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„Raum-Ordnungen“
Raumfunktionen und Ausstattungsmuster
auf Adelssitzen im 14.-16. Jahrhundert
Ein Forschungsprojekt am ‚Institut für Realienkunde’
der Österreichischen Akademie der Wissenschaften
Thomas Kühtreiber (Krems/Donau)
1 Allgemeine Problemstellung, Zielsetzung
1.1 Zum Raumdiskurs in der Geschichtsforschung
Die Beschäftigung mit der Verortung historischer Prozesse gewann in den letzten
Jahren mit der steigenden Bedeutung der Frage nach individuellen wie auch
sozialen Identitäten an Intensität. Als Auslösefaktoren der „diskursiven Explosion“
um den Begriff Identität gelten Individualisierung, Demokratisierung und
Globalisierung und die damit verbundenen Phänomene, wie etwa Zunahme der
sozialen Institutionen und Felder, denen sich Individuen zugehörig fühlen, und
Migration1.
Zwei kulturhistorische Forschungsstränge lassen sich dabei unterscheiden:
jene der „Memoria“-Forschung zuordenbare Forschungsnetzwerke zu „Gedächtnisorten“
und „Gedächtnisräumen“2, sowie jene, welche die soziale Praxis
von Individuen und Gemeinschaften in konkreten (Handlungs-)Räumen in den
Fokus ihrer Betrachtungen stellen3. In letztere Tradition sind Zugänge der Um-
1 Eva Kimminich (Hg.), Kulturelle Identität: Konstruktionen und Krisen. Frankfurt/Main u. a.
2003; Karin Hanika (Hg.), Kulturelle Globalisierung und regionale Identität: Beiträge zum
kulturpolitischen Diskurs. Dokumentation des Kulturpolitischen Kongresses vom 5. bis 7.
September 2002 in Ludwigsburg. Essen 2004.
2 Vgl. u.a. Aleida Assmann, Erinnerungsräume. Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses.
München 1999; Moritz Csáky und Peter Stachel (Hg.), Die Verortung von Gedächtnis.
Wien 2001; siehe auch Moritz Csáky, Die Mehrdeutigkeit von Gedächtnis und
Erinnerung. Ein kritischer Beitrag zur historischen Gedächtnisforschung =
http://epub.ub.uni-muenchen.de/archive/00000603/01/csaky-gedaechtnis.pdf (letzter Zugriff
31.10.2007).
3 Vgl. u.a. Peter Morawa (Hg.), Raumerfahrung und Raumbewusstsein im späteren Mittelalter
(Vorträge und Forschungen 49) Stuttgart 2002; Hubert Mücke, Historische Geographie
als lebensweltliche Umweltanalyse. Frankfurt/Main 1988; Elisabeth Vavra (Hg.), Virtuelle
60
weltgeschichte, der historischen Geographie, der Mikrogeschichte u. a. m. einzuordnen.
All diesen Forschungsansätzen ist gemeinsam, dass sie die Gestaltung von
Raum als zentralen Akt menschlichen Handelns wahrnehmen und erforschen.
Im Zentrum dieses Prozesses steht – zumindest aus Sicht der Umweltgeschichte
– der Mensch in Interaktion mit der Umwelt, wobei der menschliche Körper die
Basis für Raumwahrnehmung darstellt4. Im Zentrum der Überlegungen steht
somit immer der Mensch als handelndes Subjekt. Er gestaltet Raum und erfüllt
diesen mit Sinn, Handlungen und Symbolen. Dieser Raum wirkt dann wieder
auf das Bewusstsein und die Lebensrealität der Menschen. Raum als gebaute
Architektur wird gesellschaftlich produziert und bedingt gleichzeitig soziale
Prozesse5. Soziale Strukturen spiegeln sich daher einerseits in der Gestaltung
des Raumes, andererseits beeinflussen sie wiederum das soziale Gefüge.
Dies gilt insbesondere für jegliche Form von Architektur: „Jeder Bau und
vor allem jedes Wohnhaus ist ein Indikator wirtschaftlicher Verhältnisse, sozialer
Beziehungen und kultureller Leistungen einer Zeit, einer Gegend und einer
sozialen Schicht.“6 Das Wohnhaus dient in besonderem Maß als Funktions- und
Bedeutungsträger sozialer Strukturen, wobei in der Funktion „Wohnen“ Aspekte
der Intimität und der Öffnung gegenüber einer (eingeschränkten) Öffentlichkeit
wie in keinem anderen Bereich der Raumgestaltung unmittelbar aufeinander
treffen. Deshalb ist der Lebensbereich „Wohnen“ für die Fragestellungen nach
Raum und Identität besonders geeignet.
Festzuhalten ist, dass es in den Kulturwissenschaften keine kohärente
Definition des Begriffs „Wohnen“ gibt. Die Wohnsoziologie unterscheidet zwischen
primären Wohnbedürfnissen zur Aufrechterhaltung der biologischen
Funktionen, wie Hunger, Durst, Atmen, Schlaf und Regulierung der Wärme,
sowie kulturell-soziologischen Bedürfnissen, wie (psychische) Sicherheit, befriedigendes
Zusammenleben von Primärgruppen und soziale Anerkennung7.
Räume. Raumwahrnehmung und Raumvorstellung im Mittelalter (Akten des 10. Symposiums
des Mediävistenverbandes Krems 24.-26. März 2003) Berlin 2005.
4 Vgl. David Austin, Private and Public, in: Helmut Hundsbichler, Gerhard Jaritz und Thomas
Kühtreiber (Hg.), Die Vielfalt der Dinge. Neue Wege zur Analyse mittelalterlicher
Sachkultur (Forschungen des Instituts für Realienkunde des Mittelalters und der frühen
Neuzeit – Diskussionen und Materialien 3) Wien 1998, 170.
5 Ilaria Hoppe, Räume von und für Frauen? Die Gemächer der Maria Magdalena von Österreich
in der Villa Poggio Imperiale bei Florenz, in: Anne-Marie Bonnet und Barbara
Schellwald (Hg.), Frauen in der frühen Neuzeit. Lebensentwürfe in Kunst und Literatur
(Bonner Beiträge zur Kunstgeschichte 1) Köln,Weimar und Wien 2004, 213.
6 Konrad Bedal, Gefüge und Struktur. Zu Standort und Arbeitsweise volkskundlicher Hausforschung,
in: Zeitschrift für Volkskunde 72 (1976), 165.
7 Margret Tränkle, Wohnkultur und Wohnweisen (Untersuchungen des Ludwig-Uhland-Instituts
der Universität Tübingen im Auftrag der Tübinger Vereinigung für Volkskunde 32)
Tübingen 1972, 4 f.; Helmut Hundsbichler, Artikel „Wohnen“, in: Lexikon des Mittelalters
(CD-Rom-Ausgabe), Stuttgart und Weimar 2000, Sp. 292 ff.
61
1. 2 Ausstattung, Sachkultur und historische Lebensrealitäten
Das vorhin Ausgeführte gilt nicht nur für die Gestaltung des Wohngebäudes
selbst, sondern im gleichen Maße auch für dessen Ausgestaltung im Sinne von
Inneneinrichtung und dort verwahrten Gerätschaften: Denn zusätzlich zur Architektur
– d. h. über Bauplan und Raumstruktur hinaus – wird durch die
„Raum-Ausstattung“ im engsten Sinne des Wortes mit Artefakten aller Art den
Räumen Inhalt und somit Bedeutung verliehen. Umgekehrt ist es erst die
Gebrauchspraxis, die einer Sache Bedeutung verleiht, da sie diese in Zeit- und
Raumstrukturen einbettet8.
Die Gestaltung der Umwelt durch den Menschen mit Artefakten ist Ausgangspunkt
der Sachkulturforschung, wobei die vom Menschen gestalteten
„Dingwelten“ in einem Wechselwirkungsprozess wiederum auf ihn bzw. die sozialen
Lebensformen zurückwirken. Artefakte sind daher immer in zweifacher
Hinsicht charakterisierbar – als Teil der „Natur“ hinsichtlich ihrer Materialität
sowie als Teil der „Kultur“ in Bezug auf die Funktionen und Bedeutungen, die
ihnen durch Menschen zugeschrieben werden9. Die materielle Kultur, die in einer
Gesellschaft kursiert, übt daher nach ihrer Schaffung auch Einfluss auf die
Gesellschaft aus: „Artefakte als Bedeutungsträger und als Symbole beeinflussen
… aktiv menschliches Verhalten und menschliche Kultur“10, weshalb
Sachkulturforschung immer die „Mensch-Objekt-Beziehung“ in den Mittelpunkt
ihres Interesses rückt11.
Dinge führen „ein Leben in mehreren Gebrauchskontexten und in mehreren
Bedeutungsfeldern.“12 Die „Semantik der Dinge“13 ist daher nur über die
Erforschung der jeweiligen Quellenkontexte decodierbar, wobei Funktion und
Bedeutung zwei eng miteinander verflochtene Konzepte darstellen: Mit „Funk-
8 Matthias Wieser, Inmitten der Dinge. Zum Verhältnis von sozialen Praktiken und Artefakten,
in: Karl H. Hörning und Julia Reuter Julia (Hg.), Doing Culture. Neue Positionen zum
Verhältnis von Kultur und soziale Praxis. Bielefeld 2004, 97; Karl H. Hörning, Kulturelle
Kollissionen. Die Soziologie vor neuen Aufgaben, in: ders. und Rainer Winter (Hg.), Widerspenstige
Kulturen. Cultural Studies als Herausforderung. Frankfurt/Main 1999, 90 f.
9 Rolf Peter Rolf Peter, Kulturelle Evolution des Gesellschaft–Natur-Verhältnisses, in: Marina
Fischer-Kowalski u. a. (Hg.), Gesellschaftlicher Stoffwechsel und Kolonisierung der
Natur. Ein Versuch in Sozialer Ökologie. Amsterdam 1997, 37 ff.
