STADTCHRONIKEN ALS QUELLEN
ZUR ALLTA GSGESCHICHTE
MEDIUM AEVUM QUO TIDI ANU M
HERAUSGEGEBEN VON GERHARD JARITZ
32
Monika Fehse
STADTCHRONIKEN
DES SPATEN MI TTEL ALTERS
UND DER REFORMATION
IN DORTMUND UND DUISBURG
ALS QUELLEN
ZUR ALLTAGSGES CHI CH TE
Krems 1995
HERAUSGEGEBEN \’0 GERHARD JARITZ
GEDRC’CKT :.1IT U:\“TERSTÜTZC‘:\’G DER K“ULTCRABTEILU:\’G
DES A:-,1TES DER :\“IEDERÖSTERREICHISCHE LANDESREGIERCG
Titelgraphik Stephan J. Tramer
Herausgeber: :Medium Aevum Quotidianum. Gesellschaft zur Erforschung der materiellen
Kultur des ;>.1ittelalters. Körnermarkt 13, A-3500 Krems, Österreich. – Für
den Inhalt verantwortlich zeichnen die Autoren, ohne deren ausdrückliche Zustimmung
jeglicher Nachdruck, auch in Auszügen, nicht gestattet ist. – Druck: KOPITU
Ges. m. b. H., Wiedner Hauptstraße 8-10, A-1050 Wien.
Inhaltsverzeichnis
I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7
A. Gegenstand – Quellen – Vorgehensweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10
1. Gegenstand der Alltagsgeschichte und Begriff des Alltags . . . . . . . . . . . . . . . . 10
2. Die Gattung Chronistik und die Stadtchroniken aus Dortmund
und Duisburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . .. . . . . . . . 14
B. Die Städte: Dortmund und Duisburg im Vergleich . . . . .. . . . . . .. . . . . . . . . .2 1
II. Stadtchroniken aus Dortmund und Duisburg als Quellen
der Alltagsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27
A. Stadtgestalt und -deutungen . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . 2 7
1. Stadtmauer und Stadtgewalt …….. , ………………………… 27
2. Städtisches Umland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32
3. Stadthäuser und Stadtstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34
4. Markt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41
a. Der Markt als Stadtzentrum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41
b. Marktordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44
5. Stadt und Kirche . . . . . . . . . . . . . .. . . , ,. ……………………….. 47
B. Städtische Öffentlichkeit .. . . . . . . . . . . , . ……………………….. 49
1. Die städtischen Institutionen in der Öffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49
a. Kirchen und Klöster in der Öffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49
b. Der Rat als städtische Obrigkeit: Mitwirkungs- und
Einftußmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54
c. Gilden und Ämter als Faktoren der Meinungsbildung . . . . . . . . . .. . . . . . . . . 59
2. Gerede, Gerüchte und öffentliche Meinung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61
C. Leben in der Stadt . . . . . . . . . . . . . . . . . , ………………………… 67
1. Arbeit – Ernährung – Wohnen und Mobilität. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68
a. Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . , ……………………………. 68
aa. Arbeit und städtische Öffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68
ab. Arbeitszeiten und Entlohnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . , …………. 70
ac. Berufliche Differenzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77
ad. Landwirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80
ae. Markt und Handel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83
b. Ernährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87
ba. Versorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . … . . .. 87
bb. !\ ahrungsmittel, Preise und Zubereitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90
c. Wohnen und Mobilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . 99
ca. Wohnen, innerstädtische Mobilität und achbarschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99
cb. Reisen, 1-fobilität und Umsiedlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103
2. Gemeinschaft, Geselligkeit und Repräsentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106
a. Religiöses Leben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106
b. Geselligkeit und „gelach“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . .. . . . . . . . . . 113
c. Der gesellschaftliche Aussagewert der Kleidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117
5
d. Notlagen und Katastrophen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121
III. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124
Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130
6
I. Einleitung
Die Anmerkung, daß viele Veröffentlichungen „das Zusammenleben der
Menschen in der mittelalterlichen Stadt, den Alltag mit seinen Sorgen
und Problemen außer acht“ ließen, mit der Harry Kühne! die Kremser
Tagung zum „Leben in der spätmittelalterlichen Stadt“ 1975 einleitete1,
könnte heute sicher nicht mehr so aufrecht erhalten werden. Zwar reichen
die seitdem erschienenen Publikationen zum Alltag in der Stadt
quantitativ noch nicht an die wahrlich unüberschaubare Literatur zu politischen,
verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen und sozialstruktureilen
Aspekten der Stadtgeschichte im Spätmittelalter heran2, doch haben inzwischen
die verschiedenen Bearbeitungen des Themas durch das Kremser
Institut selbst3 und Überblicksdarstellungen mit dem Schwerpunkt
des städtischen Alltags4 sowie Aufsatzsammlungen und Monographien
über die Stadt mit Berücksichtigung des städtischen Lebens5 zu einer
Annäherung an das äusserst vielfältige Stadtleben geführt.
Daß dabei noch das Leben in den großen Städten im Vordergrund
steht, resultiert vor allem aus den vorhandenen Quellen und daraus, daß
1 H. Kühne!, Vorwort, in: Das Leben in der Stadt des Spätmittelalters (=VIMRÖ
Nr.2), Wien 1977, S. 5 – 8, hier S. 8.
2 Auf Grundlage des derzeitigen Forschungsstands: E. Isenmann, Die deutsche Stadt
im Spätmittelalter 1250 – 1500, Stuttgart 1988.
3 Alltag im Spätmittelalter, hg. v. H. Kühne! u. a., Graz/Köln/Wien 1984 (behandelt
ganz überwiegend städtischen Alltag); Europäische Sachkultur des Mittelalters
(=VIMRÖ Nr. 4), Wien 1980; Alltag und Fortschritt im Mittelalter (=VIMRÖ Nr.
8), Wien 1986; Frau und spätmittelalterlicher Alltag (=VIMRÖ Nr. 9), Wien 1986;
Handwerk und Sachkultur im Spätmittelalter (=VIMRÖ Nr. 11), Wien 1988 (behandeln
städtischen Alltag jeweils in einzelnen Aspekten).
4 Aus dem Alltag der mittelalterlichen Stadt. Handbuch zur Sonderausstellung
(=Hefte des Focke Museums 62), Bremen 1982; Alltag im 16. Jahrhundert. Studien
zu Lebensformen in mitteleuropäischen Städten, hg. v. A. Kohler/H. Lutz (=Wiener
Beiträge zur Geschichte der Neuzeit 14), Wien 1989.
5 Stadt im Wandel. Kunst und Kultur des Bürgertums in Norddeutschland 1150 –
1650, hg. v. C. Meckseper, Bd. 1 – 4, Stuttgart 1985; H. Boockmann, Die Stadt im
späten Mittelalter , München 1986.
7
Überblicksdarstellung und Detailstudien noch nicht aufeinander bezogen
werden können. Lokale Studien liegen nicht in ausreichender Zahl vor,
um kurz- und längerfristige Veränderungen des Lebens in den Städten
gerade aufgrund unterschiedlicher Entwicklungen und Besonderheiten
analysieren zu können. Dazu will die vorliegende Arbeit einen Beitrag
leisten, der allerdings quellenmäßig begrenzt wird: Drei Chroniken des
14. bis 16. Jahrhunderts aus Dortmund und Duisburg sollen auf ihren
alltagsgeschichtlichen Aussagegehalt hin überprüft werden.
In der Folge des älteren kulturgeschichtlichen Alltagsbegriffs geht
man davon aus, daß die Chroniken den städtischen Alltag schildern. Er
wird dann allerdings auch als der „Alltag der Stadt“ gewertet6. So sahen
dies auch die Chronisten selber, die ihre Städte als Personen beschreiben
konnten 7. Sinnvoll muß aber nach einem Alltag in der Stadt oder
einem städtisch (geprägten) Alltag gefragt werden. Von anderer Seite
werden Stadtchroniken gewissermaßen als ‚Kontrollquelle‘ für obrigkeitliche
Verfügungen und deren tatsächliche Wirksamkeit eingesetzt, um in
bestimmten Bereichen obrigkeitlicher Disziplinierung die „tatsächlichen
Lebensverhältnisse“ zu erfassen8. Dem steht die Anregung entgegen,
Stadtchroniken mit Hilfe einer Art „Negativschablone“ auszuwerten, wie
dies Heide Dienst auch im Blick auf den Frauenalltag in der Stadt vorgeschlagen
hat, so daß die Chroniken nur als Schilderung von Besonderem
gesehen werden dürften und der Alltag in jeweiliger Opposition dazu
zu erschließen sei9• Die Untersuchung drei er Stadtchroniken als alltagsgeschichtlichen
Quellen kann natürlich keine endgültige Klärung zum
Aussagewert herbeiführen. Auch kann es nicht Ziel dieser Arbeit sein,
die Aussagen der Chroniken in das gesamte, aus anderen Quellen zu
6 D. Weber, Geschichtsschreibung in Augsburg. Rektor Mülich und die reichsstädtische
Chronistik des Spätmittelalters, Diss. Würzburg 1984, S. 20.
7 Chronik des Dietrich Westhoff, in: Chroniken der deutschen Städte, Bd. 20, Leipzig
1887, S. 177 – 462, hier S. 193 (Dortmund hatte beim Großen Stadtbrand ‚geblutet‘).
8 R. Aulinger, Reichsstädtischer Alltag und obrigkeitliche Disziplinierung. Zur Analyse
der Reichstagsordnungen im 16. Jahrhundert, in: Alltag im 16. Jhdt., S. 258 –
290, hier S. 258{.: „Anband dieses recht unterschiedlichen Quellenmaterials (Reichstagsordnungen
und-protokolle sowie Stadtchroniken) soll der Versuch ( … ) gemacht
werden, tatsächliche Lebensverhältnisse während eines Reichstags mit den von der
Obrigkeit intendierten Ordnungsvorstellungen in Beziehung zu bringen.“
9 H. Dienst, Frauenalltag in erzählenden Quellen des Spätmittelalter, in: Frau im
spätmittelalterlichen Alltag, S. 213 – 242, hier S. 240f.
8
gewinnende Bild des spätmittelalterlichen, städtischen Alltags in Dortmund
und Duisburg einzuordnen noch diesen mit anderen Städten zu
vergleichen. Exemplarische Verweise müssen hier genügen. Diese Untersuchung
will sich aber von den extremen (Alles oder Nichts-)Positionen
abgrenzen und vielmehr im einzelnen nachvollziehen, in welchen Bereichen
des Alltags die Stadtchroniken Zugriffsmöglichkeiten bieten und
wo einer Auswertung auf ihrer Grundlage Schranken gesetzt sind. Dazu
sollen in einem konkreten Versuch die Quellen immanent interpretiert
werden, indem verschiedene Ebenen miteinander verglichen werden: Die
der bewußten Gestaltung und Formung, der Nachrichten selber sowie
der im Gesamten erkennbaren Intention. Einzeluntersuchungen sowie
weitere Quellen werden dazu nur in begrenztem Umfang herangezogen.
Eine Festlegung auf einen bestimmten Aussagewert soll damit noch nicht
getroffen sein. Die Auswertung geht somit zum einen davon aus, daß
Stadtchroniken als subjektiv gefärbte historiographische Quellen nicht
bereits die \Virklichkeit , sondern- in der Terminologie von Gerhard Jaritz-
eine „vermeintliche Realität“ darstellen, daß gleichzeitig aber ihre
Art der Formung analysiert werden kann 10.
Eine epochale Begrenzung auf mittelalterliche oder frühneuzeitliche
Perioden erscheint wenig sinnvoll. Folgt man den Vorgaben alltagsgeschichtlicher
Untersuchungen, so wären die Grenzen ‚klassischer‘ Periodisierung
anzusetzen, unter der aber eine Zusammengehörigkeit des hier
interessierenden Zeitraums von 1400 bis 1550 verlorenginge: Schon im
allgemeinen umstritten, lassen sich in so kleinen Systemen wie einzelnen
Städten Epochenübergänge schlechterdings nicht ausmachen. Renaissance,
Humanismus und Reformation in ihren Auswirkungen auf das
Denken und Handeln der Menschen oder frühkapitalistische Produktionsweisen
können ebenso wie die Kennzeichnung als Krisen- und damit
eigentliche Umschlagszeit für den behandelten Zeitraum als Einheit
sprechen11. Unbestritten ist aber, daß die Stadt des Spätmittelalters
den Lebensbereich darstellte, in dem die Voraussetzungen für staatli-
10 G. Jaritz, Zwischen Augenblick und Ewigkeit. Einführung in die Alltagsgeschichte
des Mittelalters, Wien/Köln 1989, S. 13 – 26.
1 1 H. Kellenbenz, Die Gesellschaft in der mitteleuropäischen Stadt im 16. Jahrhundert
– Tendenzen der Differenzierung, in: Die Stadt an der Schwelle zur Neuzeit, hg. v.
W. Rausch (=Beiträge zur Geschichte der Städte Mitteleuropas IV), Linz 1980, S.l
– 20, hier S. 4; E. Maschke, Deutsche Städte am Ausgang des Mittelalters, in: Die
Stadt am Ausgang des Mittelalters, hg. v. W. Rausch (=Beiträge zur Geschichte
9
ches Leben zuerst geschaffen wurden, bis sich letztlich dieser Prozeß erfolgreich
auf der Ebene der Territorien durchsetzte. Für unterschiedlich
notwendig wird dabei die begriffliche Trennung mittelalterlicher ‚ Regulierung‘
(Oestreich) oder die Anwendung des neuzeitlichen Begriffs der
‚Sozialdisziplinierung‘ erachtet12 . Jedoch kann die folgende Bearbeitung
der Chroniken nicht unter einer einzigen Theorie betrachtet werden, weil
darunter zu viele Felder des Alltags verlorengingen.
Insgesamt noch nicht durchwegs anerkannt, beginnt erst die Verständigung
über ein allgemein konsensfähiges Konzept für ‚Alltag‘ selbst
unter den Betreibern von Alltagsgeschichte13 . Einigkeit herrscht auch
mit den der Alltagsgeschichte skeptisch Gegenüberstehenden darüber,
daß solche Untersuchungen nicht ohne eine (jeweilige) Klärung des Alltagsbegriffs
auskommen. Sie soll hier zunächst erfolgen, um im weiteren
vor dem Hintergrund der Einordnung der ‚Gattung‘ Chroniken zur Quellenauswertung
kommen zu können.
l . A . GEGENSTAND – QUELLEN- VORGEHENSWEISE
l.A.l. GEGENSTAN D DER ALLTAGSGESCHICHTE
UND BEGRIFF DES ALLTAGS
Zusehends setzt sich das ‚Alltägliche‘ als eine auch historisch zu erforschende,
dem Wandel unterliegende Kategorie durch. Die Alltagsgeschichte
hat, so verortet, Veränderung und Wandel zu thematisieren,
muß damit aber auch ‚Überdauerndes‘ im Blick haben, ohne daß ihr Geder
Städte Mitteleuropas III), Linz 1974, S. 1 – 44, hier S. 29f.; F. Seiht, Zu einem
neuen Begriff von der Krise des Spätmittelalters, in: Europa 1400. Die Krise des
Spätmittelalters, hg. v. dems.fW. Eberhard, Stuttgart 1984, S. 7 – 23; allg.: J.
Fleckenstein, Ortsbestimmung des Mittelalters: Das Problem der Periodisierung, in:
Mittelalterforschung (=Forschung und Information Bd. 29), Berlin 1981, S. 9 – 21;
Th. Nipperdey, Mittelalter und Neuzeit: Das Problem historischer Nachwirkung, in:
ebda., S. 151 – 157.
12 W. Buchstab, Anfänge der Sozialdisziplinierung im Mittelalter – Die Reichsstadt
Nürnberg als Beispiel, in: Zeitschrift für Historische Forschung, Bd. 18 (1991 ), S. 129
– 147; S. Burghartz, Disziplinierung oder Konfiiktregelung?, in: Zeitschrift für Historische
Forschung, Bd. 16 (1989), S. 385- 407.
13 Mensch und Objekt in Mittelalter und früher Neuzeit. Alltag – Leben – Kultur
(=VIMRÖ Nr. 13), Wien 1990.
10
genstand sich in ausgesprochen anthropologischen Konstanten erschöpft,
die von der historischen Anthropologie untersucht werden 14.
Wenig sinnvoll ist für die Bestimmung des Gegenstands der Alltagsgeschichte
der Versuch, einen Bereich des Nicht-Alltäglichen vom Alltag
abzugrenzen, wie es Norbert Elias für die soziologische Forschung gefordert
und an die Adresse der Geschichtswissenschaft mindestens zu
bedenken gegeben hat15. Der Untersuchungsgegenstand Alltag nämlich
entzieht sich in der Tat der definitorischen Anstrengung16, wenn man
sich um sie in dieser Richtung bemüht. Gewinnbringend kann es vielmehr
sein, von den gegensätzlichen Bezügen innerhalb des Alltags auszugehen,
was die Jaritzsche Einführung in die mittelalterliche Alltagsgeschichte
in Teilen zum Untersuchungsprinzip erhebt, um sich damit
auch dem Denken der Epoche, begründet in der Gleichzeitigkeit von
Augenblicks- und Ewigkeitserfahrung, selber anzunähern und Grenzziehungen
der Zeit überhaupt erst auszuloten17. Alltag läßt sich unter dieser
Sichtweise nicht in Opposition zu Besonderem definieren und auch
schwerlich weiter ’substantivisch‘ fassen.
Wer nach Alltag fragt, will – im Kern – in Erfahrung bringen,
wie die Menschen ihr Leben zwischen den Notwendigkeiten der Lebensbewältigung
und dem Wunsch nach Lebensgestaltung oder -qualität einrichteten.
Zum ersten gehören Routine und Regelmäßigkeit um der
Erleichterung willen, zum zweiten auf das alltägliche Glück orientierte
Handlungen. Bestanden zwischen beiden Polen zu große Diskrepanzen,
14 H.-W. Goetz, Geschichte des mittelalterlichen Alltags. Theorie – Methoden –
Bilanz der Forschung, in: ebda., S. 67 – 101, hier S. 75.
15 N. Elias, Zum Begriff des Alltags, in: Materialien zur Soziologie des Alltags, hg.
v. K. Hammerich und M. Klein (=Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie,
Sonderh. 20), Opladen 1978, S. 22 – 29, hier S. 26ff.
16 K. Tenfelde, Schwierigkeiten mit dem Alltag, in: Geschichte und Gesellschaft, Jg.
10 (1985), S. 376 – 394, hier S. 387.
17 G. Jaritz, Einführung, S. 127 – 192; zu einzelnen Themen: H.-D. Heimann, Über
Alltag und Ansehen der Frau im späten Mittelalter – oder: Vom Lob der Frau im Angesicht
der Hexe, in: Frau und spätmittelalterlicher Alltag, S. 243 – 282; J. Kümmell,
Alltag und Festtag spätmittelalterlicher Handwerker, in: Mentalität und Alltag im
Spätmittelalter, hg. v. C. Meckseper/E. Schraut, Göttingen 1985, S. 76 – 96; mit dem
Begriff des „besonderen Alltags“ in Reichsstädten zu Reichstagen operieren: Th.
Fröschl, Rahmenbedingungen des stadtbürgerlichen Alltags im 16. Jahrhundert, in:
Alltag im 16. Jhdt., S. 174 – 194, hier S. 192f., sowie R. Aulinger, S. 258ff.
1 1
erfuhren die Menschen dies als Leiden18. Nur im Zusammenhang mit
wirtschaftlichen und sozialen Strukturen, aber auch Denkweisen und
Mentalitäten ist der Alltag zu erforschen19. Der Alltagsgeschichte geht
es somit um einen „Durchschnittsmenschen“, dessen Gestalten, Erleben
und Werten seiner Umwelt repräsentativ steht etwa für die soziale,
Alters-, Geschlechts- oder Herkunftsgruppe20
.
Diejenigen, die Alltagsgeschichte betreiben, haben es demnach mit
einem Gefüge von Wechselwirkungen zu tun: Von welchem Bezugspunkt
aus dieses erschlossen wird, ob von der Seite der Lebensformen (Familie,
Ehe, Hausgemeinschaft), der Objekte (als selbst geschaffener, aber
auch vorgefundener Umwelt, die sich der einzelne in bestimmter Weise
aneignet)21, der Lebensräume (Stadt, Dorf, Kloster)22, oder des Lebensverlaufs23,
ist so weit frei zu wählen, wie sich das Erkenntnisinteresse
auf den Alltag richtet. Darin unterscheidet sich die Alltagsgeschichte
von ihr – teilweise sehr – nahen Perspektiven und Disziplinen wie der
Mentalitätsgeschichte24, der Volkskulturforschung25, der Geschlechter-
18 P. Borscheid, Plädoyer für eine Geschichte des Alltäglichen, in: Ehe, Liebe, Tod,
hg. v. dems.fH.J. Teuteberg, Münster 1983, S.1- 14, hier S. 8f.
19 H. Kühnel, Vorwort, in: Alltag im Spätmittelalter, S. 7f.
20 H.-W. Goetz, Theorie, S. 78.
21 G. Jaritz, Einführung, S. 13ff.; H. Hundsbichler, Arbeit – Nahrung – KleidungWohnen,
in: Alltag im Spätmittelalter, S. 188- 270.; sowie H. Boockmann, Stadt im
späten Mittelalter.
22 H.-W. Goetz, Leben im Mittelalter vom 7. bis 13. Jahrhundert, München 31987.
23 C. Opitz, Frauenalltag im Mittelalter, Biographien des 13. und 14. Jahrhunderts,
Weinheim/Basei 2. Aufl., 1987; G. Jaritz, Leben um zu sterben, in: Alltag im Spätmittelalter,
S.121 – 179.
24 Diese kann zu Kenntnissen über Mentalität(en) nur kommen, wenn sie ebenfalls
vergleichend vorgeht. F. Graus betont mit Nachdruck, daß Mentalität( en) überhaupt
nur durch das Erkennen von Unterschieden zu erfassen sind (F. Graus, Mentalität –
Versuch einer Begriffsbestimmung und Methoden der Untersuchung, in: Mentalitäten
im Mittelalter. Methodische und inhaltliche Probleme, hg. v. dems. (=Vorträge und
Forschungen 35), Sigmaringen 1987, S. 9- 48, hier S. 13).
25 Diese verfolgt gewissermaßen ein anderes ‚Programm‘, indem sie unterdrückte
Kultur sowie Widerständ.igkeit und damit Volks- in Abgrenzung von (allerdings auch
in Bezügen zur) Elitenkultur (die sich durchgesetzt hat) erforschen will; im einzelnen
ist die Abgrenzung aber unmöglich (z. B. N. Schindler, Spuren in die Geschichte
der „anderen“ Zivilisation, in: Volkskultur. Zur Wiederentdeckung des vergessenen
12
geschichte26 oder der Erforschung materieller Kultur, die jeweils in der
Richtung ihres Erkenntnisinteresses fragen müssen. Gegenseitig bleibt
man dennoch – und insofern sind diese Abgrenzungen ‚Hilfskonstruktionen‘-
auf die Ergebnisse angewiesen.
Zu beachten ist dabei, daß es den Alltag schlechthin nicht gab (und
gibt)27, so daß die Alltagsgeschichte darauf verpflichtet ist, in den Lebenszusarnmenhängen
oder -verläufen nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden
zur Herausarbeitung von jeweils ‚Typischem‘ zu fragen28.
Dennoch ist es nicht allein ein ‚arbeitspraktisches‘ Verfahren, Alltag( e)
zu differenzieren nach Kategorien wie Geschlecht, Schichtzugehörigkeit
j Stand, Lebensraum, Beruf oder Alter. Vielrilehr beruht diese Vorgehensweise
auf der Erkenntnis, daß in die Definitionen von Zwang und Erfordernis
wie Glück oder Sinn(gebung) gesellschaftliche wie individuelle
Anteile schon eingegangen sind. Sie werden bereits in ab- und eingrenzender
Kommunikation mit anderen Menschen gefunden und müssen sich
in einer den einzelnen in unterschiedlichem Maß festlegenden oder ihm
Freiräume belassenden Umwelt jeweils neu als sinnvoll bestätigen29. Alltag
‚qualifiziert‘ daher nicht eine Gruppe vor anderen: Keine Gruppe/
Schicht kann von der Betrachtung ausgeschlossen werden, weil sie etwa
in ihrem Alltag größere Einflußmöglichkeiten als andere hatte oder umgekehrt
nur als betroffen von der obrigkeitlichen Politik erscheint. Die
Trennungen von ‚gesellschaftlichen‘ und ‚individuellen‘ Einflüssen oder
Alltags, hg. v. dems./R. v. Dülmen, Frankfurt a.M. 1984, S. 13 – 77; Volkskultur des
europäischen Mittelalters, hg. v. P. Dinzelbacher/H.-D. Mück, Stuttgart 1987; R.
Muchembled, Kultur des Volkes – Kultur der Eliten, Stuttgart 2. Auft., 1984).
26 D. Wierling argumentiert für das Eingehen einer ·’offenen Zweierbeziehung“ zwischen
Alltags- und Geschlechtergeschichte (D. Wierling, Alltagsgeschichte und Geschlechterbeziehungen.
Über historische und historiographische Verhältnisse, in: Alltagsgeschichte.
Zur Rekonstruktion historischer Erfahrungen und Lebensweisen, hg.
v. A. Lüdtke, Frankfurt/New York 1989, S. 169 – 190. hier S. 183f. ) .
27 H.-D. Heimann, Alltag und Ansehen, S. 244ff.
28 H.-W. Goetz, S. 78.
29 Entsprechend der kulturanthropologischen Richtung hebt J. Kocka besonders auf
die kulturellen Deutungen ab ( J. Kocka, Sozialgeschichte zwischen Strukturgeschichte
und Erfahrungsgeschichte, in: Sozialgeschichte in Deutschland, hg. v. W. Schieder/
V. Sellin, Bd. 1, Göttingen 1986, S. 67 – 88, hier S. 76f.) , doch ist Kommunikation
durch Handeln davon nicht auszuschließen; zur Kritik an der heute vorherrschenden
Sicht der ‚Individualität‘: N. Elias, Die Gesellschaft der Individuen, Frankfurt 1987.
13
Bedingungen und Wirkungen haben daher heuristische Funktion und zielen
letztlich darauf ab, den Alltag als Zusanunenhang beschreiben und
erklären zu können.
Für das Thema des städtischen Alltags ist in diesem Zusanunenhang
festzuhalten, daß die Stadt als Lebensraum und Institution zu gleicher
Zeit integrierender Bezugs- wie Differenzierungspunkt war: Sie schuf eine
Reihe von gemeinsamen Lebensbedingungen und -umständen, erforderte
dann aber in verschiedenen Lebensbereichen regelmäßige Abstimmung,
über die wiederum die Ordnung der Stadt hergestellt bzw. bestätigt
wurde, die im Alltag von den Städtern und Städterinnen vollzogen und
damit ‚gelebt‘ wurde. Auch wenn das tägliche Handeln ihrer Bewohner
wiederum Rückwirkungen auf Gestalt, Institutionen und Ordnung der
Stadt hatte, scheint es von daher sinnvoll zu sein, den Alltag von den
natürlichen und baulichen Gegebenheiten und in einem weiteren Schritt
von den Institutionen her zu erschließen, um sich abschließend Aspekten
des Alltagslebens im ‚klassischen‘ Sinn zuzuwenden: Arbeit, Ernährung,
Wohnen, Kleidung sowie religiöses Leben, Geselligkeit, Mobilität und
Umgang mit Notlagen sollen dabei in den Blick genommen werden. Ob
die Städter und Städterinnen die eigene Position in der Stadt mit allen
Folgen für das tägliche Leben bewußt wahr- oder mehr hinnahmen,
gilt es im folgenden mit zu berücksichtigen, sofern die Stadtchroniken
Rückschlüsse darauf erlauben.
Zu fragen, wie sich die Städter alltäglich im Lebensraum bewegten,
welche Bedeutung sie Baulichkeiten und Räumen in der Stadt zusprachen,
welchen Regelungen durch obrigkeitliche Verfügung, aber auch
Vereinbarung oder so gesehenen Erfordernissen städtisches Leben unterlag,
wie sich der einzelne in die städtische Gemeinschaft einfügen konnte,
wie er sie erlebte oder sich in ihr darstellte, und wo Möglichkeiten der
eigenen Gestaltung blieben, ist ein durchaus modernes Konzept, das erst
durch eine quellenkritische Untersuchung zugänglich wird, so daß vorab
zu klären ist, mit welchen Darstellungsformen und -brechungen bei der
Stadtchronistik gerechnet werden muß.
I.A.2. DIE GATTUNG CHRONISTIK UND DIE STADTCHRONIKEN
AUS DORTMUND UND DUISBURG
Spätmittelalterliche Chronistik läßt sich durch Gattungsmerkmale kaum
definitorisch abgrenzen. Zwar werden die Intention, den Ereignis- und
14
Geschehenszusanunenhang darzustellen30, und als Schöpfer des chronikalischen
Werks hervorzutreten31, als Kennzeichen der Autoren genannt,
doch eignet sich dies kaum zur Trennung von anderer allgemein im Aufschwung
befindlicher Geschichtsschreibung des späten Mittelalters, deren
Motivation die neuere Forschung vor allem in der Begründung von
‚Prestige‘ sieht, das sich sowohl auf einzelne wie auf Gemeinschaften
beziehen konnte32. Merkmal der Chronistik ist also allenfalls die Entfernung
von traditionellen Formen und die damit einhergehende Verdichtung
historiographischer Gegenstände33. Die Stadtchroniken lassen
sich auch schwer innerhalb der Chronistik als Einzelgattung abgrenzen34,
weil ihnen bis auf die gemeinsame „erzählende Haltung“ der Autoren
ausschließliche Merkmale fehlen35. Von regelrechten Weltchroniken
über Werke, die sich im engeren Sinn auf die Stadtgeschichte konzentrieren,
bis hin zur Aufzeichnung vom ‚Privatem‘, das man als „geschichtswürdig“
zu begreifen begann36, reicht die ‚Palette‘ spätmittelalterlicher
Stadthistoriographie. Mit den hier vorliegenden Chroniken ist
eine gewisse ‚Bandbreite‘ bereits vertreten37.
Von einer auszugsweisen Abschrift der Koelhoffschen Chronik angeregt,
begann der Duisburger Johanniterpriester Johan Wassenberch
1507 eine eher als zeitgeschichtlich zu charakterisierende, eigenständige
Duisburger Chronik, die die Zeit von 14 74 bis 1517 umfaßt und in die er
– selten – weltgeschichtliche Ereignisse, vor allem aber die eigene Stadt
und das klevische Land betreffende Nachrichten aufgrund mündlicher
3° F.-J. Schmale, Funktion und Formen mittelalterlicher Geschichtsschreibung, Darmstadt
1985, S. 111.
31 H. Grundmann, Geschichtsschreibung im Mittelalter. Gattungen – Epochen –
Eigenart, Göttingen 1965, S. 24f.
32 F. Graus, Funktionen der spätmittelalterlichen Geschichtsschreibung, in: Geschichtsschreibung
und Geschichtsbewußtsein im späten Mittelalter, hg. v. H. Patze,
Sigmaringen 1987, S. 11 – 55, hier S. 23 u. 43; ders., Zusammenfassung der Tagung
Oktober ’81, in: ebda., S. 838 – 844, hier S. 844.
33 F.-J. Schmale, S. 141.
34 H. Grundmann, S. 45ft.; dgg. F.-J. Schmale, S. 107f.
35 J.-P. Bodmer, Chroniken und Chronisten im Spätmittelalter, Bern 1976, S. 5.
36 F.-J. Schmale, S. 141.
37 Alle drei Chroniken sind in den edierten Ausgaben der ‚Schriftenreihe‘ der Historischen
Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften bearbeitet
worden.
1 5
und schriftlicher Quellen wie eigener Anschauung aufnahm38. Ebenfalls
an der Koelhoffschen Chronik orientiert, ihr (und damit dem ‚i\’erk des
Nürnberger Arztes Schedel) dann aber auch in der weltchronikalischen
Form folgend, verfaßte der Dortmunder Gerichtsschreiber Dietrich Westhoff
sein für die Drucklegung bestimmtes, schriftliche und mündliche
Nachrichten verarbeitendes Werk, das von der Erschaffung der Welt
bis zum Jahr 1550 reicht. In der Zeit von 1548 bis 1551 geschrieben,
frühestens seit 1536 in Arbeit, fehlt der Chronik eine offenbar geplante
Endredaktion39. Eigene Anschauung dagegen ist Grundlage der zeitgeschichtlichen,
die Jahre 1405 bis 1465 umfassenden A ufzeichungen des
Dortmunders Johan Kerkhörde. In verantwortlicher Position wirkte er
an der Stadtpolitik mit, indem er mehrfach und über lange Zeit entweder
direkt im Rat saß oder Kontakt und Einfluß in seiner Funktion als
Dreimann der Sechsgilden behielt40.
Zu fragen wäre für die Kerkhördsche Chronik, ob sie zur Gruppe der
„Relationen“ zu rechnen ist, für die Johannes B. Menke den Niederschlag
der Zunft- oder Bürgerkämpfe erwiesen hat: Die Relationen fanden dabei
Träger und Publikum im Rat und wurden für und im Sinne der obsiegenden
Partei geschrieben, um deren politisches Handeln als historische
Konsequenz erscheinen zu lassen41. Allenfalls in der Art der protokol-
38 Chronik des Johan Wassenberch, in: Chroniken der deutschen Städte, Bd. 24,
Leipzig 1895, S. 193 – 252; Th. Ilgen, Einleitung zur Chronik des Johan Wassenberch,
in: ebda., S. 179 – 192.
39 Chronik des Dietrich Westhoff, in: Dt. St.-Chr., Bd. 20, Leipzig 1881, S. 177 – 462
sowie J. Hansen, Einleitung zur Chronik des Dietrich Westhoff, in: ebda., S. 149 –
176.
4° Chronik des Johan Kerkhörde, in: Dt. St.-Chr., Bd. 20, Leipzig 1887. S. 25 – 146
(Ergänzend zum Muthersehen Auszug, die die Chronik Keckhördes überliefert hat,
bietet eine Handschrift des frühen 17. Jahrhunderts, die die Westhoffsehe Chronik abschrieb,
auch Textstellen aus der Kerkhördschen Chronik; in die Edition wurden sie
nicht aufgenommen, aber jeweils in den Noten vermerkt, da nicht immer sicher ist,
ob sie dem Kerkhördschen Text auch im Wortlaut folgten: sie werden im weiteren als
„Westhoff B“ angegeben); J. Hansen, Einleitung zur Chronik des Johan Kerkhörde,
in: ebda., S. 1 – 13. Für die Gilden, also auf einem der unteren sechs Ratssitze,
war er Ratsherr in den Jahren 1438 – 1448, 1455 und 1458 – 1462 (J. Hansen, Ein!.
Kerkhörde, S. 6); Dreimann war er nach eigenen, immer aber durch andere Ereignisse
motivierte Angaben, daher also mindestens in den Jahren 1431, 1436 und 1450
(Kerkhörde, S. 38, 57, 1 1 5 ).
41 J. Menke, Geschichtsschreibung und Politik in den deutschen Städten des Spät-
1 6
}arischen Abfassung könnte die Chronik als Zwischenform gelten. Denn
sie verdankte sich privater Initiative des Handwerkers und R.atsherrn,
und war ganz offenbar nur für einen kleinen Kreis, Familie und vielleicht
Freunde, bestinunt. Ein Ratsauftrag zur Abfassung der Chronik ist aus
einer Bemerkung zur Suche nach „alden historien“ der Stadt, die der Rat
1451 anstrengte42, nicht abzuleiten: Der Beginn der Abfassung wird weit
früher, nämlich in den 20er Jahren angesetzt; inhaltliche Hinweise auf
‚heimliche‘ Nachrichten machen es gänzlich unwahrscheinlich, daß die
Chronik einem breiteren Publikum bekannt werden sollte – tatsächlich
ist sie bis zu Mulhers Zeit, von dem der vorliegende unvollständige Auszug
sich erhalten hat, innerhalb der Stadt nicht beachtet worden43. Sowohl
die Chronik Wassenberchs wie die Westhoffs wären aber unter der
Sichtweise Menkes auf die Kategorie der „eigentlichen Stadtchronistik“
verwiesen, die er den Relationen gegenüberstellt, weil sie keinen konkreten
Zweckbezug hatte, sondern auf ein allgemeines literarisches Interesse
der Bürgerschaft antwortete44. Im Unterschied zu Menke unterstreicht
Heinrich Schmidt auch für Chroniken, die aus eigenem Antrieb und nicht
auf Geheiß des Rats verfaßt wurden, ihre Grundlage in der Auffassung
der Stadt als Rechtssubjekt: Die privaten Chronisten waren ihm gemäß
ebenso „Schreiber städtischen Selbstbewußtseins“ 45. Wenn Schmidt auf
den ‚Blickwinkel des von der Straße her Schauenden‘ für die Chronisten
mit eigenem, privatem Interesse an der Stadtgeschichte abhebt, um so
das wichtigste Unterscheidungsmerkmal gegenüber Ratschroniken zu benennen
und zwischen Außen- und Innensicht zu differenzieren, müssen
für die behandelten Chroniken allerdings erhebliche Einschränkungen
gemacht werden.
mittelalters, in: Jahrbuch des Kölnischen Geschichtsvereins, Jg. 33 (1958), S. 1 – 84,
Jg. 34/35 (1959/60), S. 85 – 194. Er definiert das Publikum als einen Kreis, der das
Werk rezipiert; Trägerschaft dagegen soll das Einwirken auf Entstehung und Inhalt
umfassen ( ebda. S. 6).
42 Kerkhörde, S. 118.
43 J. Hansen, Einl. Kerkhörde, S. 10.
44 Die grundlegende Fähigkeit zum Lesen nimmt man im 16. Jahrhundert bereits
für fast die Hälfte insbesondere der städtischen Bevölkerung an (R. Engelsing, Analphabetentum
und Lektüre. Zur Sozialgeschichte des Lesens in Deutschland zwischen
feudaler und industrieller Gesellschaft, Stuttgart 1973, S. 32ff.).
45 H. Schmidt, Die deutschen Städtechroniken als Spiegel bürgerlichen Selbstverständnisses
im Spätmittelalter, Göttingen 1958, S. 27.
1 7
Johann Wassenberch stand zwar in emtger Distanz zu den politischen
Ereignissen in Duisburg, doch kann angenommen werden, daß
er durch die Bekanntschaft mit den Stadtschreibern Johan Algert und
Bernhard Leysink Zugang zu den städtischen Akten und mehr noch zu
wichtigen Einzelinformationen hatte46. Der Dortmunder Chronist Johan
Kerkhörde war nicht nur Ratsherr, sondern wußte sich das Vertrauen
des späteren Bürgermeisters Andreas Klepping zu sichern; als Gildenvertreter
mit Zugang zu inoffiziellen Informationen aus Rat und Zünften
mag er zudem besser unterrichtet gewesen sein als manche seiner patrizischen
Ratskollegen. Einen wichtigen Beweis dafür, daß Kerkhördes
Bericht eine Stadtsicht ‚von innen‘ darstellt, erbringt die Chronik selber:
Als sich der Rat 1451 um ein Auffinden alter Urkunden und städtischer
Schriften bemühte, war es Kerkhörde, der in den Ratskammern nach
Material suchte47. Die Chronik Kerkhördes als Maßstab angelegt, kann
eher Wassenberchs Bericht eine Stadtsicht ‚von außen‘ dokumentieren.
Seine Aufzeichnungen zeigen dort großes Interesse an der Geschichte der
Stadt, wo sie aufs engste mit seinem Lebensrnittelpunkt, dem Johanniterorden,
verbunden war48. Über die Kontakte zum Rat hinaus, die dem
Duisburger Chronisten aus seiner Stellung als Ordensmitglied erwuchsen,
dürften aber gesellschaftliche Verbindungen zur Oberschicht bestanden
haben, die Wassenberch seiner Herkunft aus einer angesehenen,
begüterten Handwerkerfamilie zu verdanken hatte49. In weit stärkerem
Maße trifft die Kennzeichnung ‚Außensicht‘ auf die Westhoffsehe Chronik
zu: Zwar war der Chronist, von Beruf eigentlich Schmied, seit 1544
als Gerichtsschreiber schon amtlich an die Stadt gebunden, sein Einblick
in die laufende Stadtpolitik aber bleibt der eines Außenstehenden: Auch
46 Th. llgen, Ein!. Wa.ssenberch. S. 188.
47 Kerkhörde, S. l18.
48 Seit 1507 erfolgen die Einträge sukzessive und die Chronologie wird erstmalig
durchbrechen; schon vor 1474 ergänzte Wa.ssenberch die Koelhoffsche Chronik, doch
beschränkt sich dies auf wichtige Einzeldaten und -informationen.
49 Sander Wassenberch, der Vater des Chronisten, war Zinngießer; er versah mehrfach
Botengänge für die Stadt, wa.s auf Wohlstand schließen läßt, mußte er doch in dieser
Zeit auf Einkünfte aus seinem Handwerk verzichten; s. dazu F. Holthoff, Duisburger
Meister im ausgehenden Mittelalter, in: Duisburger Forschungen, Bd. 35 (1987), S. 13
– 25, hier S. 14f.; zweifelhaft an den Ausführungen Holthoffs erscheint die Annahme,
großes Ansehen in der Stadt habe der Person Sander Wa.ssenberchs gegolten. Die
Wertschätzung bezog sich wohl eher auf das ausgeübte Handwerk.
18
für die eigene Lebenszeit war ihm manches nicht minder „verborgen“ als
für zurückliegende, quellenarme Zeiten 5°.
Unterschiedlich ist auch die Identifikation der Autoren mit ihrem
Gegenstand ‚Stadt‘: Als „wir“ bezeichnet Kerkhörde einmal die handelnden
und politisch berechtigten Städter, in die er sich so einordnet51
wie sich ihm außerdem die Stadt als Zusammenfassung ihrer Institutionen
als „wir“ darstellt, deren Bürger folgerichtig „onse borger“ sind52
und zu denen zuweilen weitere Gruppen als „unse lude“ zählen 53. Sich
selbst rückt er allerdings in Verbindung zur Stadt entschieden in den Vordergrund:
“ … hedde ik nicht gedaen und dat verarbeidet, so hedden wi
alle verdorven wesen to ewigen dagen“, gibt er zum Verrat 1458 an, den
er nach eigener Darstellung nahezu allein aufgedeckt hatte54. Zur Prozession,
die als Dank für den Schutz Gottes zu diesem Verrat abgehalten
wurde, will er zusätzlich klarstellen: „Neechst gade (!) en dede nemant
anders so merkticke warnunge, alse ik … „55. Wassenberch scheint dagegen
einen etwas subtileren Versuch auch der eigenen Prestige-Begründung
unternommen zu haben. Innerhalb seines Werks, das die Stellung der
Kirchen und besonders des Johanniterordens in der Stadt mit Nachrichten
gebührend berücksichtigt, ist allerdings bezeichnend, daß er es mit
seinem Eintritt in den Orden beginnen läßt56. Westhoff dagegen kommt
allenfalls durch die ‚Augenzeugenschaft‘ in den Vordergrund der Chronik:
„Wi“ sind für ihn die ebenfalls historiographisch arbeitenden Gelehrten,
mit denen er offenbar im Austausch stand 57. Vermutlich macht
sich vielmehr geltend, daß er sich in seiner Funktion als Chronist schon
50 z. B. Westhoff, S. 446f.
51 Besonders in Abgrenzung gegen Nicht-Dortmunder: Kerkhörde, S. 34, 96, 133,
143.
52 Z. B.: Kerkhörde, S. 38, 42, 43. 102. 106.
53 Kerkhörde, S. 119.
54 Kerkhörde, S. 133.
55 Kerkhörde, S. 136.
56 Wassenberch, S. 193.
57 Man half sich gegenseitig mit Nachrichten aus, wie sich aus der Begründung einer
‚Nachrichtenlücke‘ ergibt (Westhoff, S. 286). Auch Abhängigkeiten des Werks
von Westhoff und der Dominikanerchronik weisen auf mündliche Verbindungen hin
(J. Hansen, Einl. Westhoff, S. 171), während davon aus anderen Quellen direkt
übernommenes „wir“ oder „ich“ zu unterscheiden ist (Westhoff, S. 300, 336; dazu
auch J. Hansen, Einl. Westhoff, S. 169).
19
als eine ‚Institution‘ der Stadt sah. Humanistischer Einfluß zeigt sich
ebenso wie ‚Neuzeitlickeit‘, aber all dies befindet sich im Übergang: Das
Reich etwa sieht er nicht mehr in der Stadt, sondern die Stadt ist für
ihn eines neben anderen Gliedern des Reichs58. Eine Einteilung der Zeit
in Weltalter scheint ihm nicht mehr angebracht; Veränderungen stellt
er sich dennoch als göttliche Bestrafung und als Wandel im Rahmen
der gleichbleibenden ‚Natur‘ der Menschen und Dinge vor59. Die Vergangenheit
hingegen konnte von ihm in ungebrochener Kontinuität als
beispielgebend ausgelegt werden. Auch er begründet den Stolz der Stadt
nunmehr aus der humanistisch-gelehrten Perspektive: So gelingt es ihm,
eine Verbindung zu den Römern herzustellen, mit denen er auf halsbrecherischen
Umwegen die Stadtfreiheit in Zusammenhang zu bringen
bemüht ist60.
Mit unterschiedlicher Formung des Stoffs ist demnach bei der Auswertung
zu rechnen. Neben der Beachtung des jeweiligen Informationsstands
steht zu berücksichtigen, daß Westhoff ein regelrechtes ‚Werk‘
schaffen wollte, so daß auch die Anordnung der Erzählungen und Berichte
Aufschluß über seine Sichtweise geben kann. Im Gegensatz dazu
zeigt sich in den Aufzeichnungen Kerkhördes – und insofern lassen sich
Unterschiede gemäß des Ansatzes von Menke wiederfinden -, daß Rückgriffe
auf die Stadtgeschichte und Benutzung schriftlicher Quellen durch
die aktuellen politischen Entwicklungen motiviert sind, die Erinnerung
erforderten 5 1 . Bei den zeitgeschichtlichen Werken ist zusätzlich – soweit
möglich – der Zeitpunkt der Niederschrift miteinzubeziehen. Einen
58 Westhoff, S. 302.
59 Dazu seine an Koelhoff orientierte Rede zur Dortmunder Verfassungsänderung,
die aber sehr viel schneller auf die eigene Stadt zu sprechen kommt (Westhoff, S. 291;
vgl. Cronica van der hiliger stat van Co eilen 1499 ( =Koelhoffsche Chronik), in:
Dt. St.-Chr. Bd. 13, Leipzig 1876, S. 253 – 638 und Bd. 14, Leipzig 1876, S. 641 –
918, hier S. 732); K Schreiner, Sozialer Wandel im Geschichtsdenken und in der Geschichtsschreibung
des späten Mittelalters, in: Geschichtsschreibung und Geschichtsbewußtsein,
S. 237 – 286, hier S. 239ff.
60 Westhoff, S. 177 – 180 u. 185f.
61 Die Große Fehde und die folgenden Entwicklungen etwa werden im Zusammenhang
mit der Anklage der Stadt durch Evert Wistraten problematisch; daß sich die
Sechsgilden zu diesem Zeitpunkt in Auseinandersetzungen mit dem Rat befanden,
könnte ebenfalls durch diese Situation begünstigt worden sein (Kerkhörde, S. 41 –
48).
20
mehr oder weniger unmittelbaren Einblick in die Stadt aber bieten die
Chroniken nicht: Sie sind gleichermaßen der reflektierte Niederschlag
eigener Anschauung und Verarbeitung schriftlicher und mündlicher Informationen
sowie von Intentionen vor dem Hintergrund einer bewußten
Stadtsicht und Mentalität.
Gemeinsam ist den Chronisten, daß sie Städter waren und eigene
Geschichte schrieben. Ansetzen kann die Interpretation also einerseits
daran, daß ihnen und ihren Lesern der Lebensbereich vertraut war. Jedoch
mochte unter bewußter Wahrnehmung auch das Selbstverständliche
in einem anderen Licht erscheinen, unter bestimmter Gestaltungsabsicht
erwähnenswert werden oder aber sich ‚einschleichen‘, weil die Aufmerksamkeit
des Schreibenden auf der absichtsvollen Darstellung ruhte. Es
verbietet sich demnach ein Vorgehen, das eine bestimmte ‚Schablone‘ anzulegen
versucht. Nachrichten, Formung und Intention werden vielmehr
jeweils (und nicht nacheinander) in bezug auf alltagsrelevante Fragen
ausgedeutet. Damit soll auch der Gefahr entgegengewirkt werden, daß
sich die Interpretation im eigenen abgesteckten Kreis bewegen kann. Daß
die Schreiber aus im Grundsatz vergleichbaren Städten kamen, ohne daß
allerdings Unterschiede ganz fehlen würden, soll im folgenden auch zur
‚Lieferung‘ unverzichtbarer Hintergrundinformationen gezeigt werden.
