Rezensionen
AKTUELLES ZUM HEXENTHEMA
HELGA ScHÜPPERT (STUTTGART)
Hexenthemen haben Saison! Großen Zulauf verzeichnen Kulturzentren und
Volkshochschulen immer wieder mit Veranstaltungen zum Thema Hexenverfolgung.
Lokalhistorie und Geschichtswerkstätten sind mancherorts auf
Spurensuche und präsentieren ihre Funde in regionalen Ausstellungen, wie
schon in den ehemaligen Reichsstädten Schwäbisch Hall und Esslingen oder
in Sindelfingen. Es sind dies Ansätze, die in der Öffentlichkeit fixierten
Klischees von tausendfachem Justizmord, Frauendiskriminierung in Kirche
und Gesellschaft, Fanatismus der Massen auf ihre Gültigkeit zu prüfen und
zu differenzieren.
Zeigen sich Laien von Hexenthemen geradezu fasziniert, so sind Wissenschaftler
in den meisten Fällen distanziert und skeptisch. Noch vor 20 Jahren
schob die Geschichtsforschung den Themenkomplex beiseite. Erst nach
einer bahnbrechenden und wegweisenden Arbeit des amerikanischen Historikers
Midelford über „Witch Hunting in Southwestem Germany“ (1970) etablierte
sich vor zehn Jahren ein „Arbeitskreis für interdisziplinäre Hexenforschung“
an der Katholischen Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart.
Erste Ergebnisse dieser internationalen Forschergruppe boten 1994,
nach einer Reihe öffentlicher und vielbeachteter Akademietagungen, eine
repräsentative, gut visualisierte Ausstellung mit reichem Begleitprogramm
im Badischen Landesmuseum Karlsruhe und dazu der zweibändige wissenschaftliche
Katalog „Hexen und Hexenverfolgung im deutschen Südwesten“
(DM 68,-).
Ausstellung und Katalog beruhten auf gründlichen Detailstudien zu
zahlreichen Regionen und Orten Süddeutschlands zwischen Wertheim am
Main und Konstanz. Sie gewinnen eine überregionale, exemplarische Bedeutung
durch viele Erkenntnisse und durch noch unbeantwortete Fragen.
Anschaubar wurde in vielen Exponaten und ihrer Deutung, waren es
Amulette, Hexenzettel, Hufeisen, Ziegel mit Pentagramm oder auch Gebetszettel
und Reliquienkreuze, wie kosmologische Weltsicht und magische
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Praktiken in Spätmittelalter und früher Neuzeit verbreitet waren. Traktate,
Flugblätter, juristische und theologische Schriften lieferten dazu die
Theorie. Seit dem 15. Jahrhundert tritt danach zum Delikt der Zauberei
noch der Teufelspakt mit Teufelsbuhlschaft und aus einzelnen Opfern der
Inquisition wird so die zu verfolgende “Hexensekte“ . Besonders seit 1560
sind über 40.000 Opfer, zu achtzig Prozent Frauen, zu verzeichnen, die zu
Tode kamen, die milder bestraften nicht mitgerechnet. Zu Strafjustiz und
Strafvollzug gab es exemplarisch Fallstudien mit ergreifenden Quellentexten:
Briefe einer Angeklagten aus dem Lochgefängnis oder Rechnungen für
den Aufenthalt dort sind ebenso zu lesen wie die erpreßten Aussagen gefolterter
Opfer.
Die Darstellung, gesondert nach regionalen Bereichen, warf manche
Frage auf. Warum gab es in der Bischofsstadt Konstanz kaum, in den geistlichen
Territorien Würzburg, Bamberg, Eichstätt und Ellwangen hingegen
unverhältnismäßig viele Prozesse? Für Ellwangen ist da ein Fürstpropst
als schlimmer Hexenjäger im Spiel, der um 1613 über 300 Frauen exekutieren
ließ und Gelder für seinen Schloßbau konfiszierte. Andernorts spielte
der „Druck von unten“ , die Forderung aus der Bevölkerung nach Beseitigung
mißliebiger Personen, eine Rolle. Zweifel an der Rechtmäßigkeit des
Strafprozesses bewirkten gelegentlich Zurückhaltung, so in Kurpfalz. Die
Verflechtung der Motive, zusammen mit der unterschiedlichen Sozial- und
Wirtschaftsstruktur in den über 350 Territorien des Südwestens, verbieten
ein schnelles wissenschaftliches Urteil.