10 Dietrich Hakelberg, Materielle Kultur: Zu Überlieferung und Interpretation. Realienforschung
und historische Quellen (Archäologische Mitteilungen aus Nordwestdeutschland,
Beiheft 15) Oldenburg 1996, 103.
11 Helmut Hundsbichler, Perspektiven für die Archäologie des Mittelalters im Rahmen einer
Alltagsgeschichte des Mittelalters, in: Jürg Tauber (Hg.), Methoden und Perspektiven der
Archäologie des Mittelalters. Tagungsberichte zum internationalen Kolloquium vom 27. bis
30. 9. 1989 in Liestal (Schweiz) (Archäologie und Museum 20) Liestal 1991, 90.
12 Gottfried Korff, Bemerkungen zur Dingbedeutsamkeit des Besens, in: Anzeiger des Germanischen
Nationalmuseums Nürnberg 1995, 33.
13 Wolfgang Brückner, Dingbedeutung und Materialwertigkeit. Das Problemfeld, in: Realität
und Bedeutung der Dinge im zeitlichen Wandel. Werkstoffe: Ihre Gestaltung und Funktion
in: Anzeiger des Germanischen Nationalmuseums Nürnberg 1995, 17.
62
tion“ ist der Gebrauch von Dingen bezeichnet, während „Bedeutung“ die ideelle
Konnotation der Objekte umfasst. Diese reicht von der funktionellen Idee – „mit
welchem Gegenstand kann ich das Problem X lösen, wie muss er geformt und
woraus muss er beschaffen sein?“ – bis hin zur symbolischen und/oder metaphorischen
Übertragung des Gebrauchs in eine durch Kommunikation hergestellte
Wirklichkeit. Insbesondere durch die Analyse fiktionaler Literatur der fraglichen
Zeitspanne kann es gelingen, sowohl Funktion als auch Bedeutung der Dinge zu
erschließen und das Spannungsfeld zwischen diesen beiden Aspekten sichtbar
zu machen.
Die Beschäftigung mit der Sachkultur einer bestimmten sozialen Gruppe –
in diesem Fall des mittelalterlichen Adels – ist darüber hinaus von Fragen der
Schaffung sozialer Identität durch kulturelle Praxis geprägt: Wie trägt der Umgang
mit bestimmten Dingen zur Schaffung und Stabilisierung elitärer Gruppen
bei, über welche materiellen Objekte wird eine Abgrenzung zu anderen sozialen
Gruppen versucht? Da es sich hierbei um Prozesse handelt, sind damit noch
weitere Fragen verbunden: Inwieweit konnten derartige Konzepte realisiert werden
(Fragen nach normativer Praxis) und lassen sich geographische und zeitliche
Verschiebungen in der Codierungspraxis elitärer Gesellschaften erkennen? Jeder
Gegenstand ist also von einem sozialen Kontext umgeben14.
Die Fragen, die im Rahmen dieses Forschungsvorhabens an die Quellen
gestellt werden, sind nicht zuletzt Fragen zur Alltagsgeschichte. Hierfür ist es
jedoch unerlässlich, zu definieren, nach welchem „Alltag“ gesucht wird15. Das
zentrale Interesse liegt in der Erforschung der adeligen Alltagskultur, wie an
späterer Stelle noch zu erläutern sein wird. Die Beschäftigung mit adeligen
Wohnkulturen ist jedoch keineswegs mit dem Thema „Wohnen auf Burgen“
gleichzusetzen, da sich auf diesen verschiedene soziale Gruppen aufhielten. Daher
ist ein Ziel des Forschungsprojektes auch der Vergleich von verschiedenen
Lebensformen.
1.3 Der Forschungsgegenstand
Im Blickfeld des Projekts „Raum-Ordnungen“ steht die adelige Wohnkultur
vorwiegend im ländlichen Raum des Spätmittelalters und der frühen Neuzeit.
Baulich sind damit in erster Linie der Bautyp „Burg“ und seine Umwandlung in
die Frühform des Schlosses umfasst. Der zu untersuchende Zeitraum ist durch
eine Dynamik in der Entwicklung von normierten Kommunikations- und Raumstrukturen
– Stichwort „Gemach“, „Appartement“ – gekennzeichnet, der eine
zeitlich wie auch regional differenzierte, zeitgenössische Begrifflichkeit zugeordnet
werden kann. Gleiches gilt auch für Ausstattungselemente in den adeli-
14 Wolfgang Seidenspinner, Mittelalterarchäologie und Volkskunde. Ein Beitrag zur Öffnung
und Theoriebildung archäologischer Mittelalterforschung, in: Zeitschrift für Archäologie
des Mittelalters 14/15 (1986/87), 21.
15 Grundsätzlich zu Inhalt und Methodik der Alltagsgeschichtsforschung Gerhard Jaritz, Zwischen
Augenblick und Ewigkeit. Wien und Köln 1989, 14 f.
63
gen Innenräumen, wie z.B. die Anzahl und Lage von Heizeinrichtungen und
Aborten.
Strategien zur Struktur- und Funktionsanalyse von Burgen sowie zu den
Lebenswelten der BurgbewohnerInnen zeichnen sich in der Inventarforschung,16
literaturwissenschaftlichen Abhandlungen17, bauanalytische Untersuchungen18
sowie neuerdings Synthesen zur archäologisch erschließbaren Sachkultur auf
Burgen19 erst in Ansätzen ab. Auch das bislang umfassendste Projekt zur historischen
Wohnforschung geht in seiner Publikation „Geschichte des Wohnens 500-
1800“ nur kursorisch auf den Wandel der Wohnkultur auf Burgen im Spätmittelalter
sowie deren Ausstattung ein20.
Für die Erforschung dieses vielfältigen Bezugsystems sind daher folgende
grundlegenden Fragestellungen von zentraler Bedeutung:
– Was sind die auslösenden Elemente für die Konstituierung bestimmter
Raumtypen und warum entstehen sie?
– Welche Raumtypen und Ausstattungsgegenstände sind mit
„Wohnfunktionen“ identifizierbar?
– Welche weiteren Raumfunktionen lassen sich erschließen und inwieweit
sind Überschneidungen zwischen dem Aspekt des „Wohnens“ und anderen
Lebensbereichen fassbar?
– Inwieweit lassen sich Muster sozialer Differenzierungen, und zwar einerseits
innerhalb des Adels, andererseits innerhalb der BewohnerInnen von
Burgen, ablesen?
– Welche Veränderungsprozesse in der adeligen Wohnkultur können erfasst
werden? Mit welchen sozialen Prozessen können diese in Verbindung gebracht
werden?
Bei all diesen Fragen ist das unterschiedliche zeitliche und räumliche Auftreten
von quellenmäßig belegten Phänomenen mit zu bedenken und in die Interpretation
mit einzubeziehen.
16 Siehe Kap. 4.3.2.
17 Ricarda Bauschke (Hg.), Die Burg im Minnesang und als Allegorie im deutschen Mittelalter
(Kultur, Wissenschaft, Literatur 10) Wien u.a 2006; Joachim Bumke, Höfische Kultur.
Literatur und Gesellschaft im hohen Mittelalter, 2 Bde, 5. Aufl. München 1990; Manfred
Kern, Handlungs-Räume – Zur Burgenregie in der Literatur des Mittelalters, in: Falko
Daim Falko und Thomas Kühtreiber (Hg.), Sein & Sinn / Burg & Mensch (Katalog des
Niederösterreichischen Landesmuseums, N.R. 434) St. Pölten 2001, 507 ff.
18 Cord Meckseper, Raumdifferenzierungen im hochmittelalterlichen Burgenbau Mitteleuropas,
in: Chateau Gaillard. Études de Castellologie medievale 20 (2000) 163 ff.; Gerhard
Reichhalter, Blockwerkkammern des 13. bis 15. Jahrhunderts aus österreichischen Burgen,
in: Martin Krenn und Alexandra Krenn-Leeb (Hg.), Castrum Bene 8 – Burg und Funktion
(Archäologie Österreichs Spezial 2) Wien 2006, 179 ff.
19 Christof Krauskopf, Tric-Trac, Trense, Treichel. Untersuchungen zur Sachkultur des Adels
im 13. und 14. Jahrhundert (Veröffentlichungen der Deutschen Burgenvereinigung Reihe
A: Forschungen, 11) Braubach 2005.
20 Vgl. Fritz Schmidt und Ulf Dirlmeier, Geschichte des Wohnens im Spätmittelalter, in: Ulf
Dirlmeier (Hg.), Geschichte des Wohnens 2, 500-1800. Hausen, Wohnen, Residieren.
Ludwigsburg und Stuttgart 1998, 245 ff.
64
1.4 Überlegungen zum Umgang mit Fragmenten
Die Frage nach der Bedeutung bzw. der Funktion von Dingen kann innerhalb
der eigenen Disziplin nicht befriedigend beantwortet werden (s. Kap. 2).
So können in der Archäologie sozial unterschiedlich gewichtete Quellenkontexte
ohne Anwendung sozialhistorischer oder ethnologischer Modelle – d. h. an anderen
Quellen „erprobten“ Methoden – als solche kaum erkannt oder nicht genau
definiert werden. Die konzeptionell geprägten Quellen, wie die literarischen
Texte und Inventare, stehen wiederum vor dem Problem des durch die Intentionalität
der Quelle gebildeten Filters. Auch die Bestimmung der „Realitätsnähe“
von Realienkontexten ist in diesen Quellengattungen ohne interdisziplinäre Betrachtung
kaum entschlüsseln. Deshalb sollen die ideell-konzeptionellen Quellenevidenzen
den in der Interpretation der archäologischen Quellen erschlossenen
Ausstattungsmustern gegenübergestellt und in ihrer Aussagekraft hinsichtlich
des dialektischen Wechselspiels zwischen sozialer Konnotation und
Gebrauch überprüft werden (s. Kap. 4).
