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Rezensionsartikel:  Ordnung als Prinzip. Eine Besprechung von Bd. 4/2, Lieferung 1/2, Nr. 38: „Fecht- und Ringbücher“ des Katalogs der deutschsprachigen illustrierten Handschriften des Mittelalters

Rezensionsartikel
Ordnung als Prinzip
Eine Besprechung von Bd. 4/2, Lieferung 1/2, Nr. 38: „Fecht- und Ringbücher“ des Katalogs der deutschsprachigen illustrierten Handschriften des Mittelalters
Rainer Welle
Die Fachprosaforschung als grenzüberschreitende Disziplin hat in der Mediävis- tik längst ihr Forum gefunden und bedarf heute keiner Rechtfertigung mehr. Das von ihr zu bearbeitende Quellenmaterial ist so heterogen, dass es erst durch die Zuordnung in Stoffgruppen überschaubarer wird. Das wissenschaftliche Inter- esse an den einzelnen Themenbereichen ist (natürlich) von unterschiedlichem Gewicht. Um nur ein Beispiel aufzugreifen: Während den medizinischen Hand- schriften schon seit Sudhoffs Zeiten bis heute (zu Recht!) eine große Zahl von Publikationen gewidmet ist, finden sich nur wenige Arbeiten, die sich mit dem Fachschrifttum der Fechter und Ringer befassen.
Nachdem sich Karl Wassmannsdorff im 19. Jahrhundert in mehreren Ar- beiten maßgebend zu dieser Literatur geäußert hatte, waren es, wenn wir von kleineren Publikationen absehen, erst die Dissertationen von Wierschin (1965)1 und – nahezu 20 Jahre später! – Hils (1982)2, die das frühneuhochdeutsche Fechtschrifttum wieder in den Blickpunkt germanistischer Forschung rückten. Für seine Edition der Handschrift C 487 von Sigmund Ringeck erstellte Wier- schin erstmals eine Bibliographie der ihm bekannt gewordenen Handschriften, in denen die Schwertkunst des berühmten Fechtmeisters Liechtenauer tradiert wurde. Diese, mit vielen Fehlern behaftete Arbeit kritisierte Hils zu Recht und erstellte seinerseits einen qualitativ und quantitativ weitaus überzeugenderen Handschriftenapparat. Wer sich mit der Fechtliteratur beschäftigen wollte, für den war die Handschriftenliste von Hils, auch wenn selbst mit Fehlern behaftet, als Arbeitsgrundlage unverzichtbar. Eine vollständige bibliographische Erfas-
1 Martin Wierschin, Meister Johann Liechtenauers Kunst des Fechtens (Münchener Texte und Untersuchungen zur deutschen Literatur des Mittelalters, Bd. 13) München 1965.
2 Hans-Peter Hils, Meister Johann Liechtenauers Kunst des langen Schwerts (Europäische Hochschulschriften, Reihe 3: Geschichte und ihre Hilfswissenschaften, Bd. 257) Frankfurt– Bern–New York 1985.
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sung und vor allen Dingen kodikologische Bearbeitung aller Handschriften konnte er im Rahmen der Zielsetzung seiner Arbeit verständlicherweise jedoch nicht leisten.
Was Hils nicht leisten konnte, hat jedoch – in einem weit größeren Um- fang – die Kommission für Deutsche Literatur des Mittelalters der Bayerischen Akademie der Wissenschaften mit ihrem Katalog der deutschsprachigen illus- trierten Handschriften des Mittelalter zur erklärten Zielsetzung. Seit Erscheinen des ersten Bandes 1986 mussten 28 Jahre vergehen, bis sich nun Rainer Leng mit Band 4/2, Lieferung 1/2 als Bearbeiter der Stoffgruppe 38: Fecht- und Ring- bücher annahm. Wer sich wissenschaftlich mit dem Schrifttum der Fechter und Ringer befasst, hatte diesen, ausschließlich der bibliographischen und kodikolo- gischen Erfassung gewidmeten Band sehnlichst erwartet. Leng hat sich bisher mit wichtigen Arbeiten zu Kriegsbüchern und Büchsenmeisterschriften und ei- nem Beitrag zur Fechthandschrift 3227a Reputation erworben. Er schien wohl deshalb auch geeignet, mit der von ihm gewohnten Sachkenntnis dieses Thema zu bearbeiten. Es hätte ein unverzichtbares Standardwerk werden können!
Durch Wiederauffinden von lange Jahre als verschollen geltenden Ex- emplaren sowie Neufunden ist der Quellenbestand inzwischen auf 66 Fecht- und Ringkampfhandschriften sowie elf Drucke angewachsen. Nachweisbar sind zu- sätzlich noch vier weitere Handschriften und ein Druck. Sie gelten jedoch weiterhin als verschollen; der Druck befindet sich seit seinem Verkauf in an- geblich nicht mehr nachweisbaren Privatbesitz. Um einen klaren Überblick zu erhalten und zukünftige Forschungsarbeiten zu erleichtern, wäre es hilfreich ge- wesen, den neuesten Kenntnisstand kurz zu referieren und der Arbeit einen Ge- samtkatalog aller Textzeugen voranzustellen, so wie der Bearbeiter in der Un- tergruppe 38.1: Johannes Liechtenauer, „Kunst des langen Schwerts“ ja auch eigens diejenigen Handschriften verzeichnet, die Liechtenauers Lehre in nicht illustrierten Fassungen tradieren. Die zu rezensierende Arbeit zeigt jedoch in ihrem Verlauf, dass der Bearbeiter – nicht nur was den Gesamtbestand, sondern auch den Teilbereich der bebilderten Handschriften betrifft – nicht den neuesten Kenntnisstand referiert.
In den Katalog wurden 48 bebilderte Handschriften und zehn Drucke auf- genommen. Die Einbeziehung von Druckwerken mag angesichts des Katalogti- tels auf den ersten Blick befremdlich wirken, entspricht jedoch der Konzeption des Herausgebers und ist in diesem Fall auch inhaltlich gerechtfertigt. Gleich zu Beginn seiner Einleitung weist der Bearbeiter auch auf die Existenz reiner bzw. nicht themenbezogene Bilder aufweisender Texthandschriften hin. Die nachfol- gende Auflistung von sechs Handschriften erweckt den Anschein von Vollstän- digkeit, da es „nur wenige Codices … ohne Abbildungen“ (S. 1) sind; gleich- wohl fehlen drei bzw. vier Codices (wenn man das, nur eine Seite umfassende, Textfragment der Debrecener Handschrift R 605 hinzuzählt). Zu den Nichtge- nannten gehören die Nürnberger Handschrift Ms. 3227a (hierzu später mehr!), die Dresdner Handschrift C 487 und die Rostocker Handschrift Ms. var. 82.
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Anschließend gibt der Bearbeiter einen knappen, aber ausreichenden Überblick über den Charakter der Bildausstattung der Handschriften – er schreibt von „wenigstens 7800 Abbildungen“ (S. 1), deren Funktion nicht unwe- sentlich durch unterschiedlich konzipierte Textbeigaben bestimmt wird – und macht allgemeine Angaben zur chronologischen Ein- und geographischen Zu- ordnung. Mit Nachdruck weist Leng auf die kompilatorische Arbeitsweise der Autoren hin, die diese Handschriften tatsächlich zu den am schwierigsten zu be- arbeitenden Quellen der Fachprosa macht. Es herrscht wahrlich ein „heilloses Durcheinander“, bei dem man nur allzu leicht den Durchblick verlieren kann. Wort-zu-Wort-Abgleiche und Bildkonkordanzen können dem entgegenwirken – ein enormer Aufwand, der allerstrengste Arbeitssorgfalt erfordert.
Vor dem Hintergrund der angesprochenen Probleme erklärt der Bearbeiter im Folgenden ausführlich die von ihm vorgeschlagene Katalogstruktur. Als ers- ten, vorläufigen Versuch einer Kategorisierung des Bildteils der Handschriften kann man diese durchaus übernehmen. Gleichwohl gilt Folgendes zu beachten: Während die Katalogstruktur bei einem anderen, einheitlicheren Handschriften- typus durchaus für stringente Übersichtlichkeit sorgt, sprengt nicht zuletzt die intratextuelle Heterogenität der Fecht- und Ringkampflehren – und die damit einhergehende weitere Auffächerung von Abhängigkeitsverhältnissen – deren, auf den Bildteil abgestimmte Grenzen. Der Bearbeiter wollte die „Katalog- struktur nicht übermäßig durch Wiederholungen und Verweise … komplizieren“ (S. 3), was grundsätzlich zu begrüßen ist; das weit verzweigte Beziehungsge- flecht der einzelnen Texte und Bildfolgen untereinander sollte in einem Katalog jedoch eindeutig ersichtlich gemacht werden. Dies gelang hier nur vereinzelt und nicht immer fehlerfrei.
Wer den vorliegenden Band lediglich aufmerksam liest und nicht unmit- telbar an den Quellen überprüfen kann, wird die bisherigen Ausführungen und die folgende Kritik wahrscheinlich unangemessen finden, da anscheinend alle formalen Kriterien einer Handschriftenbeschreibung Aufnahme finden. Die zu katalogisierenden 58 Quellen wurden zehn Untergruppen zugeordnet, die selbst wiederum klar strukturiert sind. Jede Untergruppe wird eingeleitet durch einen allgemeinen Überblick über die in ihr vereinigten Handschriften. Der Bearbeiter begründet jeweils sein Zuweisungskriterium und macht Ausführungen zu Auf- bau, gegenseitigen Einflüssen bzw. Abhängigkeiten und Verbreitungsspektrum der Handschriften. In eigenen Rubriken beschließen bibliographische Angaben zu vorhandenen Editionen und Sekundärliteratur zu den Illustrationen diesen Teil.