Klar geht aus den Regionalstudien jedoch schon jetzt hervor, daß das
Buchklischee von den „weisen Frauen und bösen Richtern“ eine Mär ist,
denn Hebammenkünste zur Geburtenregelung sind in den Quellen kaum als
Motiv zu finden. Deutlich wird hingegen, wie sehr neben Massenhysterie die
freie Verantwortung des Einzelnen im Spiel war, sei es die eines fanatischen
Hexenjägers, sei es die eines denunzierenden Nachbarn. In einer Gegenwart,
in der wiederum Hand und Brand an unschuldige Opfer gelegt wird,
war das Aufstellen des Karlsruher Scheiterhaufens, den eine Künstlerin für
die Ausstellung aus verbrannten Balken gestaltet hatte, als Mahnmal der
Hexenverfolgung in der Stadt Schwäbisch Hall gewiß nicht ohne Bedeutung.
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Eine Stadt der Frauen. Studien und Quellen zur Geschichte der Baslerinnen
im späten „Mittelalter und zu Beginn der Neuzeit (13.-17. Jahrhundert), hg.
von Heide Wunder in Zusammenarbeit mit Susanna Burghartz, Dorothee
Rippmann und Katharina Simon-Muscheid. Basel 1995, 292 Seiten.
„Das Buch von der Stadt der Frauen“33 ist das Hauptwerk der bekanntesten
französischen Autorin des Mittelalters, Christine de Pizan. Behandelte sie
in ihrer Arbeit keine ‚reale‘ Stadt, so könnte doch jede mittelalterliche Stadt
auch als „Stadt der Frauen“ gesehen werden; die Historiographie hat sich
dieser Sichtweise bisher verschlossen.
Der Trend, großräumige und europaweit gültige „Geschichten der Frau(
en)“ im Mittelalter zu verfassen, ist mittlerweile vorüber. Studien, die
Allgemeingültigkeit vorgeben und oft alten Wein in neuen Schläuchen präsentieren,
weichen neueren, regional und thematisch enger begrenzten Untersuchungen,
die nicht alle Frauen über einen Kamm scheren, und damit
auch der Gefahr entgehen, Vereinfachungen und Generalisierungen vorzunehmen.
In diesem Zusammenhang ist die vorliegende Untersuchung der
Stadt Basel aus frauen- und geschlechtergeschichtlichen Aspekten von besonderem
Interesse.
Der Band wendet sich in vier Teilen frommen Frauen, dem Thema „Arbeit,
Überleben, Selbstbehauptung“ , sowie Konzepten und Realitäten von
Ehe und in einem letzten Teil der Quellengruppe der Frauenbriefe zu. In
den vier Blöcken werden mit kurzen Einleitungen nicht nur der thematische
Rahmen, sondern auch methodologische Fragestellungen abgesteckt. Besonderes
Verdienst dieses Bandes ist die Edition der herangezogenen Quellen.
Damit wird einem Defizit, das schon lange besonders gegenüber literarischer
Produktivität von Frauen besteht, entgegengewirkt. Quellenbeispiele
zur Geschichte der Frauen und der Geschlechterbeziehungen können somit
nicht nur als Beispiele für weitere Arbeiten aus anderen Regionen dienen,
sondern zeigen die Möglichkeiten und Grenzen der Interpretation.
Heide Wunder hat den Band mit einem einleitenden historiographieund
quellenkritischen Beitrag versehen.
Katharina Sirnon Muscheid bringt Fragen der historischen Frauenforschung
in bezug auf Frömmigkeit auf den Punkt: „Welches waren die
33 Aus dem Mittelfranzösischen übersetzt, mit einem Kommentar und einer Einleitung
versehen von Margarete Zimmermann. Berlin 1986.
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kirchlich und gesellschaftlich sanktionierten Möglichkeiten für eine Frau,
ein ‚frommes‘ Leben zu führen? Wie hingen Wahl, Handlungsräume und
Lebensgestaltung mit den familialen, sozialen und ökonomischen Bedingungen
zusammen, welche Lebensabschnitte gingen diesem Schritt voraus und
welches waren die Konsequenzen dieser Entscheidung? In welchen Formen
konnte eine „vita religiosa“ geführt werden, ohne mit der kirchlichen Orthodoxie
und der weltlichen Obrigkeit in Konflikt zu geraten?“ (S. 24)
Diesen Fragestellungen geht Brigitte Degler-Spengler nach, indem sie
die Entstehung der Frauenklöster und Beginengemeinschaften, Lebensumstände
von Nonnen und Beginen, die Klosterreform im 15. Jahrhundert und
Auswirkungen der Reformation darstellt (S. 28-48).