I.B. DIE STÄDTE: DORTMUND UND DUISBURG IM VERGLEICH
Beide Städte gehören – typologisch – in Spätmittelalter und Reformationszeit
zu den Gewerbe- und Handelsstädten mittlerer Größe. Der
Zusammenbruch der Dortmunder Wirtschaft nach der Großen Fehde
1388/8962 konnte im Laufe des 1 5 . Jahrhunderts überwunden werden:
Neben dem insgesamt weniger bedeutenden Handel mit Tuch bildete die
Herstellung von Produkten der Eisen- und Stahlverarbeitung die Grundlage
für den Fernhandel, so daß sogar von einer erneuten „Blüte“ der
62 K. Rübel, Dortmunder Steuer- und Finanzwesen, Dortmund 1892; Rübel hat
nachzuweisen versucht, daß der Bankrott zwar Folge finanzieller Überforderung durch
die Belagerung war, aber damit nur die Auswirkungen mangelhafter Haushaltsführungstechnik
schneller sichtbar wurden (S. 46 – 51); zu berücksichtigen bleibt aber
dabei wohl, daß die reichen Kaufleute der Stadt auf die Politik der hohen Besteuerung
mit Abwanderung reagierten (L. v. Winterfeld, Geschichte der Stadt Dortmund,
Dortmund 61977, S. 92f.).
2 1
städtischen Wirtschaft gesprochen wird63. Duisburg dagegen fand nach
dem wirtschaftlichen Kollaps zum Ende des 14. Jahrhunderts wegen der
Rheinverlagerung64 nicht wieder Anschluß an den vormals die Stellung
der Stadt sichernden Fernhandel: Seit der Mitte des 1 5 . Jahrhunderts
aber konsolidierte sich die städtische Wirtschaft durch die Förderung
der Textilgewerbe, deren Produkte im kleinen Handel mit dem Umland
vertrieben wurden; eine verstärkte Ausrichtung auf den Export faßte die
Stadtführung aber erst Mitte des 16. Jahrhunderts wieder ins Auge; bis
zu diesem Zeitpunkt zielte ihre wirtschaftspolitische Konzeption auf das
Auskommen65.
Zu den gewöhnlich als Indiz der wirtschaftlichen Entwicklung geltenden
Bewegungen der Bevölkerungszahlen können kaum exakte Angaben
gemacht werden: In Dortmund ist gegenüber einer Bevölkerung von 6000
bis 8000 Einwohnern im 1 4 . Jahrhundert66 ein stetiger Rückgang bis auf
3000 zu Beginn des 1 7 . Jahrhunderts verzeichnet, aber auch vermutet
worden, daß die Schätzungen für die früheren Zeiten schon unzutreffend
sind67. Duisburgs Bevölkerung wird zu Beginn des 16. Jahrhunderts mit
2000 Einwohnern angenommen; erheblich größer soll sie vorher gewesen
sein68.
An der Schwelle zur Neuzeit dürfte gemäß der Systematik Erich
Maschkes69 in beiden Städten, stärker vielleicht in Dortmund, eine Entwicklung
zur Konzentration großer Vermögen in den Händen weniger
Familien und einhergehend zur Vergrößerung der Schicht mit kaum existenzsichernden
Einkommen stattgefunden haben. Durch die Quellen-
63 L. v. Winterfeld, Die Dortmunder Wandschneider-Gesellschaft, (=Beiträge zur
Geschichte Dortmunds und der Grafschaft Mark Bd. 29/30), Dortmund 1922, S. 10f.
64 H. Scheller, Der Rhein bei Duisburg im Mittelalter, in: Duisburger Forschungen,
Bd. 1 (1957), S. 45 – 86.
65 Denn das Benutzen einer Walkmühle war bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts verboten
(K. Schmidt, Das Duisburger Textilgewerbe bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts
(=Duisburger Forschungen Beiheft 5), Duisburg 1964, S. 24ff.).
66 J. Otte, Untersuchungen über die Bevölkerung Dortmunds im 13. und 14. Jahrhundert,
in: Beiträge, Bd. 33 (1926), S. 5 – 53, hier S. 52f.
67 A. K. Hömberg, Wirtschaftsgeschichte Westfalens, Münster 1968, S. 79f.; vgl. dgg.
Th. Spohn, Die historischen Profanbauten der freien Reichs- und Hansestadt Dortmund,
in: Beiträge, Bd. 79 (1988), S. 9 – 97, hier S. 26.
68 G. v. Roden, Geschichte der Stadt Duisburg, Duisburg 1970, S. 154.
69 E. Maschke, Deutsche Städte, S. 14f.
22
lage besser zugänglich (oder bislang besser zugänglich gemacht) als die
allgemeine soziale Entwicklung sind für beide Städte die Verschiebungen
innerhalb der spätmittelalterlichen Führungsschichten: Nachdem
sich die ratsfähigen Familien in Dortmund eigentlich erst zum Ende
des 14. Jahrhunderts zu einem Patriziat entwickelt und über die Junkergesellschaft
geburtsständisch abgeschlossen hatten 70, nahmen sie von
fernhändlerischer Betätigung vor allem mit Tuch und Wein zunehmend
Abstand, lebten von Grund- und Rentenbesitz (der Reichsbesitz und
Rechte am Reichswald waren in ihren Händen), während gleichzeitig
die seit dem 13. Jahrhundert als Erbsassen minder geachteten Wandschneider
auch in den Großhandel mit Tuch e1iuückten71. In Duisburg
dagegen sind die Gründe für den Wechsel in den Führungsschichten im
15. und 16. Jahrhundert noch nicht restlos geklärt, denn auch nach dem
Ausscheiden einer Reihe von ehemals vornehmen Familien blieben weiterhin
Tuch- und (vor allem) Weinhandel, Haus- und Grundbesitz sowie
Waldbeerbtheit Kennzeichen der Geschlechter72. Ob sich die Duisburger
Stadtoberen tatsächlich aus einem abgeschlossenen Patriziat rekrutierten,
73 lassen die Stadtgeschichten offen: Zumindest sind ‚Aufsteiger‘
aus Handwerkerkreisen im 16. Jahrhundert nachweisbar74 , während die
Zünfte als Korporationen keinen Anteil am Stadtregiment erlangt hatten
75• Dies steht vielleicht insofern im Zusammenhang, als daß zu Reich-
70 Zusammenfassend dazu: G. E. Sollbach. Autonomie und Selbstverwaltung der
Reichsstadt Dortmund im Mittelalter, in: Jahrbuch des Vereins für Orts- und Heimatkunde
in der Grafschaft Mark, 73 ( 1975 ), S. 1 – 246, hier S. 42ff.
71 L. v. W interfeld, Wandschneider, S. 67f.; der Begriff ·’Erbsasse“ macht einen
Bedeutungswandel durch; verschieden umfassend wird er in der Folgezeit gebraucht
(G. Luntowski, Bemerkungen zu einigen Fragen der Sozial- und Verfassungsgeschichte
der Städte Dortmund und Lüneburg, in: Beiträge, Bd. 65 (1969), S. 5 – 20, hier S. 13).
72 Gemäß den Studien von J. Milz, hier zitiert nach: F. Weinforth, Studien zu
den politischen Führungsschichten in den klevischen Prinzipalstädten vom 14. bis
16. Jahrhundert, ( =Köln er Schriften zur Geschichte und Kultur 2), Köln 1982, S.
172ff.
73 Der Begriffsgebrauch ist nicht unproblematisch; gewöhnlich gilt aber die Einrichtung
von Gesellschaften, in die dann einzelne allenfalls kooptiert wurden und/oder
einheiraten konnten, als geburtsständischer Abschluß (dazu: E. Isenma.nn, S. 274ff.).
74 F. Weinforth, S. 192f.
75 Die Schuhmacher und die Leineweber waren nachweislich bereits im 13. Jahrhun-
23
turn gelangte Handwerker in höchste Kreise gelangen konnten, ohne daß
es zu Verfassungskämpfen kommen mußte.
Die Mitwirkung der Duisburger Bürgerschaft beschränkte sich auf
die Ratswahl, indem der Rat sich jährlich zu einem Teil selbst ergänzte,
zur anderen Hälfte durch die Bürger gewählt wurde. Seit Ende des
15. Jahrhunderts konnten die Bürger zusätzlich ein Sechzehner-Gremium
beschicken, dem aber nur begrenzte Mitsprachemöglichkeiten eingeräumt
waren 76 . In Dortmund dagegen hatten die Sechsgilden wie die ‚zunftfreundlichen‘,
aber nicht (mehr) handwerkbetreibenden Erbsassen zum
einen früh Anteil an der Ratswahl, zum anderen besetzten seit 1400 die
Sechsgilden die unteren Ratssitze. In Ergänzung der Wahlmännerausschüsse
besaßen die Gilden über den 24er und die Erbsassen über den
12er-Stand (Gilden- und Ratserbsassen) mitbeschließenden Rang in der
Stadtverfassung77. Dem frühneuzeitlichen ‚Elitenwechsel‘ waren aber
auch in Dortmund Schranken faktisch hoher Kontinuität der Ratszusammensetzung
gesetzt: Erst in den 60er Jahren des 16. Jahrhunderts
kam es zu einer stärkeren Vertretung von Honoratioren 78.
Erfolgreich konnte sich der Dortmunder Rat lange auch der reformatorischen
Bewegung widersetzen: 1525 vermochte er Zugeständnisse
wieder zurückzunehmen, sehr begrenzte Versuche ihrer gewaltsamen Einführung
scheiterten 1533, so daß sich erst nach der Jahrhundertmitte
eine Hinwendung zur Reformation vollzog bzw. überhaupt eine Kondert
zunftmäßig organisiert; seit der Mitte des 15. Jahrhunderts richtete der Rat
Ämter insbesondere der Textilgewerbe ein (K. Schmidt, S. 30f.).
76 G. v. Roden, Geschichte der Stadt Duisburg, S. 135ff.
77 L. v. Winterfeld, Wandschneider, S. 331 – 337; die Gilden wählten in Dortmund
aus ihren Reihen zwölf Kurgenossen, diese wiederum weitere sechs Wahlmänner aus
den Erbsassen und die patrizische Junkergesellschaft bestimmte aus ihren Reihen
zusätzlich sechs Wahlmänner, die zusammen das Ratswahlkollegium bildeten: Als
mitbeschließende Stände wurden die zwölf Gildenwahlmänner aus den Gilden um
weitere zwölf ergänzt und diese bildeten die „Vierundzwanziger“; die „Zwölfer“ waren
die sog. Rats- und Gildenerbsassen, d. h. von den Gilden bestimmte Erbsassen
(G. Luntowski, Kleine Geschichte des Dortmander Rats, hg. v. d. Stadtsparkasse,
Dortmund 1970, S. 23).
78 H. Schilling, Dortmund im 16. und 17. Jahrhundert, Reichsstädtische Gesellschaft,
Reformation und Konfessionalisierung, in: Dortmund – 1100 Jahre Stadtgeschichte,
hg. v. G. Luntowski/N. Reimann, Dortmund 1982, S. 153 – 201, hier S. 186f.
24
fessionalisierung der Auseinandersetzungen durchsetzte79 . Ursprünglich
waren beide Städte Reichsstädte. In Dortmund mochte die Stellung
im Reich zur inneren Stabilität beigetragen haben, denn der Stadt war
die Behauptung der reichsstädtischen Position gelungen – nicht nur gegen
die üblichen Verpfändungen, sondern selbst gegen die in der Großen
Fehde geeinten Konkurrenten um Dortmund, den Kölner Erzbischof und
den Grafen von der Mark80 . Duisburg dagegen mußte sich spätestens
zum Ende des 16. Jahrhunderts in das klevische Territorium eingebunden
sehen81 . Bis 1521 noch in den Reichsmatrikeln geführt und über
Reichsstandschaft verfügend, läßt sich die Position der Stadt bis zum
16. Jahrhundert allein als Stellung zwischen Reich und Kleve, an das
sie seit 1290 verpfändet war, beschreiben: Einerseits verzichtete bereits
1317 Ludwig auf das Auslöserecht – Karl IV. sicherte der Stadt
zwar wieder zu, daß er sie beim Reich behalten wolle, hatte aber die
Verpfändung an Kleve schon bestätigt. Andererseits handelte die Stadt
aus reichsstädtischer Position, wenn sie gegen die Erbfolgeregelung Kleves
1417 Sigismund anrief oder durchgehend eine Sonderstellung im Territorium
verteidigte82 . Vor dem 16. Jahrhundert hielten sich die Zugriffsmöglichkeiten
der Klever auf Duisburg tatsächlich in Grenzen und
die Stadt bewahrte durchaus innere Autonomie83. Vielleicht war es aber
79 Ebda., S. 157 – 163.
80 H. G. Kirchhof!, Die Dortmunder Große Fehde 1388/89, in: 1100 Jahre Stadtgeschichte,
S. 109 – 128.
81 E. Liesegang, Niederrheinisches Städtewesen vornehmlich im Mittelalter, Breslau
1897, s. 389 – 400.
82 W. Ring, Geschichte der Stadt Duisburg, Essen 1927, S. 114ff.; G. v. Roden, S. 39
– 51 u. 154; von der spätestens seit Mitte des 15. Jahrhunde1·ts bestehenden landständischen
Vertretung hielt die Stadt sich fern, sobald dort über die Zustimmung zu
landesherrlicher Besteuerung beraten wurde.
83 Man wird dies gar nicht einmal nur als von der Stadt errungen ansehen können,
sondern auch der klevischen Politik gegenüber Duisburg zuschreiben müssen. Sie
betrachtete die Stadt gewissermaßen als ‚Verschiebemasse‘ (nach dem zeitweiligen
Übergang an Berg seit 1312 fiel Duisburg im Rahmen einer Erbvereinbarung wieder
an Kleve zurück; seit 1368 traten die märkischen Grafen das klevische Erbe an;
Duisburg gehörte 1420 und 1430 wiederum zur Abfindung Gerhards von der Mark).
Eine tatsächliche Autonomie gegenüber dem Stadtherrn wird daran sichtbar, daß die
Wahl der Schöffen sich dem Einfluß der Klever zu Beginn des 15. Jahrhunderts fast
völlig entzogen hatte, das Schultheißenamt der Stadt seit Mitte des 14. Jahrhunderts
25
bis zum 16. Jahrhundert gerade das Fehlen einer Frontstellung, das zur
Hinnahme des sich dann verstärkenden Einflusses der Herzöge beigetragen
hat.
verpfändet war und sie zum Ende des 14. Jahrhunderts den Pfandbesitz am Reichshof
mit allen anhängenden Rechten (Marktgelder u. Gruitrecht) erwarb. Schwer
abzuschätzen ist dagegen der – informelle – Einfluß etwa des Drosts von Dinslaken
als Vertreter des Landesherrn (G. v. Roden, Geschichte der Stadt Duisburg, S. 39 –
5 1 u. 130, sowie D. Kastner, Die Territorialpolitik der Grafen von Kleve, Düsseldorf
1972, s. 110).
26
II. Stadtchroniken aus Dortmund und Duisburg
als Quellen der Alltagsgeschichte
ll.A. STADTGESTALT UND -DEUTUNGEN
II.A. l . STADTMAUER UND STADTGEWALT
Die Stadtmauer bedeutete für die Städter vor allem Schutz. Die Stadt als
Lebensbereich sowie als Fluchtort für die Menschen des Umlands bot eine
relativ höhere Sicherheit84, besonders in Zeiten von Fehdekämpfen, an
denen Dortmund zuletzt in der Soester Fehde Mitte des 15. Jahrhunderts
noch aktiv beteiligt war. Tagsüber wurde der Zugang zur Stadt an
den Toren kontrolliert85; nachts blieben die Tore verschlossen86 , so daß
Kerkhörde als Ausnahme beschreibt, daß die Freunde des Tonnis Ovelacker
in allen Herbergen gesucht wurden, um sie aus der Stadt zu weisen,
„al wol dattet nacht was“87. Das Vieh blieb nachts auf den städtischen
Weiden: So nahmen es zumindest die „Wetterschen“ an, als sie 1445 vor
Dortmund über Nacht Kühe und Schweine rauben wollten88 ; vielleicht
gebot aber auch die Vorsicht während einer Fehde den täglichen Eintrieb
in die Stadt89 .
84 Wassenberch, S. 234; Kerkhörde, S. 132f und 145; Westhoff, S. 460.
85 Zu Fehdezeiten oder bei drohenden Überfällen allerdings mußte die Stadtmauer
verstärkt werden; schon die normale Bewachung bedeutete aber hohe Kontrolle, auch
wenn es in erster Linie um Zollerhebungen gegangen sein dürfte.
86 z. B. Wassenberch, S. 118: “ … ende taten verbijden, dat die porteners des anderen
dachs solden die porten to halden .. “ ; Westhoff, S. 240: „Do nu am hellen dage die
poerten wie gehoert also verslotten bleven .. .“
87 Kerkhörde, S. 48.
88 Kerkhörde, S. 79; auch die Duisburger unternahmen einen Kuhraub vor Krefeld
am frühen Morgen (Wassenberch, S. 217); die Belege für nächtliche Fehdeangriffe oder
-auszüge sind zahlreich.
89 Dafür spricht die Kerkhördsche Bemerkung während der Soester Fehde (Kerkhörde,
S. 98f.): “ … weren viande der Colschen und nicht uns; nochtant, hedden se wat konnen
nemen vor der poerten, dat daerbuten verbleven, dat hedden se mede nommen.
Id was seidene nacht; it bleven koie, swine buten der stat, de quemen alle vor de
27
Zugleich kündete die Mauer von einem Bereich hoher Kontrolle: Sie
war auch nach innen das Symbol der Stadtgewalt, wie die Chroniken
in Berichten über Ausnahmesituationen zeigen. Gleichermaßen schildern
sie, daß bei innerstädtischen Auseinandersetzungen zwischen Rat
und Gilden der Abschluß der Stadt und die Herausgabe der Torschlüssel
gefordert wurden90 • In der zeitlichen Abfolge war die Übernahme der
Stadtschlüssel durch die Aufständischen allerdings nicht der Beginn eines
„oploips“ , sondern markierte das Ende der Verhandlungsbereitschaft
und enthob den bestehenden Rat seiner Macht91 . Wer also über die
‚Schlüsselgewalt‘ verfügte, hatte die Macht in der Stadt.
Vor diesem Hintergrund erklärt sich auch die Bedeutung der Verwahrung
der Stadtschlüssel während der Großen Fehde, die Westhoff
ein eigener Vermerk wert ist92 , sowie die genau protokollierte Zeremonie
ihrer Übergabe an Kaiser Karl IV. beim Besuch Dortmunds 1377,
die zur Lebenszeit Westhoffs keiner weiteren Erläuterung bedurfte und
poerten des nachts“; dagegen kann ein erfolgreicher Kuhraub bei Nacht angeführt
werden (ebda., S. 90); daneben gibt es Beispiele dafür, daß bei konkreter Gefahr das
Vieh eingeholt wurde (ebda., S. l05).
90 Wassenberch, S. 236 (über Köln) und 238f. (über Duisburg), sowie Westhoff, S. 397
(über Aachen).
91 Ebda.; Über Aachen z. B. hebt Westhoff hervor (Westhoff, S. 397): “ … heft die
gemeinte binnen Achen van burgermeister und raet daselbst rechenschop ervordert
( … ) bij die 17 gevenklich hingelacht worden, und die gemeinte die slottel und poerten
ingenomen. Ist aver lestlieh versonet worden.“ Die Frage, ob es sich hierbei um
einen literarischen Topos handelt , kann für die Duisburger Chronik (aufgrund der
genauen Verlaufsschilderung) verneint werden; sie wäre auch vielmehr dahingehend
zu präzisieren, ob die Handlung selber an konkreten Erfordernissen orientiert war
oder in stärkerem Maße (was sich ja nicht alternativ entgegensteht) eine symbolische
Handlung darstellte, wie es etwa W. Ehbrecht an den Verlaufsformen städtischer
Unruhen analysiert hat (W. Ehbrecht, Bürgertum und Obrigkeit in den hansischen
Städten des Spätmittelalters, in: Stadt am Ausgang des Mittelalters, S. 275 – 294,
hier S. 286) Denn einerseits beugten die Aufständischen dem Eingriff auswärtiger Herren,
der Ausnutzung der Situation von außen oder auch der Flucht der Stadtoberen
vor; andererseits kann dies als Zeichen des Durchsetzungswillens der Aufständischen
gemeint gewesen sein, was wiederum erklären würde, warum in durchaus unterschiedlichen
politischen Situationen die gleiche Reaktion ratsam erschien – und sich im Falle
Duisburgs als den Möglichkeiten des klevischen Herzogs gänzlich unangemessen zeigen
sollte.
92 Westhoff, S. 254.
28
als Nach-Vollzug des Stiftungsaktes verständlich blieb93. Vielleicht darf
man im Abschluß der Tore mit Hilfe von „stocken“ 1457, als Gobelen
Kracht Nachschlüssel des Dortmunder Neuentores gemacht hatte und die
Schlösser abgeschlagen wurden, den Rückgriff auf bekannte ältere Arten
der Verriegelung sehen94.
Über das Aussehen der Stadtmauer unterrichten die Chronisten allenfalls
im Zusammenhang mit Unwetterschäden95 oder Neuerungen und
Ausbesserungen96 . Ohne konkrete Beschreibung bleibt, welche Arbeiten
man in Dortmund als Reaktion auf die Warnung vor einem Überfall l457
verrichtete, als „vele dinges gerechtverdiget (wurden) an paerten, toernen“
97. Genauere Angaben beinhalten die Schilderungen dann, wenn der
symbolische Gehalt der Befestigung, die Demonstration von Stadtgewalt
und Stadtmacht, für den Chronisten zum Ausdruck gebracht schien, so
als Kerkhörde nach seiner Wiederkehr aus der Gefangenschaft in Iserlohn
den Steinenturm98 wiederaufgebaut sah: „Nu wart de stenen toern
gemaket, as he nu is. De was tovorens van graen stenen gemuert und
wart afgebrant. Do lachte man ene teigelmuer darumme den grauwen
steen; de mure wart deper gelacht, dan de grauwe muer mans lank und
darop gesperret und gedecket mit Herricker steene, de wart afgebraken
van dem Baginenhuse ton Wijngaerden. To dussem timmer quam meestlik
dat maentgelt, dat man gegeven hadde. Dusse toern wart mit haste
und mit macht undermaket, do unse borger gevangen seten, op dat men
see, dat wi noch in der stat leveden.“99
Seit dem 14. Jahrhundert waren zwar die Stadtmauern durch die
veränderte Angriffstechnik nicht mehr unüberwindbar100 , doch bedienten
sich auch die Städte der gleichen Waffen; daneben mußten sie, so-
93 Westhoff, S. 230.
94 Kerkhörde, S. 130.
95 Kerkhörde, S. 36; Westhoff, S. 418.
96 Wassenberch, S. 221; Kerkhörde, S. 63, 130; Westhoff, S. 334, 343, 345, 371, 405,
409, 423.
97 Kerkhörde, S. 130.
98 Dieser Turm befand sich vor der Stadt, von dort aus wurde die Feldmark überwacht
(Kerkhörde, S . 105 und 109f.).
99 Kerkhörde, S. 109f. (H.v.m.).
100 „Bussenscherme“ wurden etwa in der Großen Fehde eingesetzt (Westhoff, S. 258
ff.).
29
lange sie nicht selber aufzugeben gezwungen waren, dennoch regelrecht
erstürmt werden101 , wie es die Ankündigung des schon erwähnten Übergriffs
auf Dortmund verdeutlichen wollte102 . Gefahr drohte der Stadt
daher vor allem in der Form des ‚Verrats von innen’103, wie dies V.’assenberch
bei der Überwältigung anderer Städte vermerkt104, Kerkhörde als
eigenes Erlebnis schildert105 und Westhoff in der Geschichte über Neisa
(Agnes) von der Vierhecke erzählt, die von den Dortmundern durch eine
alljährliche Prozession in Erinnerung gehalten wurde106 .
In einem Spannungsverhältnis dazu steht die Beobachtung, daß
Westhoff die Frage nach Umständen und Zeit der Errichtung der Stadtmauer
nicht stellt. Lediglich am Rande erwähnt der Chronist, daß Heinrich
IV. seine Hilfe zu „bouwe und der stat bevestunge“ gab, so habe es
Lambert Wickede bezeugt107. Auch die Wortwahl an anderer Stelle weist
darauf hin, daß Existenz und Fortbestand der Stadt die Befestigung in
101 Kerkhörde geriet bei einem Angriff auf Hörde unter die Leiter (Kerkhörde, S. 35);
die Leitern der sächsischen Landsknechte waren nach seinen Angaben zu kurz (Soester
Fehde: ebda., S. 95 und 96); auch ein vereitelter Überfall des Erzbischofs auf Duisburg
wird so geschildert (Wassenberch. S. 255f., Ergänzung zur Koelhoffschen Chronik).
102 Kerkhörde, S. 132: “ … so seggede he uns tween alle dink va.n der verra.etnusse
( … ) und wolde die Nijenpoerten opsluten und doet slaen der borger so vele, dat men
de stat behalden konne und solde de stat schinnen und der poerten uetwerpen und
vele andres quades.“
103 Dieser Gebrauch wäre nach moderner Verwendung des Begriffs ‚Verrat‘ tautologisch.
Beim chronikalischen „Verrat“ jedoch handelt es sich um einen Begriff, der von
heutigem Verständnis abweicht, insofern er mehr umfassen konnte als einen bewußten
Betrug: Bei einem Überfall konnte die Stadt verraten sein, was umschrieb, daß sie
angegriffen war und verloren schien: Westhoff, S. 215; Kerkhörde, S. 4 1 und 110.
104 Wassenberch, S. 204f., 209; auch Kerkhörde notiert dies bei der Einnahme Kaldenharts
durch Soest (Kerkhörde, S. 89); Westhoff ergänzt seine Vorlage, die Koelhoffsche
Chronik, um diese Information zur Einnahme Triers (Westhoff, S. 321).
105 Kerkhörde, S. 132f. sowie bei der Einnahme Wetters durch Kleve ( ebda., S. 35).
106 Westhoff, S. 237ff.; auch zur Großen Fehde nennt Westhoff ausdrücklich die Einigkeit
der Städter als Beispiel dafür, „Warinne und durch welch die stat Dortmund
unoverwunnen bleven“ ( ebda., S. 276), wie er auf Grundlage der offiziellen Aufzeichnungen
urteilen konnte; dieser Abschnitt wird Westhoff zugeschrieben (H. G. Kirchhoff,
S. 122); nur ein kleiner Rest des Kriegstagebuchs ist überliefert.
107 Den „Bau“ hat Westhoff gegenüber seiner Vorlage, der sog. „Pseudorektorenchronik“,
ergänzt (Westhoff, S. l85); daß der Chronist über keine entsprechenden Informationen
verfügte, ist als Begründung nicht hinreichend, denn auch andere ‚Themen‘
30
den Augen des Chronisten bereits voraussetzte108. Evidenz konnte die
Vorstellung, die das Vorhandensein einer Befestigung bis in den Anfang
der Stadt projizierte, für die Zeitgenossen aufgrund der Erfahrungen der
Gefährdung der Stadt gewinnen, aus denen die „Große Fehde“ 1388/89
lediglich herausragte, wie dies die zeitgenössische, vielleicht mündlicher
Überlieferung entstammende Bezeichnung schon spiegelt 109. Offensichtlich
war auch, daß das Bauvorhaben ‚Stadtmauer‘ ein Unternehmen ohne
Ende war, das kontinuierliche Anforderungen an die Bürgerschaft stellte,
und sich somit schon durch die Erhöhung üblicher oder Erhebung besonderer
Steuern im Leben der Stadtbewohner auswirkte.
Mit der in Duisburg vermutlich gegen Ende des 13. Jahrhunderts
erweiterten Ummauerung110, in Dortmund seit dem Ausbau der Mauer
werden von ihm trotz des Mangels an genaueren Nachrichten aufgegriffen, wie z. B.
am Bericht über das Kathariuenkloster deutlich wird (ebda., S. 189).
108 Er erklärt überaus abwägend, daß König Dagobert im Jahre 630 Soest dem Bischof
von Köln übergeben konnte, weil „die ‚Stadt Soest‘ viilichte so nicht bevestiget
wie disser tijt, sunder ein siechte vergaderunge der burger, wiewol willens gewest,
sich von dagen to dagen meer und meer to befestigen.“ (J. Hansen, Einl. Westhoff,
S. 156; H. v. m.). Der Einfluß des Humanismus ist bei Westhoff allenfalls in seiner
skeptischen Haltung zur Waffenentwicklung zu sehen, wie er es aus Francks Chronik
entlehnt (Westhoff, S. 245) und darüberhinaus in seiner Beurteilung der Großen Fehde
in die Vergangenheit projiziert. Denn die eigenen Schlußfolgerungen über die Widerstandskraft
der Stadt (ebda., S. 276ff.) stehen in einem Mißverhältnis zur berichteten
Rolle des Einsatzes der städtischen Waffen (ebda., S. 256 und 259). Dies fällt insbesondere
dann auf, wenn die frühere Chronik zum Vergleich dient. Für Kerkhörde ist
schon mit dem Standort der „bussenscherme“ die Entscheidung darüber gefallen, ob
die Stadt angegriffen werden konnte (Kerkhörde, S. 85, 90 und 101). Eine humanistisch
beeinflußte Wandlung der Stadtvorstellung, die die städtische Macht nunmehr
auch im Fehlen einer Stadtmauer sehen konnte (H. Kugler, Stadt und Land im humanistischen
Denken, in: Humanismus und Ökonomie, hg.v. H. Lutz, Weinheim
1983, S. 159 – 182, hier S. 165ff.) zeichnet sich bei Westhoff nicht ab: ‚Öffentlichkeit‘
im Sinne augenscheinlichen, aber auch wahrheitsgemäßen Nachweises reklamiert er
sowohl für einen Schriftzug über dem Ostentor „Diese Stadt ist frei … “ wie auch für
das Denkmal des Heiligen Reinold auf der Stadtmauer (Westhoff, S. 186 und 226f.).
109 Begriffliche Parallelen sind etwa der „grote roggen“, wie die Ernte des Jahres 1495
von den „Vorvätern“ überliefert wurde (Westhoff, S. 361) und die „grote twidracht“,
mit der die Ereignisse, die zur Verfassungsänderung von 1400 führten, bezeichnet
werden (Kerkhörde, S. 41).
1 10 J. Milz, Die topographische Entwicklung Duisburgs bis zur Mitte des 16. Jahr-
3 1
um 1200, war das Siedlungsgebiet für das spätere Mittelalter endgültig
begrenzt111 . Zwar befanden sich in der Nähe beider Städte einzelne
Häuser112 oder ganze Anlagen wie ein Adelssitz bei Duisburg113 , doch
existierten verdichtete Siedlungen nach der letzten Vergrößerung der
Städte vor den Mauern nicht mehr.
I I . A . 2 . STÄDTISCHES UMLAND
Das unmittelbare Umland gehörte dennoch durchaus zur Stadt. In
den Chroniken auch kurz „veld“ genannt114, wurde die Feldmark eingegrenzt
durch die Landwehr. In Duisburg bestand diese an der „korten
lantwer“ sicher aus Hecken, denn gleich zweimal unterrichtet Wassenbereh
von ihrer Abholzung, weil der „uytschoyt“ , Reisig und Schlagholz,
dem Johanniterorden zur Verfügung gestellt wurde115. In Dortmund
wurde die Einzäunung durch Hecken und Gräben den Städtern 1446 zum
Verhängnis, als die Märker sie überlisteten, indem sie Pferde vom Acker
führten, wogegen sich die Dortmunder zur Wehr setzen wollten. Als sie
zur „Hoerder hegge“ kamen, mußten sie feststellen, daß sich eine große
Anzahl von Feinden in den Gräben und Hecken der Landwehr versteckt
gehalten hatte und den Uberraschungsmoment für sich nutzen konnte so
lautete zumindest die Überlieferung116.
Einen Durchgang der Landwehr bezeichnete man als „hol(Ie)“ , dessen
Eigenname sich auf Dörfer oder Herrensitze bezog, die in der Weghunderts,
in: Vergessene Zeiten – Mittelalter im Ruhrgebiet, hg. v. F . Seibt u. a.,
Bd. 2, Essen 1990, S. 34 – 38, hier S. 38.
1 11 N. Reimann, Die Entwicklung des Dortmunder Stadtbildes im Mittelalter, in:
H. Scholle, Dortmund im Jahre 1610. Maßstäbliche Rekonstruktion des Stadtbildes
(=Monographien zur Geschichte Dortmunds und der Grafschaft Mark Bd. 9), Dortmund
1987, S. 9 – 23, hier S. 19.
1 12 z. B. Heinrich Weddepoets Haus vor dem Burgtor (Westhoff, S . 376) oder Langenbergs
Häuschen in dem Garten (Kerkhörde, S. 79).
1 13 J. Milz, S. 38.
114 Kerkhörde, S. 56, 78, 104; „oesten im velde“ bezeichnet entsprechend den östlichen
Teil der Feldmark: ebda., S . 79, 88, 91 und 119; Westhoff, S. 319f. und 335.
115 Wassenberch, S. 210 und 250.
1 16 Westhoff, S. 319f.; der Zeitgenosse Kerkhörde hat für die Niederlage Dortmunds
eine andere Erklärung (Kerkhörde, S. 110); weitere Hinweise auf die Landwehr auch
Westhoff, S. 227 und 456 sowie Kerkhörde, S. 102.
32
richtung lagen 117. Türme und Schlagbäume sicherten ihre wie die Bewachung
der gesamten Feldmark, so daß sie meist anläßlich von Fehdekämpfen
Erwähnung finden1 18. Anhaltspunkte für die Lage von Weide-
und Waldstücken innerhalb der Feldmark ergeben sich aus der . ‚ennung
von Landwehrhüterinnen, denen feindliche Angriffe mitgeteilt wurden
oder die selber Alarm schlugen1 19, sowie weiter, wenn Fußvolk oder
Reitergruppen in die Feldmark eindrangen, denn im Zusammenhang mit
Fehdekämpfen wurde sie als Binnenraum angesehen120 . Darüberhinaus
zeigt natürlich die eindeutige Verortung von Wiesen und Waldstücken
oder Feldern die Lage des „Feldes“ an 12 1 .
Die Untersuchung der Chroniken verweist in diesem Zusammenhang
darauf, daß auf Doppelbenennungen zu achten ist bzw. Ort und Nutzung
in Kombination gesehen werden müssen und sich für die Zeitgenossen
die Eindeutigkeit einer Ortsbestimmung erst aus dieser Zusammenschau
ergab. Die Zurechnung des „Dosemer Holz“ zum Forst bestätigt ein
Vergleich der Aufzeichnungen der Reichsleute über die Beilegung eines
Streits mit dem Dortmurrder Grafen 1436 einerseits und den Schilderungen
Kerkhördes andererseits: Die Reichsleute bestritten dem Grafen
erfolgreich das Recht, wilde Pferde und nicht in Dortmund aufgezogene
117 „Brekeler hol“: Kerkhörde, S. 89, 91 und 104, sowie Westhoff, S. 414 und 457;
Schurer hol: Kerkhörde, S. 97 und 102.
118 Schmaler Baum: Wassenberch, S. 250; Deichmühlenbaum: Kerkhörde, S. 101 und
104; Steinenwa.rde: Kerkhörde, S. 70 und 104; Fredenbaum: Kerkhörde, S. 84, 101 und
144, sowie Westhoff, S. 369 und 456; östlicher Rennebaum: Westhoff, S. 229 und 456;
Westentorbaum: Kerkhörde, S. 107; Derner Baum: Kerkhörde, S. 105 und Westhoff,
S . 308; Dorstfelder Baum: Kerkhörde, S. 90; Bäume auf der Emscher: Kerkhörde,
S. 33; Baum vor der Wistraten: Westhoff, S. 260; Turm der Kluse zu Aldinghofen:
Westhoff, S. 320; Steinentmm: Kerkhörde, S. 97; Bäume vor der Steinkuhlen:
Kerkhörde, S. 88; Schürer Beerbaum: Westhoff, S. 299; Baum an der Mittelwarte:
Kerkhörde, S. 79 (vielleicht identisch mit dem östl. Rennebaum); Hoerdewa.rtebaum:
Kerkhörde, S. l04 und 108f.; Ruterwa.rte oberhalb Körnes: Westhoff, S. 257.
119 Kerkhörde, S. 81; einen weiteren Versuch des Fehderaubs aus dem Sunderholz vereitelt
die Witterung (ebda., S . 88); übereinstimmende Angaben haben Westhoff und
Kerkhörde zu einem früheren Angriff (Westhoff, S. 309; Kerkhörde, S. 50). Borchholz:
Kerkhörde, S. 74.
12° Kerkhörde, S. 99.
121 Westhoff, S. 335 (Unwetterschäden) und 276 (Nutzung während der Großen Fehde).
33
Schweine in das Deusener Holz zu treiben, von dem Kerkhörde in seinem
Bericht zum gleichen Ereignis als dem „Forst“ spricht122. Dagegen lassen
sich die Aussagen Westhoffs mit den Aufzeichnungen der Reichsleute nur
dann in Übereinstimmung bringen, wenn die unterschiedliche :\ utzung
berücksichtigt wird. Die vom Chronisten nebeneinander aufgeführten
Waldstücke „Korensches Holz“ und „Osterholz“ sind nach den Aufzeichnungen
der Reichsleute als identisch anzusehen 123. Eine mögliche
Erklärung für die chronikalische Angabe besteht darin, daß der „Forst“
sowohl für die Eichelmast und Holznutzung als die Rechte der Reichsleute
in einen östlichen und westlichen Bezirk geschieden war, die die
Bezeichnungen „Osterholz“ und „Westerholz“ trugen, wie auch gemäß
den innerstädtischen Verwaltungsorganisationen in Oster-, Wester- und
Burgholz dreigeteilt war124 . Für die innerstädtische Orientierung läßt
sich ganz ähnlich zeigen, daß mehrere einzeln nicht eindeutige Informationen
zur Kennzeichnung eines Ortes angebracht wurden.
l l . A . 3 . STADTHÄUSER UND STADTSTRUKTUR
Es könnte zunächst vermutet werden, daß die Häusernamen, für Dortmund
z. B. „Zum Stern“, „Zum Swanen“ , „In dem Aetsacke“ , einen
„ausgesprochenen Orientierungswert“ hatten 125. Das bestätigt sich beim
Blick in die Chroniken nicht: Mit ihrer Hilfe allein wird kein Ort angegeben126
. Allenfalls könnten dafür Belege aus der Kerkhördschen Chronik
122 K. Rübe!, Die Dortmunder Reichsleute (=Beiträge Bd. 15}, Dortmund 1907, Anhang
Nr. 10, S. 207f.; Kerkhörde, S. 57f.
123 Westhoff, S. 259; K. Rübe!, Dortmunder Reichsleute, S. 89.
124 Ebda. S. 86f.; dennoch bliebe die Angabe Westhoffs dann eine Doppelnennung,
weil das „Osterholz“ in „Forst“ und „Korenschem Holz“ aufgeht. Umstritten ist,
wann diese Einteilung des Forstes nach Weiderechten der Bürgerschaft stattfand:
Dyckerhoff geht anders als Rübe! (ebda.) davon aus, daß diese erst zum Ende des
14. Jhdts. erfolgte (E. S. Dyckerhoff, Die Entstehung des Grundeigentums und die
Entwicklung der gerichtlichen Eigentumsübertragung in der Reichsstadt Dortmund,
in: Deutschrechtliche Beiträge, Bd. 3 (1909), S. 3 – 132, hier S. 66 Anm. 288); G.E.
Sollbach, S. 66 gibt wohl versehentlich das 15. Jahrhundert an, was auch mit den
chronikalischen Angaben Kerkhördes nicht in Übereinstimmung zu bringen wäre (s.
auch II.C.l.ad).
125 C. Meckseper, Kleine Kunstgeschichte der deutschen Stadt im Mittelalter. Darmstadt
1982, S. 149.
126 Es gibt lediglich eine Ausnahme: Kerkhörde nennt das Haus, in dem der Bischof
34
angeführt werden, die aber die Straße jeweils mitnennen127 oder auch
dem Vermerk des Bewohners den ersten Platz einräumen128. In der
Westhoffsehen Chronik dienen die Hausnamen dagegen als Zusatzinformationen129,
in der überwiegenden Mehrzahl bestehen die Angaben aus
der Nennung der Bewohner und der Straße130 bzw. – demgegenüber aber
wieder weit seltener – der Bewohner und bekannter Nachbargebäude131.
Die Beobachtung häufigen Besitzerwechsels städtischer Häuser und hovon
Mainz seine Herberge hatte, „Hulschede“ (Kerkhörde, S. 109); erst aus einem
weiteren Vermerk ergibt sich, daß es am Ostenhellweg stand (ebda., S. 138).
127 Kerkhörde, S. 87, 138 und 139.
128 Kerkhörde, S. 27, 39 und 138.
129 Westhoff, S. 192, 193, 320, 446 (Der alden Hoeschen Haus am Bredenstein) und
259 (Heinemanns tom Swanen Haus).
130 Westhoff, S. 192, 193, 259, 306, 330, 359, 378, 386, 398, 413, 417, 418, 419 und
458. Zwei mögliche Einwände sollen hier erörtert werden, denn nach der Quellenlage
läßt sich ein Beweis im engeren Sinne nicht führen: So ist kaum mehr nachvollziehbar,
ob es sich um die Nennungen der Bewohner oder der Besitzer handelte, lediglich
vom ehemaligen Weinhaus „Im Stern“ ist aus den Gerichtsbüchern zu ersehen, daß
die Witwe des Hermann Huck es 1525 an Reinolt Holtwickede verkauft hatte (A.
Meininghaus, Die Grundstücks- und Rentenverkäufe des Dortmunder Gerichtsbuches
von 1520/22, in: Beiträge, Bd. 35 (1928), 5. 5 – 151, hier 5. 11), so daß mit Henrich
Huck von Dietrich Westhoff demnach zu 1542 wahrscheinlich der Bewohner genannt
wird. Zum zweiten stellt sich die Frage, ob die aufgeführten Häuser überhaupt einen
Namen trugen. Von der Herberge „Im Esel“ sagt Westhoff ausdrücklich. daß
es ·’nachmals Melmans hues (war), als it um die jar 1550 genant worden“ (Westhoff,
S. 330). Meininghaus nimmt in der Bearbeitung der Gerichtsbücher an, daß
mit „Sollings Haus“, in dem die Westhoffsehe Chronik zum Jahr 1524 einen Brand
verzeichnet ( ebda., S. 418), das Haus „Ter Tasschen“, das im Juli 1520 von Johann
Sollinck gekauft wurde (A. Meininghaus, Gerichtsbuch 1520/22, S. 24 – 26), gemeint
sei, so daß ein zweiter Fall der Auslassung des Hausnamens zugunsten des Besitzers/
Bewohners anzuführen wäre. Dies ist aber nicht so eindeutig zu erweisen. wie er
es darstellt. Denn immerhin gibt es ein zweites Sollingsches Haus auf dem Westenhellweg,
das Reynolt Solling gehörte (ebda., S. 57 – 59 und 63 – 65). Betont werden
muß andererseits, daß die Gerichtsbucheintragungen auch nur Anhaltspunkte liefern,
da sie Hausnamen mitunter ebenfalls zugunsten ehemaliger Eigentümer ausließen (so
z. B. „Im Stern“, das durch die Aufzählung der Nachbarn zu identifizieren ist, aber
beschrieben wird als „Hermann Hanemann, vordem Reynolt Scaden gehörig“; ebda.,
s. 39 – 41).
1 31 Westhoff, S. 454 und 344 (Stadtwaage, Brotbänke); bei ebda., S. 193 (Heiliggeisthospital)
sind offenbar viele Angaben notwendig gewesen, um Verwechslung zu
35
her Mobilität in den spätmittelalterlichen Städten132 darf nicht zum Bild
eines für die Zeitgenossen unüberschaubaren Lebensbereichs führen: Die
Chroniken setzen die Informiertheit ihrer Leser in diesen Details durchaus
voraus133. An den Hausnamen knüpften Geschichten an134, so daß
sie vielleicht tatsächlich als Tradition galten, wie dies die chronikalischen
Formulierungen nahelegen, wenn Westhoff etwa von einem Haus mitteilt,
es habe „van aldes langwilich her“ den Namen „ten Hoveden“ getragen
oder Kerkhörde bei einem Brand bemerkt, wie das Haus „hijrvuermals“
hieß135.
Für die Orientierung war dabei offensichtlich weniger die eindeutige
Benennung bedeutsam, da z. B. auch Straßennamen variieren konnten136
, als vielmehr die Identifikation von Ort und handelnden oder
vermeiden; Kirchhöfe dagegen habe ich als Straßenangabe gewertet ( ebda., S. 378 und
419).
132 H. Kühnel, Mobile Menschen in „quasistatischer“ Gesellschaft, in: Alltag im
Spätmittelalter, S. 114 – 120, hier S. 119.
133 Selbstverständlich stehen hinter der Mehrzahl namentlicher Angaben die politisch
berechtigten und an der Stadtführung beteiligten Bewohner, dennoch sind nicht alle
Angaben so motiviert, z. B. beim Verzeichnis über die Verteilung der Lunten in der
Stadt 1506 (Westhoff, S. 386f.); es konnte zwar lakonisch heißen, daß irgendwelche
Häuser an einer bestimmten Straße brannten (z. B. Westhoff, S. 391, 392 und 402,
sowie Kerkhörde, S. 138: „bernede achter St. Renolde een hues“ sowie „nije hues in
den vleesbenken“ ) aber auch unbekannte Personen werden im Rahmen besonderer
Nachrichten nicht namentlich, sondern durch die Nennung ihres vVohnorts „bekannt
gemacht“ (Kerkhörde, S. 118}.
134 Westhoff, S. 300.
135 Westhoff, S. 192; Kerkhörde, S. 138.
136 Und dies betraf, wie sich an der Westhoffsehen Chronik nachvollziehen läßt –
dort sogar ausdrücklich gesagt wird -, nicht nur kleine Wege; z. B. benennt der
Chronist die „Linemeesterstraten, de Kockelke gnant“ (Westhoff, S. 311 ) , spricht
bei Straßenarbeiten von der „Gruetstrate ader Balkenstrate“ (ebda., S. 371), an
der sich der Schuttenhci befand (es handelte sich dabei also um die spätere Balkenstraße)
, der später als Gruetstraße bezeichnete Weg (gemäß der Rekonstruktion
Scholles) erscheint bei Westhoff als „Dat kleine strateken van der Wistrate na dem
Gruethues“ (E>bda., S. 372}; es handelte sich dabei aber nicht nur um Doppelbenennungen,
denn verschieene Namen konkurrierten offenbar auch ( ! ) : Eine Wasserleitung
unter der Straße wurde aufgedeckt, die der Chronist einmal an der Gruetstraße verortet
(ebda., S. 417) und dann an der Balkenstraße (ebda., S. 454}, wobei er auf die
frühere Erwähnung selber verweist.
36
betroffenen Personen, wie :;ich uies auch auf der begrifflichen Ebene
spiegelt. Der „Weddepoet“ bezeichnete sowohl ein Haus wie auch den
dort wohnenden Bürger137, die „Brückstraße“ meinte auch die Zusammenfassung
der Anwohner, die ihren ‚Pflichten‘ nicht nachkamen138;
die „Kockelke“ konnte eine Einheit gemeinsamer Betroffenheit von Seuchen
sein139; das „kerspel“ sowohl den Stadtteil benennen, zu dem die
Bevölkerung um St. Reinoldi bei einem Unwetter floh140, als auch die
Bewohner im Sinne von Gemeinde, wenn „dat kerspel to Sanct Reinolt
wol bis over 200“ zum Rat ging, um Einfluß bei der Pfarrerwahl geltend
zu machen141 .
Baulich strukturierten das Stadtbild Kirchen- und Klosteranlagen
wie großzügig eingeteilte Wohnhöfe. In Dortmund lagen die Wohnhöfe,
also Häuser, auf großen Parzellen mit Wirtschaftsgebäuden und manchmal
kleinen Mietshäusern am Grundstücksrand, vorwiegend im Südteil
der Stadt142 , während sie sich in Duisburg über das gesamte Stadtgebiet
verteilten143. r·ur indin·kt kann diese Stadtstruktur, z. B . die Konzentration
der Wohnhöfe, aus den Angaben der Dortmunder Chroniken erschlossen
werden, so wenn Kerkhörde zum Sturm des Jahres 1434 angibt:
„In veel hoven vellen 12 oft 20 bome nedder, dat man in der olden stat
vor bomen in der strate nicht gaen en konde“ 144, wobei die “alde stat“
137 Kerkhörde, S . 87 und 138.
138 I<erkhörde, S. 87.
139 Westhoff, S. 3 1 1 , 390 und 397.
140 Westhoff, S. 431, 433 und 363, sowie I<erkhörde, S. 75 und Wassenberch, S. 194.
141 VVesthoff. S. 452; daneben werden auch die Kirchspielsleute als Handelnde genannt
(Wassenberch, S . 232; Kerkhörde, S. 120; Westhoff, S. 387), manchmal in Absetzung
von Geistlichen und Amtsträgern (Wassenberch, S. 232 und Westhoff, S. 387).