Die Aufnahme der keinerlei Bildmaterial enthaltenden Handschrift 38.1.4. (Ms. 3227a) in die Untergruppe der illustrierten Fassungen von Liechtenauers Fechten mit dem langen Schwert mag befremden. Der Bearbeiter befindet sich aber auch hier in Übereinstimmung mit der Konzeption des Herausgebers, der einer Handschrift durch das Vorhandensein von Leerseiten durchaus den Status einer potentiellen Bilderhandschrift zubilligt und dieselbe deshalb auch im Ka- talog verzeichnet werden kann. In ihrer gesamten Anlage weist jedoch nichts auf
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eine beabsichtigte Bebilderung der Handschrift hin, und auch der Bearbeiter räumt ein, dass „teilweise … die Leerseiten für (oftmals wieder abgebrochene) Glossen, Ergänzungen und Kommentare genutzt“ (S. 17) wurden. Merkwürdi- gerweise stand die Urheberschaft des Pfaffen Hanko Döbringer an der Hand- schrift in der Forschung nie zur Diskussion und dem Bearbeiter stellt sich diese Frage ebenfalls nicht. Dabei ist die (nachträgliche) Einfügung von Döbringers Namen in bzw. über eine Reihe von namentlich genannten Fechtmeistern auf fol. 43r durchaus interpretationsbedürftig. Gerade nur diese Textstelle als Beleg für seine Autorenschaft heranzuziehen, erweist sich als ein (leider) nicht stich- haltiges Argument, und andere Belege wurden in der Literatur bisher nicht ange- führt. Tatsächlich weist jedoch einiges in der Handschrift, auch in den Teilen, die Nichtfechtspezifisches tradieren, auf einen gebildeten Schreiber hin – ein Status, den man durchaus einem Niedergeistlichen zubilligen darf. Ob der je- doch mit dem Pfaffen Hanko übereinstimmt, kann nur vermutet werden.
Mit Bestimmtheit lässt sich jedoch behaupten, dass eine weitere Hand- schrift der falschen Untergruppe zugeordnet wurde. Die HS 38.3.7. (S. 57 ff.) darf keinesfalls in den Talhoffer-Komplex eingereiht werden. Diesen Fehler be- ging schon der Herausgeber einer einfach gestalteten Faksimile-Ausgabe dieser Handschrift, Charles Studer3. Letzterer scheint eine Verbindung zu Talhoffers Schriften geradezu erzwingen zu wollen, indem er immer wieder Beziehungen zu dessen Handschrift von 1467 (hier HS 38.3.6.) in der Ausgabe von Hergsell4 konstruiert, mit zum Teil völlig falschen Bildtafelzuweisungen. Die Illustratio- nen weisen in diesem Fall über ihre motivische Gleichheit hinaus keinerlei Übereinstimmung in Körper- und Waffenhaltung auf. Auch Leng erkennt, dass „der Vorlagenbestand in eine kaum noch mit den älteren Vorlagen in Überein- stimmung zu bringende Serie von Einzeldarstellungen aufgelöst“ (S. 35) wurde, attestiert der HS aber auch eine „enge(r) Verwandschaft zu Talhoffer“ (S. 57). Tatsächlich gehört die Handschrift zum Paulus-Kal-Komplex, besitzt sie doch – auch unter Berücksichtigung der massiven Blattverluste – in Bildfolge und Bild- übereinstimmung eine sehr große Kongruenz mit der HS 38.5.4., nicht jedoch was die Zeichnerhand betrifft. Gewisse Übereinstimmungen bestehen auch zu HS 38.5.2.
In die Untergruppe von Talhoffer gehören hingegen zwei HSS aufgenom- men, die nicht im Katalog verzeichnet sind und dem Bearbeiter unbekannt zu sein scheinen. Die eine HS befindet sich mit der Signatur 20 Ms. iurid. 29 in der Murhardschen Bibliothek in Kassel, wird zeitlich in das 17./18. Jh. eingeordnet und enthält Kopien der Talhoffer HSS von 1443 (38.3.3.) und 1467 (38.3.6.). Die andere, bislang auch der Forschung unbekannte HS ist ebenfalls eine Kopie der HS von 1443. Sie stammt vermutlich aus der Zeit um 1600, und befindet
3 Charles Studer, Das Solothurner Fechtbuch. Solothurn (o.J.). Die Edition enthält keine Jahr- gangsausgabe; im Katalog werden zwei unterschiedliche Daten genannt: „[ca. 1991]“ (S. 37) und „(1989)“ (S. 58).
4 Gustav Hergsell, Talhoffers Fechtbuch aus dem Jahre 1467. Gerichtliche und andere Zwei- kämpfe darstellend. Prag 1887.
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sich mit der Signatur 26.236 im Metropolitan Museum of Art, Arms and Armor Collection, in New York.
In der Gladiatoria-Gruppe (38.2.) gilt die Handschrift Ms. Memb. II 109, seit sie, in Einzelteile zerlegt, in den 50er und 60er Jahren des 20. Jahrhunderts in mehreren Auktionen versteigert worden war, als verschollen. Anhand der Auktionskataloge des Heidelberger Antiquariats Tenner hat bereits Hils5 1987 versucht, den Inhalt der HS zu rekonstruieren und so konnte sie durch den Bear- beiter mit fast allen notwendigen und wichtigen Informationen sowie dem Ver- merk „Verbleib unbekannt“ in den Katalog aufgenommen werden. Es würde den Rahmen der Rezension sprengen, hier an dieser Stelle eine genaue Beschreibung der HS zu geben, deshalb soll nur auf ihren Standort verwiesen werden. Die ehemals versteigerten Einzelblätter sind heute wieder zu einer einzigen Hand- schrift neu gebunden. Sie befindet sich in noch nicht katalogisiertem Zustand im Yale Center for British Art in New Haven, Connecticut.
Auch das erste gedruckte Fechtbuch des Wieners Andre Paurnfeindt (38.10.d., S. 140 f.) gilt als verschollen. So heißt es im Katalog auf S. 140 folge- richtig, dass „derzeit kein Exemplar zu ermitteln“ sei. Auch diese Aussage muss korrigiert werden. Von diesem wirklich raren Druck, von dem bereits im 19. Jh. nur zwei Exemplare, deren Geschichte6 bis heute nicht zu rekonstruieren ist, nachweisbar waren, befindet sich seit 1939 eine Ausgabe mit der Signatur E.1939.65.357 in der R. L. Scott Collection der Glasgow Museums.
Die bibliographische Erfassung und kodikologische Beschreibung der Handschriften folgen dem klaren Schema
– Standort und Signatur, Entstehungszeitraum und Wasserzeichen, – Recherchen zur Provenienz,
– Inhaltsverzeichnis,
– § I. Kodikologische Erschließung,
– § II. Bildbeschreibung mit den Kategorien „Format und Anordnung“, „Bildaufbau und -ausführung“, „Bildthemen“ und „Farben“,
– Literaturhinweise.
Die Angaben innerhalb der einzelnen Unterkategorien sind jedoch von höchst unterschiedlicher Qualität. Sie vermitteln nur schwerlich den Eindruck „einer“ bearbeitenden Hand.
Die neuerliche paläographische Untersuchung der (nicht datierten) Hand- schriften führt oftmals zu neuen Datierungen bzw. einer genaueren Eingrenzung ihrer Entstehungszeit. Die in der Sekundärliteratur bisher verbreiteten Datie- rungsversuche, die zum Teil sehr stark voneinander abweichen, werden dan- kenswerterweise mit aufgeführt. Zur genaueren Datierung hat sicherlich auch die Wasserzeichenbestimmung beigetragen. Bei neun nicht bzw. ungenau da-
5 Hans-Peter Hils, Gladiatoria. Über drei Fechthandschriften aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts. In: Codices Manuscripti 13 (1987), Heft 1/2.
6 Ein Exemplar wurde im Juni 1864 durch das Augsburger Antiquariat Butsch zum Kauf angeboten, das andere erwarb K. Wassmannsdorff am Pfingstmontag 1864 vom Stuttgarter Antiquariat Scheible.
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tierten und elf datierten Papierhandschriften fehlen dazu jedoch jegliche Anga- ben. Es ist im Katalog also nicht erkennbar, ob die Handschriften keine Wasser- zeichen besitzen (hier hätte die einfache Angabe „ohne WZ“ genügt, um dies kenntlich zu machen) oder ob keine Bestimmung vorgenommen worden war. Dies wiederum zeugte von einer mit großer Nachlässigkeit durchgeführten ko- dikologischen Erfassung. Tatsächlich zeigt sich eine solche Arbeitsweise am Beispiel der HS Cl. 23842 (38.2.3., S. 27). Diese, im Zuge des Verkaufs von Teilen der Fürstl. Fürstenbergischen Bibliothek zunächst in New Yorker Privat- besitz gelangte und nun erfreulicherweise wieder zugängliche Handschrift wird ohne Hinweis auf WZZ aufgeführt. Da der Rezensent sie noch vor ihrem Ver- kauf in Donaueschingen persönlich einsehen konnte, kann er an dieser Stelle die Angaben wie folgt ergänzen:
Insgesamt sechs WZZ:
1. Ochsenkopf mit Kreuzstab, um den sich eine Schlange windet (ähnl.
Briquet 15399);
2. Dreiberg mit Krone auf Stab (ähnl. Piccard 2695 sowie 2696);
3. Krone mit Kreuz (Briquet 4891);
4. Ochsenkopf mit Kreuz (?);
5. Ochsenkopf mit Blume (ähnl. Briquet 14729);
6. Pokal mit Krone (?).7
Auch zu
Dreiberg im Kreis (Piccard 153188, Nürnberg 1446-1448).
HS 38.9.9. (44 A 8, S. 127) kann wie folgt ergänzt werden: ein WZ,
Zu 18 Handschriften finden sich im Katalog auch Wasserzeichenbeschrei- bungen. Wie nachfolgendes Beispiel zeigt, verbietet es sich jedoch, vom Vor- handensein von Angaben auch auf deren Vollständigkeit zu schließen. Laut Ka- talog findet sich in der HS E.1939.65.341 (38.1.2., S. 9) das „Wasserzeichen Kreis mit Stange, jedoch nicht präzise zu identifizieren, da im Falz“. Trotz der engen Bindung, die nicht nur die Wasserzeichenbestimmung, sondern auch eine genaue Lagenbeschreibung erschwert, kann wie folgt ergänzt werden:
1. Kreis mit Stange und einkonturigem Stern, mehrere Varianten (eine Variante ähnl. Piccard 161263, Augsburg 1507);
2. Ochsenkopf mit Augen und zweikonturiger Stange (in einem Kreuz endend), um den sich eine Schlange windet (ähnl. Piccard 71076, Landshut 1505).
Mit Erkenntnisgewinn lesen sich die Angaben zu den Provenienzen. Eine kleine Ergänzung zu zwei HSS sei an dieser Stelle gestattet:
– Die gerade erwähnte HS stand am 28./29. August 1933 durch das Mai- länder Auktionshaus Hoepli in Luzern zur Versteigerung an und befand sich seitdem im Privatbesitz des Glasgower Sammlers R. L. Scott.