1.5 Die Begrifflichkeit als zentrales methodisches Problem
Gerade in der Sachkulturforschung stellt das Ringen um die Begrifflichkeit für
Realien ein zentrales Problem dar (s. Kap. 5). Auch hier kann nur mit einem
interdisziplinären Ansatz gearbeitet werden: Durch den kontextuellen Vergleich
der unterschiedlichen Quellen und der daraus abgeleiteten „Realitäten“ kann im
Gegensatz zu bisherigen Glossaren oder Lexika der Vielschichtigkeit von Bedeutungsfeldern
zeitgenössischer Bezeichnungen wie auch moderner termini
technici Rechnung getragen werden.
2 Disziplinäre Grenzen
Der Beantwortung der zentralen Fragen dieses Forschungsprojektes sind in den
einzelnen Fachbereichen gewisse Grenzen gesetzt; allerdings lassen sich aber
gerade innerhalb der (inhärent interdisziplinären) Mediävistik ohnehin die einzelnen
Fächer voneinander nicht so streng trennen, wie dies vielleicht in anderen
Bereichen möglich ist (man denke beispielsweise an die Paläographie als Teilgebiet
sowohl der germanistischen Mediävistik als auch der Geschichtswissenschaft).
Es sollte deshalb, dem Vorschlag Taubers folgend, statt von „Grenzen“
eher von „Berührungs-“ oder „Überlappungszonen“ gesprochen werden21.
2.1 Archäologie – objektives Fundgut?
Archäologisches Fundgut wurde lange als objektiv – im Gegensatz zu den intentionalen
historischen Quellen – dargestellt. Diese Ansicht wurde allerdings
mittlerweile widerlegt, denn das Fundgut ist ebenso wie die schriftlichen Quel-
21 Jürg Tauber, Aspekte zu Möglichkeiten und Grenzen einer Archäologie des Mittelalters, in:
ders. (Hg.), Methoden und Perspektiven der Archäologie des Mittelalters. Tagungsberichte
zum internationalen Kolloquium vom 27. bis 30. 9. 1989 in Liestal (Schweiz) (Archäologie
und Museum 20) Liestal 1991, 11.
65
len nicht zum Zweck der Überlieferung von Alltag und Sachkultur entstanden22.
Nach Janssen beschränkt sich der Zugriff der Archäologie nur auf „eine Auswahl
(= was ergraben worden ist) aus einer Auswahl (= was überdauert hat) aus
einer Auswahl (= was in den Boden gelangt ist) aus einer Auswahl der Lebenswelt
(= den materiellen Gütern).“23 Diese Lückenhaftigkeit der Quellen darf aber
keineswegs als Argument für eine geringere Aussagekraft archäologischer
Funde im Vergleich zu schriftlichen Zeugnissen gelten: auch die Überlieferung
von Schriftquellen ist oft eine zufällige.
Die archäologische Überlieferung ist somit einem starken Auswahlverfahren
unterworfen. Einige Parameter dieses Auswahlverfahrens, wie etwa die Erhaltungsbedingungen,
können für die jeweilige Fundstelle festgemacht werden.
Dies erlaubt zwar Rückschlüsse darauf, was im Fundgut fehlen könnte, diese
Folgerungen müssen aber, solange nur mit archäologischen Methoden gearbeitet
wird, hypothetisch bleiben.
Gleiches gilt für die Parameter der Erschließung und Bearbeitung der archäologischen
Quellen durch WissenschaftlerInnen. Auch hier kann man angewandte
Auswahlkriterien festmachen, ihre genaue Bestimmung (und die Bestimmung
ihrer Auswirkung auf die Zusammensetzung des archäologischen
Fundguts) ist aber im Allgemeinen nicht möglich. Anderen Parametern (wie beispielsweise
der materiellen oder ideellen Wertigkeit von Gegenständen und der
damit verbundenen unterschiedlichen Verlustrate) kann sich die Archäologie nur
nähern. Die Möglichkeiten der kritischen Überprüfung einer solchen Annäherung
sind allerdings beschränkt.
Die Untersuchung des Fundguts zahlreicher schweizerischer Burgen
zeigte beispielsweise, dass das Vorhandensein bestimmter Fundgruppen nicht
nur durch (nachvollziehbare) äußere Einflüsse wie die Erhaltungsbedingungen,
sondern auch durch Unterschiede in der Qualität der Grabungstechnik oder der
Auswahl der Grabungsfläche bestimmt sein kann. Aussagen zum exakten Kontext
der Verwendung bestimmter Gegenstände sind mit wenigen Ausnahmen
nicht möglich24.
Angesichts dieser Probleme beschränkte man sich in der archäologischen
Erforschung des Mittelalters lange Zeit auf die Analyse der materiellen Kultur
durch „nachprüfbare“, statistische Methoden. Durch umfangreiche Studien
22 Hans Werner Goetz, Methodological Problems of a History of Everyday Life in the Early
Middle Ages, in: Medium Aevum Quotidianum 30 (1994), 10.
23 Hans Louis Janssen, Medieval Culture and the Problem of Historical Interpretation of Archaeological
Evidence, in: Mensch und Objekt im Mittelalter (Veröffentlichungen des Instituts
für Realienkunde 13) Wien 1990, 397 f.
24 Christina Schmid, Die Rekonstruktion des Inventars einer Burg um 1300 anhand archäologischen
Sachguts. Überlegungen zu Theorie und Praxis, phil. Dipl., Wien 2006, 13 ff.; zur
archäologischen Identifikation von „Nutzungsarealen“ in Burgen vgl. Karin Kühtreiber
(unter Mitarbeit von Alfred Galik und Michaela Popovtschak), Archäologisch erschließbare
Nutzungsräume und -areale in der Burg Dunkelstein, NÖ. Ein Vorbericht, in: Martin Krenn
und Alexandra Krenn-Leeb (Hg.), Castrum Bene 8 – Burg und Funktion (Archäologie Österreichs
Spezial 2) Wien 2006, 145 ff.
66
(hauptsächlich der mittelalterlichen Keramik, aber auch der nichtkeramischen
Kleinfunde) sind größtenteils zuverlässige Chronologiesysteme erarbeitet worden25.
Oft und wohl auch nicht ganz zu Unrecht wird dieser Wissenschaftstradition
jedoch vorgeworfen, sie sehe „Kulturen“, nicht „Menschen“, und durch die
Konzentration auf Artefakte würde der Mensch aus dem historischen Prozess
ausgeblendet26.
In Zusammenarbeit mit anderen Disziplinen ist es jedoch möglich, deduktiv
zu arbeiten und von einer übergeordneten, interdisziplinären Fragestellung
aus die Quellen auf bestimmte Aussagen hin zu befragen. Im Rahmen eines solchen
Forschungsansatzes können die Stärken der Quellengruppe „archäologische
Funde“ zur Geltung kommen: Sie stellen eine Auswahl real überlieferter
„Lebens-Mittel“ dar und bilden somit – nach ihrer Dekodierung – die Grundlage
zur Ermittlung aussagekräftiger Ausstattungsmuster, welche gerade in Hinblick
auf stärker konzeptionell geprägte Quellengattungen, wie Bilder und literarische
Texte, erst die Analyse der Realitätsnähe der in diesen verwendeten Objekte erlauben.
2.2 Geschichte – Problematik der Quelle Inventar
Die vorrangigen Quellen der Geschichtswissenschaft sind Textzeugnisse, grob
unterteilt in urkundliches und historiographisches Schrifttum sowie das unter
dem Begriff „pragmatische Schriftlichkeit“ zusammengefasste Geschäfts- und
Gebrauchsschrifttum, von Rechnungen bis zu Kochrezepten. Die Quellen bieten
daher nur einen durch die Verschriftlichung vorgegebenen, eng begrenzten Ausschnitt
der Lebenswirklichkeit. Für die Erforschung der Mensch-Objekt-Raum-
Beziehungen eröffnen Schriftquellen zwar Zugänge zu den Kommunikationszusammenhängen,
in denen Dinge stehen und ihre Bedeutung und Bezeichnung
erhalten, sagen aber selten etwas über den alltäglichen Umgang mit den Dingen
– vom Gebrauch bis zur Entsorgung – oder über deren Form aus. Sachkultur war
(und ist) zunächst Alltagskultur, geprägt von den Faktoren des Repetitiven,
Nicht-Besonderen, die in der Regel nur dann schriftliche Erwähnung findet,
wenn sie zum Besonderen wird
Inventare gehören zu den wichtigsten Quellen für die Erforschung der
Sach- und Wohnkultur27. Sie sind Verzeichnisse von Mobilien, die im adeligen
25 Richard Hodges, New Approaches to Medieval Archaeology, Part 2, in: D. A. Hinton (H.),
25 Years of Medieval Archaeology. Sheffield 1983,.
26 So etwa John Moreland, Archaeology and Text. London 2001, 78.
27 Zur Bedeutung der Inventare als Quelle: Kurt Andermann Kurt, Die Inventare der Bischöflich
Speyerischen Burgen und Schlösser von 1464/65, in: Mitteilungen des hist. Vereins der
Pfalz 85 (1987), 133 ff.; Rudolf Endres, Adelige Sachkultur in Franken im Spätmittelalter,
in: Adelige Sachkultur des Spätmittelalters (Veröffentlichungen des Instituts für Mittelalterliche
Realienkunde Österreichs 5) Wien 1982, 73 ff.; Torsten Gebhard, Untersuchungen
zu einem Verzeichnis von Baugeschirr aus Niederbayern (14.Jh.), in: Martha Bringmeier u.
a. (Hg.), Museum und Kulturgeschichte, Festschrift für Wilhelm Hansen. Münster/Westfalen
1978, 257 ff.; Christofer Herrmann, Burginventare in Süddeutschland und Tirol vom
14. bis zum 17.Jh., in: Hermann Ehmer (Hg.), Burgen im Spiegel der historischen
67
Kontext neben Hausrat, auch Waffen, wertvolle Kleidung, Kleinodien, Urkunden
und Bücher umfassen können. Sie enthalten daher eine Vielzahl von Objekten,
oft mit Angaben ihrer Verwahrung in Räumen und Gebäuden. Darüber
hinaus werden auch Personen greifbar, die in direkten Bezug zur Aufnahme oder
zu den Objekten und Räumen selbst stehen, wie BesitzerInnen, Pfleger, Zeugen,
BewohnerInnen, Bedienstete usw.