142 H. Scholle, Dortmund im Jahre 1610. Maßstäbliche Rekonstruktion des Stadtbildes
(=Monographien zur Geschichte Dortmunds und der Grafschaft Mark Bd. 9),
Dortmund 1987, S. 199.
143 Welhof, Kesselshof und die Ratsstallung (Schüttershof) lassen sich z. B. mit Hilfe
des Corputius-Plans lokalisieren, während die Lage des von vVassenberch erwähnten
Hofs des Abts von Harnborn nicht auszumachen ist (Wassenberch, S. 212 und 218); in
einem Hof beim Hugenturm ließen nach den Angaben Wassenterehs die Kirchmeister
von St. Marien Glocken gießen ( ebda., S. 214).
144 Kerkhörde, S. 51; an anderer Stelle heißt es auch, daß die ‚reichen Leute‘ Reiter
und Pferde in ihre Höfe aufnehmen mußten (ebda., S. 77).
37
von Westhoff um St. Nicolai im Süden der Stadt verortet wird145. Fragen
nach der Bauweise der Wohnhäuser können mit Hilfe der Chroniken
nur bedingt beantwortet werden. Genauere Angaben finden sich beim
Neubau öffentlich genutzter Gebäude, bei denen Fortschritt oder „Besserung“
von den Chronisten g!f•irhermaßen dun.:h Gegenüberstellungen
deutlich gemacht wird: Die „::;choen heirlike nie steinen schoel“ wird
in Duisburg 1512 an die Stelle eines abgerissenen „alt holten huis“ gesetzt146
; in Dortmund errichtete man 1539 die Marienschule als Ziegelsteinbau,
„daer vurhen eine gestanden van lernen gesmetten und mit stro
gedecket“ 147. Ebenso stellt Westhoff die Stiftung des „Neuen Gasthauses“
, für die Hildebrand Kaiser sein „egen wolgebouwete stehenen hues“
gab, im Vergleich zum „Alten Gasthaus“ dar, das, inzwischen als Wohnhaus
genutzt, „klein van holte und lernen gebouwet“ war148. Während
Kerkhörde für den Steinenturm die Konstruktionsweise beschreibtl49,
muß bei den Westhoffsehen Angaben zu den Holzbauten offen bleiben,
ob es sich nicht eher um die Wiedergabe des Aussehens handelt, die
für die alte Marienschule auf Lehmbestrich, für das alte Gasthaus auf
Lehmausfachung hinweisen würde150 .
Lehm- oder Kalkverputz bot gegenüber reinem Holzbau höheren
Schutz vor Brandgefahr, die sich mit dem Steinbau weiter reduzieren
ließ151 . Die Höherbewt“rtnng des Steinbaus, die sich an den genannten
Vergleichen ablesen läßt, konnte sich also auf praktische Erfordernisse
gründen. Der Bezug auf die öffentliche Funktion der Schulen und
des Gasthauses bleibt dabei zu berücksichtigen: Denn für bedeutende
145 Westhoff, S. 193.
146 Wassenberch, S. 233.
147 Westhoff, S. 436.
148 Westhoff, S. 194f.
149 Kerkhörde, S. 109.
150 Nachzuprüfen ist dies nicht mehr, denn von den Schulen wird ja berichtet, daß
sie abgerissen wurden; das ·’Alte Gasthaus“ läßt sich entgegen der Annahme Hansens
(Anm. 2 zu Westhoff, S. 194) auf Grundlage des den Mulherschen Plan verarbeitenden
Plans von Scholle nicht einmal lokalisieren.
151 H. Kühne!, Normen und Sanktionen, in: Alltag im Spätmittelalter, S. 17 – 48, hier
S. 21 – 26, sowie K. Bedal, Historische Hausforschung. Eine Einführung in Arbeitsweise,
Begriffe und Literatur. MiiusL,•r l!li8; Steinbau ernpfauden die Zeitgenossen
des späten 15. ahrhunderts als schön, wie etwa im Reisebericht des Paolo Santonino
vermerkt wird (H. Hundsbichler, S. 254).
38
Gebäude war der Steinbau soweit Selbstverständlichkeit bzw. war ihre
Bedeutung von der Errichtung in Stein soweit abhängig, daß Westhoff
die Anfänge der umstrittenen Ansiedlung der Dominikaner zu Beginn
des 13. J ahrhunderts in einem „holten timmer und in gestalt eins convents
ke:ke“ sieht. die aber – da aus Holz – in den Augen des Chronisten
selber noch keine Kirche gewesen sein kann 152
.
Im Grundsatz153 wird man die Wertmaßstäbe auf den Wohnhausbau
übertragen können: Daf ür spricht in der Westhoffsehen Chronik,
daß die Bewohner des bereits erwähnten „Alten Gasthauses“ namenlos
bleiben, was innerhalb des Werks eher ungewöhnlich ist154. Zur Frage
des vorwiegenden Baumaterials für Wohnhäuser fällt weiter auf, daß
Kerkhörde das Haus, an dem der Brand von 1458 begann, als das „steenhuse“
kennzeichnet1.;5, während in der Westhoffsehen Chronik Steinbau
bei einzelnen Wohnhäusern aus der ennung der Handwerksmeister156
oder auch dem Hinweis auf Spuren (des großen Stadtbrandes)
an den Mauern157 erkennbar wird, ohne daß die Bauweise ausdrücklich
Erwähnung findet. Wohl vermerkt der Chronist eigens die Wiederinbetriebnahme
der städtischen Ziegelbrennerei im Zusammenhang mit
Haus(an)bauten zum Jahr 1546, als vielleicht seitliche Vorbauten aus
Ziegelstein zeitgemäß wurden, wenn die Ausdrucksweisen ‚den Giebel
gegen ein Haus‘ und ‚die gademe aneinander‘ zu bauen denselben Sachverhalt
bezeichnen sollen 158.
152 Westhoff, S. 196f. (H.v.m.); der Begriff ‚“timmer“ kann demnach auf Holzbau
hinweisen: vgl. z. B. auch ‚·neues timmer“ ( ebda., S. 419); allerdings werden „timmer“
und „bouw'“ ebenso tautologisch verwendet (ebda., S. 189) wie die Verben „timmern“
und „bouwen“ (ebda., S. 458). so daß im Einzelfall keine sicheren Schlußfolgerungen
daraus zu ziehen sind.
153 Mit der Einschränkung, daß auch ein Holzhaus als Haus angesehen wurde und
nicht nur die Gestalt eines Hauses hatte (z. B. „Altes Gasthaus“: ebda., 5. 195).
154 Vgl. dazu die eingangs des Kapitels angeführten Belege (Anm. 44 – 47).
155 Kerkhörde. S. 138.
156 „Ten Hoveden“ , das Hermann Otten bei dem Maurermeister Johann Bokelmann
in Auftrag gab (Westhoff. 5.192), der auch „Johannes Schulten Giebel“ baute ( ebda.,
S.454).
157 So ist es vermerkt für das Weinhaus „Zum Stern“, das zur Lebenszeit Westhaffs
als Wohnhaus genutzt wurde (ebda., 5. 193).
158 \Vesthoff, S. 455: „Johannes Schulten vornsten gevel tegen den Weinbaus“, sowie
458: ‚·Henrich Melmann ti=erde ader bouwede seinen gevel an der Bruggestraten
39
Für den Beginn des 16. Jahrhunderts wird von Seiten archäologischer
Forschung mit einer Intensivierung des Steinbaus gerechnet, der aber
selbst zu Beginn des 17. Jahrhunderts auf nur sieben Prozent des Häuserbestandes
geschätzt wird159. Die Hausbauforschung rechnet dagegen
mit einer nicht bezifferbaren größeren Verbreitung des Steinbaus in
Dortmund160. Die Auswertung der Dortmunder Chroniken kann nichts
zu dieser Kontroverse, über die auch ein Methodenstreit ausgetragen
wird, beisteuern. Für Duisburg erwiesen Grabungen an der Niederstraße
Fachwerk-, seit dem 12. Jahrhundert im weiteren Stadtgebiet
auch Steinhäuser161.
Als erheblich wird man aber nach den Chroniken in Dortmund die
Dachdeckung mit Lehm noch für das 15. und frühe 16. Jahrhundert
annehmen müssen: Entgegen der Behauptung Spohns, der Beruf
der „Leyendecker“ habe die Dachdeckung insgesamt umfaßt, während
Lohntaxen vor dem 17. Jahrhundert nicht überliefert seien162, wird
aus der Westhoffsehen Chronik aufgrund einer zitierten Lohntaxe für
das Jahr 1 5 1 2 ersichtlich, daß es in städtischer Anstellung einen „leigendecker“
(Dachdecker für Schiefer-/Ziegeldeckung) mit Knechten gab,
„lemedecker“ ( Lehmdachdecker) in :Meister- und Knechtstellung werden
aber daneben ebenso wie „lemensmiter“ (Lehmverputzer) erwähnt163 •
In die gleiche Richtung deutet, daß erst 1436 die Dominikanerkirche mit
Schiefer gedeckt wurde, die zuvor ein Strohdach hatte164. Der „loindecker“
in städtischer Anstellung, der 1456 den Franziskanerturm fertigstellte,
war vielleicht noch nicht einmal ein spezialisierter Dachdecker165.
Uber den Zustand der Straßen sind aus den Chroniken einige nähere
tegen den Weddepotten, gelijchvals Henrich und Baltasar Sehroder ihre gedeme bijeinander.
v.·ort ouch der alde teigeloven vor am holte weiderumb teigel to backen
tobereet, daer lange nicht gebacken was.“ Zu prüfen wäre, was „gedeme“ in diesem
Zusarnrnenhang bezeichnen, denn damit konnte auch das Obergeschoß (Kerkhörde,
S. 138f.) oder ein kleines Haus (Westhoff, S. 329) gemeint sein.
159 H. Scholle, Dortmund 1610, S. 121.
160 Th. Spohn, S. 13 – 20 und 34.
161 J. ilz. s. 36.
162
Th. Spohn, S. 47ff.
163 Westhoff, S. 395.
164 Kerkhörde, S. 58 (Erg. nach Westhoff B).
165 Kerkhörde, S. 129; diese Aussage kann natürlich nur unter der Voraussetzung
40
Angaben zu gewinnen. In bezug auf Dortmund zeigt sich die Verpflichtung
der Anwohner zur Mithilfe oder Finanzierung des Straßenbaus,
der aber :v.Iitte des 15. Jahrhunderts nicht selbstverständlich Folge geleistet
wurde. weshalb Kerkhörde dies überhaupt vermerkt. Sein Tadel
für die Anwohner der Brückstraße stützt sich darauf, daß sie es unterließen
‚·. . . den wech vor eren erven (zu) maken gelijk andren straten
. . .‘. 166. Auch die Westhoffsehe Chronik bestätigt mit der Notierung des
Straßenbaus an den Hellwegen 1465 die Auferlegung von Mitarbeit durch
die Bürger oder deren Ablösung zu einer festgelegten Geldsumme167 .
Als sicher kann angesehen werden, daß Osten- und Westenhellweg mit
Bruchstein gepfia.stert waren, denn die eigentliche 1’\achricht Westhoffs,
die wahrscheinlich auch die Kerkhördsche Chronik bringt168 , ist der Ankauf
des Schürer Steinbruchs durch die Stadt169 . !\achzuprüfen wäre
dagegen. ob es sich beim (Kerkhördschen) „Weg vor den Grundstücken“
und den ‚·voetmuren“ , von deren Erhöhung Westhoff im Zusammenhang
rrjt \Valleinebnungen berichtet, um Bürgersteige handelte: Wenn
sich dies bestätigen ließe, zeigt der Vergleich, daß im 16. Jahrhundert
die Bürgersteige zu:n Stadtbild gehörten und mit einem feststehenden
Begriff gekennzeichnet statt umschrieben wurden170.
I I . A . 4 . MARKT
I I . A . 4 .a. DER YlARKT ALS STADTZE!\TRUM
Cm die völlige Zerstörung Dortmunds nach dem Stadtbrand zu vergetroffen
werden. daß die Ergänzung des Westhoff B aus Kerkhörde diese Stelle im
\\.“ortlaut überno=en hat.
166 Ke:khörde, S. 87 (H.v.m.).
1 67 Westhoff, S. 329.
168 Kerkhörde, S. 145 (Erg. nach Westhoff B).
169 Zu den Jahren 1307 und 1436 ergänzt Westhoff den ursprünglichen Text um
den Besitzerwechsel des Steinbruchs an die Vemeren (Westhofi, S. 310), sowie schon
ebda., S. 299 und 305: die obige Notiz ( ebda., S. 329) beginnt und endet damit: Daß
die Steinkuhle angekauft wurde, leitet den Abschnitt ein; daß man zur Pflasterung
die ersten dort abgebrochenen Steine verwendete, schließt den Vermerk ab; weitere
erwähnte Straßenarbeiten, die vielleicht noch zur Lebenszeit Westhaffs sichtbar waren:
ebda., S. 371 und 372.
17° Kerkhörde, S. 87, sowie Westhoff, S. 457.
41
anschaulichen. den Westhoff auf das Jahr 1297 datiert171, beschreibt
er, man habe auf dem Markt stehend aus allen Stadttoren hinaussehen
können 172. Wer sich auf dem );larkt befand, war also inmitten der
Stadt: In der Tat lag der arktplatz in Dortmund nach der Ausdehnung
des engeren Stadtgebiets in den Süden und Westen fast in der
topographischen Mitte173, anders als in Duisburg, wo er sich westlich
der Salvatorkirche174 in der Nähe des Schwanentors erstreckte, da der
Rhein eine Vergrößerung der Stadt in dieser Richtung begrenzt hatte
und auch nach dessen Verlagerung der Altarm lange noch schiffbar war
und Grenze blieb175.
Der Marktplatz stellte auch im übertragenen Sinn den Mittelpunkt
der Stadt dar: Hinrichtungen. bei denen der Rat oder ein gegen die Stadt
siegreicher Landesherr auf hohe Öffentlichkeit bedacht war, fanden hier
statt, wo sich zu Westhoffs Lebenszeit auch der Pranger befand176 . Ein
Verrat der Stadt von innen wurde mit einer Hinrichtung auf dem Markt
171 Wann dieser Stadtbrand Dortmund verwüstete, läßt sich nicht mehr eindeutig
belegen; Kerkhördes Angaben verweisen auf die Regierungszeit Friedrichs II.
(I<erkhörde, S. 118}; Heinrich (VII.) gestattete der Stadt am 30. September 1232
ei:�.en zweiten jährlichen Markt, vermutlich um ihren Wiederaufbau zu unterstützen
(:\. Reimann, Vom Königshof zur Reichsstadt. Untersuchungen zur Dortmunder Topographie
im Früh- und Hochmittelalter, in: 1100 Jahre Stadtgeschichte, S. 23 – 50,
hier S. 23).
172 Westhcff, S. 193: „… dat die stat so deger gehlotet und so ganz verbrant, dat
man konde der tijt staen up dem markt und sehen uet vier der statspoerten … “
173 N. Reimann, Dortmunder Stadtbild, in: H. Scholle, Dortmund 1610, S. ll – 23,
hier S. 19f.
174 Oder mit dem Blick von Corputius vom Rhein aus unterhalb der Kirche.
175 Noch bis i:1. die 80er Jahre des 15. Jahrhunderts hinein war der Altarm zu befahren
(G. v. Roden, Geschichte der Stadt Duisburg, S. 154).
176 Das Abbüßen von Strafen durch Stehen am Pranger wird in keiner der hier vorliegenden
Chroniken auch nur beiläufig erwähnt, Westhoff vermerkt lediglich seine
Existenz bei der Renovierung (Westhoff, S. 409} und verortet ihn an anderer Stelle am
Markt ( ebda., S. 417); unterschiedliche Ansichten bestehen bezüglich der Lokalisierung
des Duisburger Prangers; G. v. Roden nimmt an, daß er zur Zeit des Corputius,
Mitte des 16. Jahrhunderts, noch nicht vorhanden war, da er sonst sicher eingezeichnet
worden wäre (G. v. Roden, Duisburg im Jahre 1566 (=Duisburger Forschungen Beih.
6), Duisburg 1964, S. 29), H. Boockmann erkennt ihn nach dem Plan auf dem Marktplatz
(H. Boockmann, Die Lebensverhältnisse in den spätmittelalterlichen Städten,
in: Duisburg im Mittelalter, Begleitschrift zur Ausstellung 1983, S. 9- 21, hier S. 13}.
42
geahndet, wie es die Strafen gegen Neisa von der Vierhecke und gegen
Gabelen Kracht gemeinsam haben177. Als Cracht Stecken, den der hingerichtete
Gabelen Kracht als Urheber des geplanten Verrats genannt
hatte, nachweisen wollte, daß die Stadt Dortmund ihm übel mitgespielt
habe, war gerade dieser Umstand nach dem Bericht Kerkhördes Teil des
Vorwurfs: Die Dortmunder hätten Gobelen „openbaer“ auf dem Markt
hinrichten lassen. Die Stadtoberen leugneten diese Intention nicht und
versuchten, zwingende Gründe für die hohe Öffentlichkeit geltend zu
machen178. Die gleiche Wertung zeigt sich zu Westhaffs Zeit, der in
Ergänzung der Koelhoffschen Chronik zur Neusser Geschichte 1472 bemerkt,
Verräter seien auf dem Markt hingerichtet worden, „also ire rechte
verredersloen overkomen“ 179.
Der Markt war ebenso städtischer Mittelpunkt, wenn es um vergnügliche
und der Repräsentation gereichende Veranstaltungen ging:
Aufwendige Fastnachtsspiele hatten ihre Bühne am Markt oder der gesamte
Platz war mit einbezogen, wie einer genauen Beschreibung Westboffs
zu entnehmen ist, der die Anordnung mehrerer „Burgen“ nachzeichnet180.
Daß ein Seiltänzer „iderman to wunder“ seine Kunststücke auf
177 Westhoff, S. 241, sowie Kerkhörde, S. 133; „Normale“ Hinrichtungen wurden an
den Richtstätten vor der Stadt vorgenommen (Wassenberch, S. 204, sowie Westhoff,
S . 383 und 438); sie mochten dort auch vor einer großen Öffentlichkeit stattfinden,
auf dem Markt abe1· hatten sie schon per se, durch den Ort, öffentlichkeitswirksame
Qualität; eine bestimmte Hinrichtungsart verbindet die Erwähnungen nicht ( dgg.: R.
v. Dülmen, Das Schauspiel des Todes, in: Volkskultur, S. 203 – 245, hier S. 218).
178 Kerkhörde, S. 134 und 135.
179 Westhoff, S. 338; vielleicht ist in der Richtung einer spiegelnden Strafe auch das
Vorhaben des Kölner Rats zu werten, der gemäß Wassenberch 1513 die „sommighen“
der Zünfte auf dem Heumarkt hinrichten zu lassen plante, konnte doch so demonstriert
werden, daß sie die Stadt verraten hatten (Wassenberch, S. 235); dort wurden
dann gemäß Westhoff auch einige Ratsherren hingerichtet (Westhoff, S. 396); anders nämlich
als kennzeichnend für politische Prozesse, was der oben angeführte Interpretation
aber nicht entgegenstehen würde – werten dagegen F. Irsigler/ A. Lassotta Hinrichtungen
auf dem Markte ( Bettler und Gaukler, Dirnen und Henker. Außenseiter
in einer mittelalterlichen Stadt Köln 1300 – 1600, München 1989, S . 241ff.)
180 Westhoff, S. 398.
43
dem Markt vollführte, merkt Westhoff zum Jahr 1430 an18 1 . Auch adlige
Turniere fanden gelegentlich auf dem Dortmunder Marktplatz statt182.
Dagegen berichten die Chroniken an keiner Stelle von Protestversammlungen
auf dem Markt. Wassenberch erwähnt sogar ausdrücklich,
daß die Gemeinde, als sie die Sechzehner zu ihrer Vertretung in den Rat
wählen sollte, „traeden aff op die borch“, womit der Burgplatz bezeichnet
wird, an dem sich rückseitig das Rathaus befand183. Auch im weiteren
Verlauf des Duisburger Aufstandes trafen sich die Gilden in ihren
Häusern, wie es auch Kerkhörde von den Dortmunder Auseinandersetzungen
um 1400 berichtet184 . Um die gesamte Duisburger Bürgerschaft
auf die Unterstützung der Gildenforderungen zu verpflichten, wurde der
Hof des Minoritenklosters als Versammlungsort verfügt185 . Gegenüber
diesen geplanten Aufständen stellt die Westhoffsehe Chronik tumultartige
Entwicklungen wie auf der „Kermisse“‚ in Brakel 1467 dar, aus denen
sich ein Angriff auf Dortmunder Händler und ihre Waren entwickelt
haben sollte. Der Chronist wertet, daß dies wie „gemeenlich leider tom
meisten deil up den kermissen plecht to beschehen“ 186 . Vielleicht wurden
diese Ereignisse im Gegensatz zum stärker von obrigkeitlicher Kontrolle
geprägten Markt wahrgenommen 187.
li .A . 4.b. MARKTORDNUNG
Mittwochs und samstags sowie zu den Kirchweihfesten wurde in Dortmund
Markt gehalten, wie die Chronik Kerkhördes bezeugt, weil den
anderen Bürgern188 die Beschränkung des Verkaufsrechts auf die Gilden
1450 so sehr zuwiderlief, daß sie sich zusammenschlossen und freie
181 Westhoff, S. 306.
182 Kerkhörde, S. 77, sowie Westhoff, S. 347.
183 Wass enberch, S. 238.
184 Kerkhörde, S. 114ff.
185 Wassenberch, S. 239; auch an anderer Stelle vermerkt er die Nutzung der Klosteranlagen,
weil es ihm um die Darstellung des Wirkens der Kirchen in der Stadt
geht, so beim Landtag, der im Kloster Peterstal der Kreuzbrüder abgehalten wurde
(ebda., S. 245).
186 Westhoff, S. 331f.
187 Kerkhörde, S. 32, 88 u. 138, sowie Westhoff, S. 461.
188 Genannt werden die Schmiede sowie die minderberechtigten Ämter als treibende
Kräfte der Änderung: Kerkhörde. S. 113.
44
Markttage durchsetzten. Fortan sollte mittwochs und auf den „Kermissen“
, den Märkten zu Kirchweihterrninen, jeder kaufen und verkaufen
können189 . Ob zu letzteren der Markthandel auf die Kirchhöfe verlegt
war, ist aus den Chroniken nicht zu ersehen. In Duisburg fand der
Wochenmarkt samstags statt, wie er 1 408 durch den klevischen Grafen
privilegiert worden war190.
Am Marktplatz gab es in Dortmund feste Verkaufsstände, an denen
Waren gleicher Art zusammen angeboten wurden. Die entsprechenden
Bestimmungen werden von Westhoff zur Einführung der freien Markttage
1450 wiedergegeben: „Dat die vrijen marktdage sollen gehalden
werden und der gudenstag in allen wecken vrij sein solle. ltem wes
vele kompt. datselve uf seine gebruechlich stat und stede korneo laten
und darselvest to kopen.“ 191 Für die aktuelle Verbindlichkeit dieser Ordnung
bürgt der Schlußsatz Westhoffs, in dem er hervorhebt “ . . mit vil
meer anderm, wie dat den 6 Gilden bewust.“ 192 Seine Erinnerungsabsicht
muß sich dabei nicht auf die Ordnung des Marktes beziehen; sie
könnte ebenso an die Selbstbeschränkung der Sechsgilden gemahnen.
Für den Fortbestand der Marktordnung spricht aber, daß Westhoff als
Ortsangaben auch zu seiner Zeit Flachs-193, Fleisch-194, Brot-195 und
Fischbänke nennt und Renovierungsarbeiten an letzteren verzeichnet196,
sowie „in den benken“ zum Jahr 1438 den offenbar sehr hohen Preis
eines halben Schweinskopfes angibt197. Zwar nicht in bezug auf diese
konkrete Ware, aber allgemein für das Fleisch gab es zur Lebenszeit des
189 Kerkhörde, S. 113 – 117.
190 G. v. Roden, Geschichte der Stadt Duisburg, S. 178.
191 Westhoff, S. 322f.
192 Westhoff, S . 323: vgl. dazu auch S. 208f. und 406.
193 Westhoff, S. 398 (in der Edition Hansens steht hier „vlesbenke“; Meininghaus hat
dies als Lesefehler gegenüber dem korrekten „vlasbenke“ herausgestellt (A. Meininghaus,
Gerichtsbuch 1520/22, S. 114f.).
194 Westhoff, S . 459, sowie Kerkhörde, S. 138.
195 Westhoff, S. 344.
196 Westhoff, S . 409.
197 Eine derartige Orstangabe läßt zunächst vermuten, daß zur gleichen Zeit andere
Preise und Kaufmöglichkeiten bestanden, gegen die der Chronist das Angebot an
den Fleischbänken absetzt. Eine Durchsicht sämtlicher Preisangaben zeigt aber, daß
die Kennzeichnung „binnen Dortmund“ oder zusätzlich „uf dem markede“ , wenn
auch seltener, insgesamt hinzugefügt werden konnte; überwiegend bei mangelhaftem
45
Chronisten weitere Einkaufsmöglichkeiten bei den Juden der Stadt, die
sich seit den 40er Jahren wieder in Dortmund ansiedeln konnten198 . Bei
den einzelnen Verkaufsständen muß es Differenzierungen auch innerhalb
einer Warengruppe mit wiederum eigenem Verkaufsort gegeben haben:
Als 1540 vier Diebe gefaßt wurden, die einen Beutel mit wenig Geld am
Markt hatten stehlen wollen, vermerkt Westhoff, dessen Aufmerksamkeit
der gnadenhalber gewährten Art der Hinrichtung gilt, als Ort der Tat
„bij den buckingen“ , womit die Notiz „markt“ konkretisiert wird199.
Daß in Duisburg eine ähnliche Regelung des Marktes mit räumlicher
Konzentration der Waren an einem Ort bestand, ist anzunehmen, wird
aber aus der Chronik nicht ersichtlich. Wassenberch berichtet von der
alten Fleischhalle auch lediglich, als sie 1507 verkauft und so geteilt
wurde200, daß sie einem vermutlich mit Bagatellsachen befaßten „Burgericht“
201 und einer verkleinerten Fleischhalle Platz bot.
Die Dortmunder Chronik Westhoffs läßt zweifeln, ob räumliche und
zeitliche Konzentration des Verkaufs am Markt ebenso für das Grundnahrungmittel
schlechthin, das Brot, galten. Denn zum Jahr 1315 übernimmt
Westhoff aus der Koelhoffschen Chronik die Nachricht von Hungersnot
und einhergehender Seuche, deren Ausmaß daran verdeutlicht
wird, daß man den Armen erlaubt habe, Brot von den „velderen ader
vinstern“ zu nehmen, wo man es verkaufte – und letzteres war vielleicht
zur Lebenszeit Westhoffs der Normalfall202.
Angebot, so daß hier eher der Gegensatz zu auswärtigen aber erreichbaren Märkten
zu erkennen ist (Westhoff, S. 313, 314, 344, 355, 418 und 424); auch sonst betont
Westhoff häufiger, daß das Berichtete „binnen Dortmund“ geschieht, auch wenn –
nach heutigem Empfinden – der Zusammenhang keine andere Möglichkeit nahelegt
(z. B. ebda., S. 287, 313, 397, 417, 447 und 457).
198 Als Sonderrechte, „privilegien“ stellt der Chronist die 1543 mit der Wiederansiedlung
erteilte Erlaubnis zu Schlachtungen in den eigenen Häusern und Weiterverkauf,
„wans sie wolten und wie des begeerte“ vor, wobei der Fleischverkauf vor dem Hintergrund
des oben Ausgeführten dann auch von Haus aus erfolgt sein müßte; zu
prüfen wäre, ob sich darin nicht vielmehr ein Marktverbot als ein Sonderrecht zeigt.
(Westhoff, S. 447f.).
199 Westhoff, S. 438.
200 Wassenberch, S. 210.
201 G. v. Roden, Duisburg 1566, S. 6.
202
Westhoff, S. 199; der Begriff „velderen“ ist gegenüber der Kötner Chronik ergänzt,
er mag der ‚Dramatisierung‘ der Not dienen, auf die die Ergänzungen Westhoffs an
46
Ob am Markt in diesen Häusern zugleich die Waren produziert wurden
( d. h. zum Beispiel geschlachtet und gebacken wurde) oder die genannten
Markthäuser wie das Brothaus in Dortmund oder die Fleischhalle
in Duisburg203 lediglich der Lagerung dienten, ist den chronikalischen
Erzählungen nicht eindeutig zu entnehmen. Ohne große Umbauten
konnte das Dortmunder Brothaus seit 1459 zur Hälfte das Kaufhaus aufnehmen,
wo sich die Waage für bestimmte Verkaufswaren befand, so daß
hier wohl am ehesten an Lagerung oder an Verkauf zu denken ist204. Daß
aber Schlachtungen direkt am Markt vorgenommen wurden, ist nicht
unwahrscheinlich, denn dorthin wurden offenbar die Schweine getrieben,
wenn Eichelmast gewesen war: Von einem reichen Wollenweber im
15. Jahrhundert berichtet Westhoff, daß er Anklagen erhob wegen einer
Sau, die er zur Mast gegeben hatte, „dergelijchen soge up dat markt vele
gebracht worden“205. Nicht ungewöhnlich war auch. daß bei der Eichelmast
die Schweine „alle avende ( ! ) in dusse stat gengen“, wie Kerkhörde
anläßlich einer besonders guten Mast vermerkt, deren Bedeutung er hervorheben
wi11206. Darüberhinaus vermittelt die Kerkhördsche Chronik,
daß der Marktplatz auch außerhalb der Marktzeiten ein geschäftiger und
betriebsamer Ort war. Für eine Stunde drohte 1427 im Juni nach der
Darstellung Kerkhördes frühmorgens das Chaos bei einer Sonnenfinsternis
auszubrechen, weil die Bauern, die Holz zum Markt gefahren hatten,
die Pferde dort nicht beruhigen konnten207.
II.A.5. STADT UND KIRCHE
Wie der städtische Markt mit seinem Einzugsbereich wiesen über den
dieser Stelle insgesamt hinweisen; andere Untersuchungen nehmen für die Entstehung
regelrechter Bäckerläden einen späteren Zeitpunkt an: H.-0. Swienteck, Bäcker und
Brot in Dortmunds Geschichte, in: Beiträge, Bd. 65 (1964}, S. 55 – 78, hier S. 66.
203 Wassenberch, S. 210; Arend Mihm, Die Chronik des Johann Wassenberch, Duisburg
1981, S. 54, übersetzt hier „Markthalle“ frei aus Gründen, die mir nicht einsichtig
sind; wohl ist den Bezeichnungen des Corputius-Plans zu entnehmen, daß der Geograph
den Begriff „scharne“ nicht mehr kennt (G. v. Roden, Duisburg 1566, S. 79
Anm. 168}.
204 Kerkhörde, S. 138; Westhoff verzeichnet hier auch die städtische Wacht am Markt
(Westhoff, S . 254).
205 Westhoff, S. 289; ähnliche Begebenheit auch S. 413.
206 Kerkhörde, S. 65.
207 Kerkhörde, S. 41.
47
engeren Stadtbezirk auch die Sprengel der Pfarrkirchen hinaus, neben
denen es in den Städten Klosterkirchen und Kapellen gab. Auf einer
Fläche von 81 ha nennt der Dortmunder Chronist Kerkhörde zwölf Kirchen,
die zum Jubiläumsablaß 1452 zu besuchen waren, davon wurden
in den Prozessionen des 16. Jahrhunderts die sieben großen Kirchen besucht208.
Duisburg hatte auf nicht einmal halb so großem Stadtgebiet
sieben Kirchen209. Auch die Häufung der Kirchen wurde als ein Kennzeichen
der Stadt wahrgenommen, so daß der Westhoff die frühe Stadtgeschichte
als Folge von Kirchengründungen darstellt210, in die er die
Stiftung des „euen Gasthauses“ einordnet211 .
Die Kirchen, deren Türme beste Sicht auf das städtische Umland
auch zur Bewachung gewährten, waren für die Zeitgenossen vor allem
durch ihre Höhe beeindruckend. Abgesehen von der Mitteilung, daß er
einmal beinahe unter einem einstürzenden Haus begraben worden wäre,
ist der Aufbau des Petriturms das Jugenderlebnis schlechthin, das Westhoff
in einer ‚Detailaufnahme‘ erinnert: “ . . . ist ijrstlich durch meester
Herman ( . . . ) begunt Sanct Peters spissen ader oversten torn to timmern
mit seinen knechten uf dem kerkhove ( . . . ) , dat ich gesehen, dwile ich ein
junk veger was ( . . . ) ; und als bemelter torn in ein gevoget, was er so lank,
dat er reckede ader langede van der schalen an bis achter den torn dar
in ein klein hoveken nicht wijt van der linden, die daer an den kerkhove
an der Kampstraten steit, und dat glint war uf gebrochen.“212
Sucht man also nach einem zeitgenössischen Maßstab für die ‚Enge‘
von Stadt und Wohnhäusern, so findet man ihn in der Sicht auf die
208 Westhoff, S. 373 und 425.
209 Wassenberch, S. 217.
210 1 1 der 1 7 Abschnitte der Chronik (von den ersten lokalen Bezügen an gerechnet,
so wie die Chronik ediert wurde) bis 1331 sind Kirchen- und Klostergründungen
gewidmet (Westhoff, S. 177 – 212).
21 1 Westhoff verlegt die Stiftung des Hospitals um ein Jahrhundert vor. Er stellt
sie damit in den zeitlichen Zusammenhang der Kirchengründungen, obwohl er über
das ‚richtige‘ Datum vom Tod des Hildebrand Kaiser und der damit verbundenen
Stiftung verfügte und die Nachricht dort noch einmal, nämlich zum Jahr 1393 bringt
(Westhoff, S. 194!. und 287); seine Vorlagen hatten eine ‚falsche‘ Datierung noch
nicht, aber auf Westhoff beziehen sich die folgenden so datierten Nachrichten (J.
Hansen, Einl. Westhoff, S. 17lf.).
212 Westhoff, S. 416.
48
Kirchen. deren Höhe als Maßstab für ‚Höhe‘ an sich gelten konnte213, die
aber auch dem sakralen Raum vorbehalten war. Schauend konnten an
dem. was die Architektur der Kirchen an Größe und Heilsversicherung
sichtbar machten, wie das ’staunende Kind‘ zeigt, alle Stadtbewohner
teilhaben.
II. B . STÄDTISCHE ÖFFENTLICHKEIT
l i . B . l . DIE STÄDTISCHEN lNSTITUTIONE IN DER ÖFFENTLICHKEIT
ll. B . l .a. KIRCHEN UND KLÖSTER I DER ÖFFENTLICHKEIT
Als gemeinsame ‚Leistung‘ konnten die Kirchenbauten gelten, weil die
Städter ganz oder teilweise zu ihrer Errichtung beitrugen214. Die genauen
::\otierungen aller Phasen eines Kirchenbaus215 in den Chroniken
legen nahe, daß diese Leistung durch die Bauaufgaben selber symbolisiert
wurde. So begann man gemäß Westhoff nicht vor der Übereinkunft
des gesamten Kirchspiels St. icolai mit dem l\eubau des Chors216, und
anläßlich der notwendigen „C“mbauten am Reinolditurm 1519 gewinnt die
in der Stadt grassierende Seuche auch unter dem Gesichtspunkt chronikalische
Beachtung, daß in der Folge durch Testamente 1 1 2 Gulden dem
Bau zuflossen – ob darunter auch kleine Beträge eingingen, wird nicht
ersichtlich21 7, aber die Kirchen hatten für die Bürgerschaft erkennbar
eine besondere Bedeutung.
\“icht trotz, sondern wegen der Soester Fehde wurde der Bau des
Turms am Reinoldi-Chor 1444 vorangetrieben: Just zwei Tage, nachdem
die Verbündung mit Köln für Unruhe innerhalb der Bürgerschaft gesorgt
hatte, nahm man den Bau unter Beteiligung der Stadt mit immerhin 50
Gulden in Angriff, was Kerkhörde so genau vermerkt, weil er es war, den
man mit der Beschaffung von Geldern, vielleicht auch mit Aufsichtsaufgaben
betraut hatte: „… daer ik vele arbeits urnme hadde“ , will er
dazu mitteilen218. Dar an mochten sich die Ansprüche der Kirchengemeinden
auf .Yfitsprache anlehnen, auf die dann allerdings auch der Rat
213 Westhoff, S. 258.
214 Westhoff, S . 188, 203, 310, 407 und 410.
215 Z. B. Wassenberch, S. 195, 197, 207, 210 und 211; Westhoff, S. 407, 416 und 417.
216
Westhoff, S. 310.
217 Westhoff, S. 407.
218 Kerkhörde, S. 69.
49
namens der Stadt verweisen konnte. Aus dem Kreis der Städter stanunten
die Kirchmeister, die für die Bauvorhaben verantwortlich zeichnend
in den Chroniken genannt werden219. Sie nahmen auch die Messungen
an Höhe oder Volumen vor, auf die sich Westhoff bezieht und die – so
möchte man aufgrund der genauen Vermerke schließen – dem „kerspel“
in Form einer Rechenschaftslegung präsentiert wurden220. Wie und auf
welche Zeit die Kirchmeister gewählt wurden, läßt sich den Chroniken
nicht entnehmen221. Ihre hohe gesellschaftliche Position – sie waren
Ratsherren, Gildenvorgänger oder Stadtschreiber222 – dürfte damit zusammenhängen,
daß sie über die entsprechenden gesellschaftlichen Kontakte
zur „Einforderung“ von Stiftungen verfügen mußten. Ausdrücklich
werden die Kirchmeister als Initiatoren einer ‚Stiftung‘ in der Duisburger
Chronik bei der Taufe der Glocken der Marienkirche genannt. Die von
ihnen gebetenen „gevaeder“ gaben 28 Gulden223. Darüberhinaus weist
die Westhoffsehe Chronik darauf hin, daß die itsprache einfordernde
Kirchengemeinde mit der politisch berechtigten Bürgerschaft identisch
war und somit lediglich einen kleineren Kreis von Städtern umfaßte224.
Weiter noch trug die Institution Kirche zur Differenzierung bei, indem
einzelne Stifter mit ihren Stiftungen wirksam die eigene innerstädtische
219 Westhoff, S. 310, 407, 411, 416 und 418; Wassenberch, S. 205, 214 {225); die Kirehmeister
waren auch verantwortlich für den Bau der Schule an St. Marien {Westhoff,
s. 436).
220 Westhoff. S. 407, 410; zu den Messungen: ebda., S. 410, 417 und 418.
221 ur an einer Stelle heißt es, daß Hermann Ruck „lange Zeit“ Provisor gewesen
sei (Westhoff, S. 401).
222 Für Dortmund: Goschalk Kali (Westhoff, S. 310, 306 u. 308); Gerwin Kleppink
(ebda., S. 304); Hermann Ruck (ebda., S. 401); Evert Wistraten (ebda., S. 305f.,
S. 301). Für Duisburg: Evert Prijlken (Wassenberch, S. 205, S. 222); Johan Algert
( ebda., S. 205, 217 und 223.
223 Wassenberch, S. 218; hierbei ist natürlich auch zu beachten, daß dies den Formen
einer regelrechten Taufe folgte.
224 Westhoff nennt als handelndes Kirchspiel Reinoldi 1545 ungefähr 200 Mitglieder
und ganz gleich, ob diese Schätzung zutreffend war oder nicht, so ist doch damit eine
Größenordnung angegeben, die nicht die gesamte Gemeinde meinen konnte (Westhoff,
S. 452); vielleicht ist so auch schon die Bemerkung Kerkhördes zu werten, der als
Einflußnehmende auf die Pfarrbesetzung an Reinoldi 1439 die „borger“ nennt, wenn
angenommen wird, daß die Ergänzung nach Westhoff B dem Kerkhördschen Text
wortgetreu folgte (Kerkhörde, S. 62).
50
Position dokumentierten: Westhoff sieht etwa die erhebliche Beteiligung
eines \1itglieds der Patrizierfamilie Bersword am Bau der Nicolai-Kirche
im 12. Jahrhundert damit „belegt“ . daß man noch in seiner Zeit „beschouwen“
konnte, wieviel die Berswords für Kirchen und Hospitäler
gestiftet hatten225. Daneben beteiligten sich an der Stiftungstätigkeit
auch Gilden und Amter, wie Westhoff anläßlich der Renovierung des
Reinolditurms erwähnt226
. Ob sich hierin 1521 der einzelne Handwerker
noch gerne wiedererkannte, muß dahingestellt bleiben. 1533 zumindest
kam es zum Sturm der Petri-Kirche durch einige Wollenweber, was aber
ebenso als nunmehr reformatorischer Gestaltungsanspruch der Städter
auf ihre Kirche gedeutet werden kann227.
Die Mauern der Klöster kündigten dagegen einerseits einen eigenen
Bereich an, woran die Ordensgelehrten auch auf Anfrage des Dortmunder
Rats 1393 nach dem Bericht Westhaffs festhielten228 , was sich insofern
in den Chroniken spiegelt, als daß sie keinerlei achrichten über das
·Innenleben‘ der Klöster bringen. So sind Konkurrenzkämpfe um die
seelsorgerischen Privilegien der Bettelorden, Auseinandersetzungen um
reformatorische oder aber devotionale Gedanken denkbar, worüber aber
in den Chroniken in bezug auf die Klöster der eigenen Stadt nicht berichtet
wird229. Daß und wie Wassenberch den Streit zwischen )..iinoriten
225 Westhoff, S. 187.
226 Westhoff, S. 410; außerdem werden an Stiftungen verzeichnet von Bürgern, die von
Wassenberch für die Marienkirche wohl vollständig angegeben wurden: S. 193, 194,
196, 200, 207, 210 und 218; Westhoff. S. 187, 1 9 1f., 194, 198, 209, 341, 373, 375, 377,
390. 391; von Bruderschaften: Westhoff, S. 248, 4 10: von Geistlichen: Wassenberch,
S. 193. sowie Westhoff, S. 341 und 404.
227 Westhoff, S. 430; dazu allgemein: B. :Moeller, Reichsstadt und Reformation, Berlin
1987 (bearb. !\euausgabe), S. 72f.
228 Westhoff, S. 287; die Kerkhördsche Chronik bringt ein Beispiel, daß die innerstädtische
Strafverfolgung aber nicht dort endete (Kerkhörde, S. 112); demgegenüber
wurden Kirchen und Kirchhöfe außerhalb der Stadt als Asylbezirke geachtet
( ebda., S. 139).
229 Im allgemeinen werden aber die Auseinandersetzungen z. B. zwischen Minoriten
und Observanten durchaus wahrgenommen (Wassenberch, S. 207f. und Kerkhörde,
S. 131): möglicherweise ist aber für die Zeitgenossen auf ein Zerwürfnis schon eindeutig
hingewiesen, wenn Kerkhörde anmerkt, daß die Hauptversammlung der Prediger
1443 keine Prozession veranstaltete (Kerkhörde, S. 66).
5 1
und Kreuzbrüdern 1498 in Duisburg darstellt, mochte seiner „Parteiangehörigkeit“
geschuldet sein230.
Andererseits waren die Klöster in das städtische Leben so stark integriert
, daß sie sich nicht aus den öffentlichen Auseinandersetzungen
heraushalten konnten und wollten bzw. selbst zur Konfliktpartei wurden:
Wie bereits erwähnt, benutzten die Duisburger Gilden während des
Aufstands das Minoritenkloster als Versammlungsort231. Die Pfarrbesetzung
an Reinoldi geschah 1439 mit Verweis auf die stadtbürgerliche Abstammung
des Kandidaten „aus Zwang“ der Bürger, falls Kerkhörde dieser
Vermerk im Wortlaut zugeschrieben werden darf. Die Vorbehalte des
Rats dem von den Bürgern favorisierten Kölner W eihbischof gegenüber
bezogen sich darauf, daß dieser Franziskanermönch war232 • Konflikte
mit der Bürgerschaft und mit der städtischen Obrigkeit erwuchsen aus
der Sonderstellung der Ordens- wie Weltgeistlichkeit, wenn diese von der
städtischen Besteuerung ausgenommen war und ihren Gerichtsstand vor
einem geistlichen Gericht verteidigte, aber Gewerbe- und Handelstätigkeit
sie aber gleichzeitig in Konkurrenz zur Bürgerschaft brachte233.
Eine Möglich.“‚<. eit der Beteiligung an städtischen Kosten unter Wahrung
der Rechtsposition der Geistlichkeit zeigt die Duisburger Chronik,
wenn das dortige Minoritenkloster sich an Stadtmauerarbeiten zur
Hälfte beteiligte234. Insofern strebten die Klöster auch nach Akzeptanz
230 Wassenberch, S. 198.
231 Wassenberch, S. 239.
232
Kerk.hörde, S. 62 (Erg. nach Westhoff B): „und bischof Johan Schlegter wihebischoff
to Colln de batt um de kerk.en, her Segebod Berswordt doctor bad ock darum,
de borgerij aber so! sta.rk bi dem bischop dan he eins burgers kind wa.r, burgemester
und rhat aber wa.rn Bersworde geneigder, sundedich ock dewill der bischof ein
Franciska.ner munnich was“.
233 Die Auswertung der Chroniken erlaubt kaum Aussagen über Art und Umfang
von Besitz und Handelsbeteiligung durch die Geistlichkeit; einige Angaben bringt die
Duisburger Chronik zum Besitz des Johanniterordens, weil dem Chronisten schon
die Neuverpachtung Anlaß genug für einen Vermerk ist (Wassenberch, S. 246: Hof
v. Holten, 249: Bauernhof und Windmühle); in jeweils anderen Zusammenhängen
erwähnen die Dortmunder Chroniken geistlichen Besitz (Kerkhörde, S. 81 und 87:
Hospitalsbesitz; Westhoff, S. 192, 327 und 404); Forderungen nach Besteuerung der
Geistlichkeit wurden Kerkhörde zufolge besonders nach der Großen Fehde als dringlich
eingeschätzt (Kerkhörde, S. 42).
234 Wassenberch, S. 221; es befand sich aber auch in entsprechender Ra.ndlage.
52
durch die Bürgerschaft und Integration in die Stadt, wie es dem Selbstverständnis
der Bettelorden entsprach235. An Anerkennung durch die
Bürgerschaft büßten im 15. J ahrhundert offensichtlich die Beginenhäuser
ein. ohne daß sich dies genau fassen ließe: Hinter der otiz Kerkhördes,
daß alle Beginen 1433 im „Koelgaerden“ versammelt wurden, kann man
sehr wahrscheinlich einen Angriff auf sie sehen, der 1448 im Abbruch des
Hauses ‚·ton Wijngaerden“ gipfelte236.
Zur Frage, wann sich die Vorstellung von einem ‚ Stadtheiligen‘ durchsetzte,
erlauben die Chroniken lediglich eine Annäherung. Für Duisburg
läßt sich gar nicht erst entscheiden, ob das Fehlen einer Erwähnung
durch Wassenberch darauf zurückzuführen ist, daß es hier keinen Stadtheiligen
gab, oder vielmehr darauf, daß sich die Salvatorkirche in seinem
Besitz befand. womit dann die Marienkirche auf den zweiten Platz
verwiesen worden wäre. In Dortmund hatte der heilige Reinold zwar
schon zu Kerlehördes Zeit eine Sonderstellung, wie etwa daran deutlich
wird. daß die Dortmunder, die 1464 zum Kreuzzug auszogen, unter
seinem Banner marschierten und sich ihm vorher symbolisch gefangen
geben mußten237. Dennoch ergibt sich ein widersprüchliches Bild: Im
15. Jahrhundert kündete weithin sichtbar eine Statue des Heiligen auf
der Stadtmauer davon. unter wessen besonderem Schutz die Stadt sich
befand, wie von V\’esthoff verzeichnet wird, als man sie in den 30er Jahren
des 16. Jahrhunderts verfallen ließ238 . Kerkhörde aber beschreibt
ausdrücklich, daß man anläßlich der Behütung vor dem Verrat 1457 eine
Prozession ging und dabei „van den patronen“ in allen Kirchen gesungen
235 A. Schröer, Die Kirche in Westfalen vor der Reformation, Bd. 2, Münster 1967,
S. 186f.: in Dortmund gehörten den Bettelorden zwei Klöster, den Franziskanern
und den Dominikanern; in Duisburg gab es zwei Minoritenklöster, eines an der
Brüderstraße sowie das Kloster Peterstal, das seit 1498 die Kreuzbrüder hatten, und
das Katharinenkloster.
236 Kerkhörde, S. 48 (Die skeptische Anmerkung Hansens vermag ich nicht nachzuvollziehen:
Zwar werden später zu 1448 und 1450 andere Beginenhäuser genannt,
aber vom „Weingarten“ wird ja gerade der Abbruch berichtet und Hildebrant Henxtenberg könnte noch als ehemalig vom Haus Braken stammende Begine
genannt worden sein – sie war ausgetreten und mit Amt Herven verheiratet
worden; Kerkhörde, S. 109 und 112).
