – Leipzig
1879- 1886, pauim (bei den Behandlungen der jeweiligen Klostervisitationen).
(66) Dies gilt vor allem für die Kornmunitäten in den östlichen Teilen der österreichlachen
Länder (vgl. Anm. 68). Für den Wcaten (Tirol, Vorarlberg) läßt sich das
Phänomen nicht so eklatant nachweisen. Vgl. z.B. (P. Lindner), Album Sternsense
1272-1898. Salzburg 1898, bes. 27-43; auch in Salzburg (vgl. Lindner, Professbuch St.
Peter; Meindl, Catalogus Reichersberg) ist dieser Wechsel nicht bzw. nicht so eklatant
festzustellen. Das nahe bayeriache Element etwa (vgl. Anm. 68) war ja dort bereits
vorher stark vertreten.
(67) Vgl. Jaritz, Konventualen 299.
177
(68) Vgl. 􀂱.B. Lashofcr, Profcßbuch Gött .. cig, bcs. 136-160 ( crstc Hnlftc 1 7.Jahrhundcrt:
Schwcrpunktc Baycrn, Schwabcn); A. Eilenstdn, Dic Bcnediktincrabtci Lambach
in Östcrrcich ob dcr Enns und ihre Mönchc. Lin􀂱 1936, 43-49 (Endc 16./crstc
Hälftc 17. Jahrhundcrt: Schwcrpunkt Bnycrn, Schwabcn); A. Kdlncr, Profcßbuch dcs
Stiftcs Krcmsmünstcr. Klagcnfurt 1968, bcs. 180-210 (Endc 16./crstc Hälftc 17. Jahrhundcrt:
Bajuwarisicrung, 1609 scchs Profcsscn aus Münchcn); Lindncr, Profcßbuch
Mondscc, bcs. 155-161 ( ‚Bajuwarisicrung‘ Ende 16. und erste Hälfte 17. Jahrhundert
(München und Landsberg!), 1624/1625 Profeß von 4 Landsbergern); F. Watzl. Die
Cistercienscr von Heiligenkreuz. Graz 1898, bes. 49-54; P. Tobner, Das CistercienserStift
Lilienfeld in Nieder-Oesterreich. Biographische Darstellung des Wirkens der Cistercienserrnönche
in dieser Babenbergerstiftung vom Jahre 1202 bis 1891. Wien 1891
(Ende 16. bis erste Hälfte 17. Jahrhundert: ‚Internationalisierung‘, Ende der zwanziger
Jahre bis in die vierziger Jahre des 17. Jahrhunderts Profeß von 􀂱ehn (!) Konventualen
aus Aachen); A. Erdinger, Geschichte des aufegehobenen Cisterzienser-Stiftes Säusenstein
in Niederösterreich, V.O.W.W. In: Blätter des Vereines für Landeskunde von
Niederöstcrreich NF XI (1877) 93 f. (erste Hälfte 17. Jahrhundert ‚Bajuwarisierung‘);
V. Schmidt, Die Hohenfurter Matrikel bis 1607. In: Cistercienser-Chronik 34 (1922),
bes. 54-59 (‚Internationalisierung‘ in der 􀂱weiten Hälfte des 16.Jahrhunderts); dcrs.,
Die Goldenkroner Matrikel bis 1624. In: ebd. 28 (1916), bcs. 168 ff. (Intcrnationnlisierung
in der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts, ‚Bajuwarisierung‘ im beginnenden
17.Jahrhundert); Wodka, Personalgeschichtliche Studien, bes. 179-193 (Schwerpunkt
Bayern);
(69) Vgl. z.B. K. Schellhaß, Der 􀇪ominikaner Felician Ninguarda und die Gcgenreforrnation
in Süddeutschland und Osterreich 1560-1583 (Bibliothek des preußischen
hiatorischen Instituts in Rom 17) Rom 1930, 152 f.; G. Hanika, Die Dominikaner in
Krems von der Gründung bis zur Aufhebung ihres Klosters. Phi!. Diss. Wien 1969,
69; F. Nothegger, Das religiöse und kulturelle Wirken der Franziskaner in Deutschtirol
vom 13. bis zum 17. Jahrhundert. In: Franziskanische Studien 64 (1972) 161 ff.:
lnnsbruckcr Kloster: 1664 Einzug italienischer Brüder, darauf Schwierigkeiten, 1574
‚Eindeutschung‘, Besetzung aus bayrischen Klöstern; U. An􀂱inger, Das Kloster der
Augustiner-Eremiten in Baden. Phil. Diss. Wien 1962, 67, 70 f.
178
WANDERUNGEN VON HANDWERKERN
ZWISCHEN HOHEM MITTELALTER
UND INDUSTRIALISIERUNG.
Ein Versuch zur Analyse der Einflußfaktoren
WILFRIED REININ GHAUS
VoRÜBERLEGUNGEN
Bei Analysen von sozialem Verhalten über einen langen Zeitraum darf
man in besonderem Maße erwarten, daß die Aussagen methodisch abgesichert
sind. Dies gilt auch für Aussagen 􀎨u Wanderungen zwischen hohem
Mittelalter und Industrialisierung, dem Gegenstand dieses Beitrags. Im
Rahmen dieses Buches, das Sozialgeschichte und soziologische Theorie am
Beispiel von Migration und horizontaler Mobilität miteinander konfrontiert,
erfordert selbst der hier angestellte Versuch, das Thema in Ansätzen
zu behandeln, ein Konzept, um Fragen an die Quellen zu richten, diese
zu ordnen und um verallgemeinerbare Schlüsse abzuleiten ( 1 ) . Im Vorfeld
der Untersuchung sind vier Problemkreise zu erörtern, Fragen der Periodisierung,
der zu behandelnden Personengruppen, des einzubeziehenden
Gebietes und der Quellen.
Zunächst einmal läßt sich der Untersuchungszeitraum nicht genau fixieren.
Wann das Wandern von Handwerkern entstand als Teil der beruflichen
und persönlichen Identitätsfinduns und wann es zum Habitus
wurde, ist nicht zu ermitteln (2). Um eine Formulierung von R. KoseHeck
aufzugreifen: die Quellen (in Archiven deutschsprachiger Länder) legen
ein Veto ein, wenn wir vor die Mitte des 14. Jahrhunderts zurückgehen
wollen (3). Es dürfte daher weiter bei mehr oder minder gut begründeten
Thesen in Kombination ökonomischer und anthropologischer Momente
bleiben (3a). Allerdings setzt das Gesellenwandern in der seit 1330/1350
nachweisbaren Form ein Netz von Städten voraus; insofern darf man das
Hochmittelalter mit der Ausbildung von Stadtlandschaften als terminus
a quo annehmen.
Die Frage, wann Migrationen dieses Typs aufhörten, verbindlich zu sein,
bringt uns in eine nicht geringere Verlegenheit. Mit dem Aufkommen
von Dampfmaschinen und Eisenbahnen änderte sich nicht zwangsläufig
und schlagartig die Migration einer Bevölkerungsgruppe, deren Mitglieder
individuelle Karrieren mindestens subjektiv nachhaltig vom Wandern
179
bestimmt sahen ( 4). Bevor die Gesetze industrieller Arbeitsmärkte dominierten,
darf ein so breiter Übergangszeitraum veranschlagt werden, daß
es nicht erstaunt, in wenig industrialisierten Regionen nach 1850 noch
traditionelles Wanderverhalten im Handwerk anzutreffen (5). Am Ende
des Beitrags soll diese Frage noch einmal aufgegriffen werden.
Nun wäre es bequem, den Zeitraum, der hier zur Diskussion steht, unter
einem Epochenbegriff zu subsumieren (6). Vor einem solchen Schritt ist
allerdings zu prüfen, welche quantitativen und qualitativen Auswirkungen
Erschütterungen des ‚alteuropäischen Zeitalters‘ auf Handwerksökonomie
und -Wanderungen nahmen, von spätmittelalterlicher Agrarkrise über Reformation,
Dreißigjährigem Krieg bis zur Ausbildung des ‚modernen Staates‘.
Die Frage, welche Personengruppen im Handwerk berücksichtigt werden
sollen, ist eng verknüpft mit der Definition von handwerklicher Wanderung/
Migration/horizontaler Mobilität (7). Weite und enge Fassungen
der Definition sind möglich. Die Entscheidung für eine weite Fassung ist
bestimmt durch die Überlegung, das Gesellenwandern, bisher dominant
behandelt, einzubetten in umfassende Untersuchungen zur Geschichte der
Gewerbe. Wanderung sei deshalb hier definiert als jegliche dauerhafte
oder zeitweilige Ortsveränderung, um den Beruf an einem anderen Ort
als dem (bisherigen) Wohnort auszuüben. Nicht berücksichtigt werden
Motive des Wanderns, die in einzelnen soziologischen Arbeiten einen wesentlichen
Rang einnehmen (8). Wanderungen von vier Personengruppen
können aufgrund dieser Definition einbezogen werden. Erstens ist bereits
der Antritt der Lehre in einem anderen als dem Heimatort des Lehrlings
Migration. Material zu Lehrlingswanderungen lag bis in die allerjüngste
Vergangenheit nicht vor; erst mit der Publikation von K. Wesoly
gibt es empirische Befunde, denen jedoch keine vergleichbaren Studien
gegenüberstehen (9). Deshalb bleibt die Gruppe der Lehrlinge außer Betracht.
Zweitens sind die Wanderungen der Gesellen einzubeziehen; da
für diese Gruppe das meiste Material veröffentlicht bzw. nachzuweisen
ist, befaßt sich der Beitrag schwerpunkthart mit ihnen. Drittens sind
Meister, d.h. ausgebildete, mit einer Vollstelle versehene Handwerker zu
behandeln. Es interessiert, in welchem Maße sie vor oder nach Erwerb der
Meisterschaft Wanderungen antraten. Bei einer vierten und letzten Personengruppe
ist der Grad der Qualifikation kein Unterscheidungsmerkmal.
Die temporären Wanderungen {10), bei denen Handwerker nach kürzerer
oder längerer Zeit wieder an ihren Wohnort zurückkehrten, vereinte
oft Lehrlinge, Gesellen und Meister. Es ist auch deshalb sinnvoll, diesen
Wandertyp einzubeziehen, weil von hier eine Brücke zu schlagen ist zu
180
Wanderungen von Nichthandwerkern ( 1 1 ) .
Die Begrenzung des Untersuchungsraumes ist nicht unproblematisch.
Eindeutige Kriterien werden sich nicht finden lassen, da sich in der behandelten
Zeit sowohl politische wie sprachliche Grenzen verschoben. Am
geläufigsten ist es, vom deutschsprachigen Raum auszugehen, also das
Kriterium der Sprache zugrundezulegen ( 12). Damit umgeht man die
Schwierigkeit, „gesamtdeutsches“ Handwerk wie etwa H . Proesler mit dem
Reich und der Gültigkeit seiner Gesetze gleichsetzen zu müssen ( 13). Entscheidet
man sich allerdings für Sprachgrenzen, so werden Wanderziele
in mehrsprachigen oder außerdeutschen Räumen zum Problem. Skandinavien
( 14), England (15), das Baltikum und Südosteuropa, aber auch
Städte mit deutschsprachigen Handwerkerkolonien in Italien ( 16) und
Frankreich ( 17), dürfen zu Zielen innerhalb des Erfahrungshorizonts von
Handwerkern, vor allem von Gesellen, gerechnet werden. Hier werden
nur solche Zielorte berücksichtigt, in denen es zur Bildung deutschsprachiger
Zünfte kam, und diese über eine längere Zeit in die Verfassung
ihrer Städte eingebunden waren. Dieses Kriterium erlaubt es, Wanderungen
z.B. nach Riga oder nach Siebenbürgen einzubeziehen (18), solche
nach Italien oder England auszuschließen. Die nördlichen Niederlande
bleiben wegen der engen sprachlichen und ökonomischen Bindungen mit
Nordwestdeutschland berücksichtigt ( 1 9). Nicht verhehlt werden soll, daß
mit den Wanderungen in Räume ohne deutschsprachige Zünfte möglicherweise
eine bedeutsame Größe ausgeschlossen wurde. Des weiteren ist
es an dieser Stelle nicht möglich, einen Vergleich der “ Wandersysteme“
im europäischen Vergleich zu ziehen. Es fällt auf, daß offenbar die Zahl
deutschsprachiger Auswanderer die der nicht-deutschsprachigen Einwanderer
bei weitem übertraf (20).
Gegen eine Betrachtung handwerklichen Wanderns über mehrere Jahrhunderte
läßt sich einwenden, daß zur Migrationsgeschichte keine langen
Reihen in sich konsistenter Daten zu bilden sind. Für die Zeit zwischen
1330/50 und 1800/50 sind nach derzeitigem Wissensstand keine Aufzeichnungen
bekannt, die die Zu- bzw. Abwanderungen an einem Ort und/oder
in einem Gewerbe geschlossen nachweisen. Migrationsgeschichte unterscheidet
sich also grundlegend von einer Geschichte der Preise oder des
Klimas. Selbst wenn kürzere Zeitspannen in den Blick genommen werden,
haftet den Zeugnissen aus dem Bereich einzelner Handwerke der
Charakter des Fragments an, Fragment in bezug auf die Gesamtheit aller
stattgefundenen Wanderungen. Die auf uns gekommene Überlieferung
entpuppt sich meistens als Produkt örtlicher Gegebenheiten bei Auflösung
der Zünfte zwischen 1800 und 1870 (21). Trotz der Lücken im nichtstaatli-
181
chen Schriftgut besteht jedoch kein Anlaß zur Resignation, denn in ausreichendem
Maße sind Ersatzaufschreibungen vorhanden, die Wanderungen
nachweisen. Für die Gruppe der Gesellen sind dem Verfasser bekannte
Quellen im Anhang aufgeführt. Aus diesem Material, etwa 100.000 Nennungen
von Gesellen in unterschiedlichen Orten und Berufen, lassen sich
Aussagen im Untersuchungszeitraum ableiten.
Aufgrund der Vorüberlegungen konzentriert sich der Beitrag auf Aussagen
zu zwei strategischen Variablen individueller Wanderungen:
1) Die Entfernung der Handwerker von dem in der Quelle genannten
Herkunftsort ( = Mindest-Wand er-Distanz) ;
2) die Richtung der Wanderung (22).
Beide Größen sind “ brauchbare und signifikante Indikatoren“, sie erfüllen
jene Anforderungen, die F. lrsigler unlängst für historische StadtLand-
Forschungen geltend machte: „Die Daten müssen quantifizierbar
und kartierbar sein, umfangreich und raumbezogen“ (23).
Beide Variablen sind abhängig von einem Bündel Faktoren, die nicht
voneinander zu trennen sind. Gleichwohl sollen der Analyse wegen einzelne
Faktoren isoliert betrachtet und soll dem Einfluß ihrer Veränderbarkeit
auf das Wandetverhalten nachgegangen werden. Im einzelnen sind
ökonomische, (kultur-)raumbezogene, religiöse und ‚politische‘ Faktoren
zu unterscheiden. Ihr Einfluß läßt sich im folgenden thesenartig formulieren:
1 ) Wanderungen dienten dem Ausgleich von Angebot und Nachfrage
auf dem Arbeitsmarkt. Die Nachfrage nach Arbeitskräften hing ab vom
Produktionsverfahren und Absatz der Produkte. Unter diesen Vorzeichen
beeinflußte die Branchenzugehörigkeit das Wandetverhalten von Handwerkern;
2) kulturräumliche Vorgaben, z.B. Sprache und Dialekte, wirkten auf
das Wanderverhalten von Handwerkern ein;
3) im nachreformatorischen Zeitalter beeinflußte die Zugehörigkeit zu
unterschiedlichen Konfessionen die Wanderrichtung;
4 ) obrigkeitliche Maßnahmen der Städte, Stadtbünde, Territorialstaaten,
versuchten, das Wanderverhalten zu steuern.
Der Einfluß dieser Faktoren sei vor allem anhand der Gesellenwanderungen
beschrieben; die Behandlung der Meister bzw. der temporären Wanderer
wird eingegrenzt auf den Nachweis von Wanderungsdistanz bzw. auf
eine Typologie.
182
1. DAS GESELLENWANDERN
Als eine im 14. Jahrhundert noch wenig von außen beeinflußte Erscheinung
wird das Gesellenwandern in den letzten Jahrzehnten des 15. Jahrhunderts
und im 16. Jahrhundert von Zünften und Gesellenvereinigungen
institutionalisiert. Herbergen entstehe􀎦, das Wandern wird zur Pflicht
(24). Den Nachweis über mehrere Wanderjahre für den Erwerb einer Meisterstelle
kann man als Indiz für eine Ausdehnung der Zahl wandernder
Gesellen deuten. Allerdings fehlt es noch an jedem Versuch, das gesamte
Wandervolumen im vorindustriellen Handwerk quantitativ zu bestimmen.
a) Branchenspezifische Einflüsse
Bauhandwerke: Einschneidende Folge für das Wanderverhalten hatte
tendenziell die Auflösung der Hiittenorganisation. Die Territorialisierung
der Laden im 16./17. Jahrhundert minderte die Wanderbereitschaft der
Steinmetz- und Maurergesellen (25 ). Mit der Erlaubnis zu .heiraten wurden
viele von ihnen seßhaft. Der Zuzug konzentrierte sich aus dem Nahbereich.
Charakteristisch für das 18. und für das 19. Jahrhundert ist die
Unterscheidung zwischen den einheimisch.en, verheirateten Gesellen und
den wandernden Fremden im Maurerberuf (26). Unter den Zimmergesellen
finden sich dagegen kaum Anzeichen für eine Einschränkung des
Wanderns. In ostdeutschen und fränkischen Städten zählen sie zu den
Fernwanderern, die auch in einem kleinen Ort wie Groß-Gerau zu finden
sind (27).
Bekleidungshandwerke, Lederverarbeitung: Über den ganzen deutschsprachigen
Raum verteilt weisen die einzelnen Zuwanderungsprofile bei
Schuhmachergesellen Gemeinsamkeiten auf. Eine relativ große Gruppe
stammt aus nahegelegenen Dörfern und Städten, eine bedeutende Minderheit
von Fernwanderern ist daneben zu registrieren. Im Vergleich zwischen
Tulln/Niederösterreich und Lippstadt/Westfalen zeigt sich, daß der
Radius um die westfälische Stadt erheblich kleiner ausfällt: weniger als
10% sind mehr als 100 km gewandert. In Tulln machte allein der Anteil
der Gesellen aus Schlesien über 22% aus (28). Beim Vergleich der Herkunftsorte
von Schustergesellen in Stuttgart und Augsburg in den 1720er
Jahren erweist sich, daß dort die Württemberger dominierten, hier die
Fernwanderer stärker hervortraten (29).
Wie die Schuhmacher zählen auch die Schneidergesellen zu den mobileren
Gesellengruppen schon im späteren Mittelalter. Stellt man die
Liste der zugewanderten Schneidergesellen in München um 1600 denen
183
aus Hannover und Bremen im 18. Jahrhundert gegenüber, so zeigen sich
regionale Unterschiede. In München fanden Gesellen aus dem Raum zwischen
Schlesien und der Schweiz zusammen, in den norddeutschen Städten
trafen vor allem Gesellen des niederdeutschen Raumes aufeinander (30) .
Das Kürschnerhandwerk prägten seit dem frühen 15. Jahrhundert Fernwanderungen.
Vor allem sächsische und schlesische Gesellen wanderten
über Jahrhunderte hinweg nach Oberdeutschland (31). Ein differenziertes
Bild erhalten wir bei den Gerbergesellen. Verzeichnisse aus Basel und
Straßburg zwischen 1400 und 1600 lassen darauf schließen, daß bei Konstanz
des Nah- und Mittelbereichs im 16. Jahrhundert die Fernwanderungen
zunahmen. Das Einschreibbuch der Coburger Rotgerbergesellen um
1700 hält dagegen vor allem Zuwanderer aus dem benachbarten Franken,
Sachsen und Thüringen fest; ausgesprochene Fernwanderer fehlten (32).
Nahrungsmittelhandwerke: Die Fleischergesellen sind kaum mobil gewesen.
Sie trennten sich nicht als separate Gruppe von den Zünften ab
(33). Anders die Bäcker- und Müllergesellen, bei denen nicht genau zu
unterscheiden ist, ob es sich um seßhafte Lohnarbeiter oder wandernde Gesellen
handelte. Im Register der Basler Müllergesellen um 1500 vermißt
man Gesellen außerhalb des alemannischen Sprachraumes (34).
Metallhandwerk: Bereits im 15./16. Jahrhundert war die Mobilität der
Gesellen in den metallverarbeitenden Berufen sehr hoch, wie die Verzeichnisse
aus Basel, Frankfurt und Andernach zeigen. In Basel lag der Anteil
der Gesellen, die mehr als 150 km zurückgelegt hatten, bei über 50%, in
Frankfurt bei 57% (35). Für die Wanderungen der Metallhandwerker war
die Ausdifferenzierung spezialisierter Berufe im 15./16. Jahrhundert bedeutsam.
Sie etablierten sich als „geschenkte“ Handwerker, in denen ein
überörtlicher Zusammenhang entstand, der das Wandern zur Voraussetzung
hatte (36). In München, Nürnberg, Frankfurt oder Graz war daher
der Einzugsbereich der einzelnen Berufe entsprechend groß. In Riga trat
während des 18. Jahrhunderts die Zuwanderung aus Sachsen-Thüringen
zurück zugunsten der Zuwanderung aus dem Ostseeraum (37).
Sprachgrenzen überschritten die Zinngießer und Goldschmiede bei ihren
Wanderungen (38). In einzelnen Metallhandwerken des niederdeutschen
Raumes wirkte sich die Trennung aus zwischen Seestädtern und Oberländern.
In Braunschweig, Osnabrück, Preußen und in den Hansestädten galt
dieser Unterschied, ohne daß genaueres über Entstehung und Herkunft des
Begriffs „Oberländer“ bekannt ist (39).
Textilhandwerke: Die Wanderbilanz zeigt kein einheitliches Bild. Einerseits
waren die Webergesellen schon in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts
längs des Rheins mobil; andererseits förderte die Kapitalkonzentra-
184
tion in den Textilgewerben schon im Spätmittelalter das Entstehen einer
verheirateten Lohnarbeiterschaft, die nicht wanderte (40). Dieser Trend
setzte sich in der frühen Neuzeit fort. So dominierten bei den Augsburger
Baumwollwebern und den Chemnitzer Strumpfwirkern Nahwanderer
(41). Wir kennen aber auch Gegenbeispiele; so wollten Gesellen entfernter
Gebiete im 17./ 18. Jahrhundert die hochentwickelten holländischen Textilgewerbe
kennenlernen. Spezialisten wie Färber und Hutmacher zogen
quer durch Mittel- und Nordeuropa, um sich technisch zu vervollkommnen
( 42).
Holzverarbeitende Handwerke: Die Schreiner bzw. Tischler sind in
zahlreichen Quellen des 18. Jahrhunderts als weitgereiste Handwerker
erkennbar. Regionale Unterschiede in den Einzugsgebieten sind auch hier
festzustellen. In Frankfurt trafen sich Gesellen aus dem ganzen Reich mit
Ausnahme des Nordwestens, während in Harnburg und Bremen nord- und
mitteldeutsche Gesellen ein Übergewicht besaßen ( 43).
Papierverarbeitende Handwerke: Die Einschreibbücher der Buchbindergesellen
des 17. bis 19. Jahrhunderts sind in großer Zahl a.uf uns gekommen.
Für diesen Beruf, der nur in bedeutenderen Orten vorkam, war die
Fernwanderung selbstverständlich. Durchgängig ist ein mittlerer Entfernungsbereich
gut vertreten, während Zuwanderer aus der allernächsten
Umgebung fehlen (44). Für Buchdrucker liegt kein vergleichbares Quellenmaterial
vor. Aus Einzelbeispielen – nicht nur aus der ersten NachGutenberg-
Zeit – wissen wir, daß Fernwanderungen wie bei den Buchbindern
üblich waren (45).
Das Wanderverhalten der einzelnen Berufe läßt sich auf einer Präferenzskala
zusammenfassen. An dem einen Ende, mit hoher Bereitschaft
zu wandern, sind Tischler, Buchbinder, einzelne Metallhandwerke und
Kürschner angesiedelt, am anderen Ende finden wir Fleischer und im 18.
Jahrhundert Maurer und einzelne Textilhandwerke. Die beiden letzteren
Beispiele zeigen, daß die Wanderbereitschaft im Zeitablauf sich verändern
konnte.
Je nach Beruf variierte das Verhältnis zwischen Nah- und Fernwanderern.
Handwerke, die für entfernte Absatzmärkte produzierten, förderten
die Fernwanderung, z.B. die Kürschner und spezialisierte Metallhandwerke.
Gewerbe, die für den Verbrauch am Ort zuständig waren, zogen
eher Arbeitskräfte aus der näheren Umgebung an (Schuhmacher).
Für Fernwanderer waren dabei die Großstädte attraktiver als kleinere
Orte. Aus einem Einzelfall (Hildesheim) wissen wir, daß ein mittlerer Ort
bewußt gemieden wurde zugunsten prosperierender Nachbarstädte (46).
185
b) Raumbezogene Faktoren
Bei der Zuwanderung im Handwerk des deutschsprachigen Raums spielen
regionale Momente eine wichtige Rolle. Systematisch ist dieser Aspekt
bisher kaum behandelt worden, weil Untersuchungen zu einzelnen Orten
vorherrschten und die Ergebnisse dieser Untersuchungen nicht aufeinander
bezogen worden sind. Lediglich ein Theorem fand allgemeine Verbreitung:
der deutschsprachige Raum sei aufgeteilt gewesen in zwei Wanderzonen,
in einen nieder- und in einen oberdeutschen Bereich. Dieser Befund H .
Ammanns für das spätmittelalterliche Deutschland wurde ergänzt durch
Befunde aus Oberdeutschland und durch Untersuchungen zur Wanderung
aus Nordwestdeutschland in den Ostseeraum ( 47).
Zur weiteren Differenzierung der räumlichen Faktoren erscheint es
zweckmäßig, die Regionen genauer voneinander abzutrennen. Zu unterscheiden
sind etwa folgende Großräume: Hoch- und Oberrhein/Schwaben,
Bayern, Franken, Österreich, Böhmen, Sachsen/Thüringen, Schlesien,
Mecklenburg/Brandenburg, Nordostdeutschland, Niedersachsen/Hansestädte,
Westfalen, Hessen, Mittelrhein. Setzt man sämtliche Großräume
zueinander in Beziehung, sofern Quellen dafür vorliegen, so ist in der Regel
eine erhebliche Abwanderung in den jeweils benachbarten Großraum
festzustellen. Z.B. zogen vom zentral gele􀎧enen Sachsen Gesellen in alle
umliegenden Regionen, von Schlesien nach Osterreich, von Westfalen nach
Niedersachsen usw. Zwei Abweichungen von dieser Regel sind zu bemerken:
von Westfalen wanderten kaum Gesellen in das Rhein-Main-Gebiet,
sie fehlen in Frankfurt bis in das 18. Jahrhundert hinein fast vollständig.
Umgekehrt fanden selten Gesellen aus diesem Gebiet nach Westfalen ( 48).
Das gleiche galt im 15./16. Jahrhundert für das heutige Nordhessen. Bis
zum Ende des Alten Reiches hinein blieb die Landgrafschaft Hessen in
der Zunftpolitik auf nord- und mitteldeutsche Territorien ausgerichtet,
wenngleich nach 1700 die Gesellen zwischen Frankfurt einerseits, Marburg/
Kassel andererseits Kontakte pflegten ( 49). Festzuhalten ist, daß
bis in das 18. Jahrhundert hinein eine Linie zwischen Köln und Kassel
unter Umgehung des Siegerlandes die Grenze des Nahaustausches markierte
(50).
Untersucht man Fernwanderungen in den übernächsten Großraum, wird
diese Grenze noch deutlicher erkennbar. Bis 1800 und darüber hinaus
sind Gesellen aus dem Raum innerhalb des Dreiecks Köln-Emden-Stettin
nur selten in Oberdeutschland z.u finden, während zwischen entfernten
Gebieten, dem späteren Westpreußen und der Schweiz, zwischen Schlesien
und Bayern, Sachsen und Siebenbürgen bereits im 15. Jahrhundert,
186
wenn nicht früher, ein Austausch von wandernden Handwerkern stattfand
(51). Im 18. J ahrhundert erscheint Westfalen selbst in der norddeutschen
Tiefebene weiter isoliert, denn nur noch vereinzelt wanderten Gesellen
von hier aus nach Danzig, Riga, Bremen oder Hamburg. Der größere
Teil Westfalens richtete sich auf die Niederlande aus, die die Hansestädte
als Zielort der Wanderungen (und der Arbeitsplatzsuche) ersetzten (52).
Umgekehrt finden wir nur wenige Gesellen aus oberdeutschen Regionen
in Westfalen, wenn man von den Bauhandwerkern absieht {53). Gesellen
aus Brandenburg-Preußen und Sachsen sind hingegen im 18. Jahrhundert
im westlichen und nördlichen Deutschland anzutreffen (54).
Feste Routen kennzeichneten die Wanderungen in Oberdeutschland, die
sich in das östliche Mitteleuropa und weiter nach Nordosten und Norden
öffnen konnten. Schlesien war Ziel von Wanderungen sowohl aus Süd- als
auch aus Norddeutschland. Die Städte längs der Ostsee zwischen Danzig
und Riga standen allen offen, dabei blieb Lübeck das Haupteinfallstor
für Wanderungen in die baltischen Städte. Grenzen kulturräumlicher Art
behinderten Wanderungen in diesem Gebiet nicht (55).
Zusammenfassend ist es erlaubt, die These von der Zweiteilung Deutschlands
in je unterschiedliche Wanderregionen zu revidieren. Die scharfe
Grenze zwischen Köln und Kassel fand weiter östlich keine Fortsetzung,
vielmehr scheint der mitteldeutsche Bereich ein Knotenpunkt gewesen zu
sein. Die angebliche Zweiteilung reduziert sich letztlich auf eine Sonderrolle
Westfalens und des westlichen Niedersachsens in heutigen Grenzen.
c) Konfessionelle Faktoren
Die regionalen Besonderheiten des Wanderns wurden nach der Reformation
zum Teil abgeschwächt, zum Teil verstärkt. So mußte Würzburg
als katholische Stadt auf die Zuwanderer aus den protestantisch gewordenen
nördlich gelegenen thüringischen Territorien verzichten, während in
den Ostseestädten die Zuwanderung von Altgläubigen abebbte (56). Allgemein
ist zu beobachten, daß das handwerkliche Wandern sich nach Konfessionen
ausrichtete. Die Arbeitsaufnahme von Protestanten in katholischen
Städten und umgekehrt wurde erschwert, Seispiele belegen dies: wir
erfahren aus Luzern und aus Tirol, daß die landesherrliche Obrigkeit nur
noch Wanderungen in altgläubige Gebiete zuließ, während in Kassel und
Berlin katholische Gesellen in der Mitte des 18. Jahrhunderts fehlten. Der
Gegensatz zwischen reformierten und lutherischen Gebieten trat noch verschärfend
hinzu (57). Insofern der Gegensatz der Konfessionen auch ein
Nord-Süd-Gegensatz war, wurden regionale Besonderheiten fortgeschrieben.
Wahrzunehmen sind aber auch gegenläufige Tendenzen: so finden
187
wir in Bremen im 18. Jahrhundert als einzige Gesellen des südwestdeutschen
Raumes solche aus dem protestantischen Pfalz-Zweibrücken (58).
In die Zeit um 1700 fällt die Orientierung der Bauhandwerker aus dem
tirolerischen Außerfern in die katholischen Regionen Westfalens, also in
geistliche Territorien, während zur gleichen Zeit aus eben diesen Gebieten
Gesellen in beachtenswerter Zahl nach Wien und in andere Österreichische
Städte ziehen (59).
Hinweise auf konfessionsgebundene Wanderungen sind jedoch nicht beliebig
zu verallgemeinern. Einmal dürfte die konfessionelle Ausrichtung
bei der Wahl der Wanderziele gegen 1800 abgenommen haben, zum anderen
galten bei Nahwanderungen andere Regeln, wie das Zuwanderungsprofil
der Schuhmachergesellen in Lippstadt im 17./18. Jahrhundert zeigt.
Gerade die katholischen Orte aus dem Herzogtum Westfalen und den
Bistümern Paderborn und Münster stellten einen hohen Anteil an der
Gesamtzahl zuwandernder Gesellen. Für sie war das protestantische Lippstadt
zentraler Ort und erste Station der Wanderung (60).
d) Obrigkeitliche Einwirkung
Obwohl Kontrollen des Zu- und Abzugs von Handwerkern eher langfristig
Wauderrichtungen veränderten, fehlte es nicht an frühen Versuchen,
das Gesellenwandern zu lenken. Das älteste Bündel von Maßnahmen
gegen das Wandern dürften N ürnberger Satzungen des 14. Jahrhunderts
über gesperrte Handwerke gewesen sein. Nicht zufällig sind ausschließlich
Metallhandwerker darunter zu finden, denn fortgeschrittene
Verarbeitungstechniken sollten nicht außerhalb Nürnbergs bekannt werden
(61). Im ganzen Reich wandten einzelne Metallgewerbe diese Maßregeln
bis in das 18. Jahrhundert an, um Produktionsgeheimnisse zu
schützen. Allerdings wäre es verfehlt, wie F. Fischer allgemein davon zu
sprechen, daß in diesen Gewerbezweigen „die Ablehnung des Wanderns
eine allgemein zünftische Erscheinung war“ (62).
Wanderhemmend wirkten indirekt die Territorialstaaten im Kampf gegen
aufständische Gesellen, denen ein vorzeitiges Verlassen des Arbeitsplatzes
erschwert werden sollte. Die 1731 reichsweit eingeführte Kundschaft
geht mit ihren Vorformen bis in das 16. Jahrhundert zurück (63).
Hat die Einführung der Kundschaft Wauderfrequenz und -volumen beeinßußt?
Theoretisch hätten die Attestate wanderneutral sein können. Aber
Widerstand der Gesellen in Form des Abwanderns aus dem Reich zum
einen, das Anwerben von Arbeitskräften aus kundschaftsfreien Gebieten
zum anderen lassen sich als Reaktion auf die Einführung der Kundschaft
deuten (64). Drastischer noch griffen im Laufe des 18. Jahrhunderts
188
die Verbote ein, außerhalb des Laudes zu wandern. Preußen stellte diese
Norm erstmals 1738 auf, Österreich 1770, jeweils mit Blick -􀆹uf Werbung
und Rekrutierung des Heeres und aus merkantilistischen Uberlegungen
(65). Ein Einzelzeugnis läßt vermuten, daß gegen Ende des Jahrhunderts
und verstärkt zur Zeit der napoleonischen Kriege die \Vanderung
ins „Ausland“ schwieriger wurde (66). Mit H. Bräuer können seit diesem
Zeitraum zwei Formen der Wanderung unterschieden werden, die
inländische, auf das heimische Territorium beschränkte Tour und die (beargwöhnte)
Reise im Ausland (67). Indirekt waren weitere wirtschaftspolitische
Maßnahmen der Landesherren gegen das Wandern gerichtet. Mit
der Dispens vom Wandern, einem gegen Zunftmonopole gerichteten Instrument,
wurde eingeräumt, sich vom Wandern freizukaufen. Ungeklärt
ist allerdings, wieviele Gesellen davon Gebrauch machten. Während sächsischen
Webergesellen die Dispens nach 1798 offenbar anstandslos erteilt
wurde, gingen im frühen 19. Jahrhundert Flensburger Schuhmachergesellen
auf dieses Angebot überhaupt nicht ein. Nicht wandern zu müssen,
war generell für Meistersöhne attraktiv, wie A. Du bler fiir Luzern nachwies
(68).
11. DIE HERKUNFT DER HANDWERKSMEISTER
Mit der Frage des Gesellenwanderns ist die Frage nach der Herkunft der
Handwerksmeister eng verknüpft, wie eine AufschlüsseJung der dauernd
an einem Ort ansässigen Meister zeigt. Je nach Herkunft rekrutierte sich
die Meisterschaft aus drei Gruppen:
1. am Ort geborene und dort verbliebene bzw. dorthin zurückgekehrte
Handwerker;
2. zugewanderte Gesellen;
3. zugewanderte Meister.
In welchem Ausmaß sich die Handwerkerschaft als Stand abschloß,
d.h. die erste Gruppe dominierte, ist ein Kernproblem der Handwerksgeschichte
der vorindustriellen Zeit. Die Aufnahme in die örtliche Meisterschaft
berührt das Selbstverständnis der Zünfte, provoziert die Frage
nach ihrer Wandelbarkeit oder Erstarrung. Jüngst veröffentlichte Studien
zeigen, wie stark die Entwicklungen einzelner Regionen voneinander abwichen.
Am Oberrhein kulminierten die Vorkehrungen, die Zahl der Meister
pro Ort zu begrenzen und damit Gesellen die Niederlassungen zu erschweren,
am Ende des 16. Jahrhunderts. Im südlichen Niedersachsen hingegen
erleichterten seit Ende des 17. Jahrhunderts obrigkeitliche Eingriffe den
189
Zugang zur Meisterschaft. Um 1800 konnten dort Gesellen, die sich ansiedeln
wollten, eine Meisterstelle erwerben, wenn sie keine Präferenz für
einen bestimmten Ort zeigten (69). Die Zulassung oder der Ausschluß
fremder Gesellen oder Meister nahmen Einfluß auf das Wemdervolumen
im Handwerk. Je mehr einzelne örtliche Gewerbe Fremde benachteiligten
oder gar ausschlossen, desto länger dauerte tendenziell die Wanderung
der Gesellen bzw. desto eher wurden M eister vom Fortzug in eine andere
Stadt abgehallen und desto stärker wurde die Neigung der Meistersöhne,
die Erbstelle zu übernehmen (70).
Indikator für die Entwicklungen ist die Herkunft der Meister. Untersuchungen
hierzu sind allerdings sehr selten. Das verwundert kaum, denn
nur Totalerhebungen zur städtischen Handwerker- oder Einwohnerschaft
führen zu gesicherten Aussagen. Die immer noch umfassendste Studie
widmete O.K. Roller der Stadt Durlach im 18. Jahrhundert {71). Seine
Ergebnisse seien kurz referiert: 626 der 1 260 llandwerksmeister, die im 18.
Jahrhundert in Durlach lebten, stammten aus rler Stadt selbst, 1 19 aus
dem Territorium Baden-Durlach, 85 aus dem nahen W iirttemberg. Die
Herkunft von 2 1 % ließ sich nicht ermiLteln, mindestens 29,4 %, höchstens
50,3 % aller Meister stammten nicht aus Durlach. Unter 1290 abwandernden
Personen fanden sich 17,7 % H andwerker, die meisten verließen
nach ein bis drei Jahren Aufenthalt die Stadt. Für einzelne Berufe liegt
die Quote der nach der Wanderschaft an den Geburtsort zurückkehrenden
Handwerker vor: bei Metzgern waren es 59 von 65, bei Schuhmachern 84
von 93, bei Schneidern 42 von 53, bei Sattlern 10 von 1 3 , bei Zimmerleuten
22 von 29, bei Küfern 60 von 73. Roller schloß daraus, daß trotz
einer nicht zu unterschätzenden Mobilität drei V iertel der Meister bis zum
Tode in Durlach blieben.
Nur mit einiger Vorsicht kann man allgemeine Folgerungen aus den
wenigen regionalen und örtlichen Studien ziehen. Man darf sich wohl
der Ansicht K.H. Kaufholds anschließen, der (für Hildesheim) feststellte,
daß „von einem Monopol“ der Meistersöhne und Einhei ratenden „beim
Zugang zur Meisterschaft nicht gesprochen werden kann“. Ihnen sicherten
günstigere rechtliche und ökonomische Bedingungen zwar einen besseren
Start, „doch blieb daneben ein (wenn auch teilweise schmaler) Raum
für den Zugang anderer Bewerber“ {72). Regionale und gewerbespezifische
Unterschiede werden auch hier zu beachten sein. Das Beispiel der
Dresdner Fleischerinnung zeigt, daß zwischen 1650 und 1800 die Relation
zwischen Einheimischen und Fremden zwischen 59,6 zu 40,4 und 88,5
zu 1 1, 5 im Schnitt für einzelne Jahrzehnte differierte. Vier Fünftel aller
neuen Meister stammten aus F leischerfamilien, 96 % aus Sachsen und
190
nur 4 % aus dem „Ausland“ (73). Völlig anders war die Situation im
Baltikum, das wegen seiner Randlage auf den Zuzug von Handwerkern
aus Nord- und Mitteldeutschland angewiesen war. Die von 0. Pönicke
beschriebenen Wanderungen der Fleischhauer aus Mühlhausen nach Reval
im 1 7 . / 1 8 . Jahrhundert (74) verweisen schon auf einen anderen Typus
von Wanderungen in der Früheren Ne11zeit jenseits zünftiger Normen: das
An- und Abwerben von Handwerkern, um gezielt einzelne Gewerbe in einem
Ort oder einer Region zu fördern. Spielarten dieser Wanderungen
kannte schon das Mittelalter, z.B. die Einwanderung flandrischer Weber
nach Deutschland. Vor allem jedoch seit dem 1 6 . Jahrhundert war die
Anwerbung fremder Handwerker ein Mittel landesherrlicher Politiker (75) .
Mit der Anlage von Manufakturen entstand ein Bedarf an qualifizierten
Fachkräften. Je besser die Ausbildung einzelner Handwerker war, umso
größer war die Nachfrage nach ihnen, die Grenzen zwischen Handwerk
und Manufaktur verschwammen (76) .
l l i . TEMPORÄRE UND SAISONWANDERUN GEN VON HANDWERKERN
Die historische Demographie Frankreichs hat das Phänomen der zeitlich
begrenzten Wanderungen aufgegriffen, bei denen der Heimatort nicht aufgegeben
wurde. Entscheidendes Kriterium für eine Klassifikation der vielfältigen
Formen ist die Dauer des Fernbleibens vom Heimatort bzw. die
Dauer des Verbleibens an dem Ort oder den Orten, in denen Arbeiten
ausgeführt wurden (77) .
Einige Beispiele aus dem frühneuzeitlichen Handwerk mögen die Vielfalt
der Phänomene belegen. So ist der Eintag es-Pendler bekannt, der
Aufträge außerhalb seines Wohnortes a11sfiihrte. Bauhandwerker kehrten
z.B. allabendlich an ihren ländlichen Wohnort zurück, nachdem sie die Arbeit
in der Stadt ausgeführt hatten (78). Auch der von Landhandwerkern,
etwa Landtischlern nördlich von Osnabriick, abgedeckte Absatzradius von
10 bis 1 5 km erforderte ein Verlassen des Wohnorts (79). Zimmerleute
bildeten Bautrupps, die oft mehrere Tage und Wochen unterwegs waren,
wie J . Naumann für das Wittgensteiner Land nachwies (80). Der Zug der
schon mehrfach angesprochenen Bauhandwerker aus dem Außerfern nach
Norden fällt in die Kategorie des jahreszeitlich bedingten Wanderns von
Frühjahr bis Herbst ( 8 1 ) . Er ist dem Hollandgang in Nordwestdeutschland
(82) weitaus ähnlicher als dem Gesellenwandern, denn obwohl auch dieses
saisonalen Schwankungen unterlag, war es nicht an fixe Zeiten gebunden
(83).
1 9 1
IV. ZUSAMMENFASSUNG
Zwar sind viele einzelne Charakteristika des handwerklichen Wanderns
zwischen 1330/50 und 1800/50 herauszuarbeiten, dennoch kann in der Zusammenfassung
keine Gesamtbilanz fiir diese Zeit gegeben werden. Eine
zentrale Größe wie das Waudervolumen im Handwerk des deutschsprachigen
Raumes zu errechnen, ist weder für den Anfang noch fiir das Ende
dieser Zeitspanne möglich (84). Zu viele Fragen müssen bei derzeitigem
Stand der Forschung offen bleiben: steht einer verminderten Mobilität der
Meister und Meistersöhne in der Frühen Neuzeit ein wachsender Zustrom
nichtetablierter Gesellen gegenüber? Wird eine kürzere Wauderdauer der
Meistersöhne durch eine längere Arbeitsplatzsuche der übrigen, weniger
bevorteilten GeseHen überkompensiert, steigt also die durchschnittliche
Wanderdauer? Absorbierten das Landhand werk und die protoindustriellen
Gewerbe so viele Arbeitskräfte, daß das Bevölkerungswachstum des 18.
Jahrhunderts sich nicht merklich auf das Wandervolumen durchschlug?
(85) Inwieweit vermischte sich das traditionelle Gesellenwandern mit anderen
Formen der Mobilität von abhängig Beschäftigten?
Sicher ist, daß die Handwerker alles andere als immobil waren und daß
nicht erst die Industrialisierung Binnenwanderungen einer großen Zahl von
Arbeitskräften auslöste. Diese Binsenweisheit aus Sicht der Historiker vorindustrieller
Gesellschaften sollte zu einer schärferen Differenzierung der
Wanderungen im lndustrialisierungsprozeß führen (86). Zu prüfen wäre
etwa, ab wann Wanderungen zu Arbeitsplätzen bzw. Formen der Immobilität
quantitativ und qualitativ so bedeutsam wurden, daß Wanderungen
des hier behandelten vorindustriellen Typs zu marginalen Erscheinungen
wurden.
Ist eine Bestimmung der Gesamtmenge der Wandernden augenblicklich
nicht möglich, so können doch einige gesicherte Aussagen über die Wauderrichtungen
in vorindustrieller Zeit getroffen werden. Schon im Spätmittelalter
war die Wahl des Wauderziels für die Mehrzahl nicht mehr frei.
Kulturelle Faktoren, z.B. die Sprache, beeinflußten diese Wahl ebenso wie
die aUgemeine ökonomische Ausrichtung des Abwanderungsgebietes und
die Struktur des einzelnen Gewerbes. Grenzlinien des Austausches von
Gesellen können dadurch ebenso geklärt werden wie branchenspezifische
Mobilität. Nach der Reformation wuchs die Zahl der Einflußfaktoren auf
das Gesellenwandern. Z.T . wurde die Wanderrichtung im späten 16. und
17. Jahrhundert abhängig von der Konfession des Abwanderungsgbietes.
Ferner versuchten die Territorialstaaten, die Wauderströme in ihrem Sinne
zu lenken, ohne daß sie vor 1800 durchschlagenden Erfolg gehabt hätten.
192
Die Versuche, das Wandern vou außen zu regulieren, veränderten, mit aller
Vorsicht sei dies behauptet, kaum grundsätzlich das Zuwanderungsprofil
einzelner Regionen und Städte. Routen und Routenvariationen waren fest
eingeprägt und nicht einfach zu verändern.
Unter diesem Aspekt scheint der gesamte Zeitraum zwischen 1330/50
und 1 800/50 durch Stabilität im Wauderungsverhalten gekennzeichnet gewesen
zu sem.
ANHANG: QUELLEN ZU GESELLENWANDERUNGEN
VOM 1 4 . BIS 1 9 . J A HRHUNDERT
Um Thesen über Veränderungen des Gesellenwanderns im Untersuchungszeitraum
aufstellen zu können, war es notwendig, eine möglichst große
Zahl von Daten zusammenzutragen. Bei Erhebungen und Sichtung des
Materials stellten sich unmittelbar Fragen nach der Vergleichbarkeit der
einzelnen Quellen und nach ihrer Auswertung bzw. der Überprüfbarkeil
der Auswertung. R.S. Elkar hat mit Recht den “ Wunsch nach homogener
Quellenstruktur“ gerade „auch bei stärkerer geographischer Ausweitung“
der Analysen vorgetragen (87). Die Elkars Forderung entsprechende, aussagenintensivste
Quellengruppe, die Einschreibebücher, darf jedoch nicht
die einzige für die interregional vergleichende Forschung bleiben. Ansonsten
müßten ganze Regionen ausgeklammert werden. Weitere Quellengruppen
sind heranzuziehen und auf ihren Aussagewert für handwerkliche
Migration zu überprüfen. Folgende Hauptgruppen kommen hierfür in
Frage:
(I) Streiklisten;
(II) städtische Aufzeichnungen, um Gesellen zu erfassen:
a) zeitpunktbezogene (Steuer- o.ä. Listen)
b) fortlaufend geführte Listen (Torbiicher, Hospitallisten o.ä.)
(JII) Einschreibebücher der Gesellenvereinigungen oder Zünfte
(IV) ereignisbezogene Überlieferungen, die nicht die Gesamtheit der
Gesellen eines Ortes und/oder eines Gewerbes erfassen, z . B . Eintragungen
in Gerichtsakten.
Nach der statistischen Methodenlehre können wir unterscheiden zwischen
Bestandsmassen (I, Ila), Bewegungsmassen (IIb, III) und Stichproben
aus der Grundgesamtheit aller Gesellen (rV). Auf Einzelzeugnisse
wurde verzichtet; für das 19. Jahrhundert können Sammlungen von Wan-
193
derbüchern mit großem Gewinn zur Analyse von Migration herangezogen
werden, für frühere Jahrhunderte stehen Attestate meistens isoliert (88).
In regional- und handwerksgeschichtlichen sowie genealogischen Arbeiten
sind zahlreiche Texte veröffentlicht, ausgewertet und nachgewiesen
worden. Stärker als Unterschiede in den Quellengattungen beeinträchtigen
abweichende Verfahren bei der Auswertung die Vergleichbarkeit einzelner
Quellen. Deshalb ist es geboten, stets die Form der Präsentation
von Quellen bei vergleichenden Untersuchungen zum Gesellenwandern
(und anderen Ausprägungen regionaler Mobilität) zu berücksichtigen.
Drei Formen sind im wesentlichen zu unterscheiden:
{A) Edition oder Teiledition (paläographisch genau oder normalisiert);
(B) Präsentation als statistische Aufarbeitung (Tabellen, Graphiken
etc. );
(C) nicht-numerische Beschreibungen.
Ein Desiderat sind weitere Editionen von Einschreibbiichern, die vor
allem der Migrationsforschung kontrollierbares Material zur Verfügung
stellen. Im folgenden sind mir bekannt gewordene Quellen zu Gesellenwanderungen
im mitteleuropäischen Raum fiir die Zeit bis ca. 1850, vor
allem für die Zeit bis 1800, nachgewiesen (89).
Das Verzeichnis enthält im einzelnen:
a) Ort der Zuwanderung;
b) Gewerbe, möglichst mit Zahl der Eintragungen (n);
c) Zeitraum oder Zeitpunkt;
d) Quellengruppe (I-IV) und Auswertungsform (A-C);
e) Nachweis der Publikation bzw. des Aufbcwahrungsortes.
1 .
a) Andernach
b) Schmiedegesellen (n = 127)
c) 15./16. Jahrhundert (ca. 1456-nach 1528)
d) III A
e) Eduard Schulte, Die Mitgliederliste der Andernacher Schmiedezunft, in: Vierteljahrschrift
für Wappen-, Siegel- und Familienkunde 40 ( 1912), 129-157.
