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Saufeder-Traktate

38
Saufeder-Traktate
Der Schweinespieß als Jagd- und Zweikampfwaffe
in der deutschsprachigen Fachprosa
des Spätmittelalters und der Renaissance
Matthias Johannes Bauer
Einleitung
Die Universitätsstadt Marburg muss um die Mitte des 16. Jahrhunderts ein
heißes Pflaster gewesen sein, in der Mord und Totschlag an der Tagesordnung
waren: Mit der Akademischen Polizei-Verordnung vom 6. Januar 1552 sah sich
die Obrigkeit gezwungen, gegen randalierende Studenten vorzugehen, nachdem
bekannt wurde,
dass etliche Studiosi, vnd vnter denen auch Studiosi vom Adell, […] des
Abents vnd die Nacht vber mitt feuerbuchsen vnd anderen weheren in der
Stadt durch die Gassen auff vnd ab gruntzen [d.h. lärmen] gehen, viel
muttwillens vnd Leichtfertigkeitt treiben, auch in den Gassen in der Stadt
bey der Nacht vnd dartzu vff die Leuthe die Buchsen abschiessen, hauwen,
stechen vnd schlagen.1
Um solchen gewaltsamen Ausschreitungen Herr zu werden, wurde eine Aufzählung
von drakonischen Strafandrohungen (Poenen) niedergeschrieben, die zur
dringenden handthabung Friedens vnd ruhe, vnd Abschaffung solches Todtschlagens,
Palgens vnd beschädigung dienen sollten.2 Reglementiert wurden dabei
einerseits das Tragen und das Ziehen von Waffen, das bei Geldstrafe in Höhe
von vier beziehungsweise zehn Gulden verboten wurde. Andererseits wurde die
Gewaltausübung als solche geahndet und hier griff die Obrigkeit schnell zur
Androhung von Körperstrafe – so verlor seine Hand, wer einem anderen eine
nicht-tödliche Verwundung beibrachte – oder verhängte sogar die Todesstrafe:
Welcher wirdt befunden gefährlicher weiss in der Stadt vnd auff den
Gassen mitt einer Buchssen, Schweinspiessen vnd anderen mordtlichen
1 Bruno Hildebrand, Urkundensammlung über die Verfassung und Verwaltung der Universität
Marburg unter Philipp dem Grossmüthigen. Marburg 1848, 56. – Ich danke Herrn Dr.
Norbert Nail, Institut für Germanistische Sprachwissenschaft der Philipps-Universität
Marburg, herzlich für den freundlichen Hinweis auf diese Quelle zum Schweinespieß.
2 Hildebrand, Urkundensammlung 58.
39
weheren, Der soll das Leben verfallen haben, es seyen Studenten, Burger
odder Handtwergks Gesellen.3
Dass neben der Büchse als Feuerwaffe ausgerechnet der Schweinespieß (heute:
Saufeder)4 als Waffe der nächtlichen Randalierer ausdrücklich erwähnt wird,
während alles übrige unter anderen mordtlichen weheren subsumiert wird, ist
auffällig und überrascht.
Man möchte meinen, dieser spezielle Untertypus des Spießes – eine rund
2,5 Meter lange Stangenwaffe zur Jagd von Schwarzwild – wäre besonders im
Zusammenhang mit dem geschilderten studentischen ,Halbstarken-Gehabe‘ und
ähnlichem eher unhandlich. Doch der Schein trügt. Chroniken wie die Nürnberger
Chronik von Heinrich Deichsler berichten mehrfach von Mord und Totschlag
mit Hilfe von Schweinespießen: So wurde der nicht weiter bekannte
Mäusefallenmacher vom Gostenhof am 28. Juli 1501 mit eim sweinspieß durch
die rieb in der seiten zu tode gehawen,5 während sich am 10. Oktober 1501 ein
Bauer gegen einen Feind mit dem Schweinespieß zur Wehr setzte:
So wereten sich die paurn ains tails und verwunten der veint auch vil. und
heraussen (außerhalb der Kirche) schoß der veint einer ab und schoß
einen paurn durch seinen arm und der paur saumpt sich nit lang und
stach in mit einem schweinspiß durchauß zu tode.6
Wenngleich die Quellenlage äußerst dünn ist, sind aus der deutschsprachigen
Überlieferung des Mittelalters und der Renaissance de facto mehr Textzeugen
zum Umgang des Schweinespießes als Zweikampfwaffe als Fachtexte zu seiner
Handhabung bei der Jagd erhalten. Das überrascht ebenso.
Der Schweinespieß als mittelalterliche und frühneuzeitliche Realie ist
bislang in der historischen Forschung äußerst randständig behandelt worden.
Sofern in Publikationen zur Jagdgeschichte das Erlegen von Schwarzwild
überhaupt erwähnt wird, bleiben die Äußerungen über das Abfangen der Tiere
mit dem Schweinespieß in der Regel nur marginal. Als Untersuchungsgegenstand
konnten der Schweinespieß und seine Handhabung in Mittelalter
und Renaissance den Fokus wissenschaftlicher Aufmerksamkeit bisher kaum auf
sich lenken. Eine Untersuchung der mit dieser Jagd- und Zweikampfwaffe verbundenen
Fachliteratur des 15. und 16. Jahrhunderts ist ein Forschungsdesiderat,
das dieser Beitrag zu schließen versucht.
Beide Traktatgruppen – die zur Jagd und die zum Zweikampf – stehen
folglich im Zentrum dieser Studie; berücksichtigt werden im Folgenden jedoch
3 Ebd. 58 f.
4 Nach Kluge, Etymologisches Lexikon der deutschen Sprache, bearb. v. Elmar Seebold, 24.,
durchgesehene und erweiterte Aufl. Berlin – New York 2002, 787, ist der Begriff ,Saufeder‘
erst seit dem 18. Jahrhundert nachweisbar. Ich bleibe in diesem Beitrag durchgängig bei der
Benennung als ,Schweinespieß‘, um einen sprachlichen Anachronismus zu vermeiden.
5 Die Chroniken der fränkischen Städte: Nürnberg 5, hrsg. von der Akademie der Bayerischen
Wissenschaften, 2. unveränd. Aufl. Göttingen 1961, 642.
6 Ebd. 647.
40
ausschließlich jene frühneuhochdeutschen Texte, die ausdrücklich von einem
Schweinespieß bzw. Eberspieß als eng gefassten Sondertypus, nicht vom Spieß
oder ähnlichem ganz allgemein sprechen. Als Quellencorpus bleiben somit in
der Gänze nur drei bekannte, eigenständige Traktate – zwei zum Fechten, einer
zur Jagd – und deren insgesamt überschaubare Überlieferungsvarianz übrig; und
sie alle umfassen dabei jeweils nur einige wenige Sätze. Der Zeugniswert der
einzelnen Quelle für die Erforschung der Geschichte des Schweinespießes und
seiner Handhabung ist folglich äußerst hoch.
Erscheinungsform und Beschreibung des Schweinespießes
Als Schweinespieß wird eine Stangenwaffe bezeichnet, die sowohl als Waffe des
Fußkämpfers als auch für die Jagd auf Schwarzwild Verwendung fand.7 Die
Gesamtlänge von hölzernem Schaft und Klinge beträgt in der Regel etwa zwei
oder 2,5 Meter. Der Eisenbeschlag nimmt davon etwa 30 bis 45 Zentimeter ein.
Davon macht das zweischneidige und etwa sechs Zentimeter dicke Blatt, also
die eigentliche Klinge, knapp 20 Zentimeter aus, während der hintere Teil als
Tülle gestaltet ist, in die der Holzschaft gesteckt wird (Abb. 1).
