Generic selectors
Exact matches only
Search in title
Search in content
Post Type Selectors
Search in posts
Search in pages
wsarticle
wsjournal
Filter by Categories
Allgemein
MAQ
MAQ-Sonderband
MEMO
MEMO_quer
MEMO-Sonderband

Non cladiis, non armis … Die “weibliche” Herrschaftsauffassung in den ottonischen Damenstiften

Non cladiis, non armis…
Die „weibliche“ Herrschaftsauffassung in den ottonischen Damenstiften
Käthe Sonnleitner
Non cladio, non armis, non ullis bellicorum instrumentis apparatuum, – licet et ad haec praecipienda satis esset idonea (…),1 so wird in den Quedlinburger Annalen die Regentschaft der Äbtissin Mathilde von Quedlinburg beschrieben, die ihr von ihrem Neffen Otto III. 997 übertragen wurde. Die Äbtissin regierte demnach nicht mit dem Einsatz des Schwertes, d. h. nicht mit männlichen Mitteln. Sie hätte das gekonnt, wie die Annalen selbstbewusst formulieren. Sie verzichtete also bewusst auf die Anwendung von Gewalt, allerdings nicht, weil sie als Frau dafür vielleicht zu schwach gewesen wäre. (…) regna non levitate foeminea gubernans (…),2 so wird ihre Regierungsweise charakterisiert, gleich zu Beginn der Würdigung ihrer Person anlässlich ihres Todes 999. Die Qued- linburger Annalistin lässt also überhaupt keinen Zweifel aufkommen, dass Mathilde trotz ihrer Weiblichkeit zur Herrschaft geeignet war. Die Abwertung der Frau in der christlichen Theologie ist ihr bekannt, sie gilt aber offensichtlich nicht für die Äbtissin Mathilde und sie gilt nicht für alle weiteren Frauen der liudolfingisch/ottonischen Familie, über die sie in den Annalen schreibt.
Die Annahme, dass eine Stiftsdame die Annalen verfasst hat, ist gerecht- fertigt.3 Dafür spricht, dass das Damenstift Quedlinburg ein geistiges Zentrum der ottonischen Familie war, in dem nur die Töchter der Familie Äbtissinnen sein sollten und das, gemeinsam mit dem Damenstift Gandersheim durch die Förderung der kaiserlich-königlichen Familie ein Hort der christlichen, lateini-
1 Annales Quedlinburgenses, MGH SSrG 72, hg. von Martina Giese. Hannover 2004, 501 (ab- gekürzt: AQu); als Grundlage der Übersetzung diente: Eduard Winkelmann, Die Jahrbücher von Quedlinburg (= Geschichtsschreiber der deutschen Vorzeit, Bd. 36) Leipzig 1941, (ab- gekürzt: GdV 36) 18: „(…) nicht mit dem Schwerte, nicht mit Waffen noch mit anderen kriegerischen Mitteln, obwohl sie durchaus im Stande war, auch dergleichen zu befehlen (…).“
2 AQu 50; GdV 36, 18: „(…) nicht mit weiblichem Leichtsinn (…).“
3 Zur Verfasserfrage vgl.: Martina Giese in der Einleitung zu AQu, 57-66; sie bezeichnet die
Verfasserschaft einer Frau als wahrscheinlich, auch wenn sie sich nicht mit letzter Sicherheit feststellen lässt. Sie folgt damit meiner erstmals 1988 ausgesprochenen Vermutung, dass eine Stiftsdame die Annalen geschrieben hat: Käthe Sonnleitner, Die Annalistik der Otto- nenzeit als Quelle für die Frauengeschichte. In: Schriftenreihe des Instituts für Geschichte (Graz), Darstellungen 2 (1988) 233-249.
5
schen Bildung war. In dem älteren Stift Gandersheim, von Herzog Liudolf und seiner Frau Oda gegründet, lebte und wirkte von etwa 950 bis 973 die Dichterin und Geschichtsschreiberin Hrotsvit unter der Äbtissin Gerberga, der Nichte Ottos I., die sie neben Rikkardis ihre Lehrerin nennt. Hier gab es also nach- weislich eine Schule, die zu großen Werken führte, die denen aus Männer- klöstern in nichts nachstanden.4 Aber auch für das Stift Quedlinburg ließ sich eine fundierte Ausbildung der adeligen Sanktimonialen nachweisen, die sicher auch von den weltlichen Frauen der liudolfingisch/ottonischen Familie genutzt wurde und ihnen die Teilnahme an der Regierung und am geistigen/geistlichen Leben ihrer Zeit ermöglichte.5
An den historiographischen Werken in Gandersheim wie in Quedlinburg fällt auf, dass sie sich neben der Absicht, die besondere Bedeutung ihrer Stifte zu überliefern, auch vermehrt der Familiengeschichte der Ottonen widmen. Was aber für die Geschichtsschreibung des Frühmittelalters wirklich ungewöhnlich ist, ist das Interesse an den Frauen der Familie, denen wesentlich mehr Raum gewidmet wird als es sonst in der „männlichen“ Geschichtsschreibung üblich ist.6 Eine Würdigung der Herrschaft einer Frau, die sich auch nur annähernd mit der der Äbtissin Mathilde in den Quedlinburger Annalen vergleichen lässt, ist in der Geschichtsschreibung des 10. und 11. Jahrhunderts sonst nirgends zu finden.
Die Besonderheit dieser Annalen hängt mit der Bedeutung des Stiftes Quedlinburg zusammen. Dieses wurde von Otto I. 936 auf Drängen seiner Mut- ter Mathilde gegründet, als Begräbnisstätte und Ort der Memoria für deren Gat- ten Heinrich I. Es hatte nicht nur die vornehmeren Gründer als Gandersheim, sondern wurde von der Tochter des Kaisers, Mathilde, geleitet, nach ihr von Adelheid, der Tochter Ottos II. und Theophanus.7 Quedlinburg war unter diesen beiden Äbtissinnen der bevorzugte geistige Mittelpunkt der Familie, ein oft besuchter Ort für religiöse Feste und gemeinsam mit der Pfalz ein wichtiges politisches Zentrum.8 Dies zeigt die Bezeichnung metropolis sehr deutlich, die in den Annalen mehrmals zu finden ist, aber auch in einem Diplom Ottos III.9