Inventare liefern somit „Schnittpunkte“ der Mensch-Objekt-Beziehungen,
denn sie belegen das Vorhandensein der genannten Dinge sowie einen Ausschnitt
aus der Vielfalt an sozialen Lebensformen im Raum Burg, die immer
Teil der adeligen Lebenswelt war. Sie liefern aber gleichzeitig nur ein unvollständiges
oder verzerrtes Bild der Alltagswirklichkeit28. Je nach Anlass – Erbschaft,
Wechsel der Verwaltung, Gerichtsverfahren, Schadensaufnahme usw. –
erfolgte die Objektaufnahme unter bestimmten Interessen und daher in der Regel
nicht vollständig. Desgleichen lassen sich bestenfalls Raumtypen erheben bzw.
deren Auftreten oder Verschwinden, nicht aber Raumgrößen und nur sehr selten
Raumanordnungen. Zentrale Lebensbereiche des Wohnens wie etwa Toiletteanlagen
bleiben völlig ausgeblendet.
Die Analyse der historischen Quellen zur adeligen Sachkultur ist somit
unabdingbar an die Ergebnisse der Archäologie gebunden, um Objekte und
Räume in ihrem materiellen und funktionalen Bezug zur Lebenswirklichkeit
überhaupt quellenkritisch einordnen zu können. Die Literaturwissenschaft erschließt
wiederum jene Konzepte adeligen Selbstverständnisses, die den Objekten
und Räumen ihre jeweilige Stellung in der Wertehierarchie adeliger Lebensführung
zuweisen. Die in den historischen Quellen überlieferte Dingwelt wird
daher erst durch eine interdisziplinäre Arbeitsweise in ihrer materiellen wie
Überlieferung (Oberrheinische Studien 13) Sigmaringen 1998, 77 ff.; Werner Maleczek,
Die Sachkultur am Hofe Sigismunds von Tirol (gest. 1496), in: Adelige Sachkultur des
Spätmittelalters (Veröffentlichungen des Instituts für Mittelalterliche Realienkunde Österreichs
5) Wien 1982, 133 ff.; Josef Riedmann, Adelige Sachkultur Tirols in der Zeit von
1290-1330, in: Adelige Sachkultur des Spätmittelalters (Veröffentlichungen des Instituts
für Mittelalterliche Realienkunde Österreichs 5) Wien 1982, 105 ff.; Helmut Stampfer,
Adelige Wohnkultur und Speisegewohnheiten des Spätmittelalters in Südtirol, in: Adelige
Sachkultur des Spätmittelalters (Veröffentlichungen des Instituts für Mittelalterliche Realienkunde
Österreichs 5) Wien 1982, 365 ff.; Rolf Übel, Zum Stand der Erforschung hochmittelalterlicher
und frühneuzeitlicher Burginventare in der Pfalz, in: Jürgen Keddigkeit
(Hg.), Burgen, Schlösser, feste Häuser : Wohnen, Wehren und Wirtschaften auf Adelssitzen
in der Pfalz und im Elsaß. Kaiserslautern 1997, 143 ff.; Oswald von Zingerle, Die Einrichtung
der Wohnräume tirolischer Herrenhäuser im 15.Jh., in: Zeitschrift des Ferdinandeums
für Tirol und Vorarlberg 49 (1905) 267 ff.; kritisch im Hinblick auf eine Überwertung Dietrich
Kerber, Geschäftschriftgut, in: Horst Wolfgang Böhme u. a. (Hg.), Burgen in Mitteleuropa.
Ein Handbuch 2: Geschichte und Burgenlandschaften. Stuttgart 1999, 21.
28 Josef Handzel, Räume in einer Burg. Das spätmittelalterliche Inventar von Hassbach im
Vergleich, phil. Dipl. Wien 2005, 14 ff.
68
ideellen Ordnung sichtbar und als „Schnittpunkte sozialer Beziehungsnetze“
analysierbar29.
2.3 Germanistik – Dichtung und ‚Wahrheit’
In den letzten zwei Jahrzehnten haben sich die literatursoziologische Methode
und kulturgeschichtliche Analyse von Literatur in der germanistischen Mediävistik
zunehmend etabliert30. Die in der Geschichtswissenschaft durch die sog.
‚Mentalitätsgeschichte’ eingetretene Neuorientierung begünstigt in besonderem
Maße eine engere Zusammenarbeit zwischen Germanistik und Geschichtswissenschaft,
da sie ein neues Verständnis von Fiktionalität mit sich bringt31.
Mittelalterliche fiktionale Texte können demnach durchaus als kulturgeschichtliche
Quellen gelesen werden, allerdings bedarf es dabei der spezifisch literaturwissenschaftlichen
Herangehensweise, um die komplexen Sinnebenen fiktionaler
Texte dahingehend zu dechiffrieren, dass sich kulturhistorische Information
herauskristallisieren kann. Wenn man davon ausgeht, dass Literatur einerseits
unmittelbar aus dem Leben derer heraus entsteht, die sie produzieren, dieses
also bis zu einem gewissen Grad abbildet, andererseits aber auch Entwürfe
möglicher (besserer) Welten skizzieren soll, dann tut sich ein interessantes
Spannungsfeld zwischen (angenommener) historischer Lebens- bzw. Alltagswirklichkeit
und fiktionaler Lebens- bzw. Alltagsdarstellung auf.
Im Bereich der adligen Sachkultur wird dies besonders deutlich. So gilt es
beispielsweise nicht nur zu überprüfen, welche Gegenstände nur literarisch bezeugt
sind und welche literarisch belegten Einzelheiten auch in Wirklichkeit
existiert haben, sondern auch die Beziehung zwischen den Begriffen und den
dahinter stehenden gedanklichen Konzepten im jeweiligen literarischen Kontext
29 Objekte als „Schnittpunkte sozialer Beziehungsnetze“ nach Katharina Simon-Muscheid,
Die Dinge im Schnittpunkt sozialer Beziehungsnetze. Reden und Objekte im Alltag (Oberrhein,
14. bis 16. Jahrhundert) (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte
193) Göttingen 2004. Zur interdisziplinären Arbeitsweise in der Inventarforschung Ruth-E.
Mohrmann, Das Prinzip „Wörter und Sachen“ im Blick auf die städtische und ländliche
Wohnkultur, in: Ruth Schmidt-Wiegand (Hg.), „Wörter und Sachen“ als methodisches
Prinzip und Forschungsrichtung 1. Hildesheim, Zürich und New York 1999, 251 ff.; Ruth
Schmidt Wiegand (Hg.) Wörter und Sachen im Lichte der Bezeichnungsforschung. Berlin
und New York, 1981; dies. (Hg.), Text-Bild-Interpretation. Untersuchungen zu den Bilderhandschriften
des Sachsenspiegels (Bild- und Textband) (Münstersche Mittelalter-Schriften
55.1) Münster/Westfalen 1986; Gabriela Signori, Wörter, Sachen und Bilder. Oder: die
Mehrdeutigkeit des scheinbar Eindeutigen, in: Andrea Löther, Ulrich Meier u. a. (Hg.),
Mundus in imagine. Bildersprache und Lebenswelten im Mittelalter. Festschrift für Klaus
Schreiner. München 1996, 11 ff.
30 Vgl. (wenn auch methodisch nicht unproblematisch) Bumke, Höfische Kultur; als Beispiel
gelungener Einzelanalysen Horst Wenzel, Tisch und Bett – Zur Verfeinerung der Affekte
am mittelalterlichen Hof, in: Doreis Ruhe, Karl-Heinz Spieß (Hg.), Prozesse der Normbildung
und Normveränderung im mittelalterlichen Europa. Stuttgart 2000, 315 ff.
31 Vgl. Ulrich Ernst, Vom geschlossenen zum offenen System. Überlegungen zur Interdisziplinarität
mit Blick auf die ältere deutsche Literaturwissenschaft, in: Das Mittelalter 4/1:
Interdisziplinarität. Berlin 1999, 38 f.
69
zu analysieren. Übereinstimmungen und Gegensätze zwischen historischen, archäologischen
und literarischen Quellen vervollständigen nicht nur das Bild der
real existierenden Gegenstände und Räume, sondern auch der Menschen, die sie
verwendet haben, indem sie uns z. B. mitteilen, was im Bereich der Sachkultur
als vorbildlich angesehen wurde und durch welche materielle Ausstattung sich
eine bestimmte soziale Gruppe definierte. Gegenstände sind in mittelalterlicher
Dichtung zumeist als Teil des repräsentativen Zeremoniells stark aufgeladen;
Raum ist dabei als Bühne zu betrachten, die der Inszenierung sozialer Identität
und der Definition von Rollen in einem höfisch-öffentlichen Kontext dient. In
der überaus zeichenbewussten mittelalterlichen Gesellschaft ist Literatur immer
Teil eines Inszenierungsraumes rund um die Projektionsfläche Körper, der mit
Bedeutung aufgeladen wird. Realien sind ein wichtiger Bestandteil dieser inszenierten
Körperlichkeit, die ihrerseits erst durch die Inszenierung und Eingliederung
in ein ‚Hyperzeichen’ eine Dynamik erhalten.