Das wichtigste Charakteristikum eines Schweinespießes ist der so
genannte Knebel. Dieser Sachverhalt findet auch Niederschlag bei dem
Schweizer Theologen und Lexikografen Josua Maaler (geb. 1529 in Zürich,
gest. 1599 in Glattfelden/Schweiz).8 Für den Verfasser des ersten, ausdrücklich
auf die deutsche Sprache fokussierten Wörterbuchs Die Teütsch spraach (1551
und 1561) scheint der angebrachte Knebel – bei Maaler: ,Klößchen‘ – konstituierend
für den Schweinespieß zu sein. Unter zwei Lemmata verzeichnet er
den Schweinespieß, das eine Mal als Schweinspieß / an dem das kloeßle mit
einem riemen angebunden ist (fol. 367ra) und das andere Mal als Schweynspieß
mit einem klößle vornen daran (fol. 367va).9
7 Im Folgenden grundlegend nach David James Knight und Brian Hunt, Polearms of Paulus
Hector Mair. Boulder (Colorado) 2008, 159; Lutz Heck und Günther Raschke, Die
Wildsauen. Naturgeschichte, Ökologie, Hege und Jagd, 2. Aufl., überarbeitet und ergänzt
von Günther Raschke jun. Hamburg – Berlin 1985, 200-203; Heinrich Müller und Hartmut
Kölling, Europäische Hieb- und Stichwaffen aus der Sammlung des Museums für Deutsche
Geschichte, 2. Aufl. Berlin 1982, 39-46. Alfred Schaetzle, Zur Geschichte der Jagd in der
Schweiz, in: Gottfried Schmid (Hg. der deutschsprachigen Ausgabe), Die Jagd in der
Schweiz. Genf – Winterthur 1951 f., 248-258, darin insbesondere 254.
8 Zu Maalers Leben einführend: Jakob Baechtold, Maler, Josua, in: Allgemeine Deutsche
Biographie (ADB), Band 20. Leipzig 1884, 137 f.
9 Zitiert nach: Josua Maaler, Die Teütsch spraach. Dictionarium Germanicolatinum novum,
Neudruck Hildesheim – New York 1971.
41
Abb. 1: Schweinespieße (Saufedern) mit stählernem Blatt und Knebel (Foto: M. J. Bauer mit
freundlicher Genehmigung des Deutschen Jagd- und Fischereimuseums München)
42
Der Knebel ist unterhalb der Klinge angebracht und steht rechtwinklig
zum Blatt. Er kann als etwa spannenlanges Eisen-, Holz- oder Geweihstück
gefertigt sein. Der Knebel verhindert, dass diese Art von Spießen zu tief in den
Körper des Jagdtieres (oder je nach Anwendungsgebiet auch des Gegners)
eindringen kann. Diese Knebel sind auf historischen Abbildungen von Jagdszenen
und Sauhatzen meistens gut erkennbar, doch kommen sie in unterschiedlichen
Formen vor.10
Der Straßburger Prediger Johannes Geiler von Kaysersberg (geb. 1445 in
Schaffhausen, gest. 1510 in Straßburg) beschreibt in einem seiner posthum gedruckten
Werke die Fertigung von Schweinespießen in einigen interessanten
Einzelheiten.11 In seiner im Jahr 1512 veröffentlichten Christlich Pilgerschaft
zum ewigen Vaterland wird mit dem hölzernen Schaft der Stangenwaffe
folgendermaßen verfahren:12
Also thůnt die buren den wilden boümlin dye noch iung sindt / dye bicken
sie mit einem scharpffen stein / vnd lont es dor inn wachsen eyn iar / vnd
wenn man sie abhouwet / so schelt man dye rynd dar ab / vnd das heyssen
denn gebickten stangen / vnd machen oben ysen dar an / denn ist es ein
schwinspiß.
Die durch das ,Picken‘ mit einem scharfen Stein hervorgerufene Verletzung an
der Baumrinde führt an dieser Stelle des jungen Stammes zu einem gewollten
Dickenwachstum mit hoher Stabilität.13 Eine solche Verdickung dient nach den
10 Knight und Hunt, Polearems 159, weisen auf die zwei unterschiedlichen Knebeltypen hin,
die in den illustrierten Zweikampftraktaten von Paulus Hector Mair zu sehen sind: „In two
folia, a pair of lugs protrude from the base of the spearhead, an invention designed to
prevent an impaled boar from charging up along the shaft and goring the hunter in its final
throes. In the third, the blade is shaped like an arrowhead, and tufts of cloth or feathers
appear at the base instead of lugs, an unconventional design for a boar-hunting spear of this
period.“
11 Zu Leben und Werk des Johannes Geiler von Kaysersberg einführend: U. Schulze, Geiler v.
Kaisersberg, Johannes, in: Lexikon des Mittelalters IV (1999), Sp. 1174 f.; Herbert
Kraume, Geiler, Johannes, von Kaysersberg, in: Verfasserlexikon 2, 2. Aufl. 1980, Sp.
1141-1152. Weiterführend die beiden Dissertationen aus der zweiten Hälfte der 1990er
Jahre: Uwe Israel, Johannes Geiler von Kaysersberg (1445–1510). Der Straßburger Münsterprediger
als Rechtsreformer. Berlin 1997, zugl. Berlin, Humboldt-Univ., Diss., 1995,
darin insbesondere 38-177; Rita Voltmer, Wie der Wächter auf dem Turm: ein Prediger und
seine Stadt. Johannes Geiler von Kaysersberg (1445–1510) und Straßburg. Trier 2005
(Beiträge zur Landes- und Kulturgeschichte 4), zugl. Trier, Univ., Diss., 1998.
12 Johannes Geiler von Kaysersberg, Christlich Pilgerschaft zum ewigen Vaterland. Basel
1512 [VD16 G 727], fol. 39rb-39va.
13 Weil bei der Bearbeitung des für den späteren Schaft vorgesehenen Baumstamms keine
sauberen Schnitte, sondern kleine Risse, Quetschungen und ein Ausfransen gewünscht
sind, wird ein scharfer Stein und kein Messer als Werkzeug verwendet. Durch leichte
Schlagbewegung (,Picken‘ wie ein Vogel) wird die Rinde, das heißt genauer die Epidermis
(äußere Haut), das Phloem (Leitbündel) und das Meristemgewebe (Bildungsgewebe),
leicht zerstört. Für das teilungsfreudige Meristemgewebe, dessen Aufgabe der Wundverschluss
und das Dickenwachstum ist, stellt dies eine Stimulation dar. Nach einem Jahr
43
Schilderungen Geilers später zum Anbringen von Blatt und/oder Knebel.
Nachdem die Rinde des gefällten Baumes abgeschält wurde, wird ein solcher
Schaft als ,[an]gepickte Stange‘ bezeichnet. Erst die eiserne Spitze macht ihn in
den Augen Geilers schließlich zum Schweinespieß.
Frühneuhochdeutsche Fachliteratur zum Schweinespieß als Jagdwaffe
Die einzigen bekannten, frühneuhochdeutschen Fachtexte, die den Umgang mit
dem Schweinespieß bei der Wildschweinjagd erklären,14 sind die volkssprachigen
Übersetzungen des „wohl größten agronomischen Werks des Mittelalters“
(Andreolli), dem Opus ruralium commodorum libri XII des Petrus de
Crescentiis.15 Die mehr als 130 bekannten Handschriften des Werkes sind heute
in fast ganz Europa verstreut.16
Petrus wurde 1230/33 in Bologna geboren, studierte dort zunächst Logik,
Medizin, Naturwissenschaften und Recht. Obwohl er in einigen Urkunden als
werden die leichten Stammverletzungen überwuchert und verwachsen sein, was zu einem
verstärktem Dickenwachstum an der bearbeiteten Stelle geführt hat. Die Holzfasern sind in
diesem Bereich nicht mehr wohl geordnet, das heißt senkrecht wie im natürlich
gewachsenen Stamm. Da das Wachstum von den stimulierten Stellen aus in alle Richtungen
geht, ergeben sich stabile Kreuz- und Querverbindungen in alle Richtungen. Dies
gibt der Verdickung eine hohe Stabilität. Hierauf kann man die Spitze oder auch den
Knebel befestigen, falls diese nicht an einem Stück sind. – Ich danke dem Landschaftsarchitekten
und Gartenplaner Dipl.-Ing. (FH) Damir Ivanović, Horb am Neckar, herzlich
für diese ausführlichen Auskünfte.