237 Kerkhörde, S. 144.
238 Westhoff, S. 226f.
53
wurde239, während bei Westhoff erstmalig ausdrücklich von Reinold als
dem „hovethern und patron der stat“ die Rede ist240. Westhoff aber ist
die Stellung Reinolds so selbstverständlich, daß er es nur mehr beiläufig
erwähnt, wenn die Bürgermeister beim Besuch Karls IV. über den Reliquienschrein
verfügten241 . Anzunehmen ist dennoch, daß dies in der Zeit
einen ähnlich hohen Demonstrationswert hatte, wie die so auch dargestellte
Grundsteinlegung des Bürgermeisters 1421 am Reinoldi-Chor242.
Beides wirkte nicht nur in Richtung auf das ‚Stadtpatronat‘, sondern
auch auf die so vermittelte Stellung des Rats in der Stadt.
Il.B.l .b. DER RAT ALS STÄDTISCHE OBRIGKEIT:
MITWIRKUNGS- VND EIFLVSSMÖGLICHKEITEN
Im späten Mittelalter verstärkte sich der obrigkeitliche Charakter des
Rats, der aus dem Schwurverband der Stadtgemeinde als ausführendem
Organ entstanden war, wie es bei Konflikten noch erinnert werden konnte243.
Der Rat hatte entweder selber die hohe Gerichtsbarkeit wie in
Dortmund oder stand in enger Verbindung mit den Schöffen als Urteilsfindern
des Stadtgerichts wie in Duisburg244. Zwar wurden die wichtigen
Sätze des Stadtrechts in regelmäßigen Abständen vor der Bürgerschaft
verlesen, aber über Ratsbeschlüsse, die sich nicht konkret auswirkten,
bzw. solche, die nicht per Gebot verkündet wurden, erfuhren Bürger
wie Stadtbewohner zumindest über offizielle Wege nichts. Zwischen ihnen
und dem Rat gab es keine offene Auseinandersetzung. Die „opene
kameren“ , von der die 24er nach dem Bericht Kerkhördes sprachen, als
sie 1433 ihre Entscheidung zur Anklage der Stadt durch Evert W istraten
vorbringen sollten, meinte einen offenen Rat allenfalls bei wichtigen
239 Kerkhörde, S. 136.
240 Westhoff, S. 226, 284, 300 und 387.
241 Westhoff, S. 232.
242 Westhoff, S. 300.
243 W. Ehbrecht, Bürgertum, S. 276ft. sowie E. Maschke, „Obrigkeit“ im spätmittelalterlichen
Speyer und in anderen Städten, in: Archiv für Reformationsgeschichte,
Bd. 57 (1966), S. 7 – 23, hier S. 7ff. u. 22; zur Frage des Gehorsamsaspekts sowie
andererseits des Verhältnisses der Bürgerschaft zum Rat weiter im Text.
244 In Dortmund übte der Rat nachweislich seit dem 14. Jhdt. auch die Blutgerichtsbarkeit
aus (G.E. Sollbach, S. 151); in Duisburg werden die Schöffen in der
Chronik Wassenberchs vor dem Rat genannt, sie hatten mitbeschließenden Rang in
der Stadtverfassung.
54
Vorhaben, zu denen die politisch berechtigten Bürger versammelt und
um ihre Zustimmung angehalten wurden245. Dem „gemeinen Haufen“,
einer Versammlung aller Gildenmitglieder der Schmiede, war 1542 dagegen
noch nicht einmal bekanntgegeben, daß die Fischteiche und Gräben
der Osterbauerschaft nach Verfügung des Rats verpachtet waren und ihnen
nicht weiter zur Nutzung freistanden. Der Bericht läßt zwar daran
zweifeln, daß die Schmiede tatsächlich nichts von dieser Veränderung
wußten246 , wie der Chronist gegen die „bosen tungen“ glaubhaft machen
will. Doch richtete sich der Vorwurf nur an den Ratsherrn aus der
Schmiedegilde, der dies auf der vorfestlichen Versammlung „ganz und al
verswigen“ habe – eine generelle Informationspflicht kann Westhoff nicht
anmahnen oder wenigstens zur Entschuldigung der Schmiede, die Zweck
seines Berichtes war, vorbringen 247.
Die obrigkeitliche Stellung des Rats stützte sich auf die adlige oder
vornehme gesellschaftliche Position seiner Mitglieder, wie sie auch von
den Aufständischen um 1400 dem Bericht Kerkhördes zufolge nachgeahmt
wurde, die ihre Verschwörung „konink Artus hof‘ genannt hatten248.
Von Westhoff mit den Qualitäten der „vurneemligsten, achtbarsten
und verstendigsten“ bedacht249, blieben in der Tat auch nach 1400
Abkömmlichkeit im Beruf und beträchtlicher Wohlstand auch bei den
Ratsherren, die nicht dem Kreis des Stadtadels entstammten, Voraussetzungen
für die Übernahme des Ehrenamts250 . Darin fanden die Möglichkeiten,
über Wahl oder Mitsprache einzuwirken, ihre Grenze. Insbesondere
in politischen Auseinandersetzungen wurde die Ableitung der
obrigkeitlichen Stellung vom Kaiser eingebracht, was mit einer Berufung
auf den Landesherrn nicht gleichzusetzen war. Über die Verhandlungen
245 Kerkhörde, S. 47.
246 Denn auch nachdem der Gerichtsfrone den Schmieden das Fischen verboten hatten,
fuhren sie damit fort und schickten sogar noch Fische auf die Ratskammer,
was doch als provozierende Geste aufgeiaßt werden mußte. Damit sollte dem Rat
klargemacht werden, daß sie nicht gewillt waren, die Beschneidung ihrer Rechte hinzunehmen
(Westhoff, S. 44lf.).
247 Ebda.
248 Kerkhörde, S. 43.
249 Westhoff, S. 29lf.
250 E. Maschke, Verfassung und soziale Kräfte in der deutschen Stadt des späten Mittelalters,
in: Städte und Menschen, Beiträge zur Geschichte der Stadt, der Wirtschaft
und der Gesellschaft 1959 – 77, Wiesbaden 1980, S. 170 – 230, hier S. 209.
55
in Kleve, wohin die Duisburger Gilden und der Rat zitiert worden waren,
will der Chronist nicht berichten: “ . . . en ys geyn noet alman thoe
wethen251 .
Die institutionalisierte Mitwirkung der politisch berechtigten Bürger
konnte zu gleicher Zeit stärker an Delegation und Partizipation gebunden
gesehen werden:252 Die Gremien der Vierundzwanziger und Dreimann
traten „van heite de vijf gilden“ von ihren Ämtern zurück, als die
Gilden sich über die Einrichtung freier Markttage empörten. Kerkhörde
überliefert das, weil er selber zu denen gehörte, die „dat gilde denet
hadden“253. Die Ratsmitglieder aus den Gilden scheinen in der gleichen
Situation vor der Absetzbarkeit geschützt. Ebenso kann der Duisburger
Chronist die Gilden als Anführer des „oploips“ unglaubwürdig machen,
weil sie den ‚untersten Stein nach oben legen‘ wollten, was „doch die
ganse gemeynd nyet en woelden doen“254. Hingegen unterliegt das Verhalten
des Rats nicht automatisch der Kritik, obwohl dieser immerhin
mit dem Ansinnen vor die Bürgerschaft getreten war, die Nachwahlen
zu den Sechzehnern ratsweise vorzunehmen255.
Politische Unzufriedenheit mochte andererseits auch eine Verweigerung
der Bürger nach sich ziehen, wie es Kerkhörde in der Unterlassung
der städtischen Verteidigung als Ausdruck politischen Unmuts darstellen
wollte: „also uneens waren onse borger tosamen“256. Uneinigkeit konnte
deshalb als Kritik an der Ratspolitik aufgefaßt werden, weil auch der Rat
dem Gebot unterstand, Frieden und Eintracht in der Stadt herzustellen,
wie es um 1400 in Dortmund nach den Verfassungsänderungen verkündet
251 Kerkhörde, S. 117 und Wassenberch, S. 240.
252 G. Gleba, Die Gemeinde als alternatives Ordnungsmodell, Köln/Wien 1989,
s. 250 – 256.
253 Kerkhörde, S. 115.
254 Wassenberch, S. 240.
255 Wassenberch, S. 238; Wassenberch hätte eine solche Kritik sicher zurückgewiesen.
Der entscheidende Punkt hierbei scheint aber, daß er sich mit ihr nicht auseinandersetzen
muß. Das ist nicht als Ignoranz zu werten, wenn man davon ausgeht, daß er
seine Leser ‚überzeugen‘ wollte.
256 Kerkhörde, S. 97, 119; damit ist aber nur dokumentiert, daß dies eine theoretisch
denkbare Möglichkeit war, denn es lag in der Intention Kerkhördes, dies darzustellen,
hatte doch auch er sich zum Beispiel über das Monatsgeld für Pferdehaltung ereifert
(Kerkhörde, S. 58 und 96f.).
56
worden war257 . Dies darf aber nicht ohne weiteres damit gleichgesetzt
werden, daß der Rat weitgehende Übereinstimmung mit der politisch berechtigten
Bürgerschaft suchen mußte; allenfalls forderte dies die „ganse
eintracht“. Ansonsten konnte „Eintracht“ auch einfach eine durchsetzungsfähige
Koalition bedeuten, wie sie Erbsassen, Schmiede und Amter
1450 in Dortmund eingegangen waren258 . Zum anderen blieb trotz mitbeschließender
Funktion der Bürgervertretungen die Entscheidungs- und
Gebotsgewalt beim Rat. Das läßt sich nicht nur an den Formulierungen
der Chroniken ablesen, für die eine bewußte Wortwahl ‚offizieller Lesart‘
in Rechnung zu stellen wäre, sondern auch an der Benennung des
Adressaten für eigene Unzufriedenheit. So kann in dieser Hinsicht als
unverdächtig gelten, wem Kerkhörde etwa die Einrichtung freier Markttage
zur Last legt: „dat de raet den gilden ere vriheit genommen“ 259•
Der Rat also gab den ‚Konsens‘ vor, dem die Bürgerschaft in Gemeindeversanunlungen
oder über die Ausschüsse zu folgen hatte260 .
Konnten sich dagegen die Stadtbewohner, in erster Linie die Bürgerschaft.
nicht zu handlungsfähigen Einheiten zusammenfinden, blieben
ihnen an Einflußmöglichkeiten nur die informellen Wege über die
öffentliche :Meinung, an der der Rat nicht ‚vorbeiregieren‘ konnte. Der
257 Kerkhörde, S. 45.
258 Kerkhörde, S. 113: „Und unse borger quemen to samen gemeinlik op dat Rathues
und solden hulden; da wart en eendracht gevunden, dat de erfsaten und de smede
und de drei empte seggeden. se en wolden nicht hulden …“ .
259 Kerkhörde, S. 1 19; auch: S. 68f.; Westhoff, S. 430.
260 Z. B. Kerkhörde, S. 47, 68, 102 und 116, sowie Westhoff, S. 422 und 430; dagegen
beschworen die Bürger, die 1444 zum Beschluß über das Bündnis mit Köln
nicht zugegen gewesen waren und die man später versammelte, „beieinander zu bleiben“
(Kerkhörde, S. 69); umgekehrt konnte das Friedensgebot der Bürgerschaft zum
Xachteil ausgelegt werden: ‚Zu Frieden zu kommen‘ konnte auch bedeuten, aktuell
nicht durchsetzbare Forderungen fallenzulassen (Westhoff, S. 442). Der Begriff
‚Konsens‘ oder ‚Grundkonsens‘ ist umstritten zur Beschreibung spätmittelalterlicher
Sozialverfassung (vgl. dazu: W. Ehbrecht, Köln – Osnabrück – Stralsund. Rat und
Bürgerschaft hansischer Städte zwischen religiöser Erneuerung und Bauernkrieg, in:
Kirche und gesellschaftlicher Wandel in deutschen und niederländischen Städten der
werdenden Neuzeit , hg. v. F. Petri, Köln/Wien 1980, S. 23 – 63, hier S. 63; dgg.
B. Moe!ler, Diskussionsbericht, in: Stadt und Kirche im 16. Jahrhundert, hg. v.
dems., Gütersloh 1978. S. 177 – 182, hier S. 180f.); er wurde hier übernommen, weil
er den Quellenbegriffen am nächsten kommt, dann aber sofort nach Einschränkung
‚verlangt‘.
·57
Duisburger Bürgermeister versuchte zwar der Bürgerschaft aufzugeben,
ihn förmlich über ihre Beschwerden zu unterrichten, von denen er doch
schon Kenntnis hatte261 . In Dortmund aber verbuchte die Stadtführung
Erfolge, wenn sie in Krisensituationen wie bei der Anklage dUich Evert
Wistraten zur Lebenszeit Kerkhördes oder dem Verlangen nach Hinwendung
zur Reformation zu Zeiten Westhoffs die Initiative ergriff, um eine
Einbindung der Bürgerschaft in die Ratspolitik zu erreichen.
Darüberhinaus konnten ‚Gerede‘ und Diskussion innerhalb der Stadt
auch dem Rat selber ZUI Bestätigung seines politischen Handeins gereichen
und WUiden zur Legitimation gegenüber außerstädtischen Instanzen
eingebracht. Erfolgreich verteidigten die Bürgermeister Dortmunds
1457 die Hinrichtung Gobelen Krachts vor dem Drost von Wetter, der
anfänglich wohl den klevischen Herzog auf seiner Seite hatte: Damit
jeder mit Gobelen Kracht sprechen konnte, sei dieser auf dem Markt
enthauptet worden. Denn es war „gemurre“ unter den Bürgern, der Gefangene
belaste Ratsverwandte und werde ZUI Vertuschung dieser Tatsache
lebenslang eingekerkert bleiben262. Nicht daran, daß der Chronist
dies auch schon vorher erwähnt263, sondern an der Reaktion des Rats
auf die öffentliche Aussage des Gobelen Kracht wird die Stoßkraft der
öffentlichen Meinung deutlich: Rat und Bürgervertretungen verboten
Kerkhörde zufolge bei höchster Strafe, diese Angaben mündlich weiterzutragen264,
und erschlossen sich damit die Möglichkeit, die Verdächtigungen
des Drosten Gracht Stecken, der ebenfalls auf Gerüchte rekUIrierte,
energisch zurückzuweisen265.
Sah sich der Rat andererseits von Gerüchten empfindlich unter Druck
gesetzt, konnte das Sprechen über ihn oder einzelne Mitglieder „VUI andem“
Anlaß für die Verhängung der Todesstrafe oder mindestens für die
Ausweisung aus der Stadt sein, wie es Westhoff zu den Ereignissen gegen
Ende des 14. Jahrhunderts darstellt266. Ebenso soll 1506 der Duvenetter-
261 Wassenberch, S. 238: “ … dat si dat den rait semeliken to kennen geve.“
262 Kerkhörde, S. 135.
263 Kerkhörde, S. 132; hierbei ist zu beachten, daß die Einträge zu diesen Ereignissen
nicht sukzessive erfolgten, wie die ‚Ausblicke‘ auf das Jahr 1458 zeigen (ebda.,
s. 133f.).
264 Kerkhörde, S. 133.
265 Kerkhörde, S. 134.
266 Westhoff, S. 249f.
58
Verrat in allen Einzelheiten bekannt geworden sein, als Drohungen und
„scheltworte“ des Johan Meirich und der zwei Kesselflicker, denen der
Einlaß in die Stadt verwehrt wurde, ihre Gefangennahme nach sich zogen:
Der Beteiligung am Verrat wurden sie nach Westhoff zu diesem
Zeitpunkt noch nicht verdächtigt267.
Sowohl mit massiven Eingriffen und Kontrolle wie eigener Berufung
auf die öffentliche :yfeinung reagierte die Obrigkeit, was als Beleg für die
Bedeutung derartiger Reden und Gerüchte gelten muß.
I I . B . l .c. GILDEN UND ÄMTER ALS FAKTOREN
DER MEINUNGSBILDUNG
Der direkten Kontrolle durch den Rat konnten die Gilden sich in Versammlung
und Beratung entziehen: Die Besprechungen innerhalb der
einzelnen Dortmunder Gilden zur Forderung der Leibrentenzahlung der
Wistraten 1433 fanden nach der Wortwahl Kerlehördes „hemelicken under
sik“ statt, wogegen das Zusammentreffen im 24er-Gremium schon
eine größere Öffnung bedeutete268. Die Möglichkeit der Absonderung
nutzten auch die Duisburger Gilden 1513, die als religiöse Bruderschaften
eng mit den Handwerkerkorporationen verflochten waren, als von ihrem
Bündnis aus der Aufstand der Bürgerschaft organisiert wurde269. Zur
erfolgreichen Dortmunder Verschwörung vor 1400 erinnert Kerkhörde
daran. wo sich die aufbegehrenden Erbsassen hatten versammeln können
und daß die Sechsgilden ihre Treffen „bi broken, bi live und gude“ abhielten270.
Doch dürfen die Handwerkerkorporationen nicht generell in einem
Interessengegensatz zum Rat gesehen werden: Die Sechsgilden konnten
hinsichtlich ihrer gewerblichen Aufsichtsrechte in obrigkeitliche funk-
267 Westhoff, S. 381.
268 Kerkhörde, S. 47.
269 Wassenberch, S. 238; die Anmerkung v. Rodens, daß dies noch nicht näher untersucht
sei, ist noch aktuell, genauere Angaben können zur Verbindung von Bruderschaften
und Gilden nicht gemacht werden; eine enge Verflochtenheit ist aber sicher
anzunehmen (G.v.Roden, Geschichte der Stadt Duisburg, S. 257); für Dortmund muß
betont werden, daß die später entstandenen und nicht in vollem Umfang an den verfassungsmäßigen
Rechten der Sechsgilden beteiligten Vereinigungen auch begriffl.ich
als ‚.Ä.mter‘ unterschieden waren.
27° Kerkhörde, S. 43.
59
tionen einrücken. Diese Stellung hatte zwar ihre Grenze an der Position
des Rats, verband aber die Gilden doch eng mit der Obrigkeit,
als die Dortmunder Gilden sich beispielsweise in ihren Rechten 1450/51
gefährdet glaubten: Gegenüber der von der gemeinsamen Ablehnung
der freien 1arkttage abweichenden Schmiedegilde riefen sie in Erinnerung,
daß man noch kürzlich „Kellermann ausgetrunken“ , d. h. ihm eine
in Getränken zu erstattende Strafe auferlegt hatte, um ihn erst vor den
Gilden zu richten und dann vor den Rat zu bringen, „wante de de overste
richter is“. Der Rat gebot den Ausschluß des Angeklagten vom Handwerk271.
Ebenso wollte der Rat den Gilden zusichern, so Kerkhörde, daß
außerhalb des einen freien Markttags auch weiterhin niemand den Bereich
einer anderen Gilde antasten dürfe, anderenfalls solle man denjenigen
richten ‚mit Beistand‘ des Rats272. Deutlicher noch wird an der Auseinandersetzung
selbst, daß die Gilden in ihrer Möglichkeit, öffentliche
Meinung zu kanalisieren, vom Rat geschätzt und eingesetzt wurden, ohne
daß direkte Zugriffe auf die zünftischen Organisationen erfolgen mußten:
Der Rat sorgte 1450 selber für die Wiedereinsetzung der Ausschüsse der
Dreimann und der Vierundzwanziger, indem er dies zur Voraussetzung
von Verhandlungen überhaupt erklärte: „of de raet nu begeerde eniges
bades, waer se dat dan soken solden“273. Eine Mittlerposition zwischen
Obrigkeit und Bürgerschaft wurde den Dortmunder Sechsgilden zugewiesen,
als der Rat sie aufforderte, zur Reformation Stellung zu beziehen.
Sie selbst begaben sich auf einen vermittelnden Standort, wenn sie, wie
1545, vor dem Rat Wort und Partei für die Reinoldi-Gemeinde in Sachen
Pfarrbesetzung ergriffen274.
Allerdings bewirkte die Möglichkeit eigener Versammlungen für Gilden
und Ämter nicht automatisch die Abgrenzung vom ‚ Gerede‘. 1542
wurden itglieder der Schmiedegilde in der Angelegenheit des „Fischens“
von denen diffamiert, die sie „uetgehoert“ hatten und die den Schmieden
eine bewußte N“ichtachtung der Verfügung des Rats unterstellt haben
dürften275 . Beides, der Versuch meinungsbildend zu wirken, wie die eigene
Einschätzung der Gefährlichkeit in der Stadt umlaufender Informa-
271 Kerkhörde, S. 115.
272 Kerkhörde, S. 116.
273 Ebda.
274 Westhoff, S. 422 und 452f.
275 Westhoff, S. 442.
60
tionen, belegt die Vorgehensweise der Sechsgilden beim Widerstand der
Bürgerschaft gegen die dreimalige Schweinedrift der Reichsleute 1 43 1 :
Obwohl es z u diesem Zeitpunkt niemandem nützlich werden konnte, weil
der Schnee für die normale Laubmast zu hoch lag, unternahmen die Dreimann
mit weiteren Abgesandten der Sechsgilden eine Durchsicht ihrer
Privilegienbriefe. Als sie sich der angenommenen eigenen Rechte aber
nicht versichern konnten, weil es keine verbrieften Bestimmungen gab,
fürchteten sie ihrerseits um die Auswirkungen des Bekanntwerdens in
der Stadt: „Darumme is nutte dat men dat hemelik halde ( … ) Over
dussem beseine mit den dreien man waren van itlicker gilde een man;
und it was en leet, dat er so vele wesen hadde und meenden it solde oek
slotten bliven ere tijt lebens sc.“276
II.B.2. GEREDE, GERÜCHTE UND ÖFFENTLICHE MEINUNG
Als „openbaer“ wurde das Gerede in der Stadt angesehen, sobald die
Intention des ‚Sprechers‘ auf Werbung für die eigene Meinung hinauslief:
Von einem ehemaligen Fleischhauer berichtet Westhoff zum Ende
des 14. Jahrhunderts, er habe in die laufenden Verhandlungen um Steuererhöhungen
eingreifen wollen und sich „moetwillig heruet vur den andern
her openbar horen laten und unbesunnen gesprachen“277, so daß er
hingerichtet wurde. Zwei weitere namentlich genannte Widersacher des
Rats kamen in diesem Streit der gleichen Bestrafung mit der Flucht aus
der Stadt zuvor.
Dem ‚Offenbaren‘ stand die ‚Heimlichkeit‘ entgegen: So beobachtet
Westhoff Kampfansagen an die Stadt unter der Perspektive, ob Dortmund
es mit einem „apenbaren“ Feind zu tun hatte wie mit dem Grafen
von Berg 1377, der zusammen mit dem Jülicher Herzog auf Schonungszahlungen
spekulierte, oder mit einem ‚hinterlistigen‘, sich ‚heimlich‘
haltenden Feind wie Junker Dietrich von der Mark, der kurz zuvor die
Stadt bedrängt hatte und dem andere, weniger ‚berechenbare‘ politische
Ziele zugeschrieben wurden278• Daneben umfaßte die Kennzeichnung
„openbaer“ zu Zeiten der Chronisten alles Offensichtliche, Augenscheinliche
und Zugängliche: ‚Offenbar‘ und ‚an den Tag gebracht‘ wurde der
Verrat des Duvenetter 1506, als Johan Meirich gefangengesetzt wurde
276 Kerkhörde, S. 39.
277 Westhoff, S. 249.
278 Kerkhörde, S. 226 und 224 (auch: Westhoff, S. 406).
6 1
und sich der Schuld der Mittäterschaft durch ein Geständnis entledigen
wollte, worin man Westhoff zufolge göttliches Wirken erkannte279.
„Offentlich“ war auch für alle Dortmunder der die Freiheit der Stadt
verkündende Schriftzug über dem Ostentor zu sehen280• Eher in bezug
auf eine obrigkeitlich hergestellte Öffentlichkeit verwendet Kerkhörde die
Bezeichnung, wenn der Rat zu bestimmten Anlässen eine „opene kameren“
darstellen konnte281, oder die Hinrichtung des Gobelen Kracht
„openbaer“ auf dem Markt stattfand282 • Gleichermaßen umfassend ist
für alle drei Chronisten der Begriff von ‚Heimlichkeit‘, mit dem sowohl
das Verschwei&en einer Sachlage und die Zugänglichmachung für eine relativ
kleinere Offentlichkeit283 oder die Absonderung von einer größeren
Öffentlichkeit284 als auch die Umgehung eines Verbots oder unbemerkte
Handlungen charakterisiert werden285•
Das Gerede in der Stadt war nicht automatisch in den Bereich
der Öffentlichkeit gerückt: Als Gerücht, „heimlich vaem“ , beschreibt
V.Testhoff in positivem Verständnis Nachrichten, die die Stadt vor der
tberrumpelung des Märkers 1378 warnten286 . Zwischen dem bewußten
(oder so interpretierten) Eingriff in Diskussionen und ‚heimlichem‘ Gerede
lag das von Kerkhörde erwähnte „gemurre“ : So bezeichnet er die
Meinungsäußerung in der Menge der versammelten Erbsassen und Ämter
1450, als die Sechsgilden auf deren Anforderungen mit Unverständnis
reagierten287. Wohl weil die Urheber der Gerüchte nicht festgestellt
wurden bzw. die Diskussionen der Obrigkeit gerade zu paß kamen, gelten
dem Chronisten auch die Verdächtigungen als „gemurre“, die mit
der Inhaftierung des Gobelen Kracht laut wurden288 .
279 Westhoff, S. 382.
280 Westhoff, S. 186.
281 Kerkhörde, S. 47.
282 Kerkhörde, S. 134 und 135.
283 Kerkhörde, S. 39 und 135.
284 Kerkhörde, S. 47.
285 Wassenberch, S. 234 und 235; Kerkhörde, S. 49 u. 107.
286 Westhoff, S. 239.
287 Kerkhörde, S. 114; von der gleichen Reaktion berichtet Kerkhörde schon auf die
Forderung der Huldigung (ebda., S. 113).
288 Kerkhörde, S. 132 und 135; auch unter den versammelten Vertretern Krachts
entstand „gemurre“ (ebda. ). Eine ähnliche Kennzeichnung ist wohl in dem „groet
62
Neben der direkten Einflußnahme auf die politischen Entscheidungen
der Obrigkeit wurden mit dem Gerede Regeln des alltäglichen Umgangs
vermittelt. Kleine Geschichten und Sprichwörter überlieferten
Kurioses, Ereignisse der Stadtgeschichte sowie Bedeutung und Beurteilung
Einzelner und verhalfen ‚Werten‘ zur Anerkennung. So wollte
Hildebrant Swarte dem Kirchmeister Hermann Huck ein mündliches
Denkmal setzen: Er habe viel Gutes für das Gemeinwesen getan, ließ
Swarte oft „mank andern“ verlauten289 . ‚Narren‘ und Personen mit
außergewöhnlichen Eigenschaften gaben den Stoff für Sprichwörter her,
die im Alltag Verwendung fanden und für die Westhoff – im Vergleich
zu den anderen Chronisten – eine besondere Vorliebe erkennen läßt:
Der ‚Unterhaltungswert‘ der Redensarten kann ebenso als Beleg für ihre
Verbreitung angeführt werden290 wie die Tatsache, daß umgekehrt die
Maßstäbe zur Kennzeichnung einer Sachlage im „Gerede“ begründet waren:
Zur Hervorhebung von Ungewöhnlichem rekurrieren die Chronisten
zumindest in ihren Formulierungen darauf, daß das Beschriebene
mündlich nicht überliefert, nicht ‚erlebtes‘ oder ‚gelebtes‘ Wissen sei291 .
Direkt wird das Ausmaß einer Katastrophe dadurch bestimmt, daß man
„wol gespraken hedde veer Miserere“ 292.
Erzählte Geschichten mochten auch die Möglichkeit zur Beurteilung
der Stadtoberen eröffnen, ohne daß man sich der Gefahr des ‚offenbaren‘
Redens aussetzte: Der Besitzer des Hauses „Im Esel“ sollte nach seinem
Tod eben als Esel zurückgekehrt sein, der die Nachbarn der Brückstraße
in von Westhoff genau beschriebener Weise bedrängte. Man verbannte
den Toten daraufhin auf ein Moor in der Nähe des Hulperbergs, einem
PilgerzieL Beiläufig erklärt Westhoff dazu. daß der im nachhinein Bezichtigte
zur eigenen Lebenszeit ein „verhoert man“ war, da er zu den
Initiatoren bei der Erhöhung der Mahlsteuer gezählt hatte293. Vielleicht
gerune“ zu sehen, das unter den Bürgern 1461 wegen des schlechten Münzschlags
umging (ebda., S. 139).
289 Westhoff, S. 401.
290 Westhoff, S. 359, 361, 363 und 430.
291 Wassenberch, S. 211, 2 2 1 , 226, 240, 243 und 245; Kerkhörde, S. 36, 54, 76, 78,
120, 136 und 137; Westhoff, S. 309, 325, 326, 348, 373 und 435.
292 Kerkhörde, S. 41; bei Westhoff offenbar verkürzt: „duerde ein Miserere lank“
(Westhoff, S. 376}.
293 Westhoff, S. 330; unsicher erscheint, ob Westhoff sich hierbei auf mündliche oder
63
floß mündliche Überlieferung auch bei der Beurteilung des Albert Klepping
ein. der für die ?\iederlage der Dortmunder 1448 verantwortlich gemacht
wurde: Während Kerkhörde ihm zuschreibt, daß er ein Ausweichen
vor den heranrückenden Verbündeten Soests verboten hatte, um
dann selbst als erster die Flucht zu ergreifen, lautet der Westhoffsehe
Bericht, der Bürgermeister habe ein Warnschreiben nicht geöffnet, das
die Dortmund er von dem Hinterhalt unterrichtete294. Explizit berichtet
Westhoff über Gerüchte, nach denen 1529/30 einige Patrizier sich nicht
an den vereinbarten und gebotenen Münzvertrag gehalten hatten295•
Nimmt man die Kommunikationszusammenhänge in den Blick, ergibt
sich als erste Frage, ob es in jedem Fall eine ‚qualifizierte‘ Öffentlichkeit
sein mußte, vor der man sich des ‚openbaren‘ Redens erst schuldig
machen konnte. Auf der Grundlage der Westhoffsehen Chronik läßt
sich erkennen, daß der Kreis der Rezipienten, vor dem für eine Meinung
geworben wird, nicht weiter charakterisiert werden muß, sondern ausreichend
mit dem Begriff ‚andere‘ umschrieben erscheint. Zu Kerkhördes
Zeit war es vermutlich nur die Bürgerschaft im engeren verfassungsrechtlichen
Sinn, die berechtigt war, ihrer Meinung toleriertermaßen durch
„gemurre“ oder „gerune“ Beachtung zu verschaffen – aber der Chronist
verwendet die Begriffe ‚lude‘ und ‚borger‘ nicht durchweg in Unterscheidung
der Stadtbewohner von den Bürgern, so daß eine eindeutige
Aussage nicht abgeleitet werden kann296.
Einen Hinweis darauf, daß es allerdings kaum möglich war, Gerede
und Gerüchte einzugrenzen, belegt die Bemerkung des Chronisten über
das ‚Besehen‘ der Privilegienbriefe: Es sei für die vereinbarte regelrechte
Geheimhaltung als abträglich angesehen worden, daß der Kreis der ‚Eingeweihten‘
relativ groß war. Wenn etwa alltägliche Kontakte zwischen
schrütliche Überlieferung bezieht; die Struktur des Berichts weist jedoch auf eine
erzählte Geschichte hin.
294 Kerkhörde, S. 110; Westhoff, S. 319f. (Westhoff datiert hier falsch auf das Jahr
1446); ausdrücklich wird die mündliche Weitergabe von Westhoff angeführt zur frühen
Stadtgeschichte, den Ereignissen bei der Einnahme der Burg ‚Munda‘ sowie zu einer
besonders gute Roggenernte vom Ende des 15. Jahrhunderts, dem „Großen Roggen“
(Westhoff, S. 1 77f., 361).
295 Westhoff, S. 426; weiter zu prüfen wäre, ob landesherrliche Beamte und Adel
im bewußten Verbreiten von Gerüchten und Gerede auf die städtischen Märkte als
Zentren der Kommunikation angewiesen waren (Kerkhörde, S. 89, 139).
296 Westhoff, S. 249, 401; Kerkhörde, 5. 119; dgg. aber ebda., S. 68.
64
„dienstvolk“ und Patriziern, zwischen Handwerkern und Auftraggebern,
bei Marktbesuchen, bei gemeinsamen Wohneinheiten bestanden, ist mit
einer strikten Trennung von Kommunikationskreisen nicht zu rechnen.
Die Witwe „Schuttesche“, bei der sich Johann Timmermann 1506 eingemietet
hatte, erlangte so Informationen über den bevorstehenden Verrat297
; nicht genauer ist dagegen von Kerkhörde zu erfahren, wie er über
den Kracht-Verrat zu Kenntnissen kam298.
Problematisch für den einzelnen gestaltete sich aber, mit entsprechenden
Informationen an den Rat heranzutreten: Kerkhörde weihte den
Bürgermeister ein, wollte aber selber im folgenden als „medeweten“ ungenannt
bleiben, wobei er immerhin in Kauf nehmen mußte, daß ihm nun
nicht der Dank der gesamten Stadt zuteil werden konnte. Auch in der
Formulierung des Lobs für die Witwe aus der Feder Westhaffs wird der
Abstand zwischen Rat und Stadtbewohnern deutlich. Diese habe „mit
nichte gehoerde worde den eerbarn burgermeister und rade verborgen,
sunder sie koenlich und unverzaget van sich geredet“ 299.
Hierbei ist zwar in Rechnung zu stellen, daß der Verdacht der Verratsbeteiligung
aufkommen konnte. Die gleiche Unwägbarkeit zeigt sich
aber auch für die Versuche der direkten Einflußnahme einzelner. Angriffe
auf und Streit mit Ratsherren waren ohne Gefahr für die eigene
Stellung oder sogar das Leben nicht möglich: Neben den schon genannten
Beispielen des Geredes durch erbgesessene Bürger300 in der Darstellung
Westhaffs ist anzuführen, daß Kerkhörde um das ‚Monatsgeld‘ für Pfer-
297 Westhoff, S. 378; es interessiert dabei nur am Rande, ob sich die Aufdeckung des
Vorhabens wirklich so zugetragen hat. Was die Westhoffsehe Chronik zunächst zeigt,
ist, da.ß dies denkbar war. Nachweisen läßt sich aber, da.ß die Witwe Else Schutte im
Jahr 1517 am Kirchhof von St. Peter wohnte, wie es ein Leibrentenkaufvom Vermögen
der Petri·Kirche belegt: Teil der Vereinba.rung war, da.ß sie das Gadem an der Westseite
des Petri-Kirchhofs, an der Kampstraße (vermutlich die spätere Petri-Küsterei),
Zeit ihres Lebens frei bewohnen können sollte, so da.ß sie hier auch schon vorher
ihre Wohnung durchaus gehabt haben könnte. Nach ihrem Tod sollte das Haus an
die Petri-Kirche zurückfallen und die Leibrente ihrer Tochter entsprechend um einen
Goldgulden erhöht sein (A. Meininghaus, Die Grundstücks- und Rentenverkäufe des
Dortmunder Gerichtsbuches von 1516/18, in: Beiträge, Bd. 32 {1925), S. 5 – 116, hier
s. 90f.).
298 Kerkhörde, S. 132f.
299 Westhoff, S. 378.
300 Westhoff spricht von den „ehemaligen Handwerkern“ (S. 249).
65
dehaltung mit Johann von Hovel zwar streiten konnte, ihm dies aber
eine Anzeige vor dem Rat eintrug, obwohl er selber zu diesem Zeitpunkt
im Ratskollegium saß301 . Es ist also kaum davon auszugehen, daß ein
einzelner Handwerksmeister oder gar Geselle sich mit Beschwerden an
den Rat wenden konnten.
Die Wirksamkeit öffentlicher .Meinung, für die Angehörige der Mittel-
und Unterschicht sicher unverzichtbare “n:äger‘ waren302 , ist in anderen
Zusammenhängen aufzusuchen. Bei der Verbündung mit Köln 1444
hatte Hans von Lennepe zunächst nicht zugestimmt und stand damit
nicht allein: „Vele was der borger, die daer node an wolden“, schreibt
Kerkhörde. Vermutlich sollte das eigene Verhalten ein Beispiel geben,
und Hans von Lennepe hoffte auf Nachfolge: ‚Handelnd‘ begab sich dann
zwar niemand auf seine Seite, aber nachdem ihm die Bürgerschaft daraufhin
vom Rat aufgekündigt worden war, „vellen unse borger daervuer;
besunder der 24 heden vor enne“303. Die Annahme, daß sich sowohl
Hans von Lennepe wie die dann für ihn Bittenden auf die öffentliche
.Meinung stützen konnten, wird auch durch die folgenden Entwicklungen
erhärtet: Vergebens blieben zwar die Bemühungen der märkischen
Städte und Münsters um ein Bündnis mit Dortmund, aber erst nach
Mahnungen sagten die Dortmunder den märkischen Städten die Fehde
an304, um dann lediglich zu beschließen, man solle Leute anheuern, „op
dat een naher nicht en dorfte toseggen op den andren“305. Diese Haltung
folgte wohl aus den täglichen Handels- und nachbarschaftliehen Kontakten,
denn selbst Kerkhörde, der deutlich zu erkennen gibt, daß er ohne
301 Kerkhörde, S. 96f.; sie wurde aber nicht weiter verfolgt, Hovel „dorfte nicht meer
daerto doen, noch warde daervan hebben tegen mi“, schreibt Kerkhörde; es handelte
sich wohl um den gleichen Johan Hovel, der die Stadt 1458 bei einem Besuch der
Herzogin von Kleve repräsentierte (ebda., S. 137).
302 Daß hier Chancen aktiver Mitwirkungsmöglichkeiten vorlagen, ist anzunehmen,
aber nicht genauer zu erschließen.
303 Kerkhörde, S. 68f.
304 Bis zu diesem Zeitpunkt wird eine – aufgrund des Dortmunder Bündnisses mit
Köln eigentlich unsinnige – Unterscheidung zwischen den Feinden des Kölners und
denen Dortmunds aufrechterhalten (Kerkhörde, S. 97, 98, 101 und 102); bei der Fehdeerklärung
an die märkischen Städte ging es „was sweerlicken toe, doch so volgeden
unse borger … “ (ebda., S. 102).
305 Kerkhörde, S. 104.
66
Verständnis für das Soester Vorgehen war und es blieb, überliefert diese
Vorbehalte306.
Beim Streit um die freien Markttage 1450 könnte öffentliche Meinung
ebenfalls eine wichtige Rolle gespielt haben: Bei der Huldigung hatten
sich Schmiede, Erbsassen und drei Ämter „gevunden“ , wie Kerkhörde
es ausdrückt, so daß vermutlich keine feste Absprache der Korporationen
vorlag, sondern sich aus ersten, im Wissen um die ‚Stimmung‘ in
der Stadt erfolgende Weigerungen weitere ergeben hatten307. Daß das
Thema ‚Arbeit‘ sich im Mittelpunkt öffentlicher Diskussion befand, bezeugen
die Chroniken. Allerdings ist es nicht die Arbeit einzelner, die
dabei in den Blick genommen wird, sondern ihre ‚Funktion‘ für die Stadt.
So wandten auch die „vijf gilden“ ein, daß infolge einer Änderung der
:\1arktordnung „nimant in unse stat wolde kommen to uns umme kostlicheit
willen“ und beanspruchten damit als ihren Verdienst, bislang die
Preise niedrig gehalten zu haben. Der Rat setzte unter Zustimmung
der Schmiede, Erbsassen, Pelzer, Sehröder und Wollenweber einen Kompromiß
durch, indem er dessen „gemeine nut“ nachwies308.
Il.C. LEBEN IN DER STADT
Mit den Aspekten Arbeit, Ernährung und Wohnen sollen zunächst Themen
in den Blick genommen werden, die die “ Grundfragen menschlichen
Verhaltens gegenüber einer sich wandelnden Umwelt“ betreffen309. Ihnen
wären auch Aspekte wie ‚Kleidung‘, ‚Geselligkeit‘ oder ‚Religiösität‘
ohne Unterschied an die Seite zu stellen, die aber hier schon mit Rücksicht
auf die Aussagemöglichkeiten dem zweiten Abschnitt zu Gemeinschaft,
Geselligkeit und Repräsentation zugeordnet werden. Er soll sich mit
Lebensaspekten befassen, die in stärkerem Maße noch auf ihre Bedeutung
für das Zusammenleben in der Stadt hin beleuchtet werden sollen.
306 Partei für die Soester ergriff der Chronist definitiv nicht : In seinen Augen waren
diese zu den „deenstmanne“ der Klevischen übergewechselt (Kerkhörde, S . 67) und
hätten sich ohne Not von Köln abgewandt (ebda. und S. 94f. ); wann der Zeitpunkt
der Niederschrift anzusetzen ist, kann nicht ausgemacht werden; sicher aber schrieb
Kerkhörde nicht insgesamt im Rückblick: Schon 1446 glaubt er auf den „groteste
verlues dusser veden“ auf seiten des Erzbischofs verweisen zu können ( ebda., S. 86).
307 Kerkhörde, S. ll7.
308 Ebda.
309 H. Kühnel, Vorwort, in: Alltag im Spätmittelalter, S. 7.
67
Auch für die Lebensbereiche der Arbeit, der Ernährung und des Wohnens
gilt allerdings, daß sie vornehmlich in ihren sozialen Bezügen zu
erschließen sind. Herauszuarbeiten ist damit, welche Haltungen sich in
der städtischen Öffentlichkeit zum Thema Arbeit niederschlugen. Vor
diesem Hintergrund kann dann sinnvoll die ‚Alltäglichkeit‘, im Sinne von
‚Selbstverständlichkeit‘ der Arbeit zum Beispiel, aber auch von Versorgung
und nachbarschaftlicher Leistung behandelt werden. Die Möglichkeiten
der Städter zur Lebensplanung sollen dabei erfragt werden. Ob
und welche zeitgenössischen Ansprüche es an die Planbarkeit gegeben
hat, gilt es in diesem Zusammenhang so weit wie möglich zu klären.
Il.C.l. ARBEIT – ERNÄHRUNG – WOHNEN UND MOBILITÄT
II.C.l .a. ARBEIT
l l . C . l .aa. ARBEIT UND STÄDTISCHE ÜFFENTLICHKEIT
Zwar deutet die Argumentation der „vijf gilden“ 1450 nach dem Bericht
Kerkhördes darauf hin, daß es Verfehlungen einzelner Handwerker
durchaus gab, denn jene erinnerten die Schmiede mit dem Hinweis auf
„Kellermann“, der vom Handwerk ausgeschlossen worden war, lediglich
an das jüngste Beispiel. Doch richtet sich der Blick Kerkhördes nicht
auf den Anlaß des Verfahrens310. Ausgesprochen knapp in der Benennung
des eigentlichen Vergehens ist auch der Westhoffsehe Bericht, wonach
der Sohn eines Goldschmieds gegen Ende des 14. Jahrhunderts in
die Schmiedegilde übergegriffen hatte. Nur weil die dreijährige Auseinandersetzung
darum einen bemerkenswerten Umstand darstellte, ist zu
erfahren, daß der Beklagte nicht geständig war, aber schließlich doch
drei Schilling Strafe entrichten mußte311. Vermutlich respektierten die
Chronisten, daß die Entscheidungskompetenz über Arbeitsqualität und
-berechtigung bei Gilden, Ämtern und Rat lag. Denn von anderen ‚Konflikten‘
mit und um Arbeit ist durchaus – wenn auch jeweils im Hinblick
auf anderes – die Rede. Genau beschreibt Kerkhörde das falsche Auswiegen
von Wolle, Garn und Flachs auf dem Markt, weshalb 1459 das
31° Kerkhörde, S. 115.
311 Westhoff, S. 249.
68
„Koephuse“ als \Viegestelle eingerichtet wurde312. E benso ist von ihm zu
erfahren, daß die Bäcker sich noch 1450 weigerten, „up de wage“ oder
„op dat gewichte“ zu backen313. Behaupten allerdings konnten diese
sich damit nicht auf Dauer: Selbstverständlich erscheint zu Westhoffs
eit. daß das Brot in Größe und Preis festgelegt war. Erst wegen einer
Anderung ist zu erfahren, daß die Bäcker 1531 dazu übergegangen waren,
doppelt so teures „penninkwegge“ statt Hellingbrot zu backen, was
offenbar noch acht Jahre darauf Bestand hatte314.
Berichtenswert erscheinen den Chronisten also offenbar Auseinandersetzungen
mit ganzen Gewerbezweigen, nicht aber deren interne Zwistigkeiten.
Folgerichtig wird aus den Chroniken erkennbar, daß ganzen
Berufsständen ein schlechter Ruf anhängen konnte. Für den Bericht
über eine Teuerung in Köln 1437 übernimmt Westhoff aus der Koelhoffschen
Chronik, daß die Kölner Bäcker das Brotgewicht verringerten, was
der Rat ihnen verbot. Ergänzend will er dazu wissen, daß die Bäcker
ausreichend Mehl und Brot hatten, den Verkauf an die „Armut“ aber
verweigerten. Nicht nachdrücklicher hätte er den gleichen Vorwurf gegen
die Dortmunder dieses Gewerbes formulieren können als durch den
Einwurf: „ich segge ader schrive van Dortmunder becker nicht“ 315. In
die gleiche Richtung weist auch sein Urteil über die Fleischhauer, die in
den 40er Jahren des 16. Jahrhunderts vorübergehend verpflichtet worden
waren, in Pfunden statt „bij rampe“ (=im Sack, vielerlei durcheinander)
zu verkaufen: „Villichte dat sie dan ein wenig unhescheden weren, ouch
dat mangel in dem gewichte gewesen … “ 316. Als unehrlich und auf einer
Stufe mit Verrätern stehend werden die Fleischverkäufer indirekt auch
in der Kerkhördschen Chronik erkennbar. 1441 hatte die Stadt ein ‚Die-
312 Kerkhörde, S. 138: „Di mit disser neringe umgengen hadden knipwagen und
dingeden enen packen vlasses und wogen den und seggeden den luden, de packe
weget so veel und stelen den luden twe ofte drie punt, als ener vrouwen wart gewegen
een packe op 1 1 punt, een ander woech den op 14 punt, dan voert noch een op 16
punt. Hirumme wart das Koephues gevunden.“
313 Kerkhörde, S. 114 und 116.
314 Westhoff, S. 427 und 435; damit ist nicht gemeint, daß das Brot sich auch relativ
zum Gewicht im Preis verdoppelte, sondern die kleinste Brotgröße zum doppelten
Preis zu erstehen war; das Gewicht des Hellingbrots ist nicht bekannt.
315 Westhoff, S. 311; dazu auch die Negativformulierungen: „ich swige tom deil verreetlich“
(ebda., S. 238), „ich swige, dat man hijr belevet hette“ (ebda., S . 435).
316 Westhoff, S. 461.
69
besgeleit‘ für Johan Boge verweigert, so daß dieser die Hinrichtung eines
Diebs im folgenden zum Anlaß nahm, den Bürgermeister anzuklagen,
indem er ihn einen „verreder und vleesverkoper“ nannte317.
Andererseits konnten auch diese Handwerke in den Chroniken gewürdigt
werden, wenn sie mit dem Bemühen um die eigenen Arbeitsmöglichkeiten
zu Fehdezeiten zugleich die Versorgung der Stadt abzusichern
hatten. Ausdrücklich führt Kerkhörde die Bäcker an, als sie während
der Soester Fehde nach Kamen zogen, um Korn mahlen zu lassen318• In
der Großen Fehde besorgten die Schmiede „und vil meer andern“, wie
Westhoff schreibt, jenseits der Emscher Steinkohle319. Eigens erwähnt
Kerkhörde die Zimmerleute, die einen bewaffneten Auszug der Dortmunder
nach Harpen 1437 mit Arbeitsgeräten unterstützten320•
Seltener aber wendet sich die Aufmerksamkeit der Chronisten dem
zu, was Westhoff als „arbeide“ bezeichnet, nämlich die konkrete Tätigkeit
selbst321. Häufiger dagegen ist dann von „arbeit“ die Rede, wenn damit
das Bemühen gerade im außerökonomischen, respektive politischen
Bereich322 oder intellektuelle Anstrengung gemeint ist323. Insofern ist
nicht damit zu rechnen, daß sich der Arbeitsalltag erschließen läßt. Wohl
aber kann gefragt werden, was an Arbeit alltäglich und damit zuvorderst
wie alltäglich Arbeit war.
Il.C.l.ab. ARBEITSZEITEN UND ENTLOH:-l’UNG
Genauere Angaben erlaubt die Auswertung der Chroniken über die Arbeitsverteilung
im Jahr für das Bauhandwerk und die Landwirtschaft.
317 Kerkhörde, S. 63.
318 Kerkhörde, S. 98.
319 Westhoff, S. 267.
32° Kerkhörde, S. 59.