2.
a) Augsburg
b) Schuhmachergesellen (n = 116)
c) 1726
d) I A
e) Anton Faber, Europäische Staats-Cantzley, 49. Theil, Ulm u.a. 1727, 595-
600.
194
3.
a) Augsburg
b) verschiedene Handwerke (n = 57)
c) 1338-1399
d) IV C (Achtbuch/Stadtarchiv Augsburg Schätze 81)
e) Wilfried Reininghaus, Frühformen der Gesellengilden in Augsburg im 14.
Jahrhundert, in: Zeitschrift des Historischen Vereins fiir Schwaben 7 7 {1983),
68-89.
4.
a) Augsburg
b) Weber(gesellcn) ( n = 1 .009)
c) 1650
d) li B/C (Musterregister)
e) Claus Peter Clasen, Die Augsburger Weber. Leistungen und Krisen des
Textilgewerbes um 1600, Augsburg 198 1 , 110-112.
5.
a) Bamberg
b) sämtliche Gewerbe
c) 1789-1799
d) Il B (Herbergsregister)
e) Rain er Elkar, Wandernde Gesellen in und aus Oberdeutschland. Quantitative
Studien zur Sozialgeschichte des Handwerks vom 17. bis zum 19. Jahrhundert,
in: Ulrich Engelhardt (Hg.), Handwerker in der ludustrialisieruug, Stuttgart
1984, 262-293, darin 267-272.
6.
a) Basel
b) Schlossergesellen (n = 329)
c) vor 1417-nach 1426
d) lJI A
e) Wilfried Reininghaus, Quellen zur Geschichte der Handwerksgesellen im
spätmittelalterlichen Basel, Basel 1982, 42-54.
7.
a) Basel
b) Ger hergesellen ( n = 1 1 6 )
c) (1436-1440)
d) II A
e) Reininghaus (wie Nr. 6), 65-67.
8.
a) Basel
b) Müllergesellen ( n = 560)
c) 1470-1524
d) III (Einschreibbuch Staatsarchiv Basel, Schmiedezunft Nr. 71)
195
e) Teilauswertung bei Knut Schulz, Handwerksgesellen und Lohnarbeiter. Untersuchungen
zur oberrheinischen und oberdeutschen Stadtgeschichte des 14.
bis 17. Jahrhunderts, Sigmaringen 1985, 282-284.
9.
a) Basel
b) Gesellen der Safranzunft (n = 1 .779)
c) 1566-1635
d) III B/C (Staatsarchiv Basel, Safranzunft Nr. 20la)
e) Schulz (wie Nr. 8), 289; Traugott Geering, Handel und Industrie der Stadt
Basel, Basel 1886, 443.
10.
a) Braunschweig
b) Buchbindergesellen (n = 861)
c) 1698-1707, 1773-1792
d) 1II B
e) Helmuth Helwig, Das deutsche Buchbinder-Handwerk, Bd. 1 , Stuttgart 1962,
248.
1 1 .
a) Bremen
b) Barbiergesellen (n = 20)
c) 1797-1798
d) III
e) Staatsarchiv Bremen, s-S.7.b.16.a; Erwähnung: Klaus Schwarz, Die Lage der
Handwerksgesellen in Bremen während des 18. Jahrhunderts, Bremen 1975, 44
f.
12.
a) Bremen
b) Korduanmachergesellen (n = 8)
c) 1735
d) I/III
e) Staatsarchiv Bremen 2-S.8.d .5.c.3; Schwarz, n.a.O.
13.
a) Bremen
b) (fremde) Maurergesellen (n = 18)
c) 1746
d) III
e) Staatsarchiv Bremen 2-S.10.b.2; Schwarz, a.a.O.
14.
a) Bremen
b) Riemer- und Sattlergesellen (n = 16)
c) 1807
d) I
196
e) Staatsarchiv Bremen 2-S.12.d.l; Schwarz a.a.O.
15.
a} Bremen
b} Schneidergesellen ( n = 60}
c) 1731
d) I
e) Staatsarchiv Bremen 2-Tt.8.c.l.d; Schwarz a.a.O.
16.
a) Bremen
b) Schneidergesellen (n = 1 2 1 }
c ) 1791
d) I
e) Staatsarchiv Bremen 2-S . l . II.1 2.d.3
17.
a) Bremen
b) Tischlergesellen ( 11 = 55)
c) 1745
d) I
e) Staatsarchiv Bremen 2-S.12.u.5.e., p. 8-lOv
18.
a) Bremen
b) Tischlergesellen ( n = 28)
c) 1792
d) I
e) Staatsarchiv Bremen 2-S.l.II.E.12.d.5
19.
a) Breslau
b) Tischlergesellen (n = 100)
c) 1795
d) I C
e) Rudolf Wissell, Des alten Handwerks Recht und Gewohnheit, Bd. 1 , 2. Aufl.,
Berlin 1971, 343 f., 454.
20.
a} Breslau
b) Buchbinder
c) 1564
d) IV C
e) Helwig (wie Nr. 10}, 251.
21.
a) Butzbach / Kr. Friedberg (Hessen)
b) sämtliche Gewerbe (n = 1.228)
c) 1820-1823, 1840-1843, 1860- 1863
197
d) I I C (Stadtarchiv Butzbach, Register der Gewerbegehiilfen 1810-1870)
e) Georg Emig, Die Berufserziehung bE-i den Handwerkerzünften in der Landgrafschaft
Hessen-Darmstadt und im Großherzogtum Hessen vom Beginn des
18. Jahrhunderts bis zur Einführung der Gewerbefreiheit 1860, Diss. Frankfurt
1967, 386-391.
22.
a) Chemnitz
b) Strumpfwirkergesellen
c) 1659-1674
d) III B
e) Helmut Bräuer, Wandernde Handwerksgesellen um die Mitte des 17. Jahrhunderts
in Chemnitz, in: Beiträge zur Heimatgeschichte von Karl-Marx-Stadt
24 ( 1980), 77-89, darin 80-82.
23.
a) Chemnitz
b) Buchbindergesellen (n = 342) (1 657-1687)
c) 1657-1687, 1699- 1 719, 1836-1850
d) III B
e) Briiuer (wie Nr. 22).
24.
a) Coburg
b) Rotgerbergesellen (n = 455)
c) 1678-1718
d) III A
e) Johannes Bischoff, Das Blichlein der Erbaren Brüderschaft der Rotgerbergesellen
in Coburg, 1679-1719, in: Blätter fii r Fränkische Familienkunde 14 (1 939),
167-1 9 1 .
25.
a) Flensburg
b) sämtliche Gesellen (n = 8 . 9 1 1 )
c ) 1831-1834
d) II B/C
e) Wilhelm Rust, Die Geschichte der lederverarbeitenden Handwerksberufe in
der Stadt und im Amt Flensburg, zugleich ein Stiick Flensburger Handwerksgeschichte
1437-1962, Flensburg 1962, 132.
26.
a) Frankfurt/Main
b) sämtliche Gesellen ( n = 1 .530)
c) 1762
d) II B
e) Franz Lerner, Eine Statistik der Handwerksgesellen zu Frankfurt a.M. vom
Jahre 1762, in: VSWG 22 (1929), 122-156.
198
27.
a) Frankfurt/Main
b) Buchbinder (n = 14.804)
c) 1712-1810, 1837-1868
d) Ill B
e) Heinz Lenhardt, 150 Jahre Gesellenwandern nach Frankfurt, Frankfurt 1938.
28.
a) Frankfurt/Maiu
b) Schlossergesellen (n = 2.522 )
c) 1419-1524
d) III B
e) Kar! Bücher, Die Bevölkerung von Frankfurt am Main im XIV. und XV.
Jahrhundert, Tübingen 1886.
29.
a) Frankfurt/Main
b) Schreinergesellen ( n = 60)
c) 1789
d) I C
e) WisseJI (wie Nr. 1 9), 453 f.
30.
a) Frankfurt/Main
b) Bindergesellen (n = 556)
c) 1529-1547
d) III B
e) Kurt Wesoly, Lehrlinge und Handwerksgesellen am Mittelrhein. Ihre soziale
Lage und ihre Organisationen vom 14. bis ins 17. Jahrhundert, Frankfurt 1985,
276-282.
31.
a) Frankfurt/Main
b) Schlossergesellen ( n = 96)
c) 1604
d) 11 B
e) Wesoly (wie Nr. 30), 282-284.
32.
a) Freiburg/Breisgau
b) KüfergeseHen (n = 781 )
c) 1475-1552
d) III A
e) Hermann Flamm, Das Bruderschaftsbuch der Küfergesellen im Breisgau 1475-
1552 bzw. 1584, in: Adreßbuch der Stadt Freiburg i. Br. 1907, 17-31.
33.
a) Gießen
199
b) Hutmacher- und Hosenstrickergesellen ( n = 27)
c) 1 7 1 0-1719
d) I l l BIC ( Stadtarchiv Gießen, Zunftbuch 1680-1832)
e) Emig (wie Nr. 2 1 ) , 219 f.
34.
a) Graz
b) Messerschmiedegesellen (n = 14)
c) 1597
d) I A
e) Odilo Haberleitner, Handwerk in Steiermark und Kärnten vom Mittelalter
bis 1850, Bd. 1, Graz 1962, 158.
35.
a) Greifswald
b) Buchbinder (n = 507)
c) 1736-185
d) III A
e) Walther Menu, Wandemde Buchbindergesellen in Greifswald zur Schwedenzeit
1736- 1 815, in: Pommersehe Jahrbücher 33 ( 1939), 37-63.
36.
a) Groß-Gerau I Hessen
b) Zimmergesellen ( n = 82)
c) 1 7 10- 1719
d) Ill C ( Stadtarchiv Groß-Gerau, Zunftbuch)
e) Emig (wie Nr. 21), 219.
37.
a) Groß-Gerau I Hessen
b) sämtliche Gesellen ( n = 683)
c) 1837-1849
d) III C (Einschreibbuch der Gesellen)
e) Emig (wie Nr. 21), 385.
38.
a) Haarlern I Niederlande
b) Textilgewerbe (vor allem Leinwebergesellen) (n = 348)
c) 1 720-1743
d) III A
e) Anton Schulte, Die Mitglieder der ‚Westphalschen Bos‘ in Haarlern 1720-1743,
in: Beiträge zur Westfalischen Familienforschung 1 ( 1938), 1 61-178.
39.
a) Harnburg
b) Tischlergesellen ( n = 134)
c) 1750
d) I A
200
e) Max Fehring, Sitte und Brauch der Tischler unter besonderer Beriicksichtigung
hamburgischer Quellen, Hambnrg 1929, 100 f.
40.
a) Hamburg
b) Tischlergesellen (n = 95)
c) 1 770
d ) I A
e) Fehring, 107 f.
4 1 .
a ) Hannover
b) Schneidergesellen ( n = 92)
c) 1797
d) I A
e) Wissell, Bd. 1 ,2, 455-457.
42.
a) Hermannstadt/Sibiu, Siebenbürgen
b) Schuhmachergesellen (n = 10 zu ermittelnde Orte)
c) 1484
d) lil A
e) Franz Zimmermann, Das Register der Johannes-Bruderschaft und die Artikel
der Hermannstädter Schusterzunft aus dem XVI. und XVII. Jahrhundert, in:
Archiv des Vereins fiir siebenbürgische Landeskunde N .F. 16 ( 1880), Heft 2,
335-425.
43.
a) Hildeshcim
b) Böttchergesellen (n = 1 5 1 )
c ) 1591-1734
d) III B/C (Einschreibebuch, Stadtarchiv Hildesheim A 66/101a)
e) Knrl Heinrich K aufhold, Das Handwerk der Stadt Hildesheim im 18. Jahrhundert,
Göttingen 1980 (2), 259.
44.
a) Kassel
b ) sämtliche Gewerbe (n = 2 9 1 )
c) 1724
d) II B
e) Manfred Lasch, Untersuchungen über Bevölkerung und Wirtschaft der Landgrafschaft
Hessen – Kassel und der Stadt Kassel vom Dreißigjährigen K rieg bis
zum Tode des Landgrafen Kar!, Kassel 1969, 199 f.
45.
a) Kiel
b) Buchbindergesellen ( n = 403)
c) 1666-1865
201
d) III C
e) Wissell, ßd. 1 ,2 , 347-349.
46.
a) Kiel
b) Glasergesellen ( n = 1209)
c) 1 8 1 2-1840
d) IIl c
e) Wissell, Bd. 1 ,2, 344-347.
47.
a) Konstanz
b) sämtliche Gewerbe (n = 3.406)
c) 1489-1502, 1519-1579
d) II B
e) Georg Schanz, Zur Statistik der Gesellenwanderungen im Mittelalter, in:
Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik 28 ( 1877), 313-343.
48.
a) Lemgo
b) Weißgerber- und Riemergesellen ( n = 135)
c) 1744-1871
d) II („Polierbuch“)
e) Stadtarchiv Lemgo Zug.Nr. 50/1985.
49.
a) Lemgo
b) Buchbindergesellen (n = ca. 260}
c) 1729-1800
d} III
e) Stadtarchiv Lemgo, 77.
50.
a} Lippstadt
b) Schuhmachergesellen ( n = 973)
c) (1676}-1808, 1834-(1836}
d) III
e) Stadtarchiv Lippstadt, Nr. 4424; für 1988 ist eine Edition dieser Quelle
vorgesehen.
51.
a) Lübeck
b) sämtliche Gewerbe (n = 7.928)
c} 1784/85
d) II B/C (Torschreiberlisten, 1939 im Staatsarchiv Lübeck}
e) Gerhard Masing, Riga und die Ostwanderung des deutschen Handwerks, in:
Deutsches Archiv für Landes- und Volksforschung 4 ( 1 940), 238 f.
52.
202
a) Lüneburg
b) Buchbindergesellen (u = mehr als 642)
c) 1773-1869
d) III B
e) Helwig (wie Nr. 10), 2 5 1 .
53.
a) Luzern
b) Gesellen sämtlicher Gewerbe, gruppiert in: Sattler/Gürtler/ Armbruster; Müller;
Bartscherer; Metzger; Gerber; Schneider; Kürschner; Schuhmacher; Steinmetze/
Zimmerleute; Schmiede; Bäcker (n = 589)
c) 1437-1499
d) li A
e) P.X. Weber, Das ‚Weißbuch der Stadt Luzern‘ 1421-1488, in: Der Geschichtsfreund
71 ( 1 9 1 6), 1-99, darin: 60-76.
54.
a) Marburg
b) Buchbindergesellen (n = 633)
c) 1715-1746
d) III C
e) Kar! Rumpf, Vom „ehrsamen“ Handwerk und den „löblichen“ Gesellenbruderschaften,
in: Hessischc Blätter fiir Volkskunde 55 ( 1964), 59-107, darin: 94
tr.
55.
a) Minden
b) Buchbindergesellen ( n = 585)
c) 1752-1826
d) III (Einschreibbuch, Kommunalarchiv Minden, Stadt Minden W.Nr.168)
e) Martin Krieg, Das Einschreibbuch der kunstliebenden Buchbindergesellen,
in: Mindener Heimatblätter 4 ( 1926), Nr. 9.
56.
a) München
b) Gesellen verschiedener Gewerbe (Messerschmiede; Goldschmiede; Schlosser
und Uhrmacher; Schachtelmacher; Kisller; Schneider; Hutmacher; Loderer; Geschlachtgewander
(Feintuchmacher); Kürschner; Bäcker (n = 376)
c) um 1600
d) IV B/C (nach Gerichtsakten)
e) Karl-S. Kramer, Altmünchener Handwerk. Bräuche, Lebensformen, Wandetwege,
in: Bayerisches Jahrbuch fiir Volkskunde 1958, 1 1 1-137.
57.
a) München
b) verschiedene Gewerbe ( n = 89)
c) 1813-1815
203
d) IV A
e) Michael Birkenbihl, Aus dem ältesten Hauptbuch des Miinchcner Allgemeinen
Krankenhauses links der Isar, in: Archiv fiir Sippenforschung 12 ( 1935 ), 2 1 8-
220, 253-255.
58.
a) Münster/Westfalen
b) Buchdrucker-, Maurer-, Hutmachergesellen
c) (1 8 . Jahrhundert)
d) IV A (Hospitallisten)
e) Helmut Lahrknrnp, Wanderbewegungen im 1 8 . Jahrhundert. Tiroler Maurer,
skandinavische Hutmacher, reisende Buchdrucker, böhmische Glashändler und
italienische Kaminfeger in Münster, in: Westfälische Forschungen 26 ( 1974 ),
123- 1 3 2 .
59.
a) Niirnberg
b) Färbergesellen (n = 1 .274)
c) 1 6 2 1 – 1 659, 1695-1789
d) III B
e) Elkar (wie Nr. 5), 277-288.
60.
a) Nürnberg
b) Glasergesellen ( n = 1 . 708)
c) 1697-1741
d) III B
e) Elka.r (wie Nr. 5 ), 277-288.
6 1 .
a ) Nürnberg
b) Goldschmiedegesellen (n = 922)
c) 1674-1799
d) III B
e) Elkar (wie Nr. 5 ), 277-288.
62.
a) Nürnberg
b) K upferschrniedegesellen ( n = 1.023)
c) 1753-1769
d) III B
e) Elkar (wie Nr. 5), 277-288.
63.
a) Nürnberg
b) Kürschnergesellen (n = 1.409)
c) 1709-1799
d) III B
204
e) Elkar (wie Nr. 5), 277-288.
64.
a.) Nürnberg
b) Lebküchnergesellen ( n = 1.682)
c) 1646-1746, 1819-1829, 1849-1868
d) III B
e) Elkar (wie Nr. 5), 277-288.
65.
a.) Nürnberg
b) Strumpfwirkergesellen (n = 513)
c) 1726-1836
d) III B
e) Elka.r (wie Nr. 5), 277-288.
66.
a) Nürnberg
b) Schreinergesellen (n = 3.053)
c) 1751-1798
d) III B
e) Elkar (wie Nr. 5), 277-288.
67.
a) Nürnberg
b ) Zimmergesellen (n = 377)
c) 1784-1835
d) III B
e) Elka.r (wie Nr. 5), 277-288.
68.
a.) Nürnberg
b) Zinngießergesellen ( n = 2.076)
c) 1612-1640, 1687-1743
d) III B
e) Elkar (wie Nr. 5), 277-288.
69.
a) Osnabrück
b ) Schuhmachergesellen
c) 1609-1806
d) 111 C (Protokoll- und Abrechnungsbuch der Schuhmachergesellen, 1943 im
Museum Osna.brück)
e) Karl Banzer, Beiräge zur Geschichte des Osnabrücker Handwerks, Phil. Diss.
Münster 1943, 27-31.
70.
a) Faderborn
b) Schmiedegesellen (n = 88 +weitere)
205
c) (spätes 15./16. Jahrhundert)
d) III A
e) C. Ahlmeyer, Die Bruderschaft der Schmiede in der Minoritenkirche zu Paderborn,
in: Westflilische Zeitschrift 40 ( 1882) II, 154-162.
71.
a) Preetz (Schleswig-Holstein)
b) Schuhmachergesellen ( n = ca. 3.500)
c) 1 8 1 1- 1 889
d) III (Bruderbuch, Privatbesitz Preetz)
e) Margit Berwing, Preetzer Schuhmacher und ihre Gesellen 1750-1 900, Neumünster
1983.
72.
a) Preßburg/Bratislava
b) Hutmachergesellen (n = 847)
c) 1728-1758
d) Ill (?, Provenienz: Staatsarchiv Preßburg)
e) Anton Spiesz, Diskussionsbemerkung, in: Internationales Handwerksgeschichtliches
Symposium Veszprem 20.-24 . 1 1 . 1 978, Budapest 1979, 86 f.
73.
a) Regensburg
b) Kupferschmiedegesellen (n = 899)
c) 1724-1805
d) Ili B
e) Elko.r (wie Nr. 5) , 272-277.
74.
a) Regensburg
b) Drechslergesellen ( n = 1 .294)
c) 1589-1 8 1 5
d) lii B
e) Elkar (wie Nr. 5), 272-277.
75.
a) Regensburg
b) Zeugmachergesellen (n = 832)
c) 1660-1 804
d) III B
e) Elkar (wie Nr. 5) , 272-277.
76.
a) Regensburg
b) Zimmergesellen ( n = 1.073)
c) 1694-1754
d) Ili B
e) Elkar (wie Nr. 5), 272-277.
206
77.
a) Riga
b) Gesellen in der St. Johannisgilde (n = 812)
c) 1694-1863
d) IV C
e) Wissell, Bd. 1 ,2 , 451 f.
78.
a) Riga
b ) sämtliche Gewerbe ( n = ca. 10.000)
c) 1749- 1 7 5 1 , 1763, 1786-1799
d) Il B/C (Fremdenangabebücher)
e) Masing (wie Nr. 48), 43-51.
79.
a) Riga
b ) Huf- und Waffenschmiede (n = ca. 600)
c) 1700-1720, 1781-1795
d) Ili B/C (Einschreibebücher)
e) Masing (wie Nr. 48), 235 f.
80.
a) Riga
b ) Zimmergesellen ( n = ca. 420)
c) 1757-1799
d) IIl B/C (Einschreibebuch)
e) Masing (wie Nr. 48) , 236 f.
8 1 .
a) Schwedt/Oder
b) Böttchergesellen ( n = 339)
c) 1684-1836
d) III C ..
e) Wissell, Bd. 1 ,2 , 344.
82.
a) s’oest :
b ) Sch􀋲iedegeselleh- ( n = ca. 300)
c) 1715- 1 792
d) III (Einschreibebuch)
e) Stadtarchiv Soest Hs 90.
83.
a) Speyer
b ) sämtliche Gewerbe (n = 133)
c) 1588
d) I B
e) Wesoly (wie Nr. 30), 284-286.
207
84.
a) Stettin
b) K ürschnergesellen (n = 12)
c) 1669
d) I C
e) Wissell, Bd. 1,2, 343.
85.
a) Straßburg
b) sämtliche Gewerbe (n = 868)
c) 1444
d) II B
e) Jean Robert Zimmermann, Les compagnons de metiers a Strasbourg du debut
de XIVe siede a Ia veille de Ia Reforme, Strasbourg 1971, 135-138.
86.
a) Straßburg
b) Gerbergesellen ( n = ca. 65)
c) 1550-1600
d) ? I B
e) Schulz (wie Nr. 8), 281.
87.
a) Straßburg
b) Schneidergesellen
c) (Anfang 16. Jahrhundert)
d) I B
e) Zimmermann (wie Nr. 85), 135-138.
88.
a) Tulln
b) Schuhmachergesellen ( n = ca. 1.300)
c) 1459-(1600)
d) III B
e) Gerhard Jaritz, Gesellenwanderungen in Niederösterreich im 15. und 16.
Jahrhundert unter besonderer Berücksichtigung der Tullner ‚Schuhknechte‘, in:
Internationales Handwerksgeschichtliches Symposium Veszprem 20.-24 . 1 1 .1978,
Budapest 1979, 50-61.
89.
a) Wartenberg/Schlesien (Parsow)
b) Schuhmachergesellen (n = 150)
c) 1565-1710
d) III A
e) Erwin Kaschner, Das Bruderschaftsbuch der Wartenberget Schuhknechte von
1565 bis 1710, in: Archiv für Sippenforschung 12 {1935), 11-14.
90.
208
a) Würzburg
b) sämtliche Gewerbe
c) 1477- (16. Jahrhundert)
d) II
e) Stadtarchiv Würzburg, Ratsbuch Nr. 4, p. 378-417; erwähnt bei Hektor Ammann,
Gesellenwanderungen im Oberrhein im späten Mittelalter, in: Probleme
der Geschichte und Landeskunde am linken Oberrhein, Bonn 1966, 101; Wesoly
(wie Nr. 30), 288, Anm. 97.
91.
a) Zerbst/Bez. Magdeburg (DDR)
b) Buchbinder (n = 5 1 2 )
c ) 1693-1738
d) III B/C
e) Hermann Wäschke, Aus dem Gesellenbuch der Zerbster Buchbinder-Innung,
in: Zerbster Jahrbuch 1910, 41-57.
92. a) Leipzig
b) Tuchscherergesellen (n = 92)
c) 1536
d) Il B (Ratsprotokoll )
e ) Helmut Bräuer, Handwerksgesellen in sächsischen Städten des 1 5 . und 1 6 .
Jahrhunderts, Promotion B, Leipzig 1 9 8 6 , 39.
93. a) Oettingen
b) sämtliche Berufe
c) (1732-1806 ?]
d) II B
e) Michael Beer, Oettinger Gesellenwandern und Meisterwerden im 18. Jahrhundert,
in: Wanderstab und Meisterbrief. Rieser Handwerk im Wandel der
Zeit 1700-1850, Rarburg (Schwaben) 1986, 15-27, hier 20 f.
ANMERKUNGEN :
(1) Treffend zum Zusammenhang von Quellen als „punktuelle(n), momentane(n)
Produkte( n )“ , Theorien und den Schwierigkeiten bei „Fragen nach langfristigen Phänomenen,
… nach den materiellen Lebensbedingungen und ihrem langsamen Wandel“ R.
Koselleck, Archivalien-Quellen-Geschlchten, in: 160 Jahre Staatsarchlve in Düsseldorf
und Münster, Düsseldorf-Münster 1982, 21-36, Zitate 30, 33. Aus dem Theorienangebot
für Historiker eignen sich m.E. Elemente der Modernisierungstheorie, um das hier
interessierende Wanderverhalten und dessen hmgfristige Veränderung zu analysieren,
vgl. H.-U. Wehler, Modernisierungstheorie und Geschichte, Göttingen 1976, 39 fl‘.; J.
Kocka, Sozialgeschichte. Begriff-Entwicklung-Probleme, Göttingen 1977, 104-107.
(2) Die ältesten Zeugnisse setzen Wanderungen der Handwerker voraus; vgl. W .
Reininghaus, Die Migration der Handwerksgesellen in der Zeit der Entstehung ihrer
Gilden (14./15. Jahrhundert), in: VSWG 68 (1981), 1- 2 1 .
(3) KoseHeck (wie Anrn. 1 ) , 24.
209
(3e) M. Mittereuer, Sozielgeschichte der Jugend, Frenkfurt 1986, 17 f. het jüngst
mit Recht els sozialhistorischen Ansetz betont, diejugendliche Mobilität, elso auch des
Gesellenwandern, „mit spezifischen gesellschafilichen Verhältnissen in Verbindung (zu)
bringen, mit Formen der Arbeitsverfassung, … der Fnmilienverfnssung, der Ausbildung
… “ (18). Er meint mich nls Kronzeugen für einen “ Rekurs nuf endogene Triebkräfte
einer überzeitlich gleichbleibend gedachten jugendlichen Psychostruktur“ bemühen zu
können (18) und unterschlägt dabei, deß ich ausdrücklich “ wirtscheftliche Motive in
den Vordergrund gestellt“ hebe, vgl. Reininghnus, Entstehung (wie Anm. 12), 47.
Dort betone ich auch, daß ökonomische Motive nilein nicht hinreichend des Wendern
erklären, sondern weitere Faktoren hinzutreten müssen.
( 4) Arbeiten zu Wanderungen im lndustrinlisierungsprozeß ( vgl. Anm. 86) wurden
bislang meistens auf einem relativ hohen Abstrnktionsniveeu geführt. Der quellennnhen
und meteriaHntensiven Studie von H. Bräuer, Gesellenmigretion in der Zeit der
industriellen Revolution, Kerl-Merx-Stedt 1982 können knum vergleichbnre Arbeiten
an die Seite gestellt werden.
(5) Vgl. J. Brockstedt (Hg.), Regionale Mobilität in Schleswig-Holstein. Theorien,
Fallstudien, Quellenkunde, Bibliographie, Neumünster 1979.
(6) Zu den angesprochenen Periodisierungsfragen: St. Sknlweit, Der Beginn der
Neuzeit. Epochengrenze und Epochenbegriff, Darmstndt 1982.
(7) Wanderung und Migrntion benutze ich synonym; beides verstehe ich nls Sonderfall
der horizontalen oder regionalen Mobilität.
(8) Vgl. z.B. K. Horstmann, Zur Soziologie der Wanderungen, in: Hnndbuch der
empirischen Sozialforschung, Bd. 5, Stuttgnrt 1976 (2), 104-182, hier: 141 ff.; K. Mare!,
Inter- und intrnregionale Mobilität, Neuwied 1980, 73 ff.
(9) K. Wesoly (wie Anhnng Nr. 30), 84-98.
( 10) A. Chatelain, Les migrations temporaires frnnc;nises nu XIXe siede, in: Annnles
de demographie historique 1967, 9-28; J .P. Poussou, Les mouvements migrntoires en
Frnnce et a pertir de In France de ln fin du XVe siede nu debut du XIXe siede, in:
Annales de demographie historique 1970, 11-78, hier: 64; Horstmann (wie Anm. 8),
135-140.
( 1 1 ) B. Geremek, Les selaries et In salarint dnns les villes nu cours du Bns Moyen
Age, in: Troisieme conference internetionnie d’histoire economique, Bd. 1 , Pnris 1968,
553-574, hier. 569 f.; ders., Le snlarint dnns l’nrtisnnnt Pnrisien aux Xllle-XVe siede,
Paris 1968, 138-142; vgl. euch M. Mittereuer, Gesindedienst und Jugendphnse im
europäischen Vergleich, in: Geschichte und Gesellscheft 1 1 (1985), 1 77-204, 200 f.
(12) Die Meterialsichtung in den Arbeiten von Rudolf Wissell z.B. geht davon aus;
in meinem Buch Die Entstehung der Gesellengilden im Spätmittelelter, Wiesheden
1981, habe ich gleichfalls diesen Rehmen gewählt.
(13) H. Proesler, Das gesamtdeutsche Handwerk im Spiegel der Reichsgesetzgebung
von 1530 bis 1806, Berlin 1954.
(14) Beispiele bei B. Roemisch, Ein Jehrtausend deutsches Handwerkschaffen in
Sknndinavien, Würzburg 1943, 4-8, 58, 107 f. (12.- 16. Jehrhundert); J. Schreiner, Der
deutsche Schuhmacher in Bergen, in: Hansische Geschichtsblätter 81 (1963), 124-129.
(15) H.J. Braun, Technologische Beziehungen zwischen Deutschland und Englnnd
von der Mitte des 17. bis zum Ausgnng des 18. Jahrhunderts, Düsseldorf 1974, 22-28
(16./17. Jh.).
(16) A. Doren, Deutsche Handwerker und Handwerkerbruderschaften im mittelalterlichen
Italien, BerHn 1903, 1 7 ff., 83 ff.; C. Paoli, Urkunden zur Geschichte der
deutschen Schusterinnung in Florenz, in: MIÖG 8 (1887), 455-476; ergänzende Hinweise
zu Bäckern und Schuhmachern aus Deutschland in itnlienischen Städten des
210
Spätmittelalters durch L. Schmugge im Verlauf der Salzburger Tagung.
(17) Vgl. R. Sprandel, Die Ausbreitung des deutschen Handwerks im mittelalterlichen
Frankreich, in: VSWG 51 (1964), 66-100; Paliach (wie Anm. 84}, 377.
(18} Vgl. Anhang Nr. 42, 77-80; A. Zeida, Das Wandern der Gesellen und seine
Bedeutung in Riga vom 14. bis ins 18. Jnhrhundert, in: Hansische Studien 3, Weimar
1975, 233-252; F. Vnljavec, Geschichte der deutschen Kulturbeziehungen zu Südosteuropa,
Bd. 3, München 1958, 76 f.
(19} Vgl. Anhang Nr. 38 und Anm. 52.
(20) K . Schulz (wie Anhang Nr. 8), 289-295.
(21) Zur Problemntik vgl. W. Reininghnus, Handwerk und Archive, in: Archiv und
Wirtschaft 18 (1985), 51-54, hier 51 f.
(22} Mare! (wie Anm. 8), 38-42 zu diesen “ Wanderungsdaten“. R.S. Elknr hat
die “ Analyse der regionalen Herkunft der Gesellen“ in den Mittelpunkt der Auswertung
von Datenmaterial zu den Gesellenwanderungen gestellt; ders., Umrisse einer Geschicht“
der Gesell.,nwanderungen im Üb.,rgang von der Frühen N.,uzeit zur Neuzdt,
in: d“rs. (Hg.), D“utsch“s Handw.,rk in Spätmitt.,Ialt“r und Früher N“uzdt, Göttingen
1983, 85- 1 16 (103). Mittlerweile hnt Elknr erste umfnssende Ergebnisse vorgelegt; vgl.
Anhang 5, 59-69, 73-76.
(23} F. Irsigler, Stadt und Umland in der historischen Forschung: Th.,orien und
Konzepte, in: N. Bulst u.a. (Hgg.), Bevölkerung, Wirtschaft und G.,s.,llschaft. StadtLnnd-
B.,ziehung“n in Deutschland und Frankreich 14. bis 19. Jahrhund.,rt, Tri“r 1983,
13-38, Zitate 21 f.
(24} K.J. Bnd.,, Altes Hnndw.,rk, Wand.,rzwnng und Gut“ Polic.,y: G.,sell.,nwnnd“rung
zwischen Zunftökonomie und Gewerbereform, in: VSWG 69 (1982}, 1-37, hier:
11 f.
(25) H . Mos.,r, Die Steinmetz- und Maurerzunft in lnnsbruck von der Mitte des
15. bis zur Mitte des 18. Jnhrhunderts, Innsbruck 1973, 14-34; V. Segers, Studie zur
Geschichte der deutschen Steinmetzenbruderschnft, phil. Diss. Berlin 1980.
(26} K. Schwarz (wie Anhang Nr. 11 ) , 46, siehe auch Anhang Nr. 13; instruktiv: W.
Gerber, Die Bauzünfte im alten Hamburg, Harnburg 1933, 46 ff. In Frankfurt waren
1762 die Gruppen der einheimischen bzw. fremden Maurer- und Weißbindergesellen
annähernd gleich groß (Anhang Nr. 26}; vgl. ferner S . Kube, Im Schatten der Residenz.
Zu Lebensbedingungen und Lebensweise werktätiger Schichten in Dresden insbesond.,
re während des 18. Jahrhunderts, in: R. Weinhold (Hg.), Volksleben zwischen Zunft
und Fabrik, Berlin/DDR 1969, 251-284, hier: 269 f.; H . Schultz, Zur Herausbildung
der Arbeiterklasse am Beispiel der mittleren ostelbischen Handelsstadt Rostock (1 769-
1870), in: Jb f. G.,schichte 1 3 (1975), 153-201, hier 161.
(27) Vgl. Anhang Nr. 67, 76, 80.
(28} Vgl. Anhang Nr. 50, 88.
(29) Vgl. Anhong Nr. 2 sowie A. Grießinger, Das symbolische Kapital der Ehre,
Frankfurt usw. 1981, 153 für Stuttgart.
(30) Vgl. Anhang Nr. 15,16, 41, 56.
(31) Zur Weiträumigkeit der Kürschnerwanderungen: Anhang Nr. 26, 36, 45, 53,
63; vgl. ferner Zimmermann (wie Anhang Nr. 85), 135, sowie R. Delort, Le commerce
des fourrures en occident a Ia fin du moyen iige (vers 1400 – vers 1450), 2 Bde., Rom,
1978.
(32) Vgl. Anhang Nr. 7, 86, 24.
(33) Reininghaus (wie Anm. Nr. 12), 64 mit Anm. 369 (weitere Nachw.,is.,).
(34) Vgl. Anhang Nr. 8; ähnlich in Luzern (Anhang Nr. 53) und München (Anhang
Nr. 56); zum Nichtwandern der Bäcker vgl. Emig (wie Anhang Nr. 21), 208.
2 1 1
(36) Vgl. Anhang Nr. 1 , 6, 28.
(36) Vgl. Schulz (wie Anhang Nr. 8), 129-162.
(37) Vgl. Anhang Nr. 26, 34, 56, 61, 79.
(38) Viele Einzelbelege bei M. Pieper-Lippe, Zinn im nördlichen We􀌘tfalen, Münster
1980. Über die internationalen Verbindungen der Goldschmiede informierten in jüngster
Zeit u.a. zwei Ausstellungen, dazu die Kntaloge „Welt im Umbruch“ . Augsburg
zwischen Renaissance und Barock, Bd. 2, Augsburg 1980, 51-54, 284-432; Wenzel Jnmnitzer
und die Nürnberger Goldschmiedekunst 1 500-1700, Nürnberg 1985, darin: G.
Schiedlau􀄢ky, Die Nürnberger Gold􀄢chmiedekunst als Forschungsnufgnbe, 37-55 mit 40
f., Anm. 33.
(39) W. Reininghaus, Die Gesellenvereinigungen nm Ende des Alten Reiches, in: U.
Engelhardt (wie Anhang Nr. 5), 219-241, hier 224; ergänzend W. Stieda, Dns Amt
der Zinngießer in Rostock, in: Jb. des Vereins für mecklenburgische Geschichte und
Altertumskunde 53 (1888), 131-188, hier: 147, 187.
(40) Schulz (wie Anhang Nr. 8), 392-400; vgl. G. Schmoller, Die Strassburger
Tucher- und Weberzunft. Urkunden und Darstellung. Ein Beitrng zur Geschichte der
deutschen Weberei und des deutschen Gewerberechtes vom XIII.- XVII. Jahrhundert,
Strnßburg 1879, 450 ff.
( 4 1 ) Vgl. Anhang Nr. 4, 22; vgl. V. Hnertel, Die Augsburger Weberunruhen 1784
und 1 794 und die Struktur der Weberschaft Ende des 18. Jahrhundert􀄢, in: Zeitschrift
des Historischen Vereins für Schwaben 64/65 ( 1971 ), 121-268; W. Troeltsch, Die Calwer
Zeughandelskompanie und ihre Arbeiter, Jena 1897, 208.
( 42) Anhang Nr. 33, 38, 58. 0 . Domonkos hat mehrfnch diesen Aspekt betont;
ders., Wanderrouten ungarischer Handwerksgesellen und deren Bedeutung für den technischen
Fortschritt, in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte 1982 I, 99- 1 1 1 , u. ders.,
1783-1983. Zum zweihundertjährigen Jubiläum der Blaudruck-Werkstatt von Kluge in
Papa, Papa 1983, 10-12.
( 43) Anhang Nr. 17-19, 29, 39, 40, 56 (Kisller), 66. Von internationalen Zusammenhängen
im Tischlerhnndwerk handelt neben nnderem M. Stürmer, Handwerk und
höfische Kultur. Europäische Möbelkunst im 18. Jahrhundert, München 1982.
( 44) Anhang Nr. 10, 20, 23, 27, 45, 52, 54, 55, 91.
(45) Anhang Nr. 58; vgl. W. Reuter, Zur Wirt􀄢chnfts- und Sozialgeschichte des
Buchdruckgewerbes im Rheinland bis 1800, in: Archiv für Geschichte des Buchwesens
1 (1958), 642-736, hier 696; Einzelbeispiele bei W. Krahl, Der Verband der Deutschen
Buchdrucker, Bd. 1 , Berlin 1916, 46-156.
(46) Kaufhold (wie Anhang Nr. 43), 76.
( 47) H. Ammann, Vom Lebensraum der mittc:lolterlichen Stodt, in: Studien zur
deutschen Landeskunde. FS. F. Huttenlocher, Bad Codesberg 1963, 284-316, 313
f.; ders., Wirtschaftsbeziehung zwischen Oberdeutschland und Polen, in: VSWG 48
(1961), 433-443, 439; ders., (wie Anhong Nr. 90). Zum hansischen Rtmm A. von
Brandt, Die Stadt des späten Mittelalters im hansischen Raum, in: Hansische Geschichtsbliitter
96 (1978), 1-14, 1 2 , sowie vor allem Th. Penners, Forschungsfragen
zur mittelalterlichen Wanderungsgeschichte in Norddeutschlond, in: Studium generoJe
9 (1956), 500-503; ders., Fragen der Zuwanderung in den Hansestädten des spiiten
Mittelalters, in: Hansische Geschichtablätter 83 (1965), 12-45.
(48) Anhang Nr. 1 , 26, 28, 29, 60.
(49) W. Reininghaus, Vereinigungen der Handwerksgesellen in Hessen-Kassel vom
16. bis zum frühen 19. Jahrhundert, in: Hessisches Jahrbuch für Landesgeschichte 31
(1981), 98-148, vor allem 121-139.
(50) Diese Grenze wor ja zugleich Sprachgrenze.
212
(51) Reininghaus (wie Anm. 2); Schulz (wie Anhang Nr. 8), 275-288.
(52) Anhand der Aufgebobregister im Stadtarchiv Am.sterdam (=GAA) kann exemplarisch
die enge Verbindung zwischen den Niederlanden und Westfalen im 17./1 8.
Jahrhundert nachgewiesen werden; vgl. die Auswertung bei H. Diederichs, Amsterdam
1600-1800. Demographische Entwicklung und Migration, in: W. Ehbrecht/H. Schilling
(Hgg.), Niederlande und Nordwestdeutschland, Köln 1983 (FS F. Petri zum 80.
Geburtstag), 328-346. Aus “ westfnlischer“ Sicht immer noch: B. Kuske, Wirtschaftsgeschichte
Westfalens in Leistung und Verflechtung mit den Nachbarliindern bis zum
18. Jahrhundert, 2. Aufi. Münster 1949, 20-22; vgl. Anhang Nr. 38.
(53) M. Pieper-Lippe/0. Aschauer, Oberdeutsche Bauhandwerker in Westfalen.
Untersuchungen zur gewerblichen Wanderbewegung, besonders vom 17. bis zum 19.
Jahrhundert unter Einbeziehung des Wanderhandels, in: Westfoliaehe Forschungen 20
(1967), 1 1 9-193.
(54} Vgl. Anhang Nr. 11-18, 39-40, 50, 82.
(55) Vgl. Anhang Nr. 78-80.
(56) St. Hochstadt, Migration in Preinduatrial Germany, in: Central Europenn
History 1 6 (1983), 195-224, 216 f. (Würzburg}; Masing (wie Anhang Nr. 51), 251 f.; zur
konfessionellen Bindung von Migrationen vgl. ferner U.S. Wagner, Die Zuwanderung
nnch Mergentheim im 17. Jahrhundert, in: Mainfriinkiaches Jb. für Geschichte und
Kunst 31 (1979), 88-107, 96; Bade (wie Anm. 24), 1 5 f.; Valjavec (wie Anm. 18), 118 f.
(57) Luzern: A.-M. Dubler, Handwerk, Gewerbe und Zunft in Stadt und Landschaft
Luzern, Luzern/Stuttgart 1982, 135, 137; Pieper-Lippe/ Asehauer (wie Anm. 53), 159;
Kassel: wie Anhang Nr. 44; Berlin: H . Schultz, Die Herkunft der Berliner Handwerker
im 18. Jahrhundert, in: II. Internationales Handwerksgeschichtliches Symposium,
Veszprem 1983, 49-62, 54 f.
(58) Anhang Nr. 16; zur konfessionellen Entwicklung in Pfalz-Zweibrücken: H .
Ammerich, Landesherr und Landesverwaltung. Beiträge zur Regierung von PfalzZweibrücken
am Ende des Alten Reiches, Saarbrücken 1981, 95-98.
(59) Pieper-Lippe/Asehauer (wie Anm. 53), 1 2 1 , 124, 157, 159 u.ö.; vgl. auch
E. Drumm, Die Einwanderung Tiroler Bauhandwerker in das linke Rheingebiet 1660-
1730, Zweibrücken 1950; F. Mainzer, Tiroler Bauhandwerker im eichafeldiachen Raum,
Lingen 1959; H. Zatachek, Zur Methodik der Gewerbegeschichtsforachung, in: Aus
Verfassungs- und Landesgeschichte. Fa. Th. Mayer, Konstanz 1955, Bd. 2, 347-362,
359 ff. (Westfalen in Wien).
(60) Vgl. Anhang Nr. 50, dazu H.H. Blotevogel, Zentrale Orte und Raumbeziehungen
in Westfalen vor der Industrialisierung ( 1 780-1850), Münster 1975, 171 ff.
(61) R. Stahlschmidt, Die Geschichte des eisenverarbeitenden Gewerbes in Nürnberg
von den ersten Nachrichten im 1 2 ./13. Jahrhundert bis 1630, Nürnberg 1971, 161-166
mit weiteren Belegen 163.
(62) F. Fischer, Die blauen Sensen. Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der Sensenschmiedezunft
Kirchdorf-Micheldorf his zur Mitte des 18. Jahrhunderts, Köln-Graz
1966, 64.
(63) F. Pichler, Die Wanderdokumente der Handwerksgesellen, in: Mitteilungen des
S teiermiirkischen Landeaarchi ves, Folge 19/20 ( 1970), 89- 1 1 1 ; W isseil (wie Anhang Nr.
19), 312-315; K. Stopp, Die Handwerkskundschaften mit Ortsansichten. Beschreibender
Katalog der Arbeitsattestate wandernder Handwerksgesellen (1731-1830), Bd. 1 :
Allgemeiner Teil, Stuttgart 1982; vgl. M . Meyer, Geschichte der preußischen Handwerkerpolitik,
Bd. 1 , Minden 1884 (ND 1972), 123 u. 147 (1645 bzw. 1688); M .
Graf-Fuchs, Das Gewerbe und sein Recht i n der Landachaft Bern bis 1 798, Bern 1940,
104 ( 1 699 Einführung von Pässen); Paliach (wie Anm. 84), 386-394.
213
(64) Masing (wie Anhang Nr. 51), 247 f.; G.v. Schmoller, Umrisse und Untersuchungen
zur Verfassungs-, Verwaltungs- und Wirtschaftsgeschichte besonders des
preußischen Staates im 17. und 18. Jahrhundert, Leipzig 1898 (ND 1974), 396 f. (für
Hamburg).
(65) Für Preußen: Schmoller (wie Anm. 64), 373, 399; Österreich: K. Pribram,
Geschichte der Österreichischen Gewerbepolitik von 1740 bis 1860, Bd. 1 : 1740 bis
1798, Leipzig 1907, 249 f., 330., 422 f.; Piehier (wie Anm. 63), 100 f.; vgl. für andere
Territorien Emig (wie Anhang Nr. 21), 206, 391-393.
(66) D. Kremer, Das Wauderbuch des Weißgerbergesellen Georg Friedrich Agatz
aus Weismain aus den Jahren 1810-1812, in: 100. Bericht des Historischen Vereins
f. d. Pflege der Geschichte des ehemaligen Fürstentums Bamberg 1964, 529-549,
543. Vgl. auch F. Schmitt, Das Mainzer Zunftwesen und die französische Herrschaft,
Diss. Frankfurt 1929, 36 f.; R. Berleung, Entwicklungsgeschichte des Arbeitsvertrages
in den deutschen Territorien seit dem Reichsschluß von 1731 bis zur Einführung der
Reichsgewerbeordnung von 1870/71, Diss. München 1906, 28 (München 1802).
(67) Briiuer (wie Anm. 4), 25 für das frühe 19. Jahrhundert.
(68) Rust (wie Anhang Nr. 25), 130; Poul Horster, Die Entwicklung der sächsischen
Gewerbeverfassung (1780-1861), Krefeld 1908, 36; Dubler (wie Anm. 57), 260
f.; vgl. ferner W. Neuhous, Hersfelder Tuch. Beiträge zur Geschichte des Hersfelder
Wollgewerbes, Bad Hersfeld 1952, 49 (Aufhebung des Wauderzwangs für hessische
Landstädte); Berwing (wie Anhang Nr. 71), 140.
(69) Schulz (wie Anhang Nr. 8), 209 ff., 196 ff.; B. Habicht, Stadt- und Landbondwerk
im südlichen Niedersachsen im 18. Jahrhundert, Göttingen 1983, 233, in
ZusommenfMsWlg seiner differenzierten Untersuchungen über „die Bedingungen des
Zugangs zum Gewerbe der Städte“ (196 ff.).
(70) Diese These bedarf der empirischen, noch einz􀌙lnen Gewerben und Regionen
unter Einschluß des Landhandwerks unterscheidenden Uberprüfung; vorbildliche A\tfarbeitung
der Materialien bei A. Steinkamp, Stadt- und Landhandwerk in SchaumburgLippe
im 18. und beginnenden 19. Jahrhundert, Rinteln 1970.
(71) O.K. Roller, Die Einwohnerzahl der Stadt Durlach im 18. Jahrhundert in ihren
wirtschaftlichen und kulturgeschichtlichen Verhältnissen dargestellt ous ihren Stammtafeln,
Karlsruhe 1907, 281-329, vor allem 317 ff.
(72) Kaufhold (wie Anhang Nr. 43), 61.
(73) J. Krause, Das Meisterbuch der Dresdner FleischerinnWlg, in: Archiv für Sippenforschung
18 (1941), 106-109, 133-137, 1 56-169. Ein ähnlicher Befund bei W.
Schaub, Städtische Familienformen in sozialgenealogischer Sicht ( Oldenburg 1743/
1870), in: W. Conze (Hg.), Sozialgeschichte der Familie in der Neuzeit Europas. Neue
ForschWlgen, Stuttgart 1977, 292-345, 314: Handwerker regional und sozial immobiler
als Kaufleute, insbesondere aufgezeigt an ihrer Berufs- und Werkstattvererbung.
(74) H. Pönicke, Studien zur Wanderungen sächsisch-thüringischer Handwerker in
die baltischen Provinzen im 18. und 19. Jahrhundert, Harnburg 1964, 61 f.
(75) Beispiele für Anwerbungen im Rahmen von Iondesherrlicher Wirtschnftspolitik
und Aufnahme von Religionsflüchtlingen bei 0. Dnscher, Das Textilgewerbe in HessenKassel
vom 16. bis 19. Jahrhundert, Marburg 1968, 31-41.
(76) Vgl. R. Forberger, Die Mnnufoktur in Sachsen vom Ende des 16. bis zum
Anfnng des 19. Jnhrhunderts, Berlin/DDR 1958, 121-123. Zur Differenzierung zwischen
Gesellenwanderung und Zuzug vom Monufnkturiers Bräuer (wie Anhnng Nr.
22), 85 mit 89, Anm. 46. Bräuer betont, daß die „Manufakturiers“ Arbeitsinstrumente
mitführten.
(77) Ausführlich zur Typologie Chnteloin (wie Anm. 10); vgl. R.J. Mols, Introduc-
214
tion 6 In demographie historique des villes d’Europe du XIV nu XVIII siede, Gembloux
1954/56, Bd. 2, 340-344; J. Albrecht, Soziologie der geogrnphischen Mobilität, Stuttgnrt
1972, 50 ff.
(78) Reininghnus (wie Anm. 49), 131.
(79) E. Heinemeyer/H. Ottenjnnn, Alte Bnuernmöbel. Volkstümliche Möbel nus
dem nordwestlichen Niedersachsen, Leer 1978, 35-44; F.W. Jaspers/H. Ottenjann,
Volkstümliche Möbel nus dem Ammerland, Cloppenburg 1983, Textteil, 34.
(80) J. Naumnnn, Arbeitswelt und Lebensformen des Bnuhandwerks im wittgensteinischen
Territorinlstaat der Neuzeit {1550-1850), Diss. Marburg 1972, 280 ff. zum
Wirkungskreis anhand von Hausinschriften.
(81) Vgl. Pieper-Lippe/Asehauer (wie Anm. 53).
(82) J. Tack, Die Hollnndsgänger in Hannover und Oldenburg. Ein Betrag zur
Geschichte der Arbeiterwanderung, Leipzig 1902; neuerdings: J . Mooser, Ländliche
Klassengesellschaft 1770-1848, Göttingen 1984, 47, 242; R. Schüren, Stadt und ländliche
Industrialisierung. Sozialer Wandel in zwei Dörfern einer deutsch-niederländischen
Textilgewerberegion 1830-1914, Dortmund 1985, 13 f.
(83) Bräuer (wie Anm. 4), 20 f.
(84) Hochstadt (wie Anm. 56), 203 ff. berechnet „minimum migration rates“ von
3-8%, vermutlich über 10 %, muß aber selbst hohe Unsicherheitsfaktoren zugeben.
Treffend bereits Mols (wie Anm. 77), Bd. 1 , 259 zur Unvollkonunenheit der Statistik.
U.-C. Pallach, Fondion de Ia mobilite artisannle et ouvriere-compagnons, ouvriers et
mnnufncturiers en France et aux Allemagnes (17e-19e siecles). Premiere partie: De Ia
fin du 17e siede nu debut de l’epoque revolutionaire en 1789, in: Franein 11 (1983),
365-406 [bisher mehr nicht erschienen], mit Überlegungen zur Quantifizierung ebd.,
378-383.
( 85) P. Kriedte/H. Medick/ J. Schlumbohm, Industrialisierung vor der Industrialisierung,
Göttingen 1978, 175 f. zur mobilitätshenunenden Wirkung von Protoindustrie;
H. Medick, Zur strukturellen Funktion von Haushalt und Familie im Übergang von der
trnditionellen Agrargesellschaft zum industriellen Knpitalismus: die protoindustrielle
Familienwirtschaft, in: Conze (wie Anm. 73), 254-282, sieht 273, Anm. 56 eine Tendenz
zum Verschwinden des trnditionellen hnndwerklichen Wanderungsverhaltens als
Auswirkung hausindustrieller Produktion.
(86) Für den Zeitraum, den A. Redford, Labour Migration in England, 1800-1850,
Manchester 1926, behandelte, steht eine umfnssende Monographie zur Migration in
Deutschland aus; vgl. aber die Aufsätze von W. Köllmann, wiederabgedruckt in:
Bevölkerung in der industriellen Revolution, Göttingen 1974, sowie D. Langewiesche ,
Mobilität in deutschen Mittel- und Großstädten. Aspekte der Binnenwanderung im
19. und 20. Jahrhundert, in: W. Conze/U. Engelhardt (Hgg.), Arbeiter im Industrialisierungsprozeß,
Stuttgart 1979, 70-93 (dort weitere Literatur). Siehe auch Bade
(wie Anm. 24), 9 f. zum “ Nebeneinander von Gesellenwanderung und frühindustrieller
Arbeiterwanderung“.
(87) Elkar (wie Anhang Nr. 5), 265, ebd. 263-267: Erörterung der Quellen.
(88) Bräuer (wie Anm. 4), 10 mit Anm. 1 1 , 12 zur Auswertung von (in großer Zahl
vorliegenden) Wauderbüchern und vergleichbaren Quellen.
(89) Für Unterstützung bei der Beschaffung von Materinl habe ich den Kollegen Dr.
Klaus Schwarz ( Staatsarchiv Bremen), Dr. Hans Nordsiek (Konununalarchiv Minden),
Herbert Stöwer (Stndtarchiv Lemgo) und Dr. Manfred Huiskes (Historisches Archiv
der Stadt Köln) herzlich zu danken.
215

ZUR WANDERUNGSMOTIVATION SACHSISCHER
HANDWERKSGESELLEN IM 1 5 . / 1 6 . JAHRHUNDERT
Quellenbefund – theoretische Erörterungen – Hypothesen
HELMUT BRÄUER
Handwerksgesellenwanderungen sind ein historisches Phänomen, das den
Zeitgenossen zu vielfachen Reflexionen Anlaß gab und seither auch die
Forschung immer wieder beschäftigte, wenngleich deren Ergebnisse oft
recht kontrovers ausfielen. Wurde dabei die Frage nach den Beweggründen,
den ursächlichen ;.nd den spontan 􀎥uslösenden Impulsen für das
Wandern gestellt, so führten die Antworten vor allem in sozial- und wirtschaftsgeschichtliche,
politische, ebenso aber in bildungs- und kulturgeschichtlich-
volkskundliche Bereiche ( 1).
Wanderungen der Handwerksgesellen und ihre Motivationen erweisen
sich als Erscheinungen, die monokausal schlechterdings nicht erklärbar
sind; daher ist es angebracht, die dialektischen Beziehungen zwischen Ökonomie,
Politik und Ideologie in und mit ihren sozialen Konsequenzen für
diese spezielle Fragestellung zu prüfen.
Als Untersuchungsraum wird Obersachsen gewählt, das im 15./16. Jahrhundert
eine nicht unerhebliche Wandertätigkeit kannte, die sich unter
folgenden Rahmenbedingungen vollzog:
1 . Der Territorialstaat konsolidierte sich und erreichte gegen Mitte des
16. J ahrhunderts relative Geschlossenheit und Stabilität; das fand seinen
Ausdruck in frühabsolutistischen Phasen (Herzog/Kurfürst Moritz,
Kurfürst Christian 1.) und intensivem inneren Landesausbau (Herzog Georg,
Kurfürst August).
2. In dem städtereichen Gebiet war die kleine gewerbliche Warenproduktion
seit Mitte des 15. Jahrhunderts sprunghaft gewachsen, hatte eine
breite, differenzierte und spezialisierte Gewerbepalette mit Wirtschaftszentren
in Zwickau (Tuch), Chemnitz (Leinen), Leipzig (Leder) und Waldenburg
(Töpfereiwaren) ausgebildet.
Leipzig und N aumburg spielten als Großmärkte und Finanzplätze eine
Rolle.
3. Das Landhandwerk war seit dem Ausgang des 15. Jahrhunderts zu
auffälliger Blüte gelangt.
4. Seit dem letzten Drittel des 15. Jahrhunderts vollzog sich in der
Erzgewinnung und -verhüttung eine stürmische Entwicklung, die wesentlich
dazu führte, daß sich in diesem Wirtschaftsbereich, bald darauf aber
217
auch in der Textilproduktion und im Buchdruck frühkapitalistische Produktionsprinzipien
durchsetzten. Sie repräsentierten wohl den sozialökonomischen
Fortschritt, vermochten allerdings den quantitativen Primat
der kleinen gewerblichen Warenproduktion nicht zu zerstören.
5. Von Obersachsen nahm – mit der lutherischen Reformation beginnend
– der Prozeß der deutschen frühbürgerlichen Revolution seinen Ausgang,
der die Feudalgesellschaft sehr nachhaltig erschütterte und welthistorisch
den Übergang zum Kapitalismus einleitete (2).
Auf dem Boden dieser hauptsächlichen gesellschaftlichen Realitäten haben
die Wanderungen der Handwerksgesellen stattgefunden, und nur in
diesem Kontext ist die Ermittlung, Beschreibung und Analyse der Wanderungsmotivation
sinnvoll. Dabei gilt es, einem Beziehungsgeflecht Aufmerksamkeit
zu schenken, das
1. vom entsprechenden Stand der Entwicklung der kleinen Warenproduktion
in Korrelation zum jeweiligen Ausprägungsgrad der Zunft,
2. von der Ausbildung eines politisch-administrativen Systems von feudaler
und städtischer Obrigkeit und
3. von den individuellen Veranlagungen, Neigungen, Vorstellungen und
Zwängen der Gesellen bestimmt wurde, jedoch auch weitere Elemente –
etwa die Entwicklung und Wirksamkeit von Gesellenorganisationen, konfessionelle
Probleme oder konkrete historische Einzelereignisse – tangieren
oder einschließen konnte.
Die ökonomische Wurzel der Gesellenwanderung ist an jener Stelle zu
suchen, an der die Entwicklung der Produktivkräfte mit den Prinzipien
der Zunft zu kollidieren begann. All die Maßnahmen, die im Laufe von
vielen Jahrzehnten entwickelt wurden, um dem Grundanliegen der Zunft
zu entsprechen, „das korporative Eigentum, die feudale Organisation des
Handwerks“ und das Eigentum in Gestalt „der Arbeit jedes Einzelnen“
(3) zu sichern ( 4), mußten sich wohl auf längere Zeit in ihrer Wirkung als
Illusion erweisen, spielten aber dennoch als soziale Faktoren eine Rolle.
Seit dem 15. Jahrhundert sind in wachsendem Maße solche zünftigen
Einschränkungen zu beobachten, die dann gegen die Mitte des 16. Jahrhunderts
zu vielfacher “ Schließung“ von Handwerken führten. Frühestens
in diesem Zusammenhang – in Freiberg z.B. 1536 bei Tuchmachern, 1542
bei Leinewebern, 1544 bei Hutmachern oder 1548 bei Riemern (5) – ist von
einem “ Wanderzwang“ die Rede; territorialstaatlicherseits erfolgte dessen
Sanktionieruns für Sachsen erst 1661 (6). Bei den Leipziger Gürtlern und
Nadlern kann dieser Vorgang für die erste Hälfte des 16. Jahrhundert
belegt werden; während die Artikel von 1484 keine diesbezüglichen Bestimmungen
enthielten, wurde 1565 fixiert, daß der fremde Geselle nach
2 18
der Lehre zwei Jahre am Ort gearbeitet haben und zwei Jahre gewandert
sein mußte, bevor die Mutung erfolgen konnte (7).
Es erhebt sich folglich die Frage, wodurch die Wanderbewegung seit
ihrer ersten quellenmäßigen Erfaßbarkeit in sächsischen Städten motiviert
war.
Unmittelbare Aussagen dazu fehlen in den zeitgenössischen Dokumenten.
Viele Gewerbe schrieben allerdings schon eine Wartezeit zwischen
Losspruch des Lehrlings und der Mutung vor; sie betrug 1451 bei den
Dresdner Fleischern ein Jahr (8), 1489 bei den Rochlitzer Tuchmachern
drei Jahre; im 16. Jahrhundert wurde sie generell erheblich erweitert (9).
Indem sich jene Zeitspanne vergrößerte, prallten die subjektiven Gesellenwünsche
auf die objektiven Realisierungsmöglichkeiten der Zünfte.
Das dürfte das Interesse an den nachbarlichen oder ferneren Regionen
und ihren ökonomischen Möglichkeiten geweckt haben, woran sich der
Vergleich mit den Gegebenheiten in der eigenen Stadt anschloß. Auf der
Suche nach den Wandermotivationen wird man der Frage, ob die materiellen
und geistigen Existenzbedingungen den Gesellen anderswo günstiger
erschienen, einen besonderen Spielraum zumessen müssen.
Unterstellen wir, daß das individuelle Grundanliegen einer jeden Gesellenexistenz
unter den Bedingungen der Vorherrschaft der kleinen gewerblichen
Warenproduktion die Meisterperspektive war, so erweist sich
angesichts der bereits im 15. Jahrhundert beklagten relativ hohen Ausbildungsquote
und der dadurch im Verhältnis zur Anzahl der Meisterstellen
wachsenden Gesellenzahl (10) sowie der lokal beträchtlich unterschiedlichen
Bedingungen und statutarischen Vorschriften die Suche nach den
günstigsten Voraussetzungen für die Meisterschaft als starker Anreiz zum
Wandern. Noch bis ins dritte Drittel des 16. Jahrhunderts bestanden bei
den Leipziger Schustern solche anziehenden Regelungen, daß schließlich
der Zustrom von Gesellen mit obrigkeitlichen Mitteln gebremst werden
mußte ( 1 1 ) . Einerseits konnten die Bestimmungen über das Meisterstück
(12), andererseits über den Bürgerrechtserwerb (13) besonders attraktiv
sein. Dazwischen lagen viele andere differenzierte Festsetzungen, so daß
das Bemühen der Handwerker um die Nivellierung lokaler U nterschiede
ganz allgemeiner Art und völlig begreiflich war ( 14).
Die zum Wesen der Zunft gehörige Bevorteilung der Familienangehörigen
eröffnete den nicht aus dem Handwerk stammenden Gesellen Einheiratungsgelegenheiten,
den Meistersöhnen darüber hinaus ökonomische
Wachstums- oder Stabilisierungschancen (15). Das hat die Wanderbereitschart
gefördert.
Die erheblich differenzierten sozialökonomischen Verhältnisse zwischen
219
einzelnen Regionen eines politischen Territoriums bzw. zwischen verschiedenen
größeren geographischen Räumen schlossen Probleme des Arbeitsplatzangebotes
ein (16), die gewerbespezifisch, im Stadt-Land-Verhältnis
begriffen, aber auch zeitlich bestimmt sein konnten (17). Um die Mitte
des 16. Jahrhunderts schied beispielsweise der Hauptbrief der sächsischen
Schneider die Städte in “ vornehme“ wie Leipzig, Zwickau, Dresden,
Chemnitz, Annaberg etc., in denen die Meister drei Gesellen beschäftigen
durften, und in „geringere“ (Pegau, Colditz, Oederan, Mittweide etc.);
hier waren nur zwei Gesellen pro Meister erlaubt {18). Diese Differenziertheit
in der “ Attraktivität“ der Städte ( 1 9 ) hatte verständlicherweise
mobilitätsfördernde Folgen, selbst wenn – meist aber vergeblich – immer
wieder erneut von den Z ünften Versuche unternommen wurden, die aus
der Wirtschaftsentwicklung resultierenden territorial unterschiedlichen gewerbeinternen
Regelungen abzubauen, wie etwa zwischen Österreichischen
und sächsischen Städten geschehen {20).
Regionale und gewerbestrukturelle Unterschiede im Arbeitsplatzangebot
waren häufig mit beträchtlichen Qualitätsdifferenzen zwischen den
einzelnen Arbeitsstellen verbunden; sie hingen nicht selten mit der innerzünftigen
sozialen Differenziertheit und dem von Meister zu Meister ungleich
gehandhabten Faktor der persönlichen Inanspruchnahme und Nutzung
der Gesellenarbeitskraft – letztlich dem Ausbeutungsgrad – zusammen
(21).
Magnetwirkung auf die Gesellen übte stets die Spezialitätenproduktion
aus, die ihre Ausstrahlung auch über weite Entfernung zu lenken vermochte
und oft eine hohe Wanderungsdichte bewirkte, wie am Beispiel
der Brezelbäckerei im böhmischen Kaden gezeigt werden kann (22).
In ähnlicher Weise griffen soziale Faktoren in die Wanderbewegung ein.
Leipziger Zimmergesellen warfen beispielsweise 1555 ihren Meistern vor,
daß jene selbst dafür verantwortlich seien, wenn Fremde nicht am Ort
bleiben wollten: “ Man hat vor zeiten ein gesellen ein nösel hier vber die
maltzeit geben, Itzunder wollen sie ime kam (kaum) kovent geben. Daraus
ervolget, das auch die gesellen in andren Stedten vns hie kovent knechte
scheltten“ (23). 1 549 beklagten die Hutmacher aus 16 sächsischen Städten
die Haltung der Leipziger Gesellen, die eine Unterbringung im Hause des
Meisters der verordneten Herberge vorzogen, weil dort die Mahlzeit 8
d und die Übernachtung 1 d kostete (24). Entlohnungsprobleme (25)
und Arbeitszeit (26), vor allem im Zusammenhang mit der äußerst unterschiedlichen
und sich häufig wandelnden Handhabung des sog. blauen
Montags, stellten gleichfalls Momente dar, die auf die Wanderbereitschaft
einwirkten. Natürlich setzte das einen entsprechenden Informationsfluß
220
– das Bekanntsein der anderen Verhältnisse und das Bewußtsein von der
Nutzbarkeit dieser anderen Gegebenheiten – voraus, doch der fand – sehr
zum Leidwesen der Meister – bei Ankunft fremder Gesellen oft recht ausgiebig
statt (27).
Auch das sog. Geschenk hat seine wanderungsstimulierende Wirkung
nicht verfehlt; häufig entwickelte sich unter dessen Einfluß eine Pendelwanderschaft,
die das Ziel verfolgte, in möglichst kurzen Abständen die
jeweiligen Vergünstigungen zu erhalten. Dem traten Meister und Gesellenkorporationen
in den Statuten mit Festlegungen zur Unterbindung
dieser Praxis entgegen (28).
Im Rahmen und als Bestandteil gesellenkorporativer Entwicklung vollzog
sich – freilich mit erheblichen sozial, gewerblich und lokal bedingten
Unterschieden – die Herausbildung und Festigung einer gesellenspezifischen
Denkwelt; sie war an zünftige Ideen ebensooft angelehnt wie von
ihnen abgegrenzt. Übernahmen die Gesellen z.B. wesentliche Elemente
der Organisation und Organisationsstruktur der Zünfte, so hatten sie bei
ihnen doch einen anderen sozialen Inhalt. Die geistigen Bindungen zwischen
ihnen und ihrem Handwerk waren mitunter so eng, daß selbst dann
eine Identifikation mit dem Handwerk erfolgte, wenn die soziale Qualität
der Meisterschaft nicht mehr erreicht werden konnte. “ H andwerksehre“
und „Handwerksansehen“ als ideelle gesellschaftliche Wertgrößen 􀁬 vielfach
schon zur Illusion geworden – spielten im Denken der Gesellen eine
Rolle. Das war auch bedeutsam für die Formung „innerer Haltungen“ zur
Wanderschaft.
Andererseits offenbarte sich in bestimmten korporativen Forderungen,
das öffentliche Ansehen des Handwerks und der Gesellenorganisation zu
wahren; geschah das nicht, folgten Restriktionsmaßnahmen der Gesellen.
So weigerten sich die Zwickauer Bäcker- und Mühtknechte 152 1/22, mit
jenen zusammenzuarbeiten, die in Schneeberg gelernt hatten, weil dort angeblich
keine rechtmäßige Innung existierte. In vielen sächsischen Städten
würden sie – die Zwickauer Gesellen – verachtet und nicht gefördert und
müßten von Ort zu Ort ziehen. Mit ihrer Distanzierung von den Sehneeberger
Gesellen beabsichtigten sie die Wiederherstellung ihres guten Rufes.
Als die sächsischen Territorialherren keine nachhaltigen und wirksamen
Schritte dazu unternahmen, griffen die Zwickauer Bäcker- und M ühlknechte
zum Zwangsmittel des Streiks mit Abzug nach Böhmen.
Es wird ersichtlich, wie dieses ideologische Moment in der gesellschaftlichen
Praxis eine ganze Reihe von Mobilitätsprozessen ausgelöst, vermittelt
oder angestoßen hat, ja es schloß sogar die Zuwanderung von “ Streikbrechern“
nach Zwickau ein (29).
221
Daß mit den Wanderungen in hohem Maße die Aneignung von fachlichen
Kenntnissen – vor allem über technisch-technologische und Marktprobleme
-, die Ausprägung beruflicher Fähigkeiten und Fertigkeiten und
die Entwicklung individueller charakterlicher Qualitäten verbunden war
(30), ist weithin unbestritten, obgleich die Quellenbelege vornehmlich aus
der Zeit nach 1600 stammen. Offen bleibt daher für frühere Perioden vor
allem die Frage, inwieweit diese als Folgen und Ergebnisse der Wanderungen
akzeptierten Momente zugleich auch mobilitätsauslösend gewesen
sind, diese Wanderungen also im Hinblick auf ihre erstrebten Wirkungen
geplant waren. Einzelstücke belegen – wie ein Brief des Zwickauer
Rates an Bürgermeister, Rat und Riemerhandwerk zu Wien vom Jahre
1533 zeigt – wenigstens den mit Nachdruck vorgetragenen Reisewunsch
des Gesellen, wenngleich auch hier das Motiv unausgesprochen blieb (31 ) .
Feudalstaatliche (32) und städtische wirtschaftspolitische Maßnahmen
(33) dienten nicht selten der Entwicklung von Spezialgewerben bzw. neuen
Gewerben am Ort oder sollten das feudale Repräsentationsbedürfnis befriedigen
helfen. Die solchen Bestrebungen folgenden Wanderungen gingen
vornehmlich auf Anreiz besonders günstiger sozialökonomischer oder
rechtlicher Bedingungen (zinslose Darlehen, Steuererlaß, -erleichterung,
freies Bürgerrecht etc.) oder auf feudale Zwangsmaßnahmen zurück, sie
stellten bereits eine Abweichung von den typischen Formen der Gesellenwanderung
dar.
Ein zweiter großer Komplex steht mit der Handhabung zünftiger Rechtsvorschriften
bzw. dem politisch-juristischen Handeln der städtischen Räte
in unmittelbarem Einklang.
Reichten die finanziellen Disziplinierungsmöglichkeiten der Zünfte nicht
mehr aus, die Gesellen fest an die Innungsvorschriften zu binden, wurde
das höchste handwerksinterne Strafmaß, die (zeitweilige) Verweigerung
der Arbeit am Ort angewiesen (34). Besonders problematisch waren diese
Sachverhalte für die Gesellen dann, wenn die Meister auf der Basis territorialer
Absprachen regelrechte Massentreiben von Gesellen organisierten,
wie das 1544 die Töpfermeister in Dresden, Freiberg, Chemnitz und anderen
sächsischen Städten gegenüber 1 0 1 Gesellen ihres Handwerks getan
haben (35).
Obwohl Einzelentscheidungen – hinsichtlich der Häufigkeit aber ebenso
belangvoll -, erwiesen sich die von Stadtgerichten ausgesprochenen Urteile
vielfach als Ausgangspunkt für erzwungene Wanderschaft. Ob dem
Gesellen auferlegt wurde, ein bzw. zwei Jahre zu wandern (36) oder ob er
“ sal vonstunt uß der stadt gehen vnd das hantwerck zcu arbeiten nymmer
mehir widder herinn kommen“ (37), war insofern unerheblich, als mit der
222
Entscheidung der sofortige Abbruch der produktiven Tätigkeit am Ort
und die Aufnahme der Wanderung verbunden gewesen sind. Besonders
häufig wurde die Stadtverweisung für Diebstahlvergehen ausgesprochen
– so 1529 für „Oßwalt Sengwein de(n) knap vnd Barbara sein fraw, die
kemerin, so von der !gell awß mehren sein solten . . . “ (38).
Lange Wanderungen – die Fristen von sechs Wochen und drei Tagen
deuten das an – waren mitunter nötig, wenn sich die Gesellen von
Vorwürfen, kriminelle oder den Moralnormen widersprechende Handlungen
begangen zu haben, befreien wollten und aus diesem Grunde diverse
Zeugnisse aus ihrer Heimat oder den letzten Arbeitsorten beibringen
mußten (39), zumal – wie ein Brief des Wiener Thchscherers Steffan
Pychler vom 5. Dezember 1561 an den Zwickauer Rat erkennen läßt ( 40) –
im Kundschaftswesen bereits ein erstaunlicher „bürokratischer“ Aufwand
getrieben worden ist. Auch Botendienste, die Gesellen für ihre Berufsgenossen
unternahmen, um ihnen in mißlichen Situationen – beispielsweise
bei Krankheit (41) – zu helfen, müssen hier Berücksichtigung finden.
Die verhältnismäßig weite Verbreitung von Bestimmungen ( 42), wonach
die verheirateten Gesellen nur bedingt gefördert werden sollten, sofern sie
von ihrem Eheweib kein entsprechendes Zertifikat vorlegen konnten, das
ihre Zustimmung zur Wanderung des Mannes enthielt, signalisiert, daß
die Versuche nicht eben selten waren, mittels der Gesellenwanderung den
Banden der Ehe zu entfliehen.
Hohe Mobilitätsquoten entfielen auf den Bereich von Verhandlungen
und Ausgleichszusammenkünften zwischen Meistern und Gesellen aus
mehreren Städten. 1545 trafen sich u.a. 52 Meister des Riemer- und
Sattlerhandwerks und 14 ihrer Gesellen aus insgesamt 36 Städten Sachsens
und Thüringens in Leipzig, um Festlegungen über ihre Ordnung zu treffen
( 43); drei Jahre später gab es eine ähnliche Zusammenkunft in Freiberg
( 44). D a das auch in anderen Handwerken üblich war ( 45), bestimmte
Kurfürst August 1559, daß diese Beratungen künftig in den “ vornehmsten
Städten“ des jeweiligen Kreises, nicht mehr aber außerhalb des Landes,
stattfinden sollten ( 46).
Ab und an, wenn die Streitigkeiten zwischen Meistern und Gesellen
nicht leicht beigelegt werden konnten, wurden Gesellen von auswärts als
„Schlichter“ bestellt. So waren 1479 zum Zweck der Beendigung des Freiberget
Bäckergesellenstreiks von den Meistern 1 7 Gesellen aus sächsischen
Kommunen ·nach der Bergstadt gerufen worden, um vermittelnd zu fungieren
( 4 7).
Auch die Gesellenkorporation trat als Impulsgeber für die Wanderung
auf. Waren Geldstrafen zur Durchsetzung der Organisationsstatuten nicht
223
mehr ausreichend, dann wurde bestimmt, daß distanzierte Haltung einzelner
Gesellen zur Korporation die Weigerung der übrigen zur Folge haben
sollte, mit diesen Berufsgenossen zusammenzuarbeiten; die Chemnitzer
Schuhknechte formulierten 1496 sogar, daß der betroffene Geselle „unser
stadt vormeyden und nicht widder dareyn kommen“ soll ( 48). Sie nahmen
mit der Stadtverweisung hier ein Strafmaß in Anspruch, über das nur der
Rat verfügen konnte.
Natürlich bot der Gesellenstreik ( 49) mit umfangreichen Vorbereitungen,
der Zeit der Zuspitzung der innergewerblichen Beziehungen und des
schließliehen Wegzuges, oftmals auch in den Perioden der obrigkeitlichen
Verfolgung resp. der Flucht der Gesellen vor den Restriktionsmaßnahmen
eine Fülle von Motiven zu Ortsveränderung. 1516 legten z.B. 41 Annaberger
Schmiedegesellen die Arbeit nieder; sie zogen gemeinsam nach
Zwickau, doch ist kaum einer später wieder nach Annaberg zurückgekehrt
(50). Das Streikende im Zwickauer Ratsgefängnis hat offensichtlich
das Vertrauen der Gesellen i n eine ruhige Annaberger Perspektive
beträchtlich erschüttert, so daß die Auflösung der relativ großen Gruppe
erfolgte. Andere, so die streikenden Zwickauer Gerbergesellen ( 1520) (51),
verschwanden gleichfalls aus dem Blickfeld der Quellen.
Aus entgegengesetzter Ausgangslage, von den Konsequenzen für die
Gesellen aber ähnlich, gestaltete sich die Situation beim Ausstand von
Hand wer ksmeistern.
Einige sächsische Stadträte hatten um 1500 recht intensiv wirkende
wirtschaftspolitische Kontrollsysteme gegenüber den Nahrungsmittelgewerben
entwickelt, und dagegen gab es mancherlei Opposition, die bis
zur Arbeitsniederlegung reichte. Im Spätherbst 1542 meinten die Zwickauer
Bäckermeister, sie seien mit den Bußen für untergewichtige Backware
seitens des Rates wider Gott, Ehre und Recht gestraft worden (52); die
ca. 50 Bäcker schlossen für acht Wochen ihre Backstuben (53). Zwar
bestimmte der Rat schließlich einige Meister, die auf seinen Befehl hin
backen mußten, doch blieb der größte Teil der 22 Bäckerknechte (möglicherweise
auch ein Teil der Mühlknechte?) auf diese Weise arbeitslos, und
ihre Alternative dürfte die Wanderung gewesen sein.
· Im Verlauf des 16. Jahrhunderts nahm der soziale Entwurzelungsprozeß
der sog. ewigen Gesellen immer größere Ausmaße an. Ökonomischer und
politischer Druck sorgten Zug um Zug für den Sozialverfall und häufig für
ihr Abgleiten in die Kriminalität (54). Vagabundage, gekoppelt mit Bettelei,
stellte für sie dann eine Existenzform von längerer Dauer dar, und
am Ende des Jahrhunderts wurden Handwerksgesellen in Sachsen erstmals
zusammen mit herrenlosen Knechten und Rotten müßigen Gesindels
224
in einem Mandat des Landesherrn genannt (55).
Hier war eine Stufe erreicht, die nur noch in ganz loser Verbindung zur
Handwerksgesellenwanderung stand, die als Rand- und Übergangsform
aber beachtet sein will.
Einen dritten Komplex von Motiven kann man in religiösen Problemen,
Entwicklungen und Veränderungen und damit verbundenen individuellen
Glaubensfragen feststellen.
Es handelt sich hierbei vorrangig darum, aus religiösen Gründen spezielle
Wauderrichtungen zu bevorzugen oder Orte zu meiden, ebenso aber
um die Auslösung von Wanderbewegungen.
Konfessionalitätsfragen haben offenbar für die nach Sachsen einwandernden
Gesellen nicht eine so zentrale Rolle gespielt, wie das R.S. Elkar
für spätere Zeiträume in Oberdeutschland herausgearbeitet hat (56). Sie
waren dennoch von Bedeutung und verlangen entsprechende Aufmerksamkeit.
Leipzig, vom katholischen Herzog Georg stets mit scharfem und
argwöhnischem Blick beobachtet, beherbergte selbst in Zeiten heftiger
Verfolgungen von Protestanten (57) z.B. Zinngießergesellen aus Nordhausen
und Zwickau oder Tischlergesellen aus Langenbernsdorf, Wittenberg,
Nordhausen und Jena (58).
Obwohl freilich die Anzahl der Gesellen aus katholischen Städten überwog
– für Leipzig nicht zuletzt deshalb, weil das ökonomische Einzugsgebiet
ohnehin eine hohe Kleinstädtedichte im sächsischen Herzogtum aufwies
-, sah sich der Rat im Zusammenhang mit der Ausweisung von ca. 80
Familien, die sub utraque kommuniziert hatten, gegenüber Georg zu der
Erklärung veranlaßt, dieser möge doch die ökonomischen Folgen solcherart
Entscheidungen bedenken, denn „es kommen auch . . . der mehrer teyl
der hantwergs gesellen auß Sachsen, Schwaben, Francken, Schleßien, Merhen,
den Sehe vnd Reichs Stedten, welche fast alle deme teyle anhengig“
(59).
In Zwickau standen sogar von den 1531 exakt zu identifizierenden 97
Gesellen 66% aus “ katholischen Städten“ in Arbeit (60) .
Berücksichtigen muß man aber, daß viele von ihnen aus solchen Städten
des sächsischen Herzogtums kamen, in denen erhebliche Teile der Handwerkerschaft
dem Protestantismus anhingen (Döbeln, Leipzig, Geithain,
Grimma, Roßwein u.a.) (61).
Das Verhältnis von Konfessionalität, Obrigkeit und Wanderung ist folglich
vor allem für das 16. Jahrhundert weitaus diffiziler, als das mit
Erwägungen über die geographische Herkunft der Gesellen und den obrigkeitlich
gültigen Konfessionsstatus schlüssig behandelt werden könnte.
Einen besonderen Platz nehmen die Täufer ein (62). Die feudale Macht-
225
praxis des Reiches und der Territorien (63) sowie die selbst auferlegten
Glaubensverpflichtungen sorgten für eine hohe Mobilität. Da sich
unter ihnen viele Handwerksgesellen befanden, die auf den Zügen mittels
ihrer Handwerksfertigkeit die individuelle materielle Existenz zu sichern
und gleichzeitig ihre Glaubensvorstellungen weiterzugeben trachteten,
sind ihre meist erzwungenen Wanderungen für das zu behandelnde
Thema von Belang. Auffällig enge Kontakte gab es dabei zwischen Linz/
Freistadt und dem westsächsisch-vogtländischen Gebiet (64), die später
um Mähren noch erweitert worden sind.
Die vorstehenden Bermerkungen zur Motivationsproblematik wollen den
Blick auf die folgenden Fragen lenken:
1. Die sächsischen Quellen des 15./16. Jahrhunderts geben nur sehr
sparsam in unmittelbarer Weise über die individuellen und kollektiven
Motive der Wanderungen Auskunft. Einsichten in diese Probleme vermag
man in erster Linie dadurch zu gewinnen, daß Quellen geprüft werden, die
Veranlassungs- oder Folgesachverhalte der Wanderung vermitteln, welche
es naheliegend erscheinen lassen, daß in ihrem Zusammenhang ein mobiler
Vorgang erfolgte. Es bleibt dabei weitgehend ein konjunktivisches
Moment erhalten, weil die Gefahr besteht, aus aktueller Sicht in einen historischen
Sachverhaltszusammenhang ein Motiv „hineinzukonstruieren“ .
Zurückhaltung in den Folgerungen aus solchen Interpretationen ist damit
notwendigerweise geboten.
2. Wenn man die Gesellenwanderung in erster Linie als eine dem Wesen
der kleinen gewerblichen Warenproduktion entstammende Erscheinung
begreift, die vorrangig zunftorientiert motiviert war, so bleibt ein
sehr beträchtlicher Teil der Wanderungen außer Betracht. Es erscheint
daher sinnvoll, zwischen Wanderungen zu unterscheiden, die erstens von
der sozialökonomischen Entwicklung, vor allem ausgedrückt durch die
„Schließung“ der Zünfte diktiert, zweitens solchen, die obrigkeitlicherseits
erzwungen und drittens solchen, die individuell und kollektiv gewollt
worden sind. Das lenkt den Blick auf die “ Gesamtheit“ der Ortsveränderungen
der Gesellen, in deren Verlauf sie durch die berufliche Tätigkeit
innerhalb des Systems der kleinen gewerblichen Warenproduktion existenzfähig
blieben, wobei die individuellen Zielvorstellungen freilich auseinanderklafften.
3. Es wird augenfällig, daß die MotivbündeJung – etwa das Zusammenfallen
von ökonomischem oder politischem Zwang und individuellem
Wunsch – bei weitem überwiegt. Das gibt Anlaß zu sehr differenzierten
Analysen der Wanderungsmotivation, weil leicht die Gefahr besteht,
die individuellen Wandetkonsequenzen aus einer obrigkeitlich initiierten
226
Drucksituation als Übereinstimmung mit den obrigkeitlichen Maßnahmen
zu erklären und dadurch sozialpolitisch-klassenmäßige Gegensätze zu verwischen.
4. Wichtig erscheint, der historischen Dimension der Wanderungen und
ihrer Motivation gehörige Aufmerksamkeit zu schenken, vor allem weil mit
fortschreitender Massenhaftigkeit von „rein“ zünftig ausgelösten Wanderungen
der Feudalstaat als Regulierungsinstrument und schließlich als Disziplinierungsinstitut
gegenüber den Gesellen auftrat. Ökonomie, Politik
und Ideologie einerseits und Gesellenindi vid uali tät andererseits gelangten
dabei zu ständig komplizierter werdenden Beziehungen.
5. Angesichts der Vielfalt gesellschaftlicher Einflußfaktoren auf die Gesellenwanderung
und ihr breites Verhaftetsein im ökonomisch-sozialen Boden
der jeweiligen Gesellschaft ist die Gesellenwanderung nur bedingt
ein Gegenstand der Handwerksgeschichte; eine sozialgeschichtliche Betrachtungsweise
würde die Wanderungsproblematik komplexer erfassen
können.
ANMERKUNGEN
(1) Zum Forschungsstand: R.S. Ellror: Umrisse einer Geschichte der Gesellenwanderungen
im Übergang von der Frühen Neuzeit zur Neuzeit. Problemskizze und Zwischenergebnisse.
In: Ders. (Hg. ): Deutsches Handwerk in Spätmittelalter und Früher
Neuzeit, Göttingen 1983, 5.86-116. – Ders.: Die Mühsal der Walz. Selbstzeugnisse
wandernder Handwerksgesellen als Quellen für Sozial- und Bildungsgeschichte
des Handwerks im 19. Jahrhundert. In: II. Internationales Handwerksgeschichtliches
Symposium Veszprem 2 1 . – 26. 8. 1982, Bd. 1 , Veszprem 1983, 293-313. – Ders.:
Wandernde Gesellen in und aus Oberdeutschland: Quantitative Studien zur Sozialgeschichte
des Handwerks vom 17. bis zum 19. Jnhrhundert. In: U. Engelhardt (Hg.):
Handwerker in der Industrialisierung, Stuttgart 1984, 262-293. – W. Reininghaus:
Die Migration der Handwerksgesellen in der Zeit der Entstehung ihrer Gilden ( 14./1 5 .
Jahrhundert ) . In: VSWG 6 8 , 1 9 8 1 , 1 – 2 1 . – Ders.: Die Entstehung der Gesellengilden
im Spiitmittelalter, Wiesbaden 1981, 46-49. – K. Stopp: Die Handwerkskundschaften
mit Ortsansichten, Bd. 1 , Stuttgart 1982. – A.-M. Dubler: Handwerk, Gewerbe und
Zunft in Stadt und Landschaft Luzern, Luzern-Stuttgart 1982, 135-138, 255-261. – K .
Schulz: Handwerksgesellen und Lohnarbeiter, Sigmaringen 1985, 266-296. – G . Jaritz:
Gesellenwanderung in Niederösterreich im 15. und 16. Jahrhundert unter besonderer
Berücksichtigung der Tullner „Schuhknechte“. In: Internationales Hand werksgeschichtliches
Symposium Veszprem 20. – 24. 1 1 . 1978, Veszprem 1979, 50-61. – 0. Domonkos:
Reiserouten der wandernden Handwerksgesellen und die technisch-historische
Bedeutung der Gesellenwanderschaft . In: Ebd., 12-30. – Ders.: Wauderrouten ungarischer
Handwerksgesellen und deren Bedeutung für den technischen Fortschritt. In:
Jb. f. Wirtschaftsgeschichte, Berlin 1982/1, 99-111. – H. Briiuer: Gesellenmigration in
der Zeit der industriellen Revolution, Karl-Marx-Stadt 1982.
{2) S. Hoyer: Sachsen in der Zeit des Frühkapitalismus und der Frühbürgerlichen
Revolution, 15. bis 16. Jahrhundert. In: Siichsiche Heimatblätter 28 {1982) 5, 221-234.
– K. Czok: Die Entwicklung des kursächsischen Territorialstaates im Spätfeudalismus
227
von der Mitte des 16. Jahrhunderts bis um 1 790. In: Ebd., 6, 241-254. – G. Heitz:
Ländliche Leinenproduktion in Sachsen (1470 – 1555 ), Berlin 1961. – K. Czok: Das alte
Leipzig, 2. Auft., Leipzig 1985. – H. Briiuer: Die Stadtbevölkerung von Chemitz zwischen
1460 und 1600, Karl-Marx-Stadt 1978. – Ders.: Zwicknu und Martinus Luther,
Karl-Marx-Stadt 1983. – A. Laube: Studien über den erzgebirgischen Silberbergbau
von 1470 bis 1646, 2. Aufi., Berlin 1976.
(3) K. Marx, F. Engels: Die deutsche Ideologie. In.: MEW, Bd. 3, Berlin 1958, 24.
– Vgl. auch K. Marx: Das Knpital, Bd. 1 . In: MEW, Bd. 23, Berlin 1962, 379 f.
(4) H. Schultz: Handwerk. In: Hundbuch Wirtschaftsgeschichte I, Berlin 1981, 576.
(6) K. Knebel: Handwerksbräuche früherer Jahrhunderte insbesondere in Freiberg.
In: Mitteilungen des Freiherger Altertumsvereins, H. 23, 1886, 57. – Nach den Beobachtungen
von R.S. Elkar: Umrisse, 91, mehrten sich seit dem 15. Jahrhundert die
Bestimmungen, Wanderschaft zur Pflicht zu machen.
(6) J. Chr. Lünig (Hg.): Codex Augusteus oder Neuvermehrtes Corpus iuris Saxonici,
T. 1 , Leipzig 1724, 1568.
(7) Stadtarchiv (StndtA) Leipzig, Innungen, Gürtler C 1 .
(8) Urkundenbuch der Städte Dresden und Pirnn, hg. v. K.v.Posern-Klett, Leipzig
1876, Nr. 247 (= Codex diplomaticus Saxonine regine II, Bd. 5).
(9) Staatsarchiv (STA) Dresden, Loc. 9903, Acta, die Handwerker und Innungen
bei der Stadt Rochlitz bel., 1466-1535, BI. 5-7. – Im 16. Jahrhundert waren 2 – 5
Jahre Wartezeit die Regel; vgl. StadtA Leipzig, Innungen, Gürtler C 1 ; ebd., Maurer
A 1 – StadtA Zwicknu, X 1 13, Bl. 13b (Riemer).
(10) Urkundenbuch der Stadt Leipzig, Bd. 1 , hg. v. K.v .Posern-Klett, Leipzig 1868,
Nr. 321 ( =Cod. dipl. Sax. reg. li, Bd.8).
( 1 1 ) StadtA Leipzig, Ratsbuch 25 (1 569-1570), Bl. 147b f.
(12) StadtA Zwicknu, Ratsprotokoll (RP) 1548, BI. 82b f.
(13) Ebd., RP 1544, BI. 1 5 2 f.
(14) STA Weimar, Ernestinisches Gesamtarchiv, Reg. Hh, Nr. 353, BI. 1 ff., 15-17.
(15) H. Ermisch (Hg.): Das Freiherger Stadtrecht, Leipzig 1889, 281-285 (Messerschmiede,
um 1440), 285-288 (Böttcher, um 1450). – UB Dresden und Pirnn, Nr. 381
(Dresdner Schneider, 1481 ) .
( 1 6 } Generell zum Problem Reininghaus: Gesellengilden, 47 f.
( 1 7) STA Weimar, Ernestinisches Gesnmtnrchiv, Reg. Hh, Nr. 624, Bl. 1 f.; Klagen
von 20 sächsischen Städten über Schneiderarbeit und Lehrlingsausbildung auf den
Dörfern. – Ebd., Nr. 353, BI. 1b: Klage der Töpfer sächsischer Städte (1541} wegen
Zulauf aus Franken und dem Egerland. – StadtA Zwicknu, X 54 16, Ordnung
und Schreiben der Zimmerleute 1560-1687: Störerklngen. – Ebd., X 1 46; Anbringen
der Hamdwerke (Schmiede, Messerer, Kramer), 1489-1578: Klage der Messerer,
1615, unpag., wegen Überochwemmung des Marktes mit Nürnberger Waren, woraus
im Handwerk am Ort eine soziale Notlage entstehe. Zum Wandern als Möglichkeit
der “ Überwindung“ von Arbeitslosigkeit vgl. W. Reininghaus: Gesellenvereinigungen
als Problem der Kontinuität in der deutschen Sozialgeschichte. In: II. Internationales
Handwerksgeschichtliches Symposium, 269. – K. Schulz: Handwerksgesellen
und Lohnarbeiter, 273 f. – Sächsische Handwerksgesellen haben sich mehrfach darum
bemüht, Wandernden zur kurzfristigen Existenzsicherung eine Beschäftigung zu verschaffen,
selbst wenn das zünftigen Bestrebungen entgegenlief. Das Beispiel von K.
Schulz; Handwerksgesellen und Lohnarbeiter, 273, die Straßburger Kürschner betreffend,
ist also kein Einzelfall; vgl. StadtA Karl-Marx-Stadt, 111 Vllb 3, BI. 130. –
StadtA Leipzig, Ratsbuch 2 ( 1 489-1500), BI. 61b. – Ebd., Rotsbuch 13 (1 557-1558},
228
BI. 29, 30b f., 34. – StadtA Leipzig, Innungen, Glaser C 1 . – StndtA Zwicknu, X 1 13,
BI. 73 b. – H. Ermisch (Hg.): Freiherger Stadtrecht, 281-285.
(18) StndtA Freiberg, An X. XVIIb 1, Hauptbrief der Schneider, 1558.
(19) A. Spiesz: Statuty Bratislavskych Cechov, Bratislava 1978, 502. – G. Wielnnd:
Biberneher Handwerker in Venedig. In: Zs. f. Württembergische Landesgeschichte 41
(1982), 92 f. – R.S. Elkar: Umrisse, 98 f.
(20) StadtA Zwickau, X 28 5, Schreiben des Freiherger Rates, das Handwerk der
Messerschmiede betr., 1576-1581, unpng.: 1559 hatten die „sechs Osterreichischen Redelichen
werckstetten Alß steyr, wnythoffen an der lps, weis, Ennß, S. polten vnd
steinbach“ gefordert, daß sich die siichsichen Messerschmiede einigen ihrer Handwerksgepflogenheiten
anschließen sollten. Würde das geschehen, so wollten sie sächsische
Gesellen weiterhin für redlich halten und fordern.
(21) StndtA Leipzig, Tit. LXIV. 16n, Acta, die Bäcker betr., 1557-1835. – Ebd.,
Ratsbuch 8 (1542-1546), BI. 80.
(22) Okresni archiv Chomutov, Kadnii, sign. I. 1.2., Biickergesellenlnde 151 1-1547:
In diesem Zeitraum waren 1515 Wandergesellen in Kaden, von denen 87 ( =5,7%) aus
45 sächsischen Orten stammten.
(23) StadtA Leipzig, Zunftbuch l, B. 129 f.
(24) StadtA Leipzig, Tit. LXIV. 67, Acta, die Huthmacher-Innung betr., 1549-
1766, BI. 3 f., 10 ff.: Die Angelegenheit führte dazu, daß die Leipziger Gesellen ihre
ankommenden Kollegen aus jenen Orten für unredlich erklärten, so daß der Kurfürst
eingriff.
(25) Entlohnungsunterschiede innerhalb eines Ortes und eines Gewerbes werden belegt
in: STA Dresden, Lnndsteuer-Reg., Nr. 313, Nr. 1 , Türkensteuer der Stadt
Annaberg 1530, BI. 89-96b.
(26) Vgl. dazu beispielsweise P. Kummer: Gewerbe und Zunftverfassung in Zwickau
bis zum Jahr 1600, Diss., Leipzig 1921.
(27) StadtA Leipzig, Tit. LXIV, 95, Acta, die Messerschmiedt-Articul betr., 1 538-
1776, BI. 6 f.: 1538 klagten die Meister, die Gesellen würden bei Ankunft eines Fremden
oft bis spät in die Nacht hinein zusammensitzen und dabei des Meisters Arbeit
versäumen.
(28) Z.B. StadtA Freiberg, I Bm 167, BI. 69-72b (Schlossergesellen, 1570). – Ebd.,
Aa X. XVIIb 1 , unpag. (Barettmachergesellen, 1575).
(29) STA Dresden, Loc. 9927, Die Hnndwerchrvnd Innungenbey der Stadt Zwicknu
betreffend, ao. 1521-1661, BI. 2 ff. – StadtA Zwicknu, RP 1522-1523, Bl. 1 ; ebd.,
Konzeptbuch 1522-1523, BI. 27 f.
(30) 0. Domonkos: Reiserouten, 12-30. – Ders.: Wanderrouten ungarischer Handwerksgesellen,
99- 1 1 1 . – R.S. Elknr: Wandernde Gesellen, 262-293. – Ders.: Reisen
bildet. In: Reisen und Reisebeschreibungen im 18. und 19. Jahrhundert als Quellen
der Kulturbeziehungsforschung, Berlin (West) 1 980, 51-82. – K.J. Bade: Altes Handwerk,
Wanderzwang und Gute Policey: Gesellenwanderung zwischen Zunftökonomie
und Gewerbereform. In: VSWG 69 (1982) 1 , 1-37. – G. Otruba: Europäische Commerzreisen
um die Mitte des 18. Jahrhunderts, Linz 1982. – H. Bräuer: Wandernde
Handwerksgesellen um die Mitte des 17. Jahrhunderts in Chemnitz. In: Beiträge zur
Heimatgeschichte von Karl-Marx-Stndt, H.24, 1980, 77-89.
(31) StndtA Zwicknu, III x 1 2n, Konzeptbuch 1533-1534, BI. 141 f.
(32) C.W. Zöllner: Geschichte der Fabrik- und Handelsstadt Chemnitz, Chemnitz
1888, 223.
(33) StndtA Leipzig, Ratsbuch 1 ( 1466-1469), BI. 49, 49b. – StndtA Zwicknu, RP
1539, BI. 13. – F.W. Henning: Die zunehmende wirtschaftliche und soziale Differen-
229
zierung in einer obersächsichen Gewerbestadt (Zwiclwu) bis zum 16. Jahrhundert. In:
Scripta Mercoturae 1 (1968), 28 f.
(34) STA Dresden, Loc. 8746, Fürgenommene Reformation und Verbesserung der
Handwercker-lnnungen und Gebrechen, Ao. 1520-1731, Nr. 1 . – StndtA Dresden,
Ratsakten Abt. A, C XXIV. 274b, BI. 32b f. – Sto.dtA Zwickau, X 50 2 1 .
( 3 5 ) StadtA Ko.rl-Mo.rx-Stadt, I X T b 1 , Protocoll i n Sachen das Handwerck derer
Töpffere nllhie betr., ob Ao. 1544, Bl. 2-5. – 0. Frenzel: Die Töpfer-Innung zu
CheiTUlitz. In: Mitteilungen des Vereins f. Chemnitzer Geschichte, Bd. 23, 1924,
29-47. – Ähnliche Absprachen vgl. Sto.dtA Leipzig, Rotsbuch 1 8 ( 1 562-1563), Bl. 28
( Sensenschmiede ).
(36) StadtA Karl-Mo.rx-Stadt, 111 Vllb 2, Bl. 67b, 77, 88b. – StadtA Leipzig,
Ratsbuch 26 ( 15 70-1571 ), BI. 171.
(37) UB Leipzig I, Nr.421. – Vgl. auch: StndtA Knrl-Marx-Stndt, 111 Vllb 2 , BI.
24, 48, 50b, 55b. – StndtA Leipzig, Innungen, Schmiede A 1 (1496).
(38) StadtA Zwicknu, Liber proscriptorwn 1367-1535, BI. 89b f.
(39) StadtA Zwicknu, RP 1512-1513, BI. 20. – StadtA Leipzig, Rotsbuch 8 (1 542-
1543), BI. 188b, 228; ebd., Ratsbuch 9 ( 1 546-1550), Bl. 216.
(40) StndtA Zwicknu, A x A 111 26 nr. 3f, Briefe 1561-1565. – Ebenfalls mit hohem
Schreib- und Reiseaufwand die Nachlaßregelung eines Chemnitzer Schustergesellen, der
1552 in Neuen Lernpoch in Österreich (Neulcngbach, Niederösterreich) gestorben war;
vgl. StadtA Kari-Marx-Stadt, III V la, Nachlnßo.ngelegenheiten 1490-1696, Bd. 3, Nr.
46.
( 4 1 ) StadtA Zwickau, 111 x 3, Konzeptbuch 1508-1516, BI. 89.
( 42) StadtA Leipzig, Innungen, Leineweber A 1 (Innungsbrief, 1470). – StodtA
Zwickau, X 17 8 (Hutmacherordnung, 1533).
( 43) StadtA Leipzig, Innungen, Sattler und Riemer A 1 .
(44) StadtA Freiberg, A a X . XVIIb 1 , unpag.
(45) U.a. StadtA Leipzig, Innungen, Gerber C 1 ( 1 509). – StodtA Freiberg, Aa
X. XVIIb 1, unpog. (Seiler, 1520). – StadtA Leipzig, Innungen, Seiler A 1 . – STA
Weimar, Ernestinisches Gesamtarchiv, Reg. Hh, Nr. 353 (Töpfer, 1541). – StadtA
Freiberg, Aa X. XVIIb 1 , unpag. (Barettmocher, 1575).
(46) StodtA Dresden, Ratsakten Abt. A, C XXIV. 274b, Bl. 13-37 (Tuchschererund
Scherenschleiferordnung) .
(47) Urkundenbuch der Stadt Freiberg in Sachsen, B d . 1 , hg. von H . Ermisch ,
Leipzig 1883, Nr. 459 (==Cod. dipl. Sax. reg. Il, Bd. 1 2 ) . – Vgl. zu ähnlichen
Aufgaben StadtA Zwickau, III x 13, Konzeptbuch 1533-1537, BI. 69.
( 48) Statuten der CheiTUlitzer Handwerksgesellen vom Ausgong des 1 5 . bis zum
Beginn des 17. Jahrhunderts, eingel. und bearb. v. H. Bräuer, Karl-Morx-Stadt 1979,
41, 44 (Bäckergesellen, 1 . Hälfte 16. Jahrhundert), 55 (Töpfergesellen, 1559).
( 49) Eine Darstellung der sächsischen Gesellenstreiks im Zeitalter der frühbürgerlichen
Revolution, vorgesehen für das Jb. f. Regionolgeschichte, befindet sich in Arbeit.
(50) STA Dresden, Loc. 9827, Die Stadt Annoberg und besonders deren Privilegien
betr., Bd. 1 , 1497-1528, BI. 34-73.
( 5 1 ) StadtA Zwicknu, RP 1520-1521, Bl. 5.
(52) StadtA Zwicknu, R P 1542-1543, Bl. 35b.
(53) StadtA Zwicknu, RP 1543-1544, BI. 14-15b; ebd., Kiinunereirechnungen R 19,
1543-1544, BI. 73.
(54) Vgl. vor allem die Zunahme der Eigentumsdelikte; StadtA Zwicknu, 111 x 1
135, Liber proscriptorum 1367-1536, Urfriedenbuch II, 1 548- 1594.
(55) Cod. Augusteus I, Sp. 1439.
230
(56) R.S. Elkar: Wandernde Gesellen, 271 f.
(57) G. Wustmann: Geschichte der Stndt Leipzig, Bd. 1 , Leipzig 1905, 41 5-437. –
K. Czok: Das alte Leipzig, 71 f.
(58) StadtA Leipzig, Zunftbuch I, BI. 107-llOb; ebd., Innungen, Zinngießer A 4 ,
Zinngießer A 5 .
(59) StadtA Leipzig, T i t . VII B Nr. 1 , Bd. 1 , BI. 60.
(60) StndtA Zwickau, A x A li 17 Nr. 19a.
(61 ) Akten und Briefe zur Kirchenpolitik H􀇑rzog Georgs von Sachsen, Bd. 1 und
2, hg. v. F. Geß, Leipzig 1905, Berlin-Leipzig 1917. – G . Wartenberg: Die evangelische
Bewegung im albertinischen Sachsen nach 1525. In: Reform – Reformation Revolution,
hg. v. S. Hoyer, Leipzig 1980, 151-155.
(62 ) G . Zschäbitz: Zur mitteldeutschen Wiedertäuferbewegung nach dem großen
Bauernkrieg, Berlin 1958.
(63) Vgl. zuletzt H.-J. Goertz: Die Täufer. Geschichte und Deutung, München
1980, 125-135.
(64 ) P. Wappler (Benrb. ): Die Täuferbewegung in Thüringen von 1526-1584, Jena
1913. – Ders.: Inquisition und Ketzerprozesse in Zwickau zur Reformationazeit. In:
Mitteilungen des Altertumsvereins für Zwickau, H. 9, 1908.
231
GESELLENMIGRATION UND HANDWERKLICHE
PRODUKTIONSWEISE
Überlegungen zum Beitrag von Helmut Bräuer
JOSEF EHMER
Hoffmann-Nowotny hat in seinem einleitenden Beitrag über die theoretischen
Ansätze der Migrationssoziologie zwei Linien voneinander unterschieden:
zum einen die Betonung sozialer Strukturen, gesellschaftlicher
Bedingungen und Mechanismen von Mobilität, zum anderen das Hervorheben
individueller Motivationen zur Migration. Es ist sicherlich nützlich
– wie Hoffmann-Nowotny ausführte – diese beiden Linien nicht als antagonistisch,
sondern als komplementär zu betrachten. Trotzdem sprechen
sie aber zwei unterschiedliche Dimensionen der Migration an, deren Trennung
in der Analyse sich empfiehlt: erstens die gesellschaftlichen Verhältnisse,
die Migrationsvorgänge ermöglichen oder erzwingen; zweitens das
Verhalten von Individuen oder Gruppen, die die eine oder andere der sozial
gegeben Alternativen ergreifen, sich ihr Verhalten bewußt machen,
interpretieren usw.
Auch im Beitrag von Helmut Bräuer sind beide Dimensionen angesprochen,
wenn auch – wie aus der Themenstellung folgt – die zweite
überwiegt. Ich möchte in meinem Kommentar die Trennung der beiden
Analyseebenen beibehalten und mich zunächst mit den gesellschaftlichen
Bedingungen der Gesellenmigration beschäftigen.
Helmut Bräuer spricht von “ ökonomischen Wurzeln“ des Gesellenwanderns
und meint, daß sie „an jener Stelle zu suchen seien, an der die
Entwicklung der Produktivkräfte mit den Prinzipien der Zunft zu kollidieren
begann“ . An anderer Stelle nennt Bräuer als die “ hauptsächlichen
gesellschaftlichen Realitäten“, in deren Kontext die Gesellenwanderung zu
analysieren wäre, den „entsprechenden Stand der Entwicklung der kleinen
Warenproduktion in Korrelation zum jeweiligen Ausprägungsgrad der
Zunft“ .
Mir scheint es sehr sinnvoll zu sein, über dieses Argument weiter nachzudenken,
da es auf einen strukturellen Widerspruch innerhalb der handwerklichen
Produktionsweise zielt. Deren “ ökonomische Logik“ – oder, in
der Formulierung von Bräuer die “ Prinzipien der Zunft“ – scheint mir in
dem Bestreben bestanden zu haben, mit außerökonomischen Regulationen
ein ungefahres Gleichgewicht zwischen Arbeitskräften einerseits und
nachgefragten Waren und Leistungen andererseits herzustellen. Eine be-
232
schränkte und prinzipiell begrenzte Nachfrage nach handwerklichen Produkten
fand in einem ebenfalls beschränkten, restriktiv geregelten Arbeitsmarkt
ihre Entsprechung.
Das ökonomische Hauptproblem dieses Systems scheint mir nun darin
zu liegen, daß die Nachfrage nach handwerklichen Waren und Leistungen
zwar prinzipiell beschränkt, aber doch nicht gleichbleibend und stabil war.
Vielmehr müssen wir von einer langfristig und kurzfristig schwankenden
Nachfrage nach Produkten bestimmter Gewerbezweige an bestimmten Orten
ausgehen. Für diese Schwankungen sind vielfaltige Ursachen verantwortlich,
von denen hier nur einige angedeutet werden sollen: eine enge
Bindung der Nachfrage nach Handwerksprodukten an die landwirtschaftliche
Produktion, sowohl an langfristige Preiszyklen als auch an kurzfristiglokale
Ernteerträge; eine hohe U nstabilität städtischer und ländlicher Bevölkerungen
infolge demographischer Katastrophen wie etwa lokaler Seuchen;
in manchen Branchen eine beginnende Anhindung an anonyme, über
das Verlagswesen vermittelte überregionale Märkte; zeitlich begrenzte obrigkeitliche
oder herrschaftliche Aufträge etwa für Militärlieferungen oder
Schloßbauten (was allerdings stärkere Bedeutung erst nach der von Bräuer
behandelten Periode gewann) . Dazu mochten Schwankungen kommen,
die sich aus dem unregelmäßigen Rhythmus des Alltagslebens städtischer
Gemeinschaften ergaben, wie etwa einem plötzlichen Bedarf an Kleidung
und Schuhwerk anläßlich von Begräbnissen, Hochzeiten etc.
Ganz allgemein scheint mir also das Handwerk von einem zwar prinzipiell
beschränkten, aber doch kurz- und langfristig beträchtlich schwankenden
Produktionsumfang gekennzeichnet zu sein, der wiederum einen
flexiblen Arbeitsmarkt erforderte.
Vor diesem Hintergrund möchte ich den Zusammenhang zwischen
Schließsungstendenzen in den Zünften und Gesellenwandern – wie
ihn Bräuer anspricht und er in der handwerksgeschichtlichen Literatur
weithin angenommen wird – ansetzen: als Aufspaltung des Arbeitsmarktes
in einen zahlenmäßig begrenzten, stabilen Teil der seßhaften Meister
und einen flexiblen, wechselnden Anforderungen sich anpassenden Teil
der fluktuierenden, permanent mobilen Gesellen. Ein erfolgreiches Streben
nach einer zahlenmäßigen Begrenzung der Meisterstellen erscheint
mir überhaupt erst denkbar und möglich, wenn diese durch die unbegrenzte
Arbeitskraft der wandernden Gesellen ergänzt wird. Dabei ist
ein weiteres· Charakteristikum handwerklicher Produktion zu bedenken,
nämlich der hohe Stand der Arbeitsteilung, die Spezialisierung, und die
personengebundene Qualifikation. Ich vermute, Bräuer hat dies im Auge,
wenn er von der “ Entwicklung der Produktivkräfte“ im Handwerk spricht.
233
Der hohe Entwicklungsstand handwerklicher Arbeit machte es jedenfalls
nicht möglich, bei Bedarf kurzfristig Arbeitskräfte aus einer allgemeinen
„Reservearmee“ städtischer und ländlicher Unterschichten zu rekrutieren,
sondern schränkte die Arbeitskraft auf einen spezifisch qualifizierten
und sozialisierten Personenkreis ein. Dasselbe trifft für die einfache
zahlenmäßige Reproduktion eines lokalen Handwerks zu. In den frühneuzeitlichen
Städten war die Sterblichkeit allgemein hoch, und noch ausgeprägter
waren die demographischen Risken kleiner sozialer Gruppen,
wie sie Zünfte bildeten. Eine stabile Zahl von Meistern konnte nur gewährleistet
werden, wenn die Möglichkeit zur Rekrutierung “ Fremder“ aus
dem Pool fluktuierender Gesellen ständig gegeben war. Diese Funktionen
konnte die Migration von Handwerkgesellen erfüllen; zugleich zwangen sie
sie in institutionalisierte und kontrollierte Formen.
Der Zusammenhang von Abschließungsbestrebungen der Zünfte und
Gesellenwandern wird in der handwerksgeschichtlichen Literatur – und
auch bei Bräuer – meist von einer Seite aus gesehen. Er erscheint als
Versuch, Gesellen loszuwerden und Arbeitslosigkeit zu bewältigen. Diese
Sichtweise ist möglicherweise von der großen Rolle der Rechtsquellen in
der Handwerksgeschichte beeinflußt, die den Aspekt des Ausschlusses von
Rechten stärker hervortreten lassen. In einem ökonomischen Modell des
Gesellenwanderns lassen sich dagegen Abstoßen und Anziehen nicht voneinander
trennen.
Ein weiterer Aspekt des Gesellenwanderns, der in der handwerksgeschichtlichen
Forschung weitgehend vernachlässigt wird, in einem sozialökonomischen
Modell aber einen großen Stellenwert erhält, ist die Frage
nach den Land-Stadt-Beziehungen innerhalb der handwerklichen Migration.
Aus der Perspektive des 18. und 19. Jahrhunderts zeichnet sich
eine disparitätische Verteilung der Arbeitskräfte ab: Gesellen waren in
den Städten, und hier wiederum vor allem in den größeren, konzentriert,
während das Landhandwerk von alleinarbeitenden Meistern getragen wurde.
Ökonomische Wechsellagen zwischen Produktionsausweitung und Produktionstückgang
scheinen im städtischen Handwerk stärker ausgeprägt
gewesen zu sein als im Landhandwerk, das zusätzlich durch agrarische Nebentätigkeiten
abgesichert wurde. Die Aufspaltung des handwerklichen
Arbeitsmarktes in einen stabilen Teil seßhafter Meister und einen mobilen
Teil wandernder Gesellen erscheint demnach als städtisches Phänomen,
das allerdings auf einem strukturellen Land-Stadt-Gegensatz aufbaut:
Der fluktuierende Arbeitsmarkt des städtischen Handwerks wurde
vom Landhandwerk sowohl gespeist als auch entlastet. Die verschiedensten
Angaben, die für das 18. und 19. Jahrhundert für die regionale Her-
234
kunft von Handwerkern und für unterschiedliche Entwicklungen in Stadt
und Land vorliegen, lassen sich meiner Meinung nach auf einen Punkt
zuspitzen: Städte zogen Lehrlinge, vor allem aber Gesellen vom Land an,
verteilten und bewegten sie untereinander, und entließen viele von denen,
die die Aufnahme in die städtische Meisterschaft nicht erreichten, wiederum
in die Existenz eines Landmeisters. Inwieweit sich diese Form der
Stadt-Land-Beziehung auch in der frühen Neuzeit nachweisen läßt, wäre
eine spannende Frage.
Um diesen Punkt zusammenzufassen: Ich halte es für besonders anregend
im Beitrag von Helmut Bräuer, daß er die Gesellenwanderung
in einen Gesamtzusammenhang handwerklicher Produktionsweise stellt.
Ein grundlegender Mangel, den Bräuer, soweit ich sehe, mit der gesamten
handwerksgeschichtlichen Forschung teilt, besteht aber meines Erachtens
darin, daß eine umfassende theoretische Analyse dieser Produktonsweise
noch nicht geleistet wurde. Dieses Desiderat reicht allerdings weit über
die Handwerksgeschichte hinaus. Insbesondere das Konzept der kleinen
Warenproduktion, das Bräuer zur sozioökonomischen Kennzeichnung des
Handwerks benützt, ist noch kaum theoretisch ausgeführt. Karl Marx,
von dem Bräuer den Begriff der kleinen Warenproduktion übernimmt,
beschäftigte sich selbst nur in wenigen Passagen und sehr fragmentarisch
mit dem Problem, und wenn, dann fast ausschließlich mit Blick auf die
Bauern. Das Handwerk kommt dabei nur als Beifügung vor, ohne auf
spezifische sozioökonomische Eigenheiten hinterfragt zu werden. So ist es
auch seit Marx geblieben, und zwar sowohl in den marxistischen wie auch
den nichtmarxistischen historischen und sozialen Wissenschaften.
Das Konzept der kleinen Warenproduktion theoretisch und empirisch
auszuarbeiten, scheint mir eine sehr wichtige Aufgabe für die Handwerksgeschichte
und darüber hinaus die gesamte Sozialgeschichte zu sein. Einige
Argumente dazu wollte ich im Anschluß an den Beitrag von Helmut
Bräuer anführen. Vor allem scheint mir darin die Voraussetzung zu liegen,
um die in Frage stehenden sozialen Verhältnisse überhaupt genauer abgrenzen
zu können. “ Handwerk“ wird ja meist über Arbeitsprozesse oder
die Institution der Zunft definiert. Damit werden sehr unterschiedliche
Produktions- und Lebensweisen unter einem Begriff subsumiert: Lohnarbeit
– wie in den großen Baugewerben; verlegte Produktion – wie in vielen
Textilgewerben; und eben kleine Warenproduktion in den meisten handwerklichen
Berufen. In sozialer Hinsicht, und damit auch in Hinblick auf
das Migrationsverhalten, waren diese drei Bereiche alles andere als einheitlich.
Ein Zustand permanenter regionaler Mobilität – oder zumindest
Mobilitätsbereitschaft – war für die Gesellen der kleinen Warenproduktion
235
charakteristisch, während ein großer Teil der Maurer, Zimmerer, Textilarbeiter
und anderer Berufe mehr auch als Gesellen dauerhaft ansässig
waren – was natürlich saisonale Arbeitswanderungen in keiner Weise ausschloß.
Soweit einige Überlegungen, die sich auf die gesellschaftlichen Bedingungen
des Gesellenwanderns, und insbesondere auf das von Helmut Bräuer
angesprochene “ Wesen der kleinen gewerblichen Warenproduktion“ beziehen.
Nun möchte ich noch einige Bemerkungen zu den Motiven der
wandernden Gesellen anschließen. Hier scheint mir, daß Bräuer eine sehr
wichtige Differenzierung vornimmt. Im Zusammenhang mit der Aneignung
fachlicher Kenntnisse als Wanderungsmotivation schreibt er: “ Offen
bleibt daher für frühere Perioden vor allem die Frage, inwieweit diese
als Folgen und Ergebnisse der Wanderungen akzeptierten Momente zugleich
auch mobilitätsauslösend gewesen sind, diese Wanderungen also
im Hinblick auf ihre erstrebten Wirkungen geplant waren“ . Wenn auch
diese beiden Ebenen sicherlich nicht isoliert voneinander betrachtet werden
können, so scheint mir doch der Gedanke nützlich zu sein, zwischen
Faktoren, die Mobilität auslösen, die begründen, ob überhaupt gewandert
wird, einerseits und Faktoren, die die Wanderung an bestimmten Zwecken
orientieren und an bestimmte Ziele richten, andererseits zu unterscheiden.
Zur Analyse der ersten Ebene möchte ich gerne einen weiteren Begriff
vorschlagen, nämlich den des „Habitus“ zur Bezeichnung eines Systems
von Verhaltensweisen, die Individuen bestimmter sozialer Gruppen unhinterfragt
einnehmen, als für sich selbstverständlich ansehen und an denen
sie auch dann festhalten, wenn sich ihre gesellschaftlichen Entstehungsbedingungen
ändern. Nach meiner Ansicht ist die Frage, ob überhaupt
gewandert wird, vor allem über den Habitus der Gesellen zu beantworten,
während individuell-subjektive Motive eher konkrete Ziele, Richtung
und Dauer der Wanderung beeinflussen. Für den habituellen Charakter
des Gesellenwanderns, der weit über konkrete rechtliche Normen hinausreichte
und in der Kultur der Gruppe zentral verankert war, möchte ich
folgende Argumente anführen:
Regionale Mobilität im Handwerk war nicht auf die Gesellen beschränkt,
sondern umfaßt die gesamte Periode vor der endgültigen Niederlassung
als selbständiger Meister. Schon der Antritt der Lehre war fast immer
mit dem Verlassen des Elternhauses und meist auch mit dem Verlassen
des Wohnorts verbunden. Dabei handelte es sich weiters um kein Verhalten,
das gesamtgesellschaftlich als ungewöhnlich erschienen wäre. Die
Mobilität von Personen, die in unserer heutigen BegrifHichkeit als Kinder
oder Jugendliche gelten können, war im vorindustriellen Europa allgemein
236
sehr hoch und in vielen gesellschaftlichen Gruppen geradezu konstitutiv
für diese Phase des Lebenszyklus (etwa auch beim ländlichen Gesinde) .
In diesem Sinne sind auch wandernde Handwerksgesellen dem umfassenden
Phänomen des “ European life cycle servant“ zuzurechnen. Was nun
die Gesellen selbst betrifft, so erscheint das Wandern nie isoliert, sondern
stets mit zwei weiteren sozialen Verhaltensweisen verknüpft: dem Ledigenstand
und dem Wohnen beim Meister. Die Integration von Handwerksgesellen
in den Meisterhaushalt, Heiratsbeschränkungen und die rechtliche
Festschreibung von Wanderzwängen haben sich vom 16. Jahrhundert
an wechselseitig gestützt und wurden im 17. und 18. Jahrhundert zu
zentralen eng zusammenhängenden Elementen restriktiver Zunftpolitik.
Familienlosigkeit und Mobilität haben allerdings die Zünfte weit überlebt
und bestimmten bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts die
tatsächliche Lebensweise wie die Selbstdefinition der Gesellen der kleinen
Warenproduktion.
237

DIE “ NIE G ENUG ZU VERWÜNSCHENDE WUTH
IN FREMDE LANDER ZU GEHEN“
Notizen zur Emigration der Tessiner in der frühen Neuzeit
A NDRE SCHL UCHTER
Als Paolo G hiringhelli im Helvetischen Almanach für da$ Jahr 181􀅁 ( 1 ) in
seiner topographisch-statistischen Beschreibung des Kantons Tessin mit
der Veröffentlichung der Volkszählung von 1808 erstmals einer breiteren
Öffentlichkeit die Bevöl􀎢erungsgröße 􀎣ieses 􀎤hemaligen Untertanengebiets
zugänglich machte (2), zählte man knapp 89.000 Seelen. Das Ergebnis
dieser Zählung ermangelte zwar der wünschenswerten Präzision (3), es
reichte aber immerhin aus, um verbreitete frühere Angaben ins Reich der
Phantasie zu verweisen: “ Welch ein Unterschied zwischen dem Resultate
dieser Zählung“ , stellte Ghiringhelli fest, „und den Angaben aller Reiseund
Landesbeschreibungen vor der Revolution, nach welchen 160-176
Tausend Seelen in der Gesamtheit der italienischen Vogteyen sich vorfinden
sollten!“ ( 4) Daß sich die Tessiner Bevölkerung innerhalb der letzten
fünfzig Jahre um fast die Hälfte verringert hätte, hielt er angesichts der
unhaltbaren Übertreibungen keiner näheren Betrachtung wert; trotzdem
stand für ihn eine starke Bevölkerungsabnahme unzweifelhaft fest:
“ Leider ist das letztere nur allzu wahr, und theils aus zufälligen, theils
aus permanenten Ursachen. Es ist schon eine alte Klage, über die Abnahme
der Bevölkerung, und die Schwierigkeit Arbeiter zu finden. Man
hört allenthalben die vielen Familien hernennen, die erst seit Mannsgedanken
ausgestorben sind.
Die immer vorhandene, immer stark wirkende Ursache der Entvölkerung
des Cantons, ist die nie genug zu verwünschende Wuth in fremde
Länder zu gehen, welche, wenigstens dem Grade nach, eine seiner Haupteigenthümlichkeiten
ist.“ (5)
Dank der tridentinischen Reformbemühungen verfügen wir in den $tattu
animarum, den Seelenbeschreibungen, über eine für Schweizer Verhältnisse
einmalige, bis ins letzte Viertel des 16. Jahrhunderts zurückreichende
Quellengattung {6), die uns erlaubt, die Bevölkerungsentwicklung
des Tessins ·über weite Teile und Strecken hinweg zu rekonstruieren und
dadurch Ghiringhellis Eindrücke zu präzisieren. Sein an Deutlichkeit nicht
zu wünschen lassendes Urteil über die Wanderungen soll am Schluß dieses
Aufsatzes durch zwei weitere zeitgenössische Aussagen ergänzt werden.
239
Absicht meiner Ausführungen ist, das Phänomen der massenhaften Auswanderung
in seinem Niederschlag auf die Entwicklung und Struktur der
Bevölkerung zu illustrieren; Erklärungen für die Beweggründe zur Wanderung
können in diesem Rahmen allenfalls im Ansatz geliefert werden.
I. Die „ennetbirgischen“ Vogteien waren im Verlaufe des späten 15. und
frühen 16. Jahrhunderts in eidgenössische Hände geraten. Sie stellten
ein sehr unterschiedlich strukturiertes Gebiet dar, dessen Bevölkerung
nicht nur verschiedene Erwerbsformen kannte, sondern auch entsprechende
Wohnformen, Kleidung, Dialekte und Brauchtum allgemein.
Maßgeblich waren die Unterschiede insbesondere zwischen der mehrheitlich
alpinen Zone nördlich des Passes Ceneri, wo man vor allem Viehzucht
und etwas subsidiären Ackerbau betrieb, und der Gegend südlich dieses
Passes, des Sottoceneri, sowie des Locarnese, wo unter mediterranem Klimaeinfluß
nebst Weinbau ein ertragreicher Ackerbau ohne Brachfelder mit
meist zwei Ernten möglich war. Dazu kam der Fischfang in der Nähe der
beiden Seen als weitere Ernährungsmöglichkeit (7).
Angesichts solcher Unterschiede mutet es erstaunlich an, daß die alpine
und die unter mediterranem Einfluß stehende Zone in der langfristigen
Bevölkerungsentwicklung der frühen Neuzeit nur geringfügige
Wachstumsunterschiede aufweisen. Zwar trifft Ghiringhellis Klage über
die “ Entvölkerung“ seiner Heimat, von vereinzelten Tälern abgesehen, in
dieser Form nicht zu, wohl aber hatte das Tessin in den zweihundert Jahren
vor der Erlangung seiner Selbständigkeit kein nennenswertes Bevölkerungswachstum
zu verzeichnen. Im Gegenteil, das Bild, das sich mit den
zum Teil recht unzuverlässigen Zahlen der kirchlichen Administration ermitteln
läßt, ist bei allen quellenkritischen Vorbehalten eindeutig dasjenige
einer stagnierenden Entwicklung; erst im Verlaufe des 19. Jahrhunderts
sollte eine beschleunigte Bevölkerungszunahme erfolgen (8).
Um 1800 zählte das Tessin rund 89.000 Einwohner, um 1670 waren es
schätzungsweise 88.000, also praktisch gleich viele! In der alpinen Zone
(9) läßt sich die Bevölkerung für 1670 auf 34.200 bestimmen, für 1800 auf
33.750. Die Wachstumsunterschiede zwischen den beiden Zonen fallen wie
erwähnt kaum ins Gewicht. Im 17. Jahrhundert war zwischen dem letzten
Auftreten der Pest um 1630 und dem Einsetzen der europäischen Hungerkrise
der 1690er Jahre in einigen Gegenden des Tessins durchaus noch
ein Bevölkerungswachstum zu verzeichnen. Höchstwahrscheinlich wurde
damit aber nur wieder der Bevölkerungsplafond erreicht, wie er vor den
Pestzügen des ausgehenden 16. und frühen 17. Jahrhunderts bestanden
hatte. Diese Entwicklung ist demnach nicht wie in anderen Gebieten
240
der Schweiz, wo zur selben Zeit neue Erwerbsformen Verbreitung fanden
und Anstrengungen zur Intensivierung der Landwirtschaft unternommen
wurden {10), als Erhöhung der Tragfähigkeit zu werten, sondern als Rekuperationswachstum.
Jedenfalls zeigen uns die wenigen Angaben aus
dem späten 16. Jahrhundert die Bevölkerung durchgehend auf einem hohen
Stand, der weder im späten 17. noch im 18. Jahrhundert wesentlich
übertroffen wurde.
Auf das ganze Tessin bezogen läßt sich festhalten, daß trotz regionaler
Unterschiede die Bevölkerungsentwicklung seit dem späten 1 6 . Jahrhundert
in einem langsamen Tempo verlaufen ist. Weder die Zunahmen noch
die Abnahmen, die man mittelfristig zwischen einzelnen Zählungen feststellen
kann, nehmen sich spektakulä-r aus. ·Global herrscht der Eindruck
einer seit dem späten 16. Jahrhundert stagnierenden Bevölkerung vor,
und dies erweist sich denn auch als eines der Charakteristika der Tessiner
Entwicklung, wenn wir sie mit anderen Regionen der Schweiz vergleichen.
Als weitere Besonderheit im Rahmen dieser Entwicklung ist festzuhalten,
daß der anderswo { 1 1 ) festgestellte Unterschied alpin – nichtalpin im
Wachstumstempo nur ansatzweise zum Tragen kommt.
Dem Bild einer stagnierenden oder, positiv ausgedrückt, stabilen Bevölkerungszahl
entspricht aber nicht ein glockenförmiger Bevölkerungsaufbau,
wie man ihn etwa aufgrund der Verhältnisse in den modernen
Industriegesellschaften erwarten könnte, sondern es konstrastiert mit der
für die traditionelle, vorindustrielle Gesellschaft typischen Pyramidenform
mit breiter Basis – Zeichen einer hohen Geburtlichkeit. Eine solche
Bevölkerungspyramide würde unweigerlich Wachstum implizieren, wenn
ihr Engerwerden bei den Erwachsenenjahrgängen nicht auf die starke
Präsenz des Todes unter den Kindern hinwiese und nicht ein ausgesprochen
starkes Mißverhältnis zwischen der Zahl der Männer und Frauen
vorherrschte. Dieses Mißverhältnis ist Hinweis darauf, daß die aus heutiger
wachstumskritischer Sicht an sich positiv zu wertende Stabilität nicht
durch eine Anpassung des Heiratsverhaltens und der Geburtlichkeit an
die lokalen Gegebenheiten erreicht wurde, sondern, wie bekannt, durch
den temporären oder permanenten Wegzug jener, die zuhause kein Auskommen
fanden.
Im 19. Jahrhundert stellten die Tessiner das bedeutendste Kontingent
der Auswanderer aus der Schweiz {12). Damit setzten sie eine lange vorher
angelegte Tradition fort. Etliche dieser Emigranten waren im Ausland
zu Ansehen gelangt {13), und einige hatten sich mit ihrem erworbenen
Vemögen zuhause ein stattliches Haus erbaut. Die weitaus meisten aber
blieben die namenlosen Hutverkäufer aus dem Onsernonetal, Kaminfe-
241
ger aus der Verzasca, Lastträger aus der Leven,ina, Maurer und Stukkateure
aus dem Luganese, die sich vornehmlich von der norditalienischen
Städtelandschaft angezogen fühlten, die aber auch bis nach Frankreich,
Deutschland, England und weiter zogen. Jedes Tal, jede Region war auf
eine bestimmte Berufsausübung spezialisiert und kannte einen entsprechenden
Zielort:
“ Ei n ganz besonderer Zug der Italienischen Schweiz ist“, so der Berner
Aufklärer Karl Viktor von Bonstetten, „daß bei der allgemeinen Auswanderung
der Männer, jedes Thai bei seinem Handwerk bleibt, das von
Vater auf Sohn fortgepflanzt wird. Im Val di Blegno (ein wildes Thai tief
in den Alpen) werden die Männer zu Chocolademachern gebohren. Einer
erzählte mir, daß ein Bedienter zu Mailand, der vor bald 100 Jahren bei
einer Frau Bianchini wohnte, wegen seiner Chocolade berühmt war; da
ward er zum Chocoladekrämer erhoben, und alle seine Landsleute erbten
dieses Handwerk fort, so dass zu Mailand diese Leute Uomini di Bianchini
heissen.“ ( 14)
Zu den festgestellten Unterschieden in Berufsausübung und Zielort
kommt weiter hinzu, daß die einzelnen Regionen des Tessins auch in unterschiedlichem
Ausmaße an der Auswanderung beteiligt waren. Wenig
verbreitet war sie in den Bezirken Riviera und Bellinzona, stark hingegen
in den Bezirken Blenio und Lugano {15).
Die Auswanderer selber lassen sich in zwei Klassen gliedern. Die einen
zogen für mehrere Jahre oder für immer weg, die anderen nur während
bestimmter Jahreszeiten. Letztere Gruppe wiederum, die der Saisonwanderer,
läßt sich in Winter- und Sommerwanderer unterteilen. Die Sommerwanderer,
die je nach Beruf zwischen März und Mai wegzogen und im
November oder Dezember heimkehrten, waren vor allem in den Bezirken
Lugano und Mendrisio anzutreffen. Die Winterwanderer kamen aus allen
Gegenden des Tessins, vor allem aber aus der alpinen Zone (Leventina,
Blenio, Locarno ); sie zogen im Herbst weg und kehrten im Frühjahr heim:
„Die Maurer, Steinhauer, Kalk- und Ziegelbrenner wandern im März aus,
und kehren fast alle im November und December zurück. Die Glaser
verreisen im May, und kommen auf die Weihnachtstage, aber nicht alle
Jahre. Das Gegentheil ist mit den Verkäufern gebratener Castanien und
den Kühern und Lastträgern der Fall; sie verlassen das Land im Herbst
und sehen es im Frühling wieder. Daher findet man an einigen Orten des
Luganisehen und Mendrisischen im Sommer fast nur die Weiber, Greise,
Kinder und den Pfarrer zu Hause, an anderen in Ober-Livinen, Blenio
und im Locarnischen hingegen mitten im Winter.“ {16)
In Dörfern mit Sommer- und Winterwanderung war denn auch das de-
242
mographische Verhalten saisonal durchaus unterschiedlich: In ersteren
konzentrierten sich die Eheschließungen sehr ausgeprägt auf den Januar
und an erster Stelle den Februar, was bei der Beschäftigung mit Ackerbau
und dem religiösen Brauchtum zwar üblich, in dieser ausgeprägten Form
aber wesentlich durch die Saisonwanderungen mitbestimmt war (17). Die
Geburten waren entsprechend auf die Monate August bis November konzentriert.
In den Dörfern mit Winterwanderung wurde hingegen in den
Sommermonaten, am häufigsten im Juli, geheiratet und demnach wurden
auch im April und Mai am meisten Kinder zur Taufe gebracht ( 18).
Wenn wir das Ausmaß der Wanderungen bestimmen wollen (19), so
stehen wir bei den status animarum jeweils vor dem Problem, daß wir
oft nicht mit Sicherheit ermitteln können, ob wie vorgeschrieben (20) nur
die Ortsanwesenden gezählt wurden und, falls dies zutrifft, wie wir die
Saisonwanderer von den langfristig Abwesenden unterscheiden können.
Die Pfarrer scheinen, wenn sie das Verzeichnis zu einem entsprechenden
Zeitpunkt im Sommer oder Winter aufnahmen, die Saisonwanderer oft
mitgezählt zu haben, weil sie als regelmäßige Rückkehrer ihren kirchlichen
Pflichten zur Hauptsache noch in ihrer Heimatgemeinde nachkamen und in
der Vorstellung der Leute wohl auch als volle Gemeindeglieder betrachtet
wurden. Anders verhielt es sich mit jenen, die zum Teil mit ihrer Familie
weggezogen waren und möglicherweise erst nach Jahren zurückkehrten.
Sie werden in einigen Seelenbüchern anfänglich noch als Abwesende aufgeführt,
mit längerem Fernbleiben verschwinden sie jedoch allmählich aus
den Registern.
Den Vermerk „assente“ finden wir nur sel’ten bei der Nennung einer Person.
Andererseits zeigt uns das meist sehr ausgesprochene Mißverhältnis
zwischen den Geschlechtern, daß viele Männer abwesend waren. Da sie
aber meist nicht als solche aufgeführt werden, muß man annehmen, daß
man sich entweder an die Registriervorschriften gehalten hat oder daß es
sich dabei um die eigentlichen Auswanderer handelte, die man nicht mehr
als Gemeindeangehörige betrachtete. Unter Berücksichtigung der regionalen
Eigenheiten der Migration und des Zeitpunkts der Erhebung läßt
sich in etwa abschätzen, ob das Männerdefizit die Abwesenden einschließt
oder nicht. In den meisten Fällen können wir diese Frage nicht mit ausreichender
Präzision beantworten, und sollte dies trotzdem möglich sein, so
dürfen wir, wie angedeutet, kaum auf eine Ausscheidung der Saisonniers
von den lange Abwesenden hoffen.
Nun ermöglicht uns ein in dieser Hinsicht wohl einzigartiger Quellenfund
einen zahlenmäßig konkreten Einblick in die Situation, wie wir sie aus den
Beschreibungen des frühen 19. J ahrhunderts über Dörfer, die im Sommer
243
von Frauen, Kindern und Greisen bewohnt wurden, kennen:
In der Gemeinde Mezzovico-Vira im Bezirk Lugano finden sich für
die Jahre 1677- 1 7 1 9 sieben für unsere Fragestellung wertvolle status animarum
(21 ). Die Gemeinde gehört zu einer Gegend, die, wie wir von Ghiringhelli
und Franscini (22) wissen, einerseits Sommerwanderer stellte, andererseits
“ Weissger, Baumeister, Handelsleute, Stukkaturer, Bildhauer,
Kesselflicker und förmliche Abentheurer“ , die in der Regel für mehrere
Jahre abwesend waren. Ghiringhelli fügt hinzu: “ Es sind die Auswanderer
aus diesem Distrikt (Lugano, A.Sch. ), welche sich in der Welt am
weitesten wagen.“ (23)
In Mezzovico-Vira vermerkte der Pfarrer die Abwesenden in den genannten
Jahren mit einem A. Nun wurde in dieser Gemeinde mit einer
Einwohnerschaft von 5 1 0 bis 550 Seelen im späten 17. und frühen 18.
Jahrhundert fast jeder fünfte als abwesend eingetragen! Im Schnitt machten
die Abwesenden 18% aus, wobei der Minimalwert von 1 1% anfangs
März 1683 und der Maximalwert von 21% im Juli 1696 erreicht wurde (24).
Diese Schwankungen verdeutlichen übrigens, wie sehr der Erhebungszeitpunkt,
nebst möglichen Konjunktureinflüssen auf dem Arbeitsmarkt, den
Anteil der Abwesenden bestimmen kann: das Minimum fällt ins Frühjahr,
das Maximum in den Hochsommer. Erwartungsgemäß waren vor allem
Männer weggezogen. Der Anteil der abwesenden Frauen war klein; er
machte nur etwa ein Prozent der Bevölkerung aus.
Wer aber waren diese Abwesenden? Waren es nur die Saisonniers, die
im Winterhalbjahr zuhause lebten, oder wurden auch die langfristig Abwesenden
zu ihnen gezählt? Wir können diese Frage einigermaßen beantworten,
wenn wir das Verhältnis der Geschlechter in den einzelnen Alterskohorten
vergleichen. Das heißt, wir nehmen an, daß ein ausgeglichenes
Verhältnis zwischen den Geschlechtern den Zustand der Bevölkerung ohne
Verzerrung durch die Migration wiedergibt. Wenn sich, auf unsere Gemeinde
bezogen, das Verhältnis unter Berücksichtigung der ‚Abwesenden‘
ausgleicht, sind die langfristig Abwesenden darin enthalten. Ist dies nicht
der Fall, so •wurden nur die Saisonniers gezählt. Festzuhalten ist aber,
daß diese Männerdefizit-Methode auf zwei Ausnahmen beruht, die in unteschiedlichem
Maße, insgesamt aber leicht, von der Realität abweichen:
erstens sind alle Emigranten Männer, und zweitens ist das Verhältnis zwischen
den Geschlechtern ausgeglichen.
Wenn wir von der Annahme ausgehen, daß die Abwesenden in den Verzeichnissen
die Saisonarbeiter sind, so setzt sich der hypothetische Sollwert
der Einwohnerschaft aus den Anwesenden, den Abwesenden und dem
Männerdefizit zusammen. Tatsächlich macht sich, auch wenn man die als
244
abwesend eingetragenen Männer als Teil der Wohnbevölkerung rechnet,
auf diese Weise in Mezzovico-Vira ein bedeutendes Männerdefizit von 7%
(1677) beziehungsweise 9% (1696) bemerkbar. Das heißt, zu den als abwesend
geltenden Männern müssen wir noch einmal halb so viele zählen,
die für lange oder für immer weggezogen waren. Wie viele Frauen dabei
waren, können wir leider nicht bestimmen.
Im März 1677 waren in Mezzovico-Vira 65% der männlichen Aktivbevölkerung
( 1 5-64 Jahre) als Wanderarbeiter abwesend; von den jüngeren
Männern zwischen 1 5 und 34 Jahren war nur gerade jeder vierte im
Dorf geblieben, und 56% der verheirateten Männer verdienten das Brot
für ihre Familie außerhalb ihrer Heimatgemeinde (vgl. Tabelle 1 und
Figur 1 ). Wenn wir noch das Männerdefizit mit einbeziehen, so war praktisch
die Hälfte der männlichen Bevölkerung zum Zeitpunkt der Zählung
außerhalb des Dorfes. Der Bevölkerungsaufbau dieser Gemeinde aus dem
späten 17. und frühen 18. Jahrhundert deckt sich also mit dem, was uns
von den Beschreibungen des frühen 19. Jahrhunderts überliefert ist.
Wenn wir einen der frühesten status animarum aus der gleichen Region,
jenen von Ponte Capriasca (Bezirk Lugano) vom 20. Juli 1574 betrachten
(25), so befinden sich neben den 107 Frauen nur 55 Männer im Dorf; 26
davon sind Knaben unter 15. Auf die 82 erwachsenen Frauen kommen
also nur gerade 29 Männer.
. Aus der benachbarten Region Val Colla im gleichen Bezirk ist die starke
Emigration der Männer für das späte 16. und das 17. Jahrhundert auch
aus den Visitationsberichten belegt: Anläßlich des Besuchs von Mons.
Ninguarda heißt es 1591, daß von den ungefähr 610 Einwohnern 150
Männer als Kesselflicker unterwegs seien (26). Beim Besuch von Mons.
Torriani wird 1670 notiert: „Das Land ist unfruchtbar und enthält nur
Wälder und Weiden. Die Einwohner begeben sich in die Region von Mailand
und allgemein in die Lombardei, wo sie speziell das Handwerk des
Kesselflickers ausüben.“ (27).
245
o/oo
4
6
9
17 􀅀 Sais:rniel:s
9 +t++t+t
26 1111111111111
15 +t++t+t
15 +t++t+t
17 +t+t++t+t
21 ++++++++
51
26
Mez zovico-Vi r a , status animarum vom 2 0 .März 1 6 7 7
N = 5 3 3 = 1 0 0 0 %o
Männer Alter
++++ 8(H34
++++++ 77-79 +++++++++
+++++++++ 71}-74 II I 11111111111 II 1111111
1111111111111111167-69 1111111111111
Frauen
+t 61}-64 1111111111111
111111111111155-59 11111111111111111111111111111111
++++++++ 5lr54 111111111111111111111111
++++++++ 47-49 111111111111111111111111111111
++++++++ 41}-44 111111111111111111111111
II I I I I I I I II I I 37-39 II II I II II I I I I I I I II I I II II I I I I I I I I I I I II I II I
II I I I I I I I I I I I 31}-34 II I II II II I I I I I I I I I II I I I I I I I I I II I I I I I I I I II I I I I
III I III I II III II 27-29 111111111111111111 11111111111 II III I II I III II
o/oo
9
23
D
D
32
24
30
24
41
45
43
43 II I I I II II I I I II I I I I I I II I III I I I I I I I I I I I ++++++ 21}-24 II I I I I I I I I II I I I I II I I I II I I I I I I I I I 32
54 II I I I I I I I I I I I I I I I I I I II I I I I I I I I I I I I I I I I I I I II I I I I I I I I I I I ]5-19 II I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I 47
41 +t++t+t II II I III I I 1 11111111I I III I I I I II IIII 11}-14 1111111 IIII I II II II I II I II I III I II 1 1111I I II I III II III II 51
62 11111111111111111111111111111111111111111111111111111111111111 5-9 11111111111111111111111111111111111111111111111111111111111111111111 68
45 11111I 1 111 11I I II III I I II III II III II I I IIII I I III I 1}-4 II II IIII I II II III I I III I IIII I I II II III I 36 462 [N = 246] [N = 287) 538
Tabelle 1: Mezzovico-Vira, status animarum vom 20. März 1677
Männ“r Frau“n
Anw,s.,nd., Abw,s.,nd“ an., Anw,s.,nd“ Abw,s.,nd.,
Alt“r nv V
0-4 24
5-9 33
10-14 18
16-19 7
20-24 3
26-29 7 1
30-34 3 4
36-39 4 3
40-44 4
46-49 1 3
50-64 1 3
55-59 3 4
60-64 1
65-69 4 5
70-74 3 2
75-79 1 2
> so 1 1
Total 113 33
nv=nicht v“rh.,iratd
v=v.,rh.,irat“t
nv
4
22
17
5
8
1
1
58
V nv V nv
24 19
33 36
22 27
29 24 1 1
3 23 1 3 4
1 14 14 9 1
12 27 10 14 1
4 1 1 1 1 1 1
4 9 5 8
4 8 6 10
4 8 7 6
7 14 12 5
3 5 4 3
9 5 2
5 1 1 1
3 6
2
42 246 209 74 3
Ortsanw,s.,nd“: 146 Miinn“r und 283 Frau.,n, Total 429 p.,rson“n
Abw,s.,nd“: 100 Miinn“r und 4 Frau.,n, Total 104 p.,rson“n
G.,samtb.,völk.,rung: 246 Männ.,r, 287 Frau.,n, Total 533 Personen
V
1
1
an.,
19
36
27
26
17
24
26
22
13
1 6
13
17
7
7
12
5
287
Total
43
69
49
55
40
38
53
33
22
24
21
31
12
16
1 7
8
2
533
In Mendrisiotto, an der Südspitze des Kantons, war die Sommerwanderung
offenbar weniger verbreitet. So finden sich in dep st􀎡tus animarum,
die anläßtich der Pastoralvisiten der Monss. Bonesana (1696) und Ciceri
( 1723) aufgenommen wurden (28), fast keine Abwesenden vermerkt,
obwohl die Bevölkerung während der Monate Juni bis August registriert
wurde. Saisonwanderung war in dieser fruchtbaren Gegend wahrscheinlich
seltener als im hügeligeren Luganese. Das Mendrisiotto war an der
Wende zum 19. Jahrhundert mit 1 1 6 Einwohnern pro Quadratkilometer
außerordentlich dicht besiedelt; nördlich der Alpen konnten die Menschen
nur in Gebieten mit Heimindustrie so dicht beieinander leben (29). Dennoch
ist auch in dieser Gegend das Verhältnis zwischen den Geschlechtern
keineswegs ausgeglichen. In den Verzeichnissen der Gemeinden Caneggio,
Genestrerio, Ligornetto, Muggio und Sagno stellen wir für 1696 wie für
1723 fest, daß die erwachsenen Männer praktisch in allen Alterskohorten
247
deutlich untervertreten sind: Tabelle 2 zeigt, daß wir mit 6% bis 8% abwesenden
Männern rechnen müssen (30), ein Wert, der im Bereich der
7% bis 9% liegt, die wir im nördlicher gelegenen Mezzovico-Vira für die
langfristig Abwesenden ermittelt haben.
Daß ein Anteil von 6% bis 8% Abwesenden nicht singulär ist, zeigt ein
Vergleich mit Angaben aus einer Gesamttabelle von 1643, die 1 8 Gemeinden
des Bezirks Mendrisio umfaßt (31). Kommunikanten und Nichtkommunikanten
ergeben zusammen eine Bevölkerung von 6192 Seelen; dazu
kommen noch 540 beziehungsweise 8% Abwesende (32).
Tabelle 2: Männerdefizit in fünf Gemeinden des Mendrisiotto,
1696 und 1723
Sommer 1696 Sommer 1732
Alter M F Mf M –·
·· – -·—–· -··—· -·-�— – · · ··-·-
· – · · –
< 1 5 230 235 98 229
15-19 59 75 79 63
20-29 138 159 87 103
30-39 95 1 16 82 87
40-49 60 80 75 79
50-59 49 61 80 53
> 60 28 25 1 1 2 50
Total 659 751 88 664
F . – –􀁫-· . .•..
256
74
1 1 7
130
85
72
53
787
Mf
89
85
8 8
67
93
74
94
84
·—–
Mf=Maakulinitiitsfaktor: Anzahl der Miinner auf 100 Frauen
Miinnerdefizit, alle: 1696=92=6,1% I 1723=123= 7,8%
Miinnerdefizit, Erwachsene: 1696=87=5,81% I 1 723=96=6,2%
In Ludiano, einem Dorf mit Winterwanderung im alpinen Bleniotal, wurden
die Verzeichnisse meist im April aufgenommen. Zu diesem Zeitpunkt
waren etliche Pässe noch nicht begehbar und die Emigranten noch nicht
oder erst teilweise ins Dorf zurückgekehrt. In 14 Verzeichnissen aus den
Jahren 1730 bis 1759 lassen sich bei einer erstaunlich stabilen Einwohnerschaft
von rund 200 Personen zwischen 2% und 17% als abwesend
ermitteln (33). Im Schnitt machen die Abwesenden 9% der Einwohner
aus.
Auch in diesem Dorf deckt das Männerdefizit aber auf, daß die angegebenen
Abwesenden nur einen Teil der Migration ausmachten. So ist
die männliche Bevölkerung, die als abwesend Aufgeführten mitgezählt,
1730 um 1 8 Personen kleiner als die weibliche, 1731 um 14 Personen, was
einem Männerdefizit von 9% beziehungsweise 7% entspricht. Tabelle 3
248
zeigt, daß es sich dabei vor allem um ein Übergewicht an jüngeren und
über fünfzigjährigen Frauen handelt, während das Verhältnis der Personen
mittleren Alters ausgeglichen ist. 1730 waren 23 von 27 Männern im Alter
von 30 bis 50 Jahren verheiratet, die Hälfte davon konnten ihre Familie
jedoch nicht am Ort ernähren, denn sie sind als abwesend eingetragen.
In Aquila, ebenfalls im Bleniotal, waren von den 626 im Jahre 1745
Anwesenden 357 Frauen und 269 Männer; bezogen auf die Erwachsenen
waren es 274 zu 192, was einem Maskulinitätsfaktor von 70 entspricht. 19
Personen waren als einzeln abwesend eingetragen, 36 Abwesende waren
Familienoberhäupter, die mit einem Teil oder der ganzen Familie weg
waren. 1747 zählte man 693 Anwesende, 391· Frauen und 302 Männer; 1 1
waren einzeln abwesend; 35 mit der Familie oder einem Teil davon (34).
Tabelle 3: status animarum von Ludiano, 16.4. 1730 und 1 .4. 1731
Miin. ne
_
r_ _________ Frauen

-􀇙s􀇚nr·- 􀇒b􀇓e,;-e� all􀇔
Alter nv V
<15 31
15-19 4
20-24 6
25-29 2
30-34 1 4
35-39
40-44 3
45-49 1 4
50-64 2 2
>65 1
Total 1 730 48 1 3
< 1 5 35
16-19 9
20-24 6 1
25-29 2
30-34 1 4
35-39 1 3
40-44 1 2
45-49 1 6
50-64 . 2 3
>65
Totnl 1731 56 20
nv= nicht verheiratet
v=verheiratet
nv V
31
4 8
3 9
1 3
2 2 9
4 4
2 5
4 9
2 6
1
9 1 5 85
35
1 10
3 10
1 3
1 2 8
4
3 6
4 10
1 6
5 1 1 92
249
􀌚;-􀌛􀌜nd ab;;􀇕􀇖􀇗d- -;;n: 􀇘
nv V nv V
30 30
9 9
6 6
4 7 1 1
2 4 6
2 5 7
5 7 1 2
1 2 1 4
9 2 1 1
7 7
75 2 7 1 103
34 34
8 8
4 1 5
3 9 1 2
2 2 1 5
6 1 7
5 6 1 1
1 3 4
1 1 4 1 6
5 6
73 31 2 106
Total
61
1 7
15
14
15
1 1
1 7
1 3
17
8
188
69
18
16
15
13
1 1
1 7
1 4
2 1
6
198
II. Das Tessin mit seinen zahlreichen, meist kleinflächigen Gemeinden
war seit der frühen Neuzeit eine zumindest im schweizerischen Rahmen
sehr dicht besiedelte Region, sei es in der alpinen oder der naturräumlich
begünstigteren nichtalpinen Zone. Die Bevölkerungsentwicklung stagnierte,
das heißt, die im Lande Verbliebenen lebten sehr nahe an den
Grenzen der eigenen Ressourcen. Daß die Stabilität dieses Systems aber
nicht Folge angepaßten demographischen Verhaltens an die lokalen Gegebenheiten
war, sondern mit der Ventilfunktion der zum Teil sehr massiven
Auswanderung erreicht wurde, geht aus den oben angeführten Beispielen
zum Ungleichgewicht des Bevölkerungsaufbaus hervor. Die breiten Basen
der Bevölkerungspyramiden sprechen dabei, wie erwähnt, für den Druck,
der von der Geburtlichkeit ausging, während die Lücken auf der Seite der
Männer für das Ventil stehen, mit dem dieser Druck aufgefangen wurde.
Bevölkerungsdruck war in der traditionellen, vorindustriellen Gesellschaft
ein strukturelles Spannungselement, das jeweils dann zum Tragen
kam, wenn eine Bevölkerung sich so weit vemehrt hatte, daß sie an die
Grenzen ihrer Subsistenz gelangt war. Beim Erreichen dieses Plafonds
stehen folgende Handlungsmöglichkeiten offen:
1. Der Bevölkerungsdruck verlangt nach Innovationen, nach einem qualitativen
Schritt, der die Subsistenzmöglichkeiten am Ort vergrößert, was
einer Anhebung des Bevölkerungsplafonds gleichkommt. Bekannteste Formen
der Schaffung von mehr Ernährungsmöglichkeiten beziehungsweise
Arbeitsplätzen waren etwa im 18. Jahrhundert, jedenfalls nördlich der
Alpen, die Steigerung des landwirtschaftlichen Ertrags durch den Kartoffelanbau,
die Kleegraswirtschaft und die Sommerstallfütterung, ferner die
Ausdehnung der protoindustriellen Textilproduktion.
2. Der Bevölkerungsdruck führt zur Emigration, zur Suche nach mehr
oder besseren Ernährungsmöglichkeiten außerhalb der Heimatregion.
3. Die Grenzen des Nahrungsspielraums ziehen eine Stabilisierung beziehungsweise
Redimensionierung der Bevölkerungsgröße nach sich, das
heißt, wenn dies nicht alleinige Aufgabe des Todes sein soll, eine Anpassung
des Geburtenverhaltens an die lokalen Gegebenheiten.
4. Ist die Bevölkerung an den Grenzen des Plafonds angelangt und
wächst sie trotzdem weiter, so leitet dies einen Verteilungsprozen mit
Veränderungen im Sozialgefüge ein, was gesamtgesellschaftlich gesehen
zu einer Senkung des Lebensstandards und einer erhöhten strukturellen
Gefährdung gegenüber Krisensituationen führt. Der umgekehrte Prozeß
ist auch denkbar: die Anhebung des Lebensstandards durch Reduktion
der Bevölkerungsgröße. Historisch war dies aber in der behandelten Zeit
allenfalls nach Bevölkerungskrisen kurzfristig der Fall oder bei Angehöri-
250
gen der Oberschicht, die ihren Besitzstand wahren wollten.
„Die Bevölkerungsgröße ist“, so Leo Schelbert, „grundsätzlich – von
kurzfristigen meist aus wirtschaftlichen Umschichtungen stammenden Krisen
abgesehen – ein Korrelat der objektiv gegebenen und tatsächlich erkannten
und genutzten Erwerbsmöglichkeiten“ {35) . Daß die AufschlüsseJung
dieses Korrelats je nach vorgefundener historischer Gesellschaftsform
eine Vielzahl von Ausprägungen annehmen kann, muß nicht weiter betont
werden, ebensowenig, daß die angeführten Handlungsmöglichkeiten
natürlich nicht isoliert aufgetreten sind, sondern in kombinierter Form.
Uns interessieren die Schwerpunkte, und das Tessin neigte dabei eindeutig
zur zweiten Möglichkeit.
Wann die massenhafte Emigration der Tessiner einsetzte, können wir
nicht schlüssig beantworten, da unsere Belege nur ins späte 16. Jahrhundert
zurückreichen. Sehr wahrscheinlich gehen die Anfänge weiter zurück,
denn man weiß von Tessiner Bauleuten im Rußland des späten 14. Jahrhunderts;
zu dieser Zeit sind auch die Bündner, ebenfalls starke Wanderer,
mit einer Kolonie in Venedig belegt {36) . Vermutlich wurde die seit dem
15. Jahrhundert dynamisch aufstrebende lombardische Tiefebene (37) zu
einem attraktiven Pull-Faktor für die seit dem Hochmittelalter dicht und
zum Teil in klimatischen Grenzlagen siedelnde Tessiner Bevölkerung.
Die Formen der Wanderung wiesen einen ausgeprägten Rückbezug zur
Heimat auf: Die Saisonwanderer kehrten regelmäßig, die anderen nach
einigen Jahren zurück, wenn sie zuhause eine Ehe eingehen konnten oder
alt geworden waren. Mit dem Nachschub der Jungen und der Rückkehr
der Alten entstand zwischen dem Tessin und den Zielorten, ebenso wie
zwischen dem Engadin und Venedig, eine Art fest etabliertes Austauschsystem,
in welchem die Nachfrage der Zielorte nach billigen und/oder
spezialisierten Arbeitskräften befriedigt wurde und das übervölkerte Ursprungsland
gewissermaßen eine externe Vergrößerung seines Ernährungsspielraums
fand {38) .
Wir haben weiter oben den Bevölkerungsdruck als strukturelles Spannungselement
der traditionellen Gesellschaft bezeichnet. Damit haben
wir auch impliziert, daß die dritte der angeführten Handlungsmöglichkeiten,
die Anpassung des demographischen Verhaltens an die lokalen Subsistenzmöglichkeiten,
in der damaligen Gesellschaftsform nur bedingt als
Variable eingesetzt werden kann. Der Grund ist darin zu sehen, daß die
traditionelle Gesellschaft ihre Fruchtbarkeit nur unzureichend kontrollieren
konnte und angesichts der Instabilität, die durch den willkürlich und
massenhaft auftretenden Tod hervorgerufen wurde, eine optimale Minimierung
der Geburtenzahl auch nicht anstreben konnte, ganz abgesehen
251
davon, daß religiöse Tabus dem entgegenstanden und sich die gewünschte
Kinderzahl nicht aus zweckrationalem Ökonomistischen oder karriereorientiertem
Denken herleiten ließ.
Die Mortalität war kurzfristiger menschlicher Einflußnahme praktisch
entzogen; sie ließ sich allenfalls mittel- und langfristig durch bessere Ernährung,
Hygiene und medizinischen Fortschritt beeinflussen. Die Kontrolle
der Fruchtbarkeit war durch die Institution der Ehe geregelt (39).
Diese gesellschaftliche Kanalisierung der Fruchtbarkeit war durch die Heiratshäufigkeit
und das Heiratsalter der Frau steuerbar; war einmal eine
Ehe geschlossen, so war Kinderkriegen religiöse Verpflichtung. Beim weitgehenden
Ausbleiben von Geburtenverhütung stellten diese zwei Kontrollmechanismen,
wie gesagt, nur eine unvollkommene Einflußmöglichkeit
dar.
Wenn wir also von nicht angepaßtem demographischen Verhalten sprechen,
gilt es, die – natürlich höchst unvollständig! – angeführten Bedingungen
des damaligen demographischen Systems zu berücksichtigen, eines
Systems, das sich gesellschaftlich nur bedingt kontrollieren ließ, auch wenn
die Möglichkeit zur Eheschließung unmittelbar von der ökonomischen Voraussetzung
abhing, eine Familie ernähren zu können. Dazu kommt die
Attraktivität der norditalienischen und anderen Arbeitsmärkte, die eine
solche Anpassung auch nicht zur Notwendigkeit werden ließen.
Es gibt Hinweise darauf, daß das Heiratsalter im 16. Jahrhundert wesentlich
tiefer gelegen haben könnte als in den beiden folgenden Jahrhunderten.
Das Bevölkerungswachstum des 16. Jahrhunderts wäre demnach
mit einem niedrigen Heiratsalter einhergegangen, während in der Folgezeit
die Erhöhung des Heiratsalters und die stagnierende Bevölkerungsentwicklung
zusammengehörten. · –
1574 waren in der Kirchgemeinde Airolo in der Leventina 29 von 120
verheirateten Frauen 20 Jahre und jünger, 10 davon gar zwischen 14 und
17. Sogar unter den verheirateten Männern waren 6 jünger als 20, einer
davon erst 14! ( 40) Diese außergewöhnlichen Verhältnisse sind aber stark
durch die vorangegangene Pest beeinflußt. Den massiven Bevölkerungsverlusten
begegneten die Überlebenden jeweils mit einer Lockerung der
„checks“ , welche die Fruchtbarkeit unter Kontrolle hielten: Senkung des
Heiratsalters, rasche Wiederverheiratungen und Eheschließungen von jenen,
denen die Gründung einer Familie ökonomisch sonst verbaut gewesen
wäre.
In den von uns untersuchten status animarum des 17. und 18. Jahrhunderts
sieht die Situation deutlich anders aus: ( 4 1 ) Der Zivilstand ist
bei beiden Geschlechtern altersmäßig stark unterschiedlich strukturiert,
252
denn die Frauen heirateten um einiges früher als die Männer, und wenn
sie ihren Gatten verloren hatten, waren ihre Chancen zur Wiederverheiratung
beim ausgeprägten Frauenüberschuß sehr gering. Man findet deshalb
im Unterschied zu den Männern nur wenige verheiratete, dafür umso mehr
verwitwete Frauen in den hohen Altersklassen.
Die Männer heirateten in der Regel spät, wie es für die traditionellen
Gesellschaftsformen des Ancien Regime üblich war. Sie sind erst in der
Altersklasse der 30-34jährigen zu mehr als der Hälfte verheiratet. 20-
24jährige waren nur in Ausnahmefällen verheiratet, und gleiches gilt etwas
abgeschwächt für die Kohorte der 25-29jährigen. Daß sich die meisten
Männer erst ab 30 imstande sahen, eine Familie zu gründen, hängt mit
der beruflichen Ausbildung und noch mehr dem Wanderungsverhalten zusammen,
das heißt mit der Notwendigkeit, vor der Eheschließung etwas
Vermögen anzuschaffen. Daß auch diejenigen, welche eine Ehe geschlossen
hatten, zu einem Großteil nicht am Ort bleiben konnten, geht unter
anderem aus den unten folgenden Angaben hervor.
Während in unseren Belegen aus dem 17. und 18. Jahrhundert praktisch
kein Mann unter 30 im Bunde der Ehe lebte, sah die Situation bei
den Frauen anders aus, aber jedenfalls auch nicht so, wie das Beispiel aus
Airolo von 1574 nahelegen würde. Die Frauen gingen die Eheschließung
früher ein, und ein eigentliches Heiratsalter wie bei den Männern zwischen
30 und 34 läßt sich bei ihnen weniger deutlich ausmachen. Die jüngsten
heirateten mit 17; sie blieben aber eine sehr seltene Ausnahme. Mit 35
wiederum waren die meisten verheiratet. Gegeniiber den ledigen gewinnen
die verheirateten Frauen in den Kohorten der 25-29jährigen und, wie
bei den Männern, der 30-34jährigen an Übergewicht. Das Durchschnittsalter
der Tessinerin dürfte bei der Eheschließung mit Sicherheit näher bei
30 (etwa bei 28-30) gelegen haben als bei 25. Sollte sich dieser Eindruck
durch Familienrekonstitutionen bestätigen lassen, so hätten die Tessinerin
und auch der Tessiner im schweizerischen Vergleich recht spät geheiratet
( 42); mit anderen Worten, die Spätehe wäre bewußt als Antwort auf den
Bevölkerungsdruck in der Heimat eingesetzt worden.
Die Anteile der Verheirateten weisen starke Schwankungen auf. Wegen
des durch die Migration hervorgerufenen Mißverhältnisses zwischen
den Geschlechtern ist der Prozentsatz der verheirateten Männer natürlich
deutlich höher als jener der Frauen. Nach den Angaben der Zählung von
1808 waren gesamtkantonal gut 60% der erwachsenen Männer verheiratet,
die abwesenden mitgezählt; etwa 6% waren verwitwet und 34% ledig.
Entsprechende Angaben für die Frauen wurden nicht aufgenommen ( 43).
1677 waren in Mezzovico 75 oder 45% der Männer verheiratet; 42 davon
253
waren abwesend. Bei den Frauen waren es entsprechend 37%, und nur
eine war abwesend ( vgl. Tab. 1). 1696 waren in der gleichen Gemeinde
nur 56 oder 35% der 162 Männer verheiratet und 28 davon abwesend (44).
In Ludiano waren 1730 28 oder 52% der Männer verheiratet und 15 davon
abwesend. Bei den Frauen belief sich der Anteil nur auf 38%. 1731 war
der Anteil der Männer mit 54% leicht erhöht, wobei 1 1 von 3 1 abwesend
waren. Von den Frauen waren nur 43% verheiratet. In Arbedo, Bezirk
Bellinzona, waren am 28. Juli 1696 54% oder 68 von 127 anwesenden
Männern verheiratet. Von den 158 Frauen waren es 76 oder 48%; nur 8
Frauen waren also ohne ihre Ehemänner im Dorf. 10 Frauen waren verwitwet;
die restlichen 72, darunter 47 zwischen 15 und 30, hatten (noch)
keinen Ehemann gefunden ( 45) .
Die fünf Werte aus den drei angeführten Gemeinden weisen einen großen
Schwankungsbereich auf: 30% (Mezzovico, 1696) bis 5 1 % (Arbedo, 1696)
der Erwachsenen sind verheiratet. Bei den Männern schwanken die Anteile
zwischen 35% und 54%. Sie liegen also deutlich unter den 60%, die
sich für 1808 bei den Männern ermitteln lassen. Ab 1800 begann die Tessiner
Bevölkerung beschleunigt zuzunehmen; der relativ hohe Anteil verheirateter
Männer könnte damit in Zusammenhang stehen. Für unsere Zeit
gewinnen wir den Eindruck einer demgegenüber geringeren Ehehäufigkeit,
was sich wiederum als stabilisierendes Element beziehungsweise Anpassungsversuch
an die lokalen Gegebenheiten interpretieren ließe. Erst
eine breiter angelegte U ntersuchung vermöchte jedoch abzuklären, ob die
Ehehäufigkeit vom 17. und 18. Jahrhundert zum 19. Jahrhundert zugenommen
hat, wie es uns die Gegenüberstellung der ungleichen Angaben
nahelegen könnte. Immerhin, die Tessinerinnen und Tessiner haben im 17.
und 18. Jahrhundert sehr wahrscheinlich durch Spätehe und möglicherweise
durch geringe Heiratshäufigkeit versucht, eine Anpassung der Geburtenhäufigkeit
an die lokalen Gegebenheiten vorzunehmen. Sie reichte
zwar aus, um das Bevölkerungswachstum in der Heimat in Grenzen zu
halten, nicht aber, um die Emigration zu stoppen.
III. Abschließend möchten wir noch auf einige der Rückwirkungen der
Emigration auf das Tessin eingehen. Wir halten uns dabei wieder an die
Ausführungen des Berners Bonstetten und der beiden Tessiner Ghiringhelli
und Franscini.
Die Anfänge der massenhaften Auswanderung mußten wir im Dunkeln
lassen; wir vermuteten sie im ausgehenden Mittelalter beziehungsweise der
einsetzenden Sogwirkung der norditalienischen Städtelandschaft. In der
frühen Neuzeit waren langjährige Berufswanderung und Saisonwanderung
254
fest etabliert; im 19. Jahrhundert sollte die massenhafte Siedlungsauswanderung
nach Übersee dazu kommen. Migratorisches Verhalten war für die
Tessiner jener Zeit gewissermaßen ein ’natürlicher‘ Teil ihrer Lebensbedingungen;
man könnte es als verinnerlichte, mentale Struktur, als Habitus,
bezeichnen.
Wandern , wir haben es oben bereits erwähnt, bedeutet Abfluß demographischen
Spannungspotentials ( 46). Es läßt Veränderungen im Herkunftsland
nicht zur Notwendigkeit werden, weder im gesellschaftlich-politischen
noch im ökonomisch-technischen Bereich. Die Tessiner Wanderungen, die
im Ancien Regime zumindest noch durch eine enge Beziehung zum Heimatort
charakterisiert waren, hätten aber durch den Rückfluß von Kapital
und Erfahrung durchaus zu einer Verbesserung der Situation im
Herkunftsland führen können. Auch hätte sich die Situation der Zurückgebliebenen,
der Frauen also, durch die Übertragung der Arbeitslast im
Dorf in vermehrter Verantwortung und entsprechender sozialer Achtung
niederschlagen können. Beides war aber offensichtlich nicht der Fall.
Das Bild, das uns unsere Gewährsleute vermitteln, ist das einer von Unwissenheit
und Armut geprägten Bevölkerung, die mit nur wenig Handel
und Gewerbe und keiner Industrie versehen, eine trotz fruchtbaren Bodens
und günstigen Klimas rückständige Landwirtschaft betrieb. Diese war
durch die oft anzutreffende Trias von Ackerbau, Viehzucht und Weinbau
sehr arbeitsintensiv, warf aber durch zum Teil hinderliche Topographie,
große Zersplitterung des Besitzes, mißliche Pachtverhältnisse und allgemein
verbreitete Verschuldung wenig ab. Die Tessiner waren während
dreier Jahrhunderte Untertanen von Herren nördlich der Alpen gewesen,
die ihnen zwar eine lange Friedenszeit bescherten, sich aber sonst herzlich
wenig um sie kümmerten. Auch diese politische Entmündigung trug zu
ihrer Rückständigkeit bei.
Nach Ghiringhellis Urteil war diese „lange, ungestörte Ruhe ( . . . ) der
einzige Vortheil, den die Italienischen Vogteyen aus der Vereinigung mit
der Schweiz zogen. Sie erhielten dadurch eine schonende, nicht eine gute
Regierung. Sie war schonend in ihrer Anlage, nicht immer in den einzelnen
Regierungsvertretern. Gut war sie in keinem von beyden. Das
ganze Geschäft der Eidgenössischen Souverainität, hat i n so vielen Jahren
bloss darinnen bestanden, einige höchst unvollständige und verwirrte
Landesgesetze zu machen, und die Gerechtigkeit, gut oder schlecht, handhaben
zu lassen. Weiters bekümmerte man sich nicht um das Wohl der
Unterthanen.“ (47)
Auch Bonstetten erkannte 1795: “ ( … ) Armuth an Sinn und Geld
herrscht doch beinahe überall in diesen Thälern. Auch ist der Land-
255
mann oft Eigenthümer des Ackers, den er bauet. Aber er ist Unterthan
von 12 Republiken, und gefesselt, an eine freilich milde Regierung, die
aber ohnmächtig ist zu allem Guten. ( . . . ) In etlichen Thälern sind gar
keine Schulen, und ihre Einwohner sind vielleicht an Unwissenheit und
Aberglauben die untersten Menschen in Europa.“ {48)
Bonstettens Urteil ist nicht frei von der Überheblichkeit des Angehörigen
deutscher Kultur gegenüber der in vielen Belangen nicht verstandenen
und deshalb als defizitär empfundenen italienischen Kultur. In seinen
Briefen findet sich denn auch ein unverzeihlicher Ausfall gegenüber den
anerkannt mißlichen Wohnverhältnissen, indem er 1795 über Dörfer zwischen
Locarno und Bellinzona schreibt: „Kein deutsches Schweizerschwein
würde in einige dieser Menschenwohnungen gehen.“ {49) Johann Gottfried
Ebel konnte es denn in der dritten Auflage seiner “ Anleitung, auf die nützlichste
und genussvollste Art in der Schweiz zu reisen“ (Zürich, 1809) auch
nicht unterlassen, auf Bonstettens Ausfall Bezug zu nehmen. Für Ghiringhelli
war dies „eine gar zu starke Sprache; die Sprache der Reisenden, die
von einzelnen Fällen, von einer, vielleicht bey übler Laune gemachten Beobachtung,
sogleich auf das Ganze schliessen.“ (50) Bei der Beschreibung
der Wohnverhältnisse kommt er erklärend auf diese Beleidigung zurück:
Die Häuser „sind von sehr ärmlichem Ansehen. Bequemlichkeit, Symetrie,
Reinlichkeit sind nicht ihre Eigenschaften. Schweineställe, und ärger noch
als solche, sind sie jedoch nicht. Der (!) Abgang an Säuberlichkeit muß
man nicht einem, für diese schöne Eigenschaft, ganz abgestumpften Sinne
zuschreiben. Man muss bedenken, wie wenig der Bauer von Kälte in sein
Haus eingesperrt, und von seinen Arbeitern darinnen gelassen wird; man
muss die Beschwerden bedenken, denen die Weiber, die Hauptaufseherinnen
der Reinlichkeit unterworfen sind, und diesem Allem etwas zugute
halten.“ (51)
Auch Franscini versuchte in seiner Beschreibung, nördlichen Vorurteilen
gegenüber dem Tessiner, “ welcher bey vielen Enetbirgischen für träg und
lässig, für einen Halb-Lazzerone gilt“, entgegenzuwirken {52).
Einig sind sich aber alle drei über die sehr schlechte Stellung der Frau,
die direkt mit der Wanderung der Männer zusammenhängt. Am drastischsten
äußert sich wiederum Bonstetten: „Die Weiber welken fast überall
in diesen Italienischen Schweizerthälern in ihrer Kindheit wegen der zu
schweren Arbeit hin. Sie sind die eigentlichen Lastthiere des Landes.“
Durch die Abwesenheit der Männer werden die Frauen “ zu Sklaven erniedrigt,
sie müssen alle, und die gefährlichsten Arbeiten verrichten. Sie
pflügen, erndten, gebähren und säugen, pflanzen und bauen. Sie klettern
auf die schrecklichsten Felse, wo oben und unten Steinblöcke stürzen,
256
um bei brennender Sonne ein wenig Genista, Holz oder Heu zu erndten,
nicht ohne Gefahr von den Schlangen. ( . . .) Viele Männer kehren im Winter
zurück, spielen Karten, saufen unter sich, und lassen sich von ihren
Weibern bedienen, die sie verachten, weil sie bald alt werden, und diese
Herren Stallknechte, Fumisten, Chocolademacher etc. verdorbene Sitten
haben. Viele von diesen verwöhnten Krämern speisen nicht mit ihrer Familie,
und schämen sich vor ihren Sitten, Sprache, Kleidung und sogar
vor ihren Bergen!“ (53)
Ghiringhelli deckt neben der Bestätigung dieses Zustandes noch einen
traurigen Zusammenhang zwischen der Überlastung der Frauen und der
􀔮ntsprechenden Kinderpflege auf:
„In keiner anderen Gegend der Schweiz wird man so viele übel gestaltete,
taube und stumme Menschen wahrnehmen. Dieses muß den strengen
Arbeiten der Weiber, die oft selbst noch am Tage ihrer Niederkunft die
schwersten Lasten auf ihrem Rücken bergauf und bergab tragen, der Ungeschicklichkeit
der Hebammen, und der schlechten Kinderwartung überhaupt
zugeschrieben werden. Die Mütter und das ganze erwachsene Weibervolk
einer Familie bleiben im Frühlinge und Herbste den ganzen Tag
vom Hause entfernt, die kleinen Kinder andern Kindern, die sich selbst
kaum aufrecht halten können, überlassend. Ein grosses Glück, wenn dieses
ohne Verrenkungen, Erdrückungen, Vebrennungen, Fallen u.s.f. abläuft.
Wie viele Beyspiele hat man nicht, dass Schweine die Kinder in der Wiege
angepackt, aufgefressen, oder wenigstens stark verletzt haben! Im Sommer
nimmt man die kleinen Geschöpfe mit aufs Feld. Allein, wie vielfältig
bleiben sie da, mit unbedecktem Haupte den sengenden Sonnenstrahlen,
die ihnen das Gehirn auskochen, und sie zu gehörlosen, stummen und
völlig blödsinnigen Menschen machen, ausgesetzt!“ (54)
Die Emigration führte nicht nur zu einer Zementierung der schlechten
Stellung der Frau, sondern allgemein war ein positiver Rückfluß nicht
die Regel, sondern die Ausnahme. „Sonderbar ist es, dass sie nicht eine
nützliche Idee nach Hause bringen“ , wundert sich Bonstetten über die
Emigranten (55), und Ghiringhellis Klage lautet ähnlich: „Sehr selten
sind diejenigen, ( . .. ) die ins Vaterland zurückkehren, und in dasselbe die
Früchte ihrer Industrie und die Wohlthaten des Glückes mit sich ziehn.“
(56)
Franscini _kann ein paar Jahrzehnte später bei der Beschreibung des
Landbaus zwar lobend festhalten: „Es frommt, daß diejenigen, welche
fern von ihrem Vaterlande Gewinn sammeln, mit Vorliebe in der Heymat
Land kaufen, und darauf bedeutende Verbesserungen machen lassen.“
Gleich anschließend muß er aber in der Auswanderung auch einen
257
Nachteil feststellen: „Die Hindernisse sind jedoch in nicht geringer Zahl.
Theils durch die Auswanderung vorzüglich der männlichen Jugend, theils
durch die zahlreichen Feyertage, Processionen und Aehnliches wird die
Handarbeit zu theuer und unzureichend.“ (57)
Im frühen 19. Jahrhundert galt immer noch: “ Derjenige, welcher wenig
oder gar nichts hat, gewinnt, obwohl der Taglohn gar nicht gering, noch
der Preis der Lebensmittel hoch ist, sehr selten den Lebensunterhalt bey
Hause so gut als auswärts.“ (58) Der massenhafte Wegzug der Tessiner
führte im Tessin selber zu einem Mangel an Arbeitskräften, und durch
das Ausbleiben einheimischer Investitionen wurde ausgerechnet das Auswanderungsland
Tessin selbst für fremde, oft qualifizierte Arbeitskräfte
zum Zielort! An das obige Zitat schließt denn auch der Satz an: “ Bey uns
verschafft sich ihn der fremde Handwerksmann besser als der tessinische.“
(59)
Der Kreis neigte also in einer nahezu grotesken Einholbewegung dazu,
sich zu schließen: Arbeitskräftemangel als Folge der Auswanderung führte
zu Einwanderung ins Auswanderungsland. Der Austausch vollzog sich
zum Teil beruflich sektoriell und spielte sich im norditalienischen Wirtschaftsgroßraum
mit den Wanderungszielen der Tessiner und mit Drittorten
ab; zweifellos vollzog er sich entlang eines (berufsspezifischen) Wohlstandsgefälles:
Das Tessin lieferte der Lombardei die Kesselflicker, sie umgekehrt
die Schmiede, und die Schuster kamen aus dem Veltlin (60).
In diesem Austauschsystem blieb das Tessin Peripherie, das heißt, es
lieferte dem Zentrum mehr, als von daher zurückfloß. Die Auswanderung
war nicht nur ein Mittel der Stabilisierung der Bevölkerungsgröße, sie
stabilisierte auch die Rückständigkeit, von der sich das Tessin auch heute
noch nicht, obwohl längst Zuwanderungsland und in Gefahr, von Norden
her wieder – diesmal finanziell und demographisch – kolonisiert zu werden,
erholt hat. Obwohl die negativen Auswirkungen der Emigration gesamthaft
gesehen überwiegen, bedarf es angesichts der Vielfältigkeit dieses
Gebietes eines differenzierteren Urteils als der zornigen Klage Ghiringhellis,
der in der „Wuth in fremde Länder zu gehen“ , einen Hauptgrund für
die Zurückgebliebenheit seines Kantons innerhalb der Eidgenossenschaft
sah. Stefano Franscini hat den Ansatz zu einem solchen Urteil geliefert.
Er wies auf die Notwendigkeit hin, „die Sache nicht in Bausch und
Bogen, sondern Theil für Theil in Erwägung zu ziehn, nach den Oertlichkeiten
des Cantons, nach der Verschiedenheit der Künste und Gewerbe,
vom ökonomischen und vom moralischen Gesichtspunkt aus. Man wird
in gewissen Ortschaften mit häufiger Auswanderung Laster sehen, welche
in denen fast unbekannt sind, wo sie spärlich stattfindet. Man wird
258
viele Handwerke, vorzüglich die des Tischlers, Schmieds, Schusters, mit
Vortheil von Fremden statt von Einheimischen betrieben, die Felder und
andere Grundstücke schlecht und nur durch die äussersten Anstrengungen
der armen Weiber und Greise bebaut sehen. Jedoch auch bei Vergleichung
gewisser Landschaften, z . B . des Bellinzonischen, wo die Auswanderung
sehr gering ist, mit andern, in denen sie sehr stark ist, z . B . dem Mendrisischen
wird man gewahr, dass in eint und andrer unter den erstem der
Wohlstand des Volkes weit geringer ist.“ ( 6 1 )
Es war nicht unsere Absicht, in diesem Rahmen ein differenziertes Urteil
über die Vor- und Nachteile der Massenauswanderung zu geben. Wir
wollten die Zusammenhänge zwischen Stabilität beziehungsweise Stagnation
auf der einen Seite und Massenauswanderung auf der anderen Seite
illustrieren. Unsere Beurteilung des Phänomens bleibt trotzdem negativ.
Zweifellos hätten die Wanderungen positivere Auswirkungen auf das
Ursprungsland haben können, als dies im Tessin gesamthaft gesehen der
Fall war. Dazu wäre aber ein anderes Herrschaftssystem notwendig gewesen
und vor allem eine U mstrukturierung der Beziehungen zwischen
Herkunfts- und Zielorten in Richtung eines globalen Gleichgewichts. Beides
war aber nicht der Fall, und unter den gegebenen Bedingungen bewirkte
die Auswanderung im Tessin trotz regionaler Ausnahmen eine Verfestigung
der Rückständigkeit.
ANMERKUNGEN:
1 ) Zürich: Orell Füssli & Comp. 1812 Vgl. 01ich: Galli, Antonio (ed.): D Ticino
all’inizio dell‘ Ottocento nella “ descrizione topografica e statistica“ di Paolo Ghiringhelli.
Bellinzona/Lugano 1943.
2 ) Während der Helvetik ( 1 798-1803) wurde die Bevölkerung der damaligen Kantone
Lugano und Bellinzona gleich dreimal gezählt: 1 798, 1 799 und 1801; die Ergebnisse
wurden aber nicht veröffentlicht.
3) Die Zählung diente militärischen Aushebungszwecken. Es lag daher im Interesse
der Gemeinden, eine möglichst geringe Bevölkerungszahl anzugeben.
4) op. cit. (Anm. 1 ), 29.
5) Ebenda, 31 f.
6) Zu den status animarum als demographische Quelle vgl. Bellettini, Athos: Gli
„otatus animarum“ . In: Le fonti della dernografia storica in ltalia. Atti del seminario
di dernografia storica 1971-1972. CISP Rorna o.J. (1973?), vol. I, 1-28. Guarini,
Elena Faoano: Gli statl d’anime milaneoi al tempo di Carlo e Federico Borrorneo.
Ebenda, 127-154. Schluchter, Andre: Zur Bedeutung der status anirnarwn. Hinweise
auf die Tessiner Bevölkerungsstruktur im 17. und 18. Jahrhundert. In: Mattrnüller,
Bevölkerungsgeschichte ( op.cit. Anrn. 10) 518-556.
7) Vgl. dazu Gh.iringhelli, op. cit. (Anrn. 1); Bonstetten, Kar! Viktor von: Briefe
über die italienischen Aernter Lugano, Mendrisio, Locarno, Valmaggia. Dokumentarische
Neuausgabe der ersten und einzigen Edition Kopenhagen 1800-1801. Mit einem
259
Vorwort von Raffaello Ceschl. Ascona 1982; Franscini, Stefano: Der Canton Tessin,
historisch, geographisch, statistisch geschildert. St. Gallen und Bern 1835 (Gemälde
der Schweiz XVIII), repr. Geneve 1980. Original: La Svizzera italiana, ed. Piero
Chlara. Lugano 1973.
8) Schluchter, Andre: Zur Bevölkerungsentwicklung des Tessins in der frühen Neuzeit.
In: Mattmüller, Bevölkerungsgeschichte (op.cit. Anm. 10) 661-682. Ohne weitere
Verweise sind die folgenden Zahlenangaben diesem Aufsatz entnommen.
9) Bezirke Blenio, Leventina, Riviera, Vallemaggia und Locarno (Kreise Onsernone,
Melazza und Verzasca).
10) Vgl. Mattmüller, Markus: Bevölkerungsgeschichte der Schweiz, Teil I: Die frühe
Neuzeit, 1 500-1700. Basel und Frankfurt/M. 1987 (Basler Beiträge zur Geschichtswissenschaft
154 u. 154a).
1 1 ) Ebenda.
1 2 ) Vgl. Ruffieux, Roland: Die Schweiz des Freisinns ( 1 848-1914). In: Geschichte
der Schweiz – und der Schweizer, Band 111. Basel/Frankfurt 1983, 90. Schelbert, Leo:
Einführung in die schweizerische Auswanderungsgeschichte der Neuzeit. Zürich 1976
(Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Beiheft 16).
13) Speziell jene, die als Architekten tätig waren. Neben Francesco Borromini sei in
diesem Zusammenhang an Domenico Trezzini (1670-1734) aus Astano erinnert, einen
mnßgeblichen Miterbauer St. Petersburgs.
14} op. cit. (Anm. 7), Bd. I, 24.
1 6 ) Mit der Volkszählung von 1808 lassen sich die Anteile der langfristig abwesenden
Männer in den einzelnen Distrikten bestirrunen: Leventina: 15%, Blenio: 25%, Riviera:
6%, Bellinzona: 6%, Locarno: 13%, Vallemaggia: 16%, Lugano: 19%, Mendrisio: 14%,
Kanton: 1 6 % (6626 von 43468 Männern). Die Anteile dürften durch die Zeitumstände
etwas verzerrt (erhöht) sein. Vgl. Ghlrighelli (Anm. 1 ) bzw. Schluchter (Anm. 6).
Ghiringhelli liefert in seiner Beschreibung der einzelnen Distrikte (93-188) wertvolle
Angaben zu den Auswanderungsformen, natürlich unverhohlen aus seiner populationistischen
Optik: Über die Leventina: „Die Abnahme der Bevölkerung zeigt sich in
diesem Distrikte am auffollendsten. Die Auswanderungen verursochen zwar keine Vernachlässigung
der Güter. Es gäbe dennoch auch mancher (!) Zweig von Industrie, der
die überflüssigen Hände, im Lande selbst, viel bequemer und vortheilhafter beschäftigen
könnte. Es wandern nicht allein die Mannsbilder, sondern auch die Weibspersonen
häufig aus. Sie gehen, als Mägde, am zahlreichsten nach Bellinzona und Mailand. Hier
aber, im Lasterwirbel der großen Hauptstadt, leidet ihre Unschuld nur gar zu häufige
Schiffbrüche.“ (99) Was die Abnahme der Bevölkerung anbelangt, so irrte Ghiringhelli,
zumindest bezüglich ihrer mittel- und langfristigen Entwicklung: (Jahr: Einwohner)
1682: 6856, 1745: 7634, 1800: 9445, 1808: 9664. Vgl. Schluchter (Anm. 8), Tab. 5,
671. Über das Lavizzaratal im Distrikt Vallemaggia: „Die Lavizznrer wohnen hiiufig
in Holzhäusern. Man rühmt sehr ihre Reinlichkeit und Freundlichkeit. Die mit dem
Gebiete unverhältnismässige Bevölkerung, dns gute Gedeihen der Viehzucht, und die
kleine Industrie mit den Lavetzsteinen halten die Einwohner von der Auswanderung
sehr zurück.“ (164) Mit “ unverhiiltnismiissig“ meint er offensichtlich, daß das Tal im
Verhältnis zu seiner Fläche “ wenig bevölkert“ sei (162). Tatsächlich muß dns Tal eine
Bevölkerungsabnahme erfahren haben, trotz zusätzlicher Verdienstmöglichkeiten durch
die Lavetzsteine (Johr: Einwohner): 1591: ca. 2500, 1669: 2924, 1765: 1156, 1800:
1215, 1808: 1097. Vgl. Schluchter (Anm. 8), Tab. 9, 675. Über die Gemeinde Someo,
im fruchtbareren Teil des gleichen Distrikts, mit Weinbau, zweifacher Kornernte und
einem fischreichen Alpsee: „Die Einwohner, ihre Londesvortheile fieissig benutzend,
gehen sehr wenig in die Fremde.“ (167)
260
16) Fronscini, op.cit. (Anrn. 7), 156.
17) In Balernn (Bezirk Medrisio) verteilten sich die Eheschließungen der J nhre 1 780-
1840 wie folgt: Jan: 86, 108, 17, 1 1 , 6, 6, 6, 6, 6, 10, 14, Dez.: 4. In anderen Dörfern
des Sottoceneri waren die Verhiiltnisse ähnlich ousgepriigt. Vgl. CONTARE GLI
UOMINI. Fonti per lo atudio della popolazione ticinese, edd. Rnffaello Ceschi, Vasco
Gamboni, Andrea Ghiringhelli. Bellinzona: Centro didattico cantonnle 1980, 1 2-19.
18) Vgl. Rezzonico, Si! via: Ricercn quantitntivia sulln storin demogrnfica delle parrocchie
di Aquila, Olivone e Ponto Volentino (Valle di Blenio) nel seicento, settecento
e ottocento. Lizentiatsorbeit Basel 1975. Typoskript.
19) Vgl. Schluchter, op.cit. ( Anm. 6).
20) Vgl. dozu die “ Avvertenze per far il stato dell’anime, Corolus Card. Tit.
Praxedis, Archipesopus 1574″. In: Le fonti della demografia storica in ltalia, op. cit.
(Anm. 6), 149-154.
21) Archivio parrocchiale di Mezzovico: liber status animarum, ab 1614 (Kopie im
Archivio della Curio Vescovile di Lugano). Es wurden nur diejenigen Verzeichnisse
ausgewertet, welche eine genaue Bestimmung der Abwesenden ermöglichen:
Datum Total Abwesende
20.03.1677 533 104 19,5%
09.03.1683 541 58 10,7%
?.04.1692 541 108 19,7%
1 1 .07.1696 527 1 1 2 21,3%
1 2.08.1708 514 106 20,6%
20.03.1715 515 78 15,1%
15.04.1719 552 109 19,7%
22) op.cit. (Anm. 7).
23) op.cit. (Anm. 1 ) , 172.
24) Vgl. Anm. 2 1 .
25) Fronsioli, Alberto e Fabio: Gli stoti d’onime dei secoli XVI e XVII. In : Schweizer
Jugend forscht, 1977, Nr. 1 und 2, 1 7-20 und 20-􀇨4. Wiedergegeben in: CONTARE,
op.cit. (Anm. 17), 6-8.
26) “ … perehe delli uornini dello rnia porrocchio son fuori circa 150 a far il magnano
ehe comunemente al Nota! et a S . Pietro ritornano in qunl feste vogli ehe rni mostrino
dove si aon confessnti et communicoti da Posqua“. Zit. noch: Vnnnini, Benedetto: Le
viaite pastorali in Val Colla dal 1 578 al 1835. Lavoro per l’ottenimento della patente di
scuola maggiore, Universita di Pavia 1976, dattiloscritto al Centro didottico cantonale,
Bellinzona, 36.
27) “ 11 territorio e sterile, contiene soltanto boschi e pnscoli. Gli abitanti ai recano
nella regione di Milano e in genere della Lombardin, specialmente esercitando !’arte
‚eream‘ (del ramnio o magnano).“ Ebenda, 38.
28) Originale der gleichnamigen Aktenbestände mit den Visitationsberichten im
Archivio della Curia Veacovile di Lugano (ACVL).
29) Vgl. Andre Schluchter, Die Bevölkerung der Schweiz um 1800. Erscheint 1988,
hg. v. Bundesamt für Statistik, Bern.
30) Vgl. Anrn. 28 bzw. Schluchter, op. cit. (Anm. 6).
31) ACVL, Carofino, 338 bzw. Schluchter, op. cit. (Anrn. 6).
32) Vgl. dazu in Anrn. 15 die Anteile der langfristig Abwesenden von 1808.
33) Archivio parrocchiale di Ludiano: liber atatua animarum, 1637-1801. Abschrift
verdankenswerterweise zur Verfügung gestellt von Don Giuseppe Gallizia im ACVL.
261
34) Lizentiatsarbeit Rezzoruco, op. cit. (Anm. 18).
35) op. cit. (Anm. 12), 154.
36) Ebenda, 201-05.
37) Abel, Wilhelm: Agrarkrisen und Agrorkonjunktur. 3., neubearb. u. erw.
Außage, Hornburg u. Berlin 1978, 79-81.
38) Vgl. Mottmüller, op. cit. (Anm. 10), 343-346.
39) Eine entsprechend rigide Sexualmornl vermochte die Ehe ideologisch so abzustützen,
daß sich die außereheliche Fruchtbarkeit bei den gegebenen Sanktionsdrohungen
zumindest auf dem Lande in engen Grenzen hielt.
40) Fransioli, Morio: Per uno ricerco demogrofico dell’Alta Leventino. In: Scrinium,
23 e 24 settembre 1976, Locarno, 108-110.
41) Vgl. Schluchter, op. cit. (Anrn. 6).
42) Vgl. die Zusammenstellung bei Fridolin Kurmann: Das Luzerner Suhrentol im
18. Jahrhundert. Luzern/Stuttgart 1985 (Luzerner Historische Veröffentlichungen, Bd.
20), 91. Die Bandbreite des Heiratsalters log bei den Frauen zw ischen 24 und knapp
26 Jahren, bei den Miinnern bei 27 und 29 Jahren.
43) Vgl. Ghirighelli , op. cit. (Anm. 1 ) bzw. Schluchter, op. cit. (Anm. 6).
44) Vgl. Schluchter, op. cit. (Anm. 6).
45) Ebenda.
46) Vgl. dazu auch den Beitrag von Hans-Joachim Hoffmnnn-Nowotny in diesem
Band.
47) op. cit. (Anm. 1), 36.
48) op. cit. (Anm. 7), Bd. I, 82.
49) Ebenda, Bd. I, 18. Vgl. Fronscini, op.cit. (Anm. 7), 120.
50) op.cit. (Anrn. 1 ), 38.
51) Ebendo, 64f.
52) op.cit. (Anm. 7), 155.
53) op.cit. (Anm. 7), Bd. I, 16 und 24f.
54) op.cit. (Anm. 1 ), 45f.
55) op.cit. (Anm. 7), Bd. I, 25.
56) op.cit. (Anm. 1), 56.
57) op.cit. (Anm. 7), 127.
58) Ebenda, 155.
69) “ Ausser den Schustern aus dem Veltlin, den Schmieden und Sehreinem aus
der Lombardey, den Maurem und Steinhauern aus Val Intelvi, den Matrozenmachern
aus der Brianza, und den genueaiachen Landarbeitern, den piocentinischen Kriimern,
den tri dentimsehen Holzsiigern, haben wir in einigen unsrer Flecken und in den Dörfern
fast alles fremde Brodbäcker (gern. prestinaj), Kellner, Tuch- , Leinwand- etc. Händler.
Man rechnet die Zahl der fremden Handwerker und Arbeiter aufzwey bis dreytausend,
und es ist ausser Zweifel, dass viele derselben guten Verdienst hoben.“ Ebenda, 168f.
Vgl. auch Ghiringhelli , 68. Zuwanderung war also nicht erst ein Phiinomen des 19.
Jahrhunderts.
60) Vgl. Anm. 69.
61) op. cit. (Anm. 7), 158.
262
KOLLEKTIVE UND INDIVIDUELLE
MOTIVSTRUKTUREN IM MITTELALTERLICHEN
PILGERWESEN
LUDWIG SCHMUGGE
1 . EINLEITUNG
Die Absicht dieses Beitrags ist es, etwas zu den kollektiven und individuellen
Motiven mittelalterlicher Pilger zu sagen. Eingangs sollen jedoch
einige einleitende Bemerkungen zum· mittelalterlichen Pilgerwesen allgemein
vorausgeschickt werden.
Es ist nahezu eine Binsenweisheit, daß nicht nur im Christentum, sondern
in fast allen Hochreligionen ein “ Pilgerwesen“ im Sinne einer aus religiösen
Gründen unternommenen, temporären horizontalen Mobilität zu
beobachten ist, man denke etwa nur an den Islam mit seiner Hadsch nach
Mekka. In der mittelalterlichen Welt (und in katholischen Ländern bis in
unsere Tage) war das Pilgern, die „peregrinatio religiosa“, eine fromme
Übung, der sich Männer, Frauen und Kinder aller Schichten und Stände
unterzogen ( 1 ) . Das Pilgern, seit dem Hochmittelalter ein religiöses und
sozialen Massenphänomen, ist, wie mir scheint, durchaus mit soziologischen
Kategorien der Migration, überwiegend der temporären Migration,
zu erfassen. Die vorwiegend religiöse Funktion des Pilgerns im Mittelalter
hat dazu geführt, daß die Kirche den Status des “ peregrinus“ seit dem 1 1 .
Jahrhundert privilegiert hat, um das Pilgern zu fördern und den einzelnen
Pilger zu schiitzen (2). Wir haben es also mit einer Art privilegierter bzw.
geschützter Mobilität zu tun. Bevor ich auf die individuelle und kollektive
Motivation derartigen Wanderns eingehe, müssen zuvor die verschiedenen
Arten und die historische Entwicklung des mittelalterlichen Pilgerwesens
kurz skizziert werden, weil ohne dieses Vorverständnis die Motivstrukturen
nicht hinreichend erklärt werden können.
2. DIE ARTEN DES MITTELALTERLICHEN PILGERNS
Wie so häufig in der Rechtsgeschichte hinkt die Begriffsbildung hinter
der faktischen Entwicklung eines historischen Phänomens her, so auch
beim Pilgerwesen. Über die verschiedenen Arten der mittelalterlichen
263
“ peregrinatio religiosa“ haben sich, obwohl das Phänomen, wie wir sehen
werden, seit der Zeit der frühen Kirche existiert, erst die Kanonisten
des Hochmittelalters Gedanken gemacht, weil mittlerweile eine Pilgerfahrt
eine bestimmte Form der Buße sein konnte (3). Hinsichtlich ihrer Bedeutung
für die Sündenvergebung unterschieden Theologen und Juristen zwischen
“ peregrinationes maiores“ und „minores“ . Zu den ersteren gehörten
die Pilgerfahrten nach J erusalem, Rom und Santiago de Compostela, zu
den letzteren alle anderen, obwohl auch diese sich noch über zum Teil
beträchtliche Distanzen erstrecken konnten ( Bari, Gargano, Mont-SaintMichel,
Le Puy, Aachen, Wilsnack sind solche “ peregrinationes minores“ ).
Der Historiker kann bei seiner Kategorisierung von mittelalterlichen
Pilgerfahrten die kanonistische Distinktion der „peregrinationes maiores“
und “ minores“ übernehmen. Fügt man nämlich den geographischen
Aspekt hinzu, kommt man auf drei Arten von Pilgerfahrten:
1. Fernpilgerfahrten nach Jerusalem, Rom und Santiago.
2. Überregionale Pilgerfahrten (auch diese zumeist über beträchtliche
Distanzen und längere Zeit).
3. Lokale Pilger- und Wallfahrten (von kurzer Dauer und zu nahegelegenen
Heiligtümern).
Selbstverständlich ist die Häufigkeit dieser drei Kategorien im Mittelalter
nicht gleichmäßig, aber es hat alle drei Kategorien von „peregrinationes“
über die ganze Zeit des Mittelalters gegeben. Wenden wir uns daher
einem gerafften Überblick über die Perioden des Pilgerwesens zu.
3. DIE PERIODEN DES MITTELALTERLICHEN PILGERNS
3 . 1 ANTIKE UND FRÜHMITTELALTER
Es ist ausgemacht, daß Christen seit dem 3. Jahrhundert aus religiösen
Gründen und mit der Bibel als Reiseführer die Heiligen Stätten des Erlösungswerkes
Jesu Christi aufsuchten ( 4). Nachdem das Christentum
Staatsreligion geworden war, entwickelte sich Jerusalem zum bevorzugten
Pilgerziel der römischen Führungsschicht, insbesondere der Matronen.
Dieses wird u.a. durch den Briefwechsel des Hieronymus deutlich. Seit
dem Ende des 4. Jahrhunderts, zuerst in Mailand und in Hippo, setzte sich
mit der Verehrung der Heiligen Gervasius und Protasius, durch Ambrosius
gefördert, und Johannes des Täufers, durch Augustinus propagiert, neben
dem Märtyrerkult der Reliquienkult in der Christenheit durch (5). Damit
war auch außerhalb Jerusalems und Roms mit seinen Apostelgräbern
264
und Katakombenheiligen Reliquienkult und Heiligenverehrung zugelassen.
Mit den Heiligen Martin in Tours und Mauritius in S. Maurice seien die
frühesten Beispiele für diese Entwicklung nördlich der Alpen erwähnt (6).
Die Schreine dieser Heiligen machten vor allem auch durch Mirakel und
Wunderheilungen von sich reden. Die Verteilung römischer Katakombenheiliger,
insbesondere im Frankenreich, hat dann dem Reliquienkult
in der westlichen Christenheit endgültig zum Durchbruch verholfen. Die
BuBpilgerfahrten haben die Idee der „peregrinatio“ , das Ideal der „vita
peregrina“ , noch stärker in der christlichen religiösen Praxis verankert
(7). Im 6., 7. und 8 . Jahrhundert waren asketische BuBpilgerfahrten besonders
„en vogue“ bei den irisch-angelsächsischen Mönchen (8), kommen
aber auch im 10. und 1 1 . Jahrhundert gelegentlich noch vor.
3.2. DIE BLÜTEZEIT DES HocHMITTELALTERS
Die Verbindung der fränkischen Herrscher mit dem römischen Papsttum
hat in erster Linie den Pilgerverkehr nach Rom aufblühen lassen (9), wobei
die karolingischen Klöster und Stifte sowie spezielle Xenodochia entlang
der „via romea“ in Italien die Pilger aufnahmen und versorgten ( 10).
Die politische Auflösung des fränkischen Reiches hat auch dem Pilgerwesen
Abbruch getan. Erst nach der Jahrtausendwende boten die sozialen
und wirtschaftlichen Wandlungen neuen Nährboden für die “ peregrinatio
religiosa“ . Gottesfrieden und Treuga Dei bezogen den Pilger in ihren
Schutz ein, neue Kulte entstanden durch Tanslation und Auftindung von
Reliquien, Mirakelberichte verbreiteten den Ruhm und die Wunderkraft
der Heiligen ( 1 1). Die sich an der Reliquienverehrung entzündende Pilgerbewegung
erfaBte die Menschen aller Gesellschaftsschichten, Männer,
Frauen und Kinder. Hand in Hand damit ging der Ausbau einer spezifischen
Infrastruktur: Hospitalgründungen entlang der Pilgerstraßen Italiens,
Frankreichs und Spaniens, nicht zuletzt an neuralgischen Punkten
wie auf Pässen und an Flüssen; Brückenbauten wurden unternommen
(12), “ confraternitates“ und Orden zur Betreuung von “ peregrini“ schlossen
sich im Verlauf des 1 1 . und 12. Jahrhunderts zusammen ( 13). Über
den Umfang des Pilgerverkehrs geben auch die seit dem 12. Jahrhundert
an vielen Wallfahrtszentren vertriebenen Pilgerzeichen beredt Auskunft
(14).
265
3 . 3 . DAS SPÄTMITTELALTER
Wenn – wie es scheint – im 13. Jahrhundert vorübergehend eine gewisse
Flaute der frommen “ peregrinationes“ zu verzeichnen war, so galt das
nicht für das Spätmittlalter. Neue Impulse gingen von der genialen Idee
des periodischen Pilgerns – erstmals im Heiligen Jahr 1300 in Rom realisiert
und dann von anderen Pilgerorten kopiert – und der Verleihung
von großen Ablässen an Wallfahrtsorten aus. Daneben entstanden trotz
Pest und Wirtschaftskrise zahlreiche neue Pilgerzentren des lokalen bzw.
des ü herregionalen Typs ( 15). So stellte das Pilgern und Wallfahren am
Ende des Mittelalters ohne Zweifel eine der populärsten Formen christlicher
Frömmigkeit dar ( 16). An neuen Formen der „peregrinatio“ im
Spätmittelalter wären zu nennen die Bußpilgerfahrten, die seit dem 14.
Jahrhundert wieder aufgenommen wurden, die jetzt fast als “ Pauschalreisen“
organisierten Heilig-Land-Fahrten, die periodischen lokalen Wallfahrten
und ein gelegentlich auftretendes impulsives, massenhaftes Pilgern
bzw. “ Laufen“ ( 17).
3.4 DER QUANTITATIVE UMFANG DER PILGERMIGRATION
Leider können wir erst für die Zeit nach 1300 annähernd sichere Zahlen
über Pilgerbewegungen angeben. Diese sind für die Zielorte der “ peregrinatio
maior“ sehr unterschiedlich. Nach Jerusalem dürften von Venedig
aus im Schnitt eines Jahres nicht mehr als 300 bis 500 Gläubige gereist
sein, etwa 80 bis 100 auf einer Galeere. Rom hat natürlich speziell in
den Heiligen Jahren große Pilgermassen angezogen. Die Angaben in den
Quellen sind regelmäßig unglaubwürdig hoch. Immerhin war schon 1300
der Verkehr über den Großen St. Bernhard zehnmal dichter als in “ normalen
Jahren“ ( 18). Einige Zehntausend “ peregrini“ sind mit Sicherheit
jedesmal zum „anno santo“ an den Tiber gezogen, im 1 5 . Jahrhundert
vielleicht sogar einige hunderttausend Gläubige. Für Santiago wissen wir
wenigstens über die Zahl der englischen Pilger etwas besser Bescheid ( 19 ) :
Etwa 17 bis 20.000 kamen jeweils zu den Heiligen Jahren per Schiff über
den Kanal. Mieck rechnet vorsichtig mit etwa dreißig ankommenden Pilgern
pro Tag (20).
Für andere Pilgerorte lassen die verkauften Pilgerzeichen bzw. die überlieferten
Einnahmen oder sogar direkte Zählungen quantitative Angaben
zu. Nach Gottesbüren dürften in den Jahren 1334/38 an die 40.000 bis
266
50.000 Waller gezogen sein ( 2 1 ) . In Einsiedeln hat man in der Engelweihewoche
1466 130.000 Pilgerzeichen verkauft (22). Eine Pestprozession
der Basler dorthin umfaßte im Juli 1439 1.400 Männer und Frauen. Der
von Genua ausgehende Zug der Bianchi versammelte 1399 circa 5.000 Personen
(23). In Niklashausen fanden sich im Juni/Juli 1476 einige zehntausend
Pilger ein (24}. Zum Ablaß nach München, so ermittelte der Rat
durch Zählungen, waren im Jahre 1480 über 65.000, 148 1 24.000 und 1482
35.000 “ peregrini“ aus Süddeutschland gekommen (25). Bei der Kirche
der Schönen Maria in Regensburg wurden 1 5 1 9 12.500 und ein Jahr später
fast 120.000 Abzeichen abgesetzt (26}. Über die große Zahl der in den
flandrischen Städten verhängten BuBpilgerfahrten gibt van Herwaarden
jetzt präzise Auskunft (27).
Massenhafter Zulauf von Pilgern setzte besonders dann ein, wenn ein
Ablaß erworben werden konnte, wie 1353 in Montmajour bei Arles: “ Eodem
etiam tempore fit magnus concursus populorum peregre venientium
ad monasterium Sancti Petri Montismajoris, dyocesis Arelatensis, ubi esse
dicebatur indulgentia magna, ymo secundum aliquos plenaria“ (28). 1409
hat es dort nach der Chronik des Garoscus de Ulmoisca Veteri und Bertrand
Boysset erneut einen “ perdon general“ gegeben mit angeblich mehr
als 150.000 Pilgerinnen und Pilgern (29). Über die sex-ratio der mittelalterlichen
Pilger läßt sich auf Grund der Mirakelhereichte sagen, daß der
Anteil der Frauen zwischen 33 und 50% lag. Es gingen Menschen jeden
Alters auf Pilgerfahrt, die Quellen sprechen gelegentlich von Kindern wie
von Greisen (30}.
Wenn wir uns nun den kollektiven und individuellen Motiven zuwenden,
welche den mittelalterlichen Pilger zu seinen oft monate-, ja jahrelangen
beschwerlichen und trotz des Pilgerschutzes des „forum ecclesiasticum“
sowie der äußeren Abzeichen von Stab und Tasche gefährlichen Reisen
bewogen haben, so werden wir die verschiedenen Formen der “ peregrinatio“
jeweils im Auge behalten müssen.
4. DIE INDIVIDUELLEN UND KOLLEKTIVEN RELIGIOSEN MOTIVE DER
MITTELALTERLICHEN PILGER.
4 . 1 DIE QUELLEN
Bei dem Versuch, über die Motive mittelalterlicher Pilger zu sprechen,
stellt sich zu allererst die Quellenfrage. Über die individuellen Motive
einzelner Pilger lassen sich vor dem SpätmitHalter praktisch keine Aussagen
machen, wie schon Kötting betont hat. Erst seit dieser Zeit besitzen
267
wir Berichte über “ peregrinationes“ , vor allem aus bürgerlichen und ritterlichen
Schichten (31 ) . Sie beziehen sich zudem fast ausschließlich auf
“ peregrinationes maiores“ nach Jerusalem und Santiago, seltener sind uns
auch Angaben über eine regionale oder lokale Wallfahrt erhalten (32).
So haben wir uns für die frühe Zeit auf die Suche nach kollektiven Motiven
der Pilger zu beschränken. Obwohl der Historiker hier auf Methoden
der Erforschung mentaler Strukturen zurückgreifen kann, ist die Situation
bei unserem Thema nicht besonders günstig. Da die „peregrinatio“ ein
grundlegend religiöses Phänomen ist, welches aus der Praxis des christlichen
Glaubens erwächst, können wir von den Gegebenheiten religiöser
Mentalität mittelalterlicher Menschen ausgehen. Aber diese wandelte sich
im Laufe der Zeit, was nicht zuletzt am Pilgerwesen zu beobachten ist.
Während wir für Spätantike und Frühmittelalter in einigen Itinera und
Briefen der Väterzeit Auskünfte erhalten, müssen wir uns für die Jahre
etwa von 600 bis 1200 fast ausschließlich auf die zwar zahlreichen, aber in
ihrem Quellenwert umstrittenen hagiographischen Quellen verlassen. Aus
diesen ragen die Mirakelberichte heraus, denen sich die Forschung wieder
verstärkt zugewendet hat (33). Chronikalische Quellen fließen dann
erst seit dem Spätmittelalter reichlicher. Auskunft über individuelle Motivation
zum Pilgern erhält man auch aus Testamenten (34). Über die
Mentalität der “ peregrini“ erfahren wir allerdings auch manches aus den
Pilgerzeichen, den Reiseführern und den Darstellungen des Pilgerns in der
bildenden Kunst des Mittelalters, auf welche ich hier aus Raumgründen
leider nicht eingehen kann, ebensowenig wie auf das Bild des Wallers in
der mittelalterlichen Literatur.
4 . 2 KOLLEKTIVE GRUNDMUSTER
4 . 2 . 1 DAS LEBEN ALS PILGERFAHRT?
Man ist schnell – vielleicht zu schnell – geneigt, gemäß dem Apostelwort:
“ Dum sumus in corpore peregrinamur a Domino“ (2 Cor. 5, 6)
die Vorstellung von der Gleichsetzung von “ vita“ und “ peregrinatio“ als
Grundmuster kollektiver christlicher Mentaltiät zu übernehmen, zumal
Gerhard Ladner den “ homo viator“ , den Menschen zwischen “ ordo“ und
„alienatio“ , als das mittelalterliche Idealbild schlechthin dargestellt hat
(35). Es fragt sich jedoch, ob die postulierte Gleichsetzung von Leben
und Pilgerfahrt auch ein wesentlicher Teil der kollektiven Motivation aller
mittelalterlichen Pilger gewesen ist. In den Quellen, sofern sie über individuelle
Reisen berichten, hört man indes selten davon. Mir scheint die
268
Identifikation von „vita“ und “ peregrinatio“ eher ein Produkt gelehrter
theologischer Spekulation des Mittelalters denn eine praktische Maxime
der Pilger gewesen zu sein. Am ehesten noch unterliegt der Gedanke der
vita peregrina den rastlosen Wanderungen der im-schottischen Mönche
als Motivationsmuster.
4.2.2 JERUSALEM – DER “ URPILGERORT“
Die ersten Christen, welche eine peregrinatio unternahmen, zog es wie
gesagt in das Heilige Land und vor allem nach Jerusalem, „ubi steterunt
pedes eius“, wie es fast stereotyp im Mittelalter heißt. Das Motiv ihrer
Reise war, die S tätten der christlichen Erlösungstat mit eigenen Augen zu
sehen; die frühen Itinera sprechen diese Motivation deutlich aus. Auch die
Schriften des Eusebius und insbesondere der Brief 46 des Hieronymus lassen
erkennen, daß nach dem Hinschwinden der Parousie-Erwartung Christen
an die Stätten der Erlösung zu pilgern begannen, zumal nach der
Anerkennung des Christentums als Staatsreligion (36). Vielfach beseelte
die Pilger auch der Wunsch, dort in heiliger Erde, wo der Ort des J üngsten
Gerichts vermutet wurde, bestattet zu werden (37). Das irdische Jerusalem
war immer auch ein Abbild des himmlischen. Daher und in der Erwartung
des J üngsten Gerichts, ist die Jerusalem-Pilgerfahrt der Spätantike
oftmals der Intention nach eine “ one-way-journey to the Heavenly Jerusalem“
(38). Die Rückeroberung der Heiligen Stätten Palästinas wurde dann
im 1 1 . Jahrhundert zum treibenden Motiv für die Kreuzzüge. Nach 1291
blieb Jetusalern zwar der verehrte Ort, „ubi steterunt pedes eius“, aber
er war zugleich die verlorene Mitte, welche “ peccatis exigentibus“ in die
Hände der Heiden zurückgefallen war. Auch vielen spätmittelalterlichen
Jerusalempilgern kam beim Anblick der Stadt das Himmlische Jerusalem
in den Sinn (39). In der Vorstellung der Christen aller Jahrhunderte aber
blieb J erusalem der bevorzugte Ort einer „peregrinatio religiosa“ .
4 . 2 . 3 DER HEILIGEN-UND RELIQUIENKULT
Für die Entfaltung des mittelalterlichen Pilgerwesens jedoch war neben
der Verehrung von Märtyrergräbern ( 40) die Entstehung des Heiligen- und
Reliquienkultes im 4. und frühen 5. Jahrhundert von entscheidender Bedeutung.
Der Heilige als vorbildlicher und in der Anschauung Gottes
269
vollendeter Christ wurde für die noch im irdischen Leben verhafteten
Gläubigen mehr und mehr zum Mittler zwischen Gott und den von leiblicher
und seelischer Not bedrängten Menschen (41). Seiner Fürsprache
bedurften alle, seiner Machtfülle konnte man Heilung, Hilfe und Schutz
verdanken. P. Brown hat eindrücklich herausgearbeitet, wie der spätantike
römische Klientelgedanke bei der Etablierung der Kulte in Mailand
und Hippo Pate gestanden hat ( 42). Die „loca sanctorum“ wurden so zu
Orten außerordentlicher Gottesnähe und Heilsvermittlung. Die hagiographischen
Texte, insbesondere Mirakelberichte, verbreiteten die Großtaten
des jeweiligen Heiligen und zogen wiederum Gläubige an. Dabei ist für
die Frühzeit interessanterweise vorzüglich von Heilungs- und Strafwundern
die Rede, die sich an den Schreinen der Heiligen ereigneten.
4 . 2 . 4 PILGERFAHRT, BUSSE UND ABLASS
Die Entwicklung des kirchlichen Buß- und Ablaßwesens hat dann etwa seit
der Jahrtausendwende entscheidende Auswirkungen auf die Motivation
der Pilger gehabt. Bis dahin war der Wunsch nach Heilung von Krankheit
und Gebrechen das wesentliche Motiv, welches einen Waller zu den
„loca sanctorum“ auf den Weg brachte, seltener der Wunsch nach Buße
und Versöhnung mit Gott. Nach den 267 Berichten bei Gregor von Tours
sind in 8 1 Fällen die Menschen zum Hl. Martin gepilgert, um körperliche
Heilung zu erbitten (43). Wie stark noch Mitte des 12. Jahrhunderts
bei Pilgern eines lokalen Wallfahrtsortes der Wunsch nach körperlicher
Heilung gewesen ist, hat P.-A. Sigal am Beispiel der Miracula Sancti Gibriani
( 1 145, Reims) gezeigt: Zwei Drittel der in den Mirakelberichten
erwähnten Pilger kamen aus einem Umkreis von nicht mehr als 60 km
und 98 der insgesamt 102 Mirakel betrafen Wunderheilungen (etwa zur
Hälfte Lähmungen) ( 44).
Die Präponderanz des Ablasses im Spätmittelalter hat allerdings die
anderen Motive der Pilger nicht beseitigt. Wie die zahlreichen Mirakelberichte
zeigen, zogen die Menschen auch weiterhin aus, um körperliche
Heilung zu erflehen und “ verlobten“ sich in körperlicher Not und Bedrängnis
einem Heiligen. Daß gerade für viele Bauern ein Heiliger der einzige
„erschwingliche“ Arzt gewesen sein wird, hat bereits Staber hervorgehoben:
Für eine Bruchoperation wurden im 15. Jahrhundert Honorare von
2 bis 18 rheinische Gulden verlangt (ein Pferd kostete damals etwa 1 3
Gulden!) (45).
270
Da gute Werke in der B ußpraxis der Kirche von alters her als sündentilgend
angesehen wurden, konnte auch eine “ peregrinatio“ selbstverständlich
Sünden tilgen. Seit der Wende des Milleniums jedoch erhielt das
Bußwesen in Lehre und Praxis der Kirche eine neue Dimension in der Verbindung
der Beichte und Rekonziliation. Jetzt trat die Buße an das Ende
des Sündenvergebungsverfahrens und war nicht mehr Voraussetzung für
die Absolution ( 46). Etwa zur gleichen Zeit begannen die Theologen zwischen
Sündenschuld und kirchlich auferlegten, kanonischen Sündenstrafen
zu unterscheiden. Solche Sündenstrafen konnten durch gute Werke,
eben auch Pilgerfahrten, sowie auch durch einen Ablaß getilgt werden.
Somit erhielt der Ablaß eine immer wichtigere Funktion im kirchlichen
Bußverfahren. “ Die religiöse Praxis hatte zu einem Institut gefunden, das
durch seine augenscheinlichen Milderungen in der BuBdisziplin vom Christenvolk
bald aufgegriffen wurde und in den verschiedensten Formen zum
ausgezeichneten Merkmal der Frömmigkeitsgeschichte des späteren Mittelalters
wurde“ ( 47). Im Pilgerwesen wurde diese Entwicklung praktisch
seit dem 1 1 . Jahrhundert spürbar, als die ersten Ablässe in Nordspanien
im Zusammenhang mit Jakobspilgerfahrten auftauchten. Die Päpste
gewährten seit Alexander II. häufiger Bußnachlässe. „Der Übergang von
den individuellen BuBerlässen und den Rederuptionen zu den generell erteilten
Ablässen vollzog sich allmählich im Laufe des 1 1 . Jahrhunderts“
( 48).
Gleichwohl gewährten Päpste wie Bischöfe keine Ablässe, die höher waren
als 1 Jahr und 40 Tage, so wie es 1 2 1 5 das 4. Laterankonzil in seinem
Kanon 62 vorgeschrieben hatte. Von einer Ablaßinflation kann im 13.
Jahrhundert noch keine Rede sein. Der von Papst Urban II. in Clermont
verkündete Kreuzzugablaß indes hat das Ablaßwesen grundlegend
verändert, wurde doch die “ remissio peccatorum“ von den Kreuzfahrern
wohl als vollkommene Tilgung ihrer Sünden verstanden ( 49). Vorerst
gingen die Päpste allerdings mit diesem Ablaß vorsichtig um. Von einer
Verkündigung eines “ Kreuzzugablasses“ gegen Roger II. von Sizilien abgesehen
(50) wurde er nur auf Kriege gegen Heiden angewandt (Sarazenen in
Spanien und im Heiligen Land, Slawen) , bis der Kreuzzugsablaß seit dem
13. Jahrhundert unterschiedslos auch gegen Feinde der Kirche wie Ketzer
oder die Staufer gepredigt wurde. Die Ablaßvergabe basiert theologisch
auf der um die Mitte des 14. Jahrhunderts ausgearbeiteten Lehre vom
„Kirchenschatz“ , dem durch die guten Werke aller Heiligen angehäuften
Schatz, aus dem die Kirche als Verwaltetin nach Bedarf schöpfen und an
die Sünder zur Minderung der Sündenstrafen im Purgatorium austeilen
kann.
271
Diese Entwicklung des Buß- und Ablaßwesens in der Kirche hat entscheidende
Auswirkungen auf das Pilgern gezeitigt. Zu der Vorstellung
von der Präsenz der Heiligen in ihren Schreinen kam im Laufe des 1 1 .
Jahrhunderts an einigen Pilgerkirchen die Gewährung von Ablässen hinzu,
die aber vorerst nicht über das Maß von einem Jahr und 40 Tagen hinausgingen.
Erst die den Reconquista-Kämpfern und den Kreuzfahrern
gewährte “ remissio peccatorum“ erweiterte den Erwartungshorizont und
wohl auch die Motivation aller Pilger. Bereits im 12. Jahrhundert erwarteten
Jerusalem-, Rom- und Santiagopilger am Zielort ihrer “ peregrinatio“
eine vollkommene Sündenvergebung. Neben die Motive der körperlichen
Heilung und der Buße trat zunehmend der Ablaß bei den “ peregrini“ in
den Vordergrund. Zahlreiche Beispiele belegen diesen Umstand: Der Adelige
Nompar de Caumont fügte einem Bericht über seine Jerusalemfahrt
im Jahre 1419/29 ein Verzeichnis der in Jerusalem zu erwerbenden Ablässe
bei ( 5 1 ) . Auch aus der Aufzeichnung des Ritters Konrad von Gruenemberg
über seine 1486 erfolgte Jerusalemfahrt geht das stetige Interesse an
Ablässen hervor, ja Konrad suchte das Kloster San Saba nicht auf, mit
der Begründung „daselbst ist gar kein Ablaß“ (52). Im Spätmittelalter
trat als ein besonders wirksames Mittel zur Rettung der eigenen Seele
der Ablaß stark in den Vordergrund. Klar und einfach drückt den Zusammenhang
zwischen käuflichem Ablaß und Seelenheil der Augsburger
Chronist Burkard Zink aus, der zu dem 1392 in München zu erwerbenden
römischen Ablaß, den Papst Innozenz IX. an Herzog Stephan III. von
Bayern verkauft hatte, und zur großen Zahl an die Isar strömender Pilger
bemerkte: “ Es war alles nur umb das gelt zu tuen … , denn jederman wolt
gen himl“ (53).
4 . 2 . 5 HEILIGE JAHRE UND PERIODISCHES PILGERN
So wie die “ remissio peccatorum“ für die Kreuzfahrer am Endes des 1 1 .
Jahrhunderts hat auch der Jubiläumsablaßdes ersten Heiligen Jahres 1300
und die daraus sich entwickelnde Übung des periodischen Pilgerns die Motivation
der spätmittelalterlichen Pilger beeinflußt und neue Akzente in
der Geschichte der Pilgerfahrten gesetzt. Zufall oder nicht, wenige Jahre
nach dem endgültigen Verlust des Heiligen Landes 1291 bot Rom einen
Ersatz für den Kreuzzugsablaß. Da nun durch den römischen J ubelablaß
andere Pilgerorte nicht mehr „konkurrenzfähig“ waren, bemühten sie sich
um eine entsprechende Aufwertung. Nicht mehr die Präsenz eines Heiligen,
sondern mindestens in gleichem Maße die Höhe des am Pilgerort
272
zu erwerbenden Ablasses machten hinfort seine Attraktivität aus (54).
Wie sehr Pilger in allen Teilen der Christenheit durch das Angebot der
Jubiläumsablässe motiviert wurden, nach Rom zu ziehen, zeigen die hohen
Zahlen der zum “ perdono“ an den Tiber geströmten Gläubigen (55).
An anderen Schreinen imitierte man den in Rom sich schlußendlich auf 25
Jahre einpendelnden Rhythmus des periodischen Pilgerns (z.B. in Aachen,
Santiago, Le Puy) mit kürzerem Takt, aber ähnlich durchschlagendem Erfolg
(56).
4 . 3 INDIVIDUELLE MOTIVATION MITTELALTERLICHER PILGER
Aus den Quellen des Früh- und Hochmittelalters läßt sich eine Vielzahl
von individuellen Motiven der Pilger ablesen, die sich aus ihrer kollektiven
religiösen Einstellung ergeben und sie zu einer “ peregrinatio“ bewogen.
Sie seien hier kurz aufgelistet:
– Krankheit und körperliche Gebrechen
– Dank für erfolgte Heilung nach Anrufung eines Heiligen
– Dank für die Errettung aus einer Lebensgefahr (auf See, im Kampf,
auf Reisen etc.)
– Imitatio Christi
– Erwerb von Reliquien (bes. bei Geistlichen und Adeligen)
Seltener lassen sich die von E.-R. Labande als hauptsächlich hervorgehobenen
zwei Gründe, die den Pilger des Hochmittelalters zur Reise bewogen,
nachweisen: „oratio“ und “ penitentia“ (57).
4 . 3 . 1 INDIVIDUELLE UND KOLLEKTIVE BUSSPILGERFAHRTEN
Bei unseren bisherigen Überlegungen zur kollektiven Motivation mittelalterlicher
Pilger sind wir stets von der Annahme ausgegangen, die „peregrini“
seien aus eigenem Antrieb zu ihrer frommen Reise aufgebrochen
und in der Hoffnung auf Heilung und Hilfe, motiviert durch die Sorge
um ihr eigenes Seelenheil, so wie es die Struktur der religiösen Mentalität
nahelegt. Bei weitem aber nicht alle Pilger waren aus eigenem Antrieb
unterwegs. ·
Schon seit dem frühen Mittelalter waren auferlegte Pilgerfahrten als
Buße oder als Strafe für bestimmte schwere Verbrechen (z.B. Mord, Totschlag,
Brandstiftung) üblich. Wegen der Autorität des apostolischen
273
Stuhles gingen die Verurteilten zumeist an den Tiber. Buß- und Strafwallfahrten
wurden auch im Spätmittelalter in erheblichem Ausmaß verhängt,
und zwar sowohl von weltlichen wie von geistlichen Gerichten: Reuige Ketzer
mußten ganze Serien von Pilgerfahrten antreten oder die Einwohner
einer ganzen Stadt bzw. eines Kantons mußten geschlossen auf peregrinatio
gehen. So geschehen, als Propst Felix von Winterthur die Bevölkerung
Nidwaldens im Alter zwischen 14 und 70 Jahren wegen ihres hartnäckigen
Festhaltens an Kaiser Ludwig dem Bayern im Jahre 1350 zu einer kollektiven
Fahrt nach Einsiedeln verurteilte. Ein Berner Gericht, so ein anders
Beispiel, verurteilte 1367 die Einwohner von Thun wegen der Ermordnung
des Frutiger Laudammanus zu einer Pilgerfahrt nach Rom (58).
Freiwillig dagegen scheinen sich die etwa 3000 Männer und Frauen aus
Bergamo unter der Führung des Dominikaners Venturino zu einer kollektiven
Pilgerfahrt nach Rom im J ahre 1335 aufgemacht zu haben (59).
Als ähnlich motivierte BuBpilgerfahrten sind auch manche Züge der Bianchi
und Geißler anzusehen: Temporäre kollektive Migration aus religiösen
Gründen.
Es bedarf nur knapper Erwähnung, daß sich aus der kollektiven religiösen
Mentalität spätmittelalterlicher Menschen heraus in besonderen
Notzeiten kollektive Handlungen ergaben, die sich z.B. in Bittprozessionen
und Bittwallfahrten ausdrückten. Einige Beispiele für diese Verhaltensmuster
mögen genügen: Als im Sommer 1439 in der Stadt Basel die Pest
wütete, ordnete der Rat an, die Hilfe der J ungfrau Maria anzurufen. In
einem Bittgang zogen etwa tausend Menschen in der Zeit vom 10. bis
12. Juni zum nahegelegenen Marienheiligtum in Todtmoos, während unter
der Führung der Kapläne des Domstiftes 1400 Baslerinnen und Basler
nach Einsiedeln wallfahrteten, um das Ende der Pest zu erflehen (60).
Im Pestjahr 1463 vollzogen 5.000 Münchener zwei Bittwallfahrten, zuerst
nach Andechs, dann nach Freising (61).
Im belgiseh-niederländischen Raum haben die durch städtische Gerichte
zum Teil selbst für Bagatellvergehen (wie nächtliche Ruhestörung)
verhängten Strafwallfahrten als eine nicht-diskriminierende Maßnahme
der städtischen “ Sozialhygiene“ gewaltige Ausmaße angenommen: Allein
in Antwerpen sind für den Zeitraum zwischen 1383 und 1550 3 . 1 70 auferlegte
Strafpilgerfahrten verhängt worden, von denen (da man sich auch
durch Geldzahlung loskaufen konnte) immerhin über die Häfte nachweislich
wirklich ausgeführt worden ist. Die vorgeschriebenen Zielorte dieser
unfreiwilligen peregrinationes sind über ganz Europa verteilt, alle bedeutenderen
Pilgerorte tauchen da auf (62).
274
4 . 3 . 2 TESTAMENTARISCH VERORDNETE PILGERFAHRTEN
Die Erforschung mittelalterlicher Testamente ist erst seit kurzer Zeit in
das Blickfeld der Mediävistik getreten. In zahlreichen dieser über die
letzten Gedanken eines Menschen Auskunft gebenden Dokumente werden
für die Zeit nach dem Tode des Testamentslasscrs Pilgerfahrten verfügt:
Eine bestimmte Geldsumme wird ausgesetzt, welche einem “ Mietpilger“
ausgezahlt wird, wenn er eine „peregrinatio“ an einen vorher bestimmten
Pilgerort unternimmt zum Seelenheil des Testamentslassers. H underte
derartiger Mietpilger müssen die Straßen Europas bevölkert haben, denen
das Wallfahren eine Art Broterwerb gewesen ist. Leider lassen sich über
die sozialen Hintergründe und persönlichen Motive der “ Mietpilger“ keine
Angaben machen, jedoch dürften sie das Bild des mittelalterlichen Wallers
nicht gerade positiv beeinftußt haben.
Bisher ist die geschilderte Praxis an Testamenten aus Lübeck, Umbrien
(Spoleto, Perugia, Foligno) und Südfrankreich untersucht worden. Etwa
1/4 der in Lübeck verfügten „peregrinationes“ ging in den Nahbereich,
die anderen 3/4 zu entfernteren Heiligtümern: Aachen, Wilsnack, Thann,
Rom, Einsiedeln und Santiago sind die meistbesuchten Pilgerorte. Aus
dem mittelitalienischen Raum strebten die “ Mietpilger“ nach dem Wunsch
der Testamentslasser (in der Reihenfolge der Häufigkeit) nach dem Monte
Gargano zum Erzengel Michael (etwa zu 50%), nach Rom, Loreto, Portiuncula
und Santiago. In manchem Testament wird der Besuch von mehr
als einem Sanktuarium festgelegt (63).
In der Region A vignon spielten dagegen testamentarisch verfügte Pilgerfahrten
als Mittel für die Sicherung des Seelenheils im 14. und 15.
Jahrhundert kaum noch eine Rolle {64). Warum in manchen Gegenden die
„pelerinages-vicaires“ kaum verbreitet waren, wie im Gebiet der Diözese
von Lyon (65), in Toulouse (66), und in der Gegend von Avignon, in der
benachbarten Diözese von Aix dagegen zahlreicher anzutreffen sind (67),
ist nicht leicht zu eruieren. Die von Coulet untersuchten Testamente der
Jahre 1390-1450 enthalten nur zu 4% Pilgerfahrten. Überwiegender Zweck
dieser Pilgereisen war es, eine Indulgenz zu erwerben, Heilung zu erflehen
oder Buße zu tun; etwa die Hälfte führte zu fernen Zielen (besonders Rom
und Santiago) , je ein Viertel zu lokalen und regionalen Schreinen. Immerhin
scheint die individuelle Motivation von Pilgern selbst in benachbarten
Gegenden sehr unterschiedlich gewesen zu sein, das mahnt zur Vorsicht
vor allzu apodiktischen Aussagen. Als Einzelbeleg ist das Testament einer
Regensburger Bürgerin anzuführen, die 1419 zwei Aachenfahrten und
neun lokale Wallfahrten anordnete (68). Die „peregrinationes ex voto“
275
sind nicht in allen Regionen ein typisches Kennzeichen spätmittelalterlicher
Frömmigkeit. Zahlreiche „peregrini“ waren allerdings aufgrund der
kollektiven religiösen Vorstellung vom nach dem Tode durch Pilgerfahrt
zu erlangenden Seelenheil unterwegs, ohne daß die persönliche Motivation
dieser Waller in besonderer Frömmigkeit bestanden haben muß.
4 . 3 . 3 IMPULSIVE MASSENWALLFAHRTEN
Läßt sich die Motivation der Buß- und Mietpilger noch hinreichend aus
der allgemeinen religiösen Mentalität zumindest ihrer Auftraggeber erklären,
so ist für das Phänomen der spätmittelalterlichen impulsiven Massenpilgerfahrten
die Motivation der vielfach jugendlichen, aus adeligem,
städtischem wie bäuerlichem Milieu stammenden Teilnehmer dieser Züge
nicht eindeutig erkennbar. Die Jungen und Mädchen des “ Kinderkreuzzuges“
von 1 2 1 2 und die französischen Pastorellen von 1320 bezeichneten
sich noch als “ Kreuzfahrer“, doch das unmotivierte “ Laufen“ steht nicht
in einem derartigen Konnotationszusammenhang (69). Zu 1393 berichtete
der A vignoneser Korrespondent des Handelshauses Datini von einem
massenhaften, spontanen Auszug von an die tausend J ugendlichen zum
Mont Saint Michel, zumeist waren es Kinder im Alter von 8 bis 15 Jahren,
wie der Briefsteller kopfschüttelnd notierte (70). Im gleichen Jahr wurde
aus Montpellier ähnliches gemeldet (71). Zu 1349 erzählt die Magdeburger
Schöppenchronik (72) vom Laufen des Volkes zu einem wundertätigen
Kreuz in der Altmark, im gleichen Jahr zog es Mägde und Frauen zu
einem sprechenden Marienbild in der Lausitz. In die Nähe dieses Phänomens
gehören auch die Pilgerzüge der Geißler zur Zeit der großen Pest
und die um 1399/1400 in Italien zu beobachtenden Züge der Bianchi (73).
Im 15. Jahrhundert ebbten diese unerklärlichen spontanen Massenwallfahrten
keineswegs ab: Zu 1426 enthält die Chronik des Pierre Cochon
eine Nachricht von einem fieberhaften Wallfahren aus der Normandie
nach Aachen (74). 1441 wird von einem mit Banner versehenen Zug junger
Leute aus Millau zum Erzengel Michael Notiz gegeben (75). In den
Jahren 1456-59 zogen dann Scharen junger Leute – wie auch schon um
1333 – aus deutschen Landen zum Heiligtum des Erzengels Michael in
Frankreich. Die Chroniken der Städte, in denen die jugendlichen Pilger
aufgenommen und verpflegt wurden, notierten „wan es erbar leut kinder
und auch ettliche edle kinder darunter warent“ (76). Für kurze Zeit im
Frühsommer 1476 zog auch der von Hans Behem in Niklashausen aus dem
Nichts geschaffene Kult der Jungfrau Maria „sich epidemisch ausbreitende
276
Wallfahrten“ von einigen zehntausend Menschen an, denen sich im Taubertat
das Spektakel eines religiös motivierten Volksfestes mit Gnadenbild
und Ablaß bot, ehe diese Attraktion durch die Hinrichtung des Stifters
gewaltsam zerstört wurde (77).
Wilsnack in der Altmark, seit 1384 der Ort der Verehrung blutender
Hostien, erlebte neben dem regulären, starken Pilgerverkehr 1487 und
1516 ein “ Laufen“ , wobei im erstgenannten Jahr nach dem Chronisten
Döring Volk „de vili plebecula et gente rustica“ alles stehen und liegen
ließ, um nach Wilsnack zu pilgern (78). Ähnliches Geschehen wurde nicht
nur von überregionalen Pilgerorten wie Wilsnack und dem Mont Saint
Michel überliefert, sondern auch von lokalen Wallfahrtsorten, zu denen
ja auch Niklashausen gehörte. Von dem 1 5 1 9 kometenhaft aufblühenden
Gnadenort der Schönen Maria in Regensburg, der in kürzester Zeit weit
über 100.000 Pilger anzog, berichtet der Augsburger Chronist Rem: „Die
leutt, die auff dem veld arbaitten, die lieffendt zu zeitten von der arbaitt
dahin, etlich maid mit der siehe!, damit sie in geschnitten hett, alsob es
sein miest“ (79).
Der unerklärliche, fast zwanghafte Charakter dieses “ Lauffens“ , dieser
impulsiven, spontanen Massenmigration, entzog sich offenbar schon
dem Erklärungswillen der Zeitgenossen, sofern sie nicht – wie der Erfurter
Theologieprofessor Johannes von Dorsten i n einem 1466 entstandenen
Traktat – die “ mobilitas seu mutabilitas animarum et inconstantia mentis“
dafür verantwortlich machten (80). Diese Erklärung kann wegen ihres
allzu generellen Tenors doch wenig befriedigen, wenngleich das Spätmittelalter
als eine Zeit besonderer Mobilität -und religiöser Aufgewühltheit
angesehen werden muß. Ebensowenig darf man diese Massenwallfahrten
einfach als Psychose abtun (81 ).
5. NICHTRELIGIÖSE MOTIVATIONEN MITTELALTERLICHER PILGER
Für die Zeit des Früh- und Hochmittelalters ist es schwer auszumachen,
ob die kollektiven religiösen Grundmuster, denen wir im Abschnitt 4.2
nachgegangen sind, auch in den individuellen Motiven jedes einzelnen
Pilgers auftauchen. Daß prinzipiell die Sorge um das Seelenheil bei jedem
“ peregrinus“ vorherrschend gewesen sein dürfte, steht außer Zweifel.
Dazu kommt – nachgewiesen durch zahlreiche Mirakelberichte – der
Wunsch nach körperlicher Heilung, der Yiele Waller auf den Weg gebracht
hat. Indes gab es auch andere, hier “ nicht-religiös“ genannte Motivationen.
Die Möglichkeit, daß manche Pilger – insbesondere nachdem an
277
den klassischen Pilgerstraßen der „via romea“ bzw. der „via francigena“
zahlreiche, gut ausgestattete Hospitäler zur Versorgung von „peregrini“
entstanden waren – durch Hungersnöte, Naturkatastrophen, Seuchen oder
die drückenden Abgabelasten des Grundherren gezwungen, sich auf die
Wanderschaft gemacht haben, ist keineswegs auszuschließen. Notlage ist
ebenso wie Statusinkonsistenz ja zu allen Zeiten ein geradezu klassisches
Motiv für Migration. Allerdings sind diese Umstände in den Quellen
nur ganz selten erwähnt, sehen wir einmal von den Bittpilgerfahrten der
großen Pestzeit des 14. Jahrhunderts ab (82). Eine Ausnahme machen
die um 1 183/86 aufgezeichneten Miracula S. Annonis, deren Autor, ein
Mönch des Klosters Siegburg, gerade die drückenden Feudalabgaben der
Bauern unter anderem auch für Landflucht und Pilgerfahrt verantwortlich
machte: “ Avaritia et rapina patenturn pauperes et ruricolae opprimuntur
et ad iudicia iniusta trahantur. Haec Iues peccati multos vendere patrimonia
et ad peregrinas migrare terras compulit . . . “ (83).
Neben den unbestrittenen religiösen und gesundheitlichen Motiven (Heilung)
für den Antritt einer “ peregrinatio“ läßt sich aber bereits sehr früh
ein Antriebsfeld erkennen, welches mit Begriffen wie Neugierde, Abenteuerlust,
Ruhmsucht besetzt werden kann und in dem auch (modern gesprochen)
„touristische“ Erscheinungen nicht fremd sind, also ganz andere,
nicht primär religiöse Werte auftauchen, denen wir im folgenden Abschnitt
nachgehen wollen. Nicht erst Radulfus Glaber kritisierte anläßlich einer
großen Jerusalempilgerfahrt Anfang des 1 1 . Jahrhunderts, viele Teilnehmer
pilgerten nur, um sich danach als Weltreisende bewundern zu lassen
(84). Schon im 4. und 5 . Jahrhundert waren diese Vorwürfe zu hören.
Und der Verfasser der Annalen von Stade bemerkte süffisant, er habe noch
keinen Pilger geläutert zurückkehren sehen (85). Der englische Theologe
und Historiker Radulfus Niger spottete mit Blick auf die aus “ vana gloria“
und „otium“ ausziehenden Pilger: “ Tales sunt illi, qui . . . Iongas ineunt
peregrinationes, ut videant et ut videantur ab hominibus et non propter
deum“ (86).
Mag man diese Äußerungen auch als sauertöpfische Kritelei an den Pilgern
aus der Feder mißgünstig gesonnener Kleriker ansehen, sie haben
doch ihre Berechtigung. Daß bereits in der Karolingerzeit ein „abusus“
bei Pilgerfahrten festgestellt worden ist, zeigt der Kanon 45 des Konzils
von Chalons aus dem Jahre 813 (87). Kleriker meinten, so liest man dort,
durch eine “ peregrinatio“ nach Rom oder Tours “ neglegenter viventes in
eo purgari se a peccatis“ , Laien zogen dorthin in der Erwartung eines Generalpardons
(“ . . . putant inpune se aut peccare aut peccasse . . . “ ), manche
Potentes schoben eine Pilgerfahrt vor, um von ihren Hörigen mehr Ab-
278
gaben zu erpressen, Arme wählten das Unterwegssein, um besser betteln
zu können, andere um eine Entschuldigung für permanentes Vagantenturn
zu haben, obwohl doch schon der Heilige Hieronymus festgestellt
habe: “ Non Hierosolimam vidisse, sed Hierosolimis bene vixisse laudandum
est“. Die Motive des Generalablasses, der Habgier, des Vagantenturns
und des Betteins unterstellten die Konzilsväter, Bischöfe und Äbte
aus der Gallia Lugdunensis ihren Gläubigen beim Pilgern, und zwar in
solchem Ausmaß, daß sie die Intervention des Kaisers erwarteten (“ De
quibus omnibus domni imperatoris, qualiter sint emendanda, sententia
expectetur“) (88). Giles Constable hat nachgewiesen, daß die mittelalterliche
Kritik am Pilgern vielfach darauf .zurückzuführen ist, daß die
„peregrini“ als wenig fromme, in der Welt umherziehende Vagabunden
betrachtet wurden (89). Selbst Thomas von Kempen in seiner “ Imitatio
Christi“ zitiert noch das sprichwörtliche „Qui multum peregrinantur, raro
sanctificantur“ (90); und ein Tegernseer Mönch des 15. Jahrhunderts kritisierte
seine Zeitgenossen „die auf Pilgerfahrt gingen, um üppig zu leben,
sich zu besaufen und mit ihrem Liebchen ein Luderleben zu führen“ (91).
Der über tausend Jahre konstante Vorwurf an die Pilger läßt zumindest
den Schluß zu, daß auch nicht-religiöse Motive hinter einer „peregrinatio“
stehen konnten.
Die stolze, vielleicht auch etwas prahlerische Erinnerung der – im Bewußtsein
erworbener Gnaden, vielleicht sogar geheilt – zurückkehrenden
„peregrini“ hat spätestens seit dem 12. Jahrhundert Ausdruck gefunden
in den am Zielort der beschwerlichen Reise erworbenen Pilgerzeichen: Palmen
in Jerusalem, Apostelmedaillen in Rom, Muscheln in Santiago, ein
Marienbild mit dem Jesuskind in Le Puy, die Heiligen Drei Könige in Köln
(92). Aus bildliehen Darstellungen, von Glocken und aus Grabungsfunden
bekannt, waren die an Hut oder Mantel befestigten Abzeichen geradezu
ein Ausweis eines Pilgers. Tatsächlich stellten sie bald so etwas wie Abzeichen
des Sozialprestiges dar: Der rheinische Ritter Arnold von Harff, der
1499 in Santiago skeptisch verlangt hatte, man möge ihm die Tumba des
Apostels öffnen, damit er sich von der Präsenz des Heiligen überzeugen
könne, ließ dennoch die Zeichen aller von ihm besuchten Pilgerorte auf
seinen Grabstein meißeln (93).
Man wird beim mittelalterlichen Pilgerwesen mit einer gewissen Berechtigung
von einer „Reisesehnsucht im religiösen Gewand“ (Bosl) sprechen
dürfen, von ·einem Phänomen, das im modernen Tourismus eine säkularisierte
Fortsetzung gefunden hat. Chaucer hat in seiner Figur des Weibes
von Bath dieser Haltung des sich unter religösem Gewande amüsierenden
Pilgers ein bleibendes Denkmal gesetzt: Bevor diese Dame das Grab
279
des Hl. Thomas aufsuchte, war sie bereits dreimal nach Jerusalem sowie
nach Rom, Köln und Santiago gepilgert! (94) In diesem Zusammenhang
sei darauf verwiesen, daß die fromme Übung des periodischen Pilgerns –
vielfach im zeitlich und räumlich begrenzten Rahmen eines Zuges von einigen
Tagen zu einem Pilgerort in der Nachbarschaft – dem modernen Urlaub
(allerdings noch ganz unter religiösem Vorzeichen) bereits sehr nahe
kommt: “ Peregrinatio“ bedeutete eben auch Ausbruch aus dem harten,
bedrückenden Alltag des mittelalterlichen Menschen mit seinem täglichen
Einerlei durch die temporäre Migration einer Wallfahrt, Ausbruch aus den
Schranken der Zeit und in gewisser Weise auch aus den Bindungen seines
Standes, wenigstens für die Dauer der Reise.
Daß sich unter dem Deckmantel des Pilgerstatus auch gut schmuggeln
und spionieren ließ, soll an zwei Beispielen nur andeutungsweise verdeutlicht
werden: Bischof Diego Gelmirez suchte mit Hilfe von zwei als Pilger
verkleideten Boten 120 Pfund Gold durch feindliches Gebiet von Santiago
nach Rom bringen zu lassen (95) . Eine durch die türkische Bedrohung
erklärliche, aber nur in wenigen Fällen nachweisbare Motivation für Pilgerreisen
ins Heilige Land im 15. Jahrhundert ist das Ausspionieren der
türkischen Heeresmacht. Als „peregrinus“ reiste so Bertrandon de Ia Broquiere
1433 von Jerusalem auf dem Landweg zurück nach Burgund (96).
Bereits 1421 hatte Philipp der Gute von Burgund Ghillebert de Lannoy
als Spion in den Orient gesandt, und 1384 sollte Lionardo Frescobaldi einen
günstigen Hafen für eine geplante Invasion auskundschaften. Beide
entledigten sich ihrer Aufgabe als Pilger verkleidet. Sie verehrten die
Heiligen Stätten wahrscheinlich ebenso andächtig wie sie sorgfältig die
strategischen Schwächen des Feindes beobachteten. Die Figur des christlichen
Pilgers, der als Spion unterwegs war, scheint kein Einzelfall gewesen
zu sein (97).
Auch für die glückliche Kombination von Geschäften irdischen und
himmlischen Charakters gibt es seit dem 12. Jahrhundert zahlreiche Belege:
Hinrieb Dunkelgud pilgert als Lübecker Kaufmann 1479 nach Santiago
und verfolgt auf seiner Fahrt auch merkantile Interessen, wie aus
seinem Bericht über die Reise hervorgeht (98). Auch der Augsburger Lucas
Rem war wohl in erster Linie als Kaufmann unterwegs, als er 1508
Santiago besuchte (99).
280
6. DIE MOTIVATION NACH DEN SPÄTMITTELALTERLICHEN
PILGERBERICHTEN
Eine der ergiebigsten Quellen für die Erforschung der Motive spätmittelalterlicher
Pilger stellen die in großer Zahl überlieferten Aufzeichnungen
der zumeist aus dem adeligen oder stadtbürgerlichen Milieu stammenden
„peregrini“ dar. Aus der Zeit zwischen 1320 und 1530 sind allein
447 Berichte über Jerusalemfahrten ediert, jedoch nur deren 3 1 über eine
„peregrinatio“ nach Santiago (100). Aus diesen Berichten geht hervor,
weshalb gerade jener Geistliche, Adelige oder Bürger zum Pilger wurde.
Dabei spielte vor allem der Ablaß eine entscheidende Rolle, bisweilen erscheint
die ganze Reise· ein einziges ·sammeln von Ablässen gewesen zu
sein, über deren Umfang und Bedingungen sehr genau Buch geführt wurde
(101), ohne daß die tiefe Frömmigkeit der Pilger deshalb in Frage gestellt
werden darf. Sehr verbreitet war auch das Bestreben, Kontaktreliquien
nach Haus zu bringen, nicht nur zum eigenen Gebrauch, sondern auch
für Freunde und Verwandte. Manchmal allerdings können wir die individuellen
Motive für eine Pilgerreise noch genauer angeben, so etwa für
vier im Jahre 1519 gemeinsam nach Jerusalem reisende Schweizer: Ein
schlechtes Gewissen bei Heiri Stulz, der zuerst sein Kloster, später wieder
seine Familie verlassen hatte, gesellschaftliche Diskriminierung beim
Homosexuellen Werner Steiner, Buße für einen 1509 begangenen Mord
bei Thomas Stocker und Flucht vor einem politischen Konflikt auf der
nächsten Tagsatzung bei Peter Falk ( 1 02).
Für viele adelige Jerusalemfahrer war das ritterliche Standesethos und
die sich daraus ableitenden Verpflichtungen zum Heidenkampf Grund für
eine Pilgerfahrt ins Heilige Land. Wie ein später Nachklang der Kreuzzugstradition
liest sich der Wunsch nach einer kriegerischen Jerusalemexpedition
bei Bernhard von Eptigen. Der Ritterschlag am Heiligen Grab
galt als eine erstrebenswerte Auszeichnung, nur um deretwillen, so kolportiert
Felix Fabri, einige nach Jerusalem zögen. Analoges gilt auch für
den „peregrino caballeresco“ nach Santiago (103).
Besonders auffällig ist die im Hochmittelalter noch unbekannte genaue
Beobachtung der Umwelt in den spätmittelalterlichen Pilgerfahrten. Die
Beschreibung des religiösen Erlebnisses an den Heiligen Stätten geht einher
mit einer sehr interessierten Schilderung der die Pilger umgebenden
Welt. Zwar ·weisen die Autoren immer wieder weit von sich, daß die Neugierde
sie zur Reise getrieben habe (“ curiositas“ ist ja auch nicht gerade
eine Tugend im mittelalterlichen Wertesystem), aber doch scheint diese
Geisteshaltung gelegentlich durch ihre Berichte hindurch, am ehesten noch
281
in den Reiseberichten adeliger Pilger (104). Sowohl Angaben über die Natur
wie die teils sehr menschlichen Begleitumstände des mühsamen Pilgerns
wurden aufgezeichnet: Der ritterliche Lebemann Arnold von Harff
fügte seinem Pilgerführer auch ein einschlägiges Lexikon in verschiedenen
Sprachen bei, welches eindeutig erkennen läßt, daß er auch als Pilger
in der Fremde auf die Freuden der Liebe nicht verzichten wollte (105).
Das zumindest hätte ein Pilger des 12. Jahrhunderts zwar vielleicht auch
getan, aber nicht aufgeschrieben.
Besonders plastisch hat diesen Sinn für das Reale, Handfeste und die
fast neugierige Beobachtungsgabe Arnold Esch am Beispiel von vier Parallelberichten
einer J erusalemfahrt von 1 5 1 9 herausgearbeitet ( 106), sowie
in der Gegenüberstellung von vier Berichten einer Reise von 1480, die
ein Italiener, zwei Franzosen und der Zürcher Felix Fabri, dessen monumentales
Werk zu den bekanntesten Stücken dieser Gattung gehört ( 107),
unternommen hatten.
7. SOZIOLOGIE DER MIGRATION UND MITTELALTERLICHES
PILGERWESEN
Fragen wir zum Abschluß, ob die Theorien heutiger Soziologen über die
Migration mit unseren Beobachtungen zur temporären Migration des mittelalterlichen
Pilgerwesens in Einklang gebracht werden können (108).
Zuerst einmal scheinen die beiden Basis-Elemente demographischer Phänomene,
Fertilität und Mortalität, auch das Pilgerwesen des Mittelalters
zu beeinflussen. Der Anstieg der „peregrinationes“ nach der Jahrtausendwende
fällt mit einer Zeit starker Bevölkerungsvermehrung zusammen. Es
ist für den Historiker auch beruhigend, daß trotz immenser Datenfülle zur
Migration der Soziologe zugeben muß: “ Individual decisions to migrate
and the impact on communities or areas are still not sufliciently understood
. . . “ ( 109). Zumindest stimulierend ist die Umkehrung der offenbar
für Migrationssoziologen klassischen Annahme, der Mensch sei von Natur
aus seßhaft in das gegenteilige Metaparadigma “ man is mobile by nature“
( 1 10).
Interessante Parallelen erwachsen aus der von Hoffmann-Nowotny vorgeschlagenen
Erklärung für Migration aus einer erfahrenen Statusinkonsistenz
(die sich z.B. in Frustration äußern kann). Man könnte bei dem
zur Pilgerfahrt entschlossenen mittelalterlichen “ peregrinus“ eine religiöse
Statusinkonsistenz vermuten, aus der er sich durch die „peregrinatio“ zu
282
befreien suchte. Andererseits wird bei den BuBpilgerfahrten einem Delinquenten
vor Gericht das Abweichen von den sozialen Normen seiner Stadt
bescheinigt, wofür er dann die temporäre Verbannung einer auferlegten
Pilgerfahrt überstehen mußte ( 1 1 1 ) . Anders ausgedrückt: Gesellschaftliches
Spannungspotential wird kollektiv durch Strafpilgerfahrten gelöst,
aber auch individuell, indem der Waller von Gewissensnot und womöglich
auch von Krankheit befreit wird. Schließlich läßt sich der von HoffmannNowotny
konstatierte Prestigefaktor bei Migrationen auch im Pilgerwesen
deutlich erkennen, wenn wir nur an die Pilgerabzeichen bzw. die Jerusalemfahrten
des Adels erinnern ( 1 12). Ferner kann man im Zusammenhang
mit den Pilgerströmen insbesondere in Spanien, dem Heiligen Land und
in Süditalien das von Riebmond „Transilient“ genannte Phänomen erkennen:
Pilger blieben bisweilen in diesen Ländern, weil sie dort aufgrund
ihres Könnens oder ihrer Fähigkeit eine Existenz aufbauten, die sie in
ihrer Heimat nicht erreichen konnten (113).
Allgemein gesprochen bestand auch im Mittelalter die Attraktion des
pilgernden Unterwegsseins nicht zuletzt darin, daß der “ peregrinus“ der
normalen sozialen Kontrolle seiner gewohnten Umwelt weitgehend entzogen
war. Schon Durkheim hat beobachtet, daß Wanderungen den Prozeß
der „Schwächung aller Traditionen“ verstärken ( 1 14). Insofern bedeutet
Pilgern auch, wie :wir oben gesagt haben, den temporären Ausbruch
aus den Zwängen der Gemeinschaft. Es scheint mir evident, daß Wanderungen,
wie sie sich im mittelalterlichen Pilgerwesen manifestieren, als
Ausdruck gelockerter gesellschaftlicher Kontrolle “ gleichsam die Existenz
von gesellschaftlichen Freiräumen markieren“ ( 1 15). Auch die Feststellung
von Ku bat und Hoffmann-Nowotny “ … the reason for migration is
to leave Gemeinschaften that in the eyes of migrants are inadequate social
systems and to in-migrate into Gemeinschaften that hold a premise of benign
constraints“ findet ihre Bestätigung ( 1 16). Zumindest im religiösen
Sinn gilt dies auch für den mittelalterlichen Pilger.
ANMERKUNGEN:
{1) Vgl. E. R. LABANDE, Recherehes sur les pelerins dnns l’Europe des lle et 12e
siedes ( Cnhiers de civilisntion medievnle 1 ) 1958, 159-169 u . 339-347; P.A. SIGAL,
Les mnrcheurs de Dieu, Paris 1974; R.C. FINUCANE, Mirades and Pilgrims . Popular
Beliefs in Medieval Englnnd, London 1977; L. SCHMUGGE, „Pilgerfahrt macht frei“ .
Eine These zur Bedeutung des mittelalterlichen Pilgerwesens, in: Römische Quartalschrift
74 {1979), 16-31 mit weiterer Literatur.
{ 2 ) SCHMUGGE, Pilgerfahrt 18-24. H. GILLES, Lex peregrinorurn, in: Cnhiers de
Fanjeaux 1 5 {1980), 161-189.
( 3) “ Poenitentia publica non sollemnis“, so Robert von Flnmborough, Liber poeni-
283
tentialis, ed. J. FIRTH (Pontifical Institute of Medieval Studies – Studies and Texts
18) Toronto 1971, 205. Vgl. nuch L. SCHMUGGE, Die Anfange des organisierten
Pilgerwesens im Mittelalter, in: Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven
und Bibliotheken 64 ( 1 984), 79.
( 4) V gl. Pellegrinaggi e culto dei Santi in Europa fino alln 1 . crociata ( Convegni
del Centro di Studi sulla spiritualitß medievale 4) Todi 1963; B. KOETTING, Peregrinatio
religiosa. Wallfahrten in der Antike und das Pilgerwesen in der nlten Kirche
(Forschungen zur Volkskunde 33-35) Münster 1950.
( 5) V gl. V. SAXER, Morts, Martyrs, Reliques en Afrique chretienne aux premiers
siedes (Theologie historique 55) Paris 1980; P. BROWN, The Cult of the Saints, Berkeley
1982; E. D. HUNT, Holy Land and Pilgrimage in the Later Roman Empire AD
312-460, Oxford 1984.
(6) Zu Mnrtin vgl. jetzt L. PIETRI, La ville de Tours du IVe au Vle siede. Naissance
d’une cite chretienne (Collection de l’Ecole frnnc;ais de Rome 69) 1983, 521-599.
(7) Vgl. G.B. LADNER, Homo viator. Medievsl ldeas on Alienation and Order, in:
Speculum 42 ( 1 967), 233-259.
(8) Vgl. dozu G. CONSTABLE, Monachisme et pelerinage au Moyen Age, in: Revue
Historique 258 ( 1 977), 3-27, hier 8 und 1 1 .
(9) Vgl. J . ZETTINGER, Die Berichte über Rompilger aus dem Frankenreich bis
zum Jahre 800, (Römische Quartalschrift Supplement-Heft 11 ), 1900, 5, Anm. 10.
(10) Vgl. SCHMUGGE, Anfange 6 ff.
( 1 1 ) Vgl. SCHMUGGE, Anfange 8-11 mit weiterer Literatur.
( 1 2 ) Vgl. E. MASCHKE, Die Brücke im Mittelalter, in: Historische Zeitschrift 224
(1977), 266-292.
(13) Vgl. SCHMUGGE, Anfänge 12-62.
(14) Vgl. dozu besonders die Arbeiten von KÖSTER und COHEN bei SCHMUGGE,
Anfange 62 f.
(16) Vgl. dazu L. SCHMUGGE, Die Pilger, in: P. MORAW (Hg.), Unterwegssein
im Spätmittelalter (Zeitschrift für historische Forschung, Beiheft 1) Berlin 1985, 17-4 7
mit weiterer Literatur.
(16) Vgl. F. RAPP, Les pelerinages dans lo vie religieuse de l’occident medieval
aux XIV et XV siedes, in: F. RAPHAEL – G. SIEBERT – M. JOIN-LAMBERT – T.
FAHD – M. SIMON – F. RAPP, Les pelerinages de l’antiquite biblique et dassique 8
l’occident chretien (Univ. des sciences humnines de Strasbourg – Etudes d’histoire des
religions 1 ) Paris 1973, 1 1 9- 160.
(17) Vgl. dazu SCHMUGGE, Pilger 26.
(18) Dazu R. H. BAUTTIER, Le Jubile romain de 1300, in: Moyen Age 86 ( 1 980),
189-216.
(19) Vgl. SCHMUGGE, Pilger 26, mit Anm. 39-43.
(20) Vgl. I. MIECK, Zur Wallfahrt nach Santiago de Compostela zwischen 1400
und 1650, in: Spanische Forschungen der Görres-Gesellschaft 1 : Gesammelte Aufsätze
zur Kulturgeschichte Spaniens 29, Münster 1978, 483-533.
{21) Vgl. K. KÖSTER, Gottesbüren, das „hessische Wilsnack“ , in: Festgabe für
Paul Kirn, Berlin 1961, 203.
(22) Vgl. P. RUPPERT (Hg.), Die Chroniken der Stadt Konstanz, Bd. 1 , Konstanz
1890, 260. Ferner 0. RINGHOLZ, Wnllfahrtsgeschichte Unserer Lieben Frau
von Einsiedeln, Freiburg 1896, 81 und J.B. MÜLLER – 0. RINGHOLZ, Diehold von
Geroldseck, in: Mitteilungen des Historischen Vereins des Kantons Schwyz 7 {1890),
23 f. Diese Angabe läßt sich auf ihre Stimmigkeit überprüfen. Das Stück wurde
nämlich in Einsiedeln angeblich zu 2 Pfennig verkauft und insgesamt wurden 1300
284
Gulden eingenommen. Nach dem zwischen Zürich, Luzern, Uri, Schwyz, Zug, Glarus
und Nidwalden 1425 vereinbarten Abkommen sollten Zürich und Luzern Stehler Pfennige
schlagen, 360 sollten auf einen rheinischen Goldgulden gelten. Demnach hätte das
Kloster 468.000 Pfennige (=1300 Gulden x 360) eingenommen: Vgl. D. SCHWARZ
und A. PUENTENER, Nidwaldner Münz- und Geldgeschichte, Stans 1980, 1 7 . Nach
einer anderen Umrechnung (Quellen zur Zürcher Wirtschaftsgeschichte, Bd. 2, Zürich
1937, 1038) von 1466 wären 1 Gulden = 38 Schillinge zu je 12 Pfennigen. Damit käme
man für 1300 Gulden auf 592.000 Pfenuige. In beiden Fällen ginge die Rechnung bei
einem Verkaufspreis von 2 Pfennig nicht auf, aber vielleicht stammen die Einkünfte
auch noch aus anderen Quellen (Oblationen, Schenkungen, etc.). Die Zahlenangaben
erscheinen jedoch insgesamt glaubwürdig.
(23) Vgl. zu den Binnchi zuletzt G . TOGNETTI, Sul moto dei bianchi nel 1399, in:
Bollettino dell‘ Istituto Storico ltnliano 78 (1967), 205-343.
(24) Vgl. K. ARNOLD, Niklashnusen 1476 (Snecula Spiritunlia 3) Baden-Baden
1980, 55 und 59-68.
(25) Vgl. N. PAULUS, Der Ablaß als Kulturfaktor (Görres-Gesellschnft, Erste Vereinsschriet
1920) Köln 1920, 20-21.
(26) Die Angaben nach G. STAHL, Die Wallfahrt zur Schönen Marin in Regensburg,
Beiträge zur Geschichte des Bisturns Regensburg 2, Regensburg 1968, 75 mit Anm. 160.
(27) Vgl. J. VAN HERWAARDEN, Opgelegde bedevaarten. Een studie over de
praktijk van opleggen vnn bedevanrten in de Nederlanden gedurende de lnte Middeleeuwen
(1300-1550), Assen 1978.
(28) Vgl. Vita prima Innocentii VI, in: BALUZE-MOLLAT, Vitae Paparum Avenionensium
1 , Paris 1 9 1 4 , 310.
(29) F. EHRLE, Die Chronik des Garoscus de Ulmoisca Veteri und Bertrand Boysset
(1365-1415), in: Archiv für lateinische Kirchengeschichte des Mittelalters 7 (1910), 311-
420, hier 385.
(30) Vgl. dazu R. FINUCANE, Miracles, und L. SCHMUGGE, Zu den Anilingen
des organisierten Pilgerverkehrs und zur Unterbringung und Verpflegung von Pilgern
im Mittelalter, in: H. C . PEYER (Hg.) Gastfreundschaft , Taverne und Gasthaus im
Mittelalter (Schriften des Historischen Kollegs 3) München 1983, 37-60, bes. 38 mit
Anm. 3.
(31) Vgl. dazu B. DANSETTE, Les pelerinages occidentaux en Terre Sainte: une
pratique de Ia “ Devotion moderne“ n ln fin du Moyen Age? Relation inedite d’un
pelerinage effectue en 1486. in: Archivum Franciscanurn Historieuro 72 (1979), 106-
133 und 330-428, bes. 128-133. Ferner C. ZRENNER, Die Berichte der europäischen
Jerusalernpilger, 1475-1500. Ein literarischer Vergleich im historischen Kontext (Europäische
Hochschulschriften. Reihe 1, Bd. 382) Frankfurt-Bern 1980; A. ESCH, Vier
Schweizer Parallelberichte von einer Jerusnlernfahrt im Jahre 1 5 1 9 , in: Festschrift U.
Im Hof, Bern 1982, 138-184, und L.M. UFFER, Peter FUesselis Jerusalernfnhrt 1523
und Brief über den Fall von Rhodas 1522 (Mitteilungen der Antiquarischen Gesellschaft
Zürich 50, 3) Zürich 1982, 14; A. ESCH, Gemeinsames Erlebnis – individueller
Bericht . Vier Parallelberichte aus einer Reisegruppe von Jerusalempilgern 1480, in:
Zeitschrift für Historische Forschung 1 1 (1984), 385-416; U. BLÄ TTLER, Europäische
Pilgerberichte (1332-1520), Lizentiatsarbeit Phil. Fakultät I. Universität Zürich 1984,
1 2 ff.
(32) Vgl. E. TEICHMANN, Zur Heiligtumsfahrt des Philipp von Vigneulles im
Jahre 1510, in: Zeitschrift des Aachener Gesr.hichtsvereins 22 (1900), 1 2 1-187, bes.
133 f.
(33) Vgl. SIGAL, Marcheurs, und FINUCANE, Miracles; C . RENDTEL, Mira-
285
kelberichte als Quellen der Sozialgeschichte, Phil. Diss. FU Berlin 1982. Düsseldorf
1985.
(34) Siehe unten.
(35) Vgl. LADNER, Homo viator. Vgl. auch KÖTTING, Peregrinntio 302 ff.
(36) Vgl. dazu KÖTTING, Peregrinatio 292 f. und HUNT, Holy Land.
(37) Vgl. KÖTTING, Peregrinntio 307 f.
(38) D.R. HOWARD, Writers nnd Pilgrims, Berkeley 1980, 1 1 .
(39) Vgl. BLÄTTLER, Pilgerberichte 5 4 f. Ferner LABANDE, Recherehes 165 f.
(40) Vgl. KÖTTING, Peregrinntio 293 f.
(41) Vgl. dazu D.J. HALL, English medieval Pilgrimnge, London 1965, 215.
(42) Vgl. BROWN, Cult.
( 43) PIETRI, Tours 564.
( 44) P.A. SIGAL, Malndie, pelerinage et guerison nu Xlle siede. Les mirncles de
saint Gibrien a Reims, in: Annnles ESC 24 (1969), 1522-1 539.
( 45) Vgl. J. STABER, Volksfrömmigkeit und Wollfnhrtswesen des Spätmittelalters
im Bistum Freising (Beiträge zur Altbnyerisch<n Kirchengeschichte 20) München 1955,
60-68, bes. 67: Mirakel von St. Wolfgang 1479/88.
(46) Vgl. dazu grundlegend N. PAULUS, Geschichte des Ablasses im Mittelalter
vom Ursprung bis zur Mitte des 14. Jhd., 3 Bde., Pnderborn 1922-1923.
( 4 7) V gl. K. FRANKL, Papstschisma und Frömmigkeit, in: Römische Quartalschrift
72 (1977), 57-124 und 184-247, Zitat 67.
(48) Vgl. PAULUS, Geschichte I, 24.
( 49) Gegen PAULUS, Geschichte I, 253f.
(50) R. ELZE, Ruggero II e i popi del suo tempo, in: Societo, potere e popolo
nell’eta di Ruggero II ( Centro di studi normnnno-svevi) Bnri 1979, 31-33.
( 5 1 ) Vgl. BLÄTTLER, Pilgerberichte 19 und 54.
(52) Vgl. BLÄTTLER, Pilgerberichte 30 f. und 60.
(53) Chroniken der deutschen Städte 5, Leipzig 1866, 4 5 .
( 5 4 ) Vgl. SCHMUGGE, Anfiinge 72.
(55) Vgl. SCHMUGGE, Anfange 75 f.
(56) Vgl. SCHMUGGE, Anfiinge 78.
(57) Jetzt alle das Pilgerwesen betreffenden Aufsiitze LABANDEs in: ders., Spiritunlite
et vie Iitternire de l’Occident, Xe-XIVe s. (Vnriorum. Collected Studies 27)
London 1974, besonders Rt‘!cht‘!rcht‘!s sur !es pelerins . . . (wie Anm. 1 ) .
(58) Vgl. R. A . ARONSTAM, Penitential Pilgrimnges to Rome in the Enrly Middle
Agt‘!s, in: Archivum Historine Pontificiat‘! 13 (1975), 65-83. SCHMUGGE, Anfänge
79-81, und Qut‘!llt‘!nwt‘!rk zur Entstehung der Schweizerischen Eidgenosst‘!nschnft , Abt.
1, Urkunden Bd. 3,1. Anrou 1964, Nr. 888, 562. Zu den Ketzern vgl. auch J . DUVERNOY
(Hg.), Le Rt‘!gistrt‘! d’Inquisition d• Jacques Fournier, eveque d“‚ Pnmiers
(1318-1325), 3 Bde. Toulouse 1965, Bd. 1 , 453: Guillelmus Fortis: “ . . . visitet insupt‘!r
luminnrin Bente Marie de Volle viridi, de Tnbulis in Monte pessulnno, de Serinhnno,
De Rupenmntore, de Podio, de Cnrnoto, de Porisius, de Pontissnni, dt‘! Solncho, Snncti
Dionisii, Sancti Ludovici in Froncio, Snncti Mnrciolis, Snncti Leonnrdi Lemovicenais
dioct‘!sis, Snncti Antonini Vic;nnensis, Snncti Egidii in Provincio, Snncto Guillelmi de
Deserto, et Sancti Vincencii de Cnstris; visitd etinm quolibet nnno dum vixerit ecclesinm
Appnminrum in festo snncti Antonini, tcstimonioles reportnns litteras de singulis
peregrinntionibus et visitationibus nntedictis“, und Bd. 2, 104, Audo Fnbri: „Item
imponimus et injungimus sibi ut in primo anno de predictis tribus visitet et visitore
tenentur ecdesinm Bente Marie de Rupt‘! Amotoris, in secundo nnno ecclesinm Bente
286
Marie de Podio, et in tercio anno ecclesiam Beate Marie de Valle viridi. Et nichilorninus
quolibet de dictis tribus annis visitet et visitare teneatur sernel ecclesiam Beate
Marie de Monte Gaudio“ . Für weitere Beispiele vgl. auch J. M. VIDAL (Hg.), Bullaire
de !’Inquisition fran􀅵aise au XIV. siede … . Paris 1913, 170 Bari (1331 ), 168 Santiago
(1331), 325 Santiago (5 Frauen, 1355), 508 Santiago (1356).
(59) Vgl. C. GENNARO, Venturino da Bergamo e Ia peregrinatio Romana del 1355,
in: Studi sul Medioevo cristiano offerti a R. Morghen (Studi storici 88-92) 2 Bde. Roma
1974, Bd. 1 , 375-406.
(60) Die Chroniken Erhards von Appenwiler (Basler Chroniken 4) Leipzig 1890, 252
und Basler Rathsbücher ( ebenda) 5 1 .
(61) Vgl. STABER, Volksfrömmigkeit 44.
(62) Vgl. F.L. GANSHOF, Pe!erinages expiatoires a Saint Gilles, in: Annales du
Midi 78 ( 1 966), 391-407; L.T. MAES, Mittelalterliche Strafwallfahrten nach Santiago
de Compostela und Unsere Liebe Frau von Finisterra, in: Festschrift Guido Kisch,
Stuttgart 1955, 99-119; D. NICHOLAS, Crime end Punishment in Fourteenth Century
Ghent, in: Revue Beige de philologie et d’histoire 48 (1970), 1161-1164, und zuletzt
VAN HERWAARDEN, Bedevaarten.
(63) Vgl. J. CHIFFOLEAU, La comptabilite de l’au-dela (1320-1480) ( Collection
de l’ecole fran􀅵ais de Rome 47) Roma 1980; M. ZENDER, Regionale und soziale Auswirkungen
in der Heiligenverehrung, in: Hagiography and medieval Literatur<!, 1981,
21; A. v. BRANDT, Regesten der Lübecker Bürgertestamente des Mittelalters (Veröff.
zur Geschichte der Hansestadt Lüb.,ck 18 und 24), Bd. 1 (1278-1350) und Bd. 2 (1351-
1363), Lübeck 1964/1973; DERS., Mittelalterliche Bürgertestam<!nte, Heidelberg 1973,
bes. 15-16; N. OHLER, Zur Seligkeit und zum Troste meiner Seele. Lübecker unterwegs
zu mitt<!lalterlichen Wallfahrtsstiitten, in: Zeitschrift d. Vereins für Lübecker
Geschichte und Altertumskunde 83 (1983), 83-103; M. SENS!, Pellegrinaggi a Montesantangelo
al Gargano nei notarili delln valle spoletana sul calare del Medioevo,
in: Campania sacra 8-9 (1977 /1978), 81-120; P. L. MELONI, Mobilita di devozione
nell’Umbria medievale: due Iiste di pellegrini, in: Chiesa e societa da! secolo IV ai nostri
giorni. Studi storici in onore del P.l. da Milano (Italia sacra 30/31) Bd. 1 , Roma
1979, 327-359.
(64) Vgl. dazu CHIFFOLEAU, Comptabilite 289-297, und A.M. HAYEZ, Clauses
pieuses de · testaments Avignonais au XIVe siede, in: La piete populaire au Moyen
Age (Actes du 99e congres national des societes savantes, B<!san􀅵on 1974) Paris 1977,
129-159. In 225 Testamenten im 14. Jahrhundert finden sich nur zwei Pilgerfahrten,
eine nach Rom und eine nach Santiago.
(65) Untersucht von M.T. LORCIN, Les clauses religieuses dans les testaments de
plat pays lyonnais au XIVe et XVe siecles, in: Moyen Age 78 (1972), 287-323, bes.
320-321. Mme. Lorcin hat 950 Testamente untersucht.
(66) Vgl. M. de NUCE DE LAMOTHE, Piete et charite publique a Toulous“ de Ia
fin du Xllle siO,cle au rnilieu du XVe siO,cle d’aprO,s !es testaments, in: Armales du Midi
76 (1964), 5-39, bes. 36 mit Anm. 101: Nur 32 testierte Pilgerfahrten zwischen 1275
und 1450 sind belegt, davon 22 nach Santiago. Zwischen 1400 und 1450 gibt es bei 356
untersuchten Testamenten nur noch 4 R<!is<!n nach Santiago.
(67) Vgl. N . COULET, Jalons pour une histoire religieus<! d’Aix au Bas Moyen Age,
in: Provence historique 22 (1972), 203-260, b<!s. 248-252.
(68) Vgl. STABER, Volksfrömmigkeit 53.
(69) Vgl. dazu grundlegend J. DELALANDE, Les extraordinaires croisades d’enfants
et de pastoureaux au Moyen Age, Paris 1962.
(70) Vgl. CHIFFOLEAU, Comptabilite 293 f.
287
(71) Vgl. V. CHOMEL, Pelerins languedociens au Mont Saint-Michel 8 Ia fin du
Moyen Age, in: Annales du Midi 70 (1958), 234.
(72) Chroniken der deutschen Stiidte 7, Leipzig 1869, 207.
(73} Chroniken der deutschen Städte 8, Leipzig 1870, 73 und 104; Mogdeburger
Schöppenchronik (wie Anm. 72), 204-206. Zur Interpretation, vgl. bes. den Aufsatz
von E. DELARUELLE (1962), nochgedr. in: La piete populoire ou Moyen Age, Torino
1976, 277-313; vgl. auch TOGNETTI, Sul moto, und A. ESCH, Bonifoz IX. und der
Kirchenshmt (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts 29) Tübingen 1969, 302-
308.
(74} Vgl. H. HAUPTS, Frankreich und die Aochener Heiltumsfnhrt, in: Zeitschrift
des Aachener Geschichtsvereins 63 (1950), 113. Die Edition der Chronik durch Ch. DE
ROBILLARD DE BEAUREPAIRE, Societe de l’histoire de Normondie, Rouen 1870.
(75) Vgl. CHOMEL, Pelerins 234.
(76) Eikhnrt Artzts Chronik, Chroniken der deutschen Stiidte 30, 238, Anm. 1 .
(77) Vgl. ARNOLD, Niklnshausen 55.
(78) Der Text bei 0. RIEDEL, Codex diplomoticus Brandenburgenais IV, 1 , Berlin
1862, 248. Vgl. nuch E. BREEST, Das Wunderblut von Wilsnock (1383-1662), in:
Märkische Forschungen 16 (1881), 278.
(79) Wilhelrn Rems Chronica, 131. Aus Rem scheint Sehnstion Frank zu schöpfen,
zit. bei STAHL, Wnllfahrt, 67.
(80) R. KESTENBERG-GLADSTEIN, The Third Reich, in: Journnl ofthe Wnrburg
and Courtould Institutes 1 8 (1956) 245-295, Zitnt 259 mit Anm. 161. Zu Johnnnes
von Dorsten, ebendn, 268-282 und E. KLEINEIDAM, in: Neue Deutsche Biogrnphie
10 (1974) 548.
(81) So B. MOELLER, Frömmigkeit in Deutschland um 1500, in: Archiv für Reformationsgeschichte
66 (1965), 1 1 : „So entzündeten sich, womöglich wie eine Psychose
von einem Tag nuf den anderen, Massenwallfnhrten … “ .
(82) Vgl. dazu oben, 4.3.3.
(83) M. MITTLER, Libellus de trnnslotione Snncti Annonis nrchiepiscopi et mirncula
Sancti Annonis (Siegburger Studien 3-5) Siegburg 1966-1968, li. 43.
(84) Hist. V. ed. M. PROU, 1886, 107: “ … multi proficiscuntur, ut solummodo
mirnbiles habenntur de Iherosolimitano itinere … “ .
(86) MGH SS 16, 344: „Vix aliquos vidi, immo numquam, qui redierint meliores vel
de transmarinis pnrtibus vel de sanctorum liminibus . . .“ .
(86) Liber regum, zit. bei L . SCHMUGGE (Hg. ), Radulfus Niger, D e re militari …
Berlin 1977, 212, Anm. 27, 1 .
(87) M G H Conc. li, 1 , ed. A . WERMINGHOFF, 1906, 282.
(88) Vgl. dazu auch E. DELARUELLE, La spiritualite des pelerinages 8 St. Martin
de Tours du Ve nu Xe siede (1961), in: ders., La piete populnire au Moyen Age, Torino
1976, 201-243, bes. 238 f. Zu den Martins-Pilgerfahrten vgl. jetzt PIETRI, Toura
521-699.
(89) G. CONSTABLE, Opposition to Pilgrimage in the Middle Agea (Studia Gratiana
1 9 = Melanges G. Frnnsen Bd. 1 ) 1976, 125-146.
(90) „Wer häufig pilgert, wird selten gerettet“, Imitatio 1.23.1. Wnlther 24316, im
Singulnr. Das Sprichwort schon bei Petrus von Blois, Brief 630, Pntrologia Lntino 215,
668 (1205).
(91} Zit. bei STABER, Volksfrömmigkeit 37, nach der HS München Cgm 18679.
(92) Vgl. dazu SCHMUGGE, Anfange 62-67 mit weiterer Literatur.
(93) Zu Arnold von Harff vgl. E. V. GROOTE, Die Pilgerfahrt des Ritters Arnold
von Hnrff 1496-1499, Köln 1860.
288
(94) CHAUCER, Canterbury Tales, Prolog, Verse 463 ff.
(95) Hist. Cornpostelana 11, 4 – Espana sagrada 20, 260 f.
(96) Vgl. BLÄTTLER, Pilgerberichte 2 1 .
(97) Vgl. BLÄTTLER, Pilgerberichte 2 0 f.
(98) Vgl. BLÄTTLER, Pilgerberichte 26.
(99) Vgl. BLÄTTLER, Pilgerberichte 36. Weitere Beispiele bei SCHMUGGE,
Pilgerfahrt 2 5 f. und K. HERBERS, Der Jakobskult des 12. Jhd. und der „Liber
Sancti Jacobi“ (Historisches Forschungen, Akad. Mainz Bd. 7) Wiesbaden 1984, 187 f.
(100) Vgl. dazu BLÄTTLER, Pilgerberichte; DANSETTE, Pe!erinages; ESCH,
Erlebnis; ZRENNER, Berichte; ferner M. SOMMERFELD, Die Reisebeschreibungen
der deutschen Jerusalernpilger im ausgehenden Mittelalter, in: Deutsche Vierteljahresschrift
für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 2, 1924, 816-850, S . CALZOLARI
– M. DONATI, Viaggiatori e pellegrini italiani in Terrasanta fra Trecento e
Quattrocento, 2 Bde., Firenze 1974/75. D.R. HOWARD, Writers and Pilgrims. Medieval
Pilgrirnage NarrativeS‘ and their Posterity, Bukeley 1980.
(101) Vgl. dazu BLÄTTLER, Pilgerberichte Kap. 6.
(102) Vgl. dazu UFFER, Jerusalernfahrt 52-54.
(103) Vgl. dazu BLÄTTLER, Pilgerberichte 131 ff. und W. PARAVICINI, Die
Preußenreisen des europäischen Adels, in: Historische Zeitschrift 232 (1981), 25-38.
Die Reisen wurden zwischen 1320 und 1420 nicht nur „exercendi militiarn“ , sondern
auch des Ablasses wegen unternommen. Ferner P. WELTEN, “ Reisen nach der Ritterschaft
…“ , in: Zeitschrift des deutschen Palästina-Vereins 93 (1977), 283-293, bes.
292: “ … die alten Adelsgeschlechter, aber auch aufsteigende bürgerliche Familien (benutzten)
die Pilgerschaft zur Erwerbung der Ritterschaft, um so zu mehr Ansehen zu
kommen“ .
(104) Vgl. für England C . ZACHER, Curiosity nnd Pilgrirnage, London 1976, und
BLÄTTLER, Pilgerberichte 139-146.
(105) Arnold von Hnrff, ed. de GROOTE, 189.
(106) A. ESCH, Parallelberichte 138-184.
(107) A. ESCH, Gerneinsames Erlebnis – Individueller Bericht. Vier Parallelberichte
aus einer Reisegruppe von Jerusalernpilgern 1480, in: Zeitschrift für historische
Forschung 1 1 ( 1 984), 385-416.
(108) Vgl. dazu D. KUBAT und H.J. HOFFMANN-NOWOTNY, Migration: towards
a new paradigrn, in: International Social Science Journal 33 (1981), 307- 329,
mit weiterer Literatur.
(109) Ebenda, 3 1 1 .
(110) Ebenda, 3 1 2 .
( 1 1 1 ) KUBAT und HOFFMANN-NOWOTNY, Migration 3 1 3 , formulieren generell:
“ … population segrnents that refuse to becorne or to rernain subordinate will migrate“.
( 1 1 2 ) Vgl. dazu H.J. HOFFMANN-NOWOTNY, Migration, Stuttgart 1978.
( 1 1 3 ) Vgl. KUBAT – HOFFMANN-NOWOTNY, Migration 315.
( 1 1 4 ) Vgl. den Beitrag von HOFFMANN-NOWOTNY in diesem Band.
( 1 1 5 ) Ebenda.
( 1 1 6 ) Vgl. KUBAT – HOFFMANN-NOWOTNY, Migration 326.
289

MIGRATION TECHNISCHER EXPERTEN
IM SPÄTMITTELALTER
Das Beipiel der Uhrmacher
GERHARD DOHRN-VAN RoSSUM
Vor dem Pariser Parlament kam im Juli 1452 ein langwieriger Prozeß um
die Gage des Wärters der Uhr im heutigen Tour de l’Horloge, dem Eckturm
des Louvre an der Brücke Pont du Change, zum Abschluß. Der
Inhaber dieses Amtes forderte die beim Bau der Uhr im Jahre 1370 vom
König zugesicherten 6 sous par. pro Tag. Die Stadt berief sich auf ihre
leeren Kassen und darauf, daß es inzwischen andere öffentliche Uhren in
Paris und in anderen Städten gäbe, der.en Unterhalt weit billiger sei als
der der „Horloge du Palais“ . Die Untersuchungen des Parlaments und
die Einlassungen der streitenden Parteien erhellen – das ist bei der Errichtung
öffentlicher Uhren sehr selten – Motive und Umstände des Baus
dieser in vieler Hinsicht wichtigsten Uhr des spätmittelalterlichen Frankreich.
Im historischen Teil des Arret du Parlement wird ausgeführt, daß
König Karl V. die Uhr für die Stadt, in der es vorher keine Turmuhren
(„grossa horilogia“ ) gab, habe bauen lassen einerseits zur Mehrung des
städtischen Dekors und andererseits, damit sich das Parlament und die
Einwohner besse􀐧 nach den Tages- und Nachtstunden richten („se regere
et regulare“ ) könnten. Weil sich in Paris zu dieser Zeit kein geeigneter
Uhrmacher finden ließ, habe der König Henri de Vic aus Deutschland („ex
partibus Almanie“ ) als Experten („in scientia et industria horologiarie expertissismus“
) für den Bau einer öffentlichen Schlaguhr kommen lassen.
Außer der Gage seien dem Henri de Vic eine freie Wohnung (und wohl
auch Werkstatt) und verschiedene andere Privilegien („certa alia iura et
commoda“) zugesichert worden. Obwohl sich in Paris seit ca. 1300 mehrere
und z.T. am Hof beschäftigte Uhrmacher nachweisen lassen, und obwohl
die Herloge du Palais nicht die erste Turmuhr des nordfranzösischen
Raumes gewesen ist, wird für diese Uhr ein Experte aus einem entfernten,
allerdings nicht mehr identifizierbaren Ort geholt 1 .
Wenige Jahre später ( 1374/75) baut der Nachfolger des Henri de Vic,
der königliche Uhrmacher Pierre de Sainte-Beate, in A vignon für einen
Turm des päpstlichen Palasts eine große Uhr, die der Papst für die Stadt-
1 Aus Raumgründen verzichte ich auf alle Einzelheiten zu Uhren und Uhrmachern.
Sie sind dem unten genannten Quellen-Inventar entnommen. Interessenten stehen sie
jederzeit zur Verfügung.
291
bewohner errichten ließ. Auch in Avignon lassen sich seit Beginn des
Jahrhunderts Uhren und Uhrmacher in den Abrechnungen der Kurie nachweisen.
In den Grundbüchern der Stadt Wien taucht 1377 und 1379 ein “ Hanemann
magister arloyorum“ auf. Das Schlagwerk für die Uhr im Stephansdom
baut jedoch ein “ maister Hanns von Prag“ ( 1417).
Die Beispiele, denen sich andere anfügen ließen, machen bereits deutlich,
daß die mittelalterlichen Uhrmacher keine überall anzutreffende Gruppe
technischer Experten mit vergleichbaren Qualifikationen waren. Mindestens
diejenigen, die große Turmuhren bauen konnten, erscheinen als
rare Techniker, die nicht einmal in jeder Großstadt regelmäßig zu finden
waren, und die deshalb auftragsbedingte Reisen über größere Entfernungen
unternahmen.
Die Rede vom Wandel des Zeitbewußtseins im Spätmittelalter ist bereits
eine SchulbuchformeL Sie setzt ein – vielleicht vages – Konzept
von „sozialer Zeit“ voraus, d.h.: neben den objektiven an physikalischen
Erscheinungen beobachtbaren Zeitabläufen konstituieren soziale Gruppen
oder Gesellschaften intersubjektiv verschiedenartige Zeithorizonte, die –
wenngleich nicht unabhängig von der objektiven oder naturalen Zeit –
historischem Wandel unterworfen und die unter dem Obertitel “ Wandel
des Zeitbewußtseins“ untersucht werden können. Dieser weite Titel deckt
die zeitliche Dimension eschatologischen oder historischen Bewußtseins
ab, die eher individuellen biographischen oder planerischen Perspektiven,
das mehr oder weniger rationale zeitorganisatorische Verhalten etwa im
Hinblick auf die Arbeitszeit, die sozialen Techniken der chronologischen
Strukturierung (Weltalter vs. Jahrhundertrechnung, Kirchenfeste vs. Tagesdaten,
Kenntnis des eigenen Lebensalters etc.). Für diesen Wandel sei
abkürzend auch an Jacques Le Goffs Schlagworte vom Übergang von der
„Zeit der Kirche“ zur “ Zeit der Kaufleute“ erinnert ( 1 ) .
Das Auftauchen der mechanischen Uhr spielt in allen Erörterungen über
den Wandel des Zeitbewußtseins eine zentrale Rolle, nicht, weil die Uhrzeit
oder überhaupt gemessene Zeit der für diesen Wandel in jeder Hinsicht
entscheidende Faktor gewesen ist, sondern weil sie über ihren evidenten
praktischen Nutzen hinaus auch Symbol für das moderne Zeitbewußtsein
geworden ist.
Man hat die Uhr als “ Schlüsselmaschine“ bezeichnet, die für die Entstehung
der Industriegesellschaft wichtiger gewesen sei als Kohlenenergie und
Dampfmaschine (L. Mumford) (2). Auf die besondere Rolle der Uhrmacher
in der frühen Phase der Industrialisierung ist oft hingewiesen worden
(3). Bevor es den Spezialberuf des Maschinenbauers gab, waren es vor al-
292
lern Uhrmacher mit der für sie spezifischen Verbindung wissenschaftlicher
und technisch-praktischer Fähigkeiten und ihrer Erfahrung mit relativ
weitentwickelten Werkzeugmaschinen, nach denen die neuen Industrien
nachfragten.
Unabhängig davon, wie man zum Konzept der “ Industriellen Revolution
im Spätmittelalter“ steht, scheint m.E. die Rückverlängerung dieser
Perspektiven legitim ( 4). Seit dem 14. Jahrhundert gehört die mechanische
Uhr zu den „novitates“ , die eine selbstbewußte Abgrenzung der
eigenen Epoche gegenüber der in vieler Hinsicht als überlegen empfundenen
Antike ermöglichten. Turmwindmühle, Brille und mechanische Uhr
bildeten eine auch ikonographisch vielfach fixierte Einheit (5). In anderen
Listen (6) werden außerdem Kompaß, Portulan, neue Segel und Feuerwaffen
genannt (7). Auf die allgemeine Aufwertung der handwerklichen und
technischen Berufe ist hier nicht einzugehen (8). Als Prototyp des Technikers
ehrt die Naturphilosophie des späten 14. Jahrhundert die Uhrmacher,
wenn sie von der Welt als Uhr und von Gott als Uhrmacher spricht (9).
Die folgenden Überlegungen und Beispiele zu Wanderungsbewegungen
stützen sich auf ein Quelleninventar zur Geschichte der mittelalterlichen
Uhren, das u.a. Dossiers zu ca. 800 europäischen Städten enthält. Die
Quellen sind vor allem städtische Rechnungen, Personallisten, Ratsbeschlüsse,
chronikalische Nachrichten und moderne Stundenangaben in verschiedenen
Quellensorten. Die ausgewertete Literatur besteht v.a. aus
einschlägigen lokalgeschichtlichen Arbeiten, Handwerker- und Künstlerverzeichnissen
und Städtemonographien. Das Inventar schließt mit dem
Jahr 1500, wobei die Repräsentativität allmählich nachläßt. Die Wahl des
Zeitraums ist nicht nur durch die traditionelle Beschränkung mediävistischer
Editions- und Erschließungsarbeit bedingt. Die Quellen beziehen
sich bis ans Ende des 15. Jahrhunderts ganz überwiegend auf öffentliche
Uhren, d.h. v .a. Turmuhren. Der private Uhrenbesitz, die Kleinuhrmacherei
und die Ausbildung eigener Uhrmacherzünfte führen in der Zeit
nach 1500 in andere Quellengattungen, die Untersuchungen vergleichbar
großer Räume ausschließen.
Das Quelleninventar dient als Grundlage für eine größere Ausarbeitung
zur Problematik der Erfindung der mechanischen Uhr, zur Diffusion der
neuen Technik, zu den mittelalterlichen Uhrmachern und zu den Auswirkungen
der modernen Stundenrechnung in der städtischen Öffentlichkeit.
Die moderne Zählung nach 24 gleichlangen Stunden zu je 60 Minuten
löste die mittelalterliche Zählung nach den 2×12 sogenannten kanonischen
Stunden (Horen), deren Länge mit der Dauer des Lichttags variierte, ab.
Die moderne Stundenrechnung ist seit der Antike in der Astronomie be-
293
kannt; ohne Uhren ist ihre Verwendung im bürgerlichen Leben praktisch
unmöglich (10).
Zum Verständnis der folgenden Ausführungen skizziere ich die wichtigsten
Ergebnisse: Ort und Zeit der Invention, unter der wir heute die
Ablaufkontrolle eines gewichtsgetriebenen Räderwerks mittels einer oszillierenden
Hemmung verstehen (bestehend aus einer Spindel, die mit zwei
Lappen in ein Zahnrad eingreift, und deren Schwingung durch an einem
Waagbalken lose befestigte Gewichte reguliert wird) , sind unbekannt. Der
Mechanismus ist wahrscheinlich eine Weiterentwicklung der zum Wecken
benutzten Schlagwerke klösterlicher Wasseruhren ( 1 1 ) . Möglicherweise
hat es mehrere, heute nicht mehr bekannte Varianten der Hemmung gegeben,
von denen sich die einfachste zu Beginn des 14. Jahrhunderts
durchgesetzt hat. Der technische Durchbruch dürfte in das letzte Drittel
des 13. Jahrhunderts zu datieren sein. Um 1300 finden sich mechanische
Uhrwerke in verschiedenen Formen: Weckgeräte, große und kleine Schlaguhren
in edlen und nicht-edlen Metallen, Glockenspielwerke, Figurenautomaten
und einfache astronomische Simulationen. Die ersten Turmuhren
tauchen nicht viel später auf (Orvieto 1307, Mailand 1336, Padua 1344).
Der erste sichere Beleg für eine Uhr, die die 24 Stunden des Tages automatisch
nach ihrer Zählzahl schlug, stammt aus einer Mailänder Chronik
zum Jahre 1336 und wird dort durch die Bemerkung ergänzt, dies sei
für alle Stände äußerst nützlich. Zu beachten ist, daß die Texte noch im
15. Jahrhundert nicht auf die Erfindung eines Hemmungsmechanismus,
sondern allein auf die kontinuierliche Stundenindikation abheben. Der
technische Wandel verschwindet für die Zeitgenossen hinter der sozialen
Veränderung, der neuartigen akustischen Strukturierung der Tageszeit.
Von Italien aus verbreiten sich die öffentlichen Schlaguhren in Großstädten
und an bedeutenden Residenzen Europas. Die große Beschaffungswelle
– der Innovationsschub mit über 70 nachweisbaren Fällen –
fällt genau in das dem genannten Pariser Datum folgende Jahrzehnt
(1370-80). Um 1400 dürften alle bedeutenderen Städte eine öffentliche
Uhr installiert haben; das städtische Leben wird vereinzelt als „durch
die Uhr geregelt“ von dem des Umlands unterschieden. Die erkennbaren
Motive für diese Installationen waren v .a. zwischenstädtische Prestigekonkurrenz,
gezielte Initiativen der Landesherren und – ganz vereinzelt –
Konfliktsituationen, etwa Auseinandersetzungen um die Arbeitszeit. Im
15. Jahrhundert streuen die Nachrichten sehr stark; Dörfer installieren
Uhren, und Verwaltungen registrieren die Ausstattungsdichte in einzelnen
Regionen. Um 1500 waren die europäischen Städte mit Sicherheit
flächendeckend versorgt. Der Gebrauch der modernen Stundenrechnung
294
folgt der Diffusion des Geräts recht genau, ohne daß er jedoch den Gebrauch
der kanonischen Stunden im Alltag je ganz verdrängt hätte.
Bei Untersuchungen zur Diffusion sind ca. 1 1 00 Namen von Uhrmachern
und Uhrwärtern aufgetaucht. Die Dichte der Überlieferung variiert
von Stadt zu Stadt stark. Chroniken, die den Bau der ersten öffentlichen
Uhr verzeichnen, nennen den Namen des Erbauers in der Regel nicht. So
heißt es für das eingangs angeführte Beispiel aus Paris in der “ Chronographia
regum Francorum“ lediglich „rex Francie . . . edificavit … turrem
quadratam .. ac horologium desuper poni fecit“ . Der Uhrmachername
taucht erst im Prozeß bzw. in anderen Fällen in den Stadtrechnungen
auf. Auch in den Rechnungen bleibt der Uhrmacher oft anonym. Häufig
lassen nur Herbergs- und Transportkosten erkennen, daß er aus einer anderen
Stadt gekommen ist. Für einige Städte existieren dagegen nahezu
vollständige Uhrmacherverzeichnisse, die aus den verschiedensten Quellen
erarbeitet worden sind (12).
Die in anderen Beiträgen erwähnten prosopographischen Probleme begegnen
auch hier ( 1 3). Stammt die Familie des Johann von Behem „uyrclockenmecher“
(Köln 1413) aus Böhmen oder ist er selbst berufsbedingt
nach Köln gekommen? Stammte fr. Bertino romito (Siena 1376) aus
Rouen? War er ein wandernder Mönch oder ein wandernder Uhrmacher?
Ist der serbische Mönch Lazar, der die erste öffentliche Uhr für einen Turm
des Kreml in Moskau baute (1404), ein Fall berufsbedingter Migration?
In der frühen Zeit, bis zum Beginn des 14. Jahrhunderts, wird die
Arbeit dadurch erschwert, daß weder das neue Gerät noch seine Hersteller
eine besondere Bezeichnung erhielten. Mit “ horologium“ wurde jede Form
von Zeitmeßvorrichtung bezeichnet, also auch Wasser-, Sonnen-, Sandund
Sternuhren, „horologiarius“ konnten ihre Hersteller oder die mit
ihrer Wartung Beauftragten heißen.
Die Berufsbezeichnung taucht im Mittelalter m.W. zum ersten Mal
1269/70 in der Bierrechnung des Klosters Biaulieu (Suffolk) auf und bezeichnet
da offenbar den regelmäßig besoldeten Uhrwärter. Aber hat er
eine mechanische Uhr oder eine andere Weckvorrichtung betreut? Robertus
Anglicus spricht 1271 wie von einem Berufsstand von den “ artefices
horologiorum“, die sich – bisher allerdings vergeblich – um die Konstruktion
einer Welle bemühten, die an einem Tag genau eine Umdrehung
macht.
Der Übergang in die Nationalsprachen fällt zeitlich mit der Ausbreitung
der mechanischen Uhr zusammen. Die Spezialisierung anzeigende
und vielleicht auch werbende Berufsbezeichnung ( orloger, relogeur, relotger,
zeigermeister, seigermaker, uyr- oder zytclockenmecher, urglocker,
295
urleymacher) wird Namensbestandteil, dann auch Nachname, der jedoch
in Übereinstimmung mit dem ausgeübten Beruf bleibt (14). Dabei ist –
darauf weist T. Erb sicher zu Recht hin – oft unsicher, ob die spezialisierte
Berufsbezeichnung eine dauerhafte Spezialisierung zeigt, d.h. ob der als
Uhrmacher Bezeichnete ganz oder überwiegend vom Uhrenbau lebte ( 15).
Bis 1500 begegnet kein Fall, in dem die Berufsbezeichnung sich von der
Tätigkeit gelöst hätte. Ausnahmen bilden die in Italien gelegentlich als
erblicher Ehrenname verliehene Bezeichnung “ dall‘ Orologio“, die an den
Nachnamen angehängt wurde, und die Inhaber des Uhrwärteramts am
Hof in Westminster, die das Amt nicht selber ausübten.
In der Literatur begegnet die Auffassung, daß die mittelalterlichen Uhrmacher
aufgrund ihrer seltenen Qualifikation und der geringen Nachfrage
ebenso wie die Glockengießer umherziehende Wanderhandwerker gewesen
seien ( 16). Diese an den Wanderungen der an Bauhütten beschäftigten
Facharbeiter und Kunsthandwerker orientierte Vorstellung ist ebenso unzutreffend
wie die von einer kleinen Elite hochqualifizierter Künstler und
Gelehrter ( 1 7 ) . Unzutreffend ist ebenso die Auffassung, daß die frühen
Uhren insgesamt grobe, von Schmieden gebaute Turmuhrwerke gewesen
seien, denen später immer kleinere und feinmechanisch anspruchsvollere
Werke gefolgt seien. Die Miniaturisierung und der Trend zu Präzisionsinstrumenten
setzt erst gegen Ende des 15. Jahrhunderts in der Kleinuhrmacherei
ein. Mehr als ein Jahrhundert nach ihrem ersten Auftreten hat
niemand irgendeine Vorstellung von Präzision mit der mechanischen Uhr
verknüpft. Alle drei Vermutungen enthalten die Hypothese von der abnehmenden
Seltenheit und implizit auch die von der abnehmenden Häufigkeit
und Reichweite von Migrationsbewegungen. Die Hypothese gilt es zu
prüfen bzw. genauer zu formulieren.
Die Analyse der Migration solcher Expertengruppen, verstanden als die
Summe der individuellen Ortsveränderungen, stößt auf das Problem der
Abgrenzung der Untersuchungsgruppe. Die Professionalisierung des Uhrmacherberufs
hat ca. 250 Jahre gedauert. Professionalisierung sei dabei
verstanden als die Formierung einer Berufsgruppe, die ihr Leistungsangebot
zu definieren und zu monopolisieren versucht und zugleich den Zugang
zu dieser Gruppe kontrolliert. Vor der Mitte des 16. Jahrhunderts erweisen
sich die Uhrmacher, genauer: diejenigen, die Uhren bauen konnten,
als eine recht heterogene Gruppe, die sich aus studierten Medizinern und
Astronomen, aber auch aus analphabetischen Grobschmieden zusammensetzt.
Vor ca. 1450 handelt die überwältigende Mehrzahl der Quellen
von öffentlichen Uhren, d.h. von Turmuhren und ihren Herstellern. Die
seltenen Hausuhren waren nach Material und Konstruktion von Turmuh-
296
ren nicht verschieden. Es dürfte kaum zwei gleiche Uhren gegeben haben.
Beträchtliche Unterschiede gab es bei der Qualität der Ausführung und
dem bei Zusatzausstattungen getriebenen Aufwand. Entsprechend unterschiedlich
war die Qualifikation der Uhrmacher.
Nach einem Blick auf die frühe Zeit erörtere ich die mobilen spätmittelalterlichen
Uhrmacher nicht chronologisch, sondern nach Expertentypen:
gelehrte Konstrukteure (ca. 10 Fälle), Ingenieure (ca. 10 Fälle), überörtlich
tätige Spezialisten und Wanderer (ca. 240 Fälle). Nur gestreift werden
die nur lokal tätigen Uhrmacher und die Uhrwärter (ca. 520 bzw. ca.
300 Fälle).
DIE FRÜHEN UHRMACHER
Die Vermutung, daß die mechanische Uhr nicht die Erfindung eines Erfinders,
sondern Resultat verschiedenartiger Bemühungen an mehreren Orten
gewesen ist (18), wird unterstützt durch den Befund, daß der erwähnten
Vielfalt der Geräte von Anfang an eine gewisse Vielfalt der Qualifikationen
ihrer Hersteller entspricht. Ein Zentrum der Diffusion bzw.
einen Ausgangspunkt der Migration gibt es also nicht. Auffällig ist dabei,
daß die mechanische Uhr nach 1300 überwiegend außerhalb von Klöstern
anzutreffen ist. Die Zahl der Kleriker-Uhrmacher bleibt über den Untersuchungszeitraum
gleichmäßig gering. Die Art der Qualifikation läßt sich
nur aus der Berufsbezeichnung oder aus den ausgeübten Nebenberufen erschließen.
Wir finden einen Goldschmied und einen Armbrustmacher im
Dienst des französischen Königs, einen Schlosser im Dienst der Gräfin von
Artois und an anderen Orten Kunstschmiede oder Orgelbauer. Daß die
bedeutenden Residenzen als Schwerpunkte herausragen, könnte überlieferungsbedingt
sein; Stadtrechnungen sind am Anfang des 14. Jahrhunderts
noch sehr selten. 1329 hat der französische König einen festgestellten Uhrmacher
“ varlet de chambre et ollogeur au Louvre“ . 1335 beschäftigt der
päpstliche Hof in A vignon einen „magister horologiorum pape“ aus der
Diözese Rouen. Daß sich in A vignon Fachkräfte aus sehr entfernten Diözesen
einfinden, ist nicht erstaunlich. Andere Wanderungsbewegungen dieser
frühen Uhrmacher gehen über geringere Distanzen. Robert l’Anglais,
der nicht aus England, sondern aus Paris kommt, arbeitet 1 3 1 9 an der
Uhr in der Kathedrale von Sens. In der Kathedrale von Noyon arbeitet
1334 ein durchreisender Uhrmacher („magister orlogiorum transiens per
Noviomum“), die Brüder Stokes, Uhrmacher und Kunstschmiede aus dem
297
Kloster St. Albans, arbeiten an der astronomischen Uhr dieses Klosters
und der in der Kathedrale von Norwich.
Die großen öffentlichen Uhren bzw. der Mechanismus zum automatischen
Schlagen der Stundenfolge ist wahrscheinlich in Italien entwickelt
worden. Außerhalb Italiens ist ein solches Gerät zuerst für die bedeutende
Textilstadt Valenciennes im Hennegau bezeugt ( 1352 bzw. 1358) . Die
Uhr, die Edward lll. von England in Windsor Castle („in magna turri“)
installieren ließ, hat, obwohl der Uhrmacherberuf in England längst etabliert
war ( 19) , ein “ Lumbardus“ mit zwei Gehilfen gebaut ( 1352). In
A vignon baut ein Benediktinermönch aus Genua eine Uhr in ein „domus
horologii“ ( 1353). 1356 läßt der König von Aragon, an dessen Hof mehrere
Juden als Astronomen und Uhrmacher tätig waren, den Antonio Bonelli,
der am päpstlichen Hof als „copertor et operarius plumbi“ arbeitete, aus
Avignon nach Perpignan holen, um eine Uhr, die ca. eine Tonne wog, in
den Turm der neuen Residenz bauen zu lassen. In den erhaltenen Abrechnungen
wird Antonio Bonelli als „maestre del arelotge“ bezeichnet,
der auch Werkzeuge, Kräne und Winden bauen konnte. Die Länder der
böhmischen Krone haben die alte italienische Form der Stundenzählung
(„böhmische Uhr“ ) und deshalb vermutlich auch die neue Technik sehr
früh aus Italien übernommen. 1364 wird ein Martin als „orologiator imperatoris“
genannt. Für das Kerngebiet des Deutschen Reichs liegen etwa
gleichzeitige Zeugnisse für öffentliche Uhren vor, ohne daß der Verbreitungsweg
erkennbar wäre.
Die nordwesteuropäische Städteregion zeigt sich rasch als ein zweites
Zentrum der Diffusion. Für drei Uhrmacher aus Delft stellt der englische
König 1368 einen Geleitbrief aus, um ihnen die ungehinderte Ausübung
ihres Gewerbes in England zu ermöglichen. In dieser Zeit werden Turmuhren
für die königlichen Sitze Queenborough Castle, Sheen und King’s
Langley Manor gebaut.
Weite Reisen von Experten auf Veranlassung bedeutender Höfe und
vielleicht auch von Großstädten waren mindestens vor 1370 die wichtigere
Form der Diffusion dieses speziellen Fachs der Uhrmacherei. Italien und
Flandern waren nicht die einzigen technisch „fortgeschrittenen“ Städteregionen.
Auch der böhmisch-schlesische Raum gehört dazu. Daher sei
abschließend noch ein m.W. singulärer Fall angeführt, in dem eine weniger
bedeutende Stadt eine “ Gelegenheit beim Schopf packt“ und sich in den
Besitz der neuen, prestigeträchtigen Technik bringt.
Der Schmied Nielas Swaelbl, Bürger in Breslau (Wroclaw), hatte 1368
für die Stadt Troppau (Opava) eine schwere Uhr und – im Jahre der Horloge
du Palais – 1370 für Schweidnitz (Swidnica) eine Uhr, „eynen zeiger
298
… , der do glych sy dem zeyger czu Breczlaw adir bessir“, gebaut. Diese
Städte liegen 3 bzw. 2 Tagesreisen von Breslau entfernt. Zwei Jahre später
(1372) wird er wegen Totschlags am Stadtschreiber von Tulln in Niederästerreich
verurteilt, für die Pfarrkirche der Stadt ein “ arloy“ zu machen,
„das sich selber slach, an weihen glokken man ihm zaigt“ . Außerdem
soll er eine „peregrinatio ex poenitentia“, eine persönliche Romwallfahrt
unternehmen (20). Beider Pflichten hat er sich – ob der Wallfahrt in
corpore oder durch Ablösung, weiß ich nicht – offenbar entledigt. Im folgenden
Jahr verpflichtet er sich für das Domkapitel in Breslau eine Uhr zu
bauen. Wir wissen nicht, ob berufliche Gründe den Meister Swaelbl in das
entfernte Tulln (ca. 320 km Luftlinienentfernung) oder in die Nähe Wiens
geführt haben. Jedenfalls repräsentiert er einen frühen Typ des regional
und überregional tätigen Spezialisten, der später häufig anzutreffen ist.
Im Jahrzehnt der großen Beschaffungswelle ( 1370-80) finden sich Erbauer
öffentlicher Uhren an so vielen Orten, daß man annehmen muß,
daß die großräumige, aber auf große Städte beschränkte, punktuelle Diffusion
abgeschlossen war. Für die kritische Zeit davor sind die Quellen –
vielleicht bedingt durch die Pestkrisen – nicht dicht genug, um über die
erwähnten Trends hinaus allgemeine Aussagen zu ermöglichen. Diese Beschaffungswelle
ist, wie die eindeutigen Fälle von Ersterrichtungen zeigen,
keine überlieferungsbedingte Täuschung, die etwa auf die rasche Ausweitung
des städtischen Rechnungswesens in dieser Zeit zurückzuführen wäre.
DIE GELEHRTEN KoNSTRUKTEURE
Diese wenigen außerordentlich bekannten und meist gründlich erforschten
Personen als Uhrmacher zu bezeichnen, ist, wie Petrarca schon über Giovanni
Dondi bemerkt hat, fast herabsetzend. Zutreffender wird man sie
als Konstrukteure astronomischer Instrumente bezeichnen, die die Uhrentechnik
beherrschten bzw. sich ihrer bedienten. Gemeinsames Merkmal
ist ein Universitätsstudium. Der am häufigsten ausgeübte Berufist Astronom/
Astrologe häufig in Verbindung mit einer Tätigkeit als Hofarzt. Ihre
Wanderungsbewegungen stehen nicht regelmäßig in Verbindung mit ihrer
Kompetenz als Uhrenkonstrukteure.
Richard of Wallingford ( 1291/92-1336), 28. Abt des Benediktinerklosters
St. Albans (Hertfordshire), Sohn eines Grobschmieds („faber ferrarius“
), hat in Oxford studiert. Sein unvollendetes Lebenswerk war der
Bau einer komplizierten und aufwendigen astronomischen Uhr in der Kirche
seines Klosters. Er war kein origineller Theoretiker der Astronomie,
299
sondern befaßte sich mit der Konstruktion von Berechnungs- und Beobachtungsinstrumenten.
Der später so genannte „Tractatus Horologii
Astronomici“ enthält die Berechnungen der Getriebe zur Darstellung der
Planetenumläufe und entwurfsartige Notizen vermutlich aus Schülerhand
über technische Probleme des Geh- und Schlagwerks der Uhr, mit einem
heute nicht mehr bekannten Typ der Hemmung. Wegen der Unkenntnis
der Manuskripte war seine damalige Berühmtheit bis in die jüngste Zeit
verblaßt (21).
Jacopo de Dondi ( 1290-1359) hatte in Padua studiert und war Stadtarzt
in Chioggia. Für den Fürsten Umbertino Carrara konstruierte er 1344 eine
schlagende Turmuhr mit astronomischen Indikationen, die nach seinen
Anweisungen von einem jungen Paduaner gebaut wurde. Durch ihn ist
der Beiname „dall’Orologio“ in der Familie erblich geworden. Sein Sohn
Giovanni Dondi (t 1389) lehrte in Padua Medizin. Für seinen Gönner
Gian Galeazzo Visconti baute er zwischen 1348 und 1364 eines der mittelalterlichen
Weltwunder, das „Astrarium“ , ein Planetarium, das erklärtermaßen
Demonstrationshilfe zur Veranschaulichung der Werke und der
Tafeln der alten Astronomen gewesen ist. Standort war die Bibliothek des
herzoglichen Schlosses in Pavia. Aus Werkaufzeichnungen ist unter Dondis
Leitung der “ Tractatus Astrarii“ entstanden, der die Herstellung der
Planetengetriebe und der kalendarischen Indikationen beschreibt. Darin
wird mehrfach hervorgehoben, daß Dondi das Werk “ mit seinen Händen“
gebaut habe, aber auch, daß das Uhrwerk selbst („orrologium commune“ )
als bekannt und in den Details seiner Konstruktion als gleichgültig vorausgesetzt
wird. Spätere Berichte variieren immer wieder das Motiv der
Vollkommenheit des Werks und der Schwierigkeit, einen Uhrmacher zu
finden, der es auf Dauer in Gang halten oder reparieren konnte (22).
In der gleichen Zeit sind die astronomischen Uhren in den Kathedralen
von Straßburg und Dambrai und evtl. im Kloster Cluny entstanden. Namen
oder Herkunft der beratenden Astronomen und Konstrukteure bleiben
jedoch unbekannt. Am Hof von Aragon war eine ganze Gruppe von
jüdischen Astronomen und Instrumentenbauern beschäftigt, die vom Hof
geschützt und privilegiert worden sind. Viele davon waren auch Ärzte.
Dieser Typ des “ maestre dels alarotges“ pendelt zwischen Mallorca, dem
Zentrum einer bedeutenden Kartographenschule, und, mit Bau- oder Wartungsaufträgen,
zwischen den königlichen Residenzen v.a. in Barcelona
und Perpignan. Schon vor den großen Verfolgungen von 1391 verliert sich
ihre Spur. Weitere bekannte Namen aus dieser Gruppe sind Jean Fusoris
(t 1436), Henri Arnaut de Zwolle (t 1466), Wilhelm Gilliszoon de
Wissekerke (t n. 1494) und Lorenzo della Volpaia (t 1515) (23).
300
Die Mobilität der hochgestellten Auftraggeber, aber auch die Vielfalt
ihrer Qualifikationen „mobilisieren“ die Mitglieder dieser Gruppe, ohne
daß man m. E. von Migrationsbewegungen sprechen könnte.
DIE INGENIEURE
Als Ingenieure werden hier die Techniker und Handwerker verstanden,
die neben anderen Maschinen auch Uhren bauen konnten. Dabei kommt
es auf die zeitgenössische Berufsbezeichnung Ingenieur, die überwiegend
Baumeistern und Waffentechnikern beigelegt wurde, nicht an. Das Kriterium
ist hier nicht die wissenschaftliche, sondern die technisch-handwerkliche
Vielseitigkeit. Außer Arbeiten zu einzelnen Personen gibt es kaum
Forschungen zu dieser wichtigen Berufsgruppe: viele Bemerkungen in der
Literatur sind unbegründete, an der reiativ modernen Vorstellung vom
„Renaissance-Genie“ orientierte Verallgemeinerungen (24).
Diese Gruppe kann hier nur aus der engen Perspektive der „AuchUhrmacher“
beleuchtet werden (25). Die oben erwähnte Mailänder Chronik
des Galvano Fiamma rühmt beim Jahr 1341 die technische Aufgeschlossenheit
bzw. Modernität Mailands unter der Herrschaft der Visconti
(“ quod civitas mediolanensis multis novitatibus floret“ ). Die erste
Neuigkeit bzw. Erfindung (“ adinventio“ ), von der berichtet wird, sind
Mühlen, die nicht durch Wasser oder Wind angetrieben werden, sondern
durch Gewichte und Gegengewichte wie es bei Uhren üblich sei („sicut
fieri solet in horologiis“ ) . Viele Räder und kunstreiche Mechanismen bewirkten,
daß es kaum der Arbeit eines Knaben bedürfte, um vier Malter
Getreide in bester Qualität zu mahlen. Diese Stelle ist angeführt, um den
vagen Ausdruck “ technische Vielseitigkeit“ durch die Perspektive auf die
Applikation technischer Errungenschaften zu präzisieren. Erst die wechselseitige
Befruchtung verschiedener Spezialfächer erzeugt das, was wir
technischen Fortschritt in einer Gesellschaft nennen.
Die Mailänder Stadtverwaltung gestattet den Mönchen von S. Maria
dell’Valle im Oktober 1352, Wasser für das Kloster aus dem künstlich
angelegten Kanal Naviglio Grande abzuleiten. In der Supplik hatten die
Mönche gebeten, daß die Stadt ihnen den magister Johannes de Organis
oder einen anderen der „magistri inzignerii“ schicke. Wir wissen nicht, ob
Johannes de Mutina dictus de Organis außer Wasserkünsten auch Orgeln
bauen konnte oder ob er den Beinamen geerbt hat. Die Kombination
Orgelbauer-Uhrmacher/Uhrwärter findet sich häufig. Die hydraulischen
Orgeln und die Wasseruhren gehörten schon in der Spätantike und im
301
Islam in dieselbe Disziplin. Er hatte möglicherweise schon 1347 eine Uhr
im Dom von Monza installiert. Auf Veranlassung des Giovanni Visconti
baut er 1354 in Mailand eine Uhr für den Turm des Doms S. Lorenzo in
Genua, das gerade unterworfen worden war. In den Rechnungen wird er
„magister relorii“ genannt. Auch der für die nächsten Jahre verpflichtete
Uhrwärter wird bei dieser Gelegenheit aus Mailand geholt.
Der Naviglio Grande war Teil eines Wasserstraßensystems, das am Ende
des 14. Jahrhunderts ausgebaut wurde, um Marmorblöcke für die Dombaustelle
aus den Steinbrüchen von Candoglia oberhalb des Lago Maggiare
zu transportieren. Beiläufig sei erwähnt, daß diese Steinbrüche technisch
weit entwickelte, modern organisierte Betriebe mit präziser Buchführung,
mit Arbeitszeit- und Pausenkontrollen mittels Uhren und Sanduhren gewesen
sind. Giovanni de Zelini, Uhrmacher aus Brescia, war seit 1404
Ingenieur der Domfabrik. Eine von ihm vorgeschlagene Maschine, mit
der der Transport und die Hebung von Steinen um ein Drittel effektiver
gemacht werden sollte, wurde von der Domfabrik akzeptiert und für
Candoglia gebaut (26).
Bei Hans Hochgesang von Geisa „den man nennet Hans Schmydt von
Kube“ verbirgt die harmlose Berufsbezeichnung einen in seiner Region
gesuchten vielseitigen Techniker. 1449 wird er aus Kaub am Rhein nach
Frankfurt gerufen; er schreibt zurück, daß er bald kommen werde, aber
im Moment noch mit Hakenbüchsen für den Pfalzgrafen beschäftigt sei.
In Frankfurt wird er mit dem erblichen Uhrglockeramt betraut und zugleich
verpflichtet, Geschütze zu gießen. Er wartet die Uhren des Rats, die
astronomische Uhr im Dom und baut ein neues Uhrwerk für den Römer
(Rathaus). Außerdem gießt er Kanonen für den Grafen von Hanau, erneuert
die großen Waagen in Hanau und Mainz, und arbeitet in Friedberg
und Heidelberg. 1463 erhält er ein Ehrengeschenk für einen “ fast werkliehen
brechgezug“, ein Kriegsgerät, mit dem man Türen und Fenster
aufbrechen konnte. 1455 gelingt es ihm nicht, eine neue Drehmühle zu
setzen; dafür muß ein Meister aus Nürnberg geholt werden; 1457 scheitert
er mit der Mühle erneut. Einer seiner Söhne wurde Schlosser und erbte
das Uhrwärteramt, der andere studierte in Köln und wurde Bischof von
Samland in Ostpreußen.
Auch in viel kleineren Regionen finden sich in dieser Zeit die mobilen
vielseitigen Techniker. Johann Küper, Mönch im Zisterzienserkloster
Gaesdonck, repariert bei der Stiftskirche St. Viktor in Xanten nicht nur
die Uhr, sondern auch die Mühlenmechanik ( 1439-66).
Eher feinmechanische Spezialisierungen finden sich bei der Ingenieurgruppe
ebenfalls. Ulrich Wagner (aus Basel? aus München?) „sarral-
302
hiere“ und “ maistre facteur dez reloges“ arbeitet nicht nur an den öffentlichen
Uhren von Fribourg, sondern baut auch eine künstliche Hand für
einen anderen Ulrich, Kanonenmeister der Stadt, da dieser seine bei der
Herstellung von Geschützladungen verloren hatte.
Der im Gesamtzeitraum (bis 1500) am häufigsten genannte Zusatzberuf
ist der des Geschützgießers/Waffentechnikers. Als Beispiel für eine
internationale Technikerkarriere sei Guglielmo lo Monaco angeführt. Alphons
V. von Aragon und Sizilien gewährt 1452 in Neapel dem “ magistro
de lo Monaco de Parisio“ 400 Dukaten Jahresgehalt als Uhrmacher
und als Hersteller anderer kunstreicher Gegenstände („sua servitia ad facienda
horologia aliasque res artificiosas“ ). Guglielmo ist möglicherweise
über die Republik Ragusa (Dubrovnik) nach Süditalien gekommen (27).
Das Bürgerrecht in Neapel erhält Guglielmo als „maestro bombardiere“ .
Er baut Uhren, gießt Glocken und Kanonen, darunter die 1478 gegen
Genua eingesetzte 100 Zentner schwere La Napoletana (28), wird dann
„gobernatore delle Regie artegliarie“, später Pächter und dann Direktor
der königlichen Alaungruben. 1456 bittet der Herzog von Mailand seinen
Gesandten in Neapel, die Entsendung des Guglielmo de Parise zur Reparatur
des von G . Dondi gebauten Astrariums in Pavia. Guglielmo sei ein
„bono maestro“ und habe schon einmal in Pavia gearbeitet (29). Es erscheint
unwahrscheinlich, daß ein Kanonengießer astronomische Getriebe
repariert, aber möglicherweise wird hier ein Ausschnitt aus den übernationalen
Wanderungsbewegungen einer Technikerelite des 15. Jahrhunderts
sichtbar, von denen wir insgesamt noch wenig wissen.
SPEZIALISIERUNG UND BERUFSBEDINGTE MIGRATION
Die Gruppe der überörtlich tätigen Spezialisten und berufsbedingten Wanderer
ist schon quantitativ von Bedeutung. Sie besteht aus den Uhrmachern,
die wenigstens zeitweise an einem anderen als ihrem Hauptarbeitsort
tätig sind, und denen, die als Uhrmacher ihren Wohn- und Arbeitsort
wechseln. Diejenigen, die ohne Herkunftsangabe „von auswärts“ kommen
und für die z.B. Herbergs-, Reise- oder Transportkosten abgerechnet werden,
sind einbezogen, ausgeschlossen sind die Fälle, in denen eine geographische
Bezeichnung bloßer Namensbestandteil sein könnte. Diese formalen
Kriterien dienen dazu, die Uhrmacher zu finden, die sich auf den Bau
von Thrmuhren spezialisiert und davon wenigstens überwiegend gelebt haben
könnten. Für die Rekonstruktion von beruflichen Werdegängen oder
für die differenzierte Beschreibung der sozialen Lage reicht das Material
303
nicht aus; es ist vielmehr häufig so widersprüchlich, daß Verallgemeinerungen
unmöglich sind. Außerdem sollen diese Kriterien Anhaltspunkte
für die Reichweite der Spezialistenwanderungen liefern. Die Fülle der Einzelbewegungen
läßt sich nur typisierend beschreiben; nur ganz ausnahmsweise
werden Migrationsbewegungen als nach Personenzahl erhebliche, in
der Hauptrichtung erkennbare und in der Zeit stabile Wanderungen sichtbar.
Die Installation einer öffentlichen Uhr war eine nicht unkomplizierte
und häufig teure Baumaßnahme, bei der die eigentliche Uhrmacherarbeit
in der Regel nicht den größten Aufwand verursachte. Turmbauten,
Umbauten in Türmen, die Besorgung von Glockenmetall und Glockengießern,
von Seilen und Steinen für die Gewichte, die Verpflichtung von
Zimmerleuten und Dachdeckern, von Schmieden, Schreibern, Malern und
Vergoldern für das Zifferblatt – all dies bleibt hier ebenso unberücksichtigt
wie die Sonderausstattung mit Figurenwerken, Glockenspielen und astronomischen
Indikationen, mit denen eine Stadt die.andere zu übertreffen
versuchte.
Die Herstellung des Uhrwerks allein erzeugte eine Fülle möglicher Bewegungen
im Raum, von Reisen und Transporten. Vor Baubeginn wurden
Informationsreisen städtischer Delegationen, sei es um Uhren zu besichtigen,
sei es um mit Uhrmachern zu verhandeln, unternommen. 1372 z.B.
reist eine Abordnung aus Mons nach Cambrai „pour vir et aviser l’orloge
de le cloke qui sonne les eures“ , und 1379 schickt man erneut nach Valenciennes
„pour vir l’orloge, et lassus pendre conseil et avis“ .
Wichtiger sind die Reisen von Uhrmachern zur Beschaffung von know
how oder als Projektberater. Jacob zum Kircheneck, orglockener in Frankfurt,
reist, während er für den Rat eine Uhr baut, 1372 nach Köln, um ein
“ werg der orglocken“ anzusehen – zugleich der erste Beleg für eine Uhr in
Köln. Der Rat der Stadt Rottweil bittet 1398 den Magistrat in Straßburg,
dem Claus Gutsch die Münsteruhr zu zeigen. Diesem wird dann 140 1 der
Bau der astronomischen Kunstuhr im Münster in Villingen bestätigt.
Nachdem der Procureur von Orleans im ca. 200 km entfernten Rouen
mit Uhrmachern und Glockengießern verhandelt und sich über deren Preise
informiert hatte, erhält Louis Carel (aus Montlucon?) den Auftrag, für
Orleans eine Uhr zu bauen. Mit dem Uhrmacher Jehan Menin, der dafür
aus Nevers kam, reist er nach Chartres, um dort Uhrwerke anzusehen.
Etwas später läßt er seine Sachen (Werkzeug?) aus Moulins, wo er eine
große Uhr gebaut hatte, nach Orleans bringen. Aus den Quellen dreier
Stadtarchive läßt sich die umfangreiche Reisetätigkeit dieser beiden auf
Großuhren spezialisierten und innerhalb einer Region tätigen Uhrmacher
rekonstruieren.
304
Von einem Spezialberuf kann man noch nicht sprechen, denn mindestens
Jehan Menin wartete auch die Geschütze der Stadt Nevers. In diese
Gruppe gehört der oben erwähnte Schmied Swaelbl ebenso wie der in Lilie,
St. Quentin und Nieppe tätige Pierre Daimleville („dit maitre Pierre des
Orloges“ 1366-98) und der Baseler Schmied Heinrich Haider („faber, horelogifex“
), der die Thrmuhr im Straßburger Münster (1372), die Uhr auf
dem Graggentor in Luzern ( 1385) und vermutlich auch eine Uhr in seiner
Heimatstadt ( ca. 1380) gebaut hat. Die Beispiele lassen sich vermehren.
Expertenreisen innerhalb einer Region waren offenbar nicht berufsständisch
organisiert, kontrolliert oder vermittelt. Das Informationsmedium
waren einerseits die Korrespondenzen zwischen Städten und andererseits
Bestätigungs-, Empfehlungs- und Selbstempfehlungs- bzw. Bewerbungsschreiben
für oder von Uhrmachern. Dem Meister Marquard wird vom
Braunschweiger Rat zweimal (1385/1386) bestätigt, daß er eine Turmuhr
(“ eyn gud werk“ ) für die Katharinenkirche gebaut habe. Dem Meister
Stoffel aus Pforzheim wird dies 1439 in Eßlingen bestätigt. Werner
Hert von Buchen, Stadtschmied und Stadtuhrmacher in Fr􀐨nkfurt ( 1484-
1504), wird vom Rat dieser Stadt nach Straßburg für den Bau der Domuhr
(„uhrwerk mit eym zeiger in der höhe“ ) empfohlen, weil er in Kolmar und
Worms gute Turmuhren gebaut habe. Später wird ihm der Bau mehrerer
Uhren in Usingen bestätigt.
Das berühmteste Selbstempfehlungsschreiben und zugleich eine wichtige
Quelle für die Uhrengeschichte von vier Städten ist der Brief des offenbar
alternden Don Gaspare degli Ubaldini an die Republik Siena vom
März 1399. Darin heißt es, er habe mehrmals von Sienesern gehört, daß
die Stadt dringend einen Uhrmacher für die Uhr im Torre del Mangia am
Campo suche. Er habe eine Uhr am Rialto in Venedig mit stundenschlagenden
Figuren und einem Hahn, der dreimal in der Stunde hervorkomme
und krähe, und die Stadtuhr von Orvieto mit Indikationen des Sonnenund
Mondlaufs gebaut. Gegenwärtig baue er eine Uhr für Citta di Castello.
Seine Arbeiten seien überall bekannt („Le me operatione sono
chognosute per ogna terra“ ). Sein einziges Bestreben sei, einer Stadt wie
Siena zu dienen, mit ihren Bürgern zu leben und zu sterben. Dafür wolle
er nichts verdienen als die Ehre und den Ruhm. Im Mai wird die Bewerbung
akzeptiert. Im August ist die Uhr renoviert, aber der Meister
bereits gestorben .
. Bei Don Gasparo handelt es sich um den seltenen Fall eines freiberuftich
wandernden Uhrmachers, während in den anderen Fällen die Städte die
bei ihnen beschäftigten Uhrmacher für eine gewisse Zeit freigeben bzw.
ausleihen. Dabei wird man generell Initiativen der nachfragenden Städte
305
vermuten dürfen.
Nun war der Besitz einer öffentlichen Uhr nicht nur eine prestigeträchtige
Angelegenheit, sondern spätestens im 15. Jahrhundert auch symbolischer
Ausdruck für funktionierende Verwaltung, fiir „Gute Polizei“ . Karl
V. wird die Formel “ pulsa, pueri, portae“ zugeschrieben, die man mit
„Signale, Schulen, Befestigungen als Zeichen des guten Stadtregiments“
übersetzen könnte. Besonders in Italien lassen sich nun Initiativen einzelner
Territorialherren nachweisen, auch die kleineren Städte mit öffentlichen
Uhren zu versorgen. Häufig werden dazu die von ihnen beschäftigten
Uhrmacher in Bewegung gesetzt. Eine andere Form dafür sind Stiftungen
öffentlicher Uhren für kleinere Städte. So rühmt sich Pius li. (Piccolomini)
des Ausbaus seiner Stadt Pienza: “ Emit et alias aedes civium …
quibus dirutis tertium aedificari palatium iussit (i.e. den Palazzo Comunale)
… et turri quae campanis et horologio serviret“. In den päpstlichen
Rechnungen taucht der Transport dieser Uhren von Rom nach Pienza
auf. Ein Fresko über dem Stadttor hebt dieses Urbanistische Detail noch
besonders hervor.
Diese Form der Diffusion von Technik bzw. der Migration von technischen
Experten war nicht selten. Sie begegnet auch bei Stadtbürgern.
Im Testament eines Braunschweiger Bürgers wurde 1409 ein Betrag ausgesetzt,
damit der Braunschweiger Meister Marquard eine Uhr für das
Kloster Dorstädt bauen konnte.
Die Bauzeit für eine Turmuhr betrug im Durchschnitt ein halbes Jahr.
Da die Werkgestelle aus verkeilten Eisenschienen bestanden, waren auch
große Uhren zerlegt gut zu transportieren. Von der Häufigkeit solcher
Transporte vom Arbeitsort des Uhrmachers zeugen Geleitbriefe und Befreiungen
von Wegabgaben. Gelegentlich wurden dann noch auswärtige
Gutachter zur Abnahme geholt.
Sofern der Uhrmacher nicht aus der Stadt kam, mußte man versuchen,
ihn in der Stadt zu halten, denn, nach allem, was wir wissen, waren
die frühen Turmuhren außerordentlich störanfällig. Extreme Temperaturschwankungen,
Probleme mit der Schmierung und die geringe Festigkeit,
insbesondere der eisernen Lager und Zahnräder, sind die wichtigsten
Gründe. Henri de Vics hohe Gage ist nur eines von zahlreichen Beispielen
für solche Bemühungen. Bürgerrechtsverleihungen und Befreiung von
Steuern und Wachdiensten sind die normalen Mittel (30). Hinrik von dem
Hagen werden 1440 die Gebühren für den Bürgerrechtserwerb in Hannover
erlassen; dafür soll er den „zeyger“ warten. Leonardus Wunderlich
wird 1456 gebührenfrei Bürger in Krakau, weil er Stadtuhrmacher werden
soll. Hans Graff aus Schliers wird 1464 Bürger in Salzburg; anstelle der
306
Aufnahmegebühr soll er die Rathausuhr warten. Der „zitgloggenmacher“
Veit Sprinkhart aus Kempten erhält 1475 das Bürgerrecht in Luzern geschenkt,
ebenso 1516 Hans Luter, „zytmacher von Zürich“, „umb seiner
kunst willen“.
Die durchschnittliche Reichweite der Wanderungen der Ingenieure, der
Spezialisten und der wandernden Uhrmacher betrug – berechnet nach
der Luftlinienentfernung (31) – zwei bis fünf Tagesreisen. Weitere Reisen
werden nur von Höfen und Großstädten, die für aufwendigere Uhrwerke
besonders qualifizierte Kräfte suchen, initiiert. Dieses Muster verändert
sich im Untersuchungszeitraum nicht. Es gilt für die Erbauer öffentlicher
Uhren. Die allmählich zunehmende Kleinuhrmacherei erzeugt in geringem
Umfang Reisen zwischen Residenzen, bleibt aber insgesamt eher ortsfest.
Das ändert sich erst mit den konfessionspolitisch verursachten Wanderungen
etwa nach Genf im 16. oder nach London im 17. Jahrhundert.
Zwei besondere Formen, die sich nicht in das Muster des Wanderns
innerhalb einer Region fügen, seien noch kurz erwähnt. Ragusa (Dubrovnik)
war im Hinblick auf die Rekrutierungsmöglichkeit von Fachleuten
aller Art, also etwa auch von Ärzten und Schreibern, eine Stadt ohne Umland.
Solange Ragusa zu Venedig gehörte (bis 1358), entsandte die Mutterstadt
qualifiziertes Personal. Die Stadtrepublik Ragusa mußte häufig
Fachkräfte, aber auch Handwerker in Italien, v.a. in den Marken, in der
Toskana, aber auch in Apulien anwerben. Für die erste große Turmuhr der
Stadt wird 1389 der Magister Helias aus Lecce in Apulien angeworben. Er
erhält ein hohes Honorar, muß ein Jahr bleiben und einen Nachfolger anlernen.
Die Nachfolger sind Waffentechniker aus Castelldurante (Marken),
aus Venedig und aus Lecce. Außer dem erwähnten Guglielmo aus Paris
und einem 1444-55 beschäftigten Träger eines slavischen Namens passen
die Uhrmacher/Uhrwärter von Ragusa in das für diese Stadt typische und
über lange Zeit st􀐩_bile Muster der Expertenmigration (32). Irritierend
daran ist, daß die Uberlieferung einschlägiger Quellen für Süditalien erst
mit den aragonesischen Königen einsetzt ( 1451 ff.) und daß die königlichen
Rechnungen in den ersten Jahrzehnten nur Uhrmacher erwähnen, die
nicht aus Süditalien kommen. Aus dieser Perspektive erscheint Apulien
als eine “ nachhinkende“ Region wie etwa die Bretagne oder die skandinavischen
Länder, für die ein gewisser Rückstand ausdrücklich bezeugt
ist. Das Auftauchen des “ Helias de Licio magister orilogiorum“ zeigt, daß
dieses Bild falsch ist, ohne daß man hoffen dürfte, es aus süditalienischen
Quellen korrigieren zu können.
Ein spezielles Migrationsmuster erzeugen Kolonien in anderen Kulturkreisen,
weil zu erwarten ist, daß das Umland sich nicht rezeptiv verhält
307
bzw. weil die Entfaltung einheimischen Expertenturns unwahrscheinlich
ist. Schon 1374/75 – für mitteleuropäische Maßstäbe früh – gab es in
der genuesischen Kolonie Caffa (Feodosija) auf der Krim einen besoldeten
Wärter für eine Uhr auf dem Christusturm. Die Uhr selbst muß also
noch älter gewesen sein. Die Zusatzberufe der in der Folgezeit mit ihrer
Unterhaltung Beauftragten weichen nicht vom Üblichen ab („magister
organorum, bombardierus“ etc. ). Die Versorgung der Kolonie erzeugte
Migrationsbewegungen nur innerhalb Italiens. Die Herkunft dieser aus
Genua angereisten Techniker waren oberitalienische Städte wie Novara,
Pisa oder Florenz. Im osmanischen Kulturkreis wurde – unbeschadet der
Sammelleidenschaft einiger Potentaten – die Installation öffentlicher Uhren
strikt abgelehnt. Die Autorität der Muezzin sollte nicht geschmälert
werden. Die Diffusion der neuen Technik endete daher an den Grenzen
des Stadtgebiets.
Die Wanderungen der italienischen Konstrukteure öffentlicher Uhren in
der frühen Zeit und die beiden zuletzt geschilderten Sonderfälle sind die
einzigen bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts erkennbaren richtungsstabilen
Migrationsbewegungen, sofern man bei jeweils weniger als zehn Namen
überhaupt von einer “ Bewegung“ reden darf.
Läßt die Fülle der Einzelbewegungen nun regionale oder lokale Spezialisierungsvorgänge
erkennen? Für die eisenerzeugenden oder eisenverarbeitenden
Gegenden oder Städtegruppen ist dies zu verneinen. Das
Rohmaterial, Eisenstäbe und Eisenschienen, war transportable gängige
Handelsware. Für Städte, in denen sich Waffenhandwerke konzentrierten,
etwa Brescia oder Toulouse, ist das Material zu lückenhaft, für andere wie
Brüssel (33) noch nicht einschlägig durchgesehen. Auch ein Zentrum der
feineren Metallbearbeitung wie etwa Nürnberg fällt im 15. Jahrhundert
noch nicht durch besondere Konzentration von Uhrmachernamen oder als
häufiger genannte Herkunftsstadt auf. Dagegen erscheint Fabriano in den
Marken, das bisher vor allem als Zentrum der Papierherstellung bekannt
war, als ein Uhrmacherzentrum von überregionaler Bedeutung.
Temporäre Zentren werden auch durch Uhrmacherfamilien konstituiert.
Erinnert sei etwa an die Rainieri in Reggio Emilia, die über mehr als ein
Jahrhundert für ihre Großuhren bekannt waren (“ qui in multis Italiae civitatibus
summa cum laude horologia fecerunt“, 1536). Die erste Fassung
(1499) der Uhr am Markusplatz in Venedig ist von zwei Mitgliedern dieser
Familie gebaut worden. Mitglieder der Familie Ferrer waren durch das
ganze 15. Jahrhundert in katalanischen Städten tätig.
Jehan de Vic war nicht der einzige Deutsche, der um 1370 nach Frankreich
gezogen ist. 1373 läßt der Herzog von Berry den Jean de Wis-
308
sembourg nach Bourges kommen, um eine Turmuhr in der Kathedrale
anfertigen zu lassen. In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts werden
Facharbeiter aus Deutschland, darunter Metallhandwerker und Uhrmacher,
nach Frankreich, besonders in die Bretagne, geholt (34). In derselben
Zeit häufen sich die deutschen Uhrmachernamen in Italien, z.T. bei
den deutschen Handwerkern in Rom (35), z.T. bei den Waffentechnikern
in Mailand und Ferrara. Zweifellos wird hier eine quantitativ erhebliche
und m.W. wenig erforschte Migrationsbewegung sichtbar (36). Weder
die Herkunftsorte noch die speziellen Motive der Wanderer oder der
Arbeitgeber sind bekannt. Eine Überproduktion qualifizierter Kräfte in
Deutschland? Ein bedeutsamer Qualifikationsvorsprung? Auftragsmangel
in Deutschland oder Auftragsboom außerhalb Deutschlands? – Die
wirksamen Faktoren bleiben vorerst im dunkeln.
Die Uhrmacher waren seit dem Ende des 14. Jahrhunderts Mitglieder
der Schlosserzünfte. 1436 werden sie rn. W. zum ersten Mal in Magdeburg
in einem Zunftstatut als Berufsgruppe („seyermaker“ ) ausdrücklich
erwähnt. Ob, wo und seit wann ein Wanderzwang bestand, ist unbekannt.
Die 1596 und 1615 bestätigte Wiener Ordnung für die Meister des
Schlosser-, Uhr- und Büchsenmacherhandwerks von 1451 setzt die Gesellenwanderschaft
der Mitglieder voraus. Allerdings ist nicht ersichtlich, ob
in der Urfassung Uhrmacher überhaupt erwähnt werden. Ob der auch für
Uhrmacher unter den Schmieden und Schlossern im 15. Jahrhundert zunehmende
Zunftzwang, zu dem gleichzeitig oder später die Wanderpflicht
hinzutrat, wirksam geworden ist, erscheint fraglich. Schon die Vielzahl der
Aufträge außerhalb der Städte machte Kontrollen schwierig. Zu berücksichtigen
ist außerdem, daß sich gerade in der Umgebung großer Höfe
und Residenzen Kunsthandwerkereliten dem Zunftzwang entziehen konnten
(37). Ausdrückliche Befreiung, besondere Privilegierung oder Stellen
im Hofdienst erhöhten diese Chancen, ebenso wie die noch beträchtliche
Mobilität der Höfe selbst.
Unabhängig von der kaum zu klärenden, aber auch abstrakten Frage der
Wanderpflicht läßt sich über Gesellenwanderung mangels geeigneter Quellen
– das betrifft auch die hier nicht erörterte Gruppe der nur lokal tätigen
Meister – fast nichts sagen. Die Uhrmacherverträge enthalten jedoch
öfter die Verpflichtung, einen lokalen Schmied zur Mitarbeit heranzuziehen
oder einen Uhrwärter einzuweisen. Als “ Ausbildungskandidaten“ sind
daher die Uhrwärter in unsere Liste mit aufgenommen. Seit dem Ende des
14. Jahrhunderts werden die städtischen Uhrwärter (Temperatori, Gouverneurs)
Teil des rasch wachsenden Corps der städtischen Beamten. In
Siena z.B. hatte Don Gaspare degli Ubaldini seinen Nachfolger angelernt:
309
„qui cum dicto Magistro Guaspare semper fuit ad fabricandum dieturn
novum horologium, et ab eo fuit doctus et informatius de modis tenendis
ad conservandum et mantenendum illud et temperandum“.
Der einzige Lehrvertrag, der bisher aufgetaucht ist, dürfte kaum typisch
sein. Menginus Godini aus Troyes verpflichtet sich 1445 in Avignon
dem Girard Ferrose („Yzanrose“) gegen Verpflegung, Wohnung und Kleidung
fünf Jahre zu dienen. G . Ferrose verspricht, ihn zu unterweisen
in all seinen Kenntnissen der Schmiede-, Uhrmacher- und Waffenkunst
„in arte seralherie, horologerie, bombardarie, colobrinarum et omnibus in
quibus idem Girardinus peritus est“. Letzteres könnte sich auf eine unbekannte
Kunst „ars artificialiter scribendi“ (Druckstempel?) beziehen. G .
Ferrose hatte 1438/39 mit seinem Kompagnon Sirnon de Troyes in Ales
(Languedoc) eine Turmuhr gebaut. Ob und wie die „künstliche Schreibtechnik“
in die Frühgeschichte der Druckkunst gehört, ist nicht ganz klar.
Ob G. Ferrose das Prädikat “ Universalgenie“ verdient, erscheint zweifelhaft
(38). Ungewöhnlich für einen Lehrjungen erscheint jedenfalls die
Wanderentfernung. Es ist zu erwarten, daß wenigstens in der Zone des
􀐪eschriebenen Rechts weitere Uhrmacherlehrverträge in der notariellen
Uberlieferung auftauchen. Hier wäre ich für Hinweise dankbar.
Die metallverarbeitenden Gewerbe waren, soweit die Zeugnisse zurückreichen,
immer eine besonders mobile Gruppe. Auf beides ist oft hingewiesen
worden und die Untersuchung der spätmittelalterlichen Uhrmacher
bestätigt diesen Eindruck. Im 14. Jahrhundert waren Uhrmacher allgemein
und Fachleute für öffentliche Uhren insbesondere selten, wenn auch
nicht so selten, wie man bisher angenommen hat. Schon im 14. Jahrhundert
waren nicht einige Dutzend, sondern einige Hundert in Europa tätig
(39).
Die Turmuhrmacher kommen in der frühen Zeit aus Italien. Seit ca.
1370 versorgen einheimische Uhrmacher jeweils eine Region. Fernwanderungen
gibt es ganz überwiegend zwischen Residenzen oder Großstädten.
Im 15. Jahrhundert nimmt die Zahl der Uhrmacher rasch zu; der in seiner
Größenordnung unbekannte Anteil der Kleinuhrmacher wächst. Die
größere Zahl bleibt deutlich ungleich verteilt. Für die Städte, für die
Schätzungen möglich sind (Florenz, Prag, Frankfurt, Lyon), wird man in
der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts ca. fünf und in der zweiten Hälfte
acht bis zwölf Uhrmacher annehmen dürfen ( 40). Auch für Großstädte
gilt, daß nicht zu jedem Zeitpunkt ein Turmuhrmacher und zuweilen auch
kein geeigneter Stadtuhrwärter verfügbar war. Brügge und Amsterdam
suchen um 1500 einen Turmuhrmacher. In Riga wird erst 1578 die Niederlassung
eines Uhrmachers erwartet: “ Da auch ein seigermacher sich
3 10
in diesen Laden zu setzen begeben . . .“ (Schmiedeschragen). Andererseits
beginnt an einigen Orten die Konzentration von Spezialisten.
Migrationsbewegungen werden von Aufträgen bzw. Kunden ausgelöst.
Die Anfänge von Gesellenwanderungen sind noch unklar. Institutionelle
Hindernisse gab es für die temporären Wanderungen nicht. Legenden
von der Blendung der Konstrukteure besonders komplizierter Uhren tauchen
häufig auf. Nirgendwo jedoch gibt es Anzeichen für irgendeine Form
von Geheimschutz. Ein “ gesperrtes“, d.h. mit Wanderverbot belegtes
Handwerk wie etwa die Brillen- oder Kompaßmacher in Nürnberg ist die
Uhrmacherei im Untersuchungszeitraum nicht gewesen.
Auch wenn sich die Turmuhrenbauer einigermaßen isolieren lassen, bleibt
doch der Spezialisierungsgrad, die relative Qualität und damit ein scharfes
Kriterium für die Trennung von Handwerkern und technischen Experten
problematisch. Die offenen Fragen nach Formen und Geschwindigkeit der
Diffusion neuer Techniken und nach der Migration technischer Experten
würden sich besser beantworten lassen, wenn es vergleichbare Untersuchungen
anderer Expertengruppen im Spätmittelalter gäbe.
ANMERKUNGEN
1) N . Elias, Über die Zeit. Arbeiten zur Wissenssoziologie, Frankfurt 1984. J.
LeGoff, Le Temps de l’Eglise et le temps du mnrchand, in: Annalea E.S.C. 16, 1960,
417-33, dt. in: C. Donneger (Hg.), Schrift und Materie in der Geachichte, Frankfurt
1977, 393-414.
2) L. Murnford, Technics and Civilization, N .Y.-London 1937, 14 ff.
3) Zuletzt: D.S. Landes, Revolution in Time, Clocks and the Making of the Modern
World, Cambridge, Mass., 1983; Einzelbeispiele bei: A.E. Musson-E. Robinson, Science
and Technology in the lndustrial Revolution, Manchester 1969, 438 ff.
4) Vgl. W.v.Stromer, Eine “ Industrielle Revolution“ des Spätmittelalters?, in: U.
Troitzsch u. G. Wohlauf, Technikgeschichte. Historische Beiträge und neuere Ansätze,
Frankfurt 1980, 105-137.
6) L. White jr., The lconography ofTemperantia and the virtuousness of technology,
in: K. Rabb u. J.E. Seigel (eds.), Action and Conviction in Early Modern Europe,
Princeton 1969, 197-219.
6) Vgl. z.B. Giovanni Tortelli, De orthographia dictionum e Graecis Tractarum, bei
A. Keller, A Renaissance Humanist … , in: Technology and Culture 1 1 , 1970, 349.
7) C.M. Cipolla, Clocks and Culture 1300-1700, London 1967; ders., Guns and Sails
in the Early Phase of Europenn Expansion 1 400-1700, London 1966.
8) P. Sternagel, Die Artes Mechanicae im Mittelalter. Begriffs- und Bedeutungageschichte
bio zum Ende des 13. Jahrhunderts, Kalimünz 1966.
9) Z.B.: Stabile anstoßfreie Bewegung der Himmelskörper wie die Räder einer Uhr,
Gott wie ein Uhrmacher, Nie. Oresme, Le Iivre du ciel et du monde (1377, liv. 2,
c. 2), ed. A.D. Menuit u. A.J. Denomy, Maddison (Milw.) 1968, 289; Schöpfergott
als Uhrmacher, der das Werk nach der Herstellung in Bewegung aetzt, Heinrich von
Langenstein, Leeturne super Genesirn (1385/93), H. Steneck, Science and Creation in
3 1 1
the Middle Ages, Notre-Dame-London 1976, 92, 1 1 2 u.ö.; Universum als Uhr, Giovanru
di Micheie ( Giovanni Fontana) (1. H . 16. Jh.) in: Pompilius Azalus, Liber de omnibus
rebus naturalibus, Venedig 1544, n. L. Thorndike, An unidentified work … , in: Isis 1 5 ,
1931, 43.
10) Grundlegend: G. Bilfinger, Die mittelalterlichen Horen und die modernen Stunden
– Ein Beitrag zur Kulturgeschichte, Stuttgart 1892; ergänzend: F. Lehner, Die
mittelalterliche Tageseinteilung in den Österreichischen Ländern (Quellenstudien aus
dem historischen Seminar der Universität lnnsbruck H. 3) Innsbruck 191 1 .
1 1 ) Der Boom für Wasseruhren und die Existenz einer Uhrmacherzunft in Köln am
Ende des 13. Jahrhunderts sind hartnäckige Legenden: Der mittelalterliche Name der
Spinnmühlengosse in Köln (plotea Urlugen 1230/1232, (H)orlogesgozzen 1266/1280,
Urlogesgozzen 1261/1269, vgl. H. Keussen, Topographie I, 442 ff.) wird seit E. VolckmDnn,
Alte Gewerbe und Gewerbegossen, Würzburg 1921, 128 ff. als Beweis dnfür
angeführt. Schon K . Maurice ( vgl. Anm. 16, I, 43) zweifelt om Bedarf nach solchen
Geräten und vermutet allerdings ohne Begründung eine Sonnenuhr ols Namengeber.
Die plausible etymologische Erklärung mit mnd./mndl. „Ooorlog/urloge“-Krieg, noch
der Waffenschmiede in der Gasse gearbeitet haben, stößt auf die Schwierigkeit, doß
in der Gasse keine und in der Umgebung kaum Metallhandwerker nachzuweisen sind.
Unklar bleibt auch, warum die Gasse in den frühesten Zeugnissen nicht so heißt, und
vor ollem warum sie im 14. u. 15. Jh. nicht mehr so genannt wird. Schließlich wurden
in Köln die Uhrmacher als „uyrclockenmecher“ bezeichnet. In keiner europäischen
Stadt findet sich Vergleichbares; nirgends ist die Benutzung von Wasseruhren außerhalb
der Klöster bezeugt. Ein Schreiberirrtum oder ein Hörfehler scheinen die plousibelste
Erklärung. Seit L. White jr., Medieval Technology and Social Change, Oxford 1960,
120, einem wertvollen Standardwerk, wird diese Legende ständig wiederholt; zuletzt
bei: D. Hill, A History of Engineering in Classicnl and Medieval Times, La Salle (lll.)
1984, 242.
12) Z.B. W.K. Zülch, Frankfurter Künstler 1223-1700, Frankfurt 1936, oder die
unvollendete Reihe der regionalen Verzeichnisse („Dictionnaire des artistes et ouvriers
d’art … “ ), die von der Bibliotheque d’Art et d’Archeologie (Paris) betreut wird.
13) Vgl. W. ReirunghDus, Die Migration der Handwerksgesellen in der Zeit der
Entstehung ihrer Gilden (14./15. Jahrhundert), in: Vierteljahrsschrift für Sozial- und
Wirtschaftsgeschichte 68 (1981) 6.
14) Die stark spezialisierten Berufsbezeichnungen werden offenbar langsamer und
viel seltener zu Nachnamen; vgl. G. Fransson, Middle English Surnomes of Occupotion,
Lund 1935.
16) T. Erb, Probleme der Terminologie der Hondwerksberufe … , in: Internationales
Handwerksgeschichtliches Symposium, Veszprem 1978, 1979, 395.
16) K. Maurice, Die deutsche Räderuhr. Zur Kunst und Technik des mechanischen
Zeitmessers im deutschen Sprachraum, Bd. I, München 1976, 43.
17) E. Zinner, Die ältesten Räderuhren und die modernen Sonnenuhren, Bamberg
1939, 47; D. Sella, Die gewerbliche Produktion in Europa, in: C.M. Cipolla, Europäische
Wirtschaftsgeschichte, Bd. 2, Stuttgart-N .Y. 1979, 239 ff.
18) Schon bei J.D. North, Monasticism and the first mechanical clocks, in: J.T.
Fraser u. N. Lawrence (eds.), The Study of Time II, N.Y. 1976, 381-398.
19) Darunter die erste und im 14. Jahrhundert einzige so bezeichnete Frau „Cecilia
Le Orloger“ in den Assize Rolls für Lincolnshire 1328.
20) Den Hinweis auf N . Swaelbl in Tulln verdanke ich G. Jaritz, zu den Strafwallfahrten
vgl. L. Schmugge, Kollektive und individuelle Motivstrukturen im mittelalterlichen
Pilgerwesen, in diesem Bond.
312
2 1 ) Die Quellen zur Biographie, Text, Übers. u. Komm. d

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