14 Eine Übersicht über die Nennungen gibt David Dalby, Lexikon of the Mediaeval German
Hunt. A Lexicon of Middle High German terms (1050–1500), Associated with the Chase,
Hunting with Bows, Falconry, Trapping and Fowling. Berlin 1965. Zur deutschsprachigen
Jagdliteratur des Mittelalters und der Frühen Neuzeit jüngst Martina Giese, Graue Theorie
und grünes Waidwerk? Die mittelalterliche Jagd zwischen Buchwissen und Praxis, in:
Archiv für Kulturgeschichte 89, 1 (2007) 19-59. Einführend: Bernhard Dietrich Haage und
Wolfgang Wegner, Deutsche Fachliteratur der Artes in Mittelalter und Früher Neuzeit.
Berlin 2007 (Grundlagen der Germanistik 43) 166-177; Peter Assion: Altdeutsche
Fachliteratur. Berlin 1973 (Grundlagen der Germanistik 13), 121–133; Gerhard Eis,
Mittelalterliche Fachliteratur, 2. durchgesehene Aufl. Stuttgart 1967, 29-34.
15 Grundlegende Literatur im Folgenden:
 Lexikonartikel: B. Andreolli, P. de Crescentiis, in: Lexikon des Mittelalters VI (1999),
Sp. 1969 f. (Zitat: Sp. 1969); William C. Crossgrove, Petrus de Crescentiis, in: Verfasserlexikon
7, 2. Aufl. 1989, Sp. 499-501.
 Ausgaben: Will Richter und Reinhilt Richter-Bergmeier (Hg.), Petrus de Crescentiis
(Pier de’ Crecenzi), Ruralia commoda. Das Wissen des vollkommenen Landwirts um
1300, Band I-IV. Heidelberg 1995-2002; Kurt Lindner, Das Jagdbuch des Petrus de
Crescentiis. In deutschen Übersetzungen des 14. und 15. Jahrhunderts. Berlin 1957.
 Moderne Übersetzung der lateinischen Texte: Petrus de Crescentiis, Erfolgreiche
Landwirtschaft. Ein mittelalterliches Lehrbuch, eingel., übers. und mit Anm. vers. von
Benedikt Konrad Vollmann. Stuttgart 2007 f. (Bibliothek der mittellateinischen Literatur
3 f.).
16 Andreolli, P. de Crescentiis, Sp. 1969.
44
judex bezeichnet wird, erwarb er allem Anschein nach kein Doktorat. Er
arbeitete als Jurist und Sachwalter für mehrere norditalienische Städte und lernte
durch diese häufigen Ortswechsel die landwirtschaftlichen Techniken verschiedener
Regionen in Italien kennen, bevor er sich 1298/99 auf sein Landgut zurückzog
und ein landwirtschaftliches Handbuch zu verfassen begann. Er starb
1320 oder Anfang 1321 im hohen Alter von fast 90 Jahren. Sein insgesamt zwölf
Bücher umfassendes Werk schloss er um 130517 oder zwischen 1304–0918 ab.
Im zehnten Buch, Kapitel 21, Absatz 2, erklärt er den Umgang mit dem Schweinespieß:
19
… Sed ad apros capiendos necessarii sunt pili20 fortes in ferro cruciferati,
quos venatores videntes aprum ad se malo animo venientem in terram
firmant et ad aprum dirigunt. Qui eo pilo vulneratus usque ad venatorem
non potest accedere, sicque a canibus occiditur et similiter ab his, qui
venantur eundem.
[… Wenn die Jäger wilde Eber fangen wollen, brauchen sie kräftige
Spieße mit kreuzförmigen Eisenspitzen. Wenn die Jäger sehen, dass ein
Eber in böser Absicht auf sie zukommt, setzen sie diese Spieße fest vor
sich in den Boden und richten die Spitze gegen sie. Wird der Eber durch
den Spieß verwundet, kann er den Jäger nicht mehr angehen, und so wird
er von Hunden und Jägern gemeinsam getötet.]
Dem Werk war ein großer Erfolg beschert, der nicht zuletzt dem praxisbezogenen
Ansatz, und der Ausgewogenheit zwischen der Rezeption antiken
Gedankenguts und konkreter direkter Beobachtung geschuldet ist:21 Um die
Mitte des 14. Jahrhunderts entstand die erste italienische (toskanische) Übersetzung,
für Karl V. folgte 1373 eine französische Fassung. Die ältesten deutschsprachigen
Übersetzungen sind in Handschriften aus der zweiten Hälfte des 15.
Jahrhunderts überliefert, obwohl die Vorlage „wesentlich älter“22 sein dürfte. Da
diese Texte sich nicht getreu an die Vorlage halten, könnte es sich eher um eine
kürzende Bearbeitung denn um eine Übersetzung im engeren Sinn handeln.23
Die Ausführungen zur Handhabung des Schweinespießes – hier lediglich
umschrieben als ,Spieß mit Knebeln‘ – finden sich in Buch X, Kapitel XVI, das
überschrieben ist mit
17 Crossgrove, Petrus de Crescentiis, Sp. 499.
18 Andreolli, P. de Crescentiis, Sp. 1969.
19 Zitiert nach Richter und Richter, Petrus de Crescentiis 197; Übersetzung: Vollmann, Petrus
de Crescentiis, 2. Bd., 733.
20 pilus (masc.) = pilum (neutr.) ,Spieß‘. Zum Genuswechsel vergleiche J. F. Niermeyer und
C. van de Kieft, Mediae Latinitatis Lexicon minus, überarb. von J. W. J. Burgers, 2., überarb.
Auflage, 2 Bde. Leiden 2002, Band 2: M-Z, S. 1039 und Peter Stotz, Formenlehre,
Syntax und Stilistik. München 1998 (Handbuch der lateinischen Sprache des Mittelalters
4), §76. Gebrauch von Neutra als Masculina.
21 Andreolli, P. de Crescentiis, Sp. 1969.
22 Crossgrove, Petrus de Crescentiis, Sp. 500.
23 Ebd.
45
Wy man wilde thyre sal vahen:24
… Zcu wilden swynen had man ouch netzce vnde spiesse mit knobeln,
wenn das freuelich czum yegere loufft, so seczt her den spieß hinden an dy
erde. so laufft das swin in dy spitzce, so es dy hunde dringen denne so
heldet er es, das man es gevehet.
Eine jüngere Übersetzung hält sich wesentlich enger an das Original. Es wird
vermutet, dass Peter Drach den deutschen Text für seine Speyrer Druckausgabe
Petrus de crescentiis zu teutsch mit figuren von 1493 neu übersetzen ließ.25 Die
im Titel angekündigten Holzschnitte fehlen der deutschen Ausgabe ab dem
zehnten Buch, obwohl sie in seiner undatierten, lateinischen Ausgabe vom
selben Jahr und einer gleichnamigen, nur wenig später erschienenen (ca. 1495),
deutschen Ausgabe vorhanden sind (allerdings ohne Abbildung einer Sauhatz
oder eines Schweinespießes).26 Dem Erstdruck folgten vier Nachdrucke bis ins
Jahr 1531. Die für die Handhabung des hier explizit als ,Eberspieß‘ bezeichneten
Schweinespießes relevante Textstelle befindet sich auch in der Druckausgabe
im Buch X, jedoch in Kapitel XXIX, Wie man wildt fanget vnd züm erste mit
hunden:27
… Wann dye ieger wöllen die wilden eber fangen, so warnen sie sich vff
gut eberspisse. dy setzen sie vor sich feste yn das erdtrich wann der eber
gegen in gat. dan so er wil gan tzü dem ieger, wirt er vorwundet durch den
spieß. so griffen in die hunde vnnd halden in. so töden in dy ieger.