321 Westhoff, S . 216 (beim Versuch, sich einen Eingang hinter der Schleuse zu verschaffen,
schlug ein heller Schein dorthin, wo „cüe Feinde in verretlicher arbeide lagen“)
und ebda., S. 439 (einem Hörder Schmied schlug ein Funke auf den Balken „in
seiner arbeide“).
322 So verwendet Kerkhörde durchgehend die Begriffe „a.rbeit(s)“, „(ver)arbeiden“
(Kerkhörde, S . 50, 61, 69, 80 und 133).
323 Westhoff, S. 188 (über die Erstellung der Chronik: „mit Fleiß dara.n bin und
mein geringe arbeit tragen mäg) und S. 398 (ein großes Antichrist-Spiel „koste groet
gelt und arbeit“); Arbeit im modernen Sinn (sowohl als Tätigkeit wie als erbrachte
Leistung) dagegen verwendet Wa.ssenberch (S. 232).
70
Das durch die städtische Obrigkeit fixierte, witterungsbedingte Ende der
Bauarbeiten ist für Duisburg wie Dortmund zu Martini anzunehmen:
Von der Verpachtung des städtischen Ziegelofens berichtet Wassenberch,
daß alle Steine, die bis zum 1 1 . November nicht verkauft waren, von der
Stadt abgenommen werden sollten bzw. die Pachtsumme entsprechend
zu verringern war324. Im Rückblick auf den Bau des Reinolditurms 1465
bemerkt Westhoff ebenso in bezug auf diesen Termin, daß der Turm seit
Pf.ngsten gesperrt und gedeckt wurde und schon um Martini des gleichen
Jahres fertiggestellt war325 . Zum gleichen Datum endeten in Dortmund
die Bauarbeiten am Reinolditurm, der 1519 umzustürzen drohte; der Bau
des Petriturms wurde am 26. Oktober mit der Aufrichtung des Mastbaums
vier Jahre darauf feierlich begangen und am 5. November wurde
das Kreuz aufgesetzt326. Zwar wird für die Zeit nach diesem Termin
in Duisburg von Wassenberch noch eine Dachdeckung verzeichnet, doch
war die sechs Tage dauernde Arbeit um Martini schon in Angriff genommen327
. Während in Dortmund die Bauarbeiten aber im Februar wieder
eröffnet wurden328, nahm man die Arbeiten an den Duisburger Kirchen
regelmäßig erst im April wieder auf: Dies betrifft so unterschiedliche
Vorhaben wie die Errichtung einer Treppe an der Salvatorkirche oder
die Zimmerung des Giebelwerks für die Glocken der Marienkirche, die
bereits im September des Vorjahres gegossen waren, worauf das besondere
Augenmerk des Duisburger Johanniters liegt329. Zimmerarbeiten
wurden in Dortmund dagegen auch über den Winter weitergeführt, so
als der Petriturm eine neue Spitze bekam und man im Advent 1522 das
Gerüst zu bauen begann – allerdings auf dem Kirchhof, wie Westhoff
vermerkt330. Ob in der Winterpause die Bauhandwerker auf kleinere
324 Wassenberch, S. 243.
325 Westhoff, S. 330.
326 Westhoff, S. 407 und 417.
327 Wassenberch, S. 249.
328 Westhoff, S. 407 (Aufnahme der Arbeiten am Reinolditurm 1519 und Wiederaufnahme
1520); Kerkhörde, S. 129 (nach Westhoff B begannen die Franziskaner am
7. März 1456 mit dem Bau eines neuen Turms; schon ab 2. Februar 1449 wurde der
Reinolditurm gedeckt; nach Westhoff B, Kerkhörde, S. 112).
329 Wassenberch, S. 214, 216 (Glocken und Giebelwerk), 210, 217 und 232.
330 Westhoff, S. 416.
7 1
Reparaturen im Wohnhausbau ausweichen konnten oder in anderen Bereichen
Arbeit fanden, läßt sich aus den Chroniken nicht ermitteln.
Von April bis einschließlich Oktober lag auch für die landwirtschaftlich
Beschäftigten die Zeit hoher Arbeitsintensität, der in der Regel ein
gänzlicher Arbeitsausfall folgte. Widrige Wetterumstände konnten die
Wintersaat aber bis Ende Dezember verzögern. Westhoff entlehnt dies
den Erzählungen der Reimchronik des Reinold Kerkhörde zum Ende des
15. Jahrhunderts331 • ur ausnahmsweise konnten Kühe und Schafe den
Winter über auf den städtischen Wiesen bleiben, wie Wassenberch zum
Jahr 1514/15 mitteilt332• Hütungsarbeiten über die Winterzeit fielen
allenfalls in der Schäferei an oder bei mehrmaligem Schweinetrieb, wie
er 1431 in Dortmund die Gegenwehr der Bürger hervorgerufen hatte333.
Daß dem Dortmunder Grafen verbrieft war, er könne seine Tiere „to behoerliken
tiden, daer des stades gemeine heerde drivet“ auf die Weiden
führen, vermag eine Absprache in der Stadt über die Zeit des Wiederauftriebs
zu belegen334. Fraglich ist aber, ob dieser zu einem einmal fixierten
Termin erfolgte: Die Festsetzung des „Weidegeldes“ , dessen Höhe
1539 offenbar Befremden ausgelöst hatte, terminiert Westhoff zu Mittsommer,
während zu Kerkhördes Zeit Vieh im Wald schon im Mai und
Juni erwähnt wird335. Denn die Bürger konnten in die ihnen gemäß den
Bauerschaften zugewiesenen Waldgebiete Vieh eintreiben, wenn keine
Eicheln vorhanden waren336. Über den genauen Ort des Vieheintriebs,
„waer men hagen solde“ , entschieden 1445 die „Buermester“ bereits
Ende Februar. Kicht aufgrund eines ungewöhnlichen Datums wird dieser
normalerweise nicht berichtenswerte Vorgang überliefert, sondern weil
die Ratsherren dabei einige Leute aus Wetter überraschten337. Ausholzungsarbeiten
werden in der Dillsburger Chronik für den März angegeben338.
Ebenso ist zu vermuten, daß auch Textil- und Metallgewerbe je
331 Westhoff, S. 355f.
332 Wassenberch, S. 247.
333 Kerkhörde, S. 88 und 38f.
334 Kerkhörde, S. 57.
335 Westhoff, S. 436 und Kerkhörde, S. 50 und 90.
336 K. Rübel, Dortmunder Reichsleute, S. 86f.
337 Kerkhörde, S. 71.
338 Wassenberch, S. 210, 250.
72
nach Anlieferung von Rohstoffen bzw. – soweit nicht auf Auftrag gearbeitet
‚“urde – in Abhängigkeit von den größeren Märkten hohe Arbeitsbelastungen
und fl.aue Zeiten kannten: Bei der Kermisse zu Reinoldi,
am 7. Januar, wäre zu überprüfen, ob nicht neben den genannten
„bussenklote und anders“ , die nach Dortmund gebracht und von
dort im weiteren Handel verkauft wurden, auch eigene Produkte der
Eisenverarbeitung im 16. Jahrhundert auf dieser Messe verstärkten Absatz
im Fernhandel fanden339. Sicher ist aus den Kerkhördschen Angaben
zu folgern, daß der Reinoldi-Kermisse im 15. Jahrhundert für den
Handel mit gewerblichen Waren und Lebensmitteln ein hoher Stellenwert
zukam: Schon im Streit um die Markttage die eigene Unterlegenheit
(an)erkennend, verzögerten die Sechsgilden den Abschluß der
Verhandlungen gemäß Kerkhördscher Darstellung bis nach der Messe
des darauffolgenden Jahres, was wohl als letztes Zugeständnis des Rates
zu deuten ist, der nach diesem Termin die Verhandlungen zügig einem
Abschluß zuführte340. Auf der Brakeler Messe kann eine gute Verkaufsmöglichkeit
für die Dortmunder Weißgerber, die „Pelzer“ , vorausgesetzt
werden: 1466 wurden ihnen die auf Wagen mitgeführten Waren von
den „Märkischen“ gestohlen. Der Schaden muß erheblich gewesen sein,
denn der Hörder Rentmeister verbürgte sich gemäß Westhoff persönlich
für die Rückführung der Pelze341 .
Ob infolge von Arbeitsspitzen auch der Rahmen täglicher Arbeitszeit
erweitert werden konnte, ist nicht zu ermitteln. Verbindlich für das
Arbeitsende zumindest bei außerhäuslicher Arbeit war aber offenbar die
„ru.mestratetijt“, zu der Kerkhörde einen Auszug der Dortmunder im Januar
1437 nach Harpen terminiert. Sicher kann gesagt werden, daß dieser
Zeitpunkt kurz nach ‚Toresschluß‘ lag und so selbstverständlich war, daß
339 Westhoff, S. 446!.
34° Kerkhörde, S. 116: „Und de raet gaf itlicker gilden beschreven, wou se sik solden
richten. Daer was mede inne, de godenstach solde vri wesen allen unsen borgeren ( … )
Dat genk allen den 5 gilden entegen, also dat se dat vertogen met veler reden. Doch
anno 1451 na St. Renolts kermisse weren de ses man itlicker gilde vor dem rade, und
de raet baet oetmodelicken dat men dat dem rade to eren dede und volgede solker
zeddelen … “ ; das Ende der Auseinandersetzungen markieren dann die Verhandlungen
am 19. und 28. Januar 1451 {ebda.).
341 Westhoff, S. 331ft.
73
er die Angabe einer l:hrzeit überflüssig machte342. Vielleicht aber stellte
schon der Schlag der Glocke zum Salve-Singen in der Petri-Kirche, dessen
Stiftung Westhoff zum Jahr 1476 vermerkt343, ein Signal für das Ende
des Arbeitstags dar: Es wurde im Sommer um fünf Uhr, im Winter um
vier Chr geläutet. Ob dies noch zu seiner Lebenszeit so gehalten wurde,
ist zwar nicht direkt zu erschließen. deutlich wird aber aus der Chronik,
daß der Glockenschlag noch als wichtiger Bestandteil entsprechender
Stiftungen angesehen wurde344• Darüberhinaus steht zu vermuten, daß
die Gesamtarbeitszeit vom 15. zum 16. Jahrhundert zunahm345, da der
Vergleich der Chroniken Kerkhördes und Wassenberchs Hinweise darauf
gibt, daß zur Lebenszeit des Duisburger Chronisten die V igilien volle Arbeitstage
waren: \Vährend zu Kerkhördes Zeit die Bürgerschaft ebenso
häufig an Heiligentagen wie zu den V igilien oder den darauffolgenden
Tagen versammelt wurde346, riefen wie der Rat auch die aufständischen
Gilden die Duisburger Gemeinde an den Fastensonntagen zusammen347•
Weiter geprüft werden müßte aber, ob sich darin lediglich lokale Unter-
342 Kerkhörde. S. 58 (Zum Auszug nach Harpen wurden die Dortmunder zur Versammlung
gerufen, „do de paerten slaten was“, sie zogen los zur „rumestratetijt“).
343 Westhoff, S. 341.
344 Westhoff. S. 390 und 391, sowie Wassenberch, S. 194; dazu auch allg. G. Dohrnvan
Rossum/R. Westheider, Die Einführung der öffentlichen Uhren und der Übergang
zur modernen Stundenrechnung in den spätmittelalterlichen Städten Niedersachsens,
in: Stadt im Wandel, Bd. 4, S. 317 – 336, hier S. 325 – 328.
345 Instruktiv zum Thema Arbeitszeit, besonders auch in der Sicht der Zeitgenossen,
H. Bräuer, Herren ihrer Arbeitszeit? Zu Organisation, Intensität und Dauer handwerklicher
Arbeit in Spätmittelalter und früher Neuzeit, in: Österreichische Zeitschrift
für Geschichtswissenschaften g. 1 (1990), S. 75 – 95. Bräuer macht auf die
Zunahme der Arbeitszeit als nachreformatorische Erscheinung aufmerksam, fordert
aber die Berücksichtigung regionaler Unterschiede.
346 Versammlung an Heiligentagen: Kerkhörde, S. 68f. und 81 (in der Edition hier
falsch als 30. März ausgewiesen, es ist der 30. April); Versammlung zu Vigilien und folgenden
Tagen: ebda., S. 47 (zur Verfassungsänderung), 58 und 68 (Crastino Apost.).
347 Das bezieht sich natürlich nicht auf den Aufstand selbst, aber auf den „breif‘,
den die Gilden von einem Vertreter der Bürgerschaft auf dem Rathaus verlesen ließen
(Wassenberch, S. 239) sowie auf die vorherige Versammlung der Bürgerschaft durch
den Rat {ebda., S. 237f.) und die vom Bürgermeister in Aussicht gestellte Versammlung
nach einem Beschwerdetermin, von der doch anzunehmen ist, daß sie vor dem
Hintergrund des Kölner Aufstands 1512 für den nächstmöglichen Termin anberaumt
werden sollte {ebda.).
74
schiede bemerkbar machen. In diesem Zusammenhang erweist sich die
\i\.esthoffsche Chronik in der Tat als ‚ Außensicht‘, da die vielen Vereinbarungen,
die der Chronist für berichtenswert hält, in der Beschlußfassung
nicht ‚datiert‘ werden.
Die Chronik Westhoffs bezeugt aber, daß die Erwartung an gleichmäßige
Arbeitsmöglichkeit gestiegen war: Vermerke über Behinderungen
der Arbeit durch die Witterung kommen erst in seinen Aufzeichnungen
vor. Während für Kerkhörde und Wassenberch das Wetter in bezug auf
die Versorgung immer wieder problematisch war, unterstreicht Westhoff
enorme Kälte oder Hitze durch Hinweise auf die Arbeitsbehinderungen.
So kommentiert er einen Kälteeinbruch 1532 damit, daß niemand in der
Stadt imstande war, ohne Heizmöglichkeit zu arbeiten: „dat sich neimant,
es weer dan waterleige arbeit er dede, aen vuer ader stuven wes
handeln ader arbeiten mogen.“. Er hebt zum Abschluß hervor: „Wir
hebbens seiver ervaren“348. Die große Hitze des Jahres 1538 veranschaulicht
er gleichermaßen mit der Schilderung, daß der Flachs nicht
,.,·ie üblich zu ·’dicken“, d. h. durch Wasserbad vom Kleber zu befreien
war; statt dessen wurde er in einer Buttertonne gewaschen349•
Über Umstände und Termine der Lohnauszahlung sind Rückschlüsse
möglich: Einblick gewährt die Westhoffsehe Chronik für die Entlohnung
der Bierträger im Dortmund des 15. Jahrhunderts. Die Verknüpfung von
Steuererhebung und Entlohnung der Bierträger garantierte dabei wohl,
daß diese es bei Anlieferung des Biers mit dem Einritzen der Menge am
Kerbstock sehr genau nahmen. Dieser war zugleich Grundlage für die Berechnung
der zu zahlenden Steuern wie des Lohns der Träger: Zwei von
drei Hellem, die pro Tonne von den Bürgern abgeführt werden mußten,
standen den Bierträgem zu – der Rest ging an die Stadt350• Der Lohn
v,rurde daher wohl jährlich gezahlt, wie dies auch von Westhoff zum Jahr
1363 für die Stadtpfeifer und von Kerkhörde 1435 für den Stadtschreiber
348 Westhoff, S. 428.
349 Westhoff, S. 434.
350 Westhoff, S. 321; ob dies zu seiner Lebenszeit anders gehandhabt wurde, ist dem
Westhoffsehen Bericht leider nicht zu entnehmen; eine ähnliche Organisation war
z. B. auch in Frankfurt beim Weinausschank bis ins 16. Jhdt. üblich (K. Bücher, Die
Bevölkerung von Frankfurt a. M. im 14. und 15. Jahrhundert, Bd. 1 , Tübingen 1886,
s. 98f.).
75
Albert Troste verzeichnet wird351 . Eine wochenweise Entlohnung kann
dagegen bei abhängig Beschäftigten im Handwerk angenommen werden,
wenn die Schuhmachergesellen 1385 eine wöchentliche Unterstützung für
in l\’ot geratene Brüder beschlossen352. Die während der Großen Fehde
mit Wacharbeiten belasteten Bürger vereinbarten gemäß Westhoff für
sich selbst eine wöchentliche ‚Ausgleichszahlung‘; für die aus der Einwohnerschaft
gewählten „Peikmänner“ wird dagegen ein monatlicher Sold
angegeben353.
Durchaus unterschiedlich müssen demnach die Möglichkeiten einzelner
Städter gewesen sein, im eigenen Alltag zu planen, z. B. flexibel
auf die innerhalb des Jahresverlaufs schwankenden Preise zu reagieren,
wie es Westhoff für das 15. Jahrhundert überliefert. Als 1437 die Vermutung
über einen neuerlichen Preisanstieg umging, „ijlden de lude up
den roggen“, der dadurch gemäß Westhoff trotz mangelhalfter Qualität
im Preis stabil blieb354. Auch Kerkhörde berichtet, daß man Preisanstiege
vorherzusehen versuchte, indem er 1438 die Regel „wannes nijen
jaers dach queme up enen godenstach, so worde alle dink dure“ bestätigt
sah355.
Planbarkeit und Aufstiegschancen für abhängig Beschäftigte in
Handwerk und Landwirtschaft verringerten sich weiter durch die Verbindung
von Arbeit und Kost sowie je nach Handwerk Arbeit und Wohnung
im Hause des ?vleisters. Die Chroniken verzeichnen – von der Auftragsseite
gesehen – die Kosten bei bauhandwerkliehen und Landarbeiten
getrennt nach ?vlaterial, Lohn und Verpfiegung356 . Ebenso galten die Bestimmungen,
auf die sich die Westhoffsehen Angaben über den Verdienst
von Zimmerleuten und Gräbern im 1 5 . Jahrhundert beziehen, sowie die
351 Westhoff, S. 219 und Kerkhörde, S. 53.
352 Westhoff, S. 248.
353 Westhoff, S. 254 und 256; für die 1446 nach Werl entsandten Schützen gibt
Kerkhörde dagegen den täglichen Sold an – neben der Beköstigung (Kerkhörde,
s. 86f. ).
354 Westhoff, S. 311; zwar erwähnt Westhoff auch Kreditkäufe – allerdings nicht
mehr für die eigene Lebenszeit, sondern ebenfalls für das 15. Jahrhundert (S. 310) -,
aber weitere Erkenntnisse darüber, wer überhaupt als kreditwürdig galt, sind nicht
möglich.
355 Kerkhörde, S. 62.
356 Wassenberch, S. 221 und 250, sowie Westhoff, S. 407.
76
Lohntaxe des 16. Jahrhunderts, inklusive oder ohne Beköstigung357. Wa:r
im allgemeinen die Verpflegung der Handwerker im Hause des Auftraggebers
üblich, wozu in der Regel zwei Mahlzeiten gehörten358, so nahm
sich diese Art der Entlohnung für Orden und Klöster günstig aus, wenn
sie ihre Besitzungen an Land und Mühlen gegen die Abgabe von Naturalien
verpachtet hatten359. Die Regelung verweist weiter da:rauf, daß es
notwendig wa:r, die Arbeitsfähigkeit zu sichern. Indiz dafür ist die fast
gleichmäßig gesicherte Kost von fünf, mindestens aber vier Pfennigen im
frühen 16. Jahrhundert, deren Anteil am Gesamtlohn bei Knechten bzw.
schlechter bezahlter Arbeit stieg. Gut 30% behielt man für den bestbezahlten
Maurermeister in städtischer Anstellung ein. Gegenüber dem
40%igen Lohnabschlag des 1 5 . Jahrhunderts auch für einen „arbeitsman
als greber und dergleichen“ hatte sich aber der prozentuale Anteil des
Kostgeldes bei minderqualifizierter Arbeit auf 50% erhöht360•
I I. C . 1 .ac. BERUFLICHE DIFFERENZIERUNG
Weitgehende berufliche Differenzierung wird erkennba:r in der Lohntaxe,
die zusammen mit dem Münzvertrag zwischen Dortmund und den märkischen
Städten 1512 abgeschlossen und erlassen wurde. Zur Regelung
stand insbesondere die Bezahlung für den bauhandwerkliehen Arbeitsbereich
der Maurer, Steindachdecker, Zimmerleute, Sägenschneider, Lehmdecker,
\\.’egemacher, Lehmverputzer und Steinbrecher, außerdem der
Strohschneider und Teichgräber an; in der Landwirtschaft beschäftigte
Mistlader, Ackerknechte und Drescher gelten demgegenüber als „gemeine
arbeitslude“ mit geringerer Entlohnung361• Ansonsten sind die
357 Westhoff, S. 292, 294, 297 und 334.
358 E. Maschke, Die Unterschichten der mittelalterlichen Städte Deutschlands, in:
Gesellschaftliche Unterschichten in den südwestdeutschen Städten, hg. v. dems.fJ.
Sydow, Stuttgart 1967, S. 1 – 74, hier S. 33.
359 Wassenberch, S. 246 und 249.
360 Westhoff, S. 397, 294 und 297; mit einem Lohnabzug von 50% war aber wohl auch
eine Grenze erreicht, die man nicht überschritten sehen wollte; die in der Landwirtschaft
Beschäftigten sollten gemäß der Taxe bei einem Gesamtlohn von 8 Pfennigen
pro Tag Kost nur für 4 Pfennige erhalten (ebda., S. 397).
361 West hoff, S. 395; Sägenschneider waren Bauhandwerker ( J. Otte, S. 49); unter den
„Steinworten“ sind wohl Maurer zu verstehen, da diejenigen, die in den Steinbrüchen
arbeiteten, eigens aufgeführt werden.
77
chronikalischen Informationen über berufliche Differenzierung dürftig:
Erst einzeln hervortretende Handwerker bedürfen genauerer Kennzeichnung
etwa im Schmiedehandwerk so als Gold-, Kupfer- und Nagelschmiede,
während dieselben Handwerker in der Beschreibung politischen
Handeins nicht näher gekennzeichnet werden müssen362.
Waren aber die Arbeitsberechtigungen selber Gegenstand politischer
Konflikte, so werfen die Chroniken Schlaglichter auf Arbeitsabläufe
und -berechtigungen. Die Schuhmachergilde pochte bei dem Streit um
die Einführung freier Markttage 1450/51 auf ihr Vorrecht, Felle kaufen
sowie Leder, Schuhe und Trippen, also hölzerne Unterschuhe oder Sohlen,
verkaufen zu können. Bis zu diesem Zeitpunkt also profitierte sie
vom Zwischenhandel auch mit weiß Gegerbtem und Fellen. Die bereits
amtsmäßig organisierten Pelzer, die mit Alaun gerbten und feinere Felle
bearbeiteten, finden sich in dieser Auseinandersetzung dann auch auf
der Seite eher, die die freien Markttage befürwortete363. Teilweise konnten
sich die Schuhmacher durchsetzen, wenn auch weiterhin „gemachede
scho“ vom freien Verkauf ausgenommen blieben, wie dies noch Westhoff
aus den Gildenstatuten zitiert364•
Ausschließlich Frauen waren im frühen 16. Jahrhundert in der Spinnerei,
im Haushaltsbereich und als Erntemägde beschäftigt365. Weitere
362 Westhoff, S. 249, 347 und 401; L. v. Winterfeld nimmt etwa als Grund für die
Haltung der Schmiede in Sachen Markttage an, daß die Goldschmiede ihren Einfluß
geltend gemacht haben. obwohl diese auch schon eigens ‚amtsmä.ßig‘ organisiert waren
(L. v. Winterfeld, Wandschneider, S. 9).
363 Kerkhörde, S. 116; „Pelzer“ werden von Westhoff regelmäßig als Weißgerber bezeichnet
(Westhoff, S. 306 und 333); zum Verhältnis von Loh- und Weißgerbern s.
auch R. Sprandel, Die Handwerker in den nordwestdeutschen Städten des Spätmittelalters,
in: Hansische Geschichtsblätter, Jg. 86 (1968), S. 37 – 62, hier S. 40f.
364 Westhoff, S. 323.
365 Westhoff, S. 395; Das in der von Westhoff zitierten Lohntaxe angegebene Wort
„bendersche“ könnte auch als ‚Böttcherin‘ übersetzt werden, jedoch wäre ein ausschließlich
Frauen beschäftigendes Faßbinderhandwerk sehr ungewöhnlich, denn im
Böttchergewerbe waren normalerweisemehr Männer als Frauen beschäftigt (P. Ketsch,
Frauen im Mittelalter, Düsseldorf 1983, Bd. 1, S. 131), so daß man wohl davon ausgehen
kann, daß sich diese Besonderheit auch in den späteren Taxen niedergeschlagen
hätte. Im 17. Jahrhundert ist aber nurmehr von den ‚Frauen vom Jäten, Binden‘ die
Rede (A. Fahne, Statuarrecht und Rechtsalterthümer der freien Reichsstadt Dortmund,
Köln/Bonn 1855, S. 73ff.).
78
Aussagen über selbständige Frauenarbeit oder ihre Mitarbeit im Handwerk
des Ehemannes erlauben die Chroniken aber nicht: Die an Festlichkeiten
beteiligten ‚Schwestern‘ der Schmiedegilde könnten als die Ehefrauen
oder (auch) handwerklich selbständig arbeitende Frauen, z. B.
Witwen, gesehen werden366. Eine Krämerin, die auf dem Weg nach
Hohensyburg überfallen wurde, ist das einzige Beispiel, das über eine
Frau während gewerblicher Arbeit zur Mitte des 15. Jahrhunderts berichtet367.
Ebensowenig wie aber hieraus tatsächlich auf selbständige
Tätigkeit geschlossen werden kann, ist dies auch bei einer Schmiedin zu
entscheiden, deren Niederkunft mit Vierlingen 1451 offenbar Befremden
ausgelöst hatte368 .
Sichtbar und zumindest von Kerkhörde chronikalisch gewürdigt werden
die Frauen bei landwirtschaftlicher Arbeit und den damit verbundenen
Aufgaben. Damit ist nicht die häusliche Eigenwirtschaft gemeint,
für die ein erheblicher Umfang anzunehmen, aber nicht zu belegen ist, ob
sie vornehmlich einen weiblichen Arbeitsbereich darstellte369. Wie die
Landwehrhütung in Dortmund reine Frauenarbeit war, oblag es auch
anderen „megede und vrouwen“ , bei Gefahr von der Stadt aus das Vieh
einzuholen370. Im 15. Jahrhundert verbanden sich mit dieser Arbeit auch
allgemeine Aufsichtsbefugnisse, so daß selbst in Fehdezeiten die Frauen
die Feldmark auch während der Nacht überwachten371 . So sind in den
Frauen, die von den Märkern in der Großen Fehde angegriffen wurden –
366 Westhoff, S. 441.
367 Kerkhörde, S. 101.
368 Kerkhörde, S . 118.
369 Ohne Hinweise auf die ‚Produzenten‘ bringt die Westhoffsehe Chronik genauere
Angaben lediglich zum Bierbrauen in den Bürgerhäusern, das sowohl für den eigenen
Verbrauch wie für den Weiterverkauf hergestellt wurde (Westhoff, S. 337, 345, 347,
351 und 374); zwar liegen alle Erwähnungen vor der Lebenszeit des Chronisten, dessen
Augenmerk auf die Änderung der Biersorten wie auf die Auseinandersetzungen um
einen jeweils allgemeinverbindlichen Verkaufspreis gerichtet ist, aber im Hinblick auf
einen Brand vermerkt er beiläufig auch zum Jahr 1542 das Hausbrauen (ebda., S. 446).
37° Kerkhörde, S. 74: “ … makede de vrouwen gerochte in dem Borchholte; do lepen
de megede und vrouwen uet, und de ruter unde schutten de weren vor der poerten;
doch so vernam niemant nicht“; ebda., S . 105: “ … wart gerochte in den holte; men
sloech de klocken, de vrouwen haiden de koie in“; weitere Nennungen von Landwehrhüterinnen:
ebda., S. 81 und 98.
371 Kerkhörde, S. 98: „Des morgens seggeden de vrouwen, de de lantweer in dem
79
und zwar vielleicht durchaus aus ‚militärischen‘ Gründen -, woran Westhoff
die Schändlichkeit dieser Gegner darlegen will, ebenfalls Hüterinnen
zu sehen. die ihre Kinder zur Arbeit bei sich hatten3i2 . In Duisburg war
dagegen die Hütung auch Männerarbeit373.
Bei der beruflichen Differenzierung muß aber berücksichtigt bleiben,
daß die Bürger neben- und hauptberuflich landwirtschaftlich tätig waren,
wie etwa die Duisburger Rentmeister auch als Pächter der Vogelsweiden
erscheinen374, sowie außerdem im Handel aktiv wurden, so daß Landwirtschaft
und Handel in den durch sie gegebenen Arbeits-, aber auch
Lebensbedingungen zu betrachten sind.
II.C.l .ad. LANDWIRTSCHAFT
In Dortmund läßt sich die Bedeutung der Viehhaltung für die Bürgerschaft
sowohl aus einzelnen Auseinandersetzungen wie den Anklagen
reicher Wollenweber bei Verlust ihres Viehs als auch aus der Stellungnahme
der Bürgerschaft insgesamt zu Weidegeld und Eichelmast
ersehen375. Aufschlußreich ist in diesem Zusammenhang die schon angeführte
Anklage gegen den Dortmunder Grafen durch die Reichsleute
1436. Zwar ist es nicht als ungewöhnlich anzusehen, daß die Gilden und
Amter auch neben dem Rat eigens angesprochen wurden, wie es etwa
bei der Verständigung über die Grafschaft Dortmund deutlich wird376.
Bemerkenwert erscheint aber, daß der Graf nach Ausweis der Chronik
die Dortmunder Gilden und Erbsassen auf seiner Seite (!) zur Verhandlung
bat. Die Rechnung darauf, die in diesem Punkt latent vorhandenen
innerstädtischen Differenzen zwischen Bürgerschaft und Patriziern auszunutzen,
ging allerdings nicht auf, denn man kam allgemein zu dem
Schluß, wie Kerkhörde formuliert: „Und hedde de greve in dussen saken
velde beseen hadden, en duchte, dat lude weren bi der Ederlos warden“; andererseits
wurde die Bewachung aber auch eigens organisiert (ebda., S. 79).
372 Westhoff, S. 285; das soll nicht heißen, daß es nicht auch Angriffe auf die landarbeitenden
Städter gab, die mehr dem Ziel dienten, Angst und Schrecken zu verbreiten;
zu Kerkhördes Zeit fanden solchermaßen motivierte Attacken durchaus statt
(Kerkhörde, S. 84 und 72f.).
373 Wassenberch, S. 251.
374 Wassenberch, S. 209 und 213.
375 Kerkhörde, S . 38f.: sowie Westhoff, S. 289, 413, 430f. und 436.
376 Kerkhörde, S. 128.
80
willen hebben wrevel und onwillich gewest, so wolden unse borger hebben
gaen staen bi dei rikeslude; wante solke sake drepen de armen und
riken gelike.“377 Auch Wassenberch bezeugt mit der absolut sicher zu
hoch gegriffenen Zahl von 3000 Schweinen, die das Brandzeichen für den
Duisburger Wald erhalten haben sollten, welche Bedeutung der Schweinezucht
beigemessen wurde378 .
Auf direkt vom Besitzer genutzten oder zu Pacht vergebenen Feldern
innerhalb der Feldmark wurde intensive Dreifelderwirtschaft in Dortmund
erkennbar mit rationellen Mitteln betrieben. Ob es außerdem bei
Dortmund auch Fähdeland gab, wird aus den Chroniken nicht ersichtlich379.
Die Dortmunder bekämpften im 16. JaJuhundert nach Ausweis
der Westhoffsehen Chronik energisch alle Vorhaben zur Einhegung und
Privatisierung von Wiesen in der Grafschaft, so daß sie hier vielleicht
zusätzlich Weiderechte hatten380. Eindeutig ist zu erkennen, daß landwirtschaftliche
Beteiligung zu Kerkhördes Lebenszeit über die Stadtgrenzen
hinauswies: Im Zusammenhang mit Nachrichten über Fehdekämpfe
ist zu ersehen, daß Dortmunder Bürger an der Schäferei im Umland beteiligt
waren, ohne daß .eine räumliche Eingrenzung möglich wäre381 .
Versuche zur Erweiterung der landwirtschaftlichen Nutzfläche innerhalb
der Feldmark kennzeichnen neben den Bemühungen um einen
gewissermaßen ‚inneren Bodenausbau‘ das 16. Jahrhundert: Auf intensive
Düngung der städtischen Felder verweist der Westhoffsehe Vermerk
377 Kerkhörde, S. 57f.
378 Wassenberch, S. 221, 249.
379 Ihnen entsprachen effektive Methoden der Schädigung, die Kerkhörde im Zusammenhang
mit Fehdeverwicklungen erwähnt. Während ein regelrechtes „Korntreten“
noch in der Großen Fehde üblich wal‘ (Westhoff, S. 270), wurden zu Zeiten del‘ Soester
Fehde außerdem die Pferde aus den Pflügen gestohlen und auch deren Eisenteile
zerstört, wozu Kerkhörde versichert: „dat en was nu eer gehort“ (Kerkhörde, S. 78
sowie 85 und 101); über den Diebstahl ganzer Pflüge vor Wer!: ebda., S. 81. Für
Duisburg sind keine Rückschlüsse möglich.
380 Westhoff, S. 421, 439, 444 und 451.
381 Kerkhörde, S. 69: „Kraft Stecke, droste to Wetter, nam desgeliken unsen borgers
ere schape van den dorperen“; ebda., S. 82f.: „Dederich Wetter, Diederich Veihof
badden schape, daer solde en wulle van kommen Odelrici und was de nacht to Unna
( … ) De wulle averst vorg. haerde den schepers meestlik to, also dat unse borger an
der wullen baven 50 gulden schaden nicht en hadden.“ Schafzucht wurde aber auch
direkt von der Stadt aus betrieben ( ebda., S. 88).
8 1
über ein aufwendiges Suchen nach Salpetersäure innerhalb des Dortmunder
Stadtgebiets 1545382. In die gleiche Richtung deutet, daß \Vesthoff
die \\’iderstandskraft Dortmunds in der Großen Fehde unter anderem
danüt erklärt. daß es den Belagerten gelungen war, die Versorgung des
Viehs wie überhaupt die ::\’utzung der Feldmark sicherzustellen. icht als
historische Erklärung, sondern als beispielhaft für die eigene Zeit ist es zu
werten, wenn er wissen will, daß die Dortmunder „vurijrst ( … ) gewaer
(wurden) die grote nutticheit der stats runliggende weiden“ .383 Auch
wurden die Gärten an der Dortmunder Stadtmauer, in denen Kräuter
und Gemüse angepflanzt waren384, im 16. Jahrhundert bis auf die Befestigungsanlagen
selbst vorgeschoben: Von den Gärten am Westentor
berichtet er, als sie an die anderen niedergezogenen Wälle verlegt wurden385.
Allerdings waren sie auch schon vorher für die Ernährung ‚lebenswichtig‘,
besonders zu Fehdezeiten: Daß Angriffe aus den Wäldern erfolgten
und Fußvolk bis in die „Ostengärten“ kam, übernimmt Westhoff
schon aus den Vermerken offizieller Chronistik zur Großen Fehde386.
Wohl weil Kerkhörde den so Getroffenen selber kannte, ist zu erfahren,
daß sich die „Wetterschen“ bei einem Angriff an Langenbergs Häuschen
in dem Garten schadlos hielten, als sie kein Vieh vor den Toren fanden387.
Die Duisburger Chronik legt eine höhere Bedeutung des Obstanbaus
nahe: Wassenberch berichtet von der Obsternte, als sie 1516
ausblieb und ein Jahr darauf, als ein Frosteinbruch sie wiederum verdarb.
So sind es vielleicht auch Obstbäume in den Gärten, an denen der
Chronist Unwetterschäden notiert388.
382 Westhoff, S. 456.
383 Westhoff, S. 276.
384 Westhoff, S. 315: Schäden an dem „krude“ im Garten; ebda., S. 325: Gemüse
oder anderer Kohl aus dem Garten.
385 Westhoff, S. 457; der von ihm angegebene Grund, daß die Stadt ‚Geld an die
Gärten geben‘ müßte, bleibt im unklaren.
386 Westhoff, S. 261.
387 Kerkhörde, S. 79; Johan Langenberg war mit Kerkhörde zusammen Dreimann
der Sechsgilden ( ebda., S. 57).
388 Wassenberch, S. 197 und 251; auch archäologische Forschungen ergaben Anhaltspunkte
in dieser Richtung, ohne daß eine regelrechte Beweisführung möglich wäre
(K.-H. Knärzer, Mittelalterliche Pflanzenfunde unter dem Alten Markt, in: Duisburg
im Mittelalter, S. 78 – 87, hier S. 82).
82
Die von der Stadt aus betriebene Landwirtschaft galt den Zeitgenossen
weder als ackerbürgerlich noch als Ausweis von Provinzialität.
Sie war erste Grundlage für den Fortbestand der Stadt. Bemerkenswert
erscheint vor dem Hintergrund der skeptischen Haltung der Bürgerschaft
gegenüber den Mastberechtigungen der Reichsleute, daß Kerkhörde, der
sich in Wort und Tat auf der Seite der allmendeberechtigten Bürger befand.
eine gute Mast begrüßte und in ihrer Bedeutung schätzte, wie es
die Angabe der – sicher fiktiven – hohen Zahl verdeutlicht389. Gelang der
Stadt eine im Vergleich bessere Versorgung auch über den eigenen Bedarf
hinaus und konnte sie ausführen, rechnete man mit einem Einfluß und
acht begründenden Vorrang gegenüber anderen Städten. Als erhebliche
Roggeneinfuhr aus Dortmund 1446 die Versorgung des Münsterer
Stifts gewährleistete, gibt Kerkhörde zu bedenken: „De stat Monster
muste hebben kumm.er gehat, en hedde unse rogge gedaen. Nota: also
ast nu was in ener vede, hedde Dortmunde nenen roggen eren vianden
verkoft, se mosten hebben versmachtet to Wetter, Hagen sc.“390 Dies
muß sich nicht allein auf den von der Stadt aus betriebenen Anbau bezogen
haben. Denn die Städte standen in bezug auf landwirtschaftliche
Produkte wie gewerbliche Waren im Austausch mit dem Umland.
l i . C . l .ae. MARKT UND HANDEL
Die Dortmunder Wochenmärkte wurden vor allem von den Bauern der
Cmgebung besucht: Kerkhörde klagt zum Jahr 1445, daß die Klevischen
den ganzen Winter über an allen Markttagen die Straßen bewachten, auf
denen „de lude“ Hühner, Fische und Korn nach Dortmund hatten bringen
wollen391. Wie groß das Einzugsgebiet war, von dem aus vorwiegend
der Dortmunder Markt aufgesucht wurde, läßt sich auf der Grundlage
der Chroniken nicht sicher ermitteln. Zum Hungerjahr 1458 kamen Bauern
– „alle unse nabere“ , wie Kerkhörde schreibt – aus dem Umkreis von
drei bis vier Kilometern rund um die Stadt nach Dortmund, um dort
389 Kerkhörde, S. 65; absolut dürfte die Zahl zu hoch gegriffen sein; zumindest wurde
diese Größenordnung des Betriebs danach nie mehr erreicht (K. Rübel, Reichsleute,
S. 113f. Anm. 2); auch ist auffällig, daß der Chronist zweimal die gleiche Zahl „1100“
anbringt: Für diese Schweinemast ebenso wie für die Menge Roggen, die der alte
Ratsherr Muermann als seine Lösung um 1400 bereitstellte (Kerkhörde, S. 44).
39° Kerkhörde, S. 82.
391 Kerkhörde, S. 80.
83
Brot zu erbitten392. Daß während der Soester Fehde das wenige Kilometer
nördlich gelegene „gude dorp“ \Valtrop verbrannt wurde, galt den
Dortmundern beinahe als Angriff auf die eigene Stadt, den sie vergeblich
zu verhindern suchten393 . Für etwas weitere Entfernungen südlich der
Stadt läßt sich Kleinhandel belegen, weil eine „kremersche“ mit dem Ziel
Hohensyburg, wie schon erwähnt. Opfer eines Fehdeangriffs wurde394.
Einen Weg von 40 bis 50 Kilometern nahmen Bauern des Umlandes
in Kauf, als 1513 starker Frost die Wassermühlen unbrauchbar machte
und sie ihr Korn in Dortmund mahlen lassen wollten, wobei aber die
außergewöhnliche Situation den großen Einzugsbereich bedingt hat, wie
auch Westhoff mit der – vielleicht willkürlich gewählten – Wegstreckenangabe
deutlich zu machen versucht395.
Inwieweit die Landbevölkerung mindestens der näheren Umgebung
ihre Produktion auf den Dortmunder Markt abgestellt hatte, im Gegenzug
aber auch von dortigen Einkaufsmöglichkeiten abhängig war, belegt
eine Anordnung des Herzogs von Kleve-Mark aus dem Jahr 1543. Er gebot,
daß die märkischen Bauern Holz396 , Korn und Kohlen fortan nach
Hörde zum :\1arkt zu bringen hätten. Auch das Eisen, das Dortmund
aus dem Sauerland bezog und mit dem sich nach Westhoff Kaufleute
aus Coesfeld, Dülmen, Recklinghausen, Münster sowie aus Braunschweig
versorgten, sollte von nun an ausschließlich in Hörde zu erstehen sein.
Doch konnten die Bauern ihre Waren in Hörde entweder nicht absetzen
oder dort nicht die notwendigen Lebensmittel, „ire victalia butter,
keise, vleis und anders“ , kaufen397. Die Annahme, daß die Darstellung
Westhaffs als zutreffend angesehen werden kann, erhärtet sich durch die
Erfolglosigkeit der territorialen Politik: Nur zwei Monate konnte dieses
Gebot aufrecht erhalten werden, nachdem es pünktlich zur Reinoldi-
392 Kerkhörde, S. 136.
393 So ist es zumindest dem Wortlaut der Kerkhördschen Chronik zu entnehmen,
die einen Widerspruch sieht, weil die Bürger von Unna nicht zu den eigenen Feinden
gerechnet werden, diese aber dennoch das ganze Land zu vernichten drohten
(Kerkhörde, S. 97).
394 Kerkhörde, S. 101.
395 Westhoff, S. 399.
396 An anderer Stelle nennt Westhoff auch „Lippische speldern“, als das Brennholz
in Dortmund sehr günstig einzukaufen war (Westhoff, S. 326).
397 Westhoff, S. 446f.
84
Kermisse ausgerufen worden war. Daß andererseits aber auch gewerbliche
Arbeit in die Stadt geliefert wurde, deutet die Westhoffsehe Chronik
an, wobei hier vielleicht mit einer Besetzung bestimmter Handwerke zu
rechnen ist398.
Während der Soester Fehde waren die Dortmunder abgesehen von
einer Möglichkeit zum Mahlen des Getreides vor allem auf Milchprodulde
wie Butter und Käse aus den Nachbarstädten angewiesen: In Kamen
gelang die Versorgung 1447 nicht, so daß die Dortmunder – nur
für kurze Zeit unbehelligt – nach Lünen auswichen399. Vor allem diese
Produkte waren es denn auch, die Dortmund im frühen 1 5 . Jahrhundert
über den Fernhandel von den Deventer Märkten bezog: Ihre Preise notiert
Kerkhörde für Zwolle und Deventer, letzteres wurde regelmäßig von
den Dortmunder „koepluden“ aufgesucht. Lediglich 1429 erforderten die
politischen Auseinandersetzungen ein Ausweichen nach Vreden400. Unrechtmäßige
Fehdehandlungen stellen sich Kerkhörde im Berichtszeitraum
immerhin zweimal als Überfälle auf Deventer Einkäufe dar401.
Ob direkte Handelsverbindungen nach Haarlern bestanden, von wo wiederum
Preise genannt werden, müßte geprüft werden, denn zum Jahr
1464 heißt es in der Chronik Kerkhördes, daß der burgundische Herzog
in Holland Butter und Käse, „wat daer was“ , aufgekauft hatte, so daß
der Deventer Markt von dort aus nicht besucht wurde und die Beziehungen
vielleicht auch normalerweise über die Hansestadt Deventer vermittelt
waren402 . Ohne einen Hinweis auf die Waren bleibt der Vermerk
398 Zwei Kesselflicker werden im Zusammenhang mit dem Verrat 1506 – allerdings
als Brandstifter – genannt (Westhoff, S. 381); Kerzen verkauften auf dem Dortmunder
arkt die Bauernmägde, wie Westhoff im Rahmen der Geschichte zum besonders
gut geratenen Wein vermerkt (ebda., S. 438), wobei schon J . Otte auf das Fehlen neu
zuziehender Kerzenmacher im 13. und 14. Jahrhundert aufmerksam gemacht hat (J.
Otte, S. 45). Diese Aussage kann auf das 15. und 16. Jahrhundert (aufgrund der
Bürgerlisten) ausgedehnt werden (K. Rübe!, Die Bürgerlisten der Frei- und Reichsstadt
Dortmund, in: Beiträge, Bd. 1 2 (1903), S. 33 – 212 (u.a. mit einem Abdruck
des ‚liber civium‘, S. 37 – 67).
399 Kerkhörde, S. 98; diese Produkte verkauften die märkischen Städte ins münsterische
Stift, die Münsterer betrieben dagegen offenbar Viehhandel (ebda., S. 85 und
146); auch Baumöl (=Olivenöl) versuchte man in Lünen zu besorgen ( ebda., S. 98).
40° Kerkhörde, S. 36.
401 Kerkhörde, S. 69 und 140; auch rechtmäßig: ebda., S. 127.
402 Kerkhörde, S. 61 und 144.
85
darüber. daß den Weseiern 1455 verboten wurde, zu den Jahrmarktterminen
nach Dortmund zu kommen, womit man den Herzog von Kleve
zu treffen hoffte403. Selber handelten die Dortmund er mit Hering nach
:\·Ienden. 404.
Wie sich der Handel im 16. Jahrhundert in Dortmund entwickelte,
kann kaum auf Grundlage der Westhoffsehen Chronik bestimmt werden;
auch die Duisburger Chronik verschließt sich dieser Fragestellung.
Lediglich die Versorgung Dortmunds mit Eisen durch den Handel mit
Lübeck seit 1546 wird von Westhoff erwähnt, wobei vielleicht der Vermerk
zur Benutzung des Wasserwegs, „to water“, auf die Mengen hinweisen
soll405• Zur Beurteilung der Handelsentwicklung muß vor allem
problematisiert werden, daß Preis- und Erntenotierungen aus anderen
Sädten dann nicht als Hinweise für Handelsbeziehungen gewertet werden
können, wenn sie vor allem auf schriftliche Nachrichten anderer
Chroniken Bezug nehmen: So stimmt die Anzahl der Ernte- und Preisangaben
für den Kölner Markt in der Westhoffsehen Chronik mit der
Häufigkeit der zwischen den beiden Städten konstatierten historischen
Vergleichen überein und diese reißen mit dem Berichtsende der Koelhoffschen
Chronik ab406.
Den Städtern lag ein solcher vergleichender Blick auf die Lebensbedingungen
aber durchaus nicht fern: Von dem Jahr, in dem die Handelsbeziehungen
nach Lübeck verstärkt wurden, berichtet Westhoff auch
über die dortige Teuerung, daß man Brot in der Größe eines Hühnereis
zum Kauf anbot: “V…ie hebben irer ein gesehen und ouch gewegen binnen
Dortmund.“407 Die einzige (!) Angabe Kerkhördes zum Brotpreis
bezieht sich auf die Teuerungen in Holland 1438408 . Dies wirft ein Schlag-
403 Kerkhörde, S. 128; Den Handel Wesels mit den märkischen Städten belegt auch
das Verhalten der Dortmunder 1449, als sie T!ansporte mit Tuch, Bücklingen und Feigen
festhielten, die Händlern aus Wesel, Unna und Iserlohn gehörten (ebda., S. 111).
404 Kerkhörde, S. 80.
405 Westhoff, S. 457; denn immerhin mußte die Weser ja getreidelt werden, ob die
Benutzung des Wasserwegs eventuell andere Gründe gehabt haben könnte, war auch
durch Lektüre zum Thema nicht zu klären.
406 Westhoff, S. 220, 293, 311, 315, 328, 329 und 346, sowie ebda., S. 213, 266, 340,
343, 348 und 355f.
407 Westhoff, S. 457.
408 Kerkhörde, S. 61.
86
licht auf die Erweiterung des Horizonts aller Städter, auch wenn sie nicht
selber Handel betrieben; die Einsichten blieben aber an die Vergleichbarkeit
mit den eigenen Lebensbedingungen gebunden.
Was den Bereich der Ausfuhr angeht, so spricht für das Angebot
Dortmunder Roggens in den l\iederlanden im 15. Jahrhundert eine Notiz
Kerkhördes, die den Getreidepreis in Brügge nach Dortmunder Hohlmaß
angibt, wobei die Westhoffsehe Chronik davon unabhängig Ausfuhr dorthin
überliefert409. Auch solche Produkte konnten den umgekehrten Weg
gehen, was allerdings Begleiterscheinung von Teuerung und Mangel gewesen
zu sein scheint410. Auf die Einfuhr dieser Waren beschränkt sich
die von den Dortmunder Chronisten dargestellte Ausnahmesituation,
daß ’noch niemals irgendjemand so etwas erlebt habe‘: Die Erwartung
an Eigenversorgung ist demnach allenfalls auf Getreideprodukte einzuschränken.