Im Gegensatz zum Hochmittelalter, für das bereits einige wegweisende
Untersuchungen zu adeliger Sachkultur und Dichtung vorliegen32, stellt die Epoche
des Spätmittelalters eine in dieser Hinsicht stark vernachlässigte literarhistorische
Zeitspanne dar. Aus Sicht der älteren deutschen Literaturwissenschaft ist
daher die Auseinandersetzung mit spätmittelalterlicher adeliger Wohnkultur
unter Bezug auf die literarischen Quellen ein Desiderat, das allerdings nur in der
interdisziplinären Zusammenarbeit realisiert werden kann, denn „Zirkelschlüsse
sind unzulässig. Man darf nicht die Gesellschaft aus dem literarischen Werk
selbst konstruieren.“33 Die gemeinsame Analyse der Wechselbeziehung zwischen
den dinglich fassbaren Realien und deren literarischen Inszenierungen ist
also für ein umfassendes Verständnis der Funktionen von Raum und Ausstattungsmustern
in Spätmittelalter und früher Neuzeit geradezu unabdingbar.
3 Interdisziplinäre Potentiale und Konzepte
Die in der bisherigen Forschung oft praktizierte Arbeitsweise des fachinternen
Erarbeitens eines Ergebnisses mit den eigenen Methoden und der nachfolgenden
Synthese mit den Ergebnissen der anderen Fächer muss schon daran scheitern,
da „bei einer modernen Humanwissenschaft nie ein endgültiges Ergebnis“ erreicht
werden kann34. Interdisziplinäre Arbeit kann also nur zu Erfolgen führen,
wenn schon die Fragestellungen gemeinsam erarbeitet werden35.
32 Vgl. Bumke, Höfische Kultur; Hubert Speckner, Dichtung und Wahrheit. Das Leben der
höfischen Gesellschaft im Spiegel der höfischen Literatur. Wien 1995.
33 Sprandel, Gesellschaft und Literatur im Mittelalter. München und Wien 1982, 16.
34 Wenskus 1979, 645 ff.
35 Vgl. Tauber, Aspekte 28; Reinhard Wenskus, Randbemerkungen zum Verhältnis von Historie
und Archäologie, insbesondere mittelalterlicher Geschichte und Mittelalterarchäologie,
in: Herbert Jankuhn und Reinhard Wenskus (Hg)., Geschichtswissenschaft und Archäologie.
Untersuchungen zu Siedlungs-, Wirtschafts- und Kirchengeschichte (Vorträge und Forschungen
22) Sigmaringen, 1979, 645 ff.
70
3.1 Zum Verhältnis texthistorischer und archäologischer Forschung
Die Form der Zusammenarbeit der archäologischen Forschung mit der historischen
ist seit langem Gegenstand kontroverser Diskussionen. Die Wertigkeit der
Quellen wurde ganz unterschiedlich eingeschätzt: Immer wieder wurde, auch
von Seiten der Mittelalterarchäologie, die schriftliche Überlieferung als der materiellen
überlegen angesehen. Materielle Überlieferung wurde nur dann als relevant
betrachtet, wenn die Quellenlage der Schriftquellen lückenhaft war. Damit
wurde von der Geschichtsforschung zwar implizit die Gleichrangigkeit der
Aussagekraft der archäologischen Quellen anerkannt, dennoch aber in der konkreten
Forschungs- und Publikationstätigkeit nicht umgesetzt36.
Konsens wurde mittlerweile in der Einsicht gefunden, dass Schriftquellen
ebenso wie Bildquellen die „Möglichkeit des Verstehens von Artefakten“ erweitern37.
Manche MittelalterarchäologInnen sehen zwar die Möglichkeit, anhand
der eigenen Quellen Aussagen über tägliches Leben und Wirtschaftsweisen
zu gewinnen, aber zum Verständnis von Gesellschaften oder Kulturen müsse
man sich der übergeordneten Form des Artefakts – dem Schriftstück – zuwenden38.
Eine künstliche Trennung der Schriftquellen auf der einen und der
materiellen Quellen auf der anderen Seite sagt mehr über unsere heutige wissenschaftliche
Verfasstheit als über den historischen Umgang mit Dingen aus39. Im
Zentrum der Archäologie und der Geschichte sollten weder der Text noch das
Artefakt stehen – sondern die Menschen, die sie gemacht haben40. Ähnlich
gelagert ist auch die Problematik in den historischen Literaturwissenschaften in
Bezug zur allgemeinen Geschichtswissenschaft: Zwar liegt der Fokus in erster
Linie auf dem literarischen Text; aber der kulturhistorische Ansatz ist bestrebt,
den Text als ‚Gemachtes’ im Kontext seiner Produktions- und Rezeptionsbedingungen
zu untersuchen und so weiter reichende Erkenntnisse als durch rein
textimmanente Herangehensweise zu erlangen.
Die von Hodges 1983 aufgestellte Forderung nach Anwendung der
archäologischen Chronologien in historischen Modellen41 hat immer noch
Gültigkeit. In wenigen Vorreiterprojekten wurde dieser Ansatz verwirklicht42.
36 Vgl. dazu Barbara Scholkmann, Die Tyrannei der Schriftquellen? Überlegungen zum Verhältnis
materieller und schriftlicher Überlieferung in der Mittelalterarchäologie, in: Heinz
Marlies, Manfred Eggert Manfred und Veit Ulrich (Hg)., Zwischen Erklären und Verstehen?
(Tübinger Archäologische Taschenbücher 2) Tübingen 2003, 242 ff.
37 Hakelberg, Materielle Kultur 107.
38 John Moreland, Through the Looking Glass of Possibilities: Understanding the Middle
Ages, in: Helmut Hundsbichler, Gerhard Jaritz und Thomas Kühtreiber (Hg.), Die Vielfalt
der Dinge. Neue Wege zur Analyse mittelalterlicher Sachkultur (Forschungen des Instituts
für Realienkunde des Mittelalters und der frühen Neuzeit. Diskussionen und Materialien 3)
Wien 1998, 89.
39 Vgl. ebenda.
40 Vgl. ebenda 97.
41 Hodges, New Approaches 29.
42 Siehe etwa das Projekt zur Burg Lanzenkirchen: Thomas Kühtreiber, Reconstructing Realities
– Archaeology in Tension between Sciences and History of Daily Life, in: Gerhard Ja71
Ericsson stellt zwar für die neuere Forschung fest, „dass das archäologische
Quellenmaterial verstärkt als Überbleibsel bzw. Spuren vergangener sozialer,
wirtschaftlicher, geistlicher, ideologischer und sonstiger gesellschaftsrelevanter,
menschlicher Aktivitäten betrachtet wird. Objekte werden nicht mehr ausschließlich
zur Typisierung und Datierung verwendet, sondern um mit ihrer
Hilfe Kenntnisse über soziale, wirtschaftliche und kulturelle Zustände und Entwicklungen
der Gesellschaft zu erzielen.“43 Dennoch lässt sich immer noch eine
Scheu vor weiterreichenden Fragestellungen oder Interpretationen feststellen.
Die im Rahmen des Projektes behandelnden Problemstellungen beziehen
sich auf Fragen aus Fachbereichen, die nur interdisziplinär behandelt werden
können: Alltagsgeschichte44, Sachkulturforschung45 und Burgenforschung46.
Wie auch immer die damalige Wirklichkeit definiert wird, sie sollte als „Ganzheit“
betrachtet werden. Nach Hundsbichler sollte es daher „in Anbetracht ihrer
ohnehin kargen Reste“ vermieden werden, dass diese Realität zusätzlich noch
willkürlich (= gemäß nachmaligen Quellengruppen oder Fachabgrenzungen)
zerstückelt wird47. Da „von den Quellen her bereits eine interdisziplinäre Struktur
vorgegeben ist, ist die Zusammenschau aller „Historiker der Realien“ „nicht
puzzlehaft-additiv, sondern interaktiv-integrativ zu konzipieren, das heißt, die
‚quellenübergreifende’ Interdisziplinarität muss sich auch in die Quellenauswertung
hinein fortsetzen“.48
3.2 Konzepte – der komparative Ansatz
Eine Annäherung an diese „Ganzheit“ in Hinblick auf adelige Wohnkulturen
lässt sich somit nur im interdisziplinären Vergleich – selbstverständlich unter
Berücksichtigung der jeweiligen Quellenkritik – verwirklichen. 49 Der Fokus
ritz (Hg.), History of Medieval life and the Sciences (Forschungen des Instituts für Realienkunde
des Mittelalters und der Neuzeit. Diskussionen und Materialien 4) Wien 2000,
46.
43 Ingolf Ericsson, Archäologie des Mittelalters – eine Kulturwissenschaft?, in: Das Mittelalter
5 (2000) 142.
44 Jaritz, Zwischen Augenblick und Ewigkeit, 195.
45 Vgl. zur neueren Forschung u. a. Hundsbichler, Jaritz und Kühtreiber, Vielfalt der Dinge;
Gabriele Mentges, Ruth-E.Mohrmann und Cornelia Foerster (Hg.), Geschlecht und materielle
Kultur. Frauen-Sachen, Männer-Sachen, Sach-Kulturen (Münsteraner Schriften zur
Volkskunde/Europäischen Ethnologie 6) Münster 2000; Wolfgang Ruppert (Hg.), Fahrrad,
Auto, Fernsehschrank. Zur Kulturgeschichte der Alltagsdinge. Frankfurt/Main 1993; Detlef
Stender, Vom Leben der toten Dinge. Schränke zum Kühlen als historische Quelle, in: Berliner
Geschichtswerkstatt (Hg.), Alltagskultur, Subjektivität und Geschichte. Zur Theorie
und Praxis von Alltagsgeschichte. Münster/Westfalen 1994, 157 ff.
46 Thomas Biller, Burgenforschung heute – Gedanken aus der Praxis (Forschungen zu Burgen
und Schlössern I) München und Berlin 1994, 14.