Die drei Texte sind sich in der Handhabung der Jagdwaffe Schweinespieß
verständlicherweise einig – das erklärt sich schon aus rein textgeschichtlichen
Gründen. Der Schaft der Waffe wird mit dem hinteren Ende fest in das Erdreich
gedrückt, um größeren Widerstand erzeugen zu können. Jetzt wird der gejagte
Eber von Hunden in Richtung des Jägers gehetzt, der ihm die Spitze entgegen
hält. Das gejagte Tier läuft beim Angriff auf den Jäger direkt in dessen Schweinespieß
hinein und verletzt sich dabei entweder sofort tödlich oder so schwer,
dass es schließlich mühelos getötet werden kann. Die Knebel bewirken, dass der
Eber trotz der Wucht des Aufpralls am Schaft in sicherer Entfernung gestoppt
wird. Würde die Waffe das Tier durchstoßen, könnte es am Schaft entlang rutschen
und den Jäger im Todeskampf möglicherweise schwer oder gar tödlich
verletzen.
Interessanterweise verwendet erst der jüngste der drei Texte ausdrücklich
den Fachbegriff ,Eberspieß‘ für die zu verwendende Waffe. Dagegen sprechen
sowohl der lateinische Text als auch die ältere deutsche Übersetzung von einem
Spieß28 ganz allgemein, jedoch ergänzen beide Quellen das elementare Bauteil
24 Nach Lindner, Jagdbuch 107 f., der die Handschrift Jena, Universitätsbibliothek, Ms. El. q.
10/2 aus dem Jahr 1474 zu Grunde liegt.
25 Crossgrove, Petrus de Crescentiis, Sp. 500.
26 Ebd., Sp. 500 f.
27 Nach Lindner, Jagdbuch 148 f.
28 Im lateinischen Text steht pilum = pilus ,Spieß‘, statt konkreter venabulum ,Jagdspieß‘,
46
der kreuzförmigen Eisenspitzen beziehungsweise Knebel, das schon für
zeitgenössische Lexikografen konstituierend war, wie bereits am Wörterbuch
Josua Maalers gezeigt wurde.
Ein Fallbeispiel als Blick über den Tellerrand: Gaston Fébus
Ein dem Jagdbuch des Petrus de Crescentiis vergleichbarer Quellenwert für die
europäische Jagdgeschichte kommt dem französischsprachigen Livre de la
Chasse des Gaston Fébus, dem Grafen von Foix, zu.29 Gaston, der 1331 geboren
wurde, war ein erfolgreicher Heerführer und versierter Politiker. Er musste
während des hundertjährigen Krieges durch geschicktes Lavieren zwischen den
beiden großen Monarchien seine Neutralität erhalten, da Teile seines weiträumigen
Territorialverbands von Frankreich, andere Teile von England lehnsrührig
waren. Gaston verstand es, seine Herrschaft und ihre finanzielle Grundlage zu
sichern und zu festigen. Weniger glücklich verliefen seine familiären Beziehungen:
Er verstieß seine Frau Agnès, die am Hof ihres Bruders in Navarra Zuflucht
fand, und setzte seinen einzigen Sohn aus dieser Ehe zugunsten von Bastarden
ab. Im Jahre 1380 entging Gaston einem Giftanschlag auf den Vater durch den
wohl vom navarresischen Hof angestifteten Sohn nur knapp und erschlug den
Attentäter im Jähzorn. Gaston starb plötzlich und unerwartet im Sommer 1391.
Höfische Repräsentation und literarisches Mäzenatentum setzte Gaston
auch zu politischen Zwecken ein. Der hochgebildete Graf selbst verfasste das
bereits erwähnte Jagdbuch sowie den Livre des Oraisons.
Auffälligerweise beschreibt Gaston den Umgang mit dem Schweinespieß
bei der Schwarzwildjagd im Vergleich zu Petrus völlig konträr.30 In den Kapiteln
53 und 54 geht er zunächst von einem berittenen Jäger mit einem Schwert oder
einem zum Wurf geeigneten Schweinespieß aus, was die Handhabung in beiden
Texten freilich völlig andersartig macht. Gaston warnt eindringlich vor der
Gefahr, Pferd und Reiter im Eifer der Jagd in den aus der Erde ragenden Schaft
des verschossenen Spießes zu manövrieren. Einem Jäger, der vom Pferd steigt,
um das von Hunden gedeckte Tier abzufangen, empfiehlt Gaston den Schweinespieß
anstelle des Schwertes, sofern Armbrust und Bogen aufgrund des
Dickichts nicht in Frage kommen.
Der Schweinespieß als solcher sei mit ganzer Kraft von oben nach unten
zu stoßen, während der Reiter fest in den kurzgeschnallten Steigbügeln stehen
müsse. Hinsichtlich der Handhabung des etwa 1,20 Meter langen Schwertes
kritisiert Gaston, dass manche Jäger ihr Schwert zum Stoßen senkrecht nach
unten hielten, wobei der Daumen nach oben zeige, andere hielten es mit der
,Schweinespieß‘.
29 Einführend und im Folgenden grundlegend zu Leben und Werk Gastons: C. Pailhes, Gaston
Fébus, in: Lexikon des Mittelalters IV (1999), Sp. 1136 f.
30 Grundlegend im Folgenden die deutschsprachige Paraphrase im Kommentar zur Faksimileausgabe
von Wilhelm Schlag und Marcel Thomas, Das Jagdbuch des Mittelalters: Ms. fr.
616 der Bibliothèque Nationale in Paris. Graz 1994 (Glanzlichter der Buchkunst 4) 59-62.
47
Faust vor der Achsel wie eine eingelegte Lanze. Solche Stellungen seien ungeeignet,
da so die Kraft nicht in ihrer Gänze in den Stoß gelegt werden könne.
Zur Haltung der Hände äußert sich Gaston auch beim Umgang mit dem
Schweinespieß. In der Mitte soll er angefasst werden, denn wer ihn zu weit vorne
fasse, läuft nach seinen Worten Gefahr, dass ihm das Wildschwein beim Eindringen
der Spitze zu nahe kommt und den Jäger verletzt oder gar tötet. Der
Schweinespieß müsse mit beiden Fäusten geführt werden und dürfe erst eingelegt,
das heißt unter den Oberarm geklemmt werden, wenn das Tier getroffen ist.
Dann müsse der Jäger die Waffe mit aller Kraft gegen das Schwein drücken.
Selbst wenn das Tier kräftiger wäre als er selbst, dürfe er nicht locker lassen,
sondern müsse sich gegebenenfalls von einer Seite auf die andere wenden – „bis
Gott ihm beisteht oder ihm jemand zur Hilfe eilt“.31
Anders als bei Petrus de Crescentiis ist bei Gaston Fébus, der deutlich
mehr Wert auf die berittene Schwarzwildjagd legt, auch bei einem unberittenen
beziehungsweise vom Pferd gestiegenen Jäger keine Rede davon, einen Schweinespieß
mit dem Schaft in den Boden zu drücken, um das heran laufende Tier in
die Metallklinge laufen zu lassen. Beide Arten, Wildschweine zu jagen unterscheiden
sich grundlegend, sind aber in breiter handschriftlicher Überlieferung
beschrieben und damit für das Mittelalter wohl als gängige Praxis anzunehmen.