II.C.l .b. ERNÄHRUNG
I!.C.l .ba. VERSORGUNG
!\icht erst in der vermittelten Bedeutung eines Hinweises auf den „Zustand
der Stadt vor Gott“411, sondern in sehr konkretem Sinn waren
Ernte- und Preisnotizen für die Chronisten Indikatoren der Lage der
Stadt. Dem lakonisch angemerkten „groeten verderflicken schade“, den
Wassenberch durch den Frost 1 5 1 7 angerichtet sieht412, entsprechen die
Kategorien des ‚großen Kummers‘ oder ‚großen Mangels‘, auf die die
409 Kerkhörde, S. 61 (die Notierung eines „dortmunts malter roggens“ bezieht sich
m.E. auf das Maß Dortmunder Herkunft); Westhoff, S. 311; inwieweit dies eine regelmäßige
Ausfuhr war, kann auf Grundlage der Chroniken nicht geklärt werden; vermutlich
wegen eigener Knappheit und Teuerung in Dortmund wurde einem Bürger
gemäß Westhoff die Ausfuhr von Roggen nach Brabant 1481 verboten (ebda., S. 346).
410 Westhoff, S. 359 und 436; Kerkhörde, S. 136 (Vermerk na.ch Westhoff B).
411 So H. Schmidt, S. 90; die hier vorliegenden Chroniken legen diesen Zusammenhang
nicht nahe; Wassenberch hat keine derartige Erwähnung und einer hier einzuordnenden
Bemerkung Kerkhördes, daß Gott auch Wind wehen ließ, als der klevische
Herzog den Dortmundern 1447 die Mahlmöglichkeit genommen hatte (Kerkhörde,
5. 100), entsprechen bei Westhoff zwei ähnliche Erwähnungen (Westhoff, S. 316 und
335) unter einer Vielzahl von Ernte- und Preisnotierungen.
412 Wassenberch, S. 251.
87
Dortmunder Chronisten zurückgreifen413. ?\1ag noch einzelnen Witterungserscheinungen
mit Auswirkungen auf Ernten und Preise besondere
Bedeutung beigemessen worden sein, wenn die Chronisten – allerdings in
wiederkehrenden ‚Formeln‘ – betonen, daß 1442 vom Getreide ‚·en was
nicht so vele verdorven bi menschen leven“ oder die Kälte 1458 „ouch in
menschen gedechtnusse nicht war oder jewerlde gehoert“414, so gehörten
Schwankungen in Versorgung und Ernährungssituation insgesamt durchaus
zum Alltag. Die Vielzahl dieser Wertungen zeigt aber, daß der Anspruch
auf eine gleichmäßige Versorgung gestiegen war. Tatsächlich versuchte
man in Dortmund vorzubeugen, etwa wenn beim Ausfall der vornehmlich
mit Wasserenergie betriebenen Getreidemühlen infolge großer
Kälte oder Hitze415 neben den Windmühlen als Ersatz auch Pferdemühlen,
die sich im engeren Stadtgebiet befanden, in Gang gesetzt, „gebrochen“
, v.’Urden416. Deren Kapazitäten waren aber wohl beschränkt,
da 1447 bei der Beschlaguahrnung Dortmunder Korns Kerkhörde erst
dann zu dem Schluß gelangt, „also dat men malens genoech hadde“ ,
als außerdem noch die Windmühlen betrieben werden konnten417. Eine
.Ä.nderung bis zur Lebenszeit Westhaffs ist nicht erkennbar, denn 1 5 1 3
war das Korn in den Roßmühlen lediglich scheffelweise zu mahlen und
1521 hatte man offenbar nur den Roggen verarbeitet, denn es war in
Dortmund kein Weißbrot zu bekommen418.
Immerhin mochten die Stadtbewohner somit seltener auf solch mangelhafte
Ernährung angewiesen sein als die Sauerländer 1513: Sie mußten
Roggen kochen, zerkleinern und dann abhacken, lautet dazu der Westhoffsche
Bericht419. Weiter war den Städtern eine relativ bessere Versorgung
gesichert, wenn die Obrigkeit für die Zufuhr von ‚Mangelware‘
Sorge trug. Den Verkauf von Salz, das auch zur Lebenszeit Westhaffs
413 Kerkhörde, S. 136 und Westhoff, S. 399.
414 Kerkbörde, S. 65; Westhoff, S. 325f.; weiter auch: Kerkhörde, S. 36, 136 und 137;
Westhoff, S. 309.
415 Kerkhörde, S. 100; Westhoff, S. 309, 357, 399 und 413.
416 Kerkhörde, S. 100; Westhoff, S. 413.
417 Kerkbörde, S. 100: „Do moste de schulte in dem h. Geeste malen in der nijen
rosmollen, und got leet oek wint wegen, also dat men malens genoech hadde.“
418 Westhoff, S. 399 und 413.
419 Westhoff, S. 399.
88
unverzichtbar für die Fleischkonservierung blieb420, bewachten 1485 vom
Rat benannte Aufsichtspersonen. Es war von Werl in großer Menge in
die Stadt eingeführt worden und wurde (fast) zur Hälfte des geltenden
?vfarktpreises angeboten, ohne daß die Obrigkeit damit gänzlich auf eigene
Verdienstmöglichkeiten verzichtet hätte, die vom Chronisten für
ebenso berichtenswert gehalten werden42 1 . Insofern mußte sich in den
Augen der Zeitgenossen nicht entgegenstehen, ob die Versorgungspolitik
der Durchsetzung von obrigkeitlicher Stellung der Stadtführung oder
vornehmlich dem Gemeinwohl dienen sollte, wie es heute kontrovers diskutiert
wird422. Als Maßstab für die Beurteilung der Stadtführung wird
sie auch im Bericht Kerkhördes erkennbar. Mit seinem Vorwurf an den
alten Rat, gegen den um 1400 die Sechsgilden ihre Beteiligung erwirkt
hatten, spielt er auf die ‚Versorgungspflicht‘ an: Während die Ratsmitglieder
opulent speisten, sei der Stadtknecht mit „Pustekuchen“-Teilen
im Beutel auf den Markt geschickt worden423 .
Allerdings konnten Eingriffe der Obrigkeit selber Verteuerung oder
Verknappung von Lebensmitteln bewirken: Setzte sie Höchstpreise erheblich
unter dem erzielbaren Marktpreis fest, wie zum Beispiel 1487
und 1491 in Dortmund, gelangten die teuren Waren gar nicht erst zum
Verkauf424. Ob besonders zu diesen Zeiten ein ‚Schwarzhandel‘ blühte,
ergibt sich nicht eindeutig aus den Chroniken. 1447 beschwert sich
Kerkhörde darüber, daß infolge gestiegener . achfrage in der Soester
Fehde teure Wiederverkäufe stattfanden, so daß zwar genug vorhanden
war, aber „vele umb gelt“ 425. Die zum Jahr 1436 von Westhoff
vermerkten Kreditkäufe426 boten vielleicht ebenfalls Möglichkeiten der
Cmgehung von Höchstpreisen, worauf es aber für seine Lebenszeit keine
weiteren Hinweise gibt. Neben einer Anderung der unter der Kontrolle
420 Westhoff, S. 418.
421 Westhoff, S . 348; auch Wassenberch ergänzt die Abschrift der Koelhoffschen Chi
nik an dieser Stelle um die Angaben zur Salzteuerung (Wassenberch, S . 259).
422 U. Dirlmeier, Untersuchungen zu Einkommensverhältnissen und Lebenshaltungskosten
in oberdeutschen Städten des Spätmittelalters, Heidelberg 1978, S. 39ff.
423 Kerkhörde, S. 42.
424 Westhoff, S . 315 und 355.
425 Kerkhörde, S. 94: “ … we !ller wat kofte, dat nemen ene dem andren voert wedder
und slogen daerto. vVijn, beer, broet SC des was genoech daer vele umb gelt.“
426 Westhoff, S. 310.
89
des Rats stehenden Maße427 trugen zur Verteuerung weiter die indirekte
Besteuerung des :\iehls durch die Mahlakzise, des Putterkorns sowie von
Bier und Wein bei. wie dies die Chroniken insbesondere bei Auseinandersetzungen
zwischen Rat und Bürgerschaft vermerken428.
I I . C . l .bb. AHRt::“GSMITTEL: PREISE Ul\D ZUBEREITUNG
L:mstritten waren die indirekten Steuern auch, weil vorzugsweise Grundnahrungsmittel
belastet wurden. Als solche können für Dortmund Brot
und Bier sicher angenommen werden. Im Hinblick auf Duisburg wäre
dagegen weiter zu prüfen, ob der Wein eine im Vergleich zu Dortmund
tatsächlich höhere Bedeutung hatte oder ob die besondere Aufmerksamkeit
Wassenberchs vielmehr auf die Beteiligung seines Ordens am
Weinanbau zurückgeht429 . Denn in beiden Städten wurde Wein angebaut,
wie an den Chroniken zu belegen ist: Die Bemerkungen des Duisburger
Chronisten über Frostschäden gehen ebenso auf konkrete Anschauung
zurück wie die diesbezüglichen Notizen Kerkhördes430. Deutlicher
noch weist der Westhoffsehe Text mit der Überlieferung der Preisbestimmung
für ‚Wein unter dem Eindruck der zu erwartenden Ernte
1545 auf den Sonderanbau hin431 . Als ein ausgesprochenes Luxusgetränk
427 Dem knappen Vermerk über ein ‚feststehendes Burgmaß‘ für Getreide ist nicht zu
entnehmen, ob und – wenn ja – welche Änderung damit durchgesetzt war (Kerkhörde,
S. 32): 1447 berichtet Kerkhörde genauer darüber, daß das „hupemate“ (=gehäuftes
:vfaß) abgeschafft v.’Ul’de und man ein für alle Komarten wohl gleich großes „strikemate“
(=abgestrichenes Maß) anzuwenden vereinbarte (ebda., S. 88), was auch
andernorts als eine Grundtendenz ausgemacht werden kann (H. Witthöft, Umrisse
einer historischen Metrologie zum Nutzen der wirtschafts- und sozialgeschichtlichen
Forschung, Bd. 1, Göttingen 1979, S. 32). Im 16. Jahrhundert taucht dagegen wieder
ein (gehäufter?) „guter Malter“ (Westhoff, S. 433) auf, ohne daß vorher von einer
Maßveränderung bei Westhoff die Rede gewesen wäre; für Duisburg bringt Wassenbereh
keine entsprechenden Angaben.
428 Wassenberch, S. 240, auch: 223, 248; Kerkhörde, S. 25 („voerder haveren“ =
Futterkorn?), 42, 45, 53, 111; Westhoff, S. 321 und 330.
429 Wassenberch, S. 210, 247, 251; zumindest der Duisburger Bürgermeister bezieht
sich auf das Schimpfen der Bürger beim Biertrinken in Gildenhäusern und Tavernen
(ebda., S. 238).
430 Wassenberch, S. 210, 247, 251 und Kerkhörde, S. 100.
431 Westhoff, S. 451: „Und dwijle dat die meiwein in guden floer und blouwen stont,
wort er uf Lamberti gesat up 20h.“ Wassenberch, S. 251: „cort dairnae doe dye wyn-
90
galt der Wein wohl in beiden Städten nicht. Zumindest an Festtagen
leistete man sich in breiten Bevölkerungsschichten Wein, wie die
Kerkhördsche Erwähnung des Weinpreises am Fastabend 1443 zeigt, deren
Menge von 20 Kannen aber tunliehst nicht auf den Konsum zu beziehen
ist, denn Umrechnungen der Warenmenge auf einen Gulden sind
nicht ungewöhnlich432. Aber einzelne eingeführte Weinsorten waren so
kostbar, daß sie als Geschenke an den klevischen Herzog namentlich ausgewiesen
werden433 . Für das 16. Jahrhundert demonstriert Westhoff die
außergewöhnlich gute Qualität des eigenen Weins mit der Schilderung,
daß selbst die Mägde der Bauern ihr ‚Kerzengeld‘ ins Weinhaus brachten434.
Alltägliches Getränk aber war das Bier. Mit dem Brot zusammen
nennt es Westhoff in Beispielen für die Grundversorgung, so in der
Großen Fehde, als die Dortmunder die Belagerung überstehen konnten,
weil sie genug Holz zu „irer vuringe to backen und brouwen“ hatten435.
Wassermangel wird von ihm nicht zuletzt als Verlust der Braumöglichkeit
dargestellt436. Weiter ist zwar ein direkter preislicher Vergleich zwischen
Wein und Bier auch für Dortmund nicht möglich, weil die Maße unbekannt
und zumindest unter diesem Gesichtspunkt die Preisangaben beider
Getränke nicht vergleichbar bleiben437 . Doch mu:ß als aussagekräftig
stocke vervroren waren, sloich der op ende galt 18 haller.“ Auch sonst finden sich
Hinweise über den Zusammenhang zwischen absehbarer Ernte und Preisgestaltung
(Westhoff, S. 315 und 359).
432 Kerkhörde, S. 65; S. 62: 12 Quarte Wein sowie in bezug auf Getreide; ebda., S. 67:
1 Malter sowie 10 Scheffel; sowie Westhoff, S. 298: 2 Malter für jeweils einen Gulden.
433 Westhoff, S. 327.
434 Westhoff, S. 438.
435 Westhoff, S. 277; dem Predigerorden sollte Anfang des 13. Jahrhunderts ebenso
kein „beer ader broet ader einiger spise“ gebracht werden ( ebda., S. 206).
436 Westhoff, S. 374, 459.
437 Weder Quarter- noch Tonnenmaße des Biers sind für Dortmund bekannt; nur an
einer Stelle gibt Westhoff „1 Fuder Bier von 8 Ohm“ anläßlich eines Geschenkes der
Stadt an den Grafen von Wied an (Westhoff, S. 401); lediglich vermutet werden kann,
in Analogie zu Maßgrößen aus Münster, daß auf 1 Faß 112 Quartermaße ausgeschenkt
wurden (P. Lenz, Die Entwicklung des Dortmunder Brauwesens, in: Beiträge, Bd. 33
(1926), S. 133 – 180, hier S. 140). Als Weinmalle dagegen sind bekannt: 1 Fuder =
6 Kölner Ohm, 1 Ohm = 150 1, ausgeschenkt wurden auf 1 Ohm 96 Maße mit ca.
1,5 1 (Quarter/Kannen) (K. Rübe!, Dortmunder Steuer- und Finanzwesen, S. 43 und
91
gelten, in welcher vom Rat gewiesenen Preisgröße Bier – im t: nterschied
zu Wein – zu kaufen war438 . Anstelle eines einzigen verbindlichen Preises
für Bier noch in den 80er Jahren des 15. Jahrhunderts von einem
bis anderthalb Pfennigen waren im 16. Jahrhundert verschiedene Preise
von einem bis vier Pfennigen für die Quart festgesetzt, worin sich auch
die Differenzierung des Biers in „die koet, als noch am hudigen dage, in
1548, vil gemein ist“ als wohl billigster und „edeln gruten“ als teurerer
Sorte zeigt439. Bier wurde also in verschiedenen Preislagen angeboten,
die denen des Brots vergleichbar waren, das in Dortmund bis 1531 als
Hellingbrot ausgegeben wurde und in der Folgezeit in kleinster Größe
als doppelt so teures ‚Pfennigbrot‘ zu erstehen war. Aus Weizenmehl
hergestellte „semeln“ wurden zur gleichen Zeit für zwei Pfennige angeboten440.
1539 wog das genauer bezeichnete „pennig roggebroet“ acht
Lot ( ca. 120 g)441.
Gewissermaßen „normgebend“ war hierbei der Roggen als Hauptbrotgetreide,
der zusammen mit dem \eizen als \Vintersaat angebaut
wurde. die relativ seltener als das Sommerkorn, Gerste und Hafer, von
G.E. Sollbach, S. 214, Anm. 252); Quarter und Kannen werden in den Dortmunder
Chroniken synonym gebraucht; vgl. dazu die verschiedenen Angaben, die aber ganz
offenbar die gleiche Schankgröße meinen (für Wein: Westhoff, S. 436, 438, 440; für
Bier: ebda., 5. 427, 436).
438 Die Preise für Wein erhöhten sich von 9 Pf. 1438, nur 6 Pf. 1443 (Kerk.hörde,
S. 62 und 65; Guldenkurs jeweils nach den chronikalischen Angaben für 1438, ebda.,
S. 61, für 1444, S. 67) auf 10, 14 und 15 Pf. in den 80er Jahren (Westhoff, S. 338, 342,
344, 357, 359f. und 361), um dann 1505 wieder auf 9 Pf. zu sinken (ebda., S. 377),
seit den 20er Jahren des 16. Jhdts. läßt sich ein kontinuierlicher Anstieg auf 18 Pf.
feststellen, in den 40er Jahren auf 28 u. 30 Pf. je Kanne/Quart ( ebda., S. 421, 426,
433, 436. 438, 440, 449, 451 und 458).
439 Gegenüber dem Grut- und Gerstenbier gewann „koet“ (=Dünnbier) i=er weitere
Verbreitung (Westhoff, S. 321 und 337), so daß sogar bei der Ratswahl seit
1544 Dünnbier ausgeschenkt wurde, was aber schon im darauffolgenden Jahr wieder
geändert wurde (ebda., S. 450); weiter zu prüfen wäre, ob in der von Westhoff dargestellten
stärkeren Verbreitung des Dünnbiers nicht lediglich eine größere Rolle nunmehr
auch für den Bierverkauf zu erkennen ist, denn schon 1472 wurde es zusätzlich
zu Gersten- und Grutbier gebraut (ebda., S. 337); nach den Angaben Westhoffs wurde
seit 1515 auch Hopfenbier gebraut ( ebda., S. 321) .
440 Westhoff, S . 427.
441 Westhoff, S. 427 und 435.
92
:\1ißernten betroffen war442. Die Bedeutung des Roggens für den von
Dortmund aus betriebenen Ackerbau443 ist auch im Zusammenhang mit
dem Brot als nicht substituierbarem Grundnahrungsmittel zu sehen.
Gab es kein Getreide oder war dieses zu teuer, wurden verschiedene
Arten von Kleien verbacken. Auch die Landbevölkerung bat Kerkhörde
zufolge im Hungerjahr 1458 um Brot444 . Der Rückgriff auf Suppen und
Breie, die aus dem teuren Weizen und den günstigeren Getreiden Ger-
442 Kerkhörde, S. 26, 30, 32 und 65; sowie Westhoff, S. 427; das Verhältnis von
Gersten- und Roggenpreis zueinander bietet zunächst ein verwirrendes Bild dauernder
.Ä.nderung, das sich aber aus einem Vergleich der Preisentwicklung erhellt: Die
Gerste vollzieht entweder Preisanstiege für Roggen nach oder geht diesen in gleicher
Höhe voraus {sämtliche Preisangaben der Westhoffsehen Chronik für das 16. Jhdt.);
Gerste wurde in Dortmund sowohl als Winter- wie Sommergetreide angebaut (Westhoff,
S. 335, 270, 316).
443 Zur Angabe Kerkhördes, daß in Notzeiten zur Hälfte Roggen angebaut wurde
(Kerkhörde, S. 129), paßt seine Beschränkung auf den Roggen zur Kennzeichnung
des Preisstandes insbesondere bei Teuerungen (ebda., S. 60, 61, 67, 130 und 137, neben
denen sieben ausführlichere Notierungen stehen); von Westhoff werden dagegen
in der Regel die Preise von Roggen und Gerste gleichermaßen genannt, doch kann
auch der Roggen als ‚preisvorgebend‘ dargestellt werden (Westhoff, S . 424) oder auch
überhaupt das „Korn“ sein (ebda., 5. 443: „dat korn galt den winter ( … ) 5ß, ouch
die gerste so vil“ ); interessanterweise geht auch die gute Ernte 1494 (von Westhoff
fälschlich zu 1495 berichtet) als der “Große Roggen“ in die mündliche Überlieferung
ein, wie der Chronist gegenüber der Vorlage des Reinold Kerkhörde ergänzt, die
mit gleicher Berechtigung ‚Billiger Weizen‘ hätte genannt werden können, denn der
Preis für Weizen entsprach ungewöhnlicherweise dem des Roggens ( ebda., S. 361), was
nur noch einmal im Berichtszeitraum infolge einer Teuerung 1539 auszumachen ist
(ebda., S. 435); ansonsten verhielt sich der Roggen- zum Weizenpreis wie 1:1,3(1,25)
bis 1:1,6(1,9), selten 1:2,5; in Duisburg: 1:2 (Wassenberch, S. 210); zusätzlich zu
berücksichtigen ist das unterschiedliche Schüttgewicht (Gewicht bei geschichteter
Masse) von Roggen (700 g/1) und Weizen (770 g/1). Auf einen überörtlichen Vergleich
der Preise wurde hier verzichtet, weil es zu viele ‚Unbekannte‘ gibt; neben
der Cmrechnung (1 Currentgulden zu 1507, zu dem Wassenberch genaue Preisangaben
bringt = 22 albus (ebda., S. 209) = 121 Pfennige (Westhoff, S. 393) bereitet die
Größe des Duisburger Scheffels Probleme: Eine Maßgleichheit zum Berliner Scheffel
von 54,96 1 ist anzunehmen, aber die Abelschen Reduktionsfaktoren passen nicht
bzw. führen auf Roggen angewandt bei den anderen Getreidearten in die Grenzwerte
überhaupt möglichen Schüttgewichts und umgekehrt ( Getreidegewichte für den Duisburger
Scheffel nach G. v. Roden, Geschichte der Stadt Duisburg, S. 342).
444 Westhoff, S. 355, 358 und 399; Kerkhörde, S. 136.
93
ste und Hafer zubereitet wurden445, ersetzte also das Brot nicht. Fällt
einerseits die Sortenvielfalt zumindest im 16. Jahrhundert auf, da Westhoff
sowohl „schonebroet“ bei einer größeren Ausfuhr nach Recklinghausen446
wie auch „wijtbroet“ erwähnt, als dieses nicht zu kaufen war447,
so verdienen daneben Unterschiede bei der Einkaufsgröße Beachtung.
Cnter den insgesamt verschwindend wenigen Angaben zu Brotpreisen
nennt Westhoff zum Teuerungsjahr 1539 auch den Preis eines sechspfündigen
Roggenbrots, das 12 Pfennig kostete und somit eine Ersparnis
von 50% gegenüber der gleichen Menge an Pfennigbroten (zu je acht Lot)
brachte448. Unter diesem Blickwinkel ist wohl auch die Notierung des
Preises für ein elfpfundiges Brot in Holland während einer solchermaßen
verdeutlichten Teuerung durch Kerkhörde zu sehen. Ob außerdem große
Brote im allgemeinen mit gröber ausgemahlenem Mehl gebacken wurden,
ist nicht zu entscheiden: Kerkhördes „grof broet van 1 1 punden“
kann sowohl ein ‚großes‘ wie auch ein ‚grobes‘ Brot bezeichnen, beides
war vielleicht schon miteinander verbunden449. Festhalten läßt sich für
die Zeit Westhoffs, daß die Ernährung um so günstiger wurde, je größer
die Anteile des Brots schon alleine durch die einzukaufenden Mengen
waren.
Fleisch und Fisch ergänzten die täglichen Mahlzeiten, wobei nicht
nur in der Variationsbreite450, sondern auch in Häufigkeit und Regelmäßigkeit
des Verzehrs dieser I\’ahrungsmittel soziale Unterschiede zum
445 H. Hundsbichler, Arbeit – !\’ahrung – Kleidung – Wohnen, in: Alltag im Spätmittelalter,
S. 189 – 270, hier S. 202′.
446 \Vesthoff, S. 370; „schonebrot“ ist wahrscheinlich Brot aus gesiebtem Roggenmehl
(grundsätzlich kann auch aus Weizenmehl gebackenes Brot gemeint sein, jedoch
spricht Westhoff im folgenden eigens von Weißbrot: ebda., S. 413).
44 7 Westhoff, S. 413.
448 Westhoff, S. 435; die gleiche Menge Pfennigbrote – unter Zugrundelegung von 32
Lot auf 1 Pfund – kostete 24 Pfennig; selbst wenn damit gerechnet wird, daß der
Angabe zum sechspfündigen Brot ein Preis vor der Verteuerung seit Pfingsten des
Jahres zugrundeliegt, während die Gewichtsangabe beim kleinen Roggenbrot schon
unter dem Eindruck des neuerlichen Anstiegs stand, bleibt unter Berücksichtigung
der Teuerung für Roggen von 100% (117 Pf.) auf 123% (144 Pf.) eine Ersparnis von
38,5% bestehen.
449 Kerkhörde, S. 61.
450 H. Hundsbichler, Arbeit – Nahrung – Kleidung – Wohnen, in: Alltag im Spätmittelalter,
S. 20lf.
94
Ausdruck kamen. Im 16. Jahrhundert scheint eine Bevorratung mit
‚·Speck“ , von ·westhoff synonym für Schweinefleisch gebraucht, in den
Bürgerhäusern selbstverständlich: Im Jahr 1547 flüchteten die Bauern
mit ihren Vorräten nach Dortmund und es gab kaum ein Haus an der
Brückstraße, in dem „es henge (hinge nicht) vul vrombdes speckes“ 451 .
Eine besonders gute Mast 1528 veranlaßt den Chronisten zu der Bemerkung,
daß „nicht alleine die rijchen sunder ouch die armen merklich
mit spek versorget worden“452. Ob bei der Fleischversorgung in Rechnung
zu stellen ist, daß eigene Schlachtung den Bedarf von besser gestellter
Bürgerschaft und Stadtadel sicherte und die Angewiesenheit auf
den Markt eher das Kennzeichen der Ernährungssituation der unteren
Schichten war453, ist auf Grundlage der Chroniken nicht zu entscheiden,
wenn auch die Widerstände gegen den Schweinetrieb der Reichsleute
darauf hindeuten, daß die Bürger nicht vorrangig an günstigen
:V1arktpreisen für Speck interessiert waren. Denn beim Ausfall der Eichelmast
wurden die Schweine mit Gerste gemästet, was Westhoff als
teure Variante angibt, die ihrerseits die Kornpreise in die Höhe schnellen
lassen konnte454. Allerdings war auch für die Städter der Mittel- und
Oberschicht selbst im 15. Jahrhundert455 der Fleischverzehr nach Regelmäßigkeit
und Menge eingeschränkt, woher der Vorwurf Kerkhördes
gegen den alten Rat rührt, der – im Verdacht stehend, städtische Gelder
veruntreut zu haben – sich immerfort von Wein, köstlichen Fischen und
Fleisch ernährt haben sollte456.
Vorbehaltlich möglicher Verzerrungen457 läßt sich für Dortmund ablesen,
daß das Verhältnis zwischen Roggen- und Speckpreis im 1 5 . und
451 Westhoff, S. 460 (H. v. m).
452 Westhoff, S. 424 (H. v. m.).
453 t:. Dirlmeier, Zum Problem von Versorgung und Verbrauch privater Haushalte
im Spätmittelalter, in: Haus und Familie in der spätmittelalterlichen Stadt, hg. v.
A. Haverkamp, Köln/Wien 1984, S. 257 – 288, hier S . 273f. und 276.
454 Westhoff, S. 440; gute Kornmast: ebda., S. 341.
455 Also zu einer Zeit, die gewöhnlich als ‚Agrardepression‘ gekennzeichnet wird (W.
Abel, Agrarkrisen und Agrarkonjunktur, Hamburg/Berlin 1966, S. 55ff.; U. Dirlmeier
(Untersuchung zu Einkommensverhältnissen und Lebenshaltungskosten in oberdeutschen
Städten des Spätmittelalters, Heidelberg 1978, passim) korrigiert dazu die implizierten
Vorstellungen von ‚Luxus‘, bestätigt aber den Trend.
456 Kerkhörde, S. 42.
457 Aussagen zur Preisentwicklung sind nur mit Vorbehalt zu machen: Neben der
95
16. Jahrhundert nahezu stabil blieb, obwohl sich das Hauptgetreide verteuerte:
458 In den Jahren relativ niedriger Getreidepreise – 1464, 1 496
und 1542 – kostete ein Pfund Speck ebensoviel wie ca. acht (zu 470 g)
gerechnete Pfund Roggen, während in den Jahren relativ hoher Roggenpreise.
1539 und 1544, etwa 5 1/2 Pfund den entsprechenden Gegenwert
erbrachten459. Auf die Verteuerung der Lebenshaltung (für die hier die
Seite der Löhne ja fehlt) weist indirekt die schon erwähnte Anweisung an
die Fleischhauer in den 40er Jahren hin, ihre Waren in Pfunden auszuwiegen;
auch wurden für das Wiegen des Korns nach dem Mahlen neue
obrigkeitlich kontrollierte Waagen eingerichtet460. Daß Teuerungen zu
Verminderungen der Verkaufsgrößen führte, wird auch in anderen Zusammenhängen
deutlich461 .
Vor allem die Art der Zubereitung begründete Qualitätsunterschiede
beim Fleisch:462 Während ein Braten sowie Schafskäse und Fisch den
möglichen Fehlerquote der Aufzeichnungen ist bei den Getreidepreisen zu beachten,
da.ß Westhoff sich auf Stadtbücher und andere Chroniken stützte; nicht immer ist
zu unterscheiden, wa.nn tatsächlich erzielte Preise oder obrigkeitliche Festlegungen
angegeben sind (vgl. z. B. Westhofi, S. 351); nicht zweifelsfrei ergibt sich auch, ob die
Speckpreise lediglich für den Großverkauf angegeben werden (ebda., S. 309: 1 Zentner
Speck 6 1/2 ß, da.s kleine Pfund 3 g.; ergäben auf 1 Zentner bei gleichem Preis 104
kleine Pfund, während nach den Angaben Witthöfts mit 112 Pfund Fleisch auf den
Zentner gerechnet werden muß (Witthöft, Umrisse, S. 101), da.nn würde der Preisunterschied
vom Pfund- zum Zentnerverkauf immerhin 1/2 ß betragen); zumindest
zum Ja.hr 1496 wird wiederum der Pfundpreis für Speck „am cintern“ (=am Zentner)
genannt (Westhoff, S. 362).
458 Allerdings mit dem Anstieg des Guldenkurses, und zwar seit Mitte der 20er Jahre
des 16. Jhdts., wo Roggen-, Weizen- und Gerstenpreise nach Teuerungen nicht mehr
auf da.s vorherige iveau zurückfanden; gegenläufig war nach Westhaffs Angaben seit
1540 allein die Preisentwicklung beim Hafer; ich habe darauf verzichtet, die Preise
auf einen – scheinbar – absoluten Maßstab, wie etwa den Silbergehalt, zu beziehen,
denn Annäherungen an die Kaufkraft des Geldes können doch nur Preisvergleiche
erlauben (hier zum hauptsächlich angebauten Roggen).
459 Kerkhörde, S. 143 und Westhoff, S. 362, 440, sowie 436 und 449; Zugrundegelegt
ist dabei eine Scheffelgröße von 39,741 (H. Witthöft, Maß und Markt am Hellweg, in:
Vergessene Zeiten, S. 129 – 134, hier S. 132), sowie ein Schüttgewicht von 700 g pro
Liter für Roggen. Daraus ergeben sich 27.818 kg oder 59 Pfund zu 470 g pro Scheffel.
460 Westhoff, S. 461, 439 und 444f.
461 Westhofi, S. 213, 461 (auch 342).
462 Offenbar gleichermaßen bei Geflügel: Aus einem Volkslied zur Niederlage des
96
Gildenvorgängern auf dem Pfingstfest zustanden463, berichtet Kerkhörde
entschuldigend von der Verpflegung der Kölner 1445, daß man an allen
Fleischtagen (also außer freitags und samstags) genug lieferte: „Dusse
kost dede men alle meestlik met gekochtem vleesche, und men gaf allemanne
genoech und reedlicken“ 464. Bei der überraschenden mitternächtlichen
Ankunft des Dortmunder Grafen mit Fußvolk und Reitern kurz
zuvor hatte man ebenfalls „kovleesch genoech, broet, beer, we dat halen
und koken wolde“ gegeben465.
Abgesehen von den heimischen „montvysschen“ , wie Wassenberch
sie nennt466, wurden Heringe, Bücklinge, Stockfische und „seespeck“ angeboten467.
Daß der Stellenwert dieser Lebensmittel zur Fastenzeit stieg,
versteht sich von selbst. Im 16. Jahrhundert betraf dies aber auch die
Milchprodukte: Westhoff übernimmt von Reinold Kerkhörde aus einer
Preisnotierung zu ‚Mitvasten‘ 1504, daß Butter und Käse wegen der Bedänischen
Königs gegenüber den Dithmarscher Bauern 1500 zitiert Wassenberch als
Beute auch „drij wagen mit honren, die men braeden soulde“ , wobei das Lied insgesamt
der Verhöhnung des angreifenden Adels dient (Wassenberch, S. 200); Gänse
wurden seit 1507 auf dem Hugenturm gebraten (ebda., S. 212), womit wahrscheinlich
auch ein Fest bezeichnet wird, das Ausstattung oder Ort gewechselt hatte (?) und
mit der Ratswahl (10./15. August) in Zusammenhang stehen könnte (die Nachricht
ist in den Text ohne weitere Hinweise eingefügt).
463 Kerkhörde, S. 65.
464 Kerkhörde, S. 77.
465 Kerkhörde, S. 77 und 94.
466 Wassenberch, S. 251.
467 Westhoff notiert häufig den Preis für Hering. seltener auch für Bückling (West hoff,
325, 347, 361, 362, 378, 400, 433 und 440); Wassenberch bringt Preise für Hering und
Bückling (Wassenberch, S. 261 ); demgegenüber werden ein Salm, Hechte und Karpfen
in der Duisburger Chronik als Geschenke an den klevischen Herzog eigens aufgeführt
(ebda., S. 222); der wohl schon zu dieser Zeit sehr seltene Stör wurde der Herzogin
1510 nach Düsseldorf gebracht (ebda., S. 223); „seespeck“ ist im Vergleich sehr
teuer: es handelte sich wohl um Walfieisch, denn Westhoff verändert die Angabe des
„meerspeck“, die seine Vorlage hatte, und die sich ableitet von „meerswin“ (Delphin)
(Westhoff, S. 361); beim angegebenen „roetscher“ (Stockfisch) zu 14ß (Westhoff, S.
449) ist nicht zu ersehen, welche Größe gemeint ist (zwischen Einzelstück und Tonne
gab es etwa auch „verdel“ (?), wie Westhoff für den Bücklingspreis angibt: ebda.,
S. 361 ); darüberhinaus ist Teichzüchtung für Dortmund erwähnt (Kerkhörde, S. 65;
Westhoff, S. 325 ); Duisburg hatte Fischrechte an Rhein und Ruhr (Wassenberch, S . 83,
143).
97
Iagerung Arnheims durch 1aximilian erheblich teurer wurden468. Auch
im 15. Jahrhundert aber war diese Versorgung so wichtig, daß man die
\Varen trotz der Soester Fehde, wie schon erwähnt. aus Kamen zu holen
versuchte469. \Vas aber die Ernährung im Hinblick auf das tägliche Essen
der Städter angeht, sind Aussagen aus den Chroniken nur eingeschränkt,
nämlich vor allem für die Ernährungssituation, zu gewinnen: Gemüse,
:’\üsse, Obst sowie Öle und Gewürze werden bei Preisnotierungen oder
bei Schilderungen von Wetterschäden ebenfalls genannt, so daß wenigstens
indirekt auf die Vielfalt und Abwechslung des täglichen Speiseplans
geschlossen werden kann 4 70.
Als einzige Quelle erlauben die Chroniken in diesem Zusammenhang
einen beschränkten Zugriff auf die Gründe für die Wertschätzung
bestimmter Zubereitungsarten wie des Bratens. Werden festtägliches
Essen und ‚otlösungen‘ verglichen, zeigt sich, daß es beim Vorzug der
Zubereitungsarten um die innere Festigkeit der Speisen ging. ‚Pustekuchen‘
meint wohl ein auseinanderfallendes Brot oder Gebäck, was
Kerkhörde als gänzlich mangelhafte Ernährung ansieht, und dem aus
gekochten zerkleinerten Körnern gebackenen Brot, mit dem Westhoff die
468 Westhoff. S. 374; auf die Geldernkriege ist wohl auch zurückzuführen, daß sich der
Preis von Butter seit 1496 relativ zum Roggen erhöhte: 1 Pfund Butter entsprachen
5 bis 11 zu 470 g gerechnete Pfund Roggen (Jahre relativ niedriger Getreidepreise
zeichnete aus, wie extrem 1464 und 1493, daß einem Pfund Butter an Gegenwert
16 und 29 Pfund Roggen entsprachen); seit Ende des 15. Jahrhunderts befindet sich
der Butterpreis in der Regel auf einem Niveau von 9 bis 16 ( 1514: 21) Pfund Roggen
(Kerkhörde, S. 143; sowie Westhoff, S. 343, 345, 357, 358, 359f., 360, 361, 362,
372, 37i, 3i8, 388, 400, 429, 436, 440, 450, 457, 458 und 460); bei den Preisen für
Käse ist gleiches nicht auszumachen, was vielleicht von einer Differenzierung der Sorten
aufgefangen worden sein könnte; Westhoff bringt Preise für günstigen „cantert“
(in Kantenstücken zu kaufender oder weißer Käse?) (ebda., S. 345, 436, 440, 443,
450 und 458), ebenfalls günstigen „vreiskes“ Käse (friesischer Käse) (ebda., S . 399),
teuren Handkäse (?) (ebda., S. 399, 429, 436, 440, 450, 457) sowie Textkäse (?)
(ebda., S. 450); Kerkhörde nennt dagegen nur einmal ausdrücklich „quader hoikese“
(=schlechter Heukäse) (Kerkhörde, S. 61); Wassenberch bringt keine vergleichbaren
Angaben.
469 Kerkhörde, S. 98.
470 Wassenberch, S. 210 (Rübsaat, Erbsen und Wicken); Westhoff, S. 359f., 362, 368,
372, 377, 388 (Erbsen), 446 (Rüben), 315, 335 (Wetterschäden am Gemüse), 359
(Kohl aus dem Garten), 359 (Äpfel, Nüsse, Beeren), 372 (Walnüsse); Wassenberch,
S. 251 (:\“üsse, Kirschen, Pflaumen, Äpfel).
98
:v1angelversorgung der Sauerländer veranschaulicht, ebenfalls die Konsistenz
fehlte. Möchte man von hier aus umgekehrt auf einen großen Anteil
eher weicher, breiartiger Speisen in der täglichen Ernährung schließen,
so findet dies zumindest indirekt eine Bestätigung durch die Ergebnisse
der Auswertung von Kochbüchern. Denn entgegen den heutigen
Eßgewohnheiten muß etwa bei den Hülsenfrüchten betont werden, daß
sie nicht als Frischgemüse, sondern vermahlen und zu Brei verarbeitet
gegessen wurden471. Vorteilhaft war hierbei die Möglichkeit, diese Waren
ganz ähnlich dem Korn trocken lagern zu können.
II.C.l .c. WOHNEN UND MOBILITÄT
I I . C . l .ca. WOHNEN, IN’NERSTÄDTISCHE MOBILITÄT
UND NACHBARSCHAFT
In Dortmund nutzten die Städter „balken“ und „honen“, wie die Dachgeschosse
der Häuser bezeichnet wurden, als Vorratsspeicher. Kerkhörde
erwähnt dies im Zusammenhang mit Bränden, bei denen wohl das Haus
insgesamt gelöscht und ein weiteres Ausgreifen des Feuers, nicht aber
die Beschädigung des Korns „op dem balken“ verhindert werden konnte:
:\1öglicherweise hat neben der Feuergefährdung durch Dachdeckungen
etwa mit Holz, Stroh und Lehm die trockene Lagerung dazu geführt, daß
ein einmal ausgebrochener Brand schwerer einzudämmen war4 72 • Ganz
selbstverständlich stammen auch für Westhoff die verkohlten Kornreste
des Hauses am Westenhellweg, die man nach dem Einsturz des Gebäudes
zur Lebenszeit des Chronisten fand, vom Großen Stadtbrand, der dort
angehoben haben sollte473• Erstaunen mag dagegen, daß Speck ebenfalls
auf dem Dachboden gelagert wurde474 . Kühle Kellerlagerung war
vielleicht nicht vorteilhafter, weil die Keller zu feucht waren. Das kann
471 l:. Willerding, Ernährung, Gartenbau und Landwirtschaft im Bereich der Stadt,
in: Stadt im Wandel, Bd. 3, S. 569 – 605, hier S. 574; in Dortmund wurden Wicken
auf dem Feld angebaut (Westhoff, S. 335), wie dies aber auch für Hülsenfrüchte sowie
Rüben anzunehmen ist.
472 Kerkhörde, S. 39, 138 und 139.
473 Weizen, Roggen und Gerste waren mannstief in großen Mengen an der Hausstelle
„ten Hoveden“ gefunden worden (Westhoff, S. 192).
474 Westhoff, S. 376.
99
für ganze Stadtteile des Nordens angenommen werden: Kerkhörde berichtet
zu 1435 sogar davon, daß das Kockelke-Tor nach einem besonders
starken Regenfall geöffnet werden mußte475.
Inwieweit die funktionale Gebundenheit der Häuser als Zeichen sozialer
Differenzierung angesehen wurde476, kann nur allgemein erörtert
werden. So ist als Grund für die Giebelständigkeit, die ein Kennzeichen
der Dortmunder Bürgerhäuser war, neben der optimalen Nutzung
der rechteckigen Parzellen, die quer zur Straßenseite hin lagen, eine
leichtere Beladung der „honen“ anzunehmen. Ob daher gegenüber den
traufständigen kleinen Häusern, die in Dortmund auf den hinteren Strassen
sowie an den Kirchhöfen standen477, die Stellung des Giebels zur
Straße als Zeichen von Selbständigkeit auch unabhängig von der konkreten
Nutzung aufgefaßt wurde, kann auf Grundlage der Chroniken
nicht entschieden werden. In Duisburg müssen andere, nicht weiter erschließbare
Maßstäbe gegolten haben, denn der Corputius-Plan, entstanden
um 1565/66, läßt erkennen, daß die Häuser ohne Regelmäßigkeit
sowohl giebel- wie traufständig gebaut waren478. In beiden Städten ist
davon auszugehen, daß das Bauen in Form von sog. ‚Dielenhäusem‘
mit Satteldächern überwog, bei denen die ebenerdige, hohe Diele sowohl
Wohn- wie Schlaf- und Arbeitsraum war und sich dort auch die Kochstelle
über offenem Feuer befand4 79.
Wenig ist über die Innenausstattung zu erfahren: Betten, Kisten
und Kaste!l werden von Westhoff erwähnt, als die Anwohner an Reinoldi
und Brückstraße sie 1536 beim Blitzeinschlag an der Kirche zu retten versuchten480
; „scheppen“ mit Küchengeräten, also Wirtschaftsschränke,
verrutschten bei einem Erdbeben 1504, und zu 1394 ergänzt Westhoff
entsprechend seine Vorlage481. Ausdrücklich berichtet Kerkhörde dagegen
über ein Haus auf dem Ostenhellweg, als es „gewehrt“ werden
4 75 Kerkhörde, S. 54; z. B. auch „waters up der straten“ 144 7 ( ebda., S. 100) sowie
ein Vermerk, den Westhoff der Reimchronik des Reinold Kerkhörde entlehnt, daß alle
Keller 1491 unter Wasser standen (Westhoff, S. 355).
476 E. Isenmann, S. 54.
477 Th. Spohn, S. 20ff. sowie die Rekonstruktion Scholles.
478 G. v. Roden, Duisburg 1566.
479 E. Isenmann, S. 51.
480 Westhoff, S. 433.
481 Westhoff, S. 288 und 376.
100
konnte, daß dieses einen „lernen heert“ hatte482. Aus den Chroniken ergibt
sich keine ·räumliche Differenzierung – weder in Vorderhaus, wo die
Diele einen multifunktionalen Raum mit Schlafplätzen für das Gesinde
darstellte, und Hinterhaus mit Saal als Wohn- und Schlafstelle für den
Hausherrn und die engere Familie483, noch in der Abtrennung von Stuben
oder Kammern. Aber ersichtlich wird, daß sich sogar Ställe für das
Großvieh innerhalb des Hauses befinden konnten, ohne daß dies als ungewöhnlich
registriert würde: “ . . . in Reinolt Bokers hues uf die hilde (Ort
über den Viehställen) int stro“ war bereits beim Duvenetter-Verrat 1506
eine Lunte gelegt worden484. Kleinvieh dagegen wurde vor dem Haus auf
der Straße gehalten, wie sich an der beiläufigen Erwähnung Kerkhördes
zur Sonnenfinsternis 1427 ergibt485. Von einem einzelnen Wirtschaftsgebäude
ist dagegen nur im Zusammenhang mit Unwetterschäden an
einem Heuspeicher auf dem städtischen Schuttenhof bei Kerkhörde die
Rede486.
Als eigenes ‚Thema‘ rückt die Nachbarschaft in das Blickfeld der
Chronisten, wird aber nicht allein auf innerstädtische Nachbarschaft bezogen.
Als die Dortmunder 1458 der klevischen Herzogin eine silberne
Kanne schenkten, sollte sie ihren Gemahl auch um gute Nachbarschaft
zu den Dortmundern angehen487. Innerstädtisch gründeten nachbarschaftliche
Verbindungen auf gegenseitige Angewiesenheit und gemeinsame
Finanzierungen: \Vährend 1545 die „naber umher, der ungeveerlich
12 ader 13″ am arkt das Ausheben eines Ziehbrunnens, für den die
Stadt lediglich die Krone bereitstellte, übernahmen, weil der zur Jahrhundertwende
angelegte Teich mit Springbrunnen versiegt war, weigerte
sich “die Brückstraße“ 1446, einen Weg vor den Grundstücken herzurichten
und hatte damit Erfolg – der Weg wurde aus den Zollgeldern
482 Kerkhörde, S. 139.
483 Th. Spohn, S. 51!.
484 Westhoff, S. 387.
485 Kerkhörde, S. 41: „sonder de eerste was so duester, dat de hoenere lepen in die
huse, die lude verschreckeden … “
486 Kerkhörde, S. 51.
487 Kerkhörde, S. 137: „naber“ konnten auch die Bauern der Grafschaft Dortmund
sowie die märkischen Städte sein ( ebda., S. 136, 104).
101
bezahlt -, was für eine gemeinschaftliche Ablehnung spricht, wie auch
die Wortwahl Kerkhördes nahelegt488.
Eine besondere Anhindung an die nähere Wohngegend wird weiter
erkennbar, wenn zu Kerkhördes Zeit als Verschärfung der Strafe gegen
die alten patrizischen Ratsherren galt, daß sie gefangengesetzt worden
waren „so twe tosarnen und so twe tosamen, die nicht bisunder bevronden
tosarnen weren, und op toeme, daer se veme van wonden“489. Ob
die Nachbarschaft noch durch Verwandtschaft verstärkt wurde, wenn
Mitglieder einer Familie versuchten, nebeneinander oder doch nahe beieinander
zu wohnen, läßt sich auf Grundlage der Chroniken nicht bestimmen.
Straßenbezeichnungen oder die aus Berechtigungen erkennbare
besondere Beziehung der Schmiede zur Osterbauerschaft könnten auch
auf ältere beruflich-nachbarschaftliehe Zusammenhänge zurückgehen, die
zur Lebenszeit der Chronisten schon nicht mehr aktuell waren490. Inwieweit
mit der ::’\achbarschaft auch soziale Kontrolle verbunden war
oder ob und wie entstehende Konflikte geschlichtet wurden, läßt sieb
aus den Chroniken nicht ermitteln. Dennoch ist von einer geringeren
Öffentlichkeit des Hauses auszugehen, so wenn Kerkhörde ausdrücklieb
mitteilt, er habe mit Johan von Hovel über das Monatsgeld für Pferdehaltung
„uppe dem huse“ gestritten, was dieser ohne Erfolg vor Rat und
Dreimann zur Anzeige brachte491 . Daß „een naher nicht en dorfte toseggen
op den andren“ , wie es für die Dortmunder in der Soester Fehde
gegenüber den märkischen Städten handlungsleitend wurde492, mochte
auch innerhalb der Stadt Geltung beanspruchen: Wenn die Bürgerschaft
dem Bürgermeister Albert Klepping die Löschhilfe verweigerte, verweist
das auch auf die ’normale‘ Abhängigkeit untereinander493. Von dieser
:\‘ acbbarschaft waren die Bettler und Armen, die in einem Kellerraum
wohnten oder auch nur eine Schlafstelle in einem Haus gefunden
hatten, ausgeschlossen. Zumindest nach Meinung Westboffs sollten sie
nicht mehr „uf den straten langes die huser lopen ader vur den ker-
488 Westhoff, S. 417 und 454; sowie Kerkhörde, S. 87.
489 Kerkhörde, S. 43.
490 Die Kockelke hieß auch ‚Linemeesterstrate‘; die Schmiede hatten das Recht, im
August die Fischteiche der Osterbauerschaft auszufischen (Westhoff, S. 311, 441f.).