4 Katrinette Bodarwé, Hrotswit zwischen Vorbild und Phantom, in: Martin Hoernes, Hedwig Röckelein (Hg.), Gandersheim und Essen – Vergleichende Untersuchung zu sächsischen Frauenstiften. Essen 2006, 191-212.
5 Katrinette Bodarwé, Sanctimoniales litteratae. Schriftlichkeit und Bildung in den ottonischen Frauenkommunitäten Gandersheim, Essen und Quedlinburg (= Quellen und Studien. Veröf- fentlichungen des Instituts für kirchengeschichtliche Forschung des Bistums Essen, Bd. 10) Münster 2004, zusammenfassend 189-193 und 355-359.
6 Sonnleitner, Annalistik, 243.
7 Ebd. 60-71; Doris Burlach, Quedlinburg als Gedächtnisort der Ottonen: Von der Stiftsgrün-
dung bis zur Gegenwart. In: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 48 (2000) 101-118.
8 Zur Gründung und Bedeutung der Damenstifte vgl. auch Gerd Althoff, Gandersheim und Quedlinburg. Ottonische Frauenklöster als Herrschafts- und Überlieferungszentren. In: Frühmittelalterliche Studien 25 (1991) 123-144; Ulrich Reuling, Quedlinburg: Königspfalz – Reichsstift – Markt. In: Deutsche Königspfalzen, Beiträge zu ihrer historischen und ar-
chäologischen Erforschung, Bd. 4, hg. v. Lutz Fenske. Göttingen 1996, 189 ff. 9 AQu 494, 521, 561; MGH DO III, Nr. 155, S. 566, Z 32.
6
Als Entstehungszeit der Annalen ist von der Forschung zuletzt das begin- nende 11. Jahrhundert erkannt worden. Die Jahre 1008 bis 1015 sind zeitgleich verfasst worden.10 Sie wurden demnach nach dem Tod Ottos III. verfasst, in der Regierungszeit Heinrichs II., als Sachsen und damit Quedlinburg nicht mehr das Zentrum der Herrschaft bildeten. Die Motive für ihre Niederschrift waren dann sicherlich die Erinnerung an die einstige Größe und die Taten des Herrscher- hauses als Teil der Memoria, zu der das Stift verpflichtet war.11 Drüber hinaus sollten sie aber auch die christliche Herrschaftsauffassung weitertradieren, die von den geistlichen Frauen im Stift und von den mit ihnen in engem Kontakt stehenden weltlichen Frauen der ottonischen Familie gepflegt wurde. Möglicher- weise waren die Annalen ja auch als Belehrung für Heinrich II. gedacht, dessen Regierungsweise durchaus auch kritisiert wird, vor allem seine Ostpolitik.12 Dafür spricht, dass die Würdigung Mathildens ihre Herrschaft in den Mittel- punkt stellt und sich nicht auf ihren geistlichen Werdegang konzentriert, wie man dies etwa von einer Vita erwarten würde. Außerdem wird vor allem ihr Umgang mit den heidnischen Slawen besonders gelobt, dies kann durchaus als Mahnung an Heinrich II. verstanden werden. Die Barbarenkönige konnte Mathilde, wie die Verfasserin behauptet, mit der gleichen Kunstfertigkeit des Regierens gefügig machen, wie ihr Großvater Heinrich I. und ihr Vater Otto I. ingenii ita placabiles subiugabilesque Barbarorum etiam induratos vertices regum artificioso aviti paternique ritu reddiderat.13 Sie beweist mit diesem Satz zugleich, dass das Talent für die Herrschaft in der ottonischen Familie erblich war und zwar in männlicher und weiblicher Linie.
Barbarenkönige gefügig zu machen, wird man zunächst wohl als eine männliche, kriegerische Tat verstehen, so ist es von der Verfasserin aber wohl nicht gemeint, lobt sie doch Mathilde dafür, dass sie nicht mit dem Schwert re- giert. Es ist ihr vielmehr gelungen, sie auf andere, christliche Weise zu gewinnen und placabilis, versöhnlich zu machen. Sie setzte ihre Kräfte für den Frieden ein mit so großem Erfolg, dass sie – nach Meinung der Geschichtsschreiberin – den Frieden im Reich grundgelegt hat: (…) pacis fundamenta, que nunc sancta dei ecclesia pro parte fruitur, post tantarum devastationem provinciarum, post effrenem barbarie motum (…) prima posuerit.14 Die Formulierung, die Bezug nimmt auf die Kirche, macht deutlich, dass sie hier nicht nur an einen weltlichen Frieden denkt, sondern an den ewigen Frieden im Sinne des Augustinus, auf den die Gemeinschaft der Christen sich hin orientieren soll. Die Überwindung der Barbaren meint also ihre Bekehrung, ihre Versöhnung mit dem richtigen
10 Giese, Einleitung 6-14; Bodarwé, Sanctimoniales 315-316.
11 Bodarwé, Sanctimoniales 316.
12 Ebd. 316.
13 AQu 501; GdV 36, 18: „(…) auch die harten Köpfe der Barbarenköpfe machte sie mit dem
Talente ihres Großvaters und Vaters so versöhnlich und gefügig (…).“
14 AQu 501; GdV 36, 18: „(…) dass sie zu dem Frieden, den jetzt die heilige Kirche Gottes genießt, nach den Verwüstungen weiter Landstriche, nach den zügellosen Unruhen der
Barbaren (…) die ersten Grundlagen legte.“ 7