Beide Texte waren auch in ihren Übersetzungen sehr erfolgreich und dürften die
Jagd auf Schwarzwild mit dem Schweinespieß auch jenseits des Sprachraums
ihrer ursprünglichen Entstehung entscheidend geprägt haben.
Stichprobenhafter Blick in die Jagdikonografie des Mittelalters
und der Renaissance
Im berühmt gewordenen Stundenbuch des Herzogs von Berry (französisch: Les
Très Riches Heures du Duc de Berry) aus dem 15. Jahrhundert stellt das
Kalenderblatt für Dezember zwar eine Szene aus einer Wildschweinjagd dar, das
Tier ist jedoch bereits erlegt (Abb. 2).32
31 Schlag und Thomas, Jagdbuch 61.
32 Raymond Cazelles und Johannes Rathofer, Das Stundenbuch des Duc de Berry. Les Très
Riches Heures. Wiesbaden 1996; Franz Hattinger, Stundenbuch des Herzogs von Berry.
Bern 1960; Eberhard König, Die Belles Heures des Duc de Berry. Sternstunden der Buchkunst.
Luzern 2004; ders., Un grand miniaturiste inconnu du 15e siècle français: Le peintre
de l’Octobre des Très Riches Heures du duc de Berry, in: Les dossiers de l’archéologie 16
(1976) 92-123; Jean Longnon und Raymond Cazelles, Les Très Riches Heures du Duc de
Berry. Chantilly 1969; Edmond Pognon, Les Très Riches Heures du Duc de Berry. Ms.
enlumine du XVe siècle. Paris 1979. Abb.:
http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Les_Très_Riches_Heures_du_duc_de_Berry_déc
embre.jpg.
48
Abb. 2: Les Très Riches Heures du Duc de Berry, Monat Dezember
49
Gibt es aber vielleicht zeitgenössische Abbildungen, die auch die Handhabung
eines Schweinespießes während der Jagd zeigen? Interessanterweise finden
sich bei einem stichprobenhaften – und damit keineswegs einen Anspruch
auf Vollständigkeit erhebenden! – Blick in die Jagdikonografie des Mittelalters
und der Renaissance schnell einige Bilder, die die Benutzung des Schweinespießes
eher in den bei Gaston Fébus als in den bei Petrus de Crescentiis
dargelegten Varianten zeigen. Einige Beispiele (außerhalb der Illustrationstradition
des OEuvres von Gaston Fébus, die freilich mehrfach entsprechende Abbildungen
überliefert) können hier kurz angerissen werden.
Abb. 3: Heidelberger Liederhandschrift, Wildschweinjagd
50
In der Manessischen Liederhandschrift (Heidelberger Liederhandschrift)
aus der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts zum Beispiel zeigt die Miniatur zu
Heinrich Hetzbold von Weißensee eine Wildschweinjagd (fol. 228r). Während
der Sänger und eine klerikale Figur mit Schwertern auf das Tier einstechen (in
der Art, wie es bei Gaston Fébus zu lesen ist), rettet sich ein Jäger mit seinem
Schweinespieß hoch auf einen Baum (Abb. 3).33
Abb. 4: Rueland Frueauf der Jüngere, Legende des Hl. Leopold: Sauhatz, Tafel eines Flügelaltars,
Anf. 16. Jh. Klosterneuburg (Niederösterreich), Stiftssammlungen. Foto: Institut für
Realienkunde, Krems/Donau
33 Ingo F. Walther (Hg.), Codex Manesse. Die Miniaturen der Großen Heidelberger Liederhandschrift.
Frankfurt a. M. 1988; Volker Mertens, Hetzbold, Heinrich, von Weißensee, in:
Kurt Ruh et al. (Hg.), Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon, Teilbd. 3.
Berlin 1978, Sp. 1204-1205; Karl Bartsch, Hetzbold von Weißensee, Heinrich (1. Artikel),
in: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB), Bd. 12. Leipzig 1880, 322; Richard Moritz
Meyer, Hetzbold von Weißensee, Heinrich (2. Artikel), in: Allgemeine Deutsche
Biographie (ADB), Bd. 41. Leipzig 1896, 609 f. Abb.:
http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Codex_Manesse_228r_Heinrich_Hetzbold_von_
Weißensee.jpg
51
Der Renaissance-Maler Rueland Frueauf der Jüngere (geb. um 1470
vermutlich in Salzburg; gest. 1547 in Passau) beispielsweise stellt in seinem
Leopoldzyklus von 1505 auch eine Sauhatz (Wildschweinjagd) dar. Der vierteilige
Zyklus stammt ursprünglich wohl von Altarflügeln und gehört zu seinen
bekanntesten Werken. Zu sehen ist sowohl die Technik mit dem eingelegten
Schweinespieß als auch das senkrechte Stechen von oben nach unten (Abb. 4).34
Ganz ähnlich stellt auch der schweizerisch-deutsche Renaissance-Künstler
Jost Amman (geb. 1539 in Zürich, gest. im März 1591 in Nürnberg) die Jagd auf
das Schwarzwild in einem Gemälde, das heute in der Staatlichen graphischen
Sammlung, München, aufbewahrt wird, dar.
Frühneuhochdeutsche Zweikampftraktate zum Schweinespieß:
Das Kölner Fechtbuch
Innerhalb der relativ umfangreichen Überlieferung mittelalterlicher und frühneuzeitlicher
Zweikampftraktate35 nehmen Anleitungen über das Fechten im
Schweinespieß eine äußerst randständige Position ein. Es sind nur zwei frühneuhochdeutsche
Schriftquellen zum korrekten Umgang mit einem Schweinespieß
als Zweikampfwaffe zu Fuß erhalten36 – und dabei bleiben die Ausführungen in
beiden Fällen extrem knapp. Im so genannten Kölner Fechtbuch umfasst der
Traktat nicht einmal eine ganze Seite; in den drei gewaltigen, doppelbändigen
Fechtkunst-Kompendien des Augsburger Ratsdieners Paulus Hector Mair (1517-
1579) beschränken sich die Aussagen auf jeweils zwei bis drei Seiten.
34 Karl Oettinger, Frueauf, Rueland der Jüngere, in: Neue Deutsche Biographie (NDB), Bd. 5.
Berlin 1961, 667 f.
35 Es ist beim derzeitigen Stand der Forschung schwierig, eine exakte Zahl aller bekannten
frühneuhochdeutschen Fecht- und Ringbücher zu geben, da es aktuell keine vollständige
Aufstellung aller Handschriften und Drucke gibt. Die bisher publizierten, wissenschaftlichen
Kataloge sind alle veraltet oder unvollständig: Martin Wierschin, Meister Johann
Liechtenauers Kunst des Fechtens. München 1965 (Münchener Texte und Untersuchungen
zur deutschen Literatur des Mittelalters, Bd. 13) 12-40 (insgesamt 47 Handschriften bis ins
17. Jahrhundert); Hans-Peter Hils, Meister Johann Liechtenauers Kunst des langen
Schwertes. Frankfurt am Main 1985, 24-134 (55 Handschriften bis ins 17. Jahrhundert
sowie mehrere Drucke, die aufgeführt, aber nicht katalogisiert werden); Rainer Welle, …
und wisse das alle höbischeit kompt von deme ringen. Der Ringkampf als adelige Kunst im
15. und 16. Jahrhundert. Pfaffenweiler 1993 (Forum Sozialgeschichte, Bd. 4) 35 f. und 90
f. (29 Handschriften und 5 Frühdrucke, aber nur Ringlehren verzeichnet) und jüngst Rainer
Leng, Fecht- und Ringbücher. München 2008 (Katalog der deutschsprachigen illustrierten
Handschriften des Mittelalters, Bd. 4/2, Lieferung 1/2, Stoffgruppe 38) 1 (48 illustrierte
Handschriften, aber keine Texthandschriften verzeichnet). Zu letzterem Katalogisierungsprojekt
siehe die beiden umfangreichen, kritischen Rezensionen: Rainer Welle, Ordnung
als Prinzip, in: Medium Aevum Quotidianum 59 (2009) 37-49 und Matthias Johannes Bauer,
in: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur 133 (2011) 510-514.