491 Kerkhörde, S. 96f.
492 Kerkhörde, S . 104.
493 Westhoff, S. 320.
102
ken sitten“, was aber wiederum noch keine Aussagen über die Sicht der
·außerhäusigen Armen‘ selber zuläßt, die hier durchaus nach eigenem
Verständnis oder gemäß obrigkeitlicher Duldung ‚Plätze‘ gehabt haben
könnten494.
Schlaglichter werfen die Chroniken auf die innerstädtische :Mobilität:
Kerkhörde nennt bei Bränden an den Häusern „Krevete“ und „Hulschede“
ausdrücklich die derzeitigen Bewohner495. Wenn dem Bewohner
des Gadems im Besitz des Hildebrant Roden, einem Holzschuhmacher,
die Verursachung eines Brandes unterstellt wird, bei dem das Haus
‚·oben“ abbrannte496 , so ist damit wohl lediglich die Vermietung eines
Obergeschosses bezeichnet. Eine Untervermietung ohne abgeschlossene
eigene Wohneinheit ist dagegen im Zusammenhang mit der Erzählung
über den Duvenetter-Verrat zu erkennen: Einer der Beteiligten, Jo
han Timmermann, hatte sich in Dortmund bei einer Witwe, der schon
erwähnten „Schutteschen “ , eingemietet497. Vielleicht sind zusätzlich
noch erzieherische Aufgaben mit der Aufnahme der Dortmunder Grafentochter
verbunden gewesen, die mit dem Sohn Cracht Steckens verheiratet
werden sollte und zuvor in Dortmund bei der Witwe Henxtenberg
und deren Tochter 1455/56 „in kost“ lebte498.
I l . C . l .cb. REISEN, MOBILITÄT UN’D UMSIEDLUNG
Von dauerhaften Umsiedlungen in andere Städte ist aus den Chroniken
gelegentlich zu erfahren: Der Dillsburger Stadtschreiber Jan Algert
etwa wechselte 1 5 10 nach Wesel und erhielt dort den Titel des „bacularius“
der kaiserlichen Rechte499. Ob die Durchsetzung eigener Rechte
durch eine Cmsiedlung erschwert werden konnte, ist zu erörtern: Erst
nachdem die Ehefrau des in Fehdekämpfen 1448 gestorbenen Bernd von
494 Westhoff, S. 420; dazu auch F. Irsigler JA. Lassotta, S. 17 – 68.
495 Kerkhörde, S. 139: es brannten „dat hues to Hulschede, daer nu Grubbe inne
wonede, item dat hues to dem Krevete, daer nu Budde inne wonede“; ebda., S. 43
ist dagegen ein Besitzerwechsel beim Haus Everts von Werl erkennbar, „dat na den
tiden tohoerde heer Sergius Henxtenberge“.
496 Kerkhörde, S. 138.
497 Westhoff, S. 378.
498 Kerkhörde, S. 128.
499 Wassenberch, S. 223.
103
Witten aus der Stadt gezogen war, machte sie geltend, daß die Dortmunder
die Pferde ihres Mannes zu ersetzen hätten500. Als Evert Wistrates
Sohn, an dessen Vater die Stadt eine Leibrente verkauft hatte, die
längst fällige Rente 1443 einfordern wollte, verwiesen Rat und Bürgervertretungen
auf die Freisprechung von diesen Forderungen, wie man
sie vor 1400 unter Beteiligung seines Vaters „mank andern burgern“
vereinbart hatte: Evert mußte zwar im folgenden von seiner ‚Ansprache‘
zurücktreten, aber vielleicht verbirgt sich hinter dem prompt erfolgenden
Verkauf einer neuen Leibrente an ihn, den Hansen anmerkt, eine ‚Abmachung‘,
der der Stadt das Beharren auf der Rechtsposition erlaubte
und den Sohn des ehemaligen Dortmunder Bürgers zu seinem Geld kommen
ließ501. Andererseits mußte eine vmsiedlung nicht den Abbruch der
Verbindungen bedeuten: So wie der Stadtschreiber Algert mit dem Duisburger
Chronisten in Kontakt blieb502, beabsichtigten auch die beiden
Duisburger Johann van Düsseldorf und Georg Tack, die vielleicht Handelsgeschäfte
nach Köln geführt hatten, wo sie gemäß Wassenberch im
Besitz des Bürgerrechts waren, ihre Beziehungen zur Heimatstadt aufrecht
zu erhalten. Mit bemerkenswert großen Stiftungen, die sie der
Marienkirche in Duisburg zukommen ließen, investierten sie weiter in
Ansehen und Stellung in ihrer Geburtsstadt503.
Ihrem Alltag entkamen die Städter, wenn sie zu Pilgerorten aufbrachen.
Von der alle sieben Jahre stattfindenden Aachener Heiltumszeigung
berichtet Kerkhörde 1426. Vermutlich zogen die Städter gemeinsam
aus, denn der Chronist leitet seine Aufzählung der ‚geschauten‘
Reliquien mit den Worten ein: „Do gengen wi tosamen to Aken.“504 Die
Beschreibung der Wallfahrt zum Hulperberg bei Lemgo durch Westhoff
läßt ebenso annehmen, daß die Städter gemeinsam aufbrachen, wenn-
50° Kerkhörde, S. 107f.
501 Kerkhörde, S. 46ff. (auch Anm. von Hansen, ebda.).
502 Sicher war der Chronist gut mit ihm bekannt, wie er wahrscheinlich auch durch
die Aufrechterhaltung dieses Kontakts Informationen über die Ereignisse in Wesel im
folgenden erhielt, das mit dem Herzog um einen Wagenzoll im Streit lag, worüber
Wassenberch sich sehr gut unterrichtet zgt (Wassenberch, S. 233 und 246); vor dem
Datum der Übersiedlung gibt es keine Nachrichten über Wesel, wobei von der bloßen
Nennung 1502 abzusehen ist (ebda., S. 202).
503 Wassenberch, S. 196, 200 und 207.
504 Kerkhörde, S. 34.
104
gleich auch nicht in einem regelrechten Prozessionszug: “ . . . gaen noch
uet Dortmunde kort vur Pinxsten eine grote vilheit der pilgrim, de up
Pinxstavent darselvest up dem berge ir betfart doen“ 505. Selbst als Westhoff
zeigen wollte, daß Dortmunder Bürger und Bürgerinnen 1 5 1 3 „ungehuer
mit schrijen und weinen oen mitnemmende kost ader spise to Regensburg
( . . . ) ungestumich gelopen“ sein sollen, nennt er einen Termin
für den Aufbruch506 . Durch eine gemeinschaftliche Fahrt ließen sich die
Gefahren einer Reise, z. B. Überfälle durch Wegelagerer, vermindem507;
Flußüberquerungen mochten je nach Wasserstand zusätzlich ein Problem
darstellen, wie Kerkhörde anläßtich von Fehdekämpfen erwähnt508. Dagegen
ist der Chronist mit seiner Schwiegertochter 1462 wohl allein nach
Biomberg gefahren, wohin zwei Jahre zuvor eine rege Wallfahrtstätigkeit
eingesetzt hatte509.
Die Aussicht auf Veränderung des Gesichtskreises mag die Dortmunder
Knechte bewogen haben, sich zum Kreuzzug 1464 zu melden.
„Allerhande wilt volk“ , bemerkt Kerkhörde verärgert, sei zur „reise in
heidenschop“ aufgebrochen, worunter sich nach seinen Angaben Schuh-,
Schmiede- und Bauknechte befanden, die nicht einen Heller besaßen und
von der Stadt eigens ausgerüstet werden mußten510. Dabei steht die
Bezifferung der Teilnehmer aus Dortmund im Widerspruch zu seiner
\�/ertung, daß “alle de werelt was beweget“511. Die Vielfalt der Reisemöglichkeiten
mit Wallfahrten, Botenreisen und geschäftlichen oder
städtischen Unternehmungen aber stand nur der Oberschicht offen512.
Kerkhörde selbst kam zu solchen Anlässen allerdings kaum über die Grafschaftsgrenzen
hinaus: 1446 wurde er zur Unterredung mit Johann von
Gemen nach Lünen geschickt513.
505 Westhoff, S. 180.
506 Westhoff, S. 398 (dazu auch II.C.2.d).
507 Wassenberch, S. 209, Westhoff, S. 414.
508 Man band Leiterwagen aneinander, um Flüsse überwinden zu können – nicht
immer erfolgreich (Kerkhörde, S. 50, 64).
509 Kerkhörde, S . 140; dazu auch: A. Schröer, Kirche in Westfalen, S. 292!.
51° Kerkhörde, S. 144.
5 1 1 Ebda.
512 H. Kühne!, Mobile Menschen, in: Alltag im Spätmittelalter, S. 119.
513 Kerkhörde, S. 82.
105
Il.C.2. GEMEI:\’SCHAFT, GESELLIGKEIT UND REPRÄSENTATION
ll.C.2.a. RELIGIÖSES LEBE
In Gefahrensituationen erwarteten die Städter von Prozessionen unmittelbare
Hilfe: 1 499 veranstalteten die beiden Duisburger Pfarrkirchen
gemeinsam einen Umgang mit Reliquien und Heiligenbildern zur Kuhstraße,
wo ein verheerender Brand wütete514. Von einem Brand hinter
dem Dortmunder Katharinenkloster 1 5 1 5 weiß Westhoff zu berichten,
daß das Feuer als „ein gehorsam element“ auf diese Weise eingedämmt
werden konnte515. Auch vor der Pest und anderen Seuchen suchte man
Hilfe in Umgängen.516. Meist schon in einiger zeitlicher Entfernung von
der bedrohlichen Situation selbst dagegen ordnete auch der Rat Prozessionen
an, wenn die Stadt angegriffen worden war und ihrerseits Dank für
den göttlichen Schutz schuldete, zum anderen aber schon in der Rettung
selbst das Zeichen für die Segnung des Gemeinwesens erkennen wollte.
So erklärt Westhoff, Gott habe „seine Dortmuntsche“ vor der Brandstiftung
1506 behüten wollen517. Alljährlich sollte man sich mit einem
Prozessionszug am Sonntag nach Johannis Baptisten Enthauptung daran
erinnern, Gott danken und sich weiter seines Schutzes versichert fühlen
können, „wante hie weet, wat nodich, eer hier darumb gebeden wird“518.
Ahnlieh hatte man zum Beispiel auch auf die als existentiell erlebte Bedrohung
durch den Verrat Gobelen Krachts reagiert, der jährlich am
3. Februar gedacht wurde519, sowie – in Duisburg nicht anders – auf ei-
514 Wassenberch, S. 199.
515 Westhoff, S. 402 sowie 326 über den Brand an der Brüc.kstraße, von dem der
Zeitgenosse Kerkhörde ebenfalls – allerdings ohne den Vermerk über eine Prozession
– berichtet (Kerkhörde, S. 138).
516 Westhoff, S. 425; Kerkhörde, S. 118 (Erg. nach Westhoff B).
517 Westhoff, S. 381f.
518 Westhoff, S. 387!.; die entsprechenden Umgänge fanden folglich zwischen dem 30.
August und dem 5. September statt.
519 Kerkhörde, S. 136 und Westhoff, S. 316; auf das Scheitern des Verrats der Agnes
von der Vierhecke sollten die Prozessionen am Sonntag nach Michael, also zwischen
dem 30.9. und 6.10., erinnern (Westhoff, S. 242); auf die überstandene Belagerung
durch Engelbert III. von der Mark 1352 bezogen sich die Umgänge am Montag nach
dem vierten Fastensonntag, also in der Zeit vom 2. März bis 5. April (ebda., S. 216).
106
nen mißglückten Überfall des Kölner Erzbischofs 1345, den ein jährlicher
l:mzug am 12. März ins Gedächtnis rief520.
Die Vielzahl von Prozessionsterminen521 mahnte einerseits an die
grundsätzliche Gefährdung der Stadt, andererseits machte sie sinnfällig
und erlebbar, was das Gemeinwesen dem entgegenzusetzen hatte522. Sowohl
städtische Ordnung wie Gemeinschaft stellte sich in der Ordnung
der Prozessionen dar, die sich als von Gott gesegnet zeigten und bei denen
man die Heiligen vielleicht direkt präsent glaubte. Ordens- wie Weltgeistlichkeit
waren dabei in die städtische Gemeinschaft integriert523, der
einzelne Städter erhielt seinen Platz durch die Zugehörigkeit zu Korporationen
und Ständen oder fand ihn im Publikum. Streng in Wegen und
Terminen festgelegt524, wurde in den religiösen Umgängen die städtische
Ordnung repräsentiert. 1496 kam es unter den Gesellen und Knechten
der Sechsgilden und Ämter zu heftigen Auseinandersetzungen um die
Positionen bei den Heiligenprozessionen, die, so heißt es in der Westhaffsehen
Chronik, eine Schlägerei zur Entscheidung darüber vor den
Toren der Stadt verabredeten. Das Ringen um die Positionen fand also
außerhalb der eigentlichen Festlichkeiten statt525.
Bei den Prozessionen selbst stand die gemeinschaftsstiftende Wir-
520 Wassenberch, S. 256 (Zusätze zur Abschrift der Koelhoffschen Chronik).
521 Bei der Erwähnung Wassenberchs zur erstmaligen Benutzung der Treppe an der
Salvatorkirche 1 5 1 2 handelt es sich um die Pfingstprozession (Wassenberch, S. 233);
nach Fronleichnam datieren zwar die Chronisten, Umgänge werden aber nicht erkennbar;
weitere Erwähnungen von Prozessionen: ebda., S. 248 und 258 (Erg. zu
Koelhoff); Kerkhörde, S. 83 und 105; Westhoff, S. 216, 242, 316, 385, 387f., 430 und
457. Für Dortmund ergibt sich so schon eine Zahl von acht – sicher unterschiedlich
bedeutsamen – l,;mgängen, wobei keine Züge zu hohen Festen vermerkt werden und
solche zur Einholung von Ablässen ebenfalls hinzuzurechnen wären (Hansen merkt
zusätzlich noch vier weitere Umgänge an: Kerk.hörde, S. 119f. Anm. 6). Ob allerdings
die Zahl der Umzüge auch absolut anstieg, ist auf Grundlage der Chroniken
nicht zu beurteilen, denn möglich wäre, daß alte Feste von neuen überlagert wurden
oder ihnen allmählich wichen – die Chroniken geben darüber keine Auskunft .
522 H.-D. Heimann, Städtische Feste und Feiern – Manifestationen der Sakralgemeinschaft
im gesellschaftlichen Wandel, in: Vergessene Zeiten, S. 1 7 1 – 176, hier S. 172.
523 Besonders wird dies von Kerk.hörde unterstrichen zur Prozession anläßlich des
Kracht-Verrats (Kerk.hörde, S. 136).
524 Westhoff, S. 373 und 387f.
525 Westhoff, S. 363.
107
kung im Vordergrund. „Sogar Kerkhörde läßt seine Beschreibungen der
gemeinsamen Bußübungen zum Jubiläwnsablaß 1450, der 1452 in Dortmund
verkündet wurde, in der Feststellung gipfeln: „De lude in desser
stat gengen gemeenlicken umme de kerken 24 dage, menne, vrouwen,
preester, alle mit groter innicheit“526. Dabei kann von ihm nicht behauptet
werden, eine bewußt eindrucksvolle Darstellung des religiösen
Lebens in der Stadt beabsichtigt zu haben. Zwar ist er nicht schon selber
zu denen zu rechnen, die nicht „gelike wal to vreden“ waren, wie
er es von den Franziskaner-Observanten immerhin berichtet527, Kritik
klingt bei ihm im einzelnen aber durchaus an528• Im Unterschied zu
Westhoff, der ausführlich Beispiele der rettenden Fürsprache und des
Schutzes durch den Heiligen Reinold erzählt529, verzichtet Kerk.hörde
auf solche Verweise auch, als sie nahegelegen hätten: Während der Prozession
zu Peter und Paul entdeckten die Dortmunder 1446 die Vorbereitung
eines feindlichen Angriffs530. Was Kerkhörde 1452 beeindruckt,
ist wohl die Einigung der Bürgerschaft nach ihrer Spaltung infolge der
Einführung freier Markttage im Jahr zuvor, so daß wie für diese gemeinsamen
Bußübungen auch für die regelmäßigen Umgänge anzunehmen
ist, daß sie die Ursprungssituation zwar in Erinnerung rufen konnten,
daneben aber auch für ‚Aktualisierungen‘ offen waren531 .
Zelebriert wurden Prozessionen mit der Umtragung der Reliquien
und Heiligenbilder, der Mitführung brennender Kerzen durch die Teilnehmenden,
Kirchengesang, Fasten und häufig Spendengaben an die Armen.
So schildert Kerkhörde die Prozession anläßlich der Abwendung
des Verrats 1457: „Op Blasii sank men hier in allen kerken van den patronen
und genk to St. Renolde; men de preester las de 8 psalmen mit
526 Kerkhörde, S . 120.
527 Kerkhörde, S. 131.
528 Kerkhörde, S . 6 1 : Über die Gelder des Basler Ablasses, den 1438 ein Augustiner
nach Dortmund brachte, vermerkt er, daß das „gelt wort unnutlicken verdaen“, was
natürlich keine Kritik im Grundsatz darstellt.
529 Z.B. zur Errettung der Stadt vor dem märkischen Überfall durch Engelbert, bei
der eine ‚Engelsstimme‘ sogar einem offensichtlich begriffsstutzigen Stadtwächter die
Warnung nahebringt (Westhoff, S. 215f.).
53° Kerkhörde, S. 105.
531 Westhoff z. B. hat keine Kenntnis mehr von der Entstehung der Prozession am
Blasius-Tag (Westhoff, S. 316), wie er über die Vorgänge zum Verrat des Gobelen
Kracht nicht näher informiert scheint (ebda., S.461).
108
der letaniae und sungen „Media Vita“ ; al dat volk lach op eren kneien
mit den preestren. Do droech men dat h. sacramente met dem hiligedomme
umme den kerkhof, preester und dat volk drogen bernende
lechte, und men sank misse de Saneta Trinitate, men sank Salve Regina
na der misse, und vastede to enen male und dankede gode, dat he unse
stat behodet hadde vor der verrederije . . . „532.
Wurde zu diesem Zeitpunkt der Reinoldi-Kirchhof umschritten, wie
es auch Westhoff zum Jahr 1443 bezeugt, als er vom Ausfall der Prozession
wegen zu starken Schneefalls berichtet533, so gab es daneben ebenso
regelmäßige Umgänge, die die Kirchspiele innerhalb und außerhalb der
Stadt einbezogen: Jährlich am 29. Juni veranstalteten die Dortmunder,
„als man pleget“, den Zug um die Stadt534, so daß als Grund für die
Notiz Westhoffs über einen Flurumgang 1546 dessen Verlegung auf den
2. Juli anzunehmen ist535. Ob hierbei auch eine direkte Segnung einzelner
Häuser stattfand, wäre weiter zu prüfen, denn Kerkhörde vermerkt
nur äußerst knapp, daß man am Markustag den Heiligen Reinold in alle
Häuser trug536.
Aus unterschiedlichen Anlässen finden in den Dortmunder Chroniken
auch Umzüge in die weitere Umgebung Erwähnung, so zur Brakeler
Messe, zum Wulferich, nach Hohensyburg und nach Altenlünen537.
Während ungünstige Witterung eine Verschiebung erzwingen konnte538,
brachte die Erwartung feindlicher Angriffe die Bürgerschaft nicht
532 Kerkhörde, S. 136.
533 Westhoff, S. 316.
534 Kerkhörde, S. 105.
535 Westhoff, S. 457; aus der Chronik ergibt sich kein Grund für den Vermerk.
536 Vielleicht durch das Aufstellen gesegneter Kerzen (?, Kerkhörde, S. 118); dabei
handelte es sich wohl um die Prozession nach Hohensyburg, die Westhoff erwähnt
(S. 193).
537 Datierungen mit Hilfe der ‚Brakelermesse‘ bei Kerkhörde (S. 48, 84, 107); Umzüge
dahin sind erwähnt bei Westhoff (S. 310, 369 und 430); Prozession nach Hohensyburg
(ebda., S. 193); Prozession nach Altenlünen (Westhoff, S. 379); Wassenberch
bringt für Duisburg keine diesbezüglichen Angaben, wie auch für Dortmund nicht
der Anspruch auf Vollständigkeit erhoben werden kann, weil sich Erwähnungen auch
lediglich aus der zeitlichen Übereinstimmung mit besonderen Ereignissen ergeben
(z. B. ebda., S. 379).
538 Allerdings spendete und sang man Messen gerade auch bei Unwettern (Kerkhörde,
s. 55).
109
zu einer Verlegung der Prozessionen. Im Gegenteil: Als Manifestation
dessen, was es gerade zu verteidigen galt, ist die Prozession um den
Reinoldi-Kirchhof am 28. Juli 1446 in Dortmund zu verstehen, die man
„gewapender hant“ ging539. Selbstredend hielt das aber die Dortmunder
nicht davon ab, die ‚Gunst‘ der Messezeit am Katharinen-Tag 1457
dafür zu nutzen, Godeken Merseil in Hörde zu belangen, obwohl normalerweise
wohl die gesamte Bürgerschaft am Tag der Patronin des Katharinenklosters
dort die Messe besuchte, wie Westhoff für die eigene Zeit
vermerkt540.
Sakrales und Profanes waren auch im täglichen Leben eng verknüpfte
Bereiche, sorgte die Kirche doch für Vermittlung und Kommunikation
in konkretem Sinn: Daß der einzelne Städter die Kirchenglocken als zugleich
städtische und kirchliche Signale hörte und verstand, war überlebenswichtig.
Sie riefen die Bürger zum Angriff, konnten vor einem
Überfall warnen oder wurden „tegen dat weder na goeder gewoende“
eingesetzt, wobei man vielleicht gleichzeitig schon göttliche Hilfe beschwören
wollte, wie es der Wortlaut nahelegt. Die tägliche Bewachung
des städtischen Umlands vom Kirchturm aus verbürgte neben der
Gewährleistung guter Sicht auch die Nähe zu Gott541 . Täglicher und
festlicher Glockenschlag unterlagen dabei offenbar der innerstädtischen
Abstimmung542, unterschieden wurde nach Größe der Glocke und Häufigkeit
des Schlags543.
In welchen Bereichen sich während und durch die Reformation im
städtischen religiösen Leben Veränderungen durchsetzten, kann kaum
539 Kerkhörde, S. 83: „Op St. Pantaleonis dach droech men St. Renolts hillichdom
gewapender hant umme den kerkhof, wante alle de borger weren gewapent und
waerden to, den junker Johanne van Cleve in dat velt to kommen.“
54° Kerkhörde, S. 133 und Westhoff, S . 390.
541 Kerkhörde, S. 97, 101 und 105; Westhoff, S. 240; Glockenschlag über die Dortmunder:
Westhoff, S. 332 und Kerkhörde, S. 106. Vom „Sturmläuten“ ist bei Wassenberch
1506 zu erfahren, weil die Glocken zerbarsten und der Schaden für die Marienkirche
somit beträchtlich war (Wassenberch, S. 208); die Bewachung des Umlands vermerkt
Westhoff (S. 215f. und 324).
542 Westhoff, S. 390; nicht ganz deutlich wird aus der Westhoffsehen Darstellung zum
Glockenschlag an Nicolai, ob darin eine obrigkeitliche Verfügung zum Ausdruck kommen
sollte; der Ausdruck „afkomen“ (=loskommen v. etwas) läßt dies aber annehmen
(vgl. dazu auch den Vermerk über die Hochzeitsfeste, Westhoff, S. 400f.).
543 Westhoff, S. 341 und 391.
1 10
auf Grundlage der Westhoffsehen Chronik geklärt werden. Dürfte die
altgläubige Haltung des Chronisten, die in der Ablehnung der Reformation
als dem „nigen handel“ kulrniniert544, mit dazu beigetragen haben,
daß er wenige Nachrichten über die reformatorische Bewegung bringt,
so trifft dennoch seine Darstellung eines Fortschreitens der Reformation
weitgehend auf einem „langfristigen“ Weg durchaus die Dortmunder
Verhältnisse545. Der Tatsache, daß Westhoff zugleich aber schon
resignierte und das Thema ‚Reformation‘ meiden wollte, ist anzulasten,
daß er nicht den Blick – und wenn auch nur einen subjektiven – darauf
frei gibt, wie es im täglis:;hen Leben gelang, die Einführung der Reformation
zu verzögern: Vom Rat verordnete Bittmessen, Prozessionen und
begrenzte Versuche gewaltsamer Einführung der Reformation stehen im
Berichteten unverbunden nebeneinander546. Vielleicht tatsächlich im
Gegensatz zu den städtischen Umgangsformen nimmt Westhoff wahr,
daß der Pilgerzug zum Hulperberg bei Lemgo seit 1 5 1 8 „underwegen“
viel Hohn und Spott von den „Luterschen“ zu ertragen hatte, wie er
formuliert, also zu einer regelrechten ‚Demonstration‘ des eigenen Glaubens
geraten war547. Aber auch innerhalb der Stadt müssen reformatorische
Glaubensinhalte schon viele Anhänger gefunden haben, als 1527
der Rat auf ein eindeutiges Bekenntnis der Sechsgilden zum alten Glauben
drängte: „Einkoppig“ sprachen sich diese für die Reformation aus;
die wenigen Altgläubigen kann der Chronist namentlich aufführen548 .
Ebenso venvandten sich die Dreimann für die Reinoldi-Gemeinde, als
diese bei einer Versammlung vor dem Rathaus mit Johan Boker, dem
Rektor der ‚Großen Schule‘, und Hermann Stockum vermutlich der Reformation
aufl$.eschlossene Kandidaten für die Pfarrerstelle verlangte549.
Einzig in der Anderung der Beurteilung von Armut und Bettel zeichnet
sich in der Haltung Westhoffs eine Änderung ab: Noch nebeneinander
befinden sich die positive Sicht der Armenspenden und die Begrüßung
544 Westhoff, S. 422; hierbei findet sich auch in direkter Gegenüberstellung zur Reformation
eine Darstellung der Hilfe durch die Heiligen (ebda., S. 402).
545 H. Schilling, S. 164.
546 Westhoff, S. 425, 430, 453.
54 7 Westhoff, S. 180.
548 Westhoff, S. 422.
549 Westhoff, S. 452f.
1 1 1
der Augsburger Politik, die sich vornahm, die Bettler aus dem Stadtbild
zu verbannen550.
Der ‚Zurückhaltung‘ der Reformation in Dortmund mochte auch die
Anhindung des ‚religiösen‘ an das ‚profane‘ Leben dienlich gewesen sein,
wenn den religiösen Bezugspunkten auch wirtschaftliche Bedeutung zukam.
Der hohe Stellenwert der Kermissen läßt sich in der Erzählung
über einen vormals jüdischen Arzt erkennen. Westhoff will diesen schon
in ein schlechtes Licht stellen, indem er darauf verweist, daß der Tauftermin
1540 auf den Sonntag Exaudi gelegt worden war, zu dem die
Kirchweihfeste des Reinoldi-Chors und des Minderbrüderklosters stattfanden,
wo „vil volks, dwile it ein vrij kermisse ist, ut villen landschaften,
steden, dorpern darselvest tosamen komt“551 . Hinweise, daß sich
den Prozessionen und Feierlichkeiten zu hohen Kirchenfesten gänzlich
profane Vergnügungen anschlossen552, bestätigen sich, wie bereits angeführt,
durch die Westhoffsehe Chronik in bezug auf die Kermissen553 .
Vielleicht sind ähnliche Belustigungen auch nach den Mysterienspielen
üblich gewesen, die von Westhoff seit dem späten 1 5 . Jahrhundert jeweils
für den Beginn der Fastenzeit genannt werden und von den Bürgern auf
dem Marktplatz aufgeführt und offenbar auch ausgestattet wurden554.
Die Inszenierung des Jüngsten Gerichts 1513 ebenso wie die Tragödien
und Komödien, die zu Westhoffs Zeit von Rektoren und Schülern der
‚Großen Schule‘ auf Latein vorgetragen wurden, taten ihre Wirkung wohl
durch die Aufwendigkeit der Aufführungen555. Auf dem Rathaus wurden
sie 1544 noch einmal eigens für die Ratsherren gespielt556.
550 Positiv betrachtet werden Armenspenden von ihm durchaus noch, was sich allein
schon an der Angabe einer genauen Zahl der beköstigten Armen zeigt (Westhoff,
S. 358, 388, 453; zu Augsburg: ebda., S. 420).
551 Westhoff, S. 437.
552 J. Heers, Vom Mummenschanz zum Machttheater – Europäische Festkultur im
Mittelalter, Frankfurt/M. 1986, S. 76ff.
553 Westhoff leitet seine Schilderungen zur Brakeler Messe 1467 damit ein, daß es
dort „wie gemeenlich leider iom meisten deil up den kermissen“ zuging, wo gewürfelt,
getrunken und ‚Unzucht getrieben‘ wurde, so daß sich an einer Schlägerei der Streit
zwischen den Märkern und Dortmundern entzündete (Westhoff, S. 331f.).
554 Westhoff, S. 364, 372, 377, 398, 449, 450 und 456.
555 Westhoff, S. 450.
556 Westhoff, S. 449.
112
l l. C . 2 . b. GESELLIGKEIT UND „GELACH“
Häufig stellten aber auch politische Beratungen, Wahlen und Empfänge
Anlässe für Geselligkeit dar, denn für sie war das gemeinsame Mahl
oder Trinken unverzichtbar. Die Ratswahl in Dortmund etwa schloß
ein Festessen der Wahlmänner sowie derjenigen, die die Dreimann benannten,
ab, das auf dem Lohaus gereicht wurde557. Im Hause eines
Bürgermeisters dagegen legte der Duisburger Rat 1510 bei einem Essen
über die Finanzen Rechenschaft ab. Wassenberch befand sich wohl selber
unter den Geladenen, so daß ihm Ort und Kostenträger berichtenswert
erscheinen558. Bei Wahlen hatten Festessen verbindlich bestätigende
Funktion, wie die Kerkhördsche Schilderung der umstrittenen Wahl Johanns
III. von Diepholz zum Bischof von Osnabrück 1424 zeigt: Als
die Domherren gänzlich unbeeindruckt blieben vom allgemeinen Protest
in der Stadt und zur Durchführung der Wahl schritten, schlossen die
Bürger sie in der Kirche ein und verzehrten die in oder vor der Kirche
bereitgestellte „papen ettenkost“ . Vor der Aussicht, auf diese Art
„doet smechten“ zu müssen, machte das Kapitel einen Rückzieher, wie
Kerkhörde mit Genugtuung registriert559. Daß aber nicht schon automatisch
von einer befriedenden Wirkung solcher ‚Gelage‘ ausgegangen
werden kann, zeigt 1442 die Fastnachtsfeier des Junkers Gerhard von
Kleve, der als Graf von der Mark seine ‚quote‘ mit dem Dortmunder
Rat verzehrte: Zwischen den Parteien kam es unter vier Beteiligten zu
einem „steken“ mit ernsthaften Verletzungen560. Vielleicht gingen auch
in beiden Städten von den Fastnachtsfeiern die Verfassungskämpfe aus,
was allerdings die Chronisten selber nicht bewußt zur Kenntnis nehmen.
Auffällig ist aber, daß die Duisburger Bürgerschaft 1 5 1 3 an dem
auf die Fastnacht folgenden Sonntag zusammengerufen wurde, wie auch
Kerkhörde die Auseinandersetzungen um 1400 „in der vasten“ terminiert56
1 .
Eher privaten Anlasses, aber auch im Blick der Öffentlichkeit war
festliche Geselligkeit zu Hochzeiten sowie vielleicht zu Beerdigungen und
Taufen. Vom Aufwand bei Hochzeiten berichtet Westhoff, als dieser zu
557 Kerkhörde, S. 66.
558 Wassenberch, S. 222.
559 Kerkhörde, S. 31.
56° Kerkhörde, S. 64f.
561 Wassenberch, S. 237f. und Kerkhörde, S. 45.
1 1 3
Beginn des 16. Jahrhunderts eingeschränkt wurde. Vorher waren Jungfernspiele
Brauch gewesen, auf denen sich die Jugendlichen der Stadt im
Haus der Brauteltern vor der eigentlichen Hochzeit hatten versammeln
können, was der Chronist aber schon auf die vermögenden Bürger eingrenzt.
Zu prüfen wäre, ob einer obrigkeitlich verfügten Einschränkung
des Hochzeitsaufwands durch das Vorangehen des Bürgers Hermann
Huck zur Beachtung verholfen wurde. Denn mit der Abschaffung der
Spiele verband sich eine Änderung der Hochzeitskleidung, die nach Ausweis
der Chronik von Huck eingeführt worden war. Seinem Beispiel
folgten andere Bürger562. Ob neben dem Begängnis, wie es zum Beispiel
für die Mitglieder der Schützengesellschaft im 14. Jahrhundert festgelegt
war, die den verstorbenen Schützen „tom offer“ folgten563, zu Beerdigungen
auch ein ‚Leichenschmaus‘ stattfand, wird nicht ersichtlich.
Auch Taufen finden in keiner der Chroniken Erwähnung.
In einer gewissen Verpflichtung zur Einladung befand sich auch der
Duisburger Stadtschreiber Bernhard Leysink, als er den Dienst am Petrusaltar
übernehmen konnte. „Na goeder alder gewoenden“ hatte er
eine Feier mit Freunden auszurichten, die die Bezeichnung „gelaich“ auch
im heutigen Sinne wohl verdiente. Ihre Kosten beliefen sich auf fast die
Hälfte der jährlichen Pacht des städtischen Ziegelofens. Die Genauigkeit
der Angaben legt den Schluß nahe, daß auch der Chronist teilgenommen
hat, und macht wahrscheinlich, daß es bei diesem Fest um die Stärkung
informeller Kontakte im beruflichen Kreis ging564. Festgelegt waren
ebenso die Festlichkeiten innerhalb der Gilden, die in ihren Häusern gemeinsame
Trinkgelage veranstalteten: Von vorneherein verbunden mit
Beratung zeigt sich dies bei der herzoglich verfügten Schließung der Duisburger
Gildenkammern infolge des Aufstand 1513, „soe dar die gildebroeders
dair nyet meyr in ensolden gaen dryncken ende raet toe halden, als
sy gewoenlick plaegen toe syn“565. Im Zusammenhang der Dortmunder
Ratskost erwähnt Kerkhörde auch ein Pfingstessen, „dat braden“ ,
der Gildenvorgänger, für das die Gildenwahlmänner aufzukommen hat-
562 Westhoff, S. 400f.
563 Westhoff, S. 237 und Kerkhörde, S. 108.
564 Wassenberch, S. 245; Die Pacht des Ziegelofens betrug 8 Rheinische Gulden
(S. 243).
565 Wassenberch, S. 245.
1 14
ten566. Dies sorgte ebenso für den inneren Zusammenhalt der Gilden
als umfassend lebensgestaltende Verbände: Nicht zufällig fanden sich
1533 „namhafte“ Wollenweber zum Sturm auf die Petri-Kirche zusammen,
denn auch im folgenden erhielten die Handwerker Unterstützung
von den Amtsvorgängern, die das Verhalten der Zunftgenossen vor dem
Rat zu verteidigen suchten567.
In der Stadt präsentierten sich die Dortmunder Gilden mit Feierlichkeiten,
bei denen ihnen ‚Feldnutzung‘ zugestanden war. Diese Berechtigung
zu demonstrieren, wird als ein Ziel der Feierlichkeit sichtbar. Das
„volle Gildenbier“ der Schmiede, das zu Mariä Himmelfahrt im Heiliggeisthospital
getrunken wurde, stellte für das folgende „Fischen“ einen
„vurbodde“ (eine Vorversammlung) dar. Zum Jahr 1542 aber waren
die Fischteiche der Osterbauerschaft gemäß Ratsverfügung zur Pacht
vergeben worden. Mit dem Hinweis auf die „broeke“ von einer Tonne
Bier verwehrten es die Teilnehmer trotzdem, das Fischen zu beenden:
Ohne Aussicht auf Erlaß, „sunder gnade“, sollte sie von demjenigen zu
entrichten sein, der dem Fest fernblieb. Erst wegen des Verbots der Feierlichkeit
und des vor diesem Hintergrund unbotmäßigen Verhaltens der
Schmiede schildert Westhoff den normalen Ablauf genauer: Ausgerüstet
mit Sägen, Hämmern, Schüppen, Wannen und Becken versammelten
sich die Schmiede am Dienstag nach Mariä Himmelfahrt morgens vor
dem Ostentor. Nach dem Ausfischen der Teiche wurden die Fische „mit
pipen und trumen in hecken vul ordentlich in der procession in die stat
( … ) gebracht“ , um das gemeinsame Essen und Trinken auf dem Lohaus
stattfinden zu lassen568 . Für Duisburg wäre das Abhalten solcher
566 Kerkhörde, S. 65.
567 Hiermit weiche ich von der Interpretation a.b, die von Winterfeld für den Bericht
Westhoffs vorgegeben hat: Sie gibt an, mit dem „capitein“ sei der Vorgänger des
Wollenamtes gemeint, der als Verantwortlicher für die Zunftgenossen, die St. Petri
hatten stürmen wollen, aus der Stadt gewiesen wurde (L. v. Winterfeld, Der Durchbruch
der Reformation in Dortmund, in: Beiträge, Bd. 34 ( 1927), S. 53 – 146, hier S.
58 Anm. 20, und S. 63); dies wäre natürlich im oben aufgezeigten Zusammenhang
doppelt aufschlußreich, doch ist dieses Verständnis des Vermerks m. E. nicht haltbar:
Mit „vuergener ader capitein“ sind die stürmenden Wollenweber gemeint, die aus
der Stadt weichen mußten; die Vorgänger des Amtes baten erfolgreich um Aussetzung
der Strafe (Westhoff, S. 430); vgl. dazu auch „hovetsachen und principal“ als
Bezeichnung für so angesehene ‚Organisatoren‘ eines Verrats (ebda., S. 379 und 386).
568 Westhoff, S. 441f .. Eine andere Interpretation dieser Stelle legt H. Schilling vor.
1 1 5
Zunftfeste zu prüfen: Die Wortwahl Wassenberchs zur Darstellung des
„Holzfahrtags“ der Kölner Zünfte deutet aber darauf hin, daß solche als
Nutzungsfeste zu kennzeichnenden Feiern auch hier üblich waren569.
Wie ‚alltäglich‘ für die Städter verschiedener sozialer Schichten eher
‚ungezwungene‘ Wirtshausgeselligkeit war, läßt sich aufgrund der Chroniken
schwerlich genau fassen. Abgesehen von geselligem Beisammensein
führten auch Geschäftsabschlüsse dorthin: Vom allerdings bereits
in Geld ablösbaren „wynkop“ berichtet Wassenberch zur Verpachtung
der Fischrechte am Schreckling, einem Rheinabschnitt bei Duisburg570.
Auch ‚Trinkgelder‘ wurden in barer Münze gezahlt571 , während Kerkhörde
etwas über den Gobelen-Verrat erfuhr, indem er zwei Kannen Wein
mit seinem Informanten „vertat“572. Zumindest der Duisburger Bürgermeister
hob beim Aufstand 1 5 13 nach dem Bericht Wassenberchs darauf
ab, daß von den Bürgern in den Tavernen oft auf den Rat geschimpft
würde573. Als Ort rein männlicher Geselligkeit dürfen Weinhäuser und
Wirtschaften dabei, wenn man der Westhoffsehen Chronik folgt, nicht
angesehen werden: Die Erzählung darüber, daß selbst die Bauernmägde
das Weinhaus besuchten und dort ihr Kerzengeld ließen, weil der Wein
1540 so ungewöhnlich gut geraten war, soll aufgrund ihrer sozialen Lage
für Erstaunen sorgen – nicht aufgrund ihres Geschlechts574.
Seines Erachtens sind die Bürger zuhauf bewaffnet ausgezogen, um ihren Anspruch
. auf freien Fischfang gegen die Privatisierungen zu behaupten, während er den Festzusammenhang
hier vielleicht für fiktiv hält (?) (H. Schilling, S. 183) Dafür kann ich
keine Anhaltspunkte sehen.
569 Wassenberch, S. 235: „ltem so veilt sick in den vurß jair, als mit namen toe
Pinxsten, dan soe plegen die ampten in dat velt to gaen, nemelick des donredachs to
Pinxten, ende heit to Collen ‚Holtzvartzdach‘.“ (H.v.m.).
570 Wassenberch, S. 223; konkret ist dagegen wohl zu verstehen, daß bei der Anklage
gegen die Beteiligten am Verrat 1506 u.a. angeführt wird, jeder habe „vrij sein gelach
entvangen“, was solchermaßen als Einwilligung in das ‚Geschäft‘ verstanden wurde
(Westhoff, S. 380 und 382).
571 Trinkgelder wurden z. B. bei der Überbringung des Störs an die klevische Herzogin
(Wassenberch, S. 223), bei der Übergabe eines Hirsches, geschenkt durch den Erzbischof,
an den Bürgermeister Swarte (Westhoff, S. 410) und bei der Grundsteinlegung
am Reinoldi-Chor ( ebda., S. 300) gegeben.
572 Kerkhörde, S. 136.
573 Wassenberch, S. 238.
574 Westhoff, S. 438. Beides, soziale Lage und Geschlecht, war selbstverständlich
1 16
Im Zusammenhang·mit Geselligkeit sind vielleicht auch die durchaus
tolerierbaren „gude botzen“ (gute Possen) zu sehen, als die die Wollenweber
ihren Versuch des Sturms auf die Petri-Kirche gemäß Westhoff
erklären wollten: “ . . . seint die vuergenger van den wullenwevern ( … )
bij einem eerbaren raet gangen und die sach tom guden vuergenomen
und tom besten kaert, spechende, sie hettens in geiner boser andacht
sunder uet guder botzen, dwile die Wage so lichtverdig gewest weer, gedaen.“
575 Zwar versetzt der Chronist heutige Leser nicht in die Lage,
genauere Aussagen darüber treffen zu können, welche Handlungen gute
Possen ein- und abgrenzten von der „boser andacht“576. Aber der Einwand
zeigt, daß es ein Ausbrechen aus dem Alltag und seinen Regeln
gab, eine Ausgelassenheit, die, selbst wenn sie zu Zerstörungen führe,
allseits zu entschuldigen war.
I I . C.2.c. D ER GESELLSCHAFTLICHE AUSSAGEWERT DER KLEIDUNG
Daß mit verschiedener Intensität von Öffentlichkeit, also mit Öffentlichkeiten577,
gerechnet werden muß, ergibt sich auch bei der Kleidung. Ihre
Angemessenheit bestimmte sich neben der Entsprechung von persönlichem
Status und Kleidung auch an der jeweiligen Öffentlichkeit: Dem
Kirchgang, der Feier, dem Hochzeitsfest, dem Alltag. Daß es zumindest
in der täglichen Kleidung die ‚Details‘ waren, mit denen sich selbst reiche
Bürger und Patrizier von den anderen Städtern abhoben, kann der mit
Häme von Westhoff erzählten Geschichte über einen später zum Tode
verurteilten Juden entnommen werden. Von Johan Becker, Priester an
der Reinoldi-Kirche, 1540 zunächst aufgenommen und getauft, sollte sich
der Arzt damit verdächtig gemacht haben, daß er sich mit Seide und Gold
„wie ein edelman“ kleidete. Aus den weiteren Schilderungen ergibt sich
als Grund des so dargestellten Mißtrauens, daß er seinen Hut „mit einen
guldem kranze umbgeven“ trug und ihn weiter schmückte mit Arbeitsgeräten,
die er einer Barbierswitwe abgekauft und mit Gold und Silber
hatte überziehen lassen578. Solche Kennzeichnungen des Berufs durch
nicht unabhängig voneinander: Die Löhne der Mägde lagen durchweg niedriger als
die der Knechte (E. Maschke, Unterschichten, S. 30f.).
575 Westhoff, S. 430.
576 Ebda.
577 G. Jaritz, S. 93ff.
578 Westhoff, S. 437f.; ob sich dies wirklich so zugetragen hat, kann hier nicht ent-
117
die Kleidung waren an sich ßurchaus nicht ungewöhnlich: Während der
Großen Fehde sollten zwei Uberfälle auf Haltern und Ranstrop vereitelt
worden sein, weil man rechtzeitig erkannte, daß sich die Angreifer lediglich
mit „kappen in voerlude gestalt“ getarnt hatten579. Der Bote
des klevischen Herzogs, Heinrich Gire, den Gobelen Kracht 1457 mit
dem Drosten zusammen beschuldigte, trug offenbar zur Kennzeichnung
seiner Stellung „vele slottele an dem halse“580. Vielleicht verband sich
daher auch die Einkleidung der Stadtpfeifer in „Weselschem Braun“ , was
Westhoff als Teil ihrer Entlohnung aufüf hrt, mit einer besonderen Kennzeichnung
durch die „stripen up den mohen“581 . Zu prüfen wäre, ob in
der Stilisierung der Kleidung des Arztes eine modische Entwicklung zu
sehen ist.
Der hohe Wert von Kleidung wird an den chronikalischen Vermerken
zum einen über die ‚ Erbeutung‘ von Kleidungsstücken sowohl bei
einzelnen Überfällen wie bei Fehden erkennbar: Zum Raub auf dem
Monninghof in Duisburg 1507 gibt Wassenberch an, daß drei Pferde und
Frauenkleider gestohlen wurden582. Vielleicht in der absoluten Zahl eher
zur Verhöhnung des mit Frankreich verbündeten Gelderos geeignet, dokumentiert
auch die Aufzählung der Beute durch die Niederlande 1507
den Wert der Kleidung: Neben Gold und Silber werden 500 seidene
sowie 200 Damastschuhe, Mantel und Seidenjacken genannt583. Zum
anderen zeigt eine Notierung Wassenberchs, daß der Kauf von gebrauchter
Kleidung an sich noch keine Besonderheit war: Für 1507 versieht
schieden werden (zu berücksichtigen wäre der Hut als Symbol für Status, Herrschaft
und Anspruch (Kerkhörde, S. 82 und 90)); bedeutsam erscheint aber doch zweierlei:
Einerseits wird man sicher den ‚alltäglichen‘ Kleidungsaufwand auch reicher Bürger
und des Stadtadels relativieren müssen (G. Jaritz, S. 131!.), andererseits ist aber die
Wahrnehmung der Zeitgenossen ernst zu nehmen, für die ‚Details‘ an der Kleidung
eben nicht Kleinigkeiten waren, sondern hohen ‚Signalwert ‚ hatten – insbesondere
natürlich bei Goldverzierungen.
579 Westhoff, S. 271; nach L.C. Eisenbart kann nicht entschieden werden, ob es sich
dabei um ‚Capes‘ handelte oder tatsächlich nur Kappen gemeint sind (L.C. Eisenbart,
Kleiderordnungen der deutschen Städte zwischen 1350 und 1700, Göttingen 1962,
s. 154).
58° Kerkhörde, S. 133.
581 Westhoff, S. 219.
582 Wassenberch, S. 214.
583 Wassenberch, S. 2 1 5 .
118
er den Bericht vom Tod dreier Kinder in einem Haus, deren Vater ihre
Kleidung von pestkranken Kindern gekauft hatte, mit der Aufforderung:
„Nota!“584 Insofern ist auch das Bedauern Westhoffs über den Fund der
Leiche eines adligen Ritters 1512 konkret zu verstehen, als diese „van
einander gevallen und C.e rustung und kledung niemants nutte“ 585.
Daß aus Gründen hoher Kosten die Hochzeitskleider später auch als
festtägliche Kleidung von den Frauen getragen wurden, ergibt sich aus
der Änderung der hochzeitlichen Ausstattung um die Jahrhundertwende,
von der Westhoff berichtet. Im Gegensatz nämlich zu den „velen“ , mit
denen die Bürgerinnen danach zur Hochzeit, zu Gast, zur Kirche und auf
große Festtage gingen, war es vorher Brauch gewesen, sie mit „gevoderden
bunten manteln“ einzukleiden, worin wohl ‚Kürsen‘, also mit Pelz
unterschlagene oder ganz aus Pelz bestehende Mäntel, zu sehen sind586.
Weitere Beschreibungen zum Aussehen der früheren Ausstattung liefert
Westhoff nicht. Es wird aber ersichtlich, daß mit den ‚bunten‘ Mänteln
verschiedenfarbige Bekleidungsstücke gemeint sind: Mit grünen Kleidern
auf den Jungfernspielen, sonntags rot und montags braun hatten vorher
die Bürgerstöchter ausstaffiert sein müssen. Nach Ausweis der Chronik
trat die .Ä.nderung ein, als Hermann Ruck seine Tochter zwar abends
noch „mit den hoven“ ausgestattet hatte, diese aber am Morgen mit
einer „swarten velen“ , also einem schwarzen Fell (einer Hoike?), zur Kirche
brachte587. Möglicherweise ist die Bewertung der Farbe Schwarz als
vornehm erst zu Westhaffs Zeit aufgekommen. Vordem zumindest galt
sie als Farbe der Unterwerfung588. So versteht er sie aber auch selber
noch, wenn er in seinen Bericht über die Niederlage Brügges 1438 auf-
584 Wassenberch, S. 211.
585 Westhoff, S. 191; Vielleicht ist so auch der Bericht über die Handlungsweise der
Prediger bei Kerkhörde zu deuten, die den erstochenen klevischen Boten Himpe aus
der Feldmark holten und ihm seinen Panzer auszogen, wenn dies nicht doch eine
pietätsvolle Handlung darstellte (Kerkhörde, S. 75).