47 Hundsbichler, Perspektiven, 94.
48 Ebenda, 87.
49 Zum komparativen Vorgehen als Methode vgl. Heinz-Gerhard Haupt und Jürgen Kocka,
Historischer Vergleich: Methoden, Aufgaben, Probleme. Eine Einleitung. In: dies. (Hg.),
Geschichte und Vergleich. Ansätze und Ergebnisse international vergleichender Ge72
dieses komparativen Ansatzes liegt dabei auf zwei Aspekten: der Signifikanz der
Quellen und dem Diskursumfeld „Wörter und Sachen“.
3.2.1 Die Signifikanz der Quellen
Ein Gesamtbild, welches allen Teilbildern gerecht wird, entsteht nicht durch additives
Arbeiten. Einzig ein Vergleich der Kontexte kann eine Annäherung an
eine „Ganzheit“ möglich machen. Dabei liefern die unterschiedlichen Quellengattungen
auch unterschiedliche Information:
Die literarischen Quellen liefern Konzepte, wobei diese Elemente der
Wirklichkeit in den fiktionalen Raum eingeflochten werden und dabei poetischen
Umformungen (wie Überhöhung, Verzerrung etc.) unterworfen sind.
Der/die germanistische MediävistIn übernimmt eine ‚Filterfunktion’ und ermöglicht
so erst ein Vordringen zum Gegenständlichen im literarischen Kontext
sowie ein Erkennen, inwieweit dingliche Objekte im Text Symbole bzw. für die
Handlung bedeutsame Realien sind.
Auch Bildquellen liefern Konzepte: Bildinhalte müssen „dekodiert“ werden,
die in den Bildern integrierten Bildbausteine oder „Detailrealismen“ sind in
ihrem Spannungsfeld zwischen Realitätsnähe, symbolischer Aufladung und
Bildkomposition zu interpretieren.
Die Interpretation von archäologischen Quellen liefert hingegen in erster
Linie Ausstattungsmuster. Auf den ersten Blick scheint hier „Realität“ abgebildet,
doch zeigt sich, wie bereits betont, dass Sachquellen keineswegs per se als
„objektive Quellen“ gelten dürfen. Hier ist eine Bestimmung der Signalstärke
und der Signalqualität der bestimmten Überlieferungsmuster unerlässlich.
Inventare liefern als schriftliche Quellen zeitgenössische Bezeichnungen
für Gegenstände und Räume und bilden auch eine Grundlage zur Bestimmung
von Ausstattungsmustern durch raumbezogene Objektlisten. Bewertungen und
andere Konnotationen lassen sich bisweilen direkt über Adjektiva erschließen,
sind aber auch indirekt durch die Kontextanalyse des Inventaranlasses und etwaige
soziale Indikationen nachvollziehbar.
3.2.2 Wörter und Sachen
Eines der Kernanliegen ist es, die Begrifflichkeiten zwischen den Disziplinen zu
klären und auch gemeinsam Möglichkeiten und Grenzen der Identifizierung von
Dingen und ihren Bezeichnungen auszuloten. Dies führt direkt in das weite Feld
der Bezeichnungsforschung, denn die Beschäftigung mit Realien führt zwangsläufig
zur Frage nach ihren Bezeichnungen50.
schichtsschreibung. Frankfurt/Main und New York 1996, 9 ff; zum Vergleich auf mikrohistorischer
Ebene Hans Medick Hans, Entlegene Geschichte? Sozialgeschichte und Mikor-
Historie im Blickfeld der Kulturanthropologie, in: Berliner Geschichtswerkstatt (Hg.), Alltagskultur,
Subjektivität und Geschichte. Zur Theorie und Praxis von Alltagsgeschichte.
München 1994, 94 ff.
50 Schmidt-Wiegand, Wörter und Sachen 6.
73
Aus linguistischer Perspektive betrachtet ist es jedenfalls nicht möglich,
von Wörtern oder Bezeichnungen für einen bestimmten Gegenstand Rückschlüsse
auf diesen selbst, dessen Funktion, Beschaffenheit oder Geschichte zu
ziehen. Der Grund hierfür liegt darin, dass ein Wort als sprachliches Zeichen aus
Lautkörper und Vorstellung aufgebaut ist und die Vorstellung auf dem Begriff
beruht, es daher keine direkte Verbindung zwischen der Bezeichnung und der
Sache als der in einer außersprachlichen Realität gibt51. Die Beziehung zwischen
Ausdrucksseite und inhaltlicher Seite wird erst durch die Übereinkunft einer
Sprachgemeinschaft gefestigt.
Es gibt nun verschiedene Methoden diesem Problem zu begegnen. Eine
Möglichkeit ist die etymologische, nämlich über Herleitung der Wörter auf ihren
Sinn zu schließen – ein Zugang der in Richtung der Sprach- und Wortatlanten
führt. Der klassische historisch-philologische Zugang führt über die Schriftquelle.
Hier wird versucht, den Inhalt der Bezeichnungen aus ihrer Stellung im
Kontext herzuleiten. Wichtig ist die Beiziehung homogener Texte, wie etwa
der Burginventare, um die isolierende Betrachtung von Einzelworten zu vermeiden.
Auch die Wortfeldforschung wurde in diesem Zusammenhang als mögliche
Lösung angesehen, aber hier ergibt sich das Problem, dass die erhaltenen
schriftlichen Quellen nur einen Ausschnitt aus der Fülle dessen, was tatsächlich
einmal vorhanden war, zeigen und so die Konstruktion eines Wortfeldes häufig
nicht zulassen. Ruth Schmid-Wiegand zeigte unter Einbeziehung anderer Untersuchungen52,
dass das Bezeichnen der Gegenstände durch Sprache nicht aus einem
Nachvollziehen einer gegebenen Feldordnung besteht, sondern aus dem
Beherrschen einer sprachlichen Gliederung bei der bestimmte Sachmerkmale
gruppenbildend wirksam geworden sind
Dies bedeutet für die praktische Arbeit, dass das Verhältnis von Wort und
Sache zunächst an möglichst vielen Einzelbeispielen beobachtet werden muss.
Diese sollen dann durch eine Kombination verschiedener Methoden der Linguistik,
Geschichtswissenschaft, Philologie und Sachkulturforschung interpretiert
werden. Eine isolierte Betrachtung von Einzelwörtern soll dabei unbedingt vermieden
werden. Verbunden damit muss auch eine weitere Auffassung des Sachbegriffes,
die auch alle Bestände, Qualitäten und Bezüge der Realität umfasst,
geltend gemacht werden. Der Sachbegriff umfasst also „Konkreta“ und „Abstrakta“.
Dies bedeutet, dass jeder historische Untersuchungsgegenstand im Wesentlichen
auf kommunikatorischen Vorleistungen sprachlicher Vermittlung beruht.
Das betreffende Objekt, die Handlung oder die Geschichte ist aber auf jeden
Fall mehr als die sprachliche Artikulation, die dazu geführt hat. Daraus
folgt, dass historischer Tatbestand und sprachliches Begreifen nie ganz übereinstimmen
können53.
51 Ebenda 1.
52 Ebenda 10.
53 Helmut Hundsbichler, Wörter und Sachen – Bilder und Sachen – Sachen und Menschen, in:
Klaus Beitl und Isac Chiva (Hg.), Wörter und Sachen. Österreichische und deutsche
Beuträge zur Ethnographie und Dialektologie Frankreichs. Wien 1992, 291 ff.
74
Im Bezug Wörter und Sachen ist eine der vordringlichsten Fragen jene,
inwieweit eine Bezeichnung mehrere Objekte umfasst bzw. ein Objekt mit unterschiedlichen
Bezeichnungen versehen wurde. Dabei gilt es besonders zu berücksichtigen,
dass sich Wortfelder zeitlich wie auch räumlich verändern können.
4 Methodik
Abschließend soll dargelegt werden, wie die konzeptionellen Überlegungen hinsichtlich
des Untersuchungsraums, zeitlichen Horizonts, der Quellenauswahl
sowie der thematischen Gliederung methodisch konkretisiert werden.
4.1 Raum
Der Untersuchungsraum des Projektes umfasst Österreich und Süddeutschland.
Maßgeblich sind dafür zwei Gründe: Zum einen ist dieser Raum im Vergleich
zu Norddeutschland54 in der Wohnforschung noch relativ schlecht untersucht55,
sodass erst auf Basis neuerer Untersuchungen ein überregionaler Vergleich
möglich wird. Zum anderen ist mit der Herausbildung von Territorialherrschaften
im Spätmittelalter auch die politische Frage für die Untersuchung sozialer
Phänomene in historischen Räumen noch stärker zu berücksichtigen. Hierfür
stellt das Entstehen der habsburgischen Residenzen in Wien und Innsbruck auch
die Grundlage für die Berücksichtigung der Aspekte annähernd gleichartiger
Binnenstrukturen im Adel sowie für die Vorbildwirkung des Hofes zur Adelskultur
des Spätmittelalters und der frühen Neuzeit dar56. Eine primäre räumliche
Eingrenzung auf das Gebiet der habsburgischen Erblande macht auch bei der
Auswahl der zu untersuchenden literarischen Textquellen durchaus Sinn, zumal
sich hier am Übergang zur frühen Neuzeit als gemeinsame sprachhistorische Basis
die von Wiesinger untersuchte Maximilianische Verbund- und Kanzleisprache
(‚Herrensprache’) abzeichnet57. Die Untersuchung von Inventaren wird sich
vor allem auf die heutigen österreichischen Bundesländer Oberösterreich, Nie-
54 Vgl. u. a. Fred Kaspar, Das mittelalterliche Haus als öffentlicher und privater Raum, in:
Helmut Hundsbichler, Gerhard Jaritz und Thomas Kühtreiber (Hg.), Die Vielfalt der Dinge.