36 Knight und Hunt, Polearms 159, die das Kölner Fechtbuch anscheinend nicht gekannt
haben, fassen die Überlieferung zusammen: „Two of the polearms – boar spear and javelin
– are not depicted elsewhere“ (d. h. anderswo als bei Mair).
52
Die ältere der beiden Schriftquellen ist das anonyme Kölner Fechtbuch
aus dem ersten Drittel des 16. Jahrhunderts, das beim Einsturz des Historischen
Archivs der Stadt Köln am 3. März 2009 verloren ging.37 Es ist isoliert überliefert
und wurde nicht weiter rezipiert. Die ripuarisch und deutsch verfasste
Handschrift ist fünfteilig aufgebaut, sie enthält neben einem nachgetragenen,
metallurgischen Rezept verschiedene Zweikampfanleitungen (Fechten im langen
Schwert, Ringen, Fechtlehre im langen Messer, Fechten im Schweinespieß und
Stangenfechten). Auf fol. 20v folgen drei kurze Absätze einer einleitenden Überschrift:
38
Item hy na volget eyn stuck ym swynspeyß.
Stant yn bossen vnd kere den kleynnen fynger gegen den kneyffell vnd de
stang gegen den man. sleyt er ader s[t]ycht zo dyr mit dem swynspeyß
ader helbartten so kanstu es yme brechen
Item so er sleyt so brych ym myt der stangen yn de vßer swecht39 tryt zo
ym myt dem kampff so stychstu yn vnd sleys yn
Item stycht er zo dyr so brych es ym na der vßer swech vnd slach ym nach
der foder hant so buyt ym den kampff so haystu stych vnd streych zom
besten
Das Kölner Fechtbuch ist abgesehen von einigen simplen Marginalzeichnungen
und einem Schema, das wohl ein Schlagdiagramm für die Fechtlehre im langen
Schwert darstellt, nicht weiter illustriert. Deshalb beschreibt der Verfasser ein
Detail der korrekten Handhabung sehr ausführlich: kere den kleynnen fynger
gegen den kneyffell (Knebel). Jene Hand, die den Schweinespieß in der Mitte
hält und ihn dadurch führt, soll also mit dem kleinen Finger zum Knebel
gerichtet sein. Der Formulierung folgend zeigt der Daumen also zu jenem Ende
der Waffe, die dem Gegner beziehungsweise der Stichrichtung entgegengesetzt
ist. Aufgrund dieser Handhaltung, so der Text weiter, lassen sich Schläge
(Hiebe) oder Stiche mit Schweinespießen oder Hellebarden abwehren (brechen).
Dem anonymen Verfasser schien die korrekte Handhaltung besonders
erwähnenswert.40 Der grundlegenden Einführung in die Haltung und
37 Hier und im Folgenden nach Matthias Johannes Bauer, Langes Schwert und Schweinespieß.
Die anonyme Fechthandschrift aus den verschütteten Beständen des Historischen Archivs
der Stadt Köln, Graz 2009, 60 ff.
38 Zitiert nach Bauer, Langes Schwert, 131.
39 Als Schwäche wird der Teil der Waffe bezeichnet, der aufgrund der Hebelwirkung den
„schwächeren“ Teil bildet, hier die vordere Hälfte der Länge von der Spitze (Ort) des
Spießes bis zur vorderen Hand. Die Stärke dagegen ist die hintere Hälfte der Länge vom
Ort bis zur vorderen Hand. Dort ist die Kraftübertragung auf die Waffe aufgrund der Hebelwirkung
„stärker“.
40 Zur Problematik der korrekten Handhaltung historischer Stangenwaffen (vor allem der
Stange) siehe Paul Wagner, Inside, Outside, Left Foot, Right Foot: Assumptions of Handedness
in Weapons of the Staff, in: Stephan Hand (Hg.), Spada. Anthology of Swordsmanship.
In Memory of Ewart Oakeshott. Union City (CA) 2002, 99-106, und David
Lindholm, Fighting with the Quarterstaff. A Modern Study of Renaissance Technique.
Highland Village (Texas) 2006, 27-30.
53
Handhabung folgen im Kölner Fechtbuch zwei kurze Fechtstücke. Im ersten
wird ein Hieb gekontert, im zweiten ein Stich.
Paulus Hector Mairs doppelbändige Fechtkompendien
Ähnlich aufgebaut und nur unwesentlich umfangreicher sind die Ausführungen
von Paulus Hector Mair in seinen drei doppelbändigen Kompendien aus der Zeit
um 1542–47 überliefert. Mair war ein bis zur Obsession getriebener Sammler
von Fechthandschriften, die er sich „zum Teil auf unredlichem Weg“ (Rainer
Leng) besorgte.41 Im Jahr 1579 wurde er hingerichtet, weil der Bücherliebhaber
seine Sammelleidenschaft unter anderem „mit Griffen in die Augsburger Stadtkasse“
(Leng) finanzierte.42 Mairs drei doppelbändige, jeweils viele hundert
Blatt starke Fechtbücher sind jeweils deutschsprachig,43 lateinisch44 und bilingual
teils seriell, teils synoptisch lateinisch-deutsch45 angelegt. „Sie vereinigen
nahezu alles greifbare Bildmaterial“ (Leng) und gelten als umfassende Sammlungen
zur Fecht- und Ringkunst der damaligen Zeit.46
In allen drei Kompendien Paulus Hector Mairs taucht der Schweinespieß,
den er lateinisch als Venabulum (Jagdspieß) bezeichnet,47 auf. Wie auch im Kölner
Fechtbuch ist dieser Waffengattung (im Fußkampf) nur minimaler Platz eingeräumt
worden; Mair legt den Umgang mit dem Schweinespieß nur auf zwei
bis drei Seiten in den Handschriften dar.48 Dabei behandelt Mair in den Kapiteln
über das Fechten mit ungleichen Waffen (lat: Varia arma contra variis armis)49
zweimal den schwein spieß gogen der hellenparten50 (lat.: Venabuli habitus
contra bipennem)51. Ein stuck in dem rapier gegen dem schwein spies52 (lat.:
Habitus ex ense hispano contra venabulum)53 beschreibt er an anderer Stelle.
41 Leng, Katalog 91.
42 Ebd.
43 Dresden, Sächsische Landsbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek, Mscr. Dresd. C
93 und 94.
44 München, Bayerische Staatsbibliothek, Cod. icon. 393, 2. Bde.
45 Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. 10825 und 10826.
46 Leng, Katalog, 92.
47 Edwin Habel und Friedrich Gröbel: Mittellateinisches Glossar. Paderborn u. a. 1989 (Uni-
Taschenbücher 1551), unveränderter Nachdruck der 2. Aufl. 1959, Sp. 420.
48 Der Kampf zu Fuß mit dem Schweinespieß wird in der Dresdener Handschrift C 93 auf fol.
232r und 232v, in der Wiener Handschrift 10826 auf foll. 19r, 19v und 121v sowie im ersten
Band der Münchener Handschrift auf foll. 188v, 222r und 222v behandelt. Die wenigen
Erwähnungen im Zusammenhang mit dem berittenen Kampf sind hier ausgenommen.