christlichen Glauben. Nur so kann ein einheitliches Reich geschaffen werden, in dem die ecclesia, das Volk Gottes in Frieden lebt. Dieser ist eine Vorwegnahme des endzeitlichen Friedens in der civitas Dei. Er kann nur erreicht werden in der Nachfolge Christi, d. h. durch ein ideales christliches Leben.15 Dieses erfüllt die Äbtissin Mathilde, indem sie auf militärischen Kampf verzichtet und stattdessen ihre Ziele durch die Tugenden eines geistlichen Lebens, durch Beten, Fasten und Wachen zu erreichen sucht: continua vigiliarum, orationum inediaeque in- stantia, soli deo intenta, illius docente et confortante subsidio (….).16 Sie regiert also, immer auf Gott ausgerichtet, im Einklang mit dem Willen Gottes, und wird daher von Gott belehrt und unterstützt. Auf diese Weise, meint die selbst- bewusste schreibende Stiftsdame, legt sie die Basis für den Frieden, auf die künftige Könige aufbauen können, um den Gipfel des Friedens zu erreichen. Dazu müssen sie aber die gleichen Mühen auf sich nehmen wie Mathilde, d. h. so regieren wie sie, im Einklang mit Gott: (…) ponendo construxerit, eoque usque struere non destiterit, quo non laborando, sed eius laboribus subintrando, succedentes postmodum reges tanto facilius summa eiusdem pacis attingerent, quanto ipsa imis primitus construendis vigilantius insudasset.17
Die Äbtissin Mathilde wird hier klar als Vorbild für nachfolgende Könige dargestellt. Diese haben von ihr zu lernen, dass der Friede eines christlichen Rei- ches nur im Einklang mit Gott zu erreichen ist. Diesen Einklang wiederum erreicht man nur durch Frömmigkeit und nicht durch kriegerische Aktionen, die ja auch Christus abgelehnt hat. Der erste, der von ihr zu lernen hatte, war mit Sicherheit Heinrich II., der im Bündnis mit den heidnischen Liutizen, militä- risch gegen den christlichen Herzog Boleslaw Chroby vorging. Er erntete dafür heftige und deutlich ausgesprochene Kritik von Brun von Querfurt.18 Die Quedlinburger Annalistin versteckt ihre Kritik dagegen im Lob der Herrschaft der Äbtissin. Deren Vorgehensweise entspricht der ihres Neffen Otto III., der Boleslaw als christlichen Bruder und Freund behandelt hatte.19 Allerdings dient ihr nicht Otto III. als Beispiel für die Darstellung der richtigen christlichen Herrschaft, was naheliegend gewesen wäre, sondern die Äbtissin von Quedlin- burg, die nur kurz für Otto III. die Herrschaft führte. Dies lässt vermuten, dass
15 Alfons Fürst, Christliche Friedensethik von Augustinus bis Gregor dem Großen – Religion, Politik und Krieg am Ende der Antike. In: Gerhard Beestermöller (Hg.), Friedensethik im frühen Mittelalter. Theologie zwischen Kritik und Legitimation von Gewalt (=Studien zur Friedensethik 46) Münster 2014, 19-52.
16 AQu 501, Z. 10; GdV 36, 18: „(…) durch beständiges, ausdauerndes Wachen, Beten und Fasten, immer auf Gott gerichtet, durch seine Hilfe belehrt und gestärkt (…).“
17 AQu 501; GdV 36, 18: „(…) dass sie zu dem Frieden (…) die ersten Grundlagen legte und auf diesen aufbaute und nicht abließ soweit zu bauen, dass die später folgenden Könige, nicht durch Mühen, sondern durch den Eintritt in ihre Mühen, den Gipfel des Friedens, umso leichter erreichen vermöchten, je wachsamer sie selbst gearbeitet, als sie den Grund baute.“
18 Zur Ostpolitik Heinrichs II. vgl. Stefan Weinfurter, Heinrich II. Herrscher am Ende der Zei- ten. Regensburg 1999, 206-211.
19 Zur Polenpolitik Ottos III. vgl. Gerd Althoff, Otto III. Darmstadt 1997, 136-147. 8