Neue Wege zur Analyse mittelalterlicher Sachkultur (Forschungen des Instituts für Realienkunde
des Mittelalters und der frühen Neuzeit – Diskussionen und Materialien 3) Wien
1998, 163 ff.; Ruth E. Mohrmann, Wohnen und Wohnkultur in nordwestdeutschen Städten
im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit, in: Cord Meckseper (Hg.), Stadt im Wandel
(Ausstellungskatalog) , Stuttgart 1985, 513ff.
55 Positive Ausnahmen, allerdings mit wenig Burgbezügen: Jahrbuch für Hausforschung 50
(2004) (Thema „Historische Ausstattung“) und 51 (2002) (Thema „Hausbau im Alpenraum.
Bohlenstuben und Innenräume“).
56 Vgl. Werner Paravicini, Zeremoniell und Raum (Residenzen-Forschung 6) Sigmaringen
1997.
57 Vgl. dazu z. B. Peter, Wiesinger, Zur bairisch-oberdeutschen Schriftsprache des 16. und
frühen 17. Jahrhunderts in Österreich unter dem Einfluß von Reformation und Gegenreformation,
in: Walter Hoffmann (Hg.), Das Frühneuhochdeutsche als sprachgeschichtliche
Epoche: Werner Besch zum 70. Geburtstag. Frankfurt/Main u. a. 1999, 241-245..
75
derösterreich, Steiermark und Kärnten unter Berücksichtigung der edierten Tiroler
Inventare beschränken. Das heutige Ostösterreich stellt in der Inventarforschung
trotz mehrerer edierter Burginventare eine terra incognita dar. Diese Lücke
soll durch die in Archivarbeit eingesehenen Inventare geschlossen werden.
Die archäologischen Quellen stammen von den Burgen Prandegg (Schönau
im Mühlkreis, Bezirk Freistadt) und Reichenstein (Tragwein, Bezirk Freistadt).
Als regionale Vergleichsfunde können Fundstücke anderer Burgen des
Unteren Mühlviertels herangezogen werden. Für überregionale Vergleiche stehen
eine gute Zahl publizierter Fundensembles von Burgen in Österreich und
seinen Nachbarländern aus dem Vergleichszeitraum zur Verfügung.
4.2 Zeitfenster
Das 14. bis 16. Jahrhundert wurde bewusst als Untersuchungszeitraum gewählt,
da die von vielen historischen Disziplinen in diesem Zeitraum wahrgenommene
starke soziale Dynamik ihren Niederschlag auch in der Alltags- und Sachkultur
gefunden hat58. In der Wohnforschung sind darunter u. a. Aspekte der Herausbildung
von privaten Rückzugsräumen, das Entstehen städtisch-bürgerlicher
Wohnkulturen und die Entwicklung von der Burg zum Schloss zu berücksichtigen.
Zum anderen erlaubt die Quellenlage bei den Inventaren keine größere
zeitliche Tiefe, da die ältesten Belege erst aus dem 14. Jahrhundert vorliegen. In
archäologischer und literaturhistorischer Sicht wird es hingegen sehr wohl möglich
sein, stärker die Forschungsergebnisse zur hochmittelalterlichen, adeligen
Wohnkultur zu berücksichtigen. Durch die Länge der behandelten Zeitspanne
ergibt sich auch die Möglichkeit, über Momentaufnahmen hinaus zu gehen und
Entwicklungen und Prozesse zu fassen.
4.3 Quellenmaterial
4.3.1 Archäologie
2005 erwarb das Oberösterreichische Landesmuseum die „Sammlung Höllhuber“,
eine der bedeutendsten Sammlungen von Burgenfunden in Österreich. Sie
wird derzeit einer ersten Inventarisierung unterzogen. Die Funde stammen aus
Burgen bzw. Burgstellen des unteren Mühlviertels (Bezirke Perg und Freistadt).
Die größten Fundkomplexe stellen die Ensembles der Burgen Reichenstein59
und Prandegg60 dar. Bei den von Alfred Höllhuber durchgeführten Grabungen
wurde eine große Menge an Keramikfragmenten, aber auch eine außergewöhn-
58 Vgl. u. a. Günter Wiegelmann, Novationsphasen der ländlichen Sachkultur Nordwestdeutschlands
seit 1500, in: Zeitschrift für Volkskunde 72 (1976) 177 ff.
59 Historisch und archäologisch von der 1. Hälfte des 13. bis in das 18. Jahrhundert belegt,
vgl. Herbert Erich Baumert, und Georg Grüll, Burgen und Schlösser in Oberösterreich 1:
Mühlviertel und Linz. St. Pölten und Wien 1988, 135 f.
60 Historisch und archäologisch von der 1. Hälfte des 13. bis in das 17. Jahrhundert belegt,
vgl. Baumert und Grüll, Burgen und Schlösser 131.
76
lich große Zahl an nichtkeramischen Kleinfunden geborgen. Das keramische
Material ermöglicht umfangreiche Aussagen zur Datierung der Anlagen, zu Fragen
des Handels, der Ernährungsgewohnheiten usw.
4.3.2 Inventare
Der Schwerpunkt der Inventarforschung lag bislang auf dem 15. bzw. frühen 16.
Jahrhundert, was sich hauptsächlich aus der gerade für diese Periode erstaunlich
hohen Überlieferungsdichte von Burginventaren und den ebenfalls vorhandenen
Editionen erklären lässt. Die beiden Hauptwerke für diese Periode sind einerseits
die von Oswald von Zingerle durchgeführte Edition „Tiroler und Vorarlberger
Inventare“61 und andererseits die im Zusammenhang mit dem großen
Bauernkrieg von 1525 entstandenen so genannten „fränkischen Schadensinventare“
62. Darüber hinaus existieren für den gesamten süddeutschen und
österreichischen Raum nur Einzeleditionen63. Von großer Bedeutung für die Inventarforschung
allgemein und speziell für das Projekt sind die Inventare aus
freisingisch-bischöflichen Burgen des frühen 14. Jahrhunderts, welche zwar
schon lange ediert sind, doch noch nicht für derartige Fragestellungen herangezogen
wurden64.
Vorbereitende Recherchen erbrachten auch zahlreiche Belege unedierter
Burginventare, die eine ausreichende Grundlage für die angestrebten Studien
darstellen. Die Mehrzahl der bislang aufgefundenen Inventare gehört vorrangig
dem 16. Jahrhundert an. Man muss hier einschränkend anmerken, dass zwar in
der einschlägigen Literatur die Zeit ab dem 16. Jahrhundert als „Inventar Eldorado“
betrachtet wird, aber für den österreichischen Raum noch keineswegs der
Versuch einer umfassenden Erschließung unternommen wurde.
4.3.3 Literarische Texte
Die Betrachtung literarischer Texte wird sich voraussichtlich in der Hauptsache
auf Material aus dem 14. und 15. Jahrhundert konzentrieren, denn dies ermöglicht
es, direkt an die Ergebnisse bereits vorhandener einschlägiger Studien zur
Literatur des Hochmittelalters anzuknüpfen und Prozesse der Entwicklung nachzuzeichnen.
Ein Ausblick auf das 16. Jahrhundert (wie auch ein Rückblick auf
die ‚klassischen’ Muster der höfischen Dichtung des Hochmittelalters) ist sicherlich
unerlässlich, um die gewonnenen Ergebnisse differenziert auswerten zu
können, und somit auch eingeplant, doch wird dies nicht zuletzt auf Grund der
61 Oswald von Zingerle (Hg.), Mittelalterliche Inventare aus Tirol und Vorarlberg. Innsbruck
1909. .
62 Vgl. Endres, Adelige Sachkultur in Franken; Hermann, Burginventare 105 ff.
63 Z. B. Johann Loserth, Das Archiv des Hauses Stubenberg: Archivregister von Wurmberg
aus den Jahren 1498 und 1543 nebst einem Wurmberger Schlossinventar von 1525, Supplement
II. Graz 1911; Richard Perger, Beiträge zur Geschichte der Burg Greifenstein an der
Donau, in: Jahrbuch für Landeskunde von Niederösterreich 62 (1996) 259 ff.
64 Burg Waidhofen (1310, 1330, 1360); Škofia Loka (1340) und (Groß-)Enzersdorf (1316),
ediert in: Fontes Rerum Austriacarum II/36 (1871) 69 ff.
77
Fülle und teilweise schwierigen Zugänglichkeit des Materials ein kursorisches
Vorgehen bleiben müssen65.
Die primären Auswahlkriterien für die zu untersuchenden Texte werden
einerseits ihr Adelsbezug und andererseits die Provenienz aus dem süddeutschen
Raum sein, wobei im Idealfall (jedoch nicht notwendigerweise) noch die konkrete
Bindung an eine Herrscher-Residenz hinzukommt. Letzteres trifft beispielsweise
in besonderem Maße auf die Dichtungen Kaiser Maximilians I.
(Theuerdank, Weißkunig) und auf Michael Beheims Buch von den Wienern zu.
Darüber hinaus bieten sich Adelsbiographien wie jene des Georg von Ehingen
(1428-1508) als Untersuchungsgegenstand an, ebenso wie das dichterische
Werk der adeligen Lieddichter Hugo von Montfort oder Oswald von Wolkenstein.
Eine weitere lohnende Quelle an Textmaterial erschließt sich in der Minneallegorie;
genannt seien hier etwa Werke wie Die Minneburg (anonym um
1340) oder Der Bergfrit der Minne (anonym, Mitte 14. Jahrhundert).
4.4 Themen
4.4.1 Privatheit und Öffentlichkeit
Den folgenden Überlegungen sei vorangestellt, dass „privat“ und „öffentlich“
zwei im neuzeitlichen Denken verhaftete Begriffe sind66. Schlägt man im Mittelhochdeutschen
Wörterbuch Matthias Lexers nach, so erfährt man, dass der Begriff
privet, privete, privat, private im mittelhochdeutsch den Abtritt bezeichnet.