7 Eine andere kleine Ergänzung sei hier noch angemerkt. Der Bearbeiter weist in § 1 auf die (spärlichen) Beischriften dieser HS hin (S. 28). Sie sind nicht immer einfach zu entziffern: Wo Leng Am Ander weldelß (195r) liest, erkennt der Rezensent das (verständlichere) Ain ander wendtß.
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– Die Provenienzgeschichte der zum Paulus-Kal-Komplex zugehörigen HS 38.5.1. (S. 65 ff.) lässt sich weiter zurückverfolgen als bis zu dem im Katalog verzeichneten Jahr 1802. Auf fol. 4r befindet sich ein mit dem bloßen Auge nicht mehr erkennbarer Besitzereintrag des (Messer- schmieds?) Francesco M.a aus Bologna aus dem Jahre 1646.
Wichtige Angaben zu Beschreibstoff, Blattanzahl, Foliierung, Blattgröße, Sei- teneinteilung, Schriftstil, Schreiberhände und Mundart finden sich eigens nach den Inhaltsverzeichnissen in § I zusammengefasst. Die Angaben zu Foliierung, Schriftstil und Schreiberhände sind von einer begrüßenswerten Ausführlichkeit. Allerdings sucht man vergebens nach den Kategorien Einbandbeschreibung und Lagenbestimmung, obwohl beide – durchaus mit unterschiedlicher Gewichtung – die Auswertung einer HS erleichtern und ergänzen können. Gerade bei dem hier zu untersuchenden Handschriftentypus mit seinen bereits erwähnten Schwierigkeiten kann die Lagenbestimmung die Ursache von (Text-)Fehlstellen, Textabbrüchen und Abweichungen in der Text- und Bildreihenfolge etc. klären helfen. Angaben über Kustoden bzw. Reklamanten finden sich lediglich bei der Beschreibung von zwei HSS, hier mit den Hinweisen „Lagenzählungen noch vorhanden“ (38.5.4., S. 72) und „Keine Reklamanten“ (38.1.2., S. 10). Ähnlich inkonsequent verfährt Leng mit der Angabe von Leerseiten. Folgende Varianten treten auf (die folgenden Angaben beschränken sich nicht auf die angegebenen Katalognummern!):
1. Die Leerseiten werden eigens in § 1 aufgeführt (38.1.2.).
2. Auf Leerseiten wird sowohl in § 1 als auch im Inhaltsverzeichnis ei- gens verwiesen; es kommt dabei zu keinen Überschneidungen
(38.9.5.).
3. Die Leerseiten werden unvollständig in § 1 aufgeführt. Sollten sich in
der HS weitere Leerstellen befinden, wird im Inhaltsverzeichnis zwar nicht explizit darauf hingewiesen, aber wenn sie sich zwischen den einzelnen Kapiteln befinden, kann aus dem Versprung der Blattzäh- lung auf ihr Vorhandensein geschlossen werden (38.3.3.).
4. Weder § 1 noch das Inhaltsverzeichnis verweisen eigens auf Leersei- ten. Wieder kann nur aus dem Versprung der Blattzählung auf Leersei- ten zwischen den einzelnen Kapiteln geschlossen werden (38.8.2.).
5. Leerseiten, die sich innerhalb der Kapitel befinden, können nicht er- schlossen werden, da sie weder in § 1 noch im Inhaltsverzeichnis ver- zeichnet sind (38.1.3., 2. Kapitel „1r-73v, Johannes Liechtenauer …“; Leerseiten hier z. B. 21v, 32r, 42r, 45r, …).
Bei Angaben zur Seiten- bzw. Schriftraumeinteilung wird bei jeder HS konse- quent auf ein- bzw. zweispaltige Beschriftung hingewiesen. Bei HS 38.1.2. sind angeblich die Texte „alle einspaltig“. Korrigierend muss vermerkt werden, dass 27r-28v zweispaltige Beschriftung aufweisen.
Die Ausführungen in § 2 sind erfreulich detailliert und gehen bei Weitem über den Informationsgehalt einer unlängst erschienen Dissertation hinaus, die ausschließlich die „bildkünstlerische Darstellung der Fechtkunst in den Fechtbü-
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chern…“ zum Thema machte.8 Die Arbeit wurde bereits vor dem Erscheinen des Katalogs veröffentlicht. Verlags- bzw. drucktechnische zeitliche Überschnei- dungen, die einer Aufnahme entgegen stehen, können zwar nicht ausgeschlossen werden, andererseits jedoch wurde sie bereits seit 2001 angekündigt9, sodass sie durchaus in den Literaturverweis des Katalogs hätte aufgenommen werden kön- nen; so wie auch an anderen Stellen (S. 47, 65, 74) auf zukünftige Publikationen und Editionen hingewiesen wird. Die Frage, ob man an den Literaturapparat zu den einzelnen HSS die Forderung nach Vollständigkeit stellen darf, verbietet sich. Wenn man nur eine Auswahl anbieten möchte oder kann, dann muss man das auch kenntlich machen. Das Literaturverzeichnis weist jedoch erhebliche Lücken auf. Sie können an dieser Stelle nicht alle gefüllt werden, deshalb soll hier nur eine zweite Ergänzung angefügt werden. Die HS 38.5.3. (S. 68 ff.) liegt in einer sehr aufwändig gestalteten Edition vor: Christian Henry Tobler, In Ser- vice of the Duke. The 15th-century Fighting Treatise of Paulus Kal. Highland Village, Texas: The Chivalry Bookshelf, 2006.
Die Bildbeschreibungen sind von einer Genauigkeit, die eine klare Unter- scheidung von Zeichnerhänden ermöglicht. In der HS 38.2.3. (S. 27 ff.) werden zwei Zeichnerhände unterschieden. Auf dem eingeschobenen Einzelblatt 145 – etwas grobkörniger und dünner als die anderen Blätter und auch ein anderes (späteres) Wasserzeichen aufweisend – entsprechen die Proportionen von Ross und Reiter weder den vorangehenden noch den nachfolgenden Blättern. Für die- ses Einzelblatt muss ein dritter Zeichner angenommen werden. Teil I (Fechten) und II (Ringen) der HS 38.9.1. (S. 110 ff.) attestiert der Bearbeiter Unterschiede in der Bildausführung. Er gibt jedoch nicht an, ob die Abweichungen auch auf unterschiedliche Zeichnerhände zurückzuführen oder lediglich als Varianten der gleichen Hand anzusehen sind. An Abweichungen sind zu erkennen:
1. Klare Unterschiede in der Umrisszeichnung. Durchgehend weichen Umrissen in Teil I stehen durchgängig harte Umrisse in Teil II entge- gen.
2. Die Individualisierungsversuche in Teil II finden in Teil I keinerlei Ent- sprechung. Sie sind u. a. gekennzeichnet durch
– Mundwinkelveränderungen (teilweise sind emotionale Regungen zu erkennen).
– Altersdifferzierungen, die sich deutlich machen an
– Variationen der Haartracht (volles Haar, Glatze, Glatze mit drei
Haarbüscheln),
– unterschiedlichen Gesichtszügen, die unterschiedlichen Lebensal-
tern entsprechen.
8 Heidemarie Bodemer, Das Fechtbuch. Untersuchungen zur Entwicklungsgeschichte der bildkünstlerischen Darstellung der Fechtkunst in den Fechtbüchern des mediterranen und westeuropäischen Raumes vom Mittelalter bis Ende des 18. Jahrhunders (2008): http: //elib.uni-stuttgart.de/opus/volltexte/2008/3604/.
9 Kunstchronik. Monatsschrift für Kunstwissenschaft, Museumswesen und Denkmalpflege, hrsg. vom Zentralinstitut für Kunstgeschichte. München/Nürnberg 54 (2001) H.8.
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3. Bemerkenswert ist auch, dass die Kämpfer in Teil II überwiegend mit dem Betrachter in Blickkontakt treten, in Teil I sich jedoch auf sich bzw. den Gegner konzentrieren.
Ohne Kunsthistoriker zu sein, sollte man hier in diesem Fall doch von zwei un- terschiedlichen Zeichnern ausgehen.
HS 38.9.5. (S. 120 ff.) wird ein „unbekannter Zeichner“ attestiert. Meh- rere Gründe sprechen für die Einheit von Schreiber- und Zeichnerhand in einer Person. So werden Text und Zeichnungen mit derselben Tinte zu Papier ge- bracht und zeigen den gleichen dynamischen Schwung der Feder. Zeichnungen und Text stammen somit mit hoher Wahrscheinlichkeit von der Hand Gregor Erhards, dessen HS als Autograph anzusehen ist: das klag ich mich gregor: erhartt von augspurg frie vnd spatt Jm 1533 Jar10 (fol. 2r). Bereits elf Jahre zu- vor (1522) behauptete das mit genau den gleichen Worten Jörg Wilhalm von sich. Die in HS 38.7.4. einleitende freie Bearbeitung von Liechtenauers Pro- emium, der nachfolgende Bildkatalog zum Fechten mit dem langen Schwert und den frei bearbeiteten Merkversen Liechtenauers sowie der anschließende Aus- zug von Liechtenauers glossierter Fassung des Fechtens mit dem langen Schwert finden bei Erhardt eine wort- bzw. bildgenaue Übernahme. Dem Bildhauer Er- hardt muss also diese HS als Vorlage gedient haben.
Wenn zur HS 38.9.2. (S. 113 f.) vermerkt wird, „unmittelbare Textvorla- gen für die nur fragmentarisch erhaltene Ringerlehre 15v sind nicht auszuma- chen“ (S. 114), so kann hier ergänzend angefügt werden, dass sich drei der fünf Stücke mit hoher wörtlicher Übereinstimmung in Gregor Erhardts HS, die ja zeitlich früher anzusetzen ist, auf foll. 216r/v wiederfinden.