sie ihr Stift in den Mittelpunkt stellen wollte, sozusagen als Hort der richtigen christlichen Lebensweise und die Stiftsdamen, vertreten durch ihre Äbtissin als Hüterinnen dieser Wahrheit. Wollte sie darüber hinaus auch die Eignung von Frauen zur Herrschaft beweisen?
Diese Herrschaftsauffassung, die den Kampf ablehnt und klösterliche Tugenden an seine Stelle setzt, mag auf den ersten Blick verwundern, erweist sich aber bei näherem Hinsehen als konsequent zu Ende gedachte Herrschafts- ideologie dieser Zeit, die jede Herrschaft als von Gott verliehen verstand, als Ausfluss seiner Gnade. Der von Gott erwählte Herrscher war daher Gott ver- pflichtet, hatte seine Gebote zu erfüllen und durch Frömmigkeit dessen Gnade immer wieder neu zu erwerben. Er hatte den Willen Gottes auf Erden durch- zusetzen und war als gesalbter König sogar mit priesterlichen Würden verse- hen.20 Sollte ein König daher nicht auch in der Nachfolge Christi leben und sich seinen Lebenswandel als Vorbild nehmen? Dies hieß aber auf kriegerische Handlungen selbst gegenüber Feinden zu verzichten. Man sah damals Gott auch als Lenker der Geschichte, der alle Menschen, auch Könige belohnt oder be- straft. Daher war es möglich zu glauben, dass Gott einen König, der seine Taten nur auf ihn ausrichtet, mit Erfolg, d. h. mit Frieden belohnt. Dann ist es nicht mehr notwendig zu kämpfen, das zeigt das Beispiel der Äbtissin Mathilde. Sie hat also die höchste Form christlicher Herrschaft gewählt und damit die Grundlage für ein christliches Reich geschaffen. Sie hat damit ihren Vater und Großvater noch übertroffen, deren Herrschaft wird zwar gewürdigt, aber nicht als Grundlage für den Frieden der Christenheit. Hier ist – nach meiner Meinung – Kritik an kriegerischer, männlicher Machtausübung verborgen, sie deutlicher auszusprechen wäre dem Ansehen der Familie wohl nicht tunlich gewesen, und für eine Frau vielleicht etwas zu gewagt, obwohl die Begründung für diese Kritik die Lehre Christi, das Neue Testament, gab.
In der Realität des 10. Jahrhunderts ist es schwer vorstellbar, dass ein König auf kriegerische Aktionen völlig verzichtete. Nur Geistliche, und unter ihnen vermutlich auch nur Mönche, konnten sich gänzlich dem Beten, Fasten und Wachen widmen. Deshalb unterschied sich das Leben weltlicher Männer grundsätzlich von dem waffenloser geistlicher Männer.21 Anders war dies bei den ebenfalls waffenlosen Frauen. Das Leben der Äbtissin Mathilde von Qued- linburg unterschied sich nach Aussage der Geschichtsschreibung – und hier wieder besonders der in den Damenstiften verfassten Werke – nicht wesentlich
20 Franz-Reiner Erkens, Herrschersakralität im Mittelalter. Von den Anfängen bis zum Inves- titurstreit. Stuttgart 2006, bes. 157-189; Monika Suchan, Der gute Hirte. Religion, Macht und Herrschaft in der Politik der Karolinger- und Ottonenzeit. In: Frühmittelalterliche Stu- dien 43 (2009) 95-112; Hagen Keller, Das neue Bild des Herrschers. Zum Wandel der „Herrschaftsrepräsentation“ im Zeitalter Ottos I. In: Bernd Schneidmüller und Stefan Wein- furter (Hg.), Ottonische Neuanfänge. Mainz 2001, 189-212.
21 Käthe Sonnleitner, Geschlechtsidentitäten und Gewalt im Frühmittelalter. Am Beispiel der Geschichtsschreibung Gregors von Tours. In: Barbara Hey (Hg.), Krieg: Geschlecht und Gewalt (= Grazer Gender Studies 5) 1999, 96-119.
9
von dem der weltlichen Frauen der ottonischen Familie. Als Beispiel der Beschreibung und Würdigung einer weltlichen Frau kann die Vita Mathildis22 herangezogen werden. Als Entstehungsort gilt in der Literatur mehrheitlich das Damenstift Nordhausen, das wie Quedlinburg eine Stiftung der ersten otto- nischen Königin war.23 Sie wollte damit den glücklichen Ausgang des Rom- zuges ihres Sohnes Otto I. 961 sichern, der zur Kaiserkrönung führte. Als Ent- stehungszeit nimmt Schütte die Jahre kurz nach dem Tod Ottos I. an, der Widmungsträger war daher Otto II., dem die Sorge für die noch junge Stiftung aufgetragen wurde.24 Die Verfasserschaft einer Frau wurde mehrfach vermutet, man hat auch an die erste Äbtissin Ricburg gedacht. Mit Sicherheit beweisen lässt sie sich, wie auch bei den Quedlinburger Annalen, nicht, doch zeigen beide Werke insofern Ähnlichkeit, als sie einen Schwerpunkt auf die Geschichte der ottonischen Frauen legen und Geschichte aus weiblicher Perspektive der Damenstifte beschreiben.
Die Vita Mathildis ist eine Würdigung des Lebens der Königin Mathilde, der Gattin Heinrichs I., und zugleich ein lehrhaftes Exemplum für ein christliches Leben einer Königin. Mathilde wird gerühmt, weil sie sich nicht durch ihre hohe Stellung zur Hoffart verführen ließ, sondern vielmehr sich stets dem Dienste Gottes unterwarf. Subdita semper deo (…).25 Sie betete und wachte nächtelang, vor allem dann, wenn der König nicht anwesend war. Was sie vom Leben der Sanktimonialen und ihrer Enkelin, der Äbtissin, unterscheidet, ist, dass sie zusätzlich die Forderungen der Kirche nach einer keuschen Ehe zu erfüllen hat, in der die Sexualität, der Lehre des Augustinus folgend, nur zur Zeugung dient und keinesfalls dem Lustgewinn.26 Sie floh also zur Nachtzeit aus dem Ehebett in die Kirche, um dort zu beten. (…) plus participata Christo quam
22 Bernd Schütte (Hg.), Vita Mathildis reginae antiquior, Vita Mathildis reginae posterior, MGH SSrG 66, 1994 (fortan: Vita Mathildis).