49 Knight und Hunt, Polearms 159, zitiert nach der Münchener Handschrift, fol. 14v.
50 Ebd. 168, zitiert nach der Dresdener Handschrift C 93, fol. 232r.
51 Ebd., zitiert nach der Wiener Handschrift 10826, fol. 19r.
52 Ebd. 176, zitiert nach der Wiener Handschrift 10826, fol. 121v.
53 Ebd.
54
Konkordanz der Texte bei Paulus Hector Mair nach Knight/Hunt
und eigenen Ergänzungen:54
Knight/Hunt Folio Incipit Handschrift __
1) Various 11 232r Item hallt dich also mit Dresden SLUB, C 93
19r dt.: Item halt sich also mit disem stuck Wien ÖNB, Cod. 10826
dto. lat.: SI congredimi ad inuicem Wien ÖNB, Cod. 10826
222r SI congredimini ad inuicem München BSB, Cod. Icon. 393,1
2) Various 12 232v Item wann Ir zusamen Dresden SLUB, C 93
19v dt.: Item wann Ir zusammen Wien ÖNB, Cod. 10826
dto. lat.: Quum athletice hoc habitu Wien ÖNB, Cod. 10826
222v QVVM athletice hoc habitu München BSB, Cod. Icon. 393,1
3) Various 24 121v dt.: Item schich dich also Wien ÖNB, Cod. 10826
dto. lat.: IN mutuo congressu hoc modo Wien ÖNB, Cod. 10826
188v IN mutuo congressu hoc modo München BSB, Cod. Icon. 393,1
Text:55
1) Der schwein spieß gogen der hellenparten
Item hallt dich also mit Disem stuckn wann Ir zu samen gon / stannd mit deinem
lincken füoß vor unnd halst dein speiß mit deiner rechten hand aüf deiner
rechten seiten / dein lincke mitten Inn der stanngen gogen dem man Indes stich
nach seinem leib seiner linckten seiten.
Sticht / er dir also zu unnd dü mit deinnem rechten füoß gegen Im steest
unnd helst dein hellenparten mit deinem rechten / hand bez deinem hindern Ort
aüf deiner rechten seiten dein plat gogen dem man so nimb Im das ab mit
deinem / plat aüf dein lincke seiten Indes volg mit deinem lincken schennckel
hinnach unnd stich Im nach seinem gemechten.
Sticht er dir also unnden zü so trit deinem lincken schennckel zü rückn
unnd nimb Im das ab mit / deinem vorderen tail deins speiß aüf dein lincke
seiten.
Hat Er dir das also abgenomben so haw Im mit deinem / plat deinner
Hellenparten nach seinem haüpt.
Hawt er dir also oben zü so ganng seinem haw entgogen unnd / stich Im
ober seinem lincken arm durch seinen hals so stichstu Im zu der erden.
2) Mer der schwein spieß gogen der hellenparten
Item wann Fr [!] zü samen Gond so hallt dich also / mit disem stuckn stannd mit
deinem lincken füoß vor unnd hallt dein spieß mit dienner reichten hand / In
deinem unndern Ort dein lincke Inn der mitt Inn der hoch vor deinem gesicht
Indes haw Im nach / seinem haüpt.
54 Ebd. 271.
55 Ebd. 168-171 und 176 f.
55
Hawt er dir also oben zü unnd dü aüch mit deinem lincken füoß gögen Im
steest und helst / dein hellenparten mit deinner rechten hand bey deinem hindern
Ort hinder deinem haüpt dein lincke / In deiner stanngen bey dem plat gögen
dem man so nimb Im das ab mit deinem plat aüf dein recht seiten / Indes stich
Im mit deinem vordern Ort zü seiner prüst.
Sticht er dir also zü so nimb Im das ab mit deinem / spieß aüf dein rechte
seiten Indes trit mit deinem rechten schennckel hinnein laß damit deinem spieß /
fallen Inn dem greiff Im mit deiner lincken hand hinder seinem hals hinumb aüff
sein recht achsel / unnd mit deiner rechten nach seinem lincken schennckel hab
damit starckn obersich so wirfstu In aüff / das angesicht. Hastu In also
gerworffen so magstü wol deinem spieß widerumb fallen unnd deines gefallens
mit Im hanndlen mit hawen oder stichen.
3) Ein stuck in dem rapier gegen dem schwein spies.
Item schich dich also in dises stuck mit dem zufechten, Trit mit deinem linggen
schenckel zü Im hinein, / und stich Im mit deinem schweinspies zü seinem gesicht
oder der prüst.
Sticht er also aüff dich, / und dü mit deinem rechten füoß gogen Im steest
mit deinem Rapire, so haw seinem stich entgegen / setz Im damit vornen an seinen
spieß, Indes truckn von die aüf dein linggen seiten, so nimbst dü / Im seiner
stich hinweckn, greiff Im damit vornen nach seinem speiß.
Will er dir deinem speiß / also ergreiften, so zuckn behend an dich, und
stich Im von seiner linggen aüf sein rehct seitten / zü seiner prüst oder dem gesicht.
Sticht er also zwifach aüf dich, so nimb Im das ab aüff / der rechte seitten
mit deinem Rapire, In dem trit mit deinem linggen schenckel hinein, unnd / greiff
mit deiner linggen hand mitten in seiner Speiß, und stich Im indes behend zü
seinem / gesicht, versety [!] er dir das, so wechsel durch an seinem speiß, und
spring in triangel, / unnd häw im nach seinem haubts.
Ein Rapier als gegnerische Waffe wird in der Kölner Fechtlehre im Schweinespieß
überhaupt nicht behandelt. Doch eine schnell ins Auge stechende Parallele
zwischen Mairs Texten und denen in der anonymen Kölner Fechthandschrift ist
der Sachverhalt, dass beide Traktate dem Schweinespieß eine Hellebarde
gegenüber stellen, wenngleich im Kölner Fall auch nur optional: mit dem
swynspeyß ader helbartten. Darüber hinaus haben beide Lehren abseits von der
Ausführung zu mindestens je einer Stich- und einer Hiebtechnik jedoch wenig
inhaltliche Gemeinsamkeiten – text- oder überlieferungsgeschichtliche Zusammenhänge
lassen sich nicht unterstellen. Mairs Ausführungen sind – wenn auch
nur in begrenztem Maße – umfangreicher und vielfältiger, was aufeinander treffende
Waffenkonstellationen oder konkrete Technikausführungen wie Entwaffnungen
oder Würfe angeht.
Das Detail der korrekten Fingerhaltung, das im Kölner Text ausführlich
erklärt wird, ist bei Mair nur am Bild abzulesen. Mair dagegen geht im Text
56
nicht darauf ein, wie herum die Hand zu halten ist, sondern stellt dies in den Bildern
deutlich erkennbar dar: Eine Hand hält den Schweinespieß etwa in der
Mitte des Schafts, um die Waffe zu führen, die andere Hand umfasst den Schaft
am hinteren Ende oder zumindest im hinteren Drittel. Mair beschreibt die
Handhaltungen und Fußstellungen immer wieder und dabei wesentlich genauer,
als das im Kölner Fechtbuch der Fall ist, zum Beispiel: stannd mit deinem lincken
füoß vor unnd halst dein speiß mit deiner rechten hand aüf deiner rechten
seiten / dein lincke mitten Inn der stangen gogen dem man und so weiter.56 Dagegen
erscheinen Angaben zu Stellungen und Bewegungen im Kölner Manuskript
als reine Nebensächlichkeit.
Andre Paurnfeindts Fechtbuch
Während der Verfasser des anonymen Kölner Fechtbuchs und Paulus Hector
Mair in ihren Texten die beiden einzigen bekannten, konkrete Anleitungen zum
Umgang mit dem Schweinespieß als Zweikampfwaffe geben, weisen weitere,
andernorts überlieferte Textstellen auf Parallelen im Umgang des Schweinespießes
mit übrigen Stangenwaffen hin ohne weiter darauf einzugehen.57 So
heißt es bei Andre Paurnfeindt:58
DAS drit capitel pegreift pfortail der stangen, welcher ein vrsprung ist
mancher wer als langspieß, scheftlin, schweinspieß, helnpartn vnd
zuberstangen. Der geleichen vil selczamer nam sindt, die ich von kurcz
wegen nit nennen wil.