586 Westhoff, S. 400; L. C. Eisenbart, S. 137.
587 Westhoff, S. 400f.
588 Dazu: G. Raudszus, Die Zeichensprache der Kleidung, Hildesheim/ZürichfNew
York 1985, S. 224; daß sich hierin eine Änderung der Stellung von Frauen abzeichnet,
wäre eine Interpretationsmöglichkeit, für die aber weitere Belege vorliegen müßten –
ein Vergleich mit den von Männern getragenen Farben ist nicht möglich, abgesehen
vom Vermerk über Dietmar Berswort, Pastor an Reinoldi um 1490, zu dessen Personenbeschreibung
gehört, daß er rot gekleidet war (Westhoff, S. 353) -, allerdings darf
1 1 9
nimmt, daß die Brügger den burgundischen Herzog mit einer Prozession
einholen mußten, bei der sie schwarze Kleidung zu tragen hatten589.
Niederlagen machen die Chronisten dadurch deutlich, daß sich die
Besiegten bereits einiger Kleidungsstücke entledigten, um nur entkommen
zu können. Es darf wohl als bildliehe Übersetzung dafür angesehen
werden, daß die Flucht um den Preis eigenen Statusverlusts angetreten
werden mußte: So berichtet Westhoff, daß in der Mitte des
14. Jahrhunderts während der Belagerung durch den Grafen von der
Mark ein Überfall vereitelt wurde, so daß die Angreifer die „snabben“
an ihren Schuhen abschneiden oder dieselben ganz liegenlassen mußten,
wo sie am Morgen gefunden wurden590. Mit dem von Wassenberch zitierten
Volkslied zur Niederlage Gelderns gegen Kleve 1502 spottete man
gleichermaßen: „Die Gelreschen namen in dat hasenpant (=ergriffen die
Flucht) , 500 wart der knecht gevangen, Scho en hasen woerpen die anderen
uit, nae Arnem was oer verlangen“591.
Auch im täglichen Umgang bedeutete die Charakterisierung einer
Person als „nackt“ eine Form übler Beschimpfung. Zumindest für den
Bereich der Öffentlichkeit meinte man dabei nicht gänzliches Unbekleidet-
Sein, sondern nahm auf die unvollständige Bedeckung des Körpers
Bezug. 592. So läßt Westhoff den angeklagten Meirich vor dessen Hinrichtung
1506 ausrufen, er sei trotz anfänglichen Zögerns von Duvenetter
mit den Worten angeheuert worden: „Du bist ein nacket bove, duet
dir gein gelt to verdeinen?“593 Positiv verstanden werden konnte dadie
schwarze Bekleidung der Frauen dann nicht nur auf die Verheiratung bezogen
werden, denn Westhoff stellt ja die festtägliche Kleidung insgesamt dar.
589 Westhoff, S. 312.
590 Westhoff, S. 216. Er ergänzt, daß die Schnäbel an den Schuhen zu dieser Zeit sehr
lang waren, woraus geschlossen werden kann, daß Schnabelschuhe zu seiner Lebenszeit
noch bekannt waren, aber bereits an Länge eingebüßt hatten. Dies steht im Gegensatz
zu den Angaben L. C. Eisenbarts (S. 159).
591 Wassenberch, S. 202.
592 G. Jaritz, S. 99f.; sehr deutlich wird dies an der Beschreibung Westhoffs: „Ein
nacket jude, der nicht meer dan ein slim toreten grae rockeschen ane hatte … “ (S. 436)
und „… in einem slimmen graen toretten rockeschen, dat er sich kume bedecken
konde … “ ( ebda., S. 437).
593 Westhoff, S. 383; Der Begriff „bove“ ist dabei schon ausgesprochen negativ konnotiert:
Zur Vergewaltigung und Ermordung einer Magd schreibt Wassenberch „dairum
moerden die vurß boeve datselve vrouwenmynsche“ (Wassenberch, S. 246); verärgert
120
gegen die „Nacktheit“ bzw. ihre Symbolisierung in Prozessionen durch
Barfüßigkeit zusammen mit wollener Bekleidung, die die Demut der Teilnehmer
vor Gott zum Ausdruck brachte, wie es Westhoff von dem Umgang
mit dem heiligen Sakrament vermerkt, als der „Englische Schweiß“
die Städter in Panik stürzte594.
I I . C . 2 .d. NOTLAGEN UND KATASTROPHEN
Nur sehr bedingt konnte bei Krankheiten und Seuchen gemeinschaftlich
gehandelt werden. Mochten in der Folge Bemühungen um bessere
Wohnsituation, hygienische Verhältnisse und Sicherstellung der Versorgung
auch vom Erkennen der Zusammenhänge zwischen Notlagen und
Seuchen motiviert sein, so galten doch die Krankheiten als „Heimsuchungen“
595, die gerade innerhalb der städtischen Gemeinschaft an Bedrohlichkeit
gewannen: Daß am „Englischen Schweiß“ , der schon im September
1529 in Dortmund aufgetreten sein sollte, in kurzer Zeit gemäß
Westhoff 500 Menschen starben596, konnte ebenso Panik auslösen wie
zuvor die Ausbreitung der Pest, der täglich sichtbar und unaufhaltsam
Städter zum Opfer fielen: „Do begunde de pestilenz hijr an to gaen
und was schreklik, dat hijr des dages waren 28 doet ofte meer“ , kommentiert
Kerkhörde zum Jahr 1440597. Setzten sich die Krankheiten
regelrecht fest, bestanden Möglichkeiten des Umgangs nicht mehr in der
Stadt, sondern vor allem in Versuchen, sie zu verlassen: Wenn Westhoff
die Wallfahrt zur Schönen Maria fälschlicherweise zum Jahr 1513
(vor)datiert, kann das auch damit zusammenhängen, daß ihm Nachrichten
über die zu dieser Zeit auflodernde Pest in Dortmund vorlagen, die er
ebenfalls verzeichnet, und die Wallfahrt zugleich als Buße wie als Chance,
nennt Kerkhörde diejenigen . die die Pflüge zerstörten, „boven“ (Kerkhörde, S. 78 sowie
81); für die Auseinandersetzungen auf der Brakeler Messe waren gemäß Westhoff
„tweir bosenwichter und boven“ der Anlaß (Westhoff, S. 332).
594 Westhoff, S. 425.
595 Kerkhörde, S. 63.
596 Westhoff, S. 425; die Zahl wird absolut kaum zutreffend sein, aber sie veranschaulicht
die Größenordnungen.
597 Kerkhörde, S. 63, sowie auch Westhoff, S. 449 (über Soest), weitere Erwähnungen:
Kerkhörde, S. 36; Westhoff, S. 311, 348, 361 und 397.
121
aus der Stadt zu kommen, verstanden wurde598. Aus der Chronik des
Reinold Kerkhörde übernimmt er zum Jahr 1495, das ‚etliche‘ aus der
Stadt zu weichen versuchten599. Eine Flucht aufs Land allerdings setzte
voraus, daß die Krankheiten nicht „overall“ und „in al dussen landen“
gleichzeitig auftraten600 , und dann allenfalls die Wälder und Wiesen als
Ausweichräume blieben, wohin sich die Bochumer Bevölkerung gemäß
Westhoff 1544 mit dem Aufbau von Hütten zu retten versuchte60 1 , so
daß nicht eigentlich in der Reaktionsweise, sondern in den ‚Erfolgschancen‘
gesellschaftliche Unterschiede zu suchen sind: Bessere Wohnungsund
Versorgungssituation, insbesondere die ‚Abkömmlichkeit‘ bei Angehörigen
der Oberschicht, trugen sicher zu einer Erhöhung der Überlebenschance
bei. Dazu wurden die Kontakte in die Nachbarstädte schon
gepflegt, wie es sich aus der Kerkhördschen Schilderung über die unfreiwillige
Flucht der Stadtführung aus Münster – allerdings vor dem durch
Johan von Hoya geführten Aufstand – 1453 ergibt, die sich fortan in
Dortmund, Soest und „wo(hin) jeder konnte“ niederließen602. Über die
eigene Zeit vermerkt Westhoff die Umsiedlung der Soester Führenden
nach Dortmund, als in Soest die Pest grassierte603. Dennoch konnte sich
bei der Rückkehr herausstellen, daß die Krankheit sich erneut ausbreitete,
wie zu 1495 überliefert604, so daß in der Tendenz Epidemien alle
Städter gleichermaßen bedrohten.
Ein weiteres Problem städtischer Gemeinschaft, das wie Seuchen
und Krankheiten auch zwar nicht auf den Lebensraum Stadt begrenzt
war, sich aber dort gleichsam potenzieren konnte, in der Tendenz alle
Städter betraf und dem Lebenskreis Stadt eigene Lösungen abverlangte,
war die Brandgefahr. Durch Organisation der Brandbekämpfung sollte
sie eingedämmt werden, wie indirekt aus den Chroniken zu schließen ist:
Der Großbrand an der Brückstraße 1458 konnte gelöscht werden, als man
ein Haus „in der rige entdecket“ hatte, wozu doch mindestens Koordi-
598 Westhoff, S. 397, 390 und 398; zur Wallfahrt nach Regensburg: H. Kühne!,
Frömmigkeit ohne Grenzen, in: Alltag im Spätmittelalter, S . 92 – 113, hier S. 106.
599 Westhoff, S. 361.
60° Kerkhörde, S. 36 und 119.
601 Westhoff, S. 451.
602 Kerkhörde, S . 124.
603 Westhoff, S. 445.
604 Westhoff, S. 361.
122
nation, vielleicht sogar Übung des Notfalls vorauszusetzen sind605. Gleiches
läßt sich auch der Schilderung Westhoffs zum Blitzeinschlag an St.
Reinoldi 1536 entnehmen, wo die Umwohnenden sich und ihre Habe in
Sicherheit bringen {lassen) konnten, während andere die ‚Löscharbeiten‘
übernommen hatten606. In Duisburg waren infolge des Löschens an der
Kuhstraße 1499 dagegen etliche Tote zu beklagen. Dabei hatte es sich allerdings
nach Ausweis der Chronik um Brandstiftung gehandelt607 . Organisierte
Löschhilfe erfolgte aber weder selbstverständlich noch machte
sie unabhängig von nachbarschaftlichem Zutun: Daß 1458 der „Weddepoet
dede grote weer“, vermerkt Kerkhörde lobend über den Anwohner
der Brückstraße608 . Die ‚Feuerwehr‘ blieb bis zu Westhoffs Zeit als
eine Handlung der städtischen Gemeinschaft bewußt, von der einzelne
– zumindest war dies denkbar – auch ausgeschlossen werden konnten:
Dem beschuldigten Albert Klepping sollte die Bürgerschaft, wie schon
erwähnt, den Beistand verweigert haben609. Ob aus diesen Erfahrungen
generell folgte, daß man bei Notlagen bemüht war, nicht einzelne
und individuelle Auswege zu suchen, sondern städtischerseits Hilfe zu
‚organisieren‘, ist aus den Chroniken nicht in allen Fällen eindeutig zu
erkennen: Unklar bleibt etwa, welche konkreten Maßnahmen beim Auftreten
von Wassermangel ergriffen wurden, der häufiger erwähnt wird610.
Allerdings ist damit zu rechnen, daß die Wassersicherung im Rahmen der
Lösung des städtischen Grundproblems schlechthin, der Versorgung, gesehen
und für entsprechend bedeutsam gehalten wurde.
605 Kerkhörde, S. 138.
606 Westhoff, S. 433 (die gleiche Nachricht auch S. 431).
607 Wassenberch, S. 198f.
608 Kerkhörde, S. 138.
609 Westhoff, S. 320.
610 Wassenberch, S. 243; Kerkhörde, S. 26, 65 und 100; Westhoff, S. 357, 374 und 459.
123
III. Fazit
Das alltägliche Leben in der Stadt konnte auf der Grundlage der Chroniken
aus Dortmund und Duisburg zunächst in seinen lebensweltlichen
Bezügen erschlossen werden. Bevor die unter den einzelnen Aspekten des
Arbeitens, der Ernährung, des Wohnens, des religiösen, geselligen und
öffentlichen Lebens getroffenen Aussagen in den mittelgroßen Städten
zusammengefaßt werden in Richtung auf die Frage, ob ein spezifischer
Aussagewert der Chroniken zu bestimmen ist, soll der Versuch gemacht
werden, die Ausdeutung der Chroniken zu systematisieren.
Schon die vorliegenden Werke erwiesen sich dabei als unterschiedlich
‚ertragreich‘ aufgrund des Zusammentreffens mehrerer Faktoren von
eigener Sichtweise, eigener Lebenssituation und Identifikation der Autoren
mit ihrem Gegenstand. Insofern kann unmöglich ein Passepartout
angeboten werden, mit dem Chroniken gewinnbringend in alltagsgeschichtlicher
Hinsicht ausgewertet werden können. Auch wenn daher
im folgenden thematische Bereiche den verschiedenen Ansatzpunkten der
Interpretation zugeordnet werden, bleibt zu berücksichtigen, daß die Angaben
der Chronisten nur vor dem Hintergrund der Gesamtintention
und im Zusammenhang der Schilderungen unter Beachtung der je eigenen
Art des Autors, Fakten zu formen, auszuwerten sind. Gemäß dem
Charakter der Stadtchronistik als Geschichtsschreibung, die die für die
Stadt wichtigen Ereignisse festhalten will, gelangen vornehmlich politische
und soziale Aspekte des Alltagslebens in den Blick. Gerade das aber
bietet die Möglichkeit, das Alltagsleben der Städter in seinen strukturellen
Bezügen zu sehen, wie das von einer modernen Alltagsgeschichte zu
fordern ist.
Die vorliegenden Chroniken eröffneten der direkten alltagsgeschichtlichen
Auswertung Zugänge für die Themenkomplexe der Katastrophen
und Unglücke wie der Ernten und Preise – allerdings mit erheblichen Unterschieden
in der Vollständigkeit. Jedoch zeigten sich diese Angaben, obgleich
sie Alltäglichkeiten zu verbürgen scheinen, als den Intentionen der
Chronisten verpflichtet, was die Auswertung zu berücksichtigen hatte:
Mit Preis- und Erntenotierungen war zugleich die wirtschaftliche Situation
im Handel mit Ein- und Ausfuhrmöglichkeiten dargelegt, wie auch
124
Berichte vom Umgang mit Notlagen in naher und ferner Vergangenheit
den Vorrang der eigenen Stadt (vor Land sowie anderen Städten) erweisen
sollten. Allenfalls indirekt geben die Chroniken Auskunft über
mögliche und erfolgte Reaktionen einzelner und der städtischen Gemeinschaft
auf Katastrophen sowie über die Kosten und Bedingungen der
Lebenshaltung, so daß hier begrenzt Aussagen getroffen werden konnten611.
Ein zweiter Ansatzpunkt für die Interpretation des städtischen Alltags,
der mit weitaus ‚zuverlässigeren‘ – da anders motivierten – Nachrichten
umgehen konnte, ergab sich aus Vermerken über Alltägliches im
Hinblick auf andere besondere Ereignisse: Durch den Blick auf Berichte
über Arbeitsergebnisse, die aus unterschiedlichen Gründen im Mittelpunkt
öffentlicher Beachtung standen, konnten Fragen nach Arbeitsbedingungen
sowie Arbeitszeiten für die Landwirtschaft wie für Teile des
Handwerks beantwortet werden. Auch Zufälligkeiten zeitgleicher Ereignisse
oder besondere Zwischenfälle konnten den Chronisten eine Notierung
von eigentlich nicht Berichtenswertem sinnvoll erscheinen lassen.
Dies läßt sich ebensowenig thematisch eingrenzen wie die Nachrichten,
die die Chronisten persönlich betrafen und daher an ‚besonderer‘ Stelle
Erwähnung finden.
Von einem dritten Ansatz aus erwies sich, daß Chroniken mit Gewinn
in der Richtung ihrer Intention ausgedeutet werden können: Abgesehen
von den bewußten Wertungen, die ebenfalls ein Faktor der ‚lebensbewältigenden‘
Sichtweisen und insofern für alltagsgeschichtliche Fragestellungen
ebenso relevant sind, interessierten dabei vor allem die
hinter ihnen stehenden ‚Selbstverständlichkeiten‘, die nicht reflektiert
wurden: Sie waren als Teil – nicht als Ziel – der intentionalen Aussagen
gerade durch die erzählende Haltung der Chronisten zu eruieren.
So konnte aufgrund der Ortsangaben etwa erfaßt werden, wie sich die
Städter orientierten, aufgrund der beabsichtigten Schilderungen von Ereigniszusammenhängen,
welche Bedeutung in der Stadt Räumen, Gestalt
und Institutionen zugesprochen wurde, aber auch auf Grundlage der
Gegenüberstellungen von ‚Noternährung‘ und Festessen, welcher ‚Ge-
61 1 Statt der dafür interessierenden Brot- werden die Getreidepreise genannt, was
noch mit dem Bezug auf die ins Visier genommene Leserklientel der städtischen
Mittel- und Oberschichten begründet werden könnte, für die wegen eigener Vorratswirtschaft
eher die Getreidepreise aussagekräftig waren.
125
schmack‘ bevorzugt wurde, oder auch, inwiefern Kleidung Aufsehen erregen
konnte.
Als sehr schwer – eindeutig – zu beurteilender Bereich zeigte sich die
jeweilige Einordnung der Chroniken in die städtische Öffentlichkeit und
damit die Frage nach dem „Dish.-urs“ , den sie führen oder auch bewußt
meiden wollten. Verschiedentlich wurde festgestellt, daß thematischräumliche
Bereiche auszumachen sind, die die Chronisten vermutlich
sehr bewußt in ihrer Darstellung aussparen, wie das ‚Innenleben‘ der
Gilden, der Häuser und der Klöster, was die Zugriffsmöglichkeiten für
eine alltagsgeschichtliche Ausdeutung weit mehr begrenzte als eine sicher
aufwendige, aber doch selbst innerhalb der Erzählung sowie durch Hinzuziehung
weiterer Quellen abzusichernde Interpretation der einzelnen
:\’achrichten und Schilderungen. Ausgesparte Themenkomplexe ließen
sich auch mit Hilfe einer ‚Negativschablone‘ nicht erschließen.
Die Chroniken erlaubten dennoch Zugriffe darauf, in welchen Bezügen
einzelne Aspekte des täglichen Lebens standen: Das Arbeiten innerhalb
der Stadt sicherte nicht nur das eigene Auskommen, sondern
schuf Verbindungen zu Gilde und Bruderschaft, wie auch bei anderen
beruflich-amtlichen Tätigkeiten Eingliederung in einen bestimmten Berufskreis
notwendig war, wie sie etwa beim ‚Einstand‘ des Duisburger
Stadtschreibers Leysink zur Übernahme eines Altardienstes erkennbar
wurde612. Die beruflich bestimmte Organisation wiederum begriff den
ganzen Lebenszusammenhang ein: Eine religiöse Entscheidung ihrer sozialen
Ansprüche suchten offenbar gemeinsam die Wollenweber, die die
Dortmunder Petri-Kirche zu stürmen versuchten; im späten 1 5 . Jahrhundert
schlugen sich die Knechte und Gesellen der Sechsgilden um
ihren Platz bei den Prozessionen613. Für den einzelnen sicher ebenso
prägend war das Ansehen „seines“ Handwerks, während für hä.ndlerische
Betätigung keine Aussagen getroffen werden konnten.
Konkret war die Wendung das „broet to verdeinen“614 zu verstehen,
wie an den obrigkeitlichen Bestimmungen über Lohntaxen, dann
aber auch an den getrennten „Abrechnungen“ der Chroniken für Lohn
und Kost insbesondere beim Kirchenbau deutlich wurde. Arbeit und
:“\ ahrung erschienen auch begrifllich in der „nerunge“ zusammengefaßt,
612 Wassenberch, S. 245.
613 Westhoff, S. 430 und 363.
614 Kerkhörde, S. 144.
126
die aber wohl in erster Linie den im Handel erworbenen Verdienst oder
auch die gehandelten Waren selbst meinte615, oder aber den Handelsaustausch
der Stadt insgesamt bezeichnen konnte616.
Bedeutsam als Arbeitsbereich wie auch wichtig für die Ernährung
war die von der Stadt aus betriebene Landwirtschaft. Besonders für
Dortmund wurde deutlich, daß die Bürgerschaft ihre alltäglichen Nutzungsrechte
auch als politisches Handeln begriff: Selbst als aktuell der
Eintrieb in die Wälder nicht möglich war, suchte man nach einem Weg,
dem mehrmaligen Schweinetrieb der Reichsleute einen Riegel vorzuschieben617;
Bürgerschaft und Reichsleute standen dennoch zusammen, als es
gegen den Dortmunder Grafen ging618. Im 16. Jahrhundert dagegen wurden
diese Rechte den Bürgern von Seiten des Rats zunehmend streitig
gemacht: 1539 wurde das Weidegeld offenbar in ungekannter Höhe festgelegt;
wenig später konnten die Berechtigungen der Schmiede an der
Fischzucht erfolgreich ausgesetzt werden, nachdem die Teiche zu Pacht
vergeben worden waren619.
Ernährung bedeutete in den Städten nicht nur Lebenserhaltung,
sondern war auch ein Mittel sozialer Differenzierung. Die Versorgungssituation
einzelner mußte in einem bestimmten Verhältnis zur Ernährungslage
der Stadt insgesamt stehen, wie dies das ‚Argument‘ am Kerkhördschen
Vorwurf gegen den alten Rat zeigt. Inwieweit der Obrigkeit die
Sicherstellung der Versorgung und wirtschaftlicher Prosperität gelang,
war ein Maßstab, der an die Stadtführung angelegt wurde, sie umgekehrt
aber auch in den Stand versetzte, mit Hinweisen auf den Gemeinnutz ihre
obrigkeitliche Stellung zu festigen620. Aufstände und Unruhen knüpften
ihrerseits an der Frage der Finanzen, ungenügender Rechenschaftslegung
und Verdacht der Mißwirtschaft an621. Schwer zu beurteilen blieb, inwieweit
einzelne Ausnahmesituationen der Mangelernährung sich als solche
auf die Ober- und Mittelschichten bezogen, weil dann nur in der Geltung
für alle Schichten die Besonderheit der Versorgungssituation läge.
615 Kerkhörde, S. 117 und 132.
616 Westhoff, S. 447.
617 Kerkhörde, S. 38f.
618 Kerkhörde, S. 57f.
619 Westhoff, S. 436, 441ff.
62° Kerkhörde, S. 117.
621 Wassenberch, S. 238; Kerkhörde, S. 42.
127
Dagegen ließ sich vergleichsweise gut erschließen, daß der einzelne
sich innerhalb der Stadt durch das Wohnen in NachbarschafteD einfügte,
die sowohl aus gemeinsamen Leistungen wie aus gemeinsamer Hilfeleistung
bei Gefahren resultierte. Zugleich konnte gezeigt werden, daß
nachbarschaftliehe Hilfe als Handeln der städtischen Gemeinschaft bewußt
blieb: Wen die öffentlichen Diskussionen unter Verdacht gestellt
hatten, konnte davon .:.. zumindest ‚denkbarerweise‘ – ausgeschlossen
werden. Öffentliche Meinung traf einzelne, wie umgekehrt die politische
Steuerung und obrigkeitliche Durchsetzung auf eine gewisse ‚Eigendynamik‘
von Gerede und Gerüchten Rücksicht nehmen mußte oder
sich ihrer zu bedienen versuchte622. Schwer abzuschätzen war hierbei,
wer sich in die städtische Gemeinschaft einfügte und wer von ihr in eigener
und fremder Sicht ausgeschlossen blieb: Einerseits befindet die
Kerkhördsche Chronik über die Handwerksgesellen als ‚wildes Volk‘, als
diese für die Stadt 1464 zum Kreuzzug aufbrachen, andererseits werden
Landwehrhüterinnen in ihrer verantwortlichen Position für die Stadt
gewürdigt623. Die politisch nicht berechtigten Städter waren wohl weit
stärker durch ihren Alltag an das gebunden, was als Sicht auf die Stadt
ausgemacht werden kann, die eine geschützte, sich selbst verteidigende,
auf Einung beruhende Institution sein sollte: Während die Dortmunder
Bürgerschaft bewußt die Verteidigungsleistung verweigerte, nahmen
gemäß Kerkhörde „eendels unser lude“ die Verfolgung von Angreifern
auf624.
Resümierend kann festgehalten werden, daß die Chroniken über die
Lebenswelt in ihren strukturellen Bezügen Aufschlüsse geben können,
wobei dies nicht ausschließlich ‚Immaterielles‘ betraf, wohl aber einem
von den Chronisten so erkannten öffentlichen Bereich zugehören mußte:
Auch über Häuserbau, Straßenpflasterung, Kleidung oder Anbauformen
konnten Aussagen getroffen werden – dagegen nicht über das Eßgeschirr
oder Arbeitsgeräte. Veränderungen wurden nur bedingt greifbar, weil
die Lebenswelt sich in der Tat langsamer und für den zeitgenössischen
Beobachter in der Regel unmerklich veränderte. Innerhalb dieser Zusammenhänge
ist zu erwarten, daß im alltäglichen Verhalten weit schnellere
Anpassungsleistungen an politischen, wirtschaftlichen und gesellschaft-
622 Westhoff, S. 319f. und 330; Kerkhörde, S. 135.
623 Kerkhörde, S. 144, 74, 81 und 98.
624 Kerkhörde, S. 119.
128
liehen Wandel auszumachen sind, die wiederum in den Rückwirkungen
auf den Wandel selber zu untersuchen sind. Von den Bezügen der Lebensaspekte,
wie sie auf Grundlage der Chroniken sichtbar wurden, ausgehend,
stellen sich für die Erforschung des städtischen Alltagslebens
zunächst Fragen, von denen einige genannt werden sollen: Hatte für
Dortmund der Angriff auf die Bedeutung der – teilweise allmendlieh genutzten
– Landwirtschaft Auswirkungen auf das Ernährungsverhalten?
Weisen die Formen der Mangelernährung darauf hin, daß man im 16.
Jahrhundert in stärkerem Maße zur Verbilligung Lebensmittel ’nachahmte‘?
Wirkten die Teuerungen des 16. Jahrhunderts auf das Wohnverhalten,
z. B. in vermehrter Einrichtung bzw. Nutzung von bloßen
Schlafstellen? Hatte dies Auswirkungen auf Begriff und Funktionen
von Nachbarschaft? Inwieweit veränderte sich mit der landwirtschaftlich
intensiveren Nutzung das Leben der landarbeitenden Städter und
ihre ‚Präsenz‘ in der Stadt? Auf Grundlage der Chroniken sind solche
Fragen nach dem, was sich in den lebensweltlichen und sozialen Prozessen
miteinander veränderte, noch nicht zu beantworten.
129
Quellen- und Literaturverzeichnis
A . QUELLEN
Chronik des Johan Kerkhörde, in: Chroniken der deutschen Städte, Bd. 20, Leipzig
1887, s. 25 – 146
Chronik des Dietrich Westhoff, in: Chroniken der deutschen Städte, Bd. 20, Leipzig
1887, s. 177 – 462
Chronik des Johan Wassenberch, in: Chroniken der deutschen Städte, Bd. 24, Leipzig
1895, s. 193 – 252
Cronica van der hiliger stat van Coellen 1499 (Koelhoffsche Chronik), in: Chroniken
der deutschen Städte, Bd. 13, Leipzig 1876, S. 253 – 638 und Bd. 14, Leipzig 1876,
s. 641 – 918
A. Fahne, Statuarrecht und Reclltsalterthümer der freien Reichsstadt Dortmund,
Köln / Bonn 1855
A. Meininghaus, Die Grundstücks- und Rentenverkäufe des Dortmunder Gerichtsbuches,
in: Beiträge zur Geschichte Dortmunds und der Grafschaft Mark, Bd. 32
(1925), s. 5 – 116
Ders., Die Grundstücks- und Rentenverkäufe des Dortmunder Gerichtsbuches von
1520/22, in: Beiträge zur Geschichte Dortmunds und der Grafschaft Mark, Bd. 35
(1928}, s. 5 – 151
K. Rübe!, Die Bürgerlisten der Frei- und Reichsstadt Dortmund, in: Beiträge zur
Geschichte Dortmunds und der Grafschaft Mark, Bd. 12 (1903), S. 33 – 212
B. LITERATUR
W. Abel, Agrarkrisen und Agrarkonjunktur, Hamburg/Berlin 1966
Alltag im 16. Jahrhundert. Studien zu Lebensformen in mitteleuropäischen Städten,
hg. v. A. Kohler/H. Lutz (=Wiener Beiträge zur Geschichte der Neuzeit 14), Wien
1989 (Alltag im 16. Jhdt.)
Alltag im Spätmittelalter, hg. v. H. Kühne!, Graz/Wien/Köln 1984 (Alltag im Spätmittelalter)
Alltag und Fortschritt im Mittelalter (=VIMRÖ Nr. 8}, Wien 1986
R. Aulinger, Reichsstädtischer Alltag und obrigkeitliche Disziplinierung. Zur Analyse
der Reichstagsordnungen im 16. Jahrhundert, in: Alltag im 16. Jhdt., S . 258 – 290
Aus dem Alltag der mittelalterlichen Stadt. Handbuch zur Sonderausstellung (=Hefte
des Focke-Museums 62}, Bremen 1982
K. Bedal, Historische Hausforschung. Eine Einführung in Arbeitsweise, Begriffe und
Literatur, Münster 1978
J.-P. Bodmer, Chroniken und Chronisten im Spätmittelalter, Bern 1976
H. Boockmann, Die Stadt im späten Mittelalter, München 1986
Ders., Die Lebensverhältnisse in den spätmittelalterlichen Städten, in: Duisburg im
Mittelalter, S. 9 – 21
130
P. Borscheid, Plädoyer für eine Geschichte des Alltäglichen, in: Ehe, Liebe, Tod, hg.
v. dems. / H. J . Teuteberg, Münster 1983, S. 1 – 14
H. Bräuer, Herren ihrer Arbeitszeit? Zu Organisation, Intensität und Dauer handwerklicher
Arbeit in Spätmittelalter und früher Neuzeit, in: Österreichische Zeitschrift
für Geschichtswissenschaften, Jg.1 (1990), S. 75 – 97
W. Buchstab, Anfänge der Sozialdisziplinierung im Mittelalter – Die Reichsstadt
l\’ürnberg als Beispiel, in: Zeitschrift für Historische Forschung, Bd. 18 (1991),
s. 129 – 147
K. Bücher, Die Bevölkerung von Frankfurt a. M. im 14. und 15. Jahrhundert, Bd. 1,
Tübingen 1886
S. Burghartz, Disziplinierung oder Konfliktregelung?, in: Zeitschrift für Historische
Forschung, Bd. 16 (1989), S. 385 – 407
H. Dienst, Frauenalltag in erzählenden Quellen des Spätmittelalters, in: Frau im
spätmittelalterlichen Alltag, S. 213 – 243
V. Dirlmeier, Vntersuchungen zu Einkommensverhältnissen und Lebenshaltungskosten
in oberdeutschen Städten des Spätmittelalters, Heidelberg 1978
Ders., Zum Problem von Versorgung und Verbrauch privater Haushalte im Spätmittelalter,
in: A. Haverkamp (Hg.), Haus und Familie in der spätmittelalterlichen
Stadt, Köln/Wien 1984, S. 257 – 288
G. Dohrn-van Rossum/R. Westheider, Die Einführung der öffentlichen Uhren und der
tbergang zur modernen Stundenrechnung in den spätmittelalterlichen Städten
.::.:iedersachsens, in: Stadt im Wandel, Bd. 4, S. 317 – 336
Dortmund – 1100 Jahre Stadtgeschichte, hg. v. G. Luntowski/N. Reimann, Dortmund
1982 (1100 Jahre Stadtgeschichte)
R. v. Dülmen. Das Schauspiel des Todes, in: Volkskultur, Frankfurt 1984, S. 203 –
245
Duisburg im Mittelalter, Begleitschrift zur Ausstellung, hg. v. Stadtarchiv/Niederrheinisches
Museum, Duisburg 1983 (Duisburg im Mittelalter)
E. S. Dyckerhoff, Die Entstehung des Grundeigentums und die Entwicklung der gerichtlichen
Eigentumsübertragung in der Reichsstadt Dortmund, in: Deutschrechtliche
Beiträge, Bd. 3 (1909), S. 3 – 132
W. Ehbrecht, Bürgertum und Obrigkeit in den hansischen Städten des Spätmittelalters,
in: Stadt am Ausgang des Spätmittelalters, S. 275 – 294
Ders., Köln – Osnabrück – Stralsund. Rat und Bürgerschaft hansischer Städte zwischen
religiöser Erneuerung und Bauernkrieg, in: Kirche und gesellschaftlicher
Wandel in deutschen und niederländischen Städten der werdenden Neuzeit, hg. v.
F. Petri, Köln/Wien 1980, S. 23 – 63
L. C. Eisenbart, Kleiderordnungen der deutschen Städte zwischen 1350 und 1700,
Göttingen 1962
N. Elias, Die Gesellschaft der Individuen, Frankfurt 1987
Ders., Zum Begriff des Alltags, in: Materialien zur Soziologie des Alltags, hg. v. K.
Hammerich/M. Klein ( =Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie,
Sonderh. 20), Opladen 1976, S. 22 – 29
R. Engelsing, Analphabetentum und Lektüre. Zur Sozialgeschichte des Lesens in
Deutschland zwischen feudaler und industrieller Gesellschaft , Stuttgart 1973
Europäische Sachkultur des Mittelalter (=VIMRÖ Nr. 4), Wien 1980
131
J. Fleckenstein, Ortsbestimmung des Mittelalters: Das Problem der Periodisierung,
in: Mittelalterforschung (=Forschung und Information Bd. 29), Berlin 1981, S. 9
– 21
Frau und spätmittelalterlicher Alltag (=VIMRÖ Nr. 9), Wien 1986 (Frau im spätmittelalterlichen
Alltag)
Th. Fröschl, Rahmenbedingungen des stadtbürgerlichen Alltags im 16. Jahrhundert,
in: Alltag im 16. Jhdt., S. 174 – 194
Geschichtsschreibung und Geschichtsbewußtsein im späten Mittelalter, hg. v. H.
Patze, Sigmaringen 1987 (Geschichtsschreibung und Geschichtsbewußtsein)
G. Gleba, Die Gemeinde als alternatives Ordnungsmodell, Diss. Köln/Wien 1989
H.-W. Goetz, Geschichte des mittelalterlichen Alltag. Theorie – Methoden – Bilanz
der Forschung, in: Mensch und Objekt, S. 67 – 101
Ders., Leben im Mittelalter vom 7. bis 13. Jahrhundert, München 31987
F. Graus, Funktionen der spätmittelalterlichen Geschichtsschreibung, in: Geschichtsschreibung
und Geschichtsbewußtsein, S. 1 1 – 55
Ders., Zusammenfassung der Tagung Oktober ’81, in: ebda., S. 838 – 844
Ders., Mentalität – Versuch einer Begriffsbestimmung und Methoden der Untersuchung,
in: Mentalitäten im Mittelalter. Methodische und inhaltliche Probleme,
hg. v. dems. (Vorträge und Forschungen Bd. 35), Sigmaringen 1987, S. 9 – 48
H. Grundmann, Geschichtsschreibung im Mittelalter. Gattungen – Epochen – Eigenart,
Göttingen 1965
Handwerk und Sachkultur im Spätmittelalter (=VIMRÖ Nr. 11), Wien 1988
J. Hansen, Einleitung zur Chronik des Johan Kerkhörde, in: Chroniken der deutschen
Städte, Bd. 20, Leipzig 1987, S. 3 – 13
Ders., Einleitung zur Chronik des Dietrich Westhoff, in: ebda., S. 149 – 176
J. Heers, Vom Mummenschanz zum Machttheater – Europäische Festkultur im Mittelalter,
Frankfurt 1986
H.-D. Heimann, Städtische Feste und Feiern – Manifestationen der Sakralgemeinschaft
im gesellschaftlichen Wandel, in: Vergessene Zeiten, S. 171 – 176
Ders., Über Alltag und Ansehen der Frau im späten Mittelalter – oder: Vom Lob der
Frau im Angesicht der Hexe, in: Frau und spätmittelalterlicher Alltag, S. 243 –
282
F. Holthoff, Duisburger Meister im ausgehenden Mittelalter, in: Duisburger Forschungen,
Bd. 35 (1987), S. 13 – 25
A. K. Hömberg, Wirtschaftsgeschichte Westfalens, Münster 1968
H. Hundsbichler, Arbeit – Nahrung – Kleidung – Wohnen, in: Alltag im Spätmittelalter,
S. 189 – 270
Th. llgen, Einleitung zur Chronik des Johann Wassenberch, in: Chroniken der deutschen
Städte, Bd. 24, Leipzig 1895, 5. 179 – 192
F. Irsigler/ A. Lassotta, Bettler und Gaukler, Dirnen und Henker. Außenseiter in
einer mittelalterlichen Stadt: Köln 1300 – 1600, München 1989
E. Isenmann, Die deutsche Stadt im Spätmittelalter 1250 – 1500, Stuttgart 1988
G. Jaritz, Zwischen Augenblick und Ewigkeit. Einführung in die Alltagsgeschichte
des Mittelalters, Wien/Köln 1989 (Einführung)
Ders., Leben um zu sterben, in: Alltag im Spätmittelalter, S.121 – 179
D. Kastner, Die Territorialpolitik der Grafen von Kleve, Düsseldort 1972
132
H. Kellenbenz, Die Gesellschaft in der mitteleuropäischen Stadt im 16. Jahrhundert
– Tendenzen der Differenzierung, in: Die Stadt an der Schwelle zur Neuzeit hg. v.
W. Rausch (=Beiträge zur Geschichte der Städte Mitteleuerpas IV), Linz 1980,
s. 1 – 20
P. Ketsch, Frauen im Mittelalter, Bd. 1, Düsseldorf 1983
H. G. Kirchhoff, Die Dortmunder Große Fehde 1388/89, in: 1100 Jahre Stadtgeschichte.
S. 109 – 128
K.-H. Knörzer, Mittelalterliche Pflanzenfunde unter dem Alten Markt, in: Duisburg
im Mittelalter, S. 78 – 87
J. Kocka, Sozialgeschichte zwischen Strukturgeschichte und Erfahrungsgeschichte, in:
Sozialgeschichte in Deutschland, hg. v. Schieder/V. Sellin, Bd. 1, Göttingen 1986,
s. 67 – 88
H. Kugler, Stadt und Land im humanistischen Denken, in: Humanismus und Ökonomie,
hg. v. H. Lutz, Weinheim 1983, S. 159 – 182
H. Kühne!, Normen und Sanktionen, in: Alltag im Spätmittelalter, S. 17 – 48
Ders., Frömmigkeit ohne Grenzen, in: ebda., S. 92 – 113
Ders., Mobile Menschen in „quasistatischer“ Gesellschaft, in: ebda., S. 114 – 120
Ders., Vorwort, in: Das Leben in der Stadt des Spätmittelalter, S. 5 – 8
J. Kümmell, Alltag und Festtag spätmittelalterlicher Handwerker, in: Mentalität und
Alltag im Spätmittelalter, hg. v. C. Meckseper/E. Schraut, Göttingen 1985, S. 76
– 96
Das Leben in der Stadt des Spätmittelalters (=VIMRÖ Nr. 2), Wien 1977
P. Lenz, Die Entwicklung des Dortmunder Brauwesens, in: Beiträge zur Geschichte
Dortmunds und der Grafschaft Mark, Bd. 33 (1926), S. 133 – 180
E. Liesegang, Niederrheinisches Städtewesen vornehmlich im Mittelalter, Breslau
1897
R. Lüdicke, Die Statuten der Wollenweber zu Dortmund, in: Beiträge zur Geschichte
Dortmunds und der Grafschaft Mark, Bd. 12 (1903), S. 1 – 32
G. Luntowski, Bemerkungen zu einigen Fragen der Sozial- und Verfassungsgeschichte
der Städte Dortmund und Lüneburg, in: Beiträge zur Geschichte Dortmunds und
der Grafschaft Mark, Bd. 65 (1969), S. 5 – 20
Ders. , Kleine Geschichte des Dortmunder Rats, hg. v. Stadtsparkasse Dortmund,
1970
E. laschke, Deutsche Städte am Ausgang des Mittelalters, in: Stadt am Ausgang
des Mittelalters, S. 1 – 44
Ders., ·’Obrigkeit“ im spätmittelalterlichen Speyer und in anderen Städten, in: Archiv
für Reformationsgeschichte, 57 (1967), S. 1 – 74
Ders., Verfassung und soziale Kräfte in der deutschen Stadt des späten Mittelalters,
in: Städte und Menschen, Beiträge zur Geschichte der Stadt, der Wirtschaft und
der Gesellschaft 1959 – 77, Wiesbaden 1980, S. 170 – 230
C. Meckseper, Kleine Kunstgeschichte der deutschen Stadt im Mittelalter, Darmstadt
1982
J. B. ?vlenke, Geschichtsschreibung und Politik in den deutschen Städten des Spätmittelalters,
in: Jahrbuch des Kölnischen Geschichtsvereins, Bd. 33 {1958), S. 1 –
84, Bd. 34/35 (19.39/60), S. 85 – 194
Mensch und Objekt in Mittelalter und früher Neuzeit. Alltag – Leben – Kultur
(VIMRÖ r. 13), Wien 1990 (Mensch und Objekt)
133
A. :’v!ihm, Die Chronik des Johann Wassenberch, Duisburg 1981
J. Milz, Die topographische Entwicklung Duisburgs bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts,
in: Vergessene Zeiten, S. 34 – 38
B. Moeller, Reichsstadt und Reformation, Berlin 1987 (bearb. Neuausgabe)
Ders., DisJ,:ussionbericht, in: Stadt und Kirche im 16. Jahrhundert, hg. v. dems.,
Gütersloh 1878, S. 177 – 182
R. Muchembled, Kultur des Volkes – Kultur der Eliten, Stuttgart 21984
Th. :\ipperdey, Mittelalter und Neuzeit: Das Problem historischer Nachwirkung, in:
Mittelalterforschung (=Forschung und Information Bd. 29), Berlin 1981, S. 151 –
157
C. Opitz, Frauenalltag im Mittelalter, Biographien des 13. und 14 Jahrhunderts,
Weinheim/Basei 21987
J. Otte, Untersuchungen über die Bevölkerung Dortmunds im 13. und 14. Jahrhundert,
in: Beiträge zur Geschichte Dortmunds und der Grafschaft Mark, Bd. 33
(1926), s. 5 – 53
G. Raudszus, Die Zeichensprache der Kleidung, Hildesheim/Zürich/New York 1985
K. Reimann, Die Entwicklung des Dortmunder Stadtbildes im Mittelalter, in: H.
Scholle, Dortmund im Jahre 1610, S. 9 – 23
Ders., Vom Königshof zur Reichsstadt. Untersuchungen zur Dortmunder Topographie
im Früh- und Hochmittelalter, in: 1100 Jahre Stadtgeschichte, S. 23 – 50
W. Ring, Geschichte der Stadt Duisburg, Essen 1927
G. v. Roden, Geschichte der Stadt Duisburg, Duisburg 1970 (Geschichte der Stadt
Duisburg)
Ders., Duisburg im Jahre 1566 (=Duisburger Forschungen Beih. 6), Duisburg 1964
(Duisburg 1566)
K. Rübel, Die Dortmunder Reichsleute (=Beiträge zur Geschichte Dortmunds und
der Grafschaft Mark Bd. 15), Dortmund 1907
Ders., Dortmunder Steuer- und Finanzwesen, Dortmund 1892
H. ScheUer, Der Rhein bei Duisburg im Mittelalter, in: Duisburger Forschungen,
Bd. 1 ( 1957), S. 45 – 86
H. Schilling, Dortmund im 16. und 17. Jahrhundert, Reichsstädtische Gesellschaft,
Reformation und Konfessionalisierung, in: 1100 Jahre Stadtgeschichte, S. 153 –
201
N. Schindler, Spuren in die Geschichte der anderen Zivilisation, in: Volkskultur, S. 13
– 77
F.-J. Schmale, Funktion und Formen mittelalterlicher Geschichtsschreibung, Darmstadt
1985
H. Schmidt, Die deutschen Städtechroniken als Spiegel bürgerlichen Selbstverständnisses
im Spätmittelalter, Göttingen 1958
K. Schmidt, Das Duisburger Textilgewerbe bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts
( =Duisburger Forschungen Beiheft 5), Duisburg 1964
H. Scholle, Dortmund im Jahre 1610. Maßstäbliche Rekonstruktion des Stadtbildes
( =Monographien zur Geschichte Dortmunds und der Grafschaft Mark Bd. 9),
Dortmund 1987
K. Schreiner, Geschichtsschreibung des späten Mütelalters, in: Geschichtsschreibung
und Geschichtsbewußtsein, S. 237 – 1896
A. Schröer, Die Kirche in Westfalen vor der Reformation, Bd. 2, Münster 1967
134
F. Seiht, Zu einem neuen Begriff von der Krise des Spätmittelalters, in: Europa 1400.
Die Krise des Spätmittelalters, hg. v. dems. / W. Eberhard, Stuttgart 1984, S. 7
– 23
G. E. Sollbach, Autonomie und Selbstverwaltung der Reichsstadt Dortmund im Mittelalter,
in: Jahrbuch des Vereins für Orts- und Heimatkunde in der Grafschaft
Mark. Bd. 73 (1975), S. 1 – 246
Th. Spohn. Die historischen Profanbauten der freien Reichs- und Hansestadt Dortmund,
in: Beiträge zur Geschichte Dortmunds und der Grafschaft Mark, Bd. 79
(1988), s. 9 – 94
R. SprandeL Die Handwerker in den nordwestdeutschen Städten des Spätm.ittelalters,
in: Hansische Geschichtsblätter, Jg. 86 (1968), S. 37 – 62
Die Stadt am Ausgang des Mittelalters, hg. v. W. Rausch (=Beiträge zur Geschichte
der Städte Mitteleuropas III), Linz 1974 (Stadt am Ausgang des Mittelalters)
Stadt im Wandel. Kunst und Kultur des Bürgertums in Norddeutschland 1150 –
1650, hg. v. C. Meckseper, Bd. 1 – 4, Stuttgart 1985 (Stadt im Wandel)
H. 0. Swienteck, Bäcker und Brot in Dortmunds Geschichte, in: Beiträge zur Geschichte
Dortmunds und der Grafschaft Mark, Bd. 61 {1964), S. 55 – 78
K. Tenfelde, Schwierigkeiten mit dem Alltag, in: Geschichte und Gesellschaft, Jg. 10
(1985), s. 376 – 394
Vergessene Zeiten – Mittelalter im Ruhrgebiet, hg. v. F. Seiht u. a., Bd. 2, Essen 1990
(Vergessene Zeiten)
Volkskultur. Zur Wiederentdeckung des vergessenen Alltags, hg. v. N. Schindler/R.
v. Dülmen, Frankfurt 1984 (Volkskultur)
D. Weber, Geschichtsschreibung in Augsburg. Rektor Mülich und die reichsstädtische
Chronisti.k des Spätm.ittelalters, Diss. Würzburg 1984
F. Weinforth, Studien zu den politischenn Führungsschichten in den klevischen Prinzipalstädten
vom 14. bis 16. Jahrhundert (=Kölner Schriften zur Geschichte und
Kultur 2), Köln 1982
D. Wierling, Alltagsgeschichte und Geschlechterbeziehungen. Über historische und
historiographische Verhältnisse, in: Alltagsgeschichte. Zur Rekonstruktion historischer
Erfahrungen und Lebensweisen, hg. v. A. Lüdtke, Frankfurt/l’\ew York
1989, s. 169 – 190
U. Willerding, Ernährung, Gartenbau und Landwirtschaft im Bereich der Stadt, in:
Stadt im Wandel, Bd. 3, Stuttgart 1985, S. 569 – 605
L. V. vYinterfeld, Geschichte der Stadt Dortmund, Dortmund 61977
Dies., Die Dortmunder Wandschneider-Gesellschaft (=Beiträge zur Geschichte Dortmunds
und der Grafschaft Mark Bd. 29/30), Dortmund 1922
Dies., Der Durchbruch der Reformation in Dortmund (=Beiträge zur Geschichte Dortmunds
und der Grafschaft Mark, Bd. 34) Dortmund 1927, S. 35 – 146
H. Witthöft, Umrisse einer historischen Metrologie zum Nutzen der wirtschafts- und
sozialgeschichtlichen Forschung, Bd. 1, Göttingen 1979
Ders., Maß und Markt am Hellweg, in: Vergessene Zeiten, S. 129 – 134
135