23 Bernd Schütte, Einleitung zu Vita Mathildis 10; als Entstehungsort wurde auch Quedlin- burg angenommen, dieses Stift steht aber nicht so sehr im Blickpunkt der Erzählung wie Nordhausen. Ob Nordhausen ein kulturelles Zentrum war, vergleichbar mit Gandersheim und Quedlinburg, ist nicht untersucht. Zur Auseinandersetzung um den Entstehungsort vgl. Bernd Schütte, Untersuchungen zu den Lebensbeschreibungen der Königin Mathilde, (MGH Studien und Texte 9) Hannover 1994, 70-75; Gerd Althoff, Causa scribendi. Die Lebensbeschreibungen der Königin Mathilde und andere Beispiel. In: Litterae Medii Aevi. Festschrift Johanne Autenrieth, hg. v. Michael Borgolte u. a. Sigmaringen 1988, 117-133.
24 Bernd Schütte, Einleitung zu: Vita Mathildis, 10; zur Gründung vgl. auch Arno Wand, Das Reichsstift „Zum Heiligen Kreuz“ in Nordhausen und seine Bedeutung für die Reichsstadt 961–1810. Heiligenstadt 2006, 36-46.
25 Vita Mathildis 118.
26 Gabriela Signori, Von der Paradiesehe zur Gütergemeinschaft. Die Ehe in der mittelalter-
lichen Lebens- und Vorstellungswelt (= Geschichte und Geschlechter 60) Frankfurt/Main 2011, 13-18; Arnold Angenendt, Geschichte der Religiosität im Mittelalter. Darmstadt 1997, 381-83; Rüdiger Schnell, Sexualität und Emotionalität in der vormodernen Ehe. Köln,Weimar und Wien 2002, 97-104. Kari Elisabeth Börensen, Die anthropologischen Grundlagen der Beziehung zwischen Mann und Frau in der klassischen Theologie. In: Concilium 12 (1976) 10-116.
10
sociata coniugio, nocturno autem tempore regi se aliquo modo occulte subripiens ecclesiam orationibus instando magis sponsi diligebat thalamo.27 Sie hob damit, ganz im Sinne der Kirche, die Ehe über eine weltliche, sexuelle Verbindung empor und gab ihr sakrale Würde.28
Im Anschluss an das Lob für das vorbildliche Verhalten in der Ehe berichtet die Vita Mathildis über die Kinder der Königin: Natorum quoque nec praetereunda sublimitas, qui utriusque sexus omnes sublimati summo de- corantur honore.29 So entsteht der Eindruck, dass diese der Lohn waren für die keusche Ehe, die selbstverständlich die Ehepflichten und das Gebären von Kindern mit einbezieht, nur die Lust daran ausschließt. Mathildes Kinder sind alle, gleich welchen Geschlechts, durch besondere Vorzüge gekennzeichnet, was heißt, dass sie zur Herrschaft und zu den höchsten geistlichen Würden geeignet sind. Solche Kinder sind für eine Familie, die mit Hilfe der Gnade Gottes nach dem erblichen Königtum und Kaisertum strebt, notwendig. Um sie zu gewinnen, braucht es demnach eine Königin, der Gottes Gnade als Lohn für ihre Frömmig- keit solche Kinder schenkt. Dies erscheint als Aufwertung des Anteils der Frau an der Fortpflanzung, wurde doch die zeugende Potenz damals dem Manne zugeschrieben und der Herrscher über diese definiert.30 Dies erklärt auch, warum ein König des 10. Jahrhunderts nicht für die Erfüllung einer keuschen Ehe verantwortlich gemacht werden konnte.
Die sakrale Ehe verstärkte mit Sicherheit die sakrale Würde, die das Königtum durch die kirchliche Salbung erstmals 751 erhielt. Die höchste sakrale Würde, die ein König erreichen konnte, war die Salbung durch den Papst anlässlich der Kaiserkrönung. Die Ottonen, im 10. Jahrhundert die neue, nicht durch karolingische Verwandtschaft gesicherte Macht im ostfränkisch/deutschen Reich, mussten ihre göttliche Auserwählung zur Herrschaft durch christliche Rituale und Zeichen repräsentieren. Mit Ausnahme von Heinrich I. ließen sich alle – auch ihre Ehefrauen – durch kirchliche Salbung und Krönung in ihrer Herrschaft festigen. Warum Heinrich I. dies nicht tat, soll hier nicht erörtert
27 Vita Mathildis 119; übersetzt nach: Philipp Jaffé, Das Leben der Königin Mathilde, (= Ge- schichtsschreiber der deutschen Vorzeit, Bd. 31) (abgekürzt: GdV 31) Leipzig 1891, 9: „(…) mehr Christus verbunden als dem Ehegatten, entfernte sie sich zur Nachtzeit heimlich vom König und bewies durch eifriges Beten mehr Liebe zur Kirche als zu des Gatten Lager.“
28 Wendelin Knoch, Ehe. In: Lexikon des Mittelalter, Bd. 3, 1984-86, Sp. 1616-1618.
29 Vita Mathildis 118; GdV 31, 10: „Auch der Größe ihrer Kinder dürfen wir nicht vergessen, die gleich welchen Geschlechtes, durch größte Erhabenheit und Ehre ausgezeichnet waren“.
30 Bea Lundt, Der Mythos vom Kaiser Karl. Die narrative Konstruktion europäischer Männ- lichkeit im Spätmittelalter am Beispiel von Karl dem Großen. In: Martin Dinges (Hg.), Männer – Macht – Körper. Hegemoniale Männlichkeiten vom Mittelalter bis heute (= Ge- schichte und Geschlechter 49) Frankfurt/Main und New York 2005, 37-51, bes. 38-39; Die Diskussion über die Bedeutung männlicher Potenz für Herrscher ging aus von Ernst H. Kantorowicz, Die zwei Körper des Königs. Eine Studie zur politischen Theologie des
Mittelalters. München 1990.
11
werden.31 Die besondere christliche Frömmigkeit und Würde, welche die Vita Mathildis seiner Königin zuschreibt, mag die sakrale Würde, die seinem König- tum mangelte, zumindest etwas ausgeglichen haben.
Die Art der Darstellung einer christlichen Königin ist keine Neuschöpfung der ottonischen Geschichtsschreibung. Schon Radegunde, thüringische Königs- tochter und fränkische Königin des 6. Jahrhunderts, wurde in ähnlicher Weise beschrieben. Sie führte nicht nur eine keusche Ehe, indem sie aus dem Ehebett in die Kirche floh, sondern lebte wie Mathilde außerdem alle christlichen Tugen- den der Nächstenliebe und Barmherzigkeit32. Es gab also schon eine Erzähl- tradition. Da alle Königinnen des 10. und der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts in ähnlicher Weise geschildert werden, als vorbildlich in der Verwirklichung christlicher Tugenden, spricht die Forschung zu Recht vom Typ der heiligen Königin.33