Damit kommen wir zur allergrößten Schwäche des Katalogs: den Inhalts- verzeichnissen. Wir können deren Fehler wie folgt kategorisieren:
1. Die in den HSS verzeichneten einzelnen Kapitel zu den unterschied- lichsten Waffen- und Kampflehren werden im Inhaltsverzeichnis zusammenfas- send verzeichnet (z. B. „Johannes Liechtenauer, Kunst des langen Schwerts“), und die Kapitelanfänge – wie üblich – auch original zitiert. Mit welch grober Nachlässigkeit der Bearbeiter bei den Zitaten vorging, mag nur an den drei HSS 38.1.1. – 38.1.3. (S. 7 ff.) verdeutlicht werden. In den zitierten Textanfängen der ersten drei HSS befinden sich nicht weniger als 46 Transkriptionsfehler jeglicher Kategorie, von denen nur auszugsweise genannt werden sollen: HS 38.1.1., stre- cken vnnd wehrig statt „stercken vnnd werig“; HS 38.1.2., auf der huet statt „aus der huet“ und Budler statt „Bugler“; HS 38.1.3., Item Figur statt „Jst ein Figur“, Dein sper bericht mach zu nicht statt „Dein sper bericht gegenreiten mach zu nicht“ und Zu ross streiten herrnn zu beden seiten statt „Zu ross streiten lerrnn von beden seiten“. Mühelos sind solche Fehler auch bei den weiteren HSS nach- zuweisen.11 Nach der (richtigen) Angabe des Bearbeiters beginnt auf fol. 78r der
10 Die Jahreszahl befindet sich nur auf den Blättern 2r (1533), 111r (15 E 33) und 112r (15 E 33). Die Angabe „(2r, 211r)“ ist falsch. Das „E“ zwischen den Jahreszahlen kann zu Erhart aufgelöst werden.
11 Allein die HS 38.7.5 (S. 87 ff.) weist 25 Transkriptionsfehler auf. 45

HS 38.7.5. das „Fechten mit dem Schwert“. Dieses wird jedoch mit einem kom- plett falschen Kapitelanfang zitiert, der sich erst auf fol. 78v befindet. Korrekt wird das Kapitel auf fol. 78r eingeleitet mit: Jtem nun merckh laufft einer zu dir vnd hat sein schwert blos an sein brust gesetzt …
Für den Leser ist die Anhäufung dieser Transkriptions- und Lesefehler einfach ärgerlich. Die Beharrlichkeit, mit der auf korrektes Lesen und Zitieren hingewiesen werden muss, erfolgt jedoch nicht allein aus rein formalistischen Gründen, sondern deshalb, weil Unachtsamkeiten dieser Art zu inhaltlich schwerwiegenden Falschinterpretationen führen können, die jahrelang in der Sekundärliteratur weiterverbreitet werden. Die genannte HS 38.7.5. liefert ein anschauliches Beispiel. Hier führt eine komplett missratene Lesart im Inhalts- verzeichnis unter Nr. 2 zu der völlig falschen Zuweisung: Martin Hundfeld in der Bearbeitung von Meister Cron, Fechtkunst. Zitiert wird der Kapitelanfang mit Hie hebt sich an Maister Cron Kunnst … Einen Meister Cron findet man in keiner bisher bekannten HS. Die falsche Zuweisung geht auf Hils (1985) zurück. Korrekt lautet die Stelle Hie hebt sich an Maister Lion Kunnst … Das Kapitel ist eine getreue Kopie aus der reinen Texthandschrift Cod. I.6.40.3. Dort wird es eingeleitet mit den Worten Hie hebt sich an meister lewen kunst fechtens In harnasch auß den vier hutten zu fus vnd zu kampffe etc.12
2. Völlig uneinheitlich wird mit der Angabe verfahren, ob die Kapitel bebildert sind oder nicht. Handelt es sich nicht ausschließlich um Bilderhand- schriften, so werden die Textpassagen in der Regel mit den Angaben „mit Ab- bildungen/ohne Abbildungen“ bzw. „illustriert/nicht illustriert“ kenntlich ge- macht. Das Inhaltsverzeichnis von HS 38.7.5. enthält für die ersten 16 Kapitel (foll. 1r – 88v der HS) keinerlei Hinweise, um dann ab dem 17. Kapitel („ohne Abbildungen“) wieder die Kennzeichnung aufzunehmen. Das 4. Kapitel der HS 38.1.3. (S. 13 ff.), die Dolchfechtlehre, hat im Katalog den Vermerk „ohne Ab- bildungen“, ist jedoch tatsächlich mit 17 Illustrationen versehen. Das 9. Kapitel wird angegeben mit „Andreas Liegnitzer, Ringkunst, mit Abbildungen“. Tat- sächlich war ursprünglich eine Bebilderung vorgesehen, die jedoch nicht ausge- führt wurde. Die letzten drei Ringkampfstücke, von denen eines bebildert ist, gehören nicht mehr zu Liegnitzers Ringen, das in allen bekannten Niederschrif- ten 17 Ringkampfstücke enthält. Folgerichtig schließt Liegnitzers Lehre in HS 38.1.3. nach dem 17. Stück mit dem Vermerk ent Des dritn Půchs von fůs vnd leibringen das M.A.Linntzinnger gesetzt hat.
3. Die mangelnde Textkenntnis führt zu einer teilweise völlig verwirren- den Kapiteleinteilung und -bezeichnung, mit oftmals nur vermuteten (korrekt durch „?“ kenntlich gemacht) bzw. falschen Urheberzuweisungen. In Kapitel 17 der HS 38.7.5. (S. 87 ff.) werden die Glossen zu Lichtenauers Fechten mit dem langen Schwert Jörg Wilhalm zugeschrieben („… mit Glossen von Jörg Wil-
12 Diese Lehre wird im Codex. 44.A.8 (HS 38.9.9.) eindeutig Martin Hundfeld zugewiesen. Auf die Namensvertauschung und deren Folgen kann an dieser Stelle nicht näher eingegan- gen werden.
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halm“). Es beweist sich auch hier wieder: Die Textfassungen der HSS sind ein Labyrinth, in dem man sich nur allzu leicht verirren kann. Die hier verzeichne- ten Glossen sind nichts weniger als die wörtliche Übernahme der Glossen, wie wir sie bereits in der Handschrift 38.9.9. (S. 127 ff.) und der reinen Texthand- schrift I.6.40.3 des Juden Lew vorfinden. Beide Fassungen sind weitgehend identisch mit geringen, aber deutlichen Abweichungen in der Formulierung, ha- ben aber auch Textzusätze, die in der jeweils anderen Fassung nicht zu finden sind. Die kompilierte Fassung hält sich derart streng an die beiden Textvorlagen, dass dem Kompilator beide Fassungen vorgelegen haben müssen. Ob Wilhalm dieser Kompilator war oder ob er nur die bereits kompilierte Fassung kopierte, kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht entschieden werden – er war auf jeden Fall kein weiterer Glossator Liechtenauers Lehre, wie die Angabe im Ka- talog vermuten lässt.
Völlig Unzutreffendes wird auch zu den folgenden HSS verzeichnet:
1. HS 38.9.9. (S. 127 ff.): Hier katalogisiert der Bearbeiter unter Kap. 5: „7v-8r 24 Hauptstücke des Fechtens mit dem langen Schwert“. Tatsäch- lich handelt es sich um 26 Hauptstücke des Liechtenauerschen Ross- fechtens, bekannt als die 26 Rossfiguren. Das sind 26 gezeichnete
Kreise, die jeweils eine Anweisung für das Rossfechten enthalten.
2. HS 38.1.2. (S. 9 ff.): Hier lautet Kap. 9: „67r-75r Meister Ott Ringerleh- re, nicht illustriert, lediglich 74r-75r Skizzen von 26 Kreisen mit einge- schriebenen Ringerregeln“. Richtigerweise muss das in zwei einzelnen Kapiteln dargestellt werden, denn die besagten „Ringerregeln“ gibt es an dieser Stelle und auch in allen andern HSS nicht. Daher muss es hei- ßen: „Kap. 9: 67r-73v Meister Ott Ringerlehre, nicht illustriert; Kap.10:
74r-75r 26 Hauptstücke des Rossfechtens (26 Rossfiguren)“.
3. HS 38.1.3. (S. 12 ff.): Wie hier werden oft und auch vage Querverweise (auch wenn diese kenntlich gemacht werden) unternommen. Kap. 12: „199r-251r Martin Hundfeld (?), Text und Auslegung zum Kampffech- ten, mit Abbildungen“. Korrekt wäre hier das Kapitel mit „Glossierte Fassung von Liechtenauers Kampffechten“ ohne fraglichen Verfasser- hinweis beschrieben. Es handelt sich hierbei um eine glossierte Fassung von Liechtenauers Merkversen zum Kampffechten, wie sie auch in an- deren HSS, ohne Urheberzuweisung für die Glossen verzeichnet ist. Hundfeld hat zwar auch eine Lehre des Kampffechtens hinterlassen, diese stimmt aber mit der hier angeführten Glossierung absolut nicht überein. Wer mit den HSS vertraut ist, kann Hundfelds Lehre im direkt anschließenden Kapitel finden – auch wenn es dem Verzeichnis nicht zu
entnehmen ist.
Kap. 13: „252r-281v Andreas Lignitzer, Kunst des Fechtens mit dem kurzen Schwert, mit Abbildungen“. Nach einer Leerseite (fol. 271v) be- ginnt von 272r-281v ohne Verfasserangabe Hundfelds Lehre des Kampffechtens. Ob auf der Leerseite nachträglich die Ankündung und Namenszuweisung der Lehre erfolgen sollte, könnte wohl vermutet
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werden, wenn nicht von Liegnitzers vorausgehender Lehre gerade das
letzte Stück fehlte.
4. Die Mutmaßung des Bearbeiters, dass in HS 38.1.5. das dort verzeich-
nete Dolchfechten (foll. 46r-56r), das kurioserweise mit einer Boden- technik beginnt, von Andreas Liegnitzer stammen könne, lässt sich nicht verifizieren. Die ihm u. a. in HS 38.9.9. namentlich zugeschrie- bene Dolchfechtlehre weist keinerlei Gemeinsamkeiten mit der vorge- nannten auf.
Ein weiteres Beispiel dafür, dass in einer namentlich verzeichneten Lehre durchaus auch Lehren anderer Fechtmeister „versteckt“ sein können, ist Paulus Kals HS 38.5.4. (S. 70 ff.). Dort findet sich nach den Angaben des Katalogs von foll. 126r-128r Martin Hundfelds „Fechten zu Pferd mit der Glefe“. Tatsächlich wird ohne Namensnennung von foll. 127v-128r Andreas Liegnitzers Lehre vom Buckler- und Dolchfechten verzeichnet.