Andre Paurnfeindts Fechtbuch erscheint im Jahr 1516, als das gedruckte Buch
als neues Massenmedium allgemeinere und größere Zielgruppen auf neuem Wege
zu erreichen sucht. Seine Ergrundung Ritterlicher kunst der Fechterey wurde
1516 in der Wiener Offizin von Hieronymus Vietor gedruckt und sollte in erster
Linie die iungen schueler ansprechen, nicht die altn fechter.59 – Im Epilog
spricht Paurnfeindt als Klientel ausdrücklich ,seine‘ Schüler an (in der dritten
Person übrigens),60 die seiner Lehre folgen sollten.
Paurnfeindt, der aus dem rund 40 Kilometer nördlich von Wien gelegenen
Ernstbrunn stammte, immatrikulierte sich am 13. Oktober 1513 an der Wiener
Universität,61 wo er das neue Medium offensichtlich schnell zu nutzen lernte.
56 Ebd. 168, zitiert nach der Dresdener Handschrift C 93, fol. 232r.
57 Der schweinspieß als lang wer fällt als Begriff auch bei Gregor Erhart, Glasgow, Glasgow
Museums, R. L. Scott Collection, E.1939.65.354, fol. 198r (1533); vgl. Rainer Welle,
Verschollen aber nicht vergessen: Das Kölner Fechtbuch W* 150, in: Medium Aevum
Quotidianum 65 (2013) 60-70, hier 65.
58 Andre Paurnfeindt, Ergrundung Ritterlicher kunst der Fechterey… Wien 1516, ohne Seitenzählung.
59 Ebd.
60 Ebd.
61 W. Szaivert und F. Gall, Die Matrikel der Universität Wien. II. Band, 1451–1518/I: Text.
Graz – Wien – Köln 1967, 401.
57
Sein 40 Blatt starker Zweikampftraktat mit unterschiedlichen Waffen ist das
älteste gedruckte Fechtbuch, sieht man von drei gedruckten reinen Ringlehren
mit zwölf oder weniger Blättern Umfang ab, die kurz zuvor in Landshut, Straßburg
und Augsburg aufgelegt wurden.62 Andre Paurnfeindts Text hat eine spannende,
wenn auch nur überschaubare Rezeptionsgeschichte: Das im Jahr 1516
gedruckte Buch wurde für die Traktatsammlung in einer späteren Fechthandschrift
abgeschrieben und dort jedoch unter einem anderen Namen ausgegeben.
63 Paurnfeindts Text bildete in weiten Teilen die Grundlage für das später so
erfolgreiche Egenolffsche Fechtbuch aus der Fechter- und Druckerstadt64
Frankfurt am Main65 und diente im Jahr 1538 sogar einer französischsprachigen
Übersetzung als Vorlage.66
Hätte Andre Paurnfeindt dem Schweinespieß ähnlich dem Verfasser des
Kölner Fechtbuchs ein eigenes Kapitel gewidmet und ihn nicht nur lapidar als
eine von vielen Stangenwaffen genannt, deren Handhabung das Fechten mit der
Stange zu Grunde liegt, hätte die Rezeptionsgeschichte dieses gedruckten Fechtbuchs
dem Zweikampf im Schweinespieß womöglich eine breitere Überlieferung
innerhalb der Fachliteratur der Frühen Neuzeit beschert.
62 Weiterführend: Leng, Katalog 139-144.
63 Augsburg, Universitätsbibliothek, Oettingen-Wallerstein Cod. I.6.2°2, fol. 50r-72r (38.7.1),
dort als Fechtlehre Lienhart Sollingers ausgegeben. Siehe Leng, Katalog 79 f.
64 Die Drucktätigkeit setzt in Frankfurt jedoch erst sehr spät ein. Siehe hierzu Christoph
Fasbender, „Zum literarischen Profil Frankfurts am Ausgang des Mittelalters”, in: R. Seidel
und R. Töpfer (Hg.), Frankfurt im Schnittpunkt der Diskurse. Strategien und Institutionen
literarischer Kommunikation im späten Mittelalter und der Frühen Neuzeit. Frankfurt
am Main 2010 (Zeitsprünge. Forschungen zur Frühen Neuzeit / Studies in Early Modern
History, Culture and Science, 14/1) 23-40.
65 Vgl. Leng, Katalog 141 f.
66 Weiterführend W. L. Braekman, Het oudste vechtboek uit de Nederlanden: La Noble
Science des ioueurs despee (1538), in: E Codicibus Impressisque. Opstellen over het boek
in de Lage Landen voor Elly Cockx-Indestege, II. Drukken van de zestiende tot de twintigste
eeuw. Leuven 2004 ( Miscellanea Neerlandica) 49-65.
M E D I U M A E V U M
Q U O T I D I A N U M
66
KREMS 2013
HERAUSGEGEBEN
VON GERHARD JARITZ
GEDRUCKT MIT UNTERSTÜTZUNG DER KULTURABTEILUNG
DES AMTES DER NIEDERÖSTERREICHISCHEN LANDESREGIERUNG
Titelgraphik: Stephan J. Tramèr
ISSN 1029-0737
Herausgeber: Medium Aevum Quotidianum. Gesellschaft zur Erforschung der materiellen
Kultur des Mittelalters, Körnermarkt 13, 3500 Krems, Österreich. Für den Inhalt verantwortlich
zeichnen die Autoren, ohne deren ausdrückliche Zustimmung jeglicher Nachdruck, auch
in Auszügen, nicht gestattet ist. – Druck: Grafisches Zentrum an der Technischen Universität
Wien, Wiedner Hauptstraße 8-10, 1040 Wien, Österreich.
Inhaltsverzeichnis
Vorwort ……………………………………………………..…………….…… 4
Andrea Kiss, Weather and Weather-Related Environmental Phenomena
Including Natural Hazards in Medieval Hungary I:
Documentary Evidence on the 11th and 12th Centuries …..……………… 5
Matthias Johannes Bauer, Saufeder-Traktate: Der Schweinespieß
als Jagd- und Zweikampfwaffe in der deutschsprachigen Fachprosa
des Spätmittelalters und der Renaissance .………………………….. 38
Buchbesprechung …..……………………………………………………..….. 58
Anschriften der Autoren ………………………………………………………. 60
4
Vorwort
Das vorliegende Heft von Medium Aevum Quotidianum widmet sich zwei sehr
unterschiedlichen Schwerpunkten, welche für die Geschichte des Alltags und
der materiellen Kultur des Mittelalters und der frühen Neuzeit jedoch eine
wichtige Rolle spielen. Andrea Kiss bietet den ersten Teil von in unserer Reihe
erscheinenden Untersuchungen zu Wetterphänomenen in der chronikalischen
Überlieferung des mittelalterlichen Ungarns, welcher sich mit dem 11. und 12.
Jahrhundert auseinandersetzt. Da sich die Autorin stark auf vergleichende
Analyse konzentriert, kann die Wichtigkeit des Beitrages für die gesamte
mitteleuropäische Situation anerkannt werden. Die folgenden Teile der Untersuchung
werden in Medium Aevum Quotidianum 67-70 (2014/ 15) veröffentlicht
werden.
Matthias Johannes Bauer, einer der anerkannten Spezialisten für die
mittelalterliche Fechtkunst und Fechtlehre im deutschsprachigen Raum, widmet
sich dem Schweinespieß und seinem Auftreten in der schriftlichen und
bildlichen Überlieferung zum Jagdwesen und zur Fechtkunst vom 13. bis zum
16. Jahrhundert. Er liefert dabei auch wichtige neue Erkenntnisse zur Waffenkunde.
Gerhard Jaritz

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