Wirklich bewerten kann man den Typ der heiligen Königin erst, wenn man ihn mit der männlichen Charakterisierung des Königs vergleicht. Auch dafür bietet die Vita Mathildis ein hervorragendes Beispiel, sie fügt nämlich anlässlich der Eheschließung Mathildes eine Würdigung Heinrichs I. ein: Er sei Herzog geworden, da er der waffentüchtigste unter den Sachsen war, und nachdem er die Herrschaft als König angetreten habe, sei er zu immer größerer Macht aufgestiegen und habe alle Reiche im Umkreis seiner Macht unterworfen. Die „Verfasserin“ der Vita stellt selbst die Frage, wie das möglich war. Quid mirum totiens inimicos superando tante adquisisse triumphum victorie, cum summo triumphatori regique celesti agens semper gratiarum actiones ecclesias multis reparari fecisset inpensis?34 Der kriegerische Erfolg wird ihm also von Gott verliehen, weil er seine kämpferische Kraft in den Dienst Gottes und der Kirche stellt. Die Vorstellung des augustinischen gerechten Krieges ist deutlich erkennbar. Sie erlaubte auch dem christlichen König, ein kraftvoller Krieger zu sein, ein waffentragender Mann, der alle seine Feinde besiegt. Daran wird keine Kritik geübt. Die kriegerischen Qualitäten des Königs, die letztlich aus heidni- scher Tradition herstammen, werden durch Tugenden der Freigebigkeit, Barm- herzigkeit und die Bereitschaft, die Wehrlosen zu schützen, gemildert. Trotzdem bleibt der Unterschied zu dem Leben eines Geistlichen und zum Leben einer frommen Königin sehr groß. Nur letztere konnte ein friedfertiges Leben in der
31 Johannes Fried, Die Königserhebung Heinrichs I. Erinnerung, Mündlichkeit und Traditions- bildung im 10. Jahrhundert. In: Michael Borgolte (Hg.), Mittelalterforschung nach der Wende 1989. München 1995, 267-318.
32 Susanne Wittern, Frauen, Heiligkeit und Macht. Lateinische Frauenviten aus dem 4. bis 7. Jahrhundert (= Ergebnisse der Frauenforschung 33) Weimar 1994, 89-91.
33 Patrick Corbet, Les saints ottoniens. Sainteté dynastique, sainteté royale et sainteté féminine autour de l’an Mil (= Beihefte der Francia 15) Sigmaringen 1986.
34 Vita Mathildis 117; GdV 31, 9: „Wie darf es indes befremden, dass er so oft seine Feinde besiegte, so siegesvoll Triumpfe erstritt, er, der dem höchsten Triumphator, dem himmli- schen König, jederzeit seine Dankbarkeit bezeigend, die Kirchen mit allem Aufwand wie- derherstellen ließ.“
12
Nachfolge Christi führen, während sich der weltliche Mann von frühester Jugend an im körperlichen Kampf bewehren musste.35
Mathilde hingegen verbringt ihre Jugend im Kloster Herford und lernt dort die nach den Lehren der Kirche höchste Form des frommen, christlichen Lebens kennen. Deshalb ist sie würdig für die Ehe mit dem zukünftigen König, an dessen Seite sie weiterhin diese erlernte Lebensweise pflegt und in die eheliche Gemeinschaft einbringt. Dies erhöht die Qualifizierung ihres Gatten für die Königswürde, deshalb wählt Heinrich sie zur Gattin und keine andere. In der Vita wird ihre Tugendhaftigkeit und Schönheit als einziger Grund dafür angeführt, politische Vorteile werden nicht erwähnt.36
Wie hoch der Wert der Frömmigkeit der Königin eingeschätzt wurde, zeigen wiederum die Quedlinburger Annalen. Sie behaupten anlässlich des Todes der Kaiserin Adelheid, der zweiten Gattin Ottos I. und Mutter der Äbtis- sin Mathilde, dass sie statum imperii terra marique sibi subacti una cum suo consorte, augusto scilicet magno et pacifico Ottone, non minus meritis moribus- que insignierat egregiis, quam ille viribus et triumphis consolidasset eximiis.37 Die Stiftsdame behauptet hier nicht weniger als eine Gleichwertung des männlichen und weiblichen Anteils an der Herrschaft, auch wenn die Rollen der Geschlechter sehr verschieden sind. Er sichert das Reich durch Kraft und Siege, sie kennzeichnet es durch ihre Tugenden und Verdienste, vielleicht sollte man sagen, verleiht ihm den wahren christlichen Glanz. Die Frömmigkeit der Königin und die Kampfkraft des Königs sind also gleich wichtig für den Bestand des Reiches, modern ausgedrückt, die Frömmigkeit der Königin ist „staats- tragend“.
Erstaunlich ist an dieser Stelle auch, dass zuerst die Frau genannt ist, während Frauen sonst über ihre Männer definiert werden. Hier wird stattdessen Otto consors, Gefährte seiner Frau, genannt. Dieser Titel wird in den Quellen sonst nur für die Königin oder Kaiserin gebraucht. Er taucht seit Adelheid, der zweiten Gemahlin Ottos I. sowohl in den Urkunden als auch in der Geschichts- schreibung auf.38
Besonders aussagekräftig ist wohl die Verwendung des Titels consors regni im ottonischen Krönungsordo, entstanden um 960. Es ist zu vermuten, dass er bei der Kaiserkrönung von Otto I. und Adelheid angewandt wurde.39 In
35 Sonnleitner, Geschlechtsidentitäten, bes. 101-108.
36 Vita Mathildis 114-116.
37 AQu 508; GdV 36, 22: „(…) den Bestand des ihr und ihrem Gefährten, dem erhabenen,
großen und friedbringenden Otto zu Lande und zur See unterworfenen Reiche durch ihre außerordentlichen Verdienste und Tugenden nicht weniger geprägt hat, als er es durch Kraft und herausragende Siege gefestigt hatte.“
38 Amalie Fößel, Imperatrix Augusta et imperii consors. Die Königin als Mitherrscherin im hochmittelalterlichen Reich. In: Matthias Puhle (Hg.), Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation. 962–1806. Von Otto dem Großen bis zum Ausgang des Mittelalters, Magdeburg 2006, 87-97; dies., Die Königin im mittelalterlichen Reich. Herrschaftsausübung, Herr- schaftsrechte, Handlungsspielräume. Stuttgart 2000, 56-66.
39 Zur Krönung von Königinnen und Kaiserinnen vgl. Fößel, Königin, 17-49. 13