Nachlässigkeiten anderer Art sind auch zu vermerken: Die in HS 38.7.5. namenlose Lehre des Rossfechtens wird im Inhaltsverzeichnis korrekt dem „Meister Lew, Fechtkunst zu Roß“ zugewiesen. Aufschlussreicher hätte es je- doch heißen können „Liechtenauers Merkverse zum Rossfechten mit Glossen von Meister Lew“, denn Meister Lew ist nicht der Urheber von Liechtenauers zum großen Teil unverständlichen Merkversen, die ja ihm selbst zugeschrieben werden müssen: wen das ist sein [Liechtenauers, e. A.] zete gewest dorvm das is nicht yderman vorneme13. Mangelnde Textkenntnis führt auch in der HS 38.3.4. (S. 47 ff.) zu der unpräzisen Formulierung „Liechtenauers Fechtkunst in der ge- reimten Bearbeitung Talhoffers“. Korrekt müsste es heißen „Liechtenauers ge- reimte Fechtkunst (des langen Schwerts) in der Bearbeitung Talhoffers“.
Nicht nur an diesen Beispielen zeigt sich die Problematik der Erstellung eines Inhaltsverzeichnisses bei den Fecht- und Ringkampfhandschriften. Vor der Bearbeitung sollte man sich erst einmal fragen, welche Art von Inhaltsverzeich- nis man anlegen will. Es gibt hierbei eigentlich nur zwei Möglichkeiten:
1. Ein Inhaltsverzeichnis, das sich an der Kapiteleinteilung der HSS orientiert und nur diese übernimmt. Bei der besagten Arbeitsweise der Schreiber/Autoren ist diese Erstellung eigentlich von geringem Er- kenntnisgewinn.
2. Die Erstellung eines Kritischen Inhaltsverzeichnisses, das auch kompi- lierte Fassungen kenntlich machen und (bei anonymen Texten) Verfas- sernennungen vornehmen kann. Auf diese Weise kann man die indivi- duellen Besonderheiten dieses Handschriftentypus besser herausarbei- ten. Dies erfordert natürlich Detailwissen und vor allen Dingen Text- kenntnis aller betreffenden HSS.
Die hier zu rezensierende Arbeit vermengt beide Arbeitsweisen, was aufgrund zu geringer Textkenntnis unweigerlich zu den aufgezeigten Fehlern führt und
13 Ms. 3227a, fol. 87r.
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den gesamten Band, zusammen mit den vorher beanstandeten Punkten, ausge- sprochen benutzerunfreundlich erscheinen lässt.
Fazit: Es steckt sicher viel Arbeit in diesem Band und Einiges lässt sich auch mit Gewinn lesen. Die angesprochenen Mängel scheinen dem Rezensenten jedoch erheblich und so wurde im Bereich der Handschriftenforschung der Fechter und Ringer eine große Chance vertan. Diese Arbeit hätte so niemals in Druck gehen dürfen!
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Buchbesprechungen
Claudia Schopphoff, Der Gürtel. Funktion und Symbolik eines Kleidungsstücks in Antike und Mittelalter (Pictura et Poesis. Interdisziplinäre Studien zum Ver- hältnis von Literatur und Kunst, Band 27) Köln, Weimar und Wien: Böhlau Ver- lag 2009, 324 S., 55 Abb., geb. ISBN 978-3-412-20226-2, Euro (D) 42,90.
Seit dem Jahr 1971 wird die Forschung zu „dem“ elementaren Accessoire der Kleidung, dem Gürtel, insbesondere durch das Werk Gürtel des hohen und spä- ten Mittelalters der Kunsthistorikerin Ilse Fingerlin repräsentiert.1 Aufbauend auf Fingerlins Gürtel-Typologie erweitert nun Claudia Schopphoff den For- schungsstand um ein von Fingerlin angesprochenes Desiderat: die Bedeutungs- ebene. Aus der Perspektive der Literaturwissenschaftlerin widmet sich Schopp- hoff in ihrer Monographie der Funktion und Symbolik von Gürteln. Innerhalb eines zeitlichen Bezugsrahmens, der von der Antike bis ins Mittelalter reicht, werden literarische Quellen einer eingehenden Analyse unterzogen und zuwei- len um die Beschreibung bildlicher Darstellungen von Gürteln als auch konkre- ter Objektbeispiele ergänzt. Schopphoffs Arbeit liegt die Intention zugrunde, das Verständnis für den Real- und Symbolwert des Gürtels zu schärfen.
Die Autorin stellt ihrem Werk grundsätzliche Überlegungen voran: Sie befasst sich zunächst mit der Etymologie des Wortes Gürtel und skizziert eine Kulturgeschichte des Gürtels vom Neolithikum bis in das Mittelalter, auch unter Bezugnahme auf archäologische Funde. Sie fragt nach dem Stellenwert des Gürtels in der Antike und identifiziert ihn auf der Basis mittelalterlicher epischer Literatur als nahezu unverzichtbares Kleidungsstück. Schließlich wird eine Zu- sammenstellung charakteristischer Eigenschaften des Gürtels vorgenommen, bevor im eigentlichen Hauptteil der Monographie die verschiedenen Bedeutun- gen des Gürtels sowohl im weltlichen als auch im religiösen Bereich themati- siert werden.
Durch umfassendes Quellenstudium eröffnen sich der Autorin unter- schiedliche Möglichkeiten der Betrachtungsweise des Gürtels; ein breites Be- deutungsspektrum wird erkennbar. Claudia Schopphoff beschäftigt sich etwa mit der Symbolik des Gürtels im antiken Mythos und in der Bibel, sie analysiert
1 Ilse Fingerlin, Gürtel des hohen und späten Mittelalters. München: Deutscher Kunstverlag, 1971.
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Gürtel im Konnex mit Initiationsriten und Magie oder reflektiert über die Exis- tenz des sogenannten Keuschheitsgürtels2. Der häufige Perspektivenwechsel resultiert in einer umfangreichen inhaltlichen Gliederung. Kapitelanzahl und eine nicht durchgehend objektiv nachvollziehbare Kapitelreihung schmälern al- lerdings den Informationswert der Inhaltsangabe – nur mit Mühe lässt sich Schopphoffs Forschungsfeld überblicken.
Im Mittelpunkt steht der Gürtel als Kleidungsstück, allerdings wird in der Einleitung nur ansatzweise ausgeführt, nach welchen Kriterien die Auswahl der thematischen Zusammenhänge erfolgte, im Rahmen derer Funktion und Sym- bolik des Gürtels nachgespürt werden. Kapitel für Kapitel weitet sich der Blick und der Leserin und dem Leser offenbart sich eine kaleidoskopische Abfolge von Bedeutungen, die mit diesem Kleidungsstück verbunden sind. Zweifellos ist es Claudia Schopphoff damit gelungen, die Vielschichtigkeit des Gürtels als Be- deutungsträger darzustellen.
Die Monographie ist durch Quellennähe charakterisiert, regelmäßig rekur- riert die Autorin auf literarische und historische Quellen der Antike und des Mittelalters, stellt aber auch ihre profunde Kenntnis der einschlägigen Sekun- därliteratur unter Beweis. Im Anhang findet sich ein umfangreiches Literatur- verzeichnis, Schopphoffs Arbeit wird zudem durch Register zu Autoren, Wer- ken, Personennamen und Sachen sowie durch einen Bildteil komplettiert.
In Anknüpfung an Ilse Fingerlins Standardwerk der Gürtelforschung ent- stand mit Claudia Schopphoffs Monographie damit eine umfassende Abhand- lung über die Bedeutung des Gürtels in Antike und Mittelalter – eine Lücke hat sich geschlossen. Durch bessere Strukturierung hätte die Studie leserfreundli- cher gestaltet werden können. Wie bei Ilse Fingerlin waren schließlich auch Claudia Schopphoffs Forschungen gewisse Grenzen gesetzt und mancher As- pekt konnte nicht in aller Ausführlichkeit behandelt werden, wie etwa jener des Bindens und Lösens von Gürteln. Die besondere Qualität der Arbeit liegt darin, Anknüpfungspunkte für weitere Forschungen zu bieten und auf diese Weise das Interesse an der Beschäftigung mit dem Gürtel lebendig zu erhalten.
Angelika Kölbl (Krems an der Donau)
Lutz Philipp Günther, Die bildhafte Repräsentation deutscher Städte. Von den Chroniken der frühen Neuzeit zu den Websites der Gegenwart. Köln, Weimar und Wien: Böhlau Verlag 2009, 479 S., 94 Abb., 9 Tab., geb. ISBN 978-3-412- 20348-1, Euro (D) 59,90.
Wie erhellend es sein kann, das Klein(er)gedruckte zu lesen, zeigt in diesem Fall ein Vermerk auf der Impressumsseite: Das hier zu besprechende Buch wird dort
2 Zum Keuschheitsgürtel vgl. auch zuletzt Albrecht Classen, The Medieval Chastity Belt. A Myth-Making Process. New York: Palgrave Macmillan, 2007.
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als Werk ausgewiesen, mit dem Lutz Philipp Günther an der Fakultät für Archi- tektur und Stadtplanung Stuttgart unter dem Titel „Von den Städtechroniken zu den kommunalen Websites – Zum Wandel von Darstellungskonventionen in der bildhaften Repräsentation deutscher Städte“ promoviert wurde. Deutlicher als anhand des (zu) allgemein gehaltenen Publikationstitels wird der Leser so auf die Intention des Autors aufmerksam, die „bildhafte Selbstdarstellung deutscher Städte infolge deren Transformation in den digitalen Raum“ zu untersuchen.
Aufgrund der These Günthers, kommunale Websites bedienten sich nicht völlig neuer Darstellungskonventionen, sondern fußten vielmehr auf überkom- menen Formen urbaner Visualisierung, spannt der Autor konsequent den Bogen sehr weit und schaltet seiner eigentlichen Analyse zur „Stadtrepräsentation im Kontext der digitalen Bildmedien“ zwei Kapitel vor, die den ikonographischen Wandel deutscher Städte vom 15. bis zum 20. Jahrhundert umfassen. Diese Un- tersuchung beginnt mit einer knappen Vorgeschichte bildhafter Stadtrepräsenta- tion und setzt bei den historisch-technischen Bildmedien fort: von den einzelnen Produktionstechniken (Holzschnitt, Kupferstich, Radierung, Malerei) zum me- dialen Phänomen der Massen- und Werbegrafik und den unterschiedlichen in Verbindung stehenden Bildtypen und Präsentationstechniken. Daran anschlie- ßend werden Darstellungskonventionen der Stadtrepräsentation im Kontext von Fotografie und Film, sowie innerhalb multimedialer Inszenierungen beleuchtet.