Einstellungen weltlicher Frauen zur Frömmigkeit werden anhand des
Fallbeispiels der Margarethe Brand von Anna Rapp Buri und Monica Stucky-
Schürer sichtbar gemacht. Durch die Analyse der Stiftungen dieser
Basler Bürgerin an die Kartause St. Margarethental, an die Safranzunft und
an die Andreaskapelle, sowie eines Theologiestudiums wird die Wichtigkeit
von Sozialbeziehungen in ihren Auswirkungen auf religiöse Repräsentation
deutlich (S. 49-66) .
Der Themenbereich Arbeit findet von Dorothee Rippmann eine Einleitung,
die nicht nur behandelte Fragestellungen thematisiert, sondern auch
offene Fragen aufzeigt. Zugestimmt werden muß vor allem ihrer Feststellung,
daß „eine Alltagsgeschichte der ländlichen Bevölkerung aus geschlechtergeschichtlicher
Perspektive ( . . . ) eine Forschungsaufgabe der Zukunft“ sei
(S. 8 1 ) .
Katharina Simon-Muscheid untersucht „Frauenarbeit und Delinquenz
im spätmittelalterlichen Basler Textilgewerbe“ (S. 82-98). Spannungen zwischen
zünftiger und außerhalb der Zunft stehender Frauenarbeit werden unter
anderem anhand einer bisher kaum genutzten Quellengruppe für diese
Thematik – von Inventaren – aufgezeigt.
Dorothee Rippmann geht auf „Frauen in Wirtschaft und Alltag des
Spätmittelalters“ auf Grundlage der Aufzeichnungen des Kaufmanns Ulrich
Meltinger ein (S. 99-1 17). Nicht nur die Arbeitsleistung der Ehefrau,
sondern auch der im Haushalt beschäftigten Mägde, sowie einzelner Handwerkerlnnen,
Verträge mit Mieterinnen und Pächterinnen werden dabei behandelt.
Besonderes Augenmerk wirft Rippmann auf unterschiedliche Arbeitskontakte
zwischen Stadt und Land, die nicht nur handwerkliche Arbeit,
sondern auch bäuerliche Verschuldung, forstwirtschaftliche Arbeit von
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Frauen und ihre FUnktion als Botinnen integriert.
Veränderungen von Ehekonzepten auf unterschiedlichen Ebenen und
deren Thematisierung gerade im Spätmittelalter weisen darauf hin, daß
diese Institution ein grundlegendes und zentrales gesellschaftliches Thema
war und ist , so formuliert Susanna Burghartz in ihrer Einleitung des folgenden
Abschnittes. Christine Christ-von Wedel behandelt unter dem Titel
„Praecipua coniugii pars est animorum coniunctio“ die Stellung der Frau
nach der „Eheanweisung“ des Erasmus von Rotterdam (S. 125-149). Auch
wenn bei diesem Beitrag der „Basel-Bezug“ nicht klar genug hervortritt, so
wird im Vergleich mit der Ehelehre Luthers das Spezifische der Ansichten
von Erasmus deutlich.
Rechtliche Spielräume im Rahmen des Privatrechtes anhand von Beispielen
über Erbstreitigkeiten sowie von Eheverträgen macllen Hans-Rudolf
Hagemann und Heide Wunder zum Thema ihres Beitrages „Heiraten und
Erben: Das Basler Ehegüterrecht und Ehegattenerbrecht“ (S. 15D-166).
„Ehen vor Gericht“ , der Beitrag von Susanna Burghartz, zeigt exemplarisch
anhand eines Fallbeispieles Möglichkeiten und Grenzen der Interpretation
von Gerichtsmaterial (S. 167-187).
Sabine Lorenz beschäftigt sich in ihrem Beitrag mit bildliehen Quellen
– in diesem Fall den Ehepaarportäts – mit dem Titel „Es ist ein Ewiges
in jedem Gesicht“ (S. 188-214). Mit ihrer wertenden Interpretation, die
schwer nachzuvollziehen ist, kommt sie auch den anfangs aufgeworfenen
Fragestellungen – beispielsweise nach der Sprache der Bilder – kaum nach.
Heide Wunder leitet den Abschnitt über Frauenbriefe ein. Die Auswahl
der überlieferten Briefe, also auch von Briefschreiberinnen, Fragen nach der
Sprache, aber auch im interdisziplinäeren Zusammenhang nach Konventionen
des Schreibens bestimmen nur einige der Fragen der Interpretation
dieser Quellengruppe.
Anhand der „Frauenbriefe des 16. Jahrhunderts in der Basler Universitätsbibliothek“
differenziert Martin Steinmann die Überlieferung nicht
nur nach den Senderinnen, sondern auch nach Inhalten (S. 223-234). Die
angeführten Quellenbeispiele sind nicht aufgrund ihrer Repräsentativität,
sondern nach ihrer schweren Zugänglichkeit ausgewählt.