Das Adjektiv offenlich hat aber bereits die auch heute bekannte Bedeutung im
Sinne von „öffentlich“. Das Adjektiv „privat“ lässt sich zumindest im englischen
Sprachraum erst im späten 14. bis 15. Jahrhundert nachweisen67. In der
frühneuhochdeutschen Sprache nimmt das Adjektiv „privat“ allerdings bereits
die heutige Bedeutung an. Da zumindest in den Burginventaren des Spätmittelalters
und der frühen Neuzeit die Begriffe „öffentlich“ und „privat“ nicht vorkommen,
muss eine Definition von öffentlichem und privatem Raum daher rein
heuristisch erfolgen.
Zur methodischen Herangehensweise wird das von Cord Meckseper und
David Austin unabhängig entwickelte Modell des „stufenweisen Rückzuges“ in
Burgen als Ausdruck der sozialen Segretion herangezogen68. Hier schließt sich
sogleich die Frage nach dem öffentlichen Raum an. Wer hatte zu welchem Bereich
der Burg Zutritt? Außerdem steht in unmittelbarem Zusammenhang mit
der Frage der Öffentlichkeit auch die Frage der Repräsentation. Zudem existiert
jenseits des unmittelbaren Wohnbereichs der Burgherren noch ein öffentlicher
65 So muss auch die Sammlung und Sichtung der für die literaturwissenschaftliche Analyse
relevanten Textbelege aufgrund großteils fehlender digitaler Suchmöglichkeiten (spätmittelalterliche
Texte sind beispielsweise in der Mittelhochdeutschen Begriffsdatenbank kaum
repräsentiert) überwiegend durch manuelle Suche erfolgen.
66 Kaspar, Das mittelalterliche Haus 211.
67 Austin, Private and Public 184 f.
68 Vgl. Austin, Private and Public, 196; Meckseper, Raumdifferenzierungen.
78
Bereich, der von Bediensteten und eventuellen Burgfremden wie auch Gästen
bevölkert wird.
4.4.2 Geschlecht und Lebensalter
Hier steht vor allem die Frage nach den BewohnerInnen einer Burg im Vordergrund.
Wie drückt sich das Verhältnis Frau/Mann räumlich aus? Wie lassen sich
welche Gruppen in den jeweiligen Quellen nachweisen? Kriterien dafür zu erarbeiten,
wie die Existenz von Frauen/Männern/Kindern/Alten, spezialisierten
HandwerkerInnen usw. nachgewiesen werden kann, stellt ein Desiderat der
Mittelalterforschung dar.
In diesem Zusammenhang sei auf den mittelalterlichen Gender-Diskurs
verwiesen, welcher der Frau die Privatsphäre, dem Mann hingegen die Öffentlichkeit
zuwies69. Die bisherigen Forschungen auf diesem Gebiet zeigen eine
differenzierte Annäherung an diese dichothomische Sicht der Rollenaufteilung70.
Es wird eine wesentliche Aufgabe des Projekts sein, die Frage der gender-bezogenen
Raumfunktionen zu diskutieren.
4.4.3 Wohnen und Arbeiten
Angesprochen ist hier in erster Line die Frage, ob und, wenn ja, in welchem
Umfang Wirtschaftseinheiten auf einer Burg angesiedelt waren. Hier ergibt sich
ein ganz besonders ergiebiges Überschneidungsfeld zwischen Inventaren und
archäologischer Forschung. Zudem gilt es gerade im Übergang vom Mittelalter
zur Neuzeit zu überprüfen, inwieweit sich adelige Wirtschaftstätigkeit auf Burgen
nachweisen lässt. Auch die Verwaltung hat sowohl in Form von Schreibstuben
und deren Ausstattung, als auch archäologisch in der Gestalt von Schreibgeräten
etc. ihre Spuren hinterlassen.
Ein weiterer Aspekt ist die Gestaltung der arbeitsfreien Zeit der
unterschiedlichen Burgbewohner/Innen. Zu denken ist hier an verschiedene
Möglichkeiten der Brett- und Kartenspiele, das Musizieren, Vorlesen von Texten,
aber auch textiles Handarbeiten. Alle angesprochenen Möglichkeiten sind
sowohl durch archäologische Funde, als auch in der Epik und in Inventaren
fassbar. In all diesen Fällen stellt die Frage der quellenspezifischen „Signalstärke“
des jeweiligen Evidenzmusters eine besondere Herausforderung an die
interdisziplinäre Zusammenarbeit dar. Gleichzeitig ist gerade zu diesen Aspekten
durch den Quellenvergleich eine besondere Ergiebigkeit hinsichtlich der
Forschungsergebnisse zu erwarten.
69 Vgl. Anette Kern-Stähler, A Room of One’s Own. Reale und mentale Innenräume weiblicher
Selbstbestimmung im spätmittelalterlichen England. Tradition – Reform – Innovation
(Studien zur Modernität des Mittelalters 3) Frankfurt/Main u. a. 2002, 18 ff.
70 Handzel, Räume in einer Burg; Hoppe, Räume von und für Frauen?
79
4.4.4 Ringen nach Begrifflichkeit
Um ein gemeinsames Arbeiten von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern
aus unterschiedlichen Disziplinen zu ermöglichen, muss eingangs eine gründlich
ausgearbeitete Arbeitsterminologie entwickelt werden. Im Laufe des Projekts
soll diese Terminologie anhand der erzielten Ergebnisse kritisch überprüft und
aktualisiert werden. Die Basis dafür bildet die quellenspezifische Erfassung von
kontextualisierten Quellenbelegen, deren Beziehungsnetzwerk mittels Mindmap-
Software die Konkretisierung des projektinternen Begriffs-Diskurses darstellen
soll.
M E D I U M A E V U M
Q U O T I D I A N U M
55
KREMS 2007
HERAUSGEGEBEN
VON GERHARD JARITZ
GEDRUCKT MIT UNTERSTÜTZUNG DER KULTURABTEILUNG
DES AMTES DER NIEDERÖSTERREICHISCHEN LANDESREGIERUNG
Titelgraphik: Stephan J. Tramèr
Herausgeber: Medium Aevum Quotidianum. Gesellschaft zur Erforschung der
materiellen Kultur des Mittelalters, Körnermarkt 13, 3500 Krems, Österreich.
Für den Inhalt verantwortlich zeichnen die Autoren, ohne deren ausdrückliche
Zustimmung jeglicher Nachdruck, auch in Auszügen, nicht gestattet ist. –
Druck: Grafisches Zentrum an der Technischen Universität Wien, Wiedner
Hauptstraße 8-10, 1040 Wien.
Inhaltsverzeichnis
Vorwort ……………………………………………………..…………….…… 4
Matthias Johannes Bauer, Extra muros.
Systemimmanente grundherrschaftliche Probleme
im mittelalterlichen und frühneuzeitlichen städtischen Ziegeleiwesen
am Beispiel der Stadt Erding (Oberbayern) ……….….……………… 5
Ana-Maria Gruia, Sex on the Stove.
A Fifteenth-Century Stove Tile from Banská Bystrica ……………… 19
Thomas Kühtreiber, „Raum-Ordnungen“. Raumfunktionen und
Ausstattungsmuster auf Adelssitzen im 14.-16. Jahrhundert.
Ein Forschungsprojekt am ‚Institut für Realienkunde’
der Österreichischen Akademie der Wissenschaften ………………… 59
Matthias Johannes Bauer, Die unbekannte illustrierte Fechthandschrift
des Hugold Behr. Vorbemerkungen zur Edition
von Rostock UB Mss. var. 83 ….…..…………………….………….. 80
Buchbesprechungen ……..……………………………………………….…….. 86
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Vorwort
Der vorliegende Band von Medium Aevum Quotidianum beschäftigt sich vorrangig
mit einem Bereich des historischen Alltags, welcher seit dem 19. Jahrhundert
für die kultur- und sozialgeschichtliche Forschung immer wieder von
besonderem Interesse gewesen ist: mit Wohnkultur im weitesten Sinne, vom
Bauwesen bis zu einem Detail spätmittelalterlicher häuslicher Innenausstattung.
Eine solche Konzentration steht im Zusammenhang mit einem Projekt am ‚Institut
für Realienkunde des Mittelalters und der frühen Neuzeit’‚ welch letzteres
eng mit Medium Aevum Quotidianum zusammenarbeitet. Dieses Forschungsprojekt,
‚Raum-Ordnungen’ widmet sich vor allem den Raumfunktionen und
häuslichen Ausstattungsmustern im adeligen Wohnbereich Mitteleuropas vom
14. bis zum 16. Jahrhunderts und wird in diesem Heft von Thomas Kühtreiber
kurz beschrieben.
Das genannte Forschungsvorhaben sieht auch die internationale Kooperation
von ausgesprochener Bedeutung. Erste Ergebnisse dieser Zusammenarbeit
sollen zwei weitere Beiträge dieses Heftes vermitteln. Matthias Johannes Bauer
beschäftigt sich für den oberbayrischen Raum mit Fragen des spätmittelalterlichen
städtischen Ziegeleiwesens, welches natürlich eine wichtige Rolle gerade
in Bezug auf jedwede öffentliche und private Bautätigkeit spielte. Ana Maria
Gruia setzt sich dagegen mit einem Detail des häuslichen Innenraumbereiches
im spätmittelalterlichen Oberungarn auseinander, und zwar mit den Bildprogrammen
glasierter Kachelöfen. Es geht ihr dabei besonders um den Versuch
einer Erklärung und Entschlüsselung des Kontextes der Darstellung eines Kopulationsaktes
auf einer Ofenkachel des 15. Jahrhunderts aus der heute slowakischen
Stadt Banská Bystrica. Gerade diese Abhandlung zeigt die Varietät von
zu berücksichtigenden Analysemöglichkeiten, welche akribische Detailuntersuchungen
zu Fragen der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Wohnkultur eröffnen
können.
Gerhard Jaritz