Beeindruckend ist dieser Abriss vor allem aufgrund der präsentierten Breite der Bildgenres und Techniken – von Städtechroniken über Souvenirtü- cher, touristische Unterrichtstafeln bis hin zu den ‚Ansichten‘-Filmen aus der Zeit des Kaiserreichs. Dass trotzdem manche Bereiche, wie beispielsweise die Stadtrepräsentation innerhalb militär- und ereignishistorischer Kontexte oder innerhalb des didaktischen Bereichs, keine Aufnahme fanden, ist vor dem Hin- tergrund der komplexen Thematik ebenso verständlich wie die Schwerpunkt- setzung, vor allem eine Analyse von Gesamtdarstellungen von Städten vorzu- nehmen und erst „mit der Etablierung der entsprechenden Publikationsformen als kommunale Repräsentationsmittel“ auch die Detailansichten von Straßen- räumen und Einzelbauten einzubeziehen. Verständlich erscheint auch, dass der Autor die „individuellen wie zeit- und ortsgebundenen Gegebenheiten“ der ‚Produzenten’ von Stadtbildern weitgehend außer Acht lässt bzw. sich auf vor- handene Analysen stützt. Als weniger sinnvoll anzusehen ist Günthers Abgehen von einer ursprünglich intendierten „Kontinuität in der Darstellung einer be- stimmten Auswahl von Städten über sämtliche Epochen hinweg“. Stattdessen stellt er die Ausbildung neuer ‚Städtebilder’ anhand ausgewählter Fallbeispiele dar. Gerade im Hinblick auf die darauf folgende, interessante Studie zu den kommunalen Visualisierungsprinzipien in den Neuen Medien anhand von 100 Webpräsenzen ausgewählter Haupt-, Mittel- und Kleinstädte der Bundesrepublik Deutschland wäre jedoch die durchgehende Bildtradition vielleicht besser im- stande gewesen, Zusammenhänge aufzuzeigen.
Am Beginn der Studie stehen Fragestellungen zur Startseite der offiziellen Homepage – die Wahl der den Ersteindruck bestimmenden bildlichen Motive,
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deren Zusammensetzung aus historischen oder modernen Elementen, die Ver- wendung von Fotos oder Grafiken und die Übernahme überkommener „bildge- stalterischer Tricks“ in den virtuellen Raum. Weiters wird das Sample auf di- verse Bildangebote und Bildinventionen innerhalb touristisch ausgerichteter Webpräsenzen untersucht. Zuletzt wird noch der Stellenwert der Kartographie als ‚Vernetzungselement’ unterschiedlicher visueller Elemente auf städtischen Websites beleuchtet.
Grundsätzlich stehen in Günthers bildwissenschaftlicher Analyse einem sorgfältig recherchierten mediumsspezifischen Hintergrund teils hinterfragens- werte Schlüsse gegenüber. Zwei Einzelbeispiele seien herausgegriffen. Im Zuge des Vergleichs der touristischen Autobahnhinweistafel von Pirna mit einer ge- malten Ansicht des Marktplatzes derselben Stadt von Bernardo Bellotto, gen. Canaletto, bemerkt Günther, das Ensemble wäre „nahezu aus dem von Canaletto gewählten Blickwinkel aufgenommen und abstrahiert in die braun-weiße Grafik übersetzt worden“. Wenn man sich die Bildtradition von Pirnaer Stadtansichten vor Augen führt, die über viele der von Günther anhand von anderen Fallbei- spielen dargestellten Etappen nachgezeichnet werden kann (Merian’sche Topo- graphie, Sammelbild, Postkarte, Plakat, Fotografie, etc.) ist auffallend, dass die ‚Gesamtschau’ der Stadt, meist vom nördlichen Elbufer aus, eine sehr verbrei- tete Variante ist. Ein dezidierter Rückgriff auf ein bekanntes Bild (aus einer Se- rie von elf unterschiedlichen Ansichten von Pirna) eines bekannten Malers vor dem Hintergrund der Bewerbung eines historisch intakten Stadtkerns (Broschü- ren der Stadttourismuswerbung hantieren mit Titeln wie „Pirna … wie gemalt“ oder einem Foto, auf dem einigen Betrachtern eine gerahmte Replik des Cana- letto-Marktplatzes vor den realen Bauten präsentiert wird) und weniger die tra- dierte Sehkonvention scheint hier die Motivwahl bestimmt zu haben. Wenn auch der Blickwinkel der Autobahnhinweistafel und jener des Canaletto-Gemäldes annähernd übereinstimmen, was gezeigt bzw. welcher Ausschnitt gewählt wurde – und damit einhergehend das transportierte Bild und ‚Image‘ – differieren hin- gegen beträchtlich. So ist bei der Hinweistafel die Ostseite des Platzes mit dem Rathaus (inklusive des Anbaus aus 1880) und mit der Marienkirche sowie die Südseite mit dem sog. Canaletto-Haus zu sehen, wogegen im älteren Gemälde auch die Westseite und ein Ausblick auf das Schloss Sonnenstein Darstellung fanden. Offen bleiben bei Günther die Fragen, ob und wie sehr bei der Erstel- lung einer Grafik für eine Autobahnhinweistafel die Anpassung an den heutigen Seheindruck oder die Reduzierung auf einige wichtige Elemente des Marktplat- zes der Geschwindigkeit des Betrachters oder der Corporate Identity Rechnung tragen (diese beiden Faktoren nennt Günther in allgemeineren Teilen, aber nicht in Bezug auf dieses Beispiel) bzw. ob die Veränderung nicht auch eine inhaltli- che Komponente hat. (Beispielsweise könnte man sich fragen, ob Schloss Son- nenstein – obwohl in älteren Ansichten durchaus präsent – vielleicht auch ob seiner Funktion als NS-Tötungsanstalt in den Jahren 1940/41 nicht als Bildele- ment in die Hinweistafel aufgenommen wurde).
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Es sei noch kritisch auf ein zweites Beispiel von Günthers komparatisti- schen Bildanalysen eingegangen. Er erkennt Parallelen zwischen der auf der Startseite der Stralsunder Homepage platzierten Fotografie der Stadt und der ‚Großen Ansicht der Stadt Köln’ von Anton Woensam aus dem Jahr 1531. Der Autor betont die Ähnlichkeit der ‚bildgestalterischen Tricks’ des digital mani- pulierten Fotos einerseits und der gedehnt und abstrahiert wiedergegebenen Auf- rissdarstellung im älteren Holzschnitt andererseits, ebenso wie die Parallelen in der Gestaltung der Himmelszone auf Grund der jeweils „theatralischen Wolken- formationen“, die von Putten, Marcus Agrippa und Marsilius bevölkert sind wie auch Stadtnamen und -wappen repräsentieren. Mit bloß einem derartigen Ein- zelvergleich relativiert sich jedoch Günthers Fazit, dass die Stadtgestalt der auf kommunalen Websites verwendeten Motive „in ihrer Thematik wie Bildsprache eine mitunter weit zurückreichende Tradition“ aufweist.
Die reiche Bebilderung des Texts ist lobend hervorzuheben, wenngleich sich der Leser anhand der viertel- oder achtelseitigen, schwarz-weißen (Detail-) Reproduktionen ob der mitunter großen Abmessungen, der Farbigkeit oder der medialen Erscheinung des Originals kaum eine adäquate Vorstellung machen kann.
Insgesamt bleibt der Leser mit einem gemischten Eindruck zurück – der Vielfalt der aufwendig recherchierten und breit dargelegten Studie steht letztlich eine Reihe von verbleibenden Fragezeichen gegenüber.
Isabella Nicka (Krems an der Donau)
Sarah Khan, Diversa Diversis. Mittelalterliche Standespredigten und ihre Visu- alisierung (Pictura et Poesis. Interdisziplinäre Studien zum Verhältnis von Lite- ratur und Kunst, Band 20) Köln, Weimar und Wien: Böhlau Verlag 2007, 490 S., 77 Abb., geb. ISBN 978-3-412-27905-9, Euro (D) 69,90.
Die Studie repräsentiert die überarbeitete Dissertation der Autorin, die sie 2001/02 an der Philosophischen Fakultät der Universität Zürich verteidigte. Sie widmet sich der Analyse eines der bedeutendsten illustrierten mnemotechni- schen Traktate der Mitte des 15. Jahrhunderts aus dem heute in Wien befindli- chen und wohl dem Salzburger Domkapitel entstammenden Codex Vindobonen- sis 5993. Die bereits in den Zwanzigerjahren des 20. Jahrhunderts vor allem auf Grund ihrer Illustrationen das Interesse der Forschung erweckende Quelle ver- mittelt Regeln für die Mnemotechnik und bietet Figuren, die an ihren Gliedern mit jeweils zehn Motiven versehen sind. Basierend auf entsprechenden Verwei- sen im Traktat kann die Autorin die These aufstellen, dass es sich bei den Figu- ren mit Motiven um verbildlichte Standes- und Themenpredigten handelt.
Sarah Khan verweist vorerst auf das Problem der Funktion des Textes und der Figuren sowie auf die Fragen nach der Entstehungs- und Überlieferungsge- schichte des Traktates. Danach widmet sie sich den Vorbildern für die Visua-
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lisierung der Figuren und beschäftigt sich daraufhin mit Grundlagen für die De- chiffrierung derselben, um schließlich auf deren explizite Entschlüsselung ein- zugehen. Es geht ihr dabei um „den Versuch, die Figuren Sprache werden zu lassen“ (S. 5-6). Den Lesern sollen Einblicke gewährt werden „in die in mittel- alterlichen Predigten stattgefunden habenden Transpositionen zwischen Wort- zeichen und Bildzeichen“ (S. 6).
Nach einer Transkription des lateinischen Textes des Traktats widmet sich die Autorin der Bezugnahme des anonymen Verfassers auf die Regeln der anti- ken Mnemotechnik. Letztere verknüpfte er „mit den Gesetzmäßigkeiten scholas- tischer Unterweisungspraxis“ (S. 22) und bemerkte, dass die Gedächtnisregeln auf beliebige zu erinnernde Inhalte anwendbar seien. Nichtsdestoweniger soll erkannt werden, dass die Figuren „auf struktureller Ebene scholastische Predig- ten visualisieren können“ (S. 47) und der Traktat damit Regeln für die Erinne- rung von Predigten vermittelt. Daraufhin diskutiert Khan einen möglichen Kon- text der Figuren mit den visuellen Umsetzungen der artes praedicandi, die ab dem 14. Jahrhundert belegt werden können.