Ebenfalls aus der Basler Universitätsbibliothek stammen die in dem
Beitrag „Grüße aus der Fremde“ versammelten drei Briefe der Dienstmagd
Sara Castalio an ihren Vormund und ihre Mutter, die Hans R. Guggisberg
vorstellt (S. 235-240).
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Andreas Stachelin wendet sich dem umfangreichen Bestand der Korrespondenz
des Ehepaars Anna Maria Falkner und Johann Rudolf Wettstein
im Spiegel ihrer Briefe vorn Beginn des 17. Jahrhunderts zu (S. 241-253).
Das mehr als dreißigseitige Quellen- und Literaturverzeichnis enthält
wichtige ältere und neuere Arbeiten, die nicht nur für regionalgeschichtlich
Interessierte von Bedeutung sind. Ein Plan Basels aus dem 17. Jahrhundert
hilft, die in den Beiträgen vorgestellten Plätze zu verorten.
Der Band kann nicht nur als Lektüre, sondern auch als Vorbild für
l:Jntersuchungen anderer Regionen empfohlen werden.
Brigitte Rath (Wien)
Karl Brunner, Herzogtümer und Marken. Vom Ungarnsturm bis ins 12.
Jahrhundert (Österreichische Geschichte 907-1156, hg. von Herwig Wolfram)
Wien: Ueberreuter 1994.
Der an Alltagsgeschichte interessierte Historiker ist es gewohnt, daß Überblicksdarstellungen,
die sich der Geschichte einzelner Länder oder Regionen
widmen, oft wenig für das ‚Alltägliche‘ übrig haben. – In der auf zehn
Bände angelegten, von Herwig Wolfram herausgegebenen ‚Österreichischen
Geschichte‘ widmet sich Karl Brunner der Periode vom 10. bis zur Mitte des
12.Jahrhundert, und er überrascht uns bereits im Vorwort mit der Feststellung,
daß „über den Alltag alle Nachrichten zusammengetragen“ wurden,
„damit nicht nur von den Mächtigen und ihren hochgeziten die Rede ist“
(S. 9).
Dieses Zusammentragen und Analysieren aller Nachrichten zum Alltag
ist für den behandelten Zeitraum natürlich ein schwieriges Unterfangen, da
sich die Überlieferungsdichte als gering darstellt. Es besteht nur selten die
Möglichkeit, sich mit einer Vielfalt von Nachrichten zu bestimmten Themenkreisen
auseinanderzusetzen und Strukturen des Alltags zu erkennen,
sondern man ist vielmehr gezwungen, sich auf die Aussage von Einzelquellen
zu stützen. Dies tut Brunner in sehr vorsichtiger Weise. Er widmet sich so
etwa „Lebensformen in Briefen“ und behandelt dabei die Tegernseer Briefsarnmlunng
des Mönches Froumund, er wertet das Versepos ‚Ruodlieb‘ aus
der Mitte des 1 1 . Jahrhunderts aus, er versucht vor allem das ländliche Leben
im Jahreskreis zu behandeln. Er erkennt die Wichtigkeit der Aussage
von Bildquellen, ohne dabei jedoch der Gefahr zu unterliegen, derartiges
Material als primitive Zusatzillustration zu verwenden.
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Sein Stil ist einfach und verständlich, so daß das Werk für jedes interessierte
Publikum mit Gewinn lesbar wird. Mitunter ist er darin jedoch
der Problematik nicht entgangen, in einer Art zu ‚werten‘ und ‚einzuordnen‘,
die in alltagshistorischen Analysen gefährlich erscheint [z. B. “ … enge,
stickige Behausungen, in der arm und reich während der kalten Jahreszeit
gefangen waren … “ (S. 132); „War es nicht Krieg, dann wenigstens Jagd, die
ein standesgemäßes Herbstvergnügen darstellte, auf das auch viele Bischöfe
nicht verzichten wollten, … “ (S. 135); etc.J.
Nichtsdestoweniger ist Brunners Buch ein bedeutsamer Schritt zu einer
Integration von alltagsgeschichtlichen Fragestellungen und Ergebnissen in
eine Allgemeine Geschichte des Mittelalters. Seine bei der Behandlung der
ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts getroffene Feststelllung gilt auch für den
alltagshistorischen Bereich: „Bis jemand eine Strukturgeschichte dieser Zeit
schreiben kann, deren Geschehnisse Historikern scheinbar so vertraut sind,
muß noch einige behutsame Detailforschung erfolgen. Ein abgerundetes
Bild ist derzeit kaum zu zeichnen“ (S. 333). Brunner hat für einen solchen
zukünftigen Weg Wichtiges vorgezeichnet.
Gerhard Jaritz (Krems / Budapest)
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