der Benedictio wird Gott angefleht, dass er (…) ut sicut Esther reginam Israelis causa salutis von den Fesseln ihrer Gefangenschaft gelöst und zur Frau des Königs von Assyrien und Teilhaberin seiner Herrschaft gemacht habe – regnique sui consortium transire fecisti – auch die neue Königin segnen möge zum Heile des christlichen Volkes eine würdige Königin und Teilhaberin der Herrschaft zu werden. (…) christianae plebis gratia salutis ad dignam sublimemque regis nostri copulam regnique sui participium misericorditer transire concedes.40 Die biblische Königin Ester, die das Volk Israel rettete, steht also als erste consors regni am Beginn einer Tradition, die von den christlichen Königinnen und Kaiserinnen weitergeführt wird. Auf diesen Krönungsordo konnte sich das Selbstbewusstsein der Frauen beziehen, das uns aus der weiblichen Geschichts- schreibung der Damenstifte entgegentritt. Die aktive Teilhabe der Königin an der Herrschaft zum Schutz der Christenheit wurde darin ja mit biblischer Autorität gefordert. Zudem entsprach der Text, der im Einflussbereich des Erzbistums Mainz entstand,41 den Intentionen der Kirche und sicher auch der männlichen Herrschaftsträger. Auch wenn sich nicht nachweisen lässt, ob der Text des Ordo als solcher in den Damenstiften bekannt war, so ist doch anzunehmen, dass sein Inhalt Teil der Herrschaftsauffassung der ottonischen Familie und ihrer kulturellen Zentren war.
Der Krönungsordo stellt an die Königin auch die Forderung, eine keusche Ehe zu führen, denn dort heißt es, Gott möge ihr auch helfen, ut in regalis foed- ere coniugii semper manens pudica proximam virginitati palmam continere queat (…).42 Eine vergleichbare Forderung wird an den König nicht gestellt, was bestätigt, dass die keusche Ehe in der Verantwortung der Frau lag.
40 Ordo für die Krönung der Königin, im Ottonischen Pontifikale auch für die Kaiserin be- stimmt. In: MGH Fontes iuris Germanici antiqui IX, hg. v. Reinhard Elze. Hannover 1960, 6 ff. (abgekürzt: Ordo). Übersetzung in: Peter Ketsch, Frauen im Mittelalter Bd. 2 (= Geschichtsdidaktik Studien Materialien 19) Düsseldorf 1984, 383-384: „(…) dass Du, wie Du einst die Königin Esther zum Heile Israels von den Fesseln ihrer Knechtschaft gelöst und sie zur Frau des Königs von Assyrien und zur Teilhaberin der Herrschaft im Reich gemacht hast, gnädigst gestattest, dass diese, deine Magd N. (…) zum Heile des christ- lichen Volkes die würdige und erhabene Gattin unseres Königs und zur Teilhaberin der Herrschaft im Reich werde (…).“
41 Reinhard Elze, Einleitung zu Ordo X.
42 Ordo 9; Ketsch 383: „dass sie im königlichen Ehebündnis stets keusch zu bleiben vermag,
der Palme der Jungfräulichkeit am nächsten zu kommen (…).“ 14
Abb. 1: Elfenbeintafel, Paris, um 982: Christus verleiht die Herrschaft an Otto II. und Theophanu (wikimedia commons)
Der Krönungsordo, ebenso wie die vielfältige Verwendung des consors Titels beweisen, dass die Königin auch in der Männerwelt Achtung genoss, dass sie als notwendige Gefährtin gesehen wurde. Die Forschung hat den tatsäch- lichen, großen Anteil an der Regierung nachgewiesen.43 Besonders Otto III. zeigte durch die Bestellung der Äbtissin Mathilde zur Regentin sowie dadurch, dass er sich von seinen Schwestern Sophie und Adelheid, beide Äbtissinnen, auf
43 Dazu Fößel, Königin, bes. 373- 388, dies., Adelheid. In: Amalie Fößel (Hg.), Die Kaiserin- nen des Mittelalters. Regensburg 2011, 35-59.
15
seinen Romreisen begleiten ließ, seine Achtung vor den Frauen.44 Er bewies da- mit aber auch, dass er als unverheirateter König/Kaiser, den weiblichen Teil der Herrschaft mit Frauen der Familie besetzen wollte. Dass Frauen sich in der Regierung bewährten, hatte er selbst erfahren, schließlich hatten seine Mutter Theophanu und seine Großmutter Adelheid während seiner Unmündigkeit seine Herrschaftsrechte gesichert. Bildliche Darstellungen unterstreichen die Vorstel- lung der Teilhabe der Königin an der Herrschaft, ja der gemeinsamen Herrschaft (Abb. 1).
Auch die männliche Geschichtsschreibung erweist den Frauen Respekt, obwohl sie bei weitem nicht so ausführlich über die königlichen Frauen berichtet, wie dies die „weibliche“ Geschichtsschreibung in den Damenstiften tut. Aber sie spricht voll Achtung von ihnen und es finden sich nur wenige Anspielungen auf die Herabwürdigung der Frau durch die Kirchenväter.45 Besonders nennen möchte ich Widukind von Corvey, der seine Sachsen- geschichte 967/68 der Äbtissin Mathilde von Quedlinburg widmet, und jedem der drei Bücher eine Verherrlichung dieser Frau voranstellt.46 Flore virginali cum maiestate imperiali ac sapientia singulari fulgenti domina (…) Widukindus, totius servitutis devotissimum famulatum veramque in salvatore salutem.47 Aus der Feder Widukinds klingt die Hoffnung, sein Werk möge die Huld der Äbtissin finden, erstaunlich. Warum hat er, der sonst eine kämpferische Männ- lichkeit bewundert und mit Vorliebe Schlachten beschreibt, seine Sachsenge- schichte nicht dem Kaiser gewidmet?48 Warum hofft er im Widmungsschreiben zum zweiten Buch, dass sein Werk Gnade finden möge vor Mathilde, quae domina esse dinosceris iure totius Europae?49 War die Äbtissin von Quedlin- burg das geistliche Oberhaupt der Familie, das Stift Quedlinburg der Ort, an dem durch Gebete und geistliche Übungen die für den Fortbestand der Herrschaft
44 Otto Perst, Die Kaisertochter Sophie, Äbtissin von Gandersheim und Essen. In: Braun- schweigisches Jahrbuch 38 (1957) 5-46.
45 Eine Ausnahme bildet die Äbtissin Sophie von Gandersheim, Schwester Ottos III., die we- gen ihres Streites mit dem Bischof von Hildesheim in dessen Vita sehr negativ beschrieben wird. Vgl. Käthe Sonnleitner, Sophie von Gandersheim (975–1039). Ein Opfer der „männlichen“ Geschichtsschreibung? In: Geschichtsschreibung in Graz. Festschrift zum 125-Jahr-Jubiläum des Instituts für Geschichte der Karl-Franzens-Universität Graz, hg. v. Herwig Ebner u. a. Graz 1990, 371-379.
46 Zur reichen Literatur über Widukind von Corvey vgl. Johannes Laudage, Widukind von Corvey und die deutsche Geschichtswissenschaft. In: ders. (Hg.), Fakten und Fiktionen. Mittelalterliche Geschichtsdarstellungen und ihre kritische Aufarbeitung, Köln und Wien 2003, 193-224.
47 Widukindi res gestae Saxonicae, hg. v. Albert Bauer und Reinhold Rau. In: Quellen zur Geschichte der sächsischen Kaiserzeit (=AusgQu 8) Darmstadt 21977, 12-183 (abgekürzt: Widukind); hier 16: „Der durch jungfräuliche Blüte wie durch kaiserliche Hoheit und einzigartige Weisheit strahlenden Frau Mathilde entbietet Widukind (…) in ganzer Untertänigkeit ergebenste Dienstbarkeit und wahren Gruß im Erlöser.“
48 Der Grund dafür wird wohl unklar bleiben, vgl. dazu und zur Diskussion in der Literatur Giese, Einleitung 242.
49 Widukind 83: „(…) die du mit Recht als Gebieterin von ganz Europa anerkannt wirst.“ 16