Im dritten Hauptteil geht die Autorin auf Grundlagen für die Dechiffrie- rung der Predigtfiguren aus Codex Vindobonensis 5993 ein, beschäftigt sich all- gemein mit Formen mittelalterlicher Allegorese, der Entstehung und Entwick- lung der Standespredigten, den mittelalterlichen Sozialmetaphern und der prak- tischen Umsetzung der sermones ad status für unterschiedliche Rezipien- tengruppen.
Der Versuch einer expliziten Entschlüsselung der Predigtfiguren zeigt sich für die Verfasserin als mit vielen Problemen verknüpft. „Auf Predigten nämlich, auf die sich die Figuren in Übereinstimmung eines Verhältnisses eins zu eins von Text und Motiv projektieren lassen, kann nicht zurückgegriffen werden, … so daß die Rekonstruktion der Inhalte der Figuren durch die Predig- ten ad status oftmals fragmentarisch bleiben muß. Eindeutiger dagegen lassen sich die Figuren mit Hilfe der biblischen Allegorese sowie der Etymologie und durch inhaltliche Verknüpfungen erschließen, die für die Motive der Figuren durch die für sie geforderte Auslegung ad rem, ad vocem und ad significationem gegeben sind.“ (S. 139).
Die Exegese der Motive der Predigtfiguren wird etwas erleichtert durch die Rezeption derselben in zwei, 1450 und 1472 entstandenen Abschriften (Co- dex Vindobonensis 4995 und 4121), in welchen die Motive nicht verbildlicht, sondern in Form von Diagrammen und begrifflichen Zuordnungen übernommen wurden. Dabei erkennt die Autorin, dass auch aus der Transposition eines Mo- tivs in einen Begriff Schwierigkeiten resultieren, da „der Begriff die visuelle Darstellung des einzelnen Motivs im Detail nicht zu fassen vermag.“ (S. 140)
Sarah Khan führt die Exegesen und Entschlüsselungen der Figuren – Mönch, König, Soldat, Bader, Äthiopier, Monster, Christusfigur, Kanoniker, Nonne und Jungfrau – und Diagramme in umfassender, äußerst detaillierter und kenntnisreicher Weise durch, zu welcher man der Autorin gratulieren kann. Sie beginnt jeweils mit der Gegenüberstellung einer Figur aus Cod. Vind. 5993 und
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des jeweiligen Diagramms aus Cod. Vind. 4995. Dieselbe dient als Basis für eine Bildbeschreibung der Figuren, welche gefolgt wird von der Exegese der Motive ad rem, ad vocem und ad significationem, dem „Schlüssel für eine An- näherung an die Entzifferung der Figuren“ (S. 140). Daneben zieht die Autorin Exzerpte aus Standespredigten heran: zum einen die im 15. Jahrhundert in Salz- burg vorhandene Predigtabhandlung des Gilbert von Tournai (13. Jh.), der oft wörtlich von den populären sermones ad status des Jacques de Vitry kopiert hatte; darüber hinaus die Predigtabhandlungen des Alanus de Insulis (12. Jh.) und des Humbert de Romans (13. Jh.), sowie aus dem 15. Jahrhundert jene von Bernhardin von Siena, Fra Roberto de Caracciolo und S. Jacobus de Marchia.
Der als sehr gelungen anzusehende Versuch der Entschlüsselung führt die Verfasserin zur Erkenntnis, dass die Figuren und Motive den in den sermones ad status regelmäßig zu erkennenden diversa diversis (Verschiedenes den Ver- schiedenen, d. h. der Differenziertheit des Predigtpublikums angepasst) entspre- chen. Die dargestellten Motive visualisieren schichtbedingte Eigenschaften bzw. Merkmale und schichtspezifische Tätigkeiten. Daneben zeigen sich jedoch auch partielle Übereinstimmungen der Motive, sowohl in Bezug auf „schichtspezifi- sche Differenziertheit gleicher Motive“ (S. 387-392) als auch hinsichtlich „schichtübergreifender Konvergenz gleicher Motive“ (S. 392-399).
Ein umfangreicher Quellenanhang zur Exegese der Figuren und Motive, ein umfassendes Quellen- und Literaturverzeichnis, ein Namens-, Orts- und Sachregister sowie ein Tafelteil beschließen die Untersuchung, welche nach An- sicht des Rezensenten als ein Modell für Analysen in Bezug auf Pictura et Poe- sis anzusehen ist.
Gerhard Jaritz (Krems/Donau und Budapest)
Eva Labouvie (Hg.), Schwestern und Freundinnen. Zur Kulturgeschichte weibli- cher Kommunikation. Köln, Weimar und Wien: Böhlau Verlag, 2009, 450 S., 52 Abb. geb. ISBN 978-3-412-20358-0, Euro (D) 49,90.
Aus der „Sechsten Interdisziplinären Konferenz zur Frauen- und Geschlechter- forschung in Sachsen-Anhalt“ (2008) entstand der vorliegende Band. In ihrer einleitenden Darstellung „Zur Einstimmung und zum Band“ geht die Herausge- berin unterschiedlichen historischen Freundschaftskonzepten nach und verweist auf das lange dominante Modell von Männerfreundschaft. Seit dem 18. Jahr- hundert jedoch wurden Frauenfreundschaften – neben der Schwesternliebe „sa- lonfähig“ (12 f.) Hier betont sie die Wichtigkeit der brieflichen Überlieferung und zeigt vorhandene Forschungsdefizite auf. Die festgestellten, über die deut- sche Forschung hinausgehenden wissenschaftlichen Erkenntnisse (20) bleibt der Band jedoch zum großen Teil schuldig.
Das mit einer Titelabbildung von Renoirs La moulin de la galette sehr an- sprechend gestaltete Buch ist in zwei Abschnitte geteilt, die sich den Themen
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„Freundschaften unter Frauen“ sowie „Schwestern: eine besondere Beziehung“ widmen. Beide thematischen Blöcke sind in jeweils drei thematische Klammern unterteilt.
Die erste thematische Klammer behandelt Freundschaften psychologisch, soziologisch und ethnologisch. Horst Heidbrink behandelt in seinem Beitrag „Face-to-Face und Side-by-Side: Frauen- und Männerfreundschaften. Ergeb- nisse der psychologischen Freundschaftsforschung.“ Nicht nur Definitionsfragen und unterschiedliche Freundschaftskonzepte werden aus genderspezifischem Blickwinkel dargestellt, sondern auch als Prozesse beschrieben. Er betont Un- terschiede des sozialen Hintergrundes, die eine wichtige Rolle in Freundschafts- beziehungen spielen. Die europäische Ethnologin Margret Hansen stellt in ihrer Analyse „Lebensgeschichtliches Erzählen über Frauenfreundschaften“ mithilfe von Tiefeninterviews von Frauen, die zwischen 1948 und 1968 geboren wurden, Topoi in Erzählungen über Freundschaft in den Mittelpunkt. Eine wichtige Rolle bei der Bewertung von Frauenfreundschaften spielt dabei der Vergleich, wobei moralische Positionen ins Gewicht fallen sowie Laufbahnaspekte, unterschiedli- che oder gemeinsame Bildungsniveaus und natürlich auch das Feststellen von Ähnlichkeiten und Unterschieden zu Männerfreundschaften. Auf Gruppeninter- views basiert Renate Liebolds Artikel „‘Was ich auf dem Herzen hab’, kann ich nur mit einer Frau besprechen’. Weibliche Kommunikationsgemeinschaften im Milieuvergleich.’ Konstruktionen von Geschlecht(erwissen) werden je nach so- zialer Zusammensetzung der Gruppen unterschiedlich durchgeführt.
Die Beschäftigung mit dem 18. Jahrhundert als „Jahrhundert der Freund- schaft“ stellt den Ausgangspunkt der zweiten thematischen Klammer „Modelle, Orte und Rituale der Freundschaft“ dar. Mittels Briefen kommunizierten „Die Freundinnen Rahel Levin Varnhagen und Pauline Wiesel“, die im Mittelpunkt des Artikels von Pia Schmid stehen. ‚Gleichheit’ stellt einen wichtigen Bezugs- punkt dar. Claudia Häfner widmet sich Frauenfreundschaften im Weimarer Mu- senverein des beginnenden 19. Jahrhunderts, die sich in Briefen, Tagebüchern und literarischen Werken dokumentieren. Die Gruppe konnte an gesellige Zirkel bereits in zweiter Generation anschließen, eine wichtige Rolle spielte dabei auch der Ort Weimar. Mit der Kommunikations- und Beziehungskultur unter Berliner Privatdozentinnen zu Beginn des 20. Jahrhunderts beschäftigt sich Annette Vogt. Die Strategien von Wissenschafterinnen dieser Generation Netzwerken auf regionaler oder internationaler Ebene beizutreten, variierten, sie hatten je- doch kaum V erbindungen untereinander; ebenso existierten kaum V erbindun- gen zur Frauenbewegung. Durch Vertreibung und Exil erfolgte ein Bruch beste- hender Beziehungen.
Die dritte thematische Klammer behandelt „Sprachen der Freundschaft – Briefe, Tagebücher, Bilder und Gedichte“ und konzentriert sich auf das 18. Jahrhundert. Johanna Geyer-Kordesch behandelt adelige Frauenfreundschaften dieses Zeitraums in ihrem Beitrag „Dein Bildnis zu dem ich von meinem Schreibtisch so oft hinaufblicke“. Weshalb jedoch in diesem Zusammenhang Vergleichsbeispiele von Frauen des 20. Jahrhunderts, die weibliche Selbstfin-
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dung suchen – unter anderem der Krimiautorin Sara Paretsky –, angeführt wer- den, bleibt nicht ganz nachvollziehbar. Anhand zahlreicher poetischer Beispiele geht Ute Pott der Frage eines weiblichen Schreibens im Beitrag „‘…mit der Zärtligkeit einer liebenden schwester’. Frauenfreundschaft in Briefen und Ge- dichten von Ann Louisa Karsch“ nach. Die Kunsthistorikerin Bettina Baumgär- tel beschäftigt sich mit „Angelika Kauffmann und der Freundschaftskult der Künstlerinnen. Bildtypologien der Freundschaft um 1800.“ Freundschaftportaits und Freundinnen-Paarbildnisse werden in ihren geschlechtsspezifischen Zu- sammenhängen analysiert.
Der zweite Abschnitt des Bandes zur Beziehung von Schwestern ist eben- falls in drei Blöcke gegliedert, wobei der erste Block unter dem Titel „Mörtel des Verwandtschaftssystems?“ dem Zusammenhalt des sozialen Gefüges ge- widmet ist. Nur wenige Quellen stehen Ann-Cathrin Harders in ihrem Beitrag „Sororitas? – Überlegungen zu einem Konzept der Schwesterlichkeit im antiken Rom“ zur Verfügung. Dennoch kann sie vor allem im Kult eine besondere Be- deutung der weiblichen Verwandtschaft feststellen. Mit Hilfe von Dispensansu- chen widmet sich Margareth Lanzinger der Thematik von „Schwestern-Bezie- hungen und Schwager-Ehen. Formen familialer Krisenbewältigung im 19. Jahr- hundert.“ Deutliche geschlechtsspezifische Unterschiede lassen sich bei den Dispenswerbern feststellen, Witwer stellen häufigere Gesuche als Witwen. Die Schwester der Verstorbenen bildet in diesen Kontexten wohl mehr als den „Mörtel des Verwandtschaftssystems“. In ihrem Beitrag „Ältere Frauen und ihre Schwester. Eine soziologische Annäherung“ stellt Vera Bollmann die internati- onale soziologische Forschung zu Schwesternbeziehungen dar und betont die Wichtigkeit dieser Fragestellung für zukünftige Untersuchungen.
Im zweiten Themenblock „Adelige Schwestern: Kommunikation der „longue durée“ analysiert Beatrix Bastl die Nähe von Verwandtschaft und Freundschaft in ihrem Artikel „‘Ins herz khan man kein sehen’. Weibliche Kom- munikations- und Beziehungskulturen innerhalb der adeligen ‘familia’ der Frü- hen Neuzeit.“ Grundlage ihrer Untersuchung bieten Briefe von adeligen Ver- wandten. Väter-Töchter Briefe sieht sie als eigene Gattung, betont die Kommu- nikation zwischen Schwiegermüttern und Schwiegertöchtern sowie zwischen Schwägerinnen, und letztendlich zwischen Großmüttern und den folgenden Ge- nerationen. Schwesternbeziehungen sucht man in diesem Beitrag jedoch ver- geblich. Mit der deutschen adeligen Überlieferung des 18. Jahrhunderts be- schäftigt sich Jutta Prieur in „Von Detmold nach Dessau und zurück. Der Brief- wechsel der Schwestern Leopoldine, Gräfin zur Lippe und Casimire, Prinzessin von Anhalt-Dessau 1765-1769“. Ein äußerst umfangreicher, ebenfalls dem 18. Jahrhundert entstammender Briefwechsel bildet die Grundlage von Carolin Dollers „‘Ach, liebe Schwester, wie sehr sehne ich mich nach Dir!’ Beziehun- gen adliger Schwestern zwischen persönlicher Nähe und räumlicher Distanz.“
Der dritte thematische Block setzt sich mit „Schwestern im Geiste“ aus- einander. Warum der Beitrag von Gudrun Goes „Marina Cvetaeva: Sophia, Sof’ja und die Amazone – meine Schwestern, meine weiblichen Brüder im Le-
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ben und in der Poesie“ im Abschnitt über Schwestern platziert wurde, ist inso- fern schwer nachvollziehbar, als den dargestellten Beziehungen Liebes- bzw. Freundschaftsverhältnisse zu Grunde lagen.
Es überrascht, dass sich der daran anschließende Beitrag mit dem Früh- mittelalter auseinandersetzt. Das gerade in letzter Zeit in der Mediävistik stark diskutierte Thema der Freundschaft behandelt Katrinette Bodarwé mit der Un- tersuchung „Befreundete Schwestern. Beziehungs- und Kommunikationskultu- ren klösterlicher Frauen im Frühmittelalter“. Die Autorin geht dabei den Be- griffsebenen und den schwierigen Zuordnungen von Freundschaft und Verwandtschaft in Quellen dieses Zeitraums nach. Die Entwicklung von der Spätantike zum Frühmittelalter mit den besonderen Implikationen für weibliches klösterliches Leben thematisiert sie ebenso wie familiäre Netzwerke in den Klöstern. Letztere entstanden auch durch die Gründung von Tochterklöstern.
Zuletzt stellt Eva Brinkschulte in „Äskulaps pflegende Schwestern. Das ‘Mutterhausprinzip’ als Lebensform der weltlichen Krankenpflegerinnen am Beispiel der Schwesternschaft des Oskar-Helene-Heims 1906-1926“ ein interes- santes Beispiel übertragener Schwesternschaft dar, eines Prinzips, das auch mit übertragener Mutterschaft verbunden wurde,
Eine mehr als 20seitige Auswahlbibliographie schließt den Band ab. Ge- nerell liegt in den Beiträgen eine Konzentration auf den deutschsprachigen Be- reich vor, wobei das adelige Milieu, und hier vor allem im „Jahrhundert der Freundschaft“, besonders stark vertreten ist. Die Antike und das Mittelalter sind mit jeweils nur einem Beitrag stark unterrepräsentiert. Außerdem wäre eine stärkere Bezugnahme der einzelnen Beiträge aufeinander sehr wünschenswert gewesen, was im Zusammenhang mit der dem Band zugrunde liegenden Tagung wohl kein Problem dargestellt hätte.
Brigitte Rath (Wien)
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Anschriften der Autoren
Grigory Bondarenko, Institute for Irish and Celtic Studies, University of Ulster, Coleraine BT52 1SA, Northern Ireland
E-mail: GV.Bondarenko@ulster.ac.uk
Alice Choyke, Department of Medieval Studies, Central European University, Nádor utca 9, 1051 Budapest, Hungary
E-mail: choyke@ceu.hu
Gerhard Jaritz, Institut für Realienkunde des Mittelalters und der frühen Neuzeit, Körnermarkt 13, 3500 Krems, Österreich, oder
Department of Medieval Studies, Central European University, Nádor utca 9, 1051 Budapest, Hungary
E-mail: gerhard.jaritz@oeaw.ac.at oder jaritzg@ceu.hu
Angelika Kölbl, Institut für Realienkunde des Mittelalters und der frühen Neu- zeit, Körnermarkt 13, 3500 Krems, Österreich
E-mail: angelika.koelbl@oeaw.ac.at
Isabella Nicka, Institut für Realienkunde des Mittelalters und der frühen Neu- zeit, Körnermarkt 13, 3500 Krems, Österreich
E-mail: Isabella.nicka@oeaw.ac.at
Irina Metzler, Department of History & Classics, James Callaghan Building 116, Swansea University, Singleton Park, Swansea SA2 8PP, United Kingdom E-mail: irinametzler@yahoo.co.uk
Brigitte Rath, Institut für Geschichte, Universität Wien, Dr. Karl Lueger-Ring 1, 1010 Wien, Österreich
E-mail: brigitte.rath@univie.ac.at
Rainer Welle, Kapellenstraße 22, 79292 Pfaffenweiler, Deutschland E-mail: il-vinaio@t-online.de
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MEDIUM AEVUM QUOTIDIANUM
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KREMS 2009
HERAUSGEGEBEN VON GERHARD JARITZ
GEDRUCKT MIT UNTERSTÜTZUNG DER KULTURABTEILUNG DES AMTES DER NIEDERÖSTERREICHISCHEN LANDESREGIERUNG
Titelgraphik: Stephan J. Tramèr
ISSN 1029-0737
Herausgeber: Medium Aevum Quotidianum. Gesellschaft zur Erforschung der materiellen Kultur des Mittelalters, Körnermarkt 13, 3500 Krems, Österreich. Für den Inhalt verantwortlich zeichnen die Autoren, ohne deren ausdrückliche Zustimmung jeglicher Nachdruck, auch in Auszügen, nicht gestattet ist. – Druck: Grafisches Zentrum an der Technischen Universität Wien, Wiedner Hauptstraße 8-10, 1040 Wien.

Inhaltsverzeichnis
Vorwort ………………………………………………………………………… 4
Grigory Bondarenko, The Swineherd in Celtic Lands …………………………….. 5
Irina Metzler, Heretical Cats: Animal Symbolism
in Religious Discourse ………………………………………………………………….. 16
MADness (Alice Choyke) ……………………………………………………. 33
Rainer Welle, Rezensionsartikel Ordnung als Prinzip. Eine Besprechung von Bd. 4/2, Lieferung 1/2, Nr. 38: „Fecht- und Ringbücher“
des Katalogs der deutschsprachigen illustrierten Handschriften
des Mittelalters ………………………………………………………… 37 Buchbesprechungen …………………………………………………………… 50 Anschriften der Autoren ……………………………………………………… 60
Vorwort
Das vorliegende Heft von Medium Aevum Quotidianum widmet sich erneut vorrangig einem Themenbereich, welcher bereits in früheren Bänden unserer Reihe als besonders wichtig für eine Alltagsgeschichte des Mittelalters und der frühen Neuzeit erkannt wurde: der Rolle von Tieren und verschiedenen Varian- ten der Mensch–Tier-Beziehung (vgl. vor allem Sonderband XVI: Animal Di- versities, 2005, den Beitrag von Helmut Hundsbichler in MÆQ 51, 2005, sowie den Artikel von Gertrud Blaschitz in MÆQ 53, 2006). Grigory Bondarenko be- schäftigt sich mit dem Schweinehirten im keltischen Irland und Irina Metzler untersucht die Bedeutung und symbolische Funktion der Katze in religiösen Diskursen. Schweine und Katzen repräsentieren zwei Säugetierfamilien, wel- chen augenblicklich auch besonderes Interesse im internationalen „Medieval Animal Data Network (MAD)“ entgegen gebracht wird, welch letzteres vor einigen Jahren am Department of Medieval Studies der Central European University (Budapest) ins Leben gerufen wurde und das von Alice Choyke kurz vorgestellt wird.
Von den gebotenen Buchbesprechungen ist im Besonderen die sehr aus- führliche Auseinandersetzung von Rainer Welle mit der neuen Lieferung des Katalogs der deutschsprachigen illustrierten Handschriften des Mittelalters zur Quellengruppe der „Fecht- und Ringbücher“ hervorzuheben.
Gerhard Jaritz
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