nötige göttliche Gnade gesichert wurde? Das Widmungsschreiben zum dritten Buch scheint dies zu bestätigen. Hier spricht Widukind davon, dass die Kaiser- würde, die das Steuer ist für Gerechtigkeit und richtiges Handeln, der Welt Mathilde als hellsten Glanz und strahlenden Edelstein geschenkt habe: te ut serenissimum splendorem gemmaque lucidissimam mundo effudit, unum iustitiae moderamen est normaque rectitudinis.50 Inhalt und Stil dieser Widmungs- schreiben heben sich ab vom eigentlichen Werk Widukinds, hat er sich beeinflussen lassen vom Geist, der in Quedlinburg herrschte? In den Annalen des Stiftes, die aber von Widukind nicht beeinflusst wurden,51 wird Mathilde ebenfalls als gemma verherrlicht, erstmals 955 anlässlich ihrer Geburt: gemma perlucida e medio coronae imperialis.52 Was immer mit diesem Ehrentitel im speziellen gemeint war, er beweist, dass es eine besondere Wertung der Äbtissin gab, die sich in beiden Werken niedergeschlagen hat und wohl darüber hinaus Geltung hatte.
Ich wende mich nun der einzigen Dichterin und Geschichtsschreiberin zu, die namentlich bekannt ist, Hrotsvit von Gandersheim. Ihr Werk enthüllt in besonderer Weise die Achtung vor den Frauen der Herrscherfamilie, aber vor allem, wie diese selbst ihre Bedeutung einschätzten. Hrotsvit hinterließ eine Gründungsgeschichte Gandersheims, des ältesten Familienstiftes, errichtet von Herzog Liudolf und seiner Frau Oda, verfasst wohl vor 973.53 Darin überliefert Hrotsvit auch die Abstammungsgeschichte der Liudolfinger. Das Erstaunliche ist, dass am Beginn der Familiengeschichte die weibliche Linie wichtiger ist. Die Eltern des Liudolf verschweigt Hrotsvit, nennt aber die der Oda, nämlich einen Billung aus vornehmem Geschlecht und Aeda, die sie als Stammmutter zeichnet. Sie war von so hoher Frömmigkeit, dass sie häufig die Nächte im Ge- bet vor dem Altar verbrachte und sich völlig Gott unterwarf. Auch sie führte also eine keusche Ehe und war damit die erste in der Reihe der liudolfingisch/ ottonischen heiligen Königinnen, wiewohl sie selbst nicht zur Königin geweiht wurde. Aber sie empfing als Lohn eine Verheißung Johannes des Täufers, dass ihr Geschlecht die erbliche Kaiserwürde gewinnen würde: Promeruit, bene promissis edocta supernis,/Discere, baptista Christi referente beato,/Quod sua progenies saeculis quandoque futuris/Possesura foret iuris decus imperialis54.
50 Widukind 124: „(…) die Kaiserwürde, die dich der Welt als hellsten Glanz und strahlenden Edelstein geschenkt hat, das einzige Steuer der Gerechtigkeit und Vorbild richtigen Han- delns.“
51 Giese, Einleitung 242.
52 QuA 468, 476, 482, 499. Gemma wird ansonsten auch für die Äbtissin Mathilde von Essen,
die Tochter Liudolfs von Schwaben und für den Bischof Hildeward v. Halberstadt verwen-
det: AQu 531, 490.
53 Käthe Sonnleitner, Die Gründungslegende von Gandersheim. In: Jahrbuch des italienisch-
deutschen historischen Instituts in Trient 26 (2000), 427-435.
54 Primordia Gandersheimensis. In: Hrotsvitae Opera, ed. Paulus de Winterfeld, MGSSrG 34.
München 1965, 229-246, hier 230 (abgekürzt: Primordia); Übersetzung: Hrotsvitha von Gandersheim. Werke in deutscher Übertragung v. H. Homeyer. München 1973, 311: Für ihre öfter durch fromme Taten bewährte Gesinnung ward sie belohnt, denn Großes verhieß
17
Es ist also die Frömmigkeit einer Frau, der die Ottonen ihren Aufstieg zur Kaiserwürde verdanken. Höher kann die Bedeutung der weiblichen Rolle nicht eingeschätzt werden.
Auch Hrotsvit kannte die Lehre von der Schwäche der Frau, veränderte sie aber ins Positive.55 Sie lässt Aeda vor dem Anblick des Johannes in gewalti- gem Schrecken betäubt zu Boden sinken, more muliebris. Daraufhin tröstet Johannes sie: Fürchte dich nicht: Ne trepidas, nec perturbata pavescas;/Sed cognosce, gravis pulso terrore timoris,/Quis sim: magna tibi portans solamina, veni./Nam sum Iohannes, liquidis qui tinguere lymphis/ Christum( …).56 Es ist fast überflüssig, darauf hinzuweisen, dass diese Szene an die Verkündigung Mariens erinnert. Die weibliche Schwäche und Demut ist notwendiger Bestand- teil der Auserwählung, im Falle Marias für die Erlösung der Menschen durch die Geburt ihres Sohnes. Aedas Nachkommen hingegen werden ein Kloster grün- den, nämlich Gandersheim pacem regnique triumphum,57 und dieser Friede wird so lange dauern, wie die Jungfrauen in Gandersheim beten werden. Das heißt, ohne die Frömmigkeit der Frauen gäbe es kein ottonisches Kaisertum, keinen Frieden im christlichen Reich, was ja letztendlich verantwortlich ist dafür, dass das Erlösungswerk Christi in dieser Welt, in der civitas terrena, seine Wirk- samkeit entfalten kann.
Ich komme zur eingangs gestellten Frage zurück, ob die Herrschaft von Frauen der christlichen Lehre näher ist als die der Männer. Ich denke, die Stifts- damen von Quedlinburg hätten diese Frage mit Ja beantwortet. Die Annalen rühmen Mathildes Herrschaft als die vollendete Form christlichen Regierens. Diese wächst heraus aus dem Anteil, den alle Frauen der Familie, weltliche wie geistliche, beständig zum Bestand der Herrschaft der Männer beitragen: Siche- rung der Gnade Gottes durch Frömmigkeit und demütige Unterwerfung unter seinen Willen. Mathilde, die allein regiert, verlässt sich in ihrer Herrschaft nur auf diese Form des Regierens. In absolutem Gottvertrauen verzichtet sie auf den männlichen, kriegerischen Part der Herrschaft und das ist doch wohl eine Herausforderung männlicher Vorherrschaft.
Die Geschichtsschreibung in den Damenstiften Quedlinburg, Ganders- heim und vielleicht auch Nordhausen lässt die Absicht erkennen, die Würde und
ihr der Himmel, als er den Täufer Christi ihr sandte, den hehren Johannes, der sie über die Zukunft belehrte, in der ihre Nahfahren einstmals empfangen würden des Römischen Kai- sers Würden.
55 Hrotsvit hebt auch in ihren Dramen und Legenden die im Vergleich zu den Männern größere Frömmigkeit und Tugendhaftigkeit der Frauen hervor: vgl. Maria-Milagros Rivera Garretas, Orte und Worte von Frauen, übersetzt v. Barbara Hinger (= Reihe Frauenfor- schung 23) Wien 1993, bes. 86 ff.
56 Primordia 230 f.; Homeyer 312: Er aber sprach, die Zitternde freundlich ermunternd: „Fürchte dich nicht! Verharre nicht länger in Angst und Verwirrung – und erkenne, nach- dem du dein banges Entsetzen bekämpft hast, mich als den, der ich bin: ich bringe dir tröstliche Botschaft. Ich bin Johannes, der einstmals für würdig befunden, Christus im Flusse zu taufen“.
57 Primordia 231.
18
Bedeutung der geistlichen wie weltlichen Frauen der kaiserlichen Familie zu überliefern. Die Damenstifte waren die Orte, an denen das Wissen um den Wert der Frauen im sakralen Königtum gepflegt wurde. Deshalb haben die gelehrten Frauen, von denen uns leider nur Hrotsvit namentlich bekannt ist, gegen die Ab- wertung der Frau, gegen die ihr von den Theologen verordnete moralische Schwäche angeschrieben, in vorsichtiger aber doch recht selbstbewusster Weise.
19

/* function WSArticle_content_before() { $t_abstract_german = get_field( 'abstract' ); $t_abstract_english = get_field( 'abstract_english' ); $wsa_language = WSA_get_language(); if ( $wsa_language == "de" ) { if ( $t_abstract_german ) { $t_abstract1 = '

' . WSA_translate_string( 'Abstract' ) . '

' . $t_abstract_german; } if ( $t_abstract_english ) { $t_abstract2 = '

' . WSA_translate_string( 'Abstract (englisch)' ) . '

' . $t_abstract_english; } } else { if ( $t_abstract_english ) { $t_abstract1 = '

' . WSA_translate_string( 'Abstract' ) . '

' . $t_abstract_english; } if ( $t_abstract_german ) { $t_abstract2 = '

' . WSA_translate_string( 'Abstract (deutsch)' ) . '

' . $t_abstract_german; } } $beforecontent = ''; echo $beforecontent